The Gravity of Life von Polarstern (Yami x Yugi?) ================================================================================ Kapitel 24: Yami Amun Athem --------------------------- Lieber Yugi, ich hoffe sehr, es geht dir gut? Nun sind zweieinhalb Wochen vergangen in denen wir uns nicht gesehen haben. Ich hatte sehr gehofft, dass wir uns persönlich begegnen, aber leider sollte es anders kommen. Vielleicht möchtest du mich auch gar nicht sprechen, verstehen könnte ich es auf jeden Fall in deiner Situation. Ich möchte dir nicht zu nahetreten und werde dir deinen Freiraum lassen, über alles nachzudenken und selbst zu entscheiden, was du tun möchtest. Ich würde mich sehr freuen, wenn du dich mit mir aussprechen möchtest. Dies könnten wir am 24.04. um 18:30 Uhr in Sanyo im Restaurant „El Horus“ tun. Wir müssen mit öffentlichen Treffen vorsichtig sein, aber dort ist so verwinkelt, dass wir einen unbeobachteten Platz bekommen können. Bitte gib mir kurz Bescheid, ob dir der Termin passt oder ob ich dich lieber in Ruhe lassen soll. Ich schreibe dir meine Nummer unten auf diese Seite, damit du dich einfacher melden kannst. Liebe Grüße Yami Athem **** Es ist Samstagmittag. Schnell räume ich meine Einkäufe aus, verstaue alles in den entsprechenden Schränken und Schubladen in der Küche. Den ganzen Vormittag war ich beschäftigt und habe versucht, Ablenkung in diversen Tätigkeiten zu finden. Viereinhalb lange Wochen ist es nun her, seit wir den Kontakt verloren haben. Seitdem hat sich so viel verändert. Für mich, für uns und sicherlich auch für ihn. Auch wenn ich so oft versucht habe, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen, es geht nicht. Ständig lande ich wieder bei ihm mit den Gedanken. Ich vermisse ihn. Sehr sogar. Mehr noch, als ich es mir hätte vorstellen können und mir eingestehen möchte. Seit meinem letzten Gespräch mit Mirai überlege ich rauf und runter, was ich ihm sagen soll. Wie wir unsere verzwickte Lage lösen. „Klär‘ es doch mit ihm. Sprecht miteinander!“, hat sie mir geraten. Bei Ra, Mirai hat gut Reden, als ob das so einfach wäre! Sie hat sich ja noch nicht mal mit Mamoru ausgesprochen! Wenn da nur nicht diese Ungewissheit wäre. Diese Angst vor der nächsten großen Enttäuschung in meinem Leben. Es gab da ja schon Genügend… Beim Gedanken daran, was bei unserem letzten Treffen passiert ist, wird mir wieder ganz flau im Bauch. In zweierlei Hinsicht. Der Notarzteinsatz, der auch anders hätte ausgehen können. Und das quälende Gewissen, eine Grenze überschritten zu haben! Die Situation war völlig aus dem Ruder gelaufen. Und ich bin schuld! Wütend balle ich die Hand zur Faust. Warum lassen mich all diese Gedanken nicht in Ruhe? Ich schlafe sogar schlecht, bin unkonzentriert in der Schule und bei meinen aktuellen Prüfungen. Gerade in der Physikprüfung vor ein paar Tagen haben mich die Gedanken über ihn beinahe überflutet. Eine Flut, die ich hätte kommen sehen müssen. Genauso vorhersehbar wie die jährliche Nilschwemme - ohne die Auswirkungen des Staudamms zu berücksichtigen. Sogar der Schulleiter, Herr Takahashi, hat mich jetzt zum Gespräch gebeten. Ich kann nur hoffen, dass es sich zufällig um ein Routinegespräch handelt. Warum fällt es mir derzeit so schwer, mich zusammen zu reißen? Das konnte ich doch sonst immer so gut! Wenn ich das jetzt nicht in den Griff bekomme, habe ich ernsthafte Probleme. Dann waren all meine Leistungen umsonst! Ich ziehe eine zum Glück noch gut gekühlte Dose Cola aus einer der Einkaufstüten, stürze den Inhalt mit wenigen, großen Schlucken herunter. Zerknülle das Aluminium in der Hand. Koffein und Zucker, das tut gut! Ich müsste mehr auf mich selbst aufpassen, gerade ich müsste das wissen! Heute Nachmittag ist unser Treffen. Ich habe noch genug Zeit, mir vorher den Stress von der Seele zu laufen und im Anschluss zu duschen. Ich kann nur hoffen, dass sich alles letztendlich aufklärt. Und dass ich endlich die Antworten und Gewissheiten bekomme, die ich suche und mir ersehne. Schnell ziehe ich mich um, binde mir die Laufschuhe zu. Jogging tut mir immer gut, den Kopf wieder frei zu bekommen. Idealerweise habe ich dafür die perfekte Partnerin an meiner Seite. Ich schließe die Augen, ein Lächeln umspielt meine Lippen. „Kacy! - Hierher! Wir gehen raus!“ Wo hat sie schon wieder ihre Leine hingeschleppt? Ich finde diese erfahrungsgemäß schnell in der Nähe ihres Körbchens. Dort liegt der Ball ja auch. Zur Sicherheit nehme ich sie immer wenn wir an der Straße sind an die Leine. Auch wenn sie inzwischen richtig gut hört, aber seitdem sie damals verunfallt ist und eine Notoperation brauchte, gehe ich lieber auf Nummer sicher. Und da wären wir auch schon wieder bei meinem aktuellen Trauma Thema Nummer eins…. Ich stehe am Rande meines Wohnzimmers und kann nur hilflos den Sanitätern und dem Notarzt zusehen. Sie haben für mich die bisher durchgeführte Reanimation übernommen. Ich hatte ihn bereits sofort auf den Boden gezerrt, damit ich einen festen Untergrund für die Herzdruckmassage habe. Yugis zierlicher, leichenblasser Körper schnellt ein Stück höher, drückt sich nach oben, als der Stromstoß des Defibrillators hindurch zuckt. Keine Reaktion. Bei RA, rettet ihn! Tut noch mehr! Schneller! Bei allen Göttern, tut ALLES was in eurer Macht steht! ALLES! Der Notarzt zieht in Bruchteilen von Sekunden eine Spritze aus einer Ampulle auf und injiziert dies in den venösen Zugang, den ein Sanitäter soeben fertig gelegt hat. Eine eisige Kälte hält mich gefangen. Ich zittere. Nicht schon wieder! Nicht auch noch Yugi – nein! Nicht auch noch er! Bitte komm‘ zu dir, Yugi! Jetzt sofort! Setze dich auf und zeige uns, dass du dich von deinem Herzfehler nicht unterkriegen lässt! Ich weiß, du bist stark! Du schaffst das! Halte durch! Ich betrachte meine Hände. 9 lange Minuten, bis das Rettungsteam nach meinem Anruf eintraf. Ich hatte nicht erwartet, meine Kenntnisse in Reanimation, die ich in meinem Beruf nun mal regelmäßig auffrischen muss, in dieser Form einsetzen zu müssen. „Wir haben wieder Herzschläge! Verladen und ab in die Klinik!“ Sie rollen ihn auf einer Trage raus und ein Sanitäter bleibt zurück, sammelt eilig die benutzen Geräte ein. „Möchten Sie mitfahren?“, ruft er mir zu. Ich schüttele nur geschockt und in Panik den Kopf. Ich kann nicht. Seine Verwandtschaft wird ebenfalls schnell dort sein. Die wollen doch wissen, was genau passiert ist und warum. Ich muss mich da raushalten. Weiß nicht, was seine Familie und Freunde wissen… über ihn, sein Leben…. Mich… Alles würde bekannt werden. Es würde ihn und mich in einen Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zerren und in einer riesigen Katastrophe enden. Ich kann nicht für Yugi entscheiden, was er von sich offenbaren möchte und was nicht. Zudem könnte ich alles verlieren…. Yugi, wenn seine Familie und Freunde wissen, was passiert ist, meinen Job, für den ich die letzten Jahre alles gegeben habe…. Ich will mit, verdammt! Ich will bei ihm sein! Ich möchte seine Hand erst loslassen, wenn er mich mit seinen sanften und liebevollen Blicken anschaut und mir versichert, dass alles in Ordnung ist! „Haben Sie in der Leitstelle Ihre Adresse und Telefonnummer hinterlassen, damit wir uns melden können, wenn es Rückfragen gibt?“ , fragt der Sanitäter beim Hinauslaufen. „Ja, habe ich. Die Rettungsleitstelle hat meine Kontaktdaten. Aber bitte – halten Sie meinen Namen aus den Übergabeprotokollen raus. Niemand darf wissen, dass er bei mir war…“ Völlig fertig renne ich zum Fenster, die Sanitäter trampeln laut im Treppenhaus. Ich kann noch erkennen, wie die hinteren Türen des Rettungswagens zugeschlagen werden, ein Sanitäter springt auf den Beifahrersitz – und das Fahrzeug schießt mit Blaulicht und Sirene los. Ich schlage mit der linken Faust gegen die Fensterbank. Wieder und wieder. NEIN! NEIN! NEEEIIIN! Heiße Tränen schießen hervor. Hätte ich doch mitfahren sollen? Alle Folgen und Konsequenzen in Kauf nehmen? Würde es ihm allein durch meine Anwesenheit besser gehen?! Wenn bekannt würde, dass er schon wieder bei mir zu Hause war…. Wäre das nicht wie ein Outing gegenüber seinen Freunden und Familie? Ich weiß überhaupt nicht, was er ihnen erzählt hat und was nicht. Und es würde sich blitzschnell in der Schule herum sprechen. Meine Karriere als Lehrer und meinen aktuellen Job könnte ich vergessen. Alle Anstrengung wäre umsonst gewesen, all die Jahre Studium, Lernen…. YUGI – KOMM ZU MIR ZURÜCK!!!!! *** Immer wieder und wieder erlebe ich diesen Albtraum. Wie in einer Dauerschleife. Mein Magen zieht sich zusammen. Ich fühle mich jedes Mal wieder aufs Neue machtlos. Ich steigere mein Tempo, jage mit Kacy durch die Parkanlagen von Sanyo. Und das Schlimmste: Es war meine Schuld! Ich hatte ihn verführt. Aus dem Nichts heraus. Es kam einfach über mich. Ich bin der Ältere und der mit der Vorbildfunktion. Meine Gefühle sind mit mir durch gegangen. Ich wusste doch von seinem schwachen Herzen. Mehr als einmal schon hat er leicht das Bewusstsein verloren…auch in meinem Beisein. Ich habe die Gefahr unterschätzt. Ich habe ihn in Lebensgefahr gebracht. Ich hätte nie mit ihm…. Bis zur Physikklausur habe ich kein Wort mehr mit Yugi wechseln können. Bis auf das förmliche „Danke“ als er – ohne mich eines Blickes zu würdigen – seinen Prüfungsbogen zu mir geschmissen hat. Es fühlte sich nicht an wie die Klausur. Für mich war diese nur eine Metapher für die ganzen Vorwürfe, die er mir vor die Füße schmeißt. Ich bin seit Wochen in einer Schockstarre gefangen. Mein Herz und meine Gedanken wurden immer dunkler und finsterer. Ich habe mich immer weiter distanziert. An dem Abend an dem es passierte, hätte ich eigentlich noch eine Schulung gehabt. Ich bin zum ersten Mal nicht hingegangen, ich war überhaupt nicht einmal in der Verfassung gewesen überhaupt etwas aufzunehmen, geschweige denn, hinfahren können, weder mit dem Auto, noch mit dem Motorrad. Wenige Tage nachdem er in meinen Armen zusammenbrach, fing mein Seminar an. Ich habe rein gar nichts mitbekommen oder gelernt. Fast könnte ich es eine Zeitverschwendung nennen – es erfüllte allerdings den Zweck der Ablenkung. Dann kam die Klassenfahrt gelegen, um weit von hier zu fliehen. Und Yugi meldete sich nicht bei mir. Weder einfach so, noch auf meinen Brief. Wie erfrischend waren seine spontanen Besuche oder Anrufe einst gewesen. Wie sehr wurde unser Kontakt schon zur Gewohnheit – zu einer besonderen Gewohnheit. Jetzt kam überhaupt nichts mehr von seiner Seite. Sicher möchte er ungeschehen machen, was zuletzt zwischen uns passiert ist. Bestimmt fühlt er sich beschmutzt. Vermutlich habe ich ihn in etwas hineingedrängt, wozu er überhaupt noch nicht bereit war. Ich bereue es so, an diesem Nachmittag die Kontrolle verloren zu haben. Als er auf dem schwarzen Leder der Couch lag, unschuldig, wunderschön. Mit seiner leuchtenden Aura, die jede Dunkelheit erhellt. Er ist so anders als ich – genau das erfüllt meine Seele und gibt mir Kraft. * Irgendwann hatte ich mich so sehr hineingesteigert, mir so stark die Schuld gegeben, dass mir klar war, dass Yugi mir nicht mehr verzeihen würde. Dass er mich nicht kontaktierte, und mich sogar an besagten Abend alleine im „El Horus“ sitzen lies, bestärkte mir diese Ansicht. Schnell gieße ich den frisch aufgebrühten Hibiskustee aus meiner ägyptischen Heimat in zwei Gläser. In mein Glas gebe ich noch einen Löffel Kandiszucker. Seins belasse ich, wie es ist. Er versucht sich zwar nichts anmerken zu lassen, aber ich denke, dass er lieber intensivere Aromen bevorzugt, als alles mit einer gewissen Süße zu verfeinern. Da klingelt es auch schon. Über den Bildschirm erkenne ich ihn unten an der Straße stehen. Mein Mund wird trocken. Unsere früheren Zusammentreffen haben mir so gut getan. Es war, wie in eine andere Welt einzutauchen. Eine Welt voller Fröhlichkeit. Ich habe dies immer so genossen. Oder habe ich nur meinen Ex-Freund in ihm gesehen…? Nein, ich denke nicht. Ich habe gespürt, dass Yugi ihm in vielen Punkten ähnelt, aber die beiden auch sehr verschieden sind. Ich denke, mein Herz hat dies verstanden. Nur mein Kopf…. Mein Kopf zweifelt immer noch. Kann mein Verstand nicht einfach mal die Vergangenheit ruhen lassen? Er ist nun so viele Jahre tot. Es ist Zeit, die Geschichte neu zu schreiben und neue Erinnerungen zu schaffen. Habe ich nicht auch verdient, einfach glücklich zu sein? Auf was warte ich denn noch?! Es ist wie eine Tür, an der ich rüttele und die einfach nicht aufspringt. Schon hat er seinen dunkelblauen Mantel und seine Schuhe ausgezogen, steht in meinem Flur und sieht mich mit einem Blick an, als würde seine Welt in Scherben liegen. Dabei hatte ich eigentlich das Gefühl gehabt, nach unserem kurzen Austausch vor dem Café am Dienstag würde es ihm besser gehen. Mein Herz sinkt tiefer. Ich hatte mich so unendlich auf ihn gefreut. Hatte zugleich Angst vor unserem Treffen. Vor all seinen Vorwürfen, die er mir machen wird. Nun werde ich all die Anschuldigungen ins Gesicht geschmissen bekommen, die ich verdiene. Ich stehe wie angewurzelt da. Ich danke allen ägyptischen Göttern, dass er überlebt hat! Nur - Was bedeutet dieser Blick? Ich habe den unheimlich starken Impuls, ihn in die Arme zu nehmen. Diesen unterdrücke ich sofort. Lass ihm Zeit und Raum, Yami. Es ist eine Menge passiert. Oder besser gesagt, nicht passiert. „Hallo Yugi“, ich schenke ihm das schönste und sanfteste Lächeln, dass ich gerade aufbringen kann. Er bleibt einfach nur stehen und betrachtet mich. Mustert mich, wie ich reagiere. Versucht er in mir zu lesen…? Ich bin kein offenes Buch. Früher vielleicht, doch das ist lange her. Eine hastige Bewegung – und seine Arme schlingen sich um meine Taille. Er zieht mich ganz fest an sich und drückt seinen Kopf auf meine Brust. „Yami, endlich! Ich bin so froh dich zu sehen!“ Seit Wochen geht in meinem Innersten wieder die ägyptische Sonne auf. Meine Dunkelheit verblasst. Ich erwidere seine Umarmung und drücke ihn ebenfalls ganz fest an mich. „Ich habe dich auch vermisst, Yugi…“, hauche ich ihm wahrheitsgemäß vorsichtig zu. Meine Nase vergräbt sich in seinem dichten, frisch gewaschenen und gestylten Haaren. Wie gut er riecht. Den Kopf weiterhin an meinen Oberkörper gedrückt, blicken seine aufrichtigen Amethyste in meine Augen. Lange schauen wir uns einfach nur an. Es braucht zunächst keine ausgesprochenen Worte und wir verstehen uns wie Seelenpartner. „Ich hoffe, dir geht es gut?“, durchbreche ich leise die Stille nach einer gefühlten Ewigkeit. Die wochenlang aufgestaute Einsamkeit fällt schlagartig wie Ballast von mir. Es ist genau diese herzliche Umarmung, die Nähe von ihm, nach der ich mich gesehnt habe, die ich so sehr brauche. Wie oft habe ich mir versucht einzureden, dass es nicht so wäre. Vorsichtig lege ich meine Hände auf seine Schultern. Er nimmt jedoch direkt meine linke Hand und legt diese auf seine rechte Wange. Dann schmiegt er sich liebevoll in meine Handfläche. Meine Zweifel, er sei wütend auf mich, schmelzen dahin. Zärtlich streiche ich ihm mit der anderen Hand ein paar blonde, längere Ponysträhnen aus dem Gesicht. Wir stehen eine ganze Weile einfach so in meinem Flur genießen unser Wiedersehen. „Ab jetzt geht es mir wieder gut, ja…“, flüstert er zurück. Nun hat auch Kacy, die sich friedlich im Wohnzimmer ausgeruht hatte, Notiz von Yugi genommen und streicht uns freudig um die Beine. „Kacy mein Mädchen! Dich habe ich natürlich auch vermisst!“, seine Gesichtszüge erhellen sich weiter, als er sich zu ihr hinunter beugt und über ihren silberfarbenen Rücken streichelt. Sie stellt sich auf und drückt beide Pfoten auf seine Brust. Wie üblich schlabbert sie Yugi über das Gesicht und entlocken ihm ein helles und fröhliches leichtes Lachen. Während Yugi noch Kacy begrüßt, gehe ich lieber einmal vor in die Küche. Irgendwie fühle ich mich besser, wenn wir dort miteinander sprechen. Und nicht im Wohnzimmer… in der Nähe der Couch. Bilder und Gefühle, in denen ich Yugi leidenschaftlich küsse, vermischen sich mit Erinnerungen, in denen er blass und bewusstlos und ohne Atmung vor mir liegt. Schnell schüttle ich den Kopf, als könne ich diese Bilder so einfacher loswerden. Zum Glück folgt er mir zügig, auch Kacy trottet hinter uns her. „Kacy, auf deine Decke! Platz“, befehle ich ihr freundlich, aber bestimmend. Sie schaut mich an, als würde sie in Frage stellen, ob ich dies tatsächlich ernst meinen würde. Dass ich sie von Yugi – den sie anscheinend nicht weniger gern hat als ich und so lange nicht gesehen hat – tatsächlich abziehen würde. Ich deute mit dem Finger auf die Ecke in der Küche, die ich für sie ausgestattet habe. Kleinlaut folgt sie meiner Anweisung. Zu meiner Überraschung folgt Yugi ihr und setzt sich zu ihr auf die Hundedecke auf den Boden. „Möchtest du nicht lieber…“, beginne ich, doch er schüttelt seinen Kopf und macht es sich bei Kacy am Boden bequem, lehnt seinen Rücken an die Wand. Dann beginnt er, sie ausführlich zu kraulen und zu kuscheln. Hm… „Ich bin froh, dass du alles gut überstanden hast. Du hast mir so einen Schrecken eingejagt!“, beginne ich. „Möchtest du ägyptischen Hibiskustee?“ Ich halte ihm sein Glas hin, natürlich das ohne Zucker. „Mhm“, nickt er wortkarg und ich reiche es ihm. Dann lasse ich mich links neben ihn auf meinen Küchenboden gleiten, ebenfalls meinen Tee in den Händen. „Ja… alles wieder okay…. Ich hatte eine Notoperation und an meinem Herzen konnte alles wieder in Ordnung gebracht werden. Naja, fast alles…“, er lächelt ein wenig trüb. „Wir haben uns lange nicht gesehen…. Ich hatte mich gefragt, ob wohl…“ er zögert kurz, scheint über etwas nachzudenken, „bei dir alles in Ordnung ist? Du warst wochenlang einfach wie vom Erdboden verschluckt… Ich vermute, du hattest so viel um die Ohren mit deinem Job, mit Kacy… Es gab sogar schon Gerüchte, du wärest von der Schule geflogen!“ „Ich und von der Schule geflogen? Das erzählt man sich? Nein, ganz im Gegenteil…. Ich habe in letzter Zeit so viel gearbeitet, mich so in meinen Job gekniet und gelernt. Gerade die aktuelle Prüfung in Physik fiel sehr gut für mich aus. Ich habe nichts anderes getan, als zu arbeiten. Ich…“ Yugi schau nicht einmal zu mir. Er krault Kacy und tut so, als wäre sie sein Gesprächspartner. Mir ist nicht entgangen, dass er seit unserem Gespräch vorm Café zum ‚Du‘ übergegangen ist. Es fühlt sich gut an, endlich diese Diskrepanz abzulegen um stärker mit ihm auf Augenhöhe zu sein. Es schafft noch mehr Nähe zwischen uns. Eine Weile schweigt er, überlegt wohl, was er mir wie mitteilen möchte. Vorsichtig schlürft er dabei seinen heißen Tee. „Hmm, der schmeckt wirklich gut“, seufzt er leicht und fährt dann fort „da du nicht auffindbar warst…. Ich habe mich mit Mirai getroffen. Sie hat mir aber nichts sagen wollen. Sie meinte nur, ich solle dich persönlich fragen…“ Er hat mit Mirai gesprochen? Warum? WAS haben die beiden ohne mich zu besprechen? Und warum hat mir Mirai nichts davon erzählt?! Enttäuschung steigt in mir auf. Über Yugi und über meine eigene Schwester. „Bei Ra, du hast dich mit Mirai getroffen? Warum nicht mit mir?“, brause ich auf. „Ich wusste doch gar nicht, ob du überhaupt noch mit mir sprechen wolltest. Irgendwie hatte ich das Gefühl, du hast dich zurück gezogen, seit meiner Herz OP… Ich habe doch deinen Brief erst jetzt gefunden… Ich wusste bis Dienstag doch gar nicht, ob du noch-“ Oh nein, in diese Richtung fährt der Zug. Vorsicht Yami, bloß nicht einsteigen oder ihr fahrt beide gegen die Wand. Heftig schüttele ich mit dem Kopf und halte ihm meine linke Handfläche als Stoppzeichen entgegen. „Nein, das ist nicht wahr. Ich war so besorgt um dich. Ich habe 9 lange Minuten versucht, dich ins Leben zurück zu rufen. Ich habe mich nach dem Abend nur noch in die Arbeit gestürzt um irgendwie Ablenkung zu finden von diesen Bildern.“ „Leider - oder vielleicht zum Glück – habe ich davon nichts mitbekommen. Du hast mich 9 Minuten lang reanimiert?“ Yugi sieht mich mit einem undefinierbaren Blick an. Verwundert sehe ich zurück. Meine Augenbrauen heben sich unbewusst. Ich ziehe die Knie enger an den Körper. „Ja natürlich habe ich das. Zu diesem Zeitpunkt war doch sonst niemand….“, ich druckse etwas rum. Denn es ist das Resultat meiner vorausgegangenen Handlung, wofür ich mich seit Wochen innerlich wieder und wieder selbst ohrfeige, weil ich meine sonst so starke Selbstkontrolle verloren hatte. „Ich bin mir nicht mehr sicher, was genau vorher passiert ist. Und wie es dazu kam…“, er bricht verlegen ab. Ungläubig starre ich ihn an. Kann es sein? Hat er es etwa vergessen? Wurde durch die Bewusstlosigkeit seine Erinnerung gelöscht? Weiß er nicht mehr, dass wir vorher…. „Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?“ Ich muss es genauer wissen. „Uhm…. Vor dem Thema hatte ich Angst…“, gibt er zu. Und ich erst. Ich hatte so Bedenken, er meldet sich nicht, weil er bereut, was zwischen uns passiert ist. Vielleicht bereut er nichts, weil die Erinnerung nicht mehr existent ist…?! „Es ist da noch etwas in meinem Kopf…. Ich ähm…“ Er dreht den Kopf noch weiter nach rechts und weg von mir, dass ich nur noch an dem hinteren Übergang von Wange zu Ohr erkennen kann, wie dunkelpink sich seine Haut verfärbt. „Ich weiß es nicht, ob die Erinnerung echt ist oder… oder“, seine Bewegungen werden mechanischer, wie ein Roboter streichelt er Kacy immer wieder an derselben Stelle. Das sieht doch jetzt so aus, als wäre doch nicht alles weg. Ist das nun gut oder schlecht für mich? „Oder ob ich es mir aufgrund des Sauerstoffmangels im Gehirn eingebildet habe… Also, wie soll ich…“ Er reißt den Kopf rum und guckt mich hektisch an und sucht nach Bestätigung. Mein Blick muss wohl gerade sehr ungläubig oder kritisch sein, aufgrund seiner Gedächtnislücke, dass ich beinahe sehen kann, wie er sich auf die Zunge beißt und plötzlich ganz erschrocken wirkt. Sein Gesicht ist weiterhin pink wie eine bittersüße Grapefruit und er scheint irgendwas zu realisieren, während er mich ansieht. Ungesund schnell wechselt seine Gesichtsfarbe auf blass. „Ich glaube, ich weiß doch gar nichts mehr…“ „Hm….“, ich hebe meine Hand in seine Richtung an, aber dann erinnert mich mein Gewissen daran, wie unpassend dies jetzt wäre. „Ich weiß zwar nicht, was du gerade genau denkst… Aber anhand deiner Reaktion habe den Eindruck, als hättest du die gleichen Erinnerungen wie ich“, fahre ich nach außen hin ruhig fort. Es muss schon sehr komisch für ihn sein, diese Gedanken mit sich herumzuschleppen, ohne sicher zu sein, ob sie echt sind. Und der Einzige, den er hätte fragen können…. Tja, das bin ich. Seine schönen, amethystfarbenen Seen reißen sich auf. „T-tatsächlich?“ „Ja… Ich weiß auch nicht, was an dem Tag in mich gefahren ist… Ich weiß, es ist alles meine Schuld! Ich hoffe, du kannst mir verzeihen!“ „Deine… Schuld? Du hast es…. nicht gewollt…?“, flüstert er traurig und ich sehe förmlich, wie der Kloß in seiner Kehle stärker wird. Ich versuche, ihm in die aufgewühlten Augen zu sehen, doch er findet meine Fliesen inzwischen interessanter. „Ich habe nicht gewollt, dass du in Gefahr gerätst, Yugi. Alles andere mit dir schon. Und wahrscheinlich bin ich dir damit viel zu nahe gekommen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Bei Ra, es tut mir so-“ „Ich habe es auch gewollt! Alles was du – wir – getan haben, Yami… Ich habe es so sehr genossen….“ , haucht er mit deutlichem rosa Schimmer. Langsam traut er sich den Blick wieder zu heben und lächelt mich unsicher an. Ich hebe erneut zögerlich meine rechte Hand und lege diese liebevoll auf seine Linke, die auf dem Boden ruht. Automatisch hebt er diese an und unsere Finger verflechten sich von allein ineinander. Unsere Blicke verfangen sich ebenso wie unsere Hände. Seine Augen glitzern leicht, als müsse er ein paar Tränen zurückhalten. „Ich hatte so Angst, es wäre wiedermal nur ein Traum gewesen…“ Zu spät bemerkt er seinen – wie er sicherlich findet – großen Fehler und greift hastig zum Teeglas, spült einen riesigen Schluck auf einmal herunter und gibt sich so beschäftigt. Unmittelbar verfällt er ins Husten. Wiedermal? Sein Ernst? Ich kann nicht anders – ein Schmunzeln erwacht auf meinen Lippen. Mir selbst ist ebenfalls ein tonnenschweres Gewicht von der Seele gefallen. Ich habe ihn wohl nicht zu etwas genötigt, wozu er noch gar nicht bereit war. Scheinbar im Gegenteil? Mal wieder? Hat er das gedanklich wohl schon häufiger durchgespielt…? Wie ist das mit den stillen Wassern? Ich habe bei ihm wohl deutlich die Tiefe unterschätzt. Irgendwie gefällt mir diese Erkenntnis. Ich rutsche vorsichtig ein Stück näher zu ihm heran. Ein Knistern liegt in der Luft. Ich spüre dieses elektrische Spannungsfeld mit jedem Atemzug. Dann senke ich meinen Kopf ein Stück, lege ihn automatisch etwas schräg, um ihm besser in die Augen sehen zu können. Unsicher und verträumt flirten seine violetten Spiegel der Seele stumm mit mir. Seine Wangen sind noch von seinen eigenen Worten ganz gerötet. Ich löse unsere verflochtenen Finger und schiebe zärtlich eine freche, längere blonde Ponysträhne erneut hinters Ohr, die schon wieder nach vorne gefallen war. „Dann hatten wir beide den gleichen Traum“, hauche ich ihm ins Ohr. Ohne mein bewusstes Zutun nimmt meine Stimme eine tiefere Nuance an. Wie ferngesteuert treffen unsere Lippen aufeinander. Yugi seufzt sofort entspannt und zufrieden auf. Meine linke Hand findet von allein ihren Weg über seinen zierlichen, hübschen Hals hinauf, über seine rechten Wangenknochen bis in seinen Nacken. Dort lege ich sie ab und übe so sanften Druck auf seinen Hinterkopf in meine Richtung aus. Es ist ein sehr langsamer Kuss, in dem ich meinen Gefühlen freien Lauf lasse. Und genau diese Emotionen auch von seiner Seite aus zurück empfange. Zärtlich spielen unsere Lippen miteinander. Fast so, als wenn man etwas zusammenfügt, was lange schmerzlich getrennt war. Die Zeit bleibt kurz stehen und wir geben uns nur diesem Moment hin. Er ist es, der sich irgendwann zuerst von mir löst. „Entschuldige… Ich muss es wissen….“, sein Atem ist schnell, wie um wieder zu sich zu kommen, blinzelt er ein paar Mal. „Wo stehen wir jetzt…?“, fragt er etwas unentschlossen. Tief atme ich durch um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Tja, wenn ich das nur wüsste. „Ich fürchte, unser Problem wird hierdurch nicht gerade kleiner“, gebe ich seufzend von mir. „In der Schule darf auf gar keinen Fall irgendwer Verdacht schöpfen. Ehrlich gesagt bin ich total zerrissen… Das was wir hier tun, kostet mich rigoros den Job und alles, wofür ich die letzten Jahre so hart gearbeitet habe, das ist klar…“ „Und mir könnte der Abschluss aberkannt werden….“, setzt er hinzu. „Unter gewissen Umständen, schon. Das einzig Gute ist, dass ich immerhin ‚nur‘ Referendar bin und ich keine ausschlaggebende Entscheidung über deine Schulnoten habe. Man also kein richtiges ‚Abhängigkeitsverhältnis‘ nachweisen kann. Und so keiner behaupten könnte, dass du dir deine Noten… auf anderem Wege verdienst… Und trotzdem, quält mich das Gefühl, dass es einfach nicht richtig ist… Wir müssten uns verstellen. Zwei Leben führen. Ein offizielles und eins hinter verschlossenen Türen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das möchte und mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Ich habe nämlich ein sehr starkes Gewissen… “ Yugi betrachtet mich lange nachdenklich, ehe er leise antwortet: „Wenn es nur das wäre, wäre ich bereit es auszuprobieren. Ich bin so gut wie runter von dieser Schule. Vielleicht würde das Versteckspiel nur 6 bis 12 Monate andauern. Dann wären alle Spuren verwischt. Und keiner würde nachvollziehen können, seit wann es tatsächlich läuft. Damit könnte ich leben, es wäre schließlich ein Ende absehbar. Womit ich weniger leben könnte ist…“ „Mein Ex?“ Ich gebe ein leicht genervtes Aufseufzen von mir. Wie schnell wir vom Küssen wieder dort gelandet sind. Er nickt stumm. „Das verstehe ich, wirklich. Auch wenn ich ehrlicherweise erwähnen muss, dass ich wieder ein verdammtes Deja-vu Erlebnis hatte, als du mir fast genommen worden wärst.“ Er zuckt immens zusammen. Autsch, das war vielleicht keine gute Formulierung von mir. „Aber danach… Mein Kopf war voll von Sorge über dich, Yugi. Wirklich über dich. Nur mein Verstand meldet sich immer mal wieder mit einem leisen ‚Und was wenn es dir doch nicht gelingt sie zu unterscheiden?‘ zurück.“ Meine Stimme bricht, Verzweiflung und Traurigkeit schleichen sich ein. Ich habe meine linke Hand zur Faust geballt und halte sie vor mich. Kacy steht auf und kommt zu mir herum, schmiegt ihren Kopf an meine Wange. Sie reibt ihr weiches Fell über meine Haut. Ich bin mir sicher, sie spürt, dass es mir nicht gut geht. Dass ich Trost nötig habe. Yugi schaut genauso überrascht. Dann werden seine Augen sanft und er schenkt mir ein liebevolles Lächeln. „Kacy glaubt und vertraut dir…. Dann tue ich das auch.“ Meine Hündin rollt sich auf meinen Schoß ein und legt ihren Kopf liebevoll auf meiner Schulter ab. „Danke, Yugi. Ich verstehe, dass es viel verlangt ist…“ Er nickt, scheint in Gedanken mit irgendwas zu kämpfen. Beiläufig fahren sein rechter Zeige-und Mittelfinger über seine vom Küssen stärker geröteten Lippen. „Eine Frage hätte ich noch…“, entkommt es ihm zögerlich. „Ja?“ Ich ziehe lange Bahnen mit meinen Händen von Kacys Hals bis zu ihren Oberschenkeln. „Uhm, es geht mich eigentlich nichts an… Aber… Ich möchte wirklich, dass es keine Geheimnisse mehr zwischen uns gibt…“ Erschrocken runzele ich die Stirn. Geheimnis? Was kommt jetzt? „Wer ist Mahad?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)