Digimon Generation von Picajo ================================================================================ Kapitel 3: Digimon ------------------ Geblendet taumelte Kitara ein paar Schritte zurück. Ihr Atem ging noch immer schnell. Sie war den Weg hierher gerannt, aus Angst, zu spät zu kommen. Zu was auch immer. Sie legte den Kopf in den Nacken und starrte zu der Uhr hoch. Trotz des hellen Lichtes das sie blinzeln ließ konnte sie ihre Augen nicht von ihr wenden. Plötzlich spürte sie eine sachte Berührung am Ellenbogen. Sie wandte sich um und erkannte Takahishi. Sein Gesicht wirkte gespenstisch. Das helle Licht, das ihn direkt anstrahlte, ließ seine Haut weiß wirken. Nur unter Augen und Nase lagen tiefe Schatten. Sein Mund war ein wenig geöffnet. "Ein Tor", flüsterte er. Kitara sah sich nach den anderen um. Yohi-Kai wich langsam vor der Uhr zurück. Der seltsame Junge, der noch kein Wort gesprochen hatte, stand noch immer an der gleichen Stelle. Das dunkelhaarige Mädchen war nicht zu entdecken. Ein lautes Rauschen erfüllte ihre Ohren. Und gleichzeitig war es totenstill. So still, dass es sie fast ängstigte. "Was für ein Tor?", fragte sie laut an Takahishi gewandt. Der schüchterne Junge, der schon vor einiger Zeit Kitaras Symphatie errungen hatte, senkte seinen Blick zu ihr. "Ein Tor zur Digiwelt", sagte er leise aber deutlich. Kitara wusste nicht, was das bedeuten sollte. Aber sie hatte keine Zeit mehr, noch etwas zu fragen, denn Takahishi machte ein paar große Schritte an ihr vorbei. Er zog etwas aus der Tasche. Kitara konnte nicht erkennen, um was für einen Gegenstand es sich handelte. Aber sie sah, dass auch er wieder das rätselhafte weiße Licht ausstrahlte. Impulsiv hielt Takahishi das in seiner Hand jetzt heftig pulsierende Digivice dem Tor entgegen. Ein heller Lichtstrahl schoss aus dem gesprungenen Display und vereinigte sich mit dem Leuchten der Uhr. Dieses schien dunkler zu werden. Das Digivice fühlte sich auf einmal wieder kälter an, es pulsierte immer schwächer, als verließe es seine Kraft. Takahishis Arm begann zu schmerzen und er nahm ihn herunter. Nun hielt er das Digivice vor seiner Brust. Er atmete kaum, seine Brust schnürte sich vor Aufregung zusammen. Ein Gegenstand löste sich von dem Digivice. Zunächst glaubte Takahishi, er wäre so von dem weißen Licht geblendet, dass er doppelt sähe. Aber dann merkte er, dass seine Hand nun mehr Gewicht hielt. Und es noch mehr wurde. Schließlich löste sich das zweite Gerät vollständig von dem ersten. Takahishi hielt ein weiteres Digivice in der Hand. Statt nahezu rund hatte es eine eher längliche Form. An der linken Oberseite befand sich eine Art kurze Antenne, rechts davon ein Öse. Es war von roter Farbe, ein dünner und zwei dicke Querstreifen liefen Diagonal üder die Oberfläche, in die ein Bildschirm und eine Anzahl grauer Knöpfe eingelassen waren. Takahishis Herz klopfte laut, als er sich zu den anderen herumdrehte. Er hielt das Digivice seines Großvaters mit beiden Händen über seinen Kopf. Wieder entsprang ihm ein Lichtstrahl, der sich in vier teilte, von denen jeder jeweils in den ausgestreckten Händen eines der vier Jugendlichen endete. Als das Digivice wieder ganz kalt und die Strahlen erloschen waren ließ Takahishi es in der Tasche verschwinden. Die Prophezeiung seines Großvaters hatte sich erfüllt. Aber wie sollte es nun weitergehen? Bis zu diesem Moment hatte Takahishi instinktiv gewusst, was zu tun war. Aber die merkwürdige Intuition, die ihn bis gerade noch geleitet hatte, war verschwunden. Plötzlich merkte er, dass die anderen vier näher gekommen waren und nun um ihn herum standen. Nur Solitudo stand einen Schritt weit hinter den anderen. "Was geht hier eigentlich ab, so grade?", fragte Kitara. Ihre Augen waren geweitet und starr, aus ihrer Stimme sprach die pure Verwunderung. "Wie hast du das gemacht??", wollte Yohi-Kai wissen. "Was ist das für ein Ding?" Shubana wog ihr Digivice in der Hand. Takahishi brauchte noch einen Moment, um sich zu sammeln. Er schüttelte sein Haar und versuchte, auf klare Gedanken zu kommen. "Das sind Digivices... nehm ich an...", sagte er verdattert. Sein Blick fiel auf die Uhr. Noch immer strahlte sie hell. "Ich glaube, die Digiwelt ruft sich zu uns..." Dieses Mal war es wirklich eine Vermutung. Keine Eingebung aus dem Unbekannten. Solitudo trat näher. Er hielt sein Digivice fest in einer Hand. "Wenn das ein Tor ist", sagte er ruhig, "dann lasst es uns öffnen." Mit diesen Worten hielt er ähnlich wie zuvor Takahishi sein Digivice dem Licht entgegen. Unvermittelt taten die Anderen es ihm gleich. "Tor zur Digiwelt, öffne dich!", schrie Takahishi. Das hatte er so im Buch seines Großvaters gelesen. Er wusste nicht, ob er auf Gelingen hoffte. Er wusste nicht, ob er sich wünschte, sein Abenteuer jetzt zu beginnen. Irgendwie ging ihm das alles viel zu schnell. Wenn er wirklich in die Digiwelt reisen sollte, so wünschte er sich doch, sich vorher zumindest von seinem Großvater verabschieden zu können... Aus dem Augenwinkel sah er, wie aus Kitaras Digivice ein gelber Lichtstrahl schoss. Dennoch, dachte er. Solange sie dabei ist, will ich gehen. In dem Moment entsprang dem Gerät in seiner Hand rotes Licht und vereinigte sich mit den bunten Strahlen der anderen Digivices. Das Licht in der Uhr begann zu brodeln. Ein hohes Pfeifen erfüllte Takahishis Ohren. Zugleich spürte er einen Sog. Er wurde auf das Licht zugezogen. Ein Blick zur Seite zeigte ihm, dass es den anderen nicht anders ging. Den Bruchteil einer Sekunde später schwamm er in einem Meer aus buntem Licht. Vor seinen Augen erschienen Landschaften, so schön und so grausig wie er es noch nie gesehen hatte. Grüne Bäume und saftige Blumenwiesen wechselten sich mit ausgedörrten und verbrannten Ebenen ab, die sich zum Horizont streckten. Dann schwammen in dem Lichtmeer zwei Gesichter an ihm vorbei. Ein Mann und eine Frau, deren verzweifelte Augen mit Tränen gefüllt waren. Ein Riss lief durch die Szene. Ein mit gewaltiger Brutalität geführter Schlag traf Takahishi mitten in den Bauch und schleuderte ihn zurück. Es wurde schwarz vor seinen Augen. Das letzte, was er vernahm war ein lauter, hoher Angstschrei, von dem er nicht sagen konnte, ob er von ihm, einem der anderen oder der Frau stammte, die er für einen Moment in dem Farbenwirbel erkannt hatte... Als er wieder klar sehen konnte, lag er rücklings auf dem Boden. Über ihm ragte die große Uhr auf. Er befand sich noch immer in der realen Welt. Takahishi war verwirrt. Er war der festen Überzeugung gewesen, ein Tor zur Digiwelt vor sich zu haben. War es denn nicht so gewesen? Doch, er musste Recht gehabt haben. Wie sonst konnte er sich die Bilder erklären, die er gesehen hatte? Ein schmerzhafter Stich durchlief ihn, als er an die Gesichter jenen Paares dachte, das er gesehen hatte. Neben ihm regte sich etwas. Mit einem stöhnenden Laut kam Kitara auf die Beine. Ihre weiße Hose mit dem aufgenähten gelben Sonnenmuster zeigte lehmig-braune Flecken. Sie schüttelte das lange Haar und bückte sich dann nach ihrem Hut. Auch Takahishi kam jetzt langsam auf die Beine. Beim Aufstehen bemerkte er, dass seine Knie aufgeschürft waren. Er rückte Taichis Brille auf seiner Stirn zurecht. Sein verwirrter Blick begegnete dem Kitaras. "Was war DAS?", fragte sie einfach nur und sah ihn aus großen, blauen Augen an. Hilflos zuckte Takahishi mit den Schultern. "Ich weiß es nicht", brachte er hervor. Sein Bauch schmerzte noch immer von dem Stoß, den er erhalten hatte. Kitara wandte sich ab und ging auf Shubana und Yohi-Kai zu, die sich gerade nebeneinander vom Boden aufrappelten. Nachdem es ihm gelungen war, seinen Blick aus ihrem Nacken zu lösen, wandte auch Takahishi sich von der Uhr, die nun wieder völlig normal aussah, ab. Suchend sah er sich nach Solitudo um. Es dauerte einen Moment ehe er ihn außerhalb des dumpfen Lichtscheines der Uhr entdeckte. Der stille Junge ging auf die anderen drei zu und blieb neben Kitara stehen. Er sagte etwas, wozu sie nickte. Dann warf Yohi-Kai etwas ein, Takahishi verstand nur wenige Worte. Er hatte den Schock nun halbwegs überwunden, und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er wieder abseits stand. Genau so wie in der Schule. Aber das hier war etwas anderes. Es war doch sein Abenteuer, oder nicht? Warum stand er jetzt daneben, während die anderen sich darüber unterhielten? Er sah, wie Kitara Yohi-Kai zulächelte und es gab seinem Herz einen Stich. Er wandte sich ab und betrachtete die Uhr. Seine Hände waren fest zu Fäusten geballt. Hatte er es nicht gewusst? Er war unfähig, Freunde zu finden. Wo er auch mit wem war, er wurde ausgeschlossen, er gehörte nicht dazu. Und wenn er einfach hinging und sich dazustellte? Lag es doch an ihm? Takahishi schüttelte diesen Gedanken ab. Auch das hatte er doch schon oft genug versucht. Wenn er das tat wusste er doch nicht mitzureden. Er stand immer nur dumm daneben, bis man zu einem Thema kam, das ihn nichts anging. Dann entfernte man sich oder begann zu tuscheln. Wie er das hasste... Betrübt senkte er den Kopf. Jemand fasste ihn an der Schulter. Takahishi schrak auf und drehte sich zu Kitara herum. "Was stehst du hier so? Woran denkst du?", fragte sie. Ihre großen Augen musterten ihn interessiert und vielleicht mit Sorge. Er hob die Schultern. "Komm doch zu uns, mensch!", lächelte Kitara. "Steh hier nicht so allein rum." Widerwillig und mit gemischten Gefühlen ließ er sich von ihr in Richtung der anderen ziehen, die ihnen bereits grinsend entgegenblickten. Takahishi lief etwas rot an. Dann setzten er und Kitara sich mit den dreien auf den Boden. "Besprechungsrunde?", lachte Shubana. "So in der Art", grinste Kitara zurück. Dann wandte sie sich Takahishi zu. "Okay, zuerst mal erzählst du uns jetzt, was du weißt!" "Genau", pflichtete Yohi-Kai ihr bei. "Du hast irgendwas von einem Tor geredet." "Ein Tor zur Digiwelt", murmelte Solitudo. Takahishi war unbehaglich zu Mute. Sie erwarteten von ihm eine Erklärung. Was sollte er ihnen sagen? Die ganze Geschichte wollte er noch nicht offenbaren. Außerdem würde sie das nur noch mehr verwirren. Und zu den letzten Ereignissen suchte er doch selbst noch eine Erklärung. "Ich weiß es doch nicht", flüsterte er mit gesenktem Kopf. "Was weißt du nicht?", fragte Kitara freundlich. Sie beugte sich vor um ihm von unten her ins Gesicht zu sehen. Ein ungewolltes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht und wärmte seinen Bauch. "Was da gerade passiert ist", sagte er lauter und sah wieder auf. "Ich weiß nur, dass es da eine Welt gibt, in die wir gehen müssen, um ein Abenteuer zu erleben. Und das war das Tor in diese Welt, wir waren schon fast dort. Aber bevor wir ganz angekommen waren, kam etwas und schleuderte uns zurück hierher..." "Und jetzt ist das Tor verschlossen", fügte Solitudo mit nüchterner Stimme hinzu. Wieder einmal verwunderten Takahishi seine Worte, die er sprach, als wüsste er von allem. Jetzt war das Tor verschlossen... Jemand... oder etwas... hatte es verschlossen. Das Gesicht der um Hilfe schreienden Frau erschien erneut vor seinem inneren Auge. Sein Herz machte einen schmerzhaften Sprung. Was hatte das zu bedeuten? "Und was bedeutet das für uns? Gehen wir jetzt nach Hause und tun so, als wär nie was gewesen, oder wie?" Die Frage kam von Shubana.Takahishi wandte sich ihr zu und wusste einen Augenblick nicht, was er erwidern sollte. Dann sagte er: "Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass es damit enden wird. Vielleicht ist das ja schon unsere erste Herausforderung..." "Was für ein Unsinn!", bellte Yohi-Kai. "Das klingt ja wie die Story aus nem billigen Fantasy Anime. Ich glaube eher, dass uns hier irgendwer einen gewaltigen Streich spielt. Oder ich wach einfach gleich auf und frage mich, was ich für'n Scheiß geträumt hab." Missmutig wandte er den Kopf und warf er der Uhr einen bissigen Blick zu. Shubana beugte sich zu ihm und kniff ihn in den Arm. "Aaautsch!!", schrie er auf und funkelte sie wütend an. "Vergiss den Traum", meinte sie nur. "Ist doch lustig", warf Kitara ein. "Wenn wir so ein Abenteuer erleben, mein ich. Und warum soll's nich so sein? Denken wir einfach nicht so viel darüber nach!" Takahishi merkte, dass man ihn ein weiteres Mal von der Diskussion ausschloss. Oder er selbst schloss sich aus. Wie auch immer, er hatte hier nichts mehr zu suchen. Lautlos erhob er sich. Shubana und Yohi-Kai waren nun in ein kleines Gerangel verwickelt, Kitara versuchte, sich dazwischen zu werfen. Solitudos Augen blickten starr in unerreichbare Fernen. Niemand schien zu merken, wie Takahishi sich stumm von der Gesellschaft entfernte. Als er bereits unter den Bäumen stand warf er einen Blick zurück zu Kitara. Sie hatte sich im Sitzen aufgerichtet und schien in seine Richtung zu blicken. Obwohl er wusste, dass die Schatten des Waldes seine Gestalt verschluckten, schlug sein Herz schneller. Rasch wandte er sich um und machte sich auf den Weg nach Hause. Als er die Haustür öffnete fiel ihm sofort ein Lichtschimmer ins Auge, der aus dem Wohnzimmer drang. Etwas beklommen betrat er den Raum und sah seinen Großvater im großen Sessel sitzen. "Hallo Opa...", sagte er zögerlich. Ob er nun gescholten werden würde? Dafür, dass er einfach gegangen war, ohne ein Wort des Abschieds? Oder war sein Großvater vielleicht wütend, weil es des Nachts das Haus verließ? "Guten Morgen Takahishi", antwortete sein Großvater, indem er ihm einen prüfenden Blick zuwarf. Etwas verwirrt sah Takahishi auf die Wanduhr. Halb drei. Seine Augen wanderten zurück zu seinem Großvater, der im Halbschatten dasaß. Das Licht im Raum entsprang einer kleinen Stehlampe zu seiten des Kamins. "Ich dachte schon, du würdest so unvorbereitet einfach aufbrechen", sprach sein Großvater. Takahishi senkte den Blick. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich. "Wäre ich auch..." Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er griff in die Tasche und zog die beiden Digivices heraus; das seines Großvaters und seines. Er hielt dem ehemaligen Digiritter beide Geräte entgegen. "Deines hat fünf andere geboren... Durch das Licht, das aus der Uhr kam", erzählte Takahishi. Dann quoll die ganze Geschichte über die anderen Jugendlichen und das Tor in der Uhr aus ihm heraus. Aus ließ er einzig, dass er schließlich einfach gegangen war, ohne sich auch nur zu verabschieden. Und wie ausgeschlossen er sich gefühlt hatte. Als er zuletzt von den beiden Gesichtern, die er auf der Reise durch das Tor erblickt hatte, erzählte, weiteten sich die Augen seines Großvaters für einen Moment. Dann beherrschte er sich und sah Takahishi wieder gelassen ins Gesicht. Aber seinem Enkel entging nicht, dass sich ein neuer Schimmer in seine Augen geschlichen hatte, den er dort noch nie hatte entdecken können. Als er geendet hatte, holte sein Großvater tief Luft. "Du sagst, du hast zwei Menschen gesehen, als du in dem Tor warst?" "Ja", antwortet Takahishi. Er schloss kurz die Augen. "Die Frau hat um Hilfe geschrieen... Ihre Gesichter waren so... voller Angst. Irgendwie war es schrecklich..." "Ein braunhaariger Mann mit blauen Augen und eine mittelblonde Frau mit zierlichen Gesichtszügen." Keine Frage. Sein Großvater hatte keine Frage gestellt, sondern eine Feststellung gemacht. Aber woher konnte er wissen, wie die beiden ausgesehen hatten?? Verwirrt fand Takahishis Blick den seines Großvaters. Seine Stimme klang müde und alt, als er fortfuhr: "Das Paar, das du gesehen hast... Das waren deine Eltern, Takahishi." Takahishi erstarrte. Sein Atem stockte und ging dann so schnell, als wäre er gerade mehrere Kilometer um sein Leben gerannt. Seine Augen starrten seinen Großvater an, um herauszufinden, ob er scherzte, aber sie sahen ihn nicht. Er sah nurnoch die beiden Gesichter, hörte nurnoch die Schreie der Frau... Hatte ihre Nase nicht die gleiche Form gehabt wie die seine? "Aber...", stieß er heraus. Sein Großvater machte ein Handbewegung, die ihn verstummen ließ. "Ich weiß. Ich habe immer gesagt, deine Eltern seien im Ausland. Ich konnte dir die Wahrheit noch nicht anvertrauen..." Er senkte den Blick, hob ihn jedoch sofort wieder. "Deine Eltern werden in der Digiwelt gefangen gehalten. Das weiß ich jetzt. Wenigstens weiß ich das jetzt... Und weiß, dass sie noch leben." Seine Stimme wurde leiser. Er sah wieder sehr, sehr alt aus, seine Augen waren nurnoch stumpfe Kieseln anstelle der leuchtenden Saphire, denen sie sonst glichen. Aber Takahishi hatte kein Mitleid mehr mit ihm. Abrupt stand er auf, kehrte dem alten Mann den Rücken und polterete dann die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Sein Atem ging keuchend und sein Herz raste. Oben warf er sich in seinen Kleidern auf das Bett und vergrub seinen Kopf im Kissen. Heiße, schmerzende Tränen quollen aus seinen Augen und wurden vom Stoff aufgesogen. Seine Eltern! In der Digiwelt gefangen! Und sein eigener Großvater hatte es ihm all die Jahre lang verheimlicht. Hatte ihm weisgemacht, sie seien weggezogen, und er wisse nicht, warum sie sich nicht meldeten. Takahishi hatte immer geglaubt, seine Eltern wollten ihn nicht. Hatte geglaubt, sie haben ihn vergessen. Oder wollten nichts davon wissen, dass sie irgendwo in der Welt einen unglücklichen Sohn hatten, der nach ihnen verlangte. Alles eine Lüge! Alles nicht wahr! Takahishi konnte es nicht fassen. Er hob das nasse Gesicht aus dem Kissen und rang nach Luft. Er musste sie retten! Er musste seine Eltern retten! Ein plötzlicher Schwall brennender Wut überströmte ihn. Wie nur hatte sein Großvater leben können, ohne je zu versuchen, seinen Sohn und dessen Frau zu retten?? Und wie nur hatte er davon sprechen können, Takahishis Abenteuer sei ein Geschenk, das er werde genießen können? WIE nur hatte er es mit seinen Abenteuern vergleichen können? Erneut erfüllten die Angstschreie seiner Mutter Takahishis Kopf. Er hielt sich die Ohren zu, aber es half nicht. Er hämmerte mit Fäusten auf seinen Kopf ein. Dann plötzlich ließ er die Arme sinken und lag ganz still. Das Geräusch seines Atems füllte die beißende Stille. Warum floh er denn? Er wollte sie doch retten! Er wollte die Schreie beenden, aber nicht nur in seinem Kopf! Das war seine Pflicht, seine Verantwortung. Jetzt galt es, keine Zeit zu verlieren. Takahishi raffte sich auf, verließ sein Zimmer und stürmte die Treppe hinab. Dieses Mal war es ihm egal, ob sein Großvater ihn hörte, als er das Haus verließ, oder nicht. Als er das Wohnzimmer durchquerte, griff er sich das rote Digivice von dem kleinen Tisch, das er in der Aufregung dort hatte liegen lassen. Er spürte, wie das Gerät wie zuvor das seines Großvaters in seiner Hand pulsierte. Aber dieses Pulsieren war ein anderes. Es schien gleich mit seinem Pulsschlag zu sein. So als sei es ein Teil von ihm. Er hatte das Gefühl, es verliehe ihm Kraft. Im Laufschritt erreichte Takahishi die Uhr im Park. Er sah sich um, um sich zu vergwissern, dass auch wirklich keiner der Anderen mehr hier war. Egal, was sein Großvater von Gefährten geredet hatte. Egal, ob auch sie ein Digivice besaßen. Hier ging es um seine, Takahishis Eltern. Das ging niemand außer ihn etwas an, das musste er alleine durchziehen. Entschlossen baute er sich vor der Uhr auf und griff in seine Tasche. Hervor zog er sein Digivice. "Ich muss... es schaffen", murmelte er verbissen. Dann schrie er: "ICH SCHAFFE ES!!!" Sein Digivice leuchtete gleißend auf. Zufriedenheit mischte sich in Takahishis verwirrte Gefühle. "Tor zur Digiwelt, öffne dich!!", rief er. Nichts geschah. Entmutigt sah er zur Uhr auf und stellte sich vor, sie würde erneut in hellem Weiß erstrahlen. Es funktionierte nicht. Plötzlich war all seine Entschlossenheit geschwunden. Fröstelnd umklammerte er seine eigenen nackten Arme. Sein Gesicht war verzogen vor Angst, Sehnsucht und Resten des Zornes auf seinen Großvater. Takahishis Beine gaben unter ihm nach und er sank vor der Uhr auf die Knie. "Ich will ihnen doch nur helfen... Ich will sie doch nur retten...", flüsterte er. Da begann sich mit einem schmatzenden Geräusch ein Wirbel aus Farben in der großen Uhr zu drehen. Takahishi hob ihr sein Gesicht entgegen. Er versuchte aufzustehen, aber seine Beine wollte ihm nicht gehorchen. Etwas rundes wirbelte in dem Strom der Farben. Ein Körper. Gebannt verfolgte Takahishi, wie sich eine orange-blaue Kugel materialisierte und dann aus der Uhr, die ihre alte Form augenblicklich wieder annahm, zu Boden fiel. Ein Geräusch erklang, als prallte ein mit Stroh gefüllter Sack auf die Erde. Vor Takahishis Augen rappelte sich ein Geschöpf hoch, dessen oranger Körper bis auf die katzenartige zugespitzten Ohren perfekt rund war. Füße und Pfoten des Wesens waren nicht sichtbar mit dem Körper verbunden, sondern schwebten Zentimeter entfernt von ihm in der Luft. Um seine Stirn war ein dunkelblaues Band geknotet, in dem Löcher für die großen, grünen Augen klafften, die Takahishi interessiert und arglos beobachteten. Aus seinem breiten, geschlossenen Mund ragten zwei lange, spitze Zähne. Insgesamt war es wenig größer als Takahishis Kopf. Das Wesen trappelte näher an den knieenden Jungen heran. Dabei flatterten die Schleppen seines Stirnbandes hinter ihm her. Takahishi konnte sich jetzt wieder bewegen. Er versuchte, etwas Abstand zu der orangen Kugel zu gewinnen. "Hallo Takahishi", gab das Geschöpf mit einer quäkenden Stimme von sich. "Ich bin Kitumon!" Vollkommen perplex erstarrte Takahishi erneut, taumelte dann und fiel nach hinten auf den Po. Das Ding, das da aus der Uhr - dem Tor - gekommen war, war das... ein Digimon? Und wie konnte es seinen Namen kennen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)