NGE Dimensionen von dasd ================================================================================ Kapitel 12: ------------ NEON GENESIS EVANGELION : DIMENSIONEN basiert auf purer Fantasie. Sämtliche Ähnlichkeiten mit realen Personen oder Begebenheiten sind reiner Zufall. Sämtliche Urheberrechte und Copyrights der originalen NEON GENESIS EVANGELION liegen bei GAINAX. Autor: Thomas Ryssel, Radebeul 2002 EMail: ThomasRyssel@web.de oder eastsoft@tripod.de HP: http://www.eastsoft-online.de Dimensionen im Netz: http://nge-dimensionen.eastsoft-online.de Lang, lang ist's her seit dem letzten Kapitel. (Februar, glaube ich...) Dafür will ich euch jetzt auch nicht lange stören, sondern euch lesen lassen Mit diesem etwas umfangreicheren Werk haltet ihr im Übrigen das erste Kapitl des dritten Buches von Dimensionen in den Händen. Also dann noch viel Spaß. ============================================================================ Neon Genesis Evangelion Dimensionen Buch 3: Schmerz Kapitel 11: Opfer ============================================================================ --------- 128 --------- "Satzball für Karin Maishima!" hallte die Stimme des Stadionsprechers durch die große Halle. Die Menge tobte. Ein Meer aus bunten Köpfen und T-Shirts wogte um den Rand des Tennisfeldes. Die riesige Anzeigetafel wies mit rot leuchtenden Ziffern den Punktestand von 30 zu 30 aus, das sechste Spiel im dritten Satz. Die nächste Angabe konnte über Sieg und Niederlage entscheiden. Dementsprechend angespannt war auch die Stimmung im Stadion. Keiner der Zuschauer wagte es, auch nur einen Laut von sich zu geben. In der Ferne hörte man ein paar Spatzen, völlig unbeeindruckt von der Situation hier drinnen, ein fröhliches Lied zwitschern. Die Grillen zirpten in der Mittagshitze. Das Spiel ging nun schon seit beinahe zweieinhalb Stunden. Doch Kensuke hatte weder Augen noch Ohren für das, was um ihn herum geschah. Seine Blicke konzentrierten sich allein auf Karin. Das Mädchen war eine begnadete Tennisspielerin, doch im Moment besaß sie einen entscheidenden Nachteil: Sie spielte mit Blick in die Sonne. Aus diesem Grund war sie während des letzten Satzes auch nicht mehr so herausragend. Nachdem der erste Satz bereits nach einer halben Stunde an ihre Gegnerin gegangen war und das Publikum sich bereits mit einer langweiligen Vorstellung abfinden wollte, hatte sie im zweiten eine atemberaubende Aufholjagd gestartet. Sie und ihre Konkurrentin schenkten sich nichts und so gewann Karin den zweiten Satz knapp. Doch durch ihre kämpferische Art hatte sie eine Menge Sympathisanten unter den Zuschauern gefunden. Kensuke war natürlich von Anfang an auf ihrer Seite gewesen. Doch das Resultat nach dem mehr als eine Stunde dauernden Satz war, dass beide Spielerinnen sichtlich erschöpft in den dritten Satz gingen. Und dieser dauerte nun auch schon wieder fast eine ganze Stunde. Man hatte das Gefühl, die beiden würden sich lediglich durch ihren puren Willen auf den Beinen halten. Kensuke schrak zusammen, als plötzlich (oder besser: endlich) der Pfiff des Schiedsrichters erfolgte. Karin warf den Ball in die Luft, holte mit dem Schläger aus und beförderte die gelbe Kugel mit einem mächtigen Schlag über das Netz. Augenblicklich schien sie alle Müdigkeit einfach abgeschüttelt zu haben. Kensuke hatte nach den letzten Minuten erwartet, die Vorgänge unten auf dem Feld mehr oder weniger in Zeitlupe beobachten zu können, doch nun lief alles in rasender Geschwindigkeit ab. Der Ball schoss von einer Seite zur anderen und lange Zeit schien es, als hätte keine der beiden Konkurrentinnen einen Vorteil. Vor allem Karin schien plötzlich über eine Energie zu verfügen, die sie irgendwie aus dem Nichts schöpfte. Erneut raste der Ball in atemberaubendem Tempo auf sie zu, doch sie holte bereits wieder aus, traf den Ball zielsicher. In diesem Moment schien die Welt um Kensuke herum in Flammen aufzugehen. Eine gleißende Explosion mit Karin in ihrem Zentrum breitete sich vom Spielfeld aus und hatte bald auch ihn in weißes Licht eingehüllt. Merkwürdigerweise fühlte er keine Schmerzen. Doch er hörte ihren Schrei. Karin in einer Mischung aus Agonie, Trauer und Enttäuschung. Durch das blendende Licht konnte er nichts erkennen und es dauerte einige Augenblicke, bis es wieder nachließ. Zurück blieb ein Meer aus tiefrotem Feuer. Das Stadion war verschwunden, nur eine schwarze Leere schien durch die haushohen lodernden Flammen. Kensukes Augen starrten weit aufgerissen auf das grausige Bild, welches sich ihm bot. Erst nach und nach konnte er die zerfetzen Körper sehen, die in den Flammen lagen und mehr und mehr verkohlten. Und wie eine schwarze Fratze starrte ihn Karins schwarzes Gesicht mit rot glühenden Augen an. Sie sagte nichts, doch er wusste genau, was ihr Blick ausdrücken sollte. "Du hattest versprochen mich zu beschützen. Du hast es nicht getan. Du hast versagt." *** Kensuke atmete tief durch und blickte ungläubig in die schwarze Dunkelheit. Dann erst bemerkte er, dass er aufrecht und schweißgebadet in seinem Bett saß. Er ließ sich zurück in die Kissen fallen und versuchte den pochenden Schmerz in seinen Schläfen weitestgehend zu ignorieren. "Schon wieder..." murmelte er schließlich. Wieder derselbe Traum. --------- 129 --------- Irgendwie fühlten sich Shinji, Kaworu und Toji beim Anblick des fünfzehnten Engels an einen überdimensionalen Hula- Hopp-Reifen erinnert. Ein riesiger Ring aus Licht schwebte über ihren Köpfen. Doch aus den Gesprächen mit Stefan Maishima wussten die drei, dass dies nicht seine eigentliche Form war und diese eher wie ein genetisch manipulierter Regenwurm wirkte. Ein für EVAs sehr gefährlicher Regenwurm. Natürlich wusste NERV nichts über die Vorbereitungen, die SEELE für den Kampf gegen diesen Engel getroffen hatte. Der getarnte Satellit direkt im Orbit über dem Zentrum des Gegners würde erst im letzten Moment in Aktion treten. Laut SEELEs Angaben arbeitete dieser ähnlich den AT-Generatoren in ihrem Hauptquartier, die dafür gesorgt hatten, dass aus dem Unfall mit Sereamus keine noch größere Katastrophe wurde als er es so schon war. Kaworu und Toji hatten auf die Nachricht bestürzt reagiert, da sie wussten, wie sensibel Kensuke hinter seiner Armee-Fassade war. Shinji gab sich größte Mühe, ebenfalls betroffen zu wirken, doch es wollte nicht so recht gelingen. Zum Glück war den anderen bislang noch nichts aufgefallen. Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Er war sich sicher, dass Rei ihn für das, was er getan hatte, hassen würde. Seine kurzzeitige 400%-Synchronisation mit EVA-01 war NERV natürlich nicht verborgen geblieben und er hatte zu kämpfen gehabt, sie davon zu überzeugen, dass es sich dabei lediglich um einen Computerfehler handelte. Schließlich war es ihm gelungen, vor allem weil sich keines der Symptome von Asukas Vorfall, der ja durchaus Parallelen zu diesem aufwies, wiederholt hatte. Shinji schüttelte seinen Kopf, um diese Gedanken zu verscheuchen. Im Moment gab es wichtigere Dinge für ihn zu tun. So leid es ihm auch für Kensuke tat, es gab einfach keine Möglichkeit, um diese Sache zu einem Ende zu bringen. *** "Achtung, es geht los!" rief Kaworu über die Kom- Verbindung. Der Engel hatte sich an einer Stelle geteilt und glich nun einem mehrere hundert Meter langen Band. Auch die DNS- ähnliche Doppelhelix hatte sich aufgelöst und war nun nur noch eine Art weiß leuchtende Schnur. Und eines der beiden Enden raste direkt auf EVA-00 zu. "Kaworu!" schrie Toji, doch der Andere hatte es bereits bemerkt und wich geschickt zur Seite aus. Scheinbar hatte es der Engel vor allem auf ihn abgesehen, denn er machte keinerlei Anstalten, sich auch um die restlichen beiden EVAs zu kümmern. Wahrscheinlich wollte er einen nach dem anderen ausschalten. Erneut sprang EVA-00 beiseite, so dass der Engel ihn um Zentimeter verfehlte, was bei den Dimensionen des Kampfes, der sich hier abspielte, SEHR wenig war. Doch diesmal hatte Kaworu nicht so viel Glück. Er landete direkt in einem der niedrigeren, nicht einfahrbaren Hochhäuser der äußeren Regionen der Stadt, welches dann über ihm zusammenbrach. Vor lauter Staub und Schutt konnte er nichts mehr sehen. Erst im allerletzten Moment erblickte er das auf ihn zu rasende Energieband und riss geistesgegenwärtig sein Gewehr hoch, um den Gegner abzublocken. Es gelang ihm gerade so noch, wobei die Waffe in tausend Stücke zersprang. "Mist", murmelte er, als er versuchte, sich aus den Trümmern zu befreien, bevor die nächste Attacke erfolgte. Wieder schoss der Engel auf ihn zu und mit knapper Not gelang es ihm, auszuweichen. Allerdings striff das Monster seinen Arm und hinterließ dort eine brennende Wunde. Kaworu bemerkte die Schmerzen jedoch kaum. In dem Moment der Berührung durchfluteten Hunderte Bilder und Emotionen seinen Kopf, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Er keuchte auf. "Was war das?" Es war fast so, als würde der Andere versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Kaworu schüttelte den Kopf. Er hatte keine Zeit für solche Gedanken. Shinji und Toji nahmen den Engel aus ungefähr einem Kilometer Entfernung unter Beschuss. Doch ihre Projektile erzielten keinerlei Wirkung. Sie blickten sich über ihre Verbindungsfenster an. Toji lächelte verzweifelt. "Keine Wirkung", sagte er schließlich. "Was sollen wir tun?" Shinji dachte nach. Der Gegner schien fast übermächtig zu sein. Dem Zeitplan zufolge würde es noch eine Weile dauern, bis auch Rei und Asuka in den Kampf eingreifen konnten. Bis dahin mussten sie es irgendwie alleine schaffen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Kaworu erneut zur Seite auswich, so dass der Engel genau auf Shinji zu raste. Er nahm Misatos Warnung nur nebenbei wahr und duckte sich automatisch unter dem Gegner hinweg, wodurch dieser ihn um Haaresbreite verfehlte. "Keine Chance", murmelte Toji vor sich hin. "Ohne die anderen wird es uns nicht gelingen. "Shinji?" sagte er dann laut. "Ich werde Kaworu ablösen." Ohne auf eine Antwort zu warten stieg der schwarze EVA hinunter in die Stadt, wo der eigentliche Kampf tobte. Zunächst machte der Engel keine Anstalten, sich um ihn zu kümmern und konzentrierte sich weiterhin auf EVA-00. Das Zentrum der Stadt hatte bereits stark unter den Kämpfen gelitten. Dutzende Hochhäuser lagen in Schutt und Asche. Erstaunlicherweise hatte der EVA bislang nicht mehr als ein paar Beulen und Prellungen davongetragen. "Dieses verdammte Mistvieh!" brüllte Kaworu, als sein mittlerweile viertes Gewehr in die Brüche ging. Nach nur ein paar Sekunden stellte sich Toji mit grimmigem Gesicht an seine Seite. "Mal sehen, ob ich dich ein wenig entlasten kann", sagte er zu dem grauhaarigen Jungen. "Gute Idee...", antwortete dieser. "Nur... wo ist er jetzt?" "Was?" Die beiden blickten sich um, doch von dem Engel war keine Spur zu sehen. Nach ein paar Sekunden explodierten ohne Vorwarnung sämtliche Gebäude in ihrer unmittelbaren Nähe und ließen eine gewaltige Staubwolke zurück. Als der Nebel sich lichtete, erkannten die beiden, dass sie einen möglicherweise folgeschweren Fehler begangen hatten. Der Engel hatte erneut eine Ringform gebildet - mit den beiden EVAs im Zentrum. "Uhmm..." murmelte Kaworu. "Vielleicht sollten wir das nächste Mal doch lieber Misato die Taktik überlassen..." *** Im Kommandoraum von NERV herrschte unterdessen helle Aufregung. Techniker liefen kreuz und quer durch den Raum und Boten brachten Berichte und Nachrichten von einem Ende zum anderen. Der durch den Kampf angerichtete Schaden in der Stadt war bereits jetzt jenseits aller Grenzen von Gut und Böse. Misato war bereits seit einigen Sekunden sprachlos aufgrund der Dummheit der beiden Piloten oben in der Stadt, aber auch aufgrund des taktischen Geschickes, das der Engel plötzlich an den Tag legte. Das war nicht mehr die Hau-drauf-und-mach-alles- kaputt-Strategie der bisherigen Angreifer. Er wusste genau, dass die EVAs mit ihren Waffen so gut wie überhaupt nichts gegen sein AT-Feld ausrichten konnten. Also ließ er sich Zeit. Sie hatte auch nicht den Eindruck, als ob es ihm darum ginge, den Gegner um jeden Preis zu vernichten. Es wirkte eher so, als wollte er mit den EVAs... spielen? Misato schüttelte sofort den Kopf. Das war absurd. Kein Engel hatte je zuvor ein solches Verhalten an den Tag gelegt. Warum sollten sie das ausgerechnet jetzt ändern. "Shinji, Toji", rief sie schließlich. "Versucht, da irgendwie auszubrechen!" "Das sagst du so einfach", kam es über die Kom-Leitung. Tatsächlich schien der Engel auf jede ihrer Bewegungen zu reagieren. Sobald sie versuchten unter dem Ring hindurch zu kriechen, senkte er sich hinab. Darüberspringen war genauso aussichtslos. Plötzlich kam ihr eine Idee. Es schien so, als würde der Gegner dieses Manöver nur ausführen, wenn er mindestens zwei seiner Gegenüber damit ausschalten konnte. "Ok, ihr beiden, hört zu", sagte sie dann. "Toji versucht, unter ihm durchzukr..." "Misato, das funktioniert nicht." Sie ignorierte seinen Einwand. "Wenn der Engel sich herab gesenkt hat, springt Kaworu über ihn drüber und rennt was das Zeug hält. Verstanden? Ok, auf drei. Eins, Zwei..." Die Gesichter der beiden wirkten nicht sehr überzeugt. "Und drei!" Toji warf sich auf den Boden und kroch auf den Spalt unter dem Engel zu, der sich wie erwartet gerade schnell genug schloss, um ihn am durchkommen zu hindern. In diesem Moment sprang EVA-00 elegant über den Feind hinweg und lief, was das Zeug hielt. Dem Engel schien das überhaupt nicht zu gefallen. Er löste seine Ringform wieder auf und stürzte sich wutentbrannt auf EVA- 03, der es gerade noch rechtzeitig schaffte aufzustehen und auszuweichen. "Status quo" murmelte er. Misato nickte. Sie musste ihm rechtgeben. Der Kampf hatte bislang noch nichts gebracht. Außer dass Toji und Kaworu die Rollen getauscht hatten und ungefähr zwei Drittel der Stadt vernichtet waren. Und... Entsetzen spiegelte sich auf ihrem Gesicht wieder. Der Engel war bis zum Zentralschacht direkt über dem Hauptquartier gelangt. Plötzlich wandte Maya sich zu ihr um . "Sir, zwei unidentifizierte Flugobjekte nähern sich dem Luftraum von Tokyo-3. Sie werden uns in ungefähr zehn Minuten erreichen." Entgeistert blickte Misato sie an. *** An der Oberfläche tobte der Kampf inzwischen weiter und langsam, aber sicher gewann der Engel die Oberhand. Nicht nur, dass er im Gegensatz zu den EVAs und ihren Piloten keinerlei Anzeichen von Erschöpfung zeigte, er steigerte das Tempo seiner Attacken sogar noch. Wahrscheinlich war er wirklich wütend darauf, dass ihm zwei potentiell sichere Opfer entkommen waren. Toji versuchte wieder einmal auszuweichen. Doch diesmal war er nicht mit allzu viel Glück gesegnet. Der Engel vernichtete einen weiteren Wolkenkratzer und ein spitzes und scharfkantiges Trümmerteil der Armierung bohrte sich quer durch die linke Schulter von EVA-03. Von Schmerzen gepeinigt schrie der dunkelhaarige Teenager auf. Das reichte Shinji. Er hatte immer wieder versucht, den Engel mit dem Gewehr anzugreifen. Als das nichts brachte, war er zu immer stärkeren Waffen übergegangen und benutzte nun zwei Raketenwerfer, einen in jedem Arm. Doch auch das war in keiner Weise von Erfolg gekrönt. Die nächste Stufe wäre wohl eine N2- Mine gewesen. Doch soweit wollte er nun auch wieder nicht gehen. Und um das Positronen-Gewehr aufzubauen hatten sie nicht genug Zeit. Also blieb ihm nur der direkte Kampf. Mit wildem Geschrei stürzte auch er sich in das Getümmel im Zentrum der Stadt. Der Engel nutzte inzwischen beide Enden, um seine Gegner anzugreifen und das mit einer Geschwindigkeit, die man ihm nie im Leben zugetraut hätte. "Shinji", hörte er Misato rufen, doch der Junge beachtete sie nicht. Dort unten waren seine Freunde mehr oder weniger hilflos den Attacken des Gegners ausgeliefert. Er musste ihnen helfen. Außerdem hatte der Engel kein Ende mehr für ihn frei. Das gab ihm die Chance, den Anderen wenigsten ein bisschen zu schwächen. Doch er hatte die Länge des Engels nicht mit beachtet. Verdutzt betrachtete er das weiße Band, das plötzlich mit atemberaubender Geschwindigkeit auf ihn zu raste. Zu spät erkannte er, dass sein Gegner ganz einfach mit seinem Körper eine Schlaufe gebildet, die fast so gezielt wie seine beiden Enden als Waffe einsetzen konnte. Und er erkannte auch zu spät, dass es gar nicht dessen Ziel war, ihn direkt anzugreifen. Das Hochhaus links neben EVA-01 explodierte in tausend Stücke, und eines der größeren trennte sauber den linken Arm des Roboters ab. Shinji schrie in Schmerzen und Panik auf. Plötzlich wurde ihm das Ziel des Gegners klar. Der Engel wollte sie schwächen und kampfunfähig machen, um sich dann in aller Ruhe mit seinen Opfern zu beschäftigen. Seine Gedanken wurden allerdings von einer gewaltigen Explosion unterbrochen. Gleisendes Licht erfüllte das Stadtzentrum, oder das, was von ihm übrig war und blendete die Piloten. Einen irrsinnigen Moment lang glaubten sie tatsächlich, ihn besiegt zu haben. Doch als sie wieder etwas erkennen konnten, war der Engel immer noch da. Wie als Symbol seiner eigenen Unbesiegbarkeit schwebte er ringförmig über ihren Köpfen. Dann erkannten Shinji, Toji und Kaworu das Ausmaß und den Zweck der Explosion. Ein riesiger Krater klaffte dort, wo vor wenigen Augenblicken noch die Ruinen des Zentrums von Tokyo- 3 standen. "Verdammt", kam Misatos Stimme über die Kom-Verbindung. "Er hat achtzehn Panzerschichten zur Geofront mit einem Schlag vernichtet. Noch zwei weitere, und er ist durch!" Shinji biss sich auf die Lippen. Die Verstärkung musste in weniger als drei Minuten eintreffen. Es sei denn, SEELE hatte versagt oder keine Lust mehr. Plötzlich sah er eine kleine Lichtkugel zu seinen Füßen entstehen. Ein grauenvoller Verdacht schlich sich in seine Gedanken und brachte ihn dazu, zu rennen so schnell er konnte. Er hatte kaum fünfzig Meter zurückgelegt, als hinter ihm erneut eine gewaltige Explosion erfolgte. Die heftige Druckwelle ließ die Stadt erbeben und hob seinen EVA von den Füßen, so dass er hundert Meter durch die Luft segelte und ziemlich unsanft in einem der wenigen übrig gebliebenen Wolkenkratzern landete. Er schüttelte den Kopf, als der Schmerz mit voller Macht zurückkehrte. Seine linke Schulter schien zu brennen und er spürte seinen Arm nicht mehr. "Es ist nicht mein Arm," murmelte er zwischen zusammengepressten Zähnen zu sich selbst. "Es ist nicht mein Arm..." Toji versuchte, die Lage für wenigstens eine Sekunde objektiv zu beurteilen. Unbewusst war er zu denselben Schlüssen gekommen wie Shinji. Der Gegner wollte sie schwächen. Doch er hatte keine Ahnung, was dieser dann mit ihnen vorhatte. Interessanterweise hatte keine der bisherigen Attacken direkt auf Rücken oder Brust gezielt, so dass die Bereiche der Entryplugs jedes Mal verschont geblieben waren. Wollte der Engel sie etwa entführen? *** Misato starrte auf das riesige Hologramm des Kampfgebietes in der Mitte des Kommandoraumes. Auf grauenvolle Weise erinnerte sie die Schlacht an den Kampf gegen den vierzehnten Engel. Auch dieser war spielend durch die Panzerschichten gedrungen und konnte die EVAs problemlos ausschalten. Bis Asukas Einheit Amok gelaufen war. Asuka... sie wusste nur, dass sie wieder in Deutschland war und es ihr dort gut gehen sollte. Doch irgendwie fühlte sie sich noch immer dafür verantwortlich, dass es dem Mädchen hier in Japan so schlecht ging. Sie schüttelte den Gedanken ab. Jetzt war keine Zeit für solche Sentimentalitäten. "Sir?" ließ sich Maya vernehmen. "Was gibt es?" fragte Misato zurück, ganz froh über die Ablenkung. "Ich habe die Flugobjekte identifiziert. Zumindest eines davon." Der Major biss sich auf die Lippe. Sie hatte die beiden in der Hektik der letzten Minuten völlig vergessen. Eigentlich hätte ihr das nicht passieren dürfen. "Und?" fragte sie dann. "Nun, bei dem einen handelt es sich um einen der beiden Roboter, die sich auch im letzten Kampf zu uns gesellt hatten. Was den anderen anbelangt..." sie schüttelte leicht den Kopf. "... von den Energie- und Strukturwerten her sehr ähnlich, aber unbekannt. Ihr Blutmuster entspricht dem eines Engels, aber die Magi weigern sich nach wie vor vehement, sie als solche zu bezeichnen." Sie lächelte hilflos. "Man wird nicht schlau aus ihnen." Misato nickte. "Nun. Das letzte Mal haben sie uns geholfen. Auch wenn sie EVA-02 entführt haben." Sie atmete tief durch. "Mal sehen, was sie dieses Mal vorhaben." "Sir?" meldete sich diesmal Shigeru. "Ich bekomme eine Transmission. Nur Audio." "Stellen Sie sie durch" sagte die Dunkelhaarige. "Vielleicht können wir ihnen helfen." Sie wandte sich nach vorne zum Bildschirm, auf dem jetzt ein mittelgroßes Fenster mit dem Schriftzug "Sound only" erschien. "Hier spricht..." "Major Katsuragi", wurde Misato von einer weiblichen, ruhigen und beherrschten Stimme unterbrochen. "Befehlen sie ihren EVA-Einheiten, sich hinter unsere Seraphim-Einheiten zurückzuziehen, sobald wir eingetroffen sind. Anseamus, Ende." Einige Sekunden blickte die junge Frau fassungslos auf das mittlerweile geschlossene Fenster. Es war nicht die Frechheit gewesen, ihr einfach Befehle zu erteilen, sondern die Stimme selbst, die ihr die Sprache verschlug. Sie war sicher, dass es Asuka war, mit der sie sich gerade "unterhalten" hatte. Doch man konnte so viel Schmerz daraus hören. Als ob sie irgendetwas verloren hatte, dass ihr sehr viel bedeutete. Ob das etwas mit diesen Gerüchten über die Explosion in Deutschland zu tun hatte? Misato blickte erneut auf die Karte und sah, wie sich die EVAs bereits in Richtung der beiden Neuankömmlinge bewegten. Sie schüttelte (zum wievielten Male eigentlich) schon wieder den Kopf. Sie hatte bereits vor einer Weile die Kontrolle über den Kampf verloren. Was konnte sie schon groß ausrichten. Im Nachhinein kam es ihr sogar so vor, als ob die drei Piloten nur auf die Ankunft der anderen gewartet hatten. Inzwischen hatten sie die beiden anderen Roboter erreicht. Plötzlich tönte ein neuer Alarm durch den Kommandoraum. "Was ist los?" fragte Misato erschrocken. Ritsuko, die bislang still geblieben war, ebenso wie die beiden Kommandanten auf ihrer erhöhten Plattform, meldete sich nun zu Wort. "Die beiden, also Anseamus und dieser andere, entfalten gemeinsam ein AT-Feld, das alle bisherig gemessenen Werte bei weitem übersteigt!" Auf dem Bildschirm war zu sehen, wie der Engel sich wütend gegen das Feld warf, ohne es auch nur anzukratzen. "Aber sie scheinen ihn in diesem Status nicht angreifen zu können", sagte Maya. "Eine Patt-Situation also." Plötzlich machte sich ein entsetzter Ausdruck auf ihrem Gesicht breit. "Sir! Da ist irgendetwas im Orbit, direkt über dem Engel!" Sie starrten auf das Bild der orbitalen Überwachungssatelliten, zu denen sich zunächst schemenhaft, dann immer deutlicher, ein weiterer gesellte. "Er enttarnt sich!" rief jemand. "Was um alles in der Welt..." stammelte Ritsuko, als sie die Energiewerte auf ihrem Display las. "Wenn die das dort wirklich abf..." Weiter kam sie nicht, als das Hauptquartier auf brutalste Weise durchgerüttelt wurde und alle Bildschirme nur noch Kriseln zeigten. Die Schockwellen eines gewaltigen Energieaufpralls an der Oberfläche ließen gewaltige Orkane durch Tokyo-3 fegen. "Nur noch 18% der Kameras aktiv. Schalte Bild auf die äußeren Regionen!" rief Maya. Entsetzt nahmen alle ihre Hände vor den Mund, als sie das Übersichtbild von Tokyo-3 sahen. Dort, wo früher einmal eine stolze und moderne Stadt gestanden hatte, klaffte nun ein riesiges Loch mit mehreren Kilometern Durchmesser. "Oh mein Gott", sagte Ritsuko. "Sie haben die Geofront freigelegt." In der Tat hatte man einen wunderschönen Blick auf die gewaltige Höhle. "Was ist mit dem Satelliten?" wollte Misato wissen. "Zerstört, vermutlich aufgrund einer Energieüberlastung." "Und die EVAs?" "Unbeschädigt. Die AT-Felder der anderen beiden Roboter haben standgehalten." "Und... der Engel?" Doch eine Antwort war nicht mehr nötig. Misato sah das leuchtende Band ihres Feindes, das über dem Loch schwebte, selbst. "Alles umsonst..." "Nicht ganz", sagte Maya. "Der Engel wurde auf weniger als die Hälfte seiner Originallänge reduziert." Misato sah noch einmal genau hin. Es stimmte. Fehlten also nur noch ungefähr 45%. *** Asuka warf Rei einen kurzen Blick zu. Die versuchte zwar ein Lächeln, doch es misslang vollständig. Beide hatten in den letzten Wochen mit Karins Tod zu kämpfen gehabt. Doch irgendwie hatte es sie auch einander näher gebracht. Das rothaarige Mädchen kannte nun Reis Geheimnis und wusste, warum sie sich wie eine Puppe verhielt. Jetzt waren sie beide Freundinnen, oder zumindest so etwas Ähnliches. Asuka sah darin immerhin einen Fortschritt. Doch dazu hätte es nicht den Tod eines Anderen bedürfen sollen. Bis heute waren die eigentlichen Umstände der Explosion ungeklärt geblieben. Irgendwie wollte sie der offiziellen Version, dass Sereamus von einem Engel übernommen wurde, nicht glauben. Es war nur so ein Gefühl... aber sie war sich sicher, dass sie die Wahrheit herausfinden würde. Gemeinsam mit Rei. Sie hatte Frank bereits vor einer Weile darauf angesetzt, weitere Informationen über Karin zu sammeln. Ihre Herkunft schien ebenso schleierhaft zu sein wie Reis noch bis vor kurzem. Der Einzige, der noch etwas über sie wissen konnte, war Kensuke. Doch der hatte bislang mit so gut wie niemandem gesprochen. Asuka glaubte zu wissen, wie er sich fühlt. Als Versager... Sie schüttelte den Kopf. Jetzt war keine Zeit für solche Gedanken. Der Satellit war vernichtet. Also würden sie den Rest allein erledigen müssen. Erneut blickte sie zu Rei und nickte dann. Rei antwortete ebenfalls mit einem Nicken. Wie auf ein geheimes Kommando und in perfekter Synchronisation schossen aus den Schultern ihrer Einheiten Flügel und sie hoben ab, um zu dem Engel über der Mitte des neu geschaffenen Loches zu fliegen. Die beiden wussten, dass sie in einem Luftkampf keine Chance haben würden. Also mussten sie ihren Feind zunächst auf festen Boden locken. Und sie würden die Hilfe der EVAs benötigen. Selbst mit den SERAPHIM wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, den Engel im Alleingang zu besiegen. Asuka öffnete eine Kom-Verbindung zu den EVAs und wurde von dem Anblick von drei sehr erstaunten Gesichtern begrüßt. "Wenn wir mehr Zeit hätten, würde ich mich amüsiert fühlen" bemerkte sie trocken. "Ihr werdet den Engel ablenken, sobald er hier ist, und wir kümmern uns um den Rest." "Ähmm... Ok!" antworteten die anderen. Doch das war leichter gesagt als getan. Der Engel war äußerst schnell und wendig. Selbst die augenscheinliche Überzahl von fünf Gegnern machte ihm herzlich wenig aus. "Verdammt", murmelte Rei, als sie erneut um Haaresbreite dem Engel auswich. Sie hatte den Zustand von Shinjis EVA bereits gesehen, und er machte ihr mehr als nur Sorgen. Mit Karin hätten sie den Kampf mit Hilfe der Lanze leicht beenden können, aber Asuka und sie besaßen noch nicht das Können, eine solch präzise Waffe zu führen. Plötzlich gab es eine neue Explosion und EVA-00 wurde durch die Luft gewirbelt. Er landete direkt auf SERA-03, Asukas Einheit. "Langsam hasse ich diese Kurzstreckenflüge" murmelte Kaworu leicht benommen. "Da bist du nicht der Einzige", ließ Shinji sich vernehmen. Reis Augen weiteten sich plötzlich. Hinter EVA-01 hatte sich eine weitere dieser Lichtkugeln gebildet. Sie wusste, dass sie nicht mehr genug Zeit haben würde, um ihr AT-Feld aufzubauen und damit Shinji zu schützen. "SHINJI!" schrie sie und stürzte auf ihn zu. wobei sie EVA- 01 beiseite riss. Bei der Detonation wurde ihr linker Flügel zerfetzt. Sie griff mit ihrem Arm an ihre Schulter und biss die Zähne vor Schmerzen zusammen. Shinji wurde erst jetzt bewusst, wer sich eigentlich in diesem anderen Roboter befand. "Rei..." sagte er, als er entsetzt mit ansehen musste, wie sich ihre Einheit in Schmerzen wandte, ohne Kämpfen zu können. Dann wurde sie ohnmächtig und der Roboter kam zum Stillstand. Wut begann in ihm aufzubrodeln. Dieser Engel. Sie hätten ihn schon vor Stunden besiegt haben müssen. Jetzt gab es keine Gnade mehr. Die Augen von EVA-01 glühten in strahlendem Weiß. Mit Furcht erregendem Brüllen und lediglich einem Messer bewaffnet stürzte sich die Einheit auf den Engel. Dieser wurde einen Moment lang aus der Fassung gebracht und schien sich beinahe zu amüsieren. Doch dieser Augenblick der Unachtsamkeit reichte Asuka. Mit ihrem AT-Feld zerteilte sie den Engel sauber in der Mitte, so dass die Kreatur begann, sich schmerzvoll zu winden. Sie ließ ihm gar keine Zeit, sondern bearbeitete eine der beiden Hälften mit allem, was ihr an Waffen und Energie zur Verfügung stand. Das Band wurde immer heller und heller und detonierte in einer Explosion, deren Kraft beinahe an die der durch den Satelliten verursachten erreichte. "Hab ich dich", sagte Asuka, als nur noch ein Viertel des Engels übrig war. Shinji schüttelte den Kopf als er das sah. "Wie ein riesiger Regenwurm." Asuka nickte. Dann wurde sie ernst. "Kümmere dich bitte um Rei. Ich werde den Rest hier erle..." "ASUKA!" brüllte plötzlich Kaworu durch die Leitung. Blitzschnell drehte sie sich um, nur um zu sehen, wie das letzte Stückchen Engel direkt auf sie zu raste. Es war zu spät um irgendwie auszuweichen. Sie riss die Arme schützend vor den Kopf und erwartete den Aufprall. Doch er kam nie. Als die Deutsche wieder aufblickte, sah sie, warum. EVA-00 hatte sich zwischen sie und den Engel geschoben und ihn so abgefangen. Und dieser begann mit der Einheit zu verschmelzen. Plötzlich wurde es unheimlich still. Der Körper des Engels leuchtete in strahlendem Weiß und wurde wieder länger. Auf allen Bildschirmen, sowohl in der Kommandozentrale als auch in den am Kampf beteiligten Einheiten erschien Kaworus Gesicht. Ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen. "Mein wahrer Name ist Tabris", sagte er. "Ich bin der siebzehnte Engel. Ich hatte gehofft, meinem Schicksal entgehen zu können und mich Aristoh auf eurem Planeten anzuschließen. Doch diese Hoffnung war vergebens. Die Verbindung zweier Engel hat die Entstehung eines einzigen unbesiegbaren zur Folge." Tatsächlich ließ sich auf den Bildschirmen erkennen, wie sich auf der Oberfläche des weißen Bandes Tausende Köpfe bildeten, die eindeutig Kaworus Gesichtszüge trugen. "Dieses Ereignis bezeichnet ihr Menschen als den Third Impact. Ich habe nicht vor, zuzulassen, dass dies geschieht. Ich bin der Engel des freien Willens. Mein Tod wird euer Leben bedeuten. Vielleicht sehen wir uns im Paradies, wenn es tatsächlich existiert. Bis dahin sage ich euch Lebewohl." Noch Stunden nach der Explosion von EVA-00 war keiner in der Lage zu verstehen, was heute eigentlich geschehen war. --------- 130 --------- Kensuke lag auf seinem Bett. Obwohl er die letzten zwei Wochen nichts anderes getan hatte, als zu arbeiten, und so gut wie keinen Schlaf gefunden hatte, war er nicht müde. Seine Gedanken wanderten immer wieder zu Karin, so sehr er auch das Gegenteil erzwingen wollte. Wie er ihr Lächeln vermisste. Er konnte das Gefühl, das sich seitdem seiner bemächtigt hatte, einfach nicht beschreiben. Es war, als wäre ein Teil von ihm einfach herausgerissen worden, als wäre er nicht mehr vollständig. Ein ironisches Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Sein Leben war bislang eigentlich halbwegs normal verlaufen, wenn man einmal von seinem Militärtick absah. Seine Mutter war bereits früh gestorben und sein Vater arbeitete beim Militär, wodurch er ihn vielleicht einmal im Monat zu Gesicht bekam, wenn er Glück hatte. Er lebte meistens bei seinen Großeltern und war so gut wie immer allein gewesen. Diese Einsamkeit hatte sich erst geändert, als er nach Neo-Tokyo-3 umzog. Sein Vater war ins Hauptquartier von NERV versetzt worden und so war er mit hierher gekommen. Doch leider war seine neue Arbeit so streng geheim, dass Kensuke den Großteil seiner Phantasie überlassen musste. Zunächst hatte er mit seinen Mitschülern einige Probleme, die vor allem darin bestanden, dass er überhaupt keinen Kontakt zu ihnen finden konnte. Deswegen verbrachte er seine Freizeit auch größtenteils allein draußen auf den Feldern vor der Stadt, wo er sich in aller Ausgiebigkeit seinen Militärspielen widmen konnte. Kensuke war für den Rest der Welt eigentlich immer nebensächlich und unwichtig gewesen. Deswegen hatte er auch unbedingt EVA steuern wollen. Um endlich eine Bedeutung zu haben und bewundert zu werden. Eines Tages, es musste vor ungefähr drei Jahren gewesen sein, wurde er von einem der neuen Mitschüler bei einer seiner Trainingsstunden überrascht. Sein Name war Toji Suzuhara. Irgendwie hatten sich die beiden vom ersten Moment an verstanden und wurden sofort unzertrennliche Freunde. Toji hatte ihn öfters auf seinen Streifzügen begleitet, wenn es auch mit der Zeit immer seltener wurde. Dann war Shinji zu ihnen gestoßen. Kensuke musste unwillkürlich lächeln, als er daran dachte, wie der dunkelhaarige den Neuen zusammenschlug. Und noch mehr musste er lächeln, als er daran dachte, wie Toji daraufhin von seiner kleinen Schwester zur Schnecke gemacht wurde. Daraufhin wurden die drei zu einem festen Gespann, dem "Idioten-Trio", wie Asuka sie später bezeichnete. Er seufzte, als er an diese glücklichen Tage zurückdachte. Damals hatte er noch nicht gewusst, wie viel Leid noch auf ihn zukommen würde. Wieder kehrten seine Gedanken zu Karin zurück. Zu dem friedlichen Lächeln, das sich über ihre Züge gelegt hatte, als sie in seinen Armen eingeschlafen war. Er hatte versagt. Er hatte nichts tun können. Überhaupt nichts. In diesem Moment klopfte es an seiner Tür. Müde wandte er den Blick in die entsprechende Richtung und sah, wie Gregor eintrat. Er lächelte Kensuke aufmunternd zu. Dann setzte er sich zu ihm und sein Gesichtsausdruck wurde ernst. "Der Kampf ist beendet", sagte er dann. "Also haben wir gewonnen." Gregor schüttelte den Kopf. "Nein, nicht wirklich. Kaworu ist tot." Ungläubig blickte Kensuke ihn an. Er nickte. "Er hat die Selbstzerstörung von EVA-00 ausgelöst. Sich selbst geopfert, um alle anderen zu retten." Er blickte Kensuke direkt in die Augen. "Halt' dich bereit. In fünf Stunden geht es los." Doch Kensuke hörte ihm gar nicht mehr richtig zu. Jetzt wusste er, was er falsch gemacht hatte. Er hätte sich auch für Karin opfern sollen. Er wusste, dass er ihr hätte helfen können. Dennoch hatte er es nicht getan. Er hatte versagt. Dieser eine Gedanke wiederholte und wiederholte sich in seinem Kopf, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Seine Hände begannen zu zittern. Die Lösung hatte die gesamte Zeit über so nahe gelegen. Und dennoch war er nicht darauf gekommen. Er konnte sich selbst dafür ohrfeigen. Doch dazu kam er nicht. Gregor konnte scheinbar seine Gedanken lesen. "Wir alle trauern im Karin", sagte er bedächtig. "Doch im Moment macht es keinen Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, was hätte sein können. Du..." In genau diesem Moment schlug Kensuke ihm mit seiner ganzen Kraft ins Gesicht. "Du hast keine Ahnung!" brüllte er. "Du kannst gar nicht wissen, wie es ist, einen Menschen, den man... den man ge..." er konnte nicht weiter sprechen, weil er in Tränen ausbrach. Er stützte seinen Kopf in die Hände und schluchzte vor sich hin. Gregor betrachtete ihn mit einer Mischung aus Verärgerung und Mitleid. Doch nach einer Weile wich der Zorn und machte der Anteilnahme platz. Er legte seine Hand auf Kensukes Schulter und rechnete bereits halb damit, roh beiseite gestoßen zu werden. Allerdings geschah nichts dergleichen. Er schluchzte einfach nur weiter vor sich hin und schien sich nicht mehr um den Rest der Welt zu kümmern. "Es gab da einmal ein Mädchen", sagte Gregor schließlich. "Sie war so ungefähr in meinem Alter." Kensuke blickte ihn fragend an. "Das bezauberndste Wesen, das das Universum jemals gesehen hatte." Er versuchte zu lächeln, doch es wurde mehr zu einer verzerrten Fratze. "Wie hieß sie?" fragte der andere vorsichtig. Gregor musste lächeln. "Es ist bereits so lange her..." Kensukes angeborene Neugier übernahm langsam die Überhand. Er wusste, dass irgendetwas mit diesem Jungen nicht stimmte. "Du bist nicht wirklich fünfzehn Jahre alt oder?" "Wie?" Gregor blinzelte, als er plötzlich aus seinen eigenen Gedanken gerissen wurde. "Achso", er grinste verschmitzt. "Aber ich habe mich gut gehalten, oder?" Kensuke nickte. Er hatte schon vor längerem Gerüchte gehört, nach denen vor ungefähr siebzig Jahren Außerirdische auf der Erde gelandet sind. Er hatte keine Ahnung, warum er gerade jetzt daran denken musste. Ob es irgendetwas mit Gregors scheinbar ewigen Jugend zu tun hatte. Ein normaler fünfzehnjähriger Teenager wäre mit Sicherheit nicht in der Lage, Kommandant einer derartigen Organisation zu werden. Allerdings hatte er ja Hilfe in Form von Lorenz Kiel und Stefan Maishima... Maishima... er biss sich auf die Lippen. Gregor hatte gesagt, jetzt wäre nicht der richtige Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen. Sicher hatte er damit Recht, doch das hinderte nicht dieses zerrende Gefühl der Leere, sich immer wieder seiner zu bemächtigen. Die Schmerzen, die er empfand, wurden von Mal zu Mal immer unerträglicher. Er konnte nichts dagegen unternehmen... "Gregor?" Schließlich gab er sich einen Ruck. "Hmm?" fragte der andere, der sich in der Zwischenzeit vermutlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt hatte. "Was gibt es?" Kensuke grinste wehmütig. "Eine Frage, bevor wir weiter über verlorene Lieben reden. Kann ich nach Japan zurückkehren, wenn das alles hier vorbei ist?" "Du meinst, es könnte dir helfen zu... vergessen?" Der andere schüttelte den Kopf. "Nein. Ich werde Karin niemals vergessen können." Er atmete tief durch und blickte zur Decke. "Sie wird immer meine Gedanken beherrschen, Tag und Nacht. Jeden verdammten einzelnen Augenblick meines restlichen Lebens." Gregor nickte. "Kehre ruhig zurück. Vielleicht findest du eine Lösung für dich. Ich habe keine gefunden." Kensuke schielte zu ihm hinüber. In den Augen seines Gegenübers konnte er die verschiedensten Emotionen erkennen, vor allem jedoch Schmerz. Tiefen, dunklen Schmerz. Wunden, die wahrscheinlich niemand mehr heilen konnte. In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er alles in allem vielleicht sogar noch ganz gut davon gekommen war. Doch im nächsten Moment schüttelte er den Gedanken ab. Es gab keine Möglichkeit, sein Schicksal mit Gregors zu vergleichen. Jeder von ihnen hatte seinen eigenen Kampf zu führen. Und Kensukes bestand darin, seinen Teil zur Schlacht gegen die Engel beizutragen. Er würde SEELE ermöglichen, auch die restlichen EVA-Piloten nach Deutschland zu bringen. So würde das letzte Gefecht zu einem Kinderspiel für die Menschheit werden. Er selbst würde an dieser Schlacht nicht teilnehmen. Zu diesem Zeitpunkt würde er bereits wieder in Japan sein und sich irgendeine Beschäftigung suchen. Er lächelte. Vielleicht würde er Karin den größten Gefallen machen, wenn er selbst nicht auch noch unterging. Sie hätte das mit Sicherheit nicht gewollt... "Achja, noch etwas..." sagte Gregor schließlich. "Frank wollte unbedingt irgendetwas mit dir besprechen." Er blickte in Kensukes Augen. "Wenn du dich besser fühlst, selbstverständlich..." Kensuke richtete sich auf. Dann schüttelte er energisch den Kopf. "Ich wollte sowieso noch ein paar Dinge mit ihm klären." "Gut. Aber vergiss nicht. Noch-" Gregor blickte auf die Uhr. "-viereinhalb Stunden, bis wir dich brauchen." "Geht klar." Damit verließ er den Raum. Gregor blickte ihm nach. Was stand in seinem psychologischen Gutachten? Ständige Stimmungsschwankungen oder so etwas... --------- 131 --------- Als Rei erwachte, starrte sie direkt auf die weiße Decke. Ihre Hände verkrallten sich in die Bettlaken. Sie war wieder zurück. Das Krankenhaus von NERV. Hier hatte sie vermutlich mehr Zeit ihres Lebens verbracht als irgendwo anders. Unbewusst wanderte ihre rechte Hand zu ihrer linken Schulter. Sie glaubte, noch immer die Schmerzen durch die Vernichtung ihres Flügels wahrnehmen zu können. Doch ihr eigener Arm war noch dran. Wie nach jedem Kampf. Sie verzog das Gesicht, als sie daran dachte, wie oft sie schon nur zu knapp mit dem Leben davonkam. Noch bevor die Engel überhaupt angegriffen hatte, wurde sie beim Aktivierungstest des Prototypen schwer verletzt. Wäre Shinji damals nicht für sie "eingesprungen", hätte sie Kämpfen müssen. Sie hätte es getan, doch der Tod wäre ihr sicher gewesen. Das nächste Mal war der Kampf gegen Ramiel gewesen. Sie hatte dessen Energiestrahl von EVA-01 abgeschirmt und dabei aufs Neue ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Damals war sie der Überzeugung, dass sie es getan hatte, weil sie wusste, dass sie ersetzt werden konnte, der Pilot der anderen Einheit aber nicht. Heute wusste sie es besser. Sie hatte Shinji beschützen wollen. Nicht, weil er für den Plan seines Vaters unerlässlich war oder weil es ihr befohlen wurde. Sie hatte es getan, weil sie die Chance haben wollte, ihn kennen zu lernen, weil der Gedanke an seinen Tod für sie unerträglich war. Lange hatte sie benötigt, um herauszufinden, wieso solche Gedanken durch ihren Kopf spuken. Erst nachdem sie vor dem Kampf gegen Bardiel versagt hatte, danach orientierungslos durch die Gegend irrte und schließlich an Gregor geriet, begann sie zu verstehen. "Ob Klon oder nicht, du bist ein Mensch wie jeder andere." Das hatte er damals zu ihr gesagt, als sie in ihrer Verzweiflung fast keinen Ausweg mehr gewusst hatte. Sie wusste, dass sie ein Klon war, hatte aber nie geglaubt, dennoch auch als Mensch zu zählen. Doch wenn dem so war, konnte auch sie Emotionen empfinden und Gefühle besitzen. Mit diesen Worten hatte sie begonnen, gegenüber sich selbst einen Sinn zu machen. Sie war bereits früh mit dem Konzept der Liebe vertraut gewesen, hauptsächlich durch unauffällige Beobachtungen des Verhaltens des Kommandanten und Doktor Akagi. Doch verstehen konnte sie die Dinge, die sie sah, nicht. Erst viel später, als sie Shinji das erste Mal sah, begann ihr zu dämmern, was dahinter stecken konnte. Als sie vor dem Kampf gegen Sachiel in den EVA-Hangar gerollt wurde und von der Bare fiel, war er zu ihr hinüber gestürzt und hatte sie in seine Arme genommen. In diesem einen Moment hatte sie etwas empfunden, dass sie noch nie zuvor gespürt hatte. Einerseits Wärme. Keine thermische, sondern eher in ihrem inneren. Und das andere war... ein Gefühl der Sicherheit. Als würden seine Arme alles von ihr abhalten. Als müsste sie sich nicht selbst verteidigen, sondern beschützt werden. Trotz all der Schmerzen hatte sie sich in diesem Moment zum ersten Mal richtig wohl gefühlt. Oder zumindest ansatzweise... Dafür war sie ihm dankbar gewesen. Sie konnte es sich zunächst nicht erklären, doch heute wusste sie, dass DAS Liebe war. Bevor sich ihre Gedanken allerdings weiter bewegen konnten, wurde ihr ein leichtes Gewicht bewusst, dass auf ihrem linken Unterarm lastete. Einen Augenblick lang wunderte sie sich, warum sie es nicht schon früher bemerkt hatte, dann drehte sie den Kopf leicht, um zu sehen, was es war. Zunächst sah sie nur ein Objekt, dass merkwürdige Ähnlichkeit mit einer zerzausten Wollkugel hatte. Dann wurde ihr bewusst, dass es sich um Haare und, vermutlich, den dazugehörigen Kopf handelte. In der selben Sekunde kam ein herzhaftes Gähnen aus dieser Richtung, wie um zu bestätigen, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Dann drehte der Kopf sich und enthüllte Shinjis verschlafenes Gesicht. Er lächelt leicht, als er bemerkte, dass sie ebenfalls wach war. Dann richtete er sich langsam auf und kam auf sie zu, bis ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter von einander entfernt waren. Er blickte direkt in ihre fragenden, rot leuchtenden Augen. "Ich habe dich vermisst" flüsterte er dann zärtlich und beugte sich noch etwas weiter vor, bis sich ihre Lippen berührten. Erst nach ein paar Minuten trennten sie sich wieder. "Ich dich auch", sagte Rei, indem sie ihre Arme um seinen Nacken legte und ihn in einen weiteren Kuss nach unten zog. Als sie ihre Augen schließlich wieder öffneten, erblickte Rei etwas am Rand ihres Sichtfeldes. Sie drehte den Kopf leicht nach rechts. Und blickt in zwei kristallblaue Augen, umrahmt von langen, rotbraunen Haaren. Asuka. "Lasst euch nur nicht stören", sagte diese. "Ich will nur etwas für mich selbst dazulernen." Ein schelmisches Grinsen umspielte dabei ihre Lippen. Shinji allerdings war kein bisschen erfreut. "Asu-" Doch Rei unterbrach ihn. "Dann schau gut zu." Damit zog sie den leicht überraschten Shinji wieder zu sich nach unten in einen Kuss, der an Tiefe alles übertraf, das sie bislang miteinander geteilt hatten. Shinjis Gesicht konkurrierte unterdessen mit Asukas Haaren um den Titel des tiefsten je gesehen Rot. Shinji gewann, wenn auch nur mit knappem Vorsprung. "Ähmm...", kam es aus dem Hintergrund. "Ich will eure kleine Unterrichtsstunde ja nicht stören, aber im Moment gibt es doch wichtigere Dinge..." Alle drehten sich auf einmal in Richtung des Störenfriedes, Toji. Doch der wies nur leicht nervös auf die beiden schwarzgekleideten Gestalten links und rechts der Tür des Krankenzimmers. Auf diese Weise darauf aufmerksam geworden, dass sie doch nicht ganz so allein waren, wie sie erst glaubten, rückten sie sich wieder in halbwegs gerade Positionen zurecht. Vor allem, da zwischen den beiden dunklen Anzügen eine sehr zornig dreinschauende Misato stand. Shinji schluckte. Als er den Raum betreten hatte, war er noch mit Rei allein gewesen. Er hatte gar nicht mitbekommen, wie all die Leute hereinkamen. Doch Misatos Blick verhieß nichts Gutes. Doch sie gab sich sichtlich Mühe, das Bild vor ihren Augen zumindest solange zu ignorieren, bis sie sicher sein konnte, die Aufmerksamkeit ALLER Anwesenden zu haben. Sie atmete noch einmal durch und entkrampfte sich ein wenig, bevor sie anfing zu sprechen. "Ok, Kinder", begann sie. "Nachdem ihr euch also nach all der Zeit wieder begrüßt habt, gibt es noch ein paar wichtigere Dinge zu besprechen. Rei, Asuka ihr seid vorerst festgenommen." Allgemeines Erstaunen war die Reaktion. Nachdem die beiden immerhin dafür gesorgt hatten, dass sie den Engel besiegen konnten, hätten sie zumindest mit _etwas_ Dank gerechnet. Andererseits kannten sie alle den Kommandanten nur zu gut. "Begründungen dafür sind:", fuhr Misato fort. "Unerlaubtes Entwenden einer EVA-Einheit und der damit verbundenen Weitergabe streng geheimer Technologie an Dritte. Verlassen der Organisation NERV, ohne zuvor die nötigen Anträge durchgeführt zu haben. Weiterhin: Zerstörung der Stadt Neo-Tokyo-3 zu großen Teilen." An diesem Punkt schüttelte sie den Kopf, um zu zeigen, dass sie das selbst genauso an den Haaren herbeigezogen fand wie die anderen auch. "Bis über ein angemessenes Urteil entschieden wurde, werdet ihr beiden in getrennten Zellen untergebracht. In Reis Fall, sobald ihr Zustand es erlaubt. Besuche sind verboten." Sie atmete erneut tief durch. "Das ist JETZT der Fall." Sie zog ihre Waffe und entsicherte sie, deutete damit aber auf niemand bestimmtes. "Es tut mir leid..." Asuka sprang auf und sah aus, als wollte sie jeden Moment auf Misato losgehen, wurde aber auf unkonventionelle Art von Rei gestoppt. Diese stand einfach nur auf und ging auf den Major zu. "Ich habe verstanden", sagte sie ruhig. "Wo kann ich mich umziehen?" Misato blickte sie einen Moment lang verdutzt an - anscheinend hatte sie mehr Widerstand erwartet - sagte aber nichts, sondern deutete in Richtung eines Vorhanges, der eine Ecke des Raumes vom Rest abgrenzte. "Deine Sachen liegen bereits dort." Rei nickte und ging hinüber, verschwand kurz darauf, um sich umzuziehen. Erst jetzt fanden Shinji und die anderen langsam ihre Sprache wieder. "Aber Misato...", sagten sie alle zugleich. Die junge Frau brachte sie allerdings mit einem einzigen Wort zum Schweigen. "Später." Inzwischen war Rei fertig geworden und trug wieder ihre gewohnte Schuluniform. Langsam ging sie auf die Männer des Sicherheitsdienstes zu und bestätigte durch ein Nicken. dass sie fertig war. Merkwürdig still und ruhig wurde sie von Asuka begleitet. Doch in ihren Augen loderte eisiges Feuer. Als die Tür sich wieder geschlossen hatte, blickte Misato resignierend zu Boden. Shinji und Toji sagten nichts. Langsam begannen die Ereignisse der letzten Stunden auf sie einzuwirken. Erst jetzt wurde ihnen bewusst, dass sie heute einen ihrer besten Freunde verloren hatte. Ironischerweise ein Engel, der sich für die Menschheit geopfert hatte. So etwas würde sich niemals wiederholen, oder? Tränen begannen aus Shinjis Augen zu fließen. Er hasste es, zu heulen. Es erinnerte ihn daran, wie sein Vater ihn verlassen hatte, um ein Monster zu werden. Ein Tyrann, der sich einbildete, Gott zu sein und das Schicksal und die Zukunft der Menschheit zu bestimmen. Toji hatte ähnliche Gedanken, doch konzentrierten sie sich mehr auf Kaworu. Sie hatten nie wirklich Zeit gehabt, um sich richtig kennen zu lernen, doch war er ihm irgendwie ans Herz gewachsen. Kaworu hatte die Eigenschaft, bei jedem beliebt zu sein, einfach nur durch die Art Mensch, oder besser Engel, die er war. Er brauchte sich nicht zu verstellen oder irgendwie anzustrengen, um Freunde zu finden. Es war ihm ein Leichtes auf andere zuzugehen. Ein melancholisches Lächeln umspielte seine Lippen. Kaworu hatte einmal behauptet, unsterblich zu sein. Man hätte es ihm beinahe glauben können. Unwillkürlich fragte Toji sich, wie es Kensuke jetzt ergehen würde. Auch er hatte erst vor kurzem einen Menschen verloren, der ihm sehr viel bedeute. Vielleicht mehr, als ihm je zuvor ein Mensch bedeutet hatte. Er selbst hatte ja immer noch Hikari. Vielleicht würde er bei ihr etwas Trost finden. Schließlich, wie auf ein geheimes Zeichen hin, blickten beide zu Misato hinüber, die ihre Augen noch immer auf den Boden gerichtet hatte. Dann ging Shinji zu ihr hinüber und legte eine Hand auf ihre Schulter. Die junge Frau zuckte kurz zusammen, bewegte sich aber ansonsten nicht und hob auch nicht den Blick. "Es ist in Ordnung", sagte der Junge schließlich mit Überwindung. "Du kannst nichts dafür..." Dann brach sie zusammen. Misato hockte sich auf den Boden, zog die Knie an ihr Kinn und umschlang ihre Beine mit ihren Armen. In dieser Position hatte sie schweigend einen Großteil ihrer Kindheit verbracht. Shinji hatte davon gehört und wusste, dass es für Misato eigentlich unmöglich war, sich derartig zurückzuziehen. Umso gefährlicher war ihr aktueller Zustand. Der Gedanke, zwei ihrer liebsten Schützlinge in Haft zu stecken, musste sie innerlich zerfressen, egal, ob es ihre Schuld war oder nicht. Shinji tat das einzige, dass ihm richtig erschien. Er setzte sich hinter sie und schlang seine Arme um sie, über ihren eigenen. Dann drückte er sie an sich. "Es ist in Ordnung..." wiederholte er seine Worte, während Misato zu schluchzen begann. --------- 132 --------- Frank saß gemütlich in seinem Sessel und las. 1984. George Orwell. "Krieg ist Frieden". Wie wahr. Wenn der Krieg zum Dauerzustand wurde, nahm ihn niemand außer den unmittelbar Beteiligten mehr wahr. Das galt damals genauso wie heute. Obwohl die Erde beinahe ununterbrochen von den Angriffen der Engel heimgesucht wurde und alle Menschen unter den Folgen des Second Impact zu leiden hatten, lebte der Großteil so, als wäre dies nicht nur heute, sondern schon immer ganz normal gewesen. Frank blickte auf. Sein Leben war bislang nur ein Krieg gewesen. Ein Krieg gegen den Krieg. Er hatte alles und jeden ausspioniert und Informationen gesammelt, wo er nur konnte. Selbst in SEELEs Hauptcomputer war er eingedrungen. Wahrscheinlich würde Gregor ihn dafür einsperren oder sogar ganz aus dem Verkehr ziehen lassen, doch es war ihm egal. Jeder musste selbst herausfinden, wie er sich am besten durchs Leben schlug. Frank wollte die Wahrheit herausfinden. Noch bevor er zu SEELE gegangen war, hatte er nicht an die offizielle Version des Second Impacts mit dem Meteoriteneinschlag geglaubt. Es war irgendetwas besonderes am Nordpol geschehen. Etwas, das sich mit nichts, was die Erde je zuvor erlebt hatte, vergleichen ließ. Später dann war er SEELE beigetreten und hatte von Gregor die Wahrheit erfahren. Adam, der erste Engel, war im Jahr Zweitausend erwacht und hatte die Erde an den Rand des Abgrundes getrieben... Adam, der - wie er zunächst geglaubt hatte - tief unten in NERVs Keller an ein riesiges rotes Kreuz genagelt war. Bei diesem Gedanken tauchte unwillkürlich Kajis Bild in seinem Kopf auf. Frank musste schmunzeln, als er an seinen ehemaligen "Lehrmeister" dachte... Doch in diesem Moment wurde er von dem verhaltenen Glockenton der Klingel an der Tür zu seinem Quartier wieder in die Realität befördert. "Herein!" rief er. Die Tür öffnete sich und Kensuke trat ein. Frank blickte ihm mit einem unbestimmbaren Lächeln entgegen. "Setz dich doch", bot er ihm einen freien Sessel an. Doch Kensuke schien ihn nicht wirklich zu hören, sondern blieb beinahe ein wenig orientierungslos im Raum stehen. Erst nach ein paar Minuten schien er mitzubekommen, was ihm gesagt wurde, und setzte sich. Doch auch dann macht er noch einen sehr abwesenden Eindruck. "Du hast sie geliebt." Es war keine Frage, sondern eine einfache Feststellung. "Richtig geliebt." Der Andere blickte auf. Seine Augen schienen zu leuchten, allerdings nur für einen kurzen Augenblick. Frank schaute ihn an. Irgendwie wurde er aus diesem Jungen nicht klug. Er hatte alles mögliche erwartet: Zorn, Hass, Niedergeschlagenheit, Trauer, Wut, alles mögliche. Doch die wirkliche Reaktion war ganz anders. Natürlich umgab den Jungen seit Karins Tod eine Aura der Trauer, doch sonst macht er einen sehr gefassten Eindruck. Es war, als hätte er seine Emotionen weggeschlossen und sich entschieden, sein Innerstes vor allen anderen geheim zu halten. Zumindest erschien es Frank so. Der Junge hatte eine ziemlich introvertierte Art, mit diesem Verlust umzugehen. Frank selbst hatte sich über den Tod des Mädchens noch nicht allzu viele Gedanken gemacht, vor allem, weil er wusste, dass diese mit Schmerzen verbunden sein würden. Er hatte sie wirklich gemocht. Karin war für ihn so etwas wie eine kleine Schwester gewesen, obwohl er kaum älter war als sie. Er wusste, dass irgendetwas Dunkles in ihrer Vergangenheit war. Ihre scheinbar unerschöpfliche Fröhlichkeit war nur eine Maske gewesen. Doch sie hatte nie über ihre Probleme gesprochen. So sehr er sich auch bemüht hatte, sie zum Reden zu bewegen, aus dem Mädchen war nichts herauszubekommen. Jedes Mal, wenn er ihr diesbezüglich eine Frage stellte, wich sie ihm aus oder ignorierte ihn ganz einfach. Dabei ließ allein die Tatsache, dass sie stets lange Kleidung trug - auch im Hochsommer - vermuten, dass sie etwas zu verbergen hatte. Doch mehr als das wusste eigentlich niemand über sie, wahrscheinlich nicht einmal Gregor. Sie war für alle nur die immer freundliche, höfliche, hilfsbereite und glückliche SERAPHIM-Pilotin gewesen. Der Einzige, der vielleicht die Chance auf einen Blick hinter Karins Fassade hatte, war möglicherweise Kensuke. In diesem Moment wurde Frank bewusst, dass er seinen Gast beinahe vergessen hätte und blickte auf. Doch Kensuke schien von seiner geistigen Abwesenheit keinerlei Notiz genommen zu haben. Er schaute nur gedankenverloren vor sich hin. Doch dann, von einem Moment auf den anderen, schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Er blickte Gregor fest in die Augen und nickte leicht. "Ja", sagte er. "Ich habe sie geliebt. Mit allem, was ich bin. Mit allem, was mich ausmacht." Frank nickte ebenfalls. "Auch wenn du sie nur ein paar Stunden lang gesehen hast, kennst du sie vielleicht besser als jeder andere hier." "Sie hat mir ein paar... dunkle Geheimnisse verraten." "Dennoch...", Frank zögerte einen Augenblick. "Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt... Hast du schon einmal etwas von Projekt 862702 gehört?" Kensuke nickte. "Mein Vater hatte daran mitgearbeitet. Ich habe allerdings keinen blassen Schimmer, worum es dabei ging." "Um ehrlich zu sein, ich weiß es auch nicht", sagte Frank. "Allerdings ist diese Nummer identisch mit dem Index von Karins Akte in der Personaldatenbank von SEELE." "Was?" "Genau. Irgendetwas hatte SEELE mit ihr geplant. Ich habe keine Ahnung, was. Ich glaube allerdings kaum, dass sie ihr in irgendeiner Weise Schmerzen zufügen wollten. Das würde ich Gregor in keinem Fall zutrauen. Vielleicht ging es um eine Verbesserung der Synchronrate. Vielleicht war es auch etwas völlig anderes." Er schüttelte den Kopf. "Ich weiß es wirklich nicht. NERV hat ja auch immer irgendwelche Forschungen mit einen Piloten betrieben, ohne ihnen dabei unbedingt zu schaden." "Also hat mein Vater überhaupt nicht für NERV, sondern für SEELE gearbeitet.." Frank zuckte mit den Schultern. "Möglich. Heutzutage weiß man von niemanden mehr, für wen er eigentlich arbeitet." Er machte eine kurze Pause, als wollte er überlegen, wie er im weiteren Verlauf ihres Gespräches vorzugehen habe. "Doch das ist nicht das, worauf ich eigentlich hinauswollte. Karin besaß zwar einen Eintrag in der Datenbank, allerdings war dieser leer." "Was hat das zu bedeuten?" "Im Prinzip hat niemand eine Ahnung, wer sie ist, wer ihre Mutter war oder wie SEELE sie aufgespürt hat. Sie ist ganz einfach nur da, keiner weiß, woher sie kommt. Man bekommt sogar das Gefühl, dass sie es nicht einmal selbst weiß. Zwar ist Stefan Maishima ihr Vater, aber viel hilft das auch nicht weiter. Er selbst hält sich zu diesem Thema bedeckt und hätten die beiden nicht denselben Nachnamen, könnte man aus ihrem Verhalten schließen, dass sie sich völlig fremd sind. Aber eines ist klar: sie ist die geborene SERAPHIM-Piloten. Ihr macht niemand etwas vor. Doch wie SEELE sie gefunden hat, ist unklar. Und dann ist da die Art, wie sie sich benimmt und kleidet. Als wäre sie völlig durcheinander..." Frank schüttelte leicht den Kopf. Auf ihren Versuchen, Fragen, die sich direkt auf ihre Vergangenheit bezogen, zu umgehen. war sie für diejenigen, die sich die Mühe machten, sie genauer zu beobachten, immer näher an den Rand der Unglaubwürdigkeit gerutscht. Immer wieder widersprach sie sich selbst und das Lächeln, das sie ständig zur Schau trug, bröckelte Stück für Stück ab, so dass die tiefen Schmerzen darunter mehr und mehr zum Vorschein kamen. Doch nur Wenige achteten darauf. Manchmal fragte er sich, ob er womöglich der Einzige war, der sich ernsthaft über dieses Mädchen Gedanken gemacht hatte. Kensuke schnaubte und Frank begriff, dass es eine Art Antwort auf das war, was er zuvor gesagt hatte. "Wenn du wüsstest..." Frank überlegte einen Augenblick, was er darauf antworten sollte. Karin schien sich Kensuke tatsächlich anvertraut zu haben. Einerseits wunderte ihn das, da sie sich nie zuvor jemandem geöffnet hatte, andererseits konnte er es aus exakt demselben Grund auch verstehen. Wenn sich der Frust und die Schmerzen über Jahre hinweg angestaut hatten, reichte bereits ein kleines Ventil, die geringste Hoffnung auf Linderung aus, um sie zu dem Entschluss zu bringen, mit jemandem darüber zu reden. Dann schüttelte er den Kopf. "Das ist genau der Punkt. Ich habe versucht, mit ihr zu reden und davon sie zu überzeugen, dass es besser für sie wäre. Ich habe wirklich alles versucht. Ohne Erfolg. Ich weiß eben NICHT, was los war. Ich habe keine Ahnung, was Karin bedrückte." Ihm waren Tränen in die Augen gestiegen, obwohl er es eigentlich nicht wollte. "Ich habe keinen blassen Schimmer. Sie WOLLTE mir nichts sagen." Langsam beruhigte er sich wieder. "Sie wollte niemandem etwas sagen, stimmt's?" fragte Kensuke. "Wenn sie dir nichts erzählt hat, was augenscheinlich nicht der Fall ist, hat sie ihr Geheimnis mit ins Grab genommen", bestätigte ihn Frank. "Ich denke, dass selbst Gregor nicht weiß, was mit ihr los war, obwohl er sonst alles zu wissen scheint. Andererseits... hat er wirklich viel zu tun. Und ich bin sicher, dass er Mittel und Wege kennt, es aus ihrem Kopf herauszuholen, allerdings traue ich ihm nicht zu, dass er diese tatsächlich einsetzt." Kensuke blickte ihn plötzlich mit einer nie da gewesenen Intensität an. Ihm war unvermittelt ein Gedanke gekommen. "Das ist jetzt zwar ein etwas abrupter Wechsel", sagte er. "Aber weißt du etwas über jemanden namens Eridastoh?" Frank zuckte kurz zusammen. Eridastoh... Karin... diese Verbindung gefiel ihm überhaupt nicht. Wieso hatte er nur das Gefühl, dass hinter dieser ganzen Sache noch viel, viel mehr steckte? Er nickte bedächtig. "Vor ein paar Wochen, recht kurz bevor du hier angekommen bist, kursierten ein paar Gerüchte über diesen Namen. Es handelt sich dabei angeblich um eine Art Engel. Vielleicht hast du auch schon bemerkt, dass Gregor kein gewöhnlicher Mensch ist. Ich meine, welcher fünfzehnjährige Teenager leitet schon solch eine Organisation wie SEELE? Manche Menschen glauben sogar, dass auch er ein Engel sein soll." Frank schien einen kurzen Augenblick lang nachzudenken. "Vielleicht hast du auch schon davon gehört, dass er manchmal unter dem Decknamen ,Aristoh' operiert." Kensuke fiel fast aus seinem Sessel. "Aristoh?" fragte er mit einer Stimme, die nach einer seltsam bemerkenswerten Mischung aus Schreien und Krächzen klang. Sein Gegenüber blickte ihn fassungslos an. Sollte es am Ende etwa stimmen? Den Gerüchten zufolge sollte sich Eridastoh vor allem durch eine bestialische Unbarmherzigkeit und Grausamkeit auszeichnen. Wenn ein derartiges Monster tatsächlich existierte... Bereits der Gedanke daran fröstelte ihn... und doch... irgendwie war er sich sicher, dass es wirklich wahr sein musste. Aristoh und Eridastoh., zwei beinahe gleichstarke, gewaltige Monster, die mit dem Krieg zwischen sich in der Lage waren, ganze Sonnensysteme zu vernichten. Glücklicherweise schien Aristoh auf ihrer Seite zu sein - nicht nur das. er schien die Menschen auch als gleichberechtigte Partner und nicht nur als seine Untergebenen anzusehen. Seinem Gesichtsausdruck zufolge musste Kensuke soeben zu denselben Schlüssen gelangt sein. Oder besser, zu noch viel schlechteren, als er selbst. Kensuke wusste etwas über den Kampf zwischen den beiden Überwesen, das sehr beängstigend war. "Weißt du etwas über diesen Eridastoh?" fragte Frank vorsichtig. Kensuke benötigte einen Augenblick, um sich auf seine Antwort vorzubereiten. "Nicht wirklich viel", sagte er dann. "Nur, dass er in der Lage ist, Menschen zu kontrollieren. Allein mit seinem Willen." Sein Blick verdüsterte sich. "Und.. dass er allem Anschein nach so etwas wie der Erzrivale von Aristoh ist." Die Kälte in seiner Stimme hatte inzwischen den absoluten Nullpunkt fast erreicht. "Und dass er..." Kensuke stockte. Einen Moment lang hatte er Schwierigkeiten, weiterzusprechen, doch er fing sich bald wieder. "Und dass er Karin benutzt hat, um Aristoh Schaden zuzufügen oder ihn zumindest aus der Reserve zu locken." Ein grimmiges Lächeln umspielte seine Lippen. "Was allerdings nicht funktioniert hat, da sie niemandem etwas davon erzählte." Seine Stimmung schwang plötzlich in Niedergeschlagenheit um. "Außer mir..." er blickte zu Boden. "Ich hatte ihr versprochen, sie zu beschützen." Seine Stimme wurde brüchig. "Ich hätte alles getan. Ich hätte mein Leben geopfert, um ihres zu retten." Er schwieg einen Moment. "Doch ich habe versagt." Plötzlich empfand er nur noch Verbitterung und Selbstmitleid. "Wie schon so oft." Frank brauchte eine Weile, um all diese Informationen zu verdauen. Er konnte sich nur vage vorstellen, was Karin vor ihrem Tod alles durchleiden musste. Er hatte auch keine Ahnung, über wie viele Jahre sich dieser Leidensweg bereits hingezogen hatte. Und, um ehrlich zu sein, wollte er es auch gar nicht wirklich wissen. Doch nun fiel ein weiteres Puzzleteil an seinen Platz und passte sich perfekt in das Gesamtbild ein. Karin hatte ihnen ihre Probleme nicht verschwiegen, weil sie - wie er bislang angenommen hatte - die anderen nicht damit belästigen wollte, sondern schlicht und einfach, weil sie verhindern wollte, dass Eridastoh durch diese Aktionen sein Ziel erreichte. Hätte sie sich eher jemandem anvertraut, wäre dies mit Sicherheit irgendwie bis zu Aristoh durchgedrungen. Der wäre auf jeden Fall dagegen vorgegangen und hätte sich höchstwahrscheinlich irgendeine Blöße gegeben, wenn sie auch noch so klein war. Dies wiederum hätte Eridastoh die Chance gegeben, ihnen erheblichen Schaden zuzufügen. Also hatte sie all die Jahre geschwiegen und erst kurz vor ihrem Tod Kensuke davon erzählt. Ob sie vielleicht gewusst hatte, dass es zu dem Unfall kommen würde? Andererseits... hätte sie Kensuke damit auf egoistischste Art und Weise wissentlich wehgetan, und das traute Frank ihr eigentlich überhaupt nicht zu. Wahrscheinlich hatte sie einfach nicht mehr ausgehalten. Und als Kensuke ihr signalisierte, dass er sie mochte und sich um sie sorgte, noch bevor er auch nur den Hauch einer Andeutung dessen, was mit ihr los war, überhaupt mitbekommen konnte, war das Fass ganz einfach übergelaufen und sie hatte sich ihm geöffnet. Damit hatte er - ohne es zu wissen - etwas erreicht, mit dessen Unmöglichkeit sich ganz Dresden eigentlich schon abgefunden hatte, denn jeder in der Stadt hatte des seltsame, immer augenscheinlich so fröhliche Mädchen gekannt oder zumindest von ihr gehört. Mit diesen Gedankengängen wurde ihm plötzlich siedend heiß bewusst, was für eine Gefahr eigentlich von Eridastoh ausging. Nicht nur, dass er zumindest genau so viel Macht und Energie wie Gregor respektive Aristoh zu besitzen schien, vielleicht noch mehr - was angesichts der Umstände, die der Kommandant von SEELE mit dem Bau der SERAPHIM-Einheiten auf sich nahm, sogar recht wahrscheinlich war -, er war auch noch so voll von Tücke und Boshaftigkeit - was vor allem durch die Taten, die er gegen Karin begangen hatte, impliziert wurde -, dass man sich fragen musste, ob es überhaupt Mittel gegen eine derartig subtile Vorgehensweise gab, vor allem solche, die unter den aktuellen Umständen angewendet werden konnten. Wer weiß, wie viele ähnliche oder sogar mit diesem identische Abläufe und Schicksale sich innerhalb SEELEs bereits ereignet hatten, ohne dass jemand irgendeine Notiz davon nahm. Vielleicht hatte er es sogar geschafft, dem einen oder anderen den Kopf derartig zu verdrehen, dass er sie oder ihn auf seine Seite ziehen konnte - womit sich möglicherweise Dutzende potentielle Mörder, Attentäter und Saboteure unerkannt unter ihnen befanden. Dies war in Franks Augen die größte Gefahr. Nicht einmal SEELEs Kommandoriege wäre dagegen gefeit. Vielleicht war Eridastoh sogar in der Lage, Gregor so zu manipulieren, dass dieser unbewusst gegen seine eigenen Ziele und damit für die seines Gegners arbeitete. Andererseits erschien ihm dieser Gedanke dann doch zu abwegig. Ein solches Vorgehen wäre ein perfekter Geniestreich gewesen und das traute er dem Gegner dann doch nicht zu. Andererseits konnte man sich heutzutage mit absolut nichts mehr sicher sein. Im Moment machte es sowieso keinen Sinn, sich über derartige Dinge Gedanken zu machen. Bei SEELE liefen die Vorbereitungen für den finalen Kampf auf Hochtouren, obwohl niemand außer Gregor wusste, gegen wen oder was eigentlich gekämpft werden sollte. Da jedoch keiner an den Fähigkeiten des Kommandanten zweifelte, stellte auch niemand diesbezügliche Fragen. Dennoch interessierten sich natürlich alle brennend dafür, und Frank konnte sich lebhaft vorstellen, worum es in den allabendlichen Diskussionen in den Bars und Pubs ober- und unterhalb der Erdoberfläche ging. Doch niemand würde je auf die Idee kommen, den Befehl seines vorgesetzten und damit - wenn man in der Kommandostruktur bis ganz nach oben ging - Gregors Befehl in Frage zu stellen. Absolute Loyalität gegenüber dem Kommandanten war eines der Grundprinzipien, auf denen die Basisstruktur der Organisation von SEELE aufbaute. Und in der Vergangenheit hatte sich oft genug erwiesen, dass der von Gregor mit seinen zum Teil seherischen Fähigkeiten eingeschlagene Kurs immer der richtige gewesen war. Warum sollte man ihm also nicht blind vertrauen? Doch genau darin bestand ein enormes Gefahrenpotential, falls es Eridastoh tatsächlich gelingen sollte, ihn zu manipulieren... An dieser Stelle unterbrach Frank sich selbst, da er merkte, dass sich seine Gedanken im Kreis drehten. Ein Problem zog das nächste nach sich, wie eine Reihe aufgestellter Dominosteine. Stieß man den ersten um, folgten die anderen automatisch. Er seufzte. Es war zwecklos. Er konnte absolut nichts tun, außer abzuwarten, was passieren würde. Vor diesem Wall aus Problemen und tatsächlichen sowie potentiellen Gefahren musste er passen. Es gab einfach zu viele Variationen und Möglichkeiten. Man konnte sich nicht gegen alle absichern. Kensuke schien sich inzwischen auch seine Gedanken gemacht zu haben, allerdings war es unmöglich zu sagen, worüber. Doch auch er schien zu dem Schluss gekommen zu sein, dass es keinen Sinn machte, weiter darüber nachzugrübeln und straffte sich unwillkürlich ein wenig. Dann blickte er Frank direkt in die Augen. "Du hast Karin viel länger gekannt als ich", sagte er dann. "Was war sie für ein Mensch? Ich meine, einmal abgesehen von all diesen mystischen Dingen, die sie umgaben." Frank musste schmunzeln. Das war mit Sicherheit ein angenehmeres Gesprächsthema. "Nun, im Großen und Ganzen war sie ein höfliches, hilfsbereites und fröhliches, aber auch sehr zurückhaltendes Mädchen. Ich meine, ich habe Momente mit ihr verbracht, in denen sie wirklich glücklich war und all ihre Sorgen vergessen hatte. Meistens dann, wenn Karin, meine Freundin und ich etwas gemeinsam unternommen haben." "Du hast eine Freundin?", unterbrach ihn Kensuke. Frank grinste. "Ja. Leider arbeiten wir in unterschiedlichen Schichten, so dass wir nur selten unsere Freizeit gemeinsam verbringen können. Wenn es allerdings dazu kam, haben wir immer versucht, Karin irgendwie mit einzubeziehen. Meistens haben sich dann die beiden Mädchen gegen mich verbündet und versucht, mich durchzukitzeln, was immer darin endete, dass wir quer über den Boden kugelnd die Hälfte der Einrichtung des jeweiligen Quartiers - zu meinem Leidwesen meistens meines - zu Kleinholz verarbeitet haben. War allerdings kein Problem, mein Gehalt ist ganz erklecklich." Sie waren, während Frank erzählt hatte, aufgestanden und langsam zum Fenster gegangen, von wo aus sie einen wundervollen Blick in eine matt beleuchtete, natürliche Tropfsteinhöhle hatten. "Allerdings", fuhr Frank fort und er bemerkte, wie das warme Lächeln, dass sich um Kensukes Lippen gebildet hatte, allmählich wieder verschwand. "Allerdings glaube ich, dass diese seltenen Moment die einzigen wirklich glücklichen in ihrem Leben waren." Er machte eine kurze Pause, um seine Worte einwirken zu lassen. "Sie besaß eine Art scheue Zurückhaltung, die ihr den Kontakt zu anderen Menschen verwehrte. Es gab wirklich nur einen einzigen Weg, eine Freundschaft mir ihr zu bilden: indem man direkt und ohne Umschweife auf sie zuging und ihr sagte, was man von ihr wollte. Von sich aus redete sie so gut wie nie mit Anderen, von knappen Begrüßungen und Verabschiedungen einmal abgesehen." Er machte erneut eine kleine Pause. "Hatte man sie aber erst einmal als Freundin gewonnen, dann stand sie einem allerdings in jedem Fall zur Seite. Als wir einmal in einem Laden ein paar Schokoriegel kaufen wollten, ohne dafür Geld zu bezahlen, und dabei erwischt wurden, hat sie sogar ihren militärischen Rang als SERAPHIM-Pilotin ins Gewicht geworfen, um den Besitzer davon abzuhalten, Anzeige gegen uns zu erstatten. Das war kreuzgefährlich. SEELE hätte sie dafür rauswerfen können. Doch sie hat es ohne zu zögern getan. Kensuke musste unwillkürlich schmunzeln, als er das hörte. Irgendwie passte es voll und ganz zu Karin. "Ansonsten", setzte Frank seine Ausführungen fort, "war sie meistens allein. Wir beiden waren ihre einzigen Freunde. Abgesehen von dir natürlich. Allerdings gab es da noch eine bemerkenswerte Ausnahme. Karin spielte mit einer faszinierenden Leidenschaft Tennis. Sie war sogar die..." Frank stoppte, als er bemerkte, dass Kensuke sich versteifte und sein Blick plötzlich an Schärfe verlor. "Was hast du?" fragte er. Doch Kensuke konnte nicht antworten. Ihm war, als würde er in ein endlos tiefes, schwarzes Loch fallen. Vor seinem geistigen Auge wiederholte sich immer wieder die gleißende Explosion, tanzten immer wieder die Totenschädel mit ihren rot glühenden Augen. Wie in einer Endlosschleife rauschte mit atemberaubender Geschwindigkeit der Traum vorbei, der ihn in den letzten Wochen immer wieder heimgesucht hatte. Doch nach einer Weile klärten sich die verschwommenen Bilder wieder. Erneut fiel ein Puzzleteil an seinen Platz, schloss sich eine Lücke in der Lösung des Rätsels Karin Maishima. Sie hatte Tennis gespielt. Das erklärte, warum er ausgerechnet diese Träume hatte. Das erklärte aber nicht, woher er es schon zuvor gewusst hatte. Oder hatte er es nur geahnt? Hatte Karin ihm aus dem Reich der Toten eine Nachricht gesendet? Er schüttelte den Kopf. Jedes Kind, das nach dem Second Impact geboren wurde, wusste, dass es keinen Himmel und kein Paradies gab. Wahrscheinlich gab es nicht einmal eine Hölle. Menschen, die starben, hörten einfach auf, zu existieren. Das war alles. Das Gerede von Engeln, die die Erde angriffen und vor allem der Glaube daran bildeten einen Kontrast voller Ironie zur eigentlichen Realität. Wie die Kirche hatte der Glaube an Gott aufgehört zu bestehen und dennoch hielten ein paar arrogante, vereinzelte Individuen daran fest, als würde er ihnen einem Lebenselixier ähnlich Unsterblichkeit garantieren. Bei diesen Vereinzelten handelte es sich allerdings keinesfalls um einfache Menschen, denen man jeden Tag auf der Straße begegnen konnte, sondern um hohe Köpfe in Wirtschaft, Wissenschaft und Industrie, die vor lauter Geld die Hand vor Augen nicht mehr erkennen konnten. Für die normalen Menschen hatten die alten Werte allerdings schon lange keinen Bestand mehr. In weit über 95 Prozent aller Länder der Erde - oder dem, was von ihnen nach dem Second Impact noch übrig war - waren Armut und Reichtum nichtig und Wörter wie Wohlstand aus den Köpfen der Menschen verschwunden. Elend regierte die Welt. Doch über den Schicksalen Tausender wurde das Schicksal Einzelner unwichtig. Damit schwebten Kensukes Gedanken zurück zu Karin. Ja, er hatte sie wirklich geliebt. Und er würde sie sein Leben lang nicht vergessen. "...nsuke? Was ist mit dir los?" Er erwachte aus seiner Lethargie, alarmiert durch Franks besorgten Ruf. Der andere Junge stand ihm gegenüber, hatte ihn an den Schultern ergriffen und schüttelte ihn leicht, als ob er ihn aus einer Ohnmacht aufwecken wollte. Kensuke lächelte schmal. "Ja, alles in Ordnung. Nur ein weiteres Puzzleteil, das an seinen Platz gefallen ist. Und eine neue Frage." "Aha. Willst du mir verraten, welches Teil?" "Ein Alptraum, der mich seit Wochen plagt. Jetzt weiß ich zumindest teilweise, was er bedeuten könnte." Frank hob eine Augenbraue. "Ein Alptraum?" fragte er. Kensuke nickte. "Ja. Eigentlich ziemlicher Schwachsinn. Ich möchte auch nicht unbedingt darüber reden. Fakt ist, dass Karin darin Tennis gespielt hat. Ich habe nur keine Ahnung, wie mein Unterbewusstsein an diese Information gekommen sein soll." Sein Gegenüber nickte nun ebenfalls. "Und das ist deine neue Frage. Das scheint ein gängiges Problem der heutigen Zeit zu sein. Je mehr Informationen wir herausfinden, desto weniger scheinen wir zu wissen. Für jede Antwort, die wir bekommen, entstehen mindestens zwei neue Fragen." Er überlegte kurz, wie er fortfahren sollte. "Ich glaube kaum, dass es im Moment viel Sinn macht, in diese Richtung weiter zu forschen. Du wirst immer wieder ein Teil finden, mit dessen Hilfe du das Gesamtbild vervollständigen kannst. Ich denke, vor allem Karin wird uns noch eine Weile beschäftigen." Er legte Kensuke die Hand auf die Schulter. "Du hast es geschafft, ihr Herz zu erobern. Du hast es geschafft, sie wirklich glücklich zu machen. Es spielt keine Rolle, ob nur für wenige Stunden oder für viele Jahre. In deinen Armen war sie zufrieden und glücklich. Niemand sonst ist dies jemals zuvor mit einem derartig durchschlagenden Erfolg gelungen. Denke immer daran. Du hast nicht versagt. Im Gegenteil - es gibt keine Möglichkeit, wie du es hättest besser machen können." Ein leichtes Leuchten bildete sich in Kensukes Augen. Aus dieser Perspektive hatte er die Sache noch nicht betrachtet. Auch wenn er sich selbst noch immer als Versager fühlte, bestand immerhin die Möglichkeit, dass Karin ihn nicht als einen solchen betrachtete. Vielleicht hatte er sie wirklich in einer gewissen Weise erlöst. "Natürlich hatte Karin auch ihre Eigenheiten", fuhr Frank schließlich mit seiner Erzählung über das Mädchen fort. "Obwohl sie immer nur Jungenklamotten anhatte, trug sie zum Beispiel einen Ring im linken Ohr. Zusammen mit dem Kopftuch gab es ihr fast das Aussehen eines Piraten. Es gab noch viele weitere Details an ihr zu bemerken, auch wenn man lange und intensiv danach suchen musste..." "Ja", stimmte Kensuke ihm zu. "Wie auch dieser niedliche Leberfleck an ihrem rechten Knie..." Frank stutzte. "Wie um alles in der Welt kannst du so etwas wissen?" Kensuke wurde von einem Augenblick auf den anderen hochrot. "Sie... sie hat mir davon erzählt!" stieß er hervor. Er konnte dem Anderen doch unmöglich schildern, wie Karin sich vor seinen Augen bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte, um ihm die Narben als Folge von Eridastohs Misshandlungen an ihrem Körper zu demonstrieren. Mehr noch, er hatte all seine Überredungskunst und Überzeugungskraft aufbringen müssen, um sie davon abzuhalten, auch noch diese letzten Stückchen Stoff abzulegen. Doch noch während sie ein paar Minuten lang heiß darüber diskutierten, inwiefern diese Narben ihren Wert als Individuum verminderten - oder eben auch nicht, wie Kensuke meinte - war er nicht in der Lage gewesen, seine Augen auf ihre zu heften und sie davon abzuhalten, ihren Körper entlang zu wandern. Egal, wie sehr sie behauptet hatte, ein hässliches und uninteressantes Mädchen zu sein, sie war verdammt attraktiv. Die Narben waren nicht einmal ansatzweise in der Lage, die Schönheit ihres jungen, wohlgeformten und schlanken Körpers zu verbergen; zumindest seiner Meinung nach - und das reichte ihm völlig aus. Als er ihr erklärte - und sie allmählich auch begriff, dass ihm die Meinung anderer über sie und sogar ihre eigene über sich selbst gleichgültig war, nahm auch ihr Gesicht eine tiefe Rotfärbung an. Wenn Kensuke Aida in Karin Maishima ein hübsches, attraktives und faszinierendes Mädchen, ja fast schon eine wunderschöne junge Frau sah, war niemand - nicht einmal sie selbst - in der Lage, etwas daran zu ändern. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, dass sie ihm auf eine ihr nicht bewusste Weise - also keinesfalls Beteuerungen und halbherzige Überredungsversuche - zeigte, dass all das, was sie ihm über sich selbst erzählte, tatsächlich stimmte. Sie hätte sich selbst und damit letztendlich auch ihn verraten müssen. Und je mehr sie versuchte, ihn davon zu überzeugen, dass sie das letzte Mädchen war, mit dem ein normaler Junge zusammen sein wollte, desto sicherer wurde er, dass sie sich all ihre Argumente mehr oder weniger nur einbildete. Und er war sich genauso sicher, dass jeder andere Junge, dem sie einen solchen Einblick gewährt hätte, ebenfalls zu diesem Schluss gekommen wäre. Das wiederum bedeutete, dass er unheimliches Glück hatte, dass ausgerechnet er derjenige gewesen war, dem es als erstes gelungen war, die Mauer, die sie um sich errichtet hatte, zu erklimmen. Doch das warf bereits wieder eine neue Frage auf: Warum war Frank dies nicht gelungen, obwohl er es doch augenscheinlich über Monate und Jahre hinweg versucht hatte? Vielleicht lag es daran, dass Karin zu Beginn möglicherweise geglaubt hatte, dass sein Interesse an ihr rein beruflicher Natur war. Als er sich dann von der Vergeblichkeit dieses Unterfangens überzeugt hatte, suchte er sich eine andere Freundin und Karin war von da an nur noch das fünfte Rad am Wagen. Kensuke glaubte zu wissen, wie sie sich in dieser Situation gefühlt haben musste, schließlich war er selbst jahrelang ein Außenseiter gewesen. Doch im Nachhinein wurde er sich bewusst, dass er nur einen kurzen, blitzlichtartigen Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt hatte erhaschen können. Ihren eigentlichen Charakter, ihr wirkliches Wesen und vor allem ihre Vergangenheit würde er niemals kennen lernen. Mit dem Mädchen selbst würde auch die Erinnerung an sie aus den Köpfen der meisten Menschen bald verschwinden und in wenigen Monaten würde kaum noch jemand wissen, dass sie überhaupt existiert hatte. Die heutige Zeit war einfach viel zu schnelllebig. In Kensuke Gedanken und Andenken allerdings würde Karin immer weiterleben. Das und die Tatsache, dass sie in seinen Armen wirklich glücklich gewesen war, wenn auch nur für ein paar Minuten, gab ihm eine Art besonderes Selbstvertrauen, einen emotionalen Aufschwung, der ihm erneut bestätigte, dass sich seine Liebe zu dem Mädchen nicht vermindert hatte, eher im Gegenteil. Er glaubte, noch immer dass schillernde, feste und unverletzliche Band zwischen ihnen zu spüren. Doch im selben Moment wurde ihm bewusst, wie sehr er sie vermisste. Je näher er sich ihr fühlte, desto unerträglicher wurden die Schmerzen. Er seufzte. Es würde wohl Jahre dauern, bis seine Wunden verheilt waren. Im Augenblick glaubte er sogar nicht einmal, dass es überhaupt dazu kommen würde. Frank hatte bemerkt, dass sein Gegenüber immer tiefer in Gedanken versunken war, hatte sich aber bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewagt, ihn dabei zu unterbrechen. Außerdem war es viel zu interessant, die vielfältigen Emotionen in seinem Gesicht zu lesen. Kensuke schaute auf und bemerkte Franks Blick. Unwillkürlich musste er lächeln. "Wie viel würdest du für meine Gedanken bieten?" fragte er. "Deinem Gesichtsausdruck nach müssen sie unbezahlbar sein." Kensuke setzte ein breites Grinsen auf. "Das ist allerdings wahr. Um deine vorherige Frage aber vielleicht doch noch zu beantworten: Ich habe wahrscheinlich als einziger Mensch auf diesem Planeten außer ihr selbst das Privileg genossen, von Karins Haut mehr als nur die ihrer Hände und die ihres Gesichtes gesehen zu haben." "Wie viel mehr?" "Das... möchte ich dann lieber doch für mich behalten", antwortete Kensuke mit verschmitztem Lächeln. In eben diesem Augenblick meldete sich die Kommunikationsanlage in Franks Quartier mit einer Durchsage zu Wort. "An das gesamte Personal", konnte man Gregors leicht verrauschte Stimme über die Lautsprecher hören. "Erste Welle gegen NERV startet in fünfzehn Minuten." Frank dachte nach. Gegen NERV, also. Doch er war sich sicher, dass dies nicht das wirkliche Ziel war. Kensuke straffte sich. "Jetzt kommt wohl mein großer Auftritt." Er lächelte schief. "Mal sehen, was mein Programm taugt..." --------- 133 --------- Stefan Maishima stand in seinem Büro am Fenster und schaute hinunter in dieselbe Tropfsteinhöhle, die auch schon Frank und Gregor zuvor betrachtet hatten. Doch die Vielzahl an Stalaktiten und Stalagmiten - er konnte nie auseinander halten, welche welche waren, die, die an der Decke hingen oder die, die scheinbar aus dem Boden wuchsen - konnte er nicht bewundern. Seine Gedanken gingen in eine völlig andere Richtung. Er musste an seine Tochter denken. Jetzt, im Nachhinein, musste er sich eingestehen, keine Ahnung zu haben, was für ein Mensch Karin gewesen ist. Er hatte - abgesehen von ihren Geburtstagen, und selbst an denen nur selten - so gut wie keinen Kontakt zu ihr gehabt. Ständig waren irgendwelche dringenden Aufträge und Missionen dazwischen gekommen, wenn er eigentlich einen freien Nachmittag für sich und seine Tochter hatte reservieren wollen. Manchmal glaubte er sogar, dass Gregor dies mit Absicht tat. Allerdings wusste er natürlich genau, dass es nicht so war. Einen Moment dachte er zurück an die Zeit vor dem Second Impact, vor den Engeln und, vor allem, die Zeit vor Gregor Argusow. Die Zeit, in der er noch ein beschauliches Informatikunternehmen unter dem Namen "SEELE" gemeinsam mit seinem Freund Lorenz Kiel geführt hatte. Damals war der Begriff "SEELE" eigentlich nur ein Jux gewesen und noch nicht zu einer Ikone für die einzige Hoffnung der Menschheit im Kampf gegen riesige außerirdische Invasoren gewesen. Lorenz hatte den Namen für ein IT-Unternehmen als viel zu übertrieben empfunden. Doch am Ende hatten sie sich dennoch dafür entschieden, zumal diese Bezeichnung die Suche nach einem tieferen Sinn - da man sie ja nur zu einfach für irgendeine Abkürzung eines komplizierten technischen Begriffes halten konnte - geradezu provozierte. Tatsächlich verging seit dem keine Woche, in der sie nicht auf die eine oder andere Weise gefragt wurden, was "SEELE" denn nun eigentlich bedeutete. Der Witz war, es gab keine Bedeutung. Es war schlicht und einfach das simple deutsche Wort "Seele", nur in Großbuchstaben geschrieben. Stefan musste heute noch bei dem Gedanken daran lächeln. Dies waren glückliche Tage gewesen. Es gab keine Engel, keine EVAs und SERAPHIMs, keinen Gregor Argusow und... Er zögerte bei diesem Gedanken einen Moment. Doch es stimmte. Es gab auch keine Karin Maishima. Er versuchte, sich einen Augenblick lang an Karins Mutter zu erinnern, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen. Er glaubte nur noch zu wissen, dass sie mittellange, blonde Haare besaß. Er strich sich mit seiner Hand durch den Vollbart. Er hatte nie Zeit für seine Tochter gehabt. Zunächst hatte er sich eingeredet, dass dies nur aufgrund der wahren Flut an Terminen und Aufgaben, die er jeden Tag zu erledigen hatte, lag. Doch später war ihm bewusst geworden, dass er Angst vor ihr hatte. Tiefe, unbewusste und manchmal beinahe panische Angst. Irgendetwas war ihm an seiner Tochter nicht geheuer gewesen, genau wie auch an ihrer Mutter. Er grinste verächtlich. Er musste ein wirklicher Rabenvater gewesen sein. Panik vor dem eigenen Kind war doch tatsächlich eine pathetische Ausrede. Er könnte sich selbst dafür ohrfeigen. Doch Stefan wusste genau, dass dies nichts, absolut nichts in irgendeiner Weise ändern würde. Seine Tochter war tot und er hatte die mit Sicherheit letzte Chance, ihr trotz allem näher zu kommen, verspielt. In diesem Moment glaubte er plötzlich zu wissen, wie Ikari sich fühlen musste, wenn er an seinen Sohn dachte. Seine Gedanken wanderten zurück zu dieser geheimnisvollen Frau, mit der er ein knappes glückliches Jahr verbracht hatte. Sie waren sich nie wirklich nahe geworden und selbst, als sie sich entschieden, ein Kind zu zeugen, schien sie diesen Entschluss eher aus irgendwelchen rationellen statt emotionalen Gründen gefasst zu haben. Ihre Augen hatten nie das typische Glitzern eines frisch verliebten Menschen aufgewiesen, vielmehr war darin eine Art tiefer Schmerz präsent gewesen. Immer und jederzeit. Wie dem auch sei, kurz nach Karins Geburt - sie hatten sich schon im Vorfeld auf diesen Namen geeinigt - war sie spurlos verschwunden und hatte ihm mit dem Kind allein zurückgelassen. Stefan hatte diesen Schmerz nie so recht überwunden, denn im Gegensatz zu ihr, hatte er sie tatsächlich innig geliebt. Karins Nähe war ihm mit der Zeit unerträglich geworden, da ihre blauen Augen ihn ständig an ihre Mutter erinnerten. Das alles war kurz nach dem Second Impact geschehen, ungefähr einen Monat, nachdem SEELE seine geheime Kommandobasis hier in Dresden fertig gestellt hatte. Er hatte Karin nach und nach vernachlässigt, unter dem Vorwand, den Kampf gegen die Engel vorbereiten zu müssen. Nein, damals hatte er es wirklich geglaubt. Erst heute wurde ihm bewusst, dass er seine Tochter auf eine bestimmte Weise einfach nicht ertragen konnte. War das eine weitere Parallele zu Gendo und Shinji Ikari? Er schüttelte den Kopf. Derartige Gedanken waren absolut sinnlos. Andererseits... Stefan Maishima hatte nicht die geringste Vorstellung, was seine Tochter für ihn empfunden haben mochte. Wahrscheinlich waren ihre Gefühle für ihn zu großen Teilen von Hass, Verachtung und Enttäuschung geprägt. Doch das machte ihm nicht viel aus. Jetzt war es sowieso zu spät. In eben diesem Augenblick meldete sich die Kommunikationsanlage in Stefans Quartier mit einer Durchsage zu Wort. "An das gesamte Personal", konnte man Gregors leicht verrauschte Stimme über die Lautsprecher hören. "Erste Welle gegen NERV startet in fünfzehn Minuten." Er schnaubte als Antwort verächtlich durch die Nase. NERV, natürlich. "Erste Welle" - so ein Unfug. Befreiungsversuch - und dazu fast noch ein pathetischer - wäre wohl passender gewesen. Das Schicksal der Menschheit in die Hände eines einzigen Jungen zu legen - eines seelisch seit dem Tod Karins schwer angeschlagenen Jungen - war in Stefans Augen völliger Schwachsinn. Aber sollten sie doch seine Warnungen und Hinweise in den Sand schlagen. Gregor würde am Ende wahrscheinlich sowieso wieder Recht haben. Doch er - Stefan - würde das nicht mehr miterleben müssen. Langsam, aber ohne zu zögern, öffnete er die rechte Schublade seines Schreibtisches und nahm seine Dienstwaffe heraus. Der Schuss war nur als ein gedämpftes Geräusch zu hören, auf das niemand aufmerksam wurde. Erst als die Putzkräfte zwei Stunden später anrückten, fanden sie Stefan Maishimas blutüberströmten Körper. Der Teppich hatte eine dunkle Rotfärbung angenommen. Der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen. --------- 134 --------- Rei Ayanami saß auf der Pritsche ihrer Zelle und starrte mit ausdruckslosen Augen auf die gegenüberliegende Wand. Hätte sie jemand beobachtet, so wäre er zu dem Schluss gekommen, Rei wäre in sich selbst zurückgekehrt und hätte wieder ihr altes Ich nach außen gestülpt. Es sei denn, dieser Jemand wäre Shinji gewesen. Er hätte als einziger Mensch das leichte Flackern in ihren Augen, dass sich dort trotz der Ausdruckslosigkeit zeigte, erkannt. Und er wäre auch in der Lage gewesen es richtig zu deuten: in Reis Innerem war ein wahrer Gefühlssturm am wüten. Auch Rei war über die Dreistigkeit, die NERV sich erlaubte, mehr als nur erzürnt gewesen. Schließlich würde es ohne sie und Asuka keine Menschheit mehr geben. Wie konnten sie es wagen, sie festzunehmen? Doch in gewisser Weise war es bezeichnend für NERVs und - vor allem - Ikaris Überheblichkeit. Sicher hatten auch die anderen Piloten zum Erfolg beigetragen, vornehmlich Shinji. Doch war das ein Grund, sie einzusperren? Weiterreichen streng geheimer Technologie an Dritte? Schwachsinn. SEELE war schon seit Jahren dank Omega NERV mehrere Schritte voraus... Allerdings machten diese Gedanken im Moment keinen Sinn. Sie wunderte sich lediglich, dass Gregor für einen Fall wie diesen keine Vorkehrungen getroffen hatte. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Andererseits konnte auch er nicht alles vorhersehen... Rei musste plötzlich wieder an Karin denken. Sie hatte von Anfang an geglaubt, eine Art Band zwischen ihnen zu spüren. Sie beide hatten eine verschlossene Lebensweise gezeigt. Auch wenn es Rei gelungen war, dieses Defizit mit Gregors Hilfe zu überwinden, konnte sie sich dennoch ungefähr vorstellen, was in Karins Innerem vorgegangen war. Doch da war noch etwas... eine Art Seelenverwandtschaft zu dem Mädchen, die sie sich einfach nicht erklären konnte. Sie hatten sich von Beginn an gut verstanden, als würden sie sich bereits ein Leben lang kennen. Als ob sie Geschwister wären, die sich nach vielen Jahren wieder gefunden haben, ohne überhaupt voneinander gewusst zu haben... Aber Rei wusste, dass dieser Gedanke sinnlos war. Im Gegensatz zu ihr hatte Karin immerhin einen richtigen Vater, egal ob er sich so verhielt oder nicht. Sie selbst konnte eine solche Person nicht vorweisen. Obwohl Gendo Ikari für sie bis zu einem gewissen Punkt eine Bezugsperson darstellte, war sie nie in der Lage gewesen, eine Art Bindung zu ihm aufzubauen. Im Prinzip war sie nie zu so etwas in der Lage gewesen. Erst als Gregor auf sie zugegangen war, begann sie den Sinn des Lebens zu verstehen. Auch Shinji hatte ihr zunächst gezeigt, dass er sich um sie sorgte und sie mochte, nicht nur als befreundeter EVA-Pilot sondern auch als Mensch. Es war also immer zunächst nötig gewesen, auf sie zuzugehen, bevor Rei eine Bindung zu einem Menschen aufbauen konnte. Doch bei Karin war es anders gewesen. Sie hatte das Mädchen einfach auf den ersten Blick in ihr Herz geschlossen. Vielleicht weil sie sich so ähnlich waren... Rei musste schmunzeln, als sie an ihren ersten gemeinsamen Ausflug an der Oberfläche erinnerte. Karins Gesicht war einfach zu köstlich gewesen, als sie bemerkte, dass Rei immer ein "Ersatzkleid" mit sich herumtrug. Bei dem Gehalt, das man als SERAPHIM-Pilot bekam, konnte man sich so etwas auch wahrlich leisten. Karin hatte es dennoch nicht getan, sondern einen Großteil ihres Einkommens einer Kinderhilfsorganisation gespendet. Allein das erschien Rei bereits merkwürdig, doch sie hatte sich nicht allzu sehr damit beschäftigt. Im Nachhinein bereute sie das, möglicherweise hätten tiefere Nachforschungen in dieser Richtung ein paar interessante Details zu Tage befördert. Aber nun wäre auch das vergebens. Karin war tot und stand nicht länger auf SEELEs Gehaltsliste. Mitleid brachte nun nichts mehr. *** Eine Zelle weiter hatte Asuka Soryuu Langley zur selben Zeit fast dieselben Gedanken. Doch drehten sich diese weniger um Karin - schließlich hatte sie, zugegeben bedauerlicherweise, sie so gut wie überhaupt nicht gekannt - als um Gregor. Das rothaarige Mädchen glaubte nicht, dass es bislang irgendeinem Menschen gelungen war, aus ihm schlau zu werden, sie selbst eingeschlossen. Sie spürte, dass er die Nähe zu ihr suchte, und trotzdem war eine Art kühle Mauer zwischen ihnen. Asuka glaubte nicht, dass es an ihrer eigenen Vergangenheit lag, auch wenn sie noch so ein egoistischer und unberechenbarer Mensch gewesen war. Sie hatte vielmehr den Eindruck, als würde mehr als nur die Verantwortung des obersten Anführers der Menschheit im Kampf gegen die Engel auf seinen Schultern lasten. Einmal davon abgesehen, dass er mit Sicherheit nicht fünfzehn Jahre alt war - alle hier hatten sich damit abgefunden, dass er kein gewöhnlicher Mensch war. Die Gerüchte behaupteten sogar, er sei selbst ein Engel, was Asuka gar nicht so unwahrscheinlich erschien. Nein, irgendetwas anderes gab es noch. Vielleicht hing es mit seiner Vergangenheit zusammen, vielleicht war es auch dieser geheimnisvolle Kampf, den SEELE nach der Vernichtung der Engel gegen einen bislang nur ihm bekannten Feind führen wollte. Wahrscheinlich bedrückte ihn eine Mischung aus beidem. Asuka hatte sich vorgenommen, nach dem letzten Kampf zumindest einen Teil dieser Belastung von ihm zu nehmen, gewissermaßen aus Dankbarkeit ihm gegenüber und um jeden Preis. Sie würde sich nicht davon abhalten lassen, auch nicht von ihm selbst. Sie seufzte. Doch dazu würde sie erst einmal aus dieser verdammten Zelle herauskommen müssen. Und sie hatte keinen blassen Schimmer, wie sie das ohne Hilfe anstellen sollte... *** "Ist das wirklich nötig?" fragte Maya, während sie die Überwachungsbildschirme der beiden Zellen in der Kommandozentrale weiterhin im Auge behielt. Ritsuko nickte. "Solange Ikari dieser Meinung ist, ja." Sie seufzte, fast im selben Moment wie Asuka in ihrer Zelle. "Und Gott weiß, wie lange das noch der Fall ist." Maya zog eine Augenbraue nach oben, sagte aber wohlweißlich nichts. Sie kannte ihre Vorgesetzte gut genug, um zu wissen, dass in ihr ein unterdrückter Hass gegen Ikari schlummerte. Doch dann war da wieder so eine Art Abhängigkeit von ihm, aus der sie einfach nicht schlau wurde. Sie beschloss, wie immer, nicht in diese Richtung weiterzudenken. Die Tür zu einem der Fahrstühle öffnete sich und Misato kam zum Vorschein. Sie machte einen etwas erschöpften Eindruck. "Na, gestern abend wieder zu lange wach geblieben", nickte Ritsuko sie. Misato streckte ihr die Zunge entgegen, ließ sich aber doch irgendwie nicht so richtig aufheitern. "Dieser Bastard...", murmelte sie leise, aber dennoch laut genug, dass Maya sie hören konnte. Die junge Technikerin nickte. Sie konnte gut verstehen, was im inneren des Majors vorging, oder glaubte zumindest, dazu in der Lage zu sein. "Ich finde das auch nicht richtig", sagte sie dann. Ritsuko warf ihr einen finsteren Blick zu. "Sag das lieber nicht zu laut, man kann nie wissen, wann er plötzlich auftaucht." Also hielt Maya den Mund. Das konnte sie aber nicht davon abhalten, auf telepathischem Wege finstere Gedanken gegen Ikari auszuspeien. Nicht, dass es ihr irgendetwas bringen würde, so unausgereift, wie ihre telepathischen Fähigkeiten nun einmal waren... Die drei vertrieben sich mit dieser Art "Smalltalk" noch eine Weile lang die Zeit, und hätten es wohl auch noch bis zu ihrem Feierabend beziehungsweise Schichtwechsel getan. Doch die plötzlich ertönende, übermäßig laute und alle aufschreckende Sirene hielt sie davon ab. Dieser Alarm konnte nur eines bedeuten: die MAGI wurden angegriffen. Maya und Ritsuko ließen die Finger über die Tasten fliegen, während sich die Türen hinter der oberen Kommandoebene öffneten und die beiden Kommandanten freigaben, gehetzte und aufgeregte Blicke in den Gesichtern. Einen Moment später kamen auch Shigeru und Hyuuga hineingestürmt und setzten sich sofort an ihre Konsolen. "Ein unbekannter Angreifer dringt in unser System ein!" schrie Maya ihre erste, vorläufige Analyse ohne bestimmte Adresse in den Raum, da sie wusste, dass jeder hier wissen wollte, was los war. "Er hat den äußeren Verteidigungsring bereits durchbrochen." "Sämtliche Firewalls online", berichtete Hyuuga ohne Hast. Hektik war in diesem Moment der größte Fehler, der ihnen unterlaufen konnte. "Köder-Zugänge sind geöffnet." Ritsuko betrachtete die über ihren Bildschirm wälzenden Datenkolonnen. Irgendwie erinnerte sie dieser Angriff an den des elften Engels. Auch der hatte versucht, in MAGI einzudringen. Doch an diesem Punkt hörten die Parallelen auch schon wieder auf. Es gab keine Korrosionen, keine EVA-Testkörper... "Verdammt, er ignoriert die Köder!" rief Maya. "Und er ist wahnsinnig schnell", erwiderte Hyuuga. "Hat bereits achtzig Prozent der Firewalls ausgeschaltet." In diesem Moment wechselte die Beleuchtung des Raumes plötzlich von Rot auf Schwarz. Das Licht, oder besser der Strom in der Kommandozentrale war ausgefallen. Alle Anwesenden hielten den Atem an. Maya brannte eine Kerze an, die sie von irgendwo aus ihrem Schreibtisch hervorgekramt hatte. Dann widmete sie sich einem batteriebetriebenen Display im Taschenbuchformat. Doch ihre Analyse war wenig erfreulich. "Er hat uns aus allen Systemen einfach hinausgeworfen", sie schüttelte den Kopf. Ritsuko nahm ein zweites Display. "Das war zu einfach. Er hätte niemals so leicht in MAGI eindringen können dürfen." Misato hörte den beiden Informatikerinnen zu und versuchte etwas von dem technischen Kauderwelsch zu verstehen, doch es gelang ihr nur ansatzweise. "Ich hab's", sagte Maya. Alle blickten sie an. "Er hat ein Hintertürchen, dass in der Hardware verankert war, genommen." Sie schüttelte erneut den Kopf. "Warum haben wir das bislang noch nicht entdeckt?" "Und vor allem", ergänzte Ritsuko. "Wie und warum kam es überhaupt in das System?" Alle weiteren Gedanken wurden plötzlich von den drei rot aufleuchtenden Zahlen auf dem Hauptdisplay abgebrochen. Es zeigte ihnen nun einen Countdown von weniger als fünf Minuten, bis etwas ganz bestimmtes - vermutlich etwas ziemlich bedeutendes - passieren würde. "Die Selbstzerstörungssequenz des MAGI-Systems Neo-Tokyo-3 wurde aktiviert", verkündete dann eine unpersönliche, metallene Stimme aus den Lautsprechern. "Forderung ist die sofortige Freilassung der Piloten Rei Ayanami und Asuka Soryuu Langley. Sie sind innerhalb der nächsten drei Minuten in einem VTOL auf Kurs 3-4-1 abzuschicken. Um den Rest werden wir uns kümmern." Als die Stimme fertig gesprochen hatte, verstummte sie wieder völlig. Alle blickten hinauf zu Gendo Ikari. "Ihr Analyse, Doktor?" wollte er von Ritsuko wissen, obwohl er sich denken konnte, dass es keinen Ausweg geben würde. Sie schüttelte den Kopf. "Wir haben keinerlei Zugang zu irgendwelchen Systemen, außer denen, die wir benötigen, um diesen ,Auftrag' auszuführen. Der Strom ist so gut wie überall abgestellt. Ich sehe keinen anderen Weg, als den Forderungen folge zu leisten." Sie senkte leicht den Kopf. "Nicht in der uns zur Verfügung stehenden Zeit." Das Display stand inzwischen bei weniger als dreieinhalb Minuten. Gendo Ikari wartete noch einen Moment, bevor er antwortete. Dann nickte er. "Gut. Tun sie es." --------- 135 --------- Frank drehte seinen Kopf ganz leicht nach rechts, so dass Kensuke auf dem Sitz neben ihm in sein Gesichtsfeld rückte. Dahinter konnte er teilweise die Wolken auf der anderen Seite des Fensters des Flugzeugs erkennen. Frank hatte sich noch einmal ausführlich mit Gregor unterhalten und sie beide waren zu dem Schluss gekommen, dass es besser für Kensuke war, wenn er von jemandem begleitet wurde, mit dem er sich recht gut verstand. Im Moment machte er einen ziemlich abwesenden Eindruck, auch wenn das stille Lächeln auf seinen Lippen zeigte, dass er sich auf seine Heimkehr freute. Frank lehnte sich wieder zurück. Das Programm, dass Kensuke geschrieben hatte, um in NERVs MAGI-System einzudringen, war entgegen aller Erwartungen ein durchschlagender Erfolg gewesen. Wobei, nicht ganz aller Erwartungen. Gregor hatte natürlich von Anfang an gewusst, dass es funktionieren würde und hatte fest an Kensuke und dessen Fähigkeiten geglaubt. Rei und Asuka waren längst zurück in Deutschland und auch Toji und Hikari waren ihnen gefolgt. Der kräftige dunkelhaarige Junge hatte in Frank gemischte Gefühle hervorgerufen. Doch dann hatte er mit einer Sensibilität, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, mit Kensuke geredet. Frank war nicht dabei gewesen, doch die anderen hatten ihm erzählt, dass der Junge förmlich aufgeblüht sei unter den aufmunternden Worten seines Freundes. Das hatte seine Meinung über Toji grundlegend geändert. Leider hatte er es nicht mehr geschafft, persönlich sich mit ihm zu unterhalten. denn er war sicher, dass es ein sehr interessantes Gespräch geworden wäre. Dann waren sie in Richtung Japan abgeflogen. Kensuke schien so fröhlich wie schon lange nicht mehr. Frank hoffte das Beste für ihn. === ENDE KAPITEL 11 === Leute, eines sage ich euch: wenn es dann so direkt auf's Abi zugeht, hat man kaum noch Zeit zum Schreiben. Wobei ich zugeben muss, dass ich ewig gebraucht habe, um mich aufzuraffen und dieses Kapitel zu schreiben. Nunja, was lange währt, wird gut. (hoffe ich) Wie ihr vielleicht merkt, ist das Kapitel "Karin Maishima" noch nicht ganz abgeschlossen. Auch in den nächsten Kapiteln werden noch einige Informationen zu der Frage, wer denn dieses geheimnisvolle Mädchen nun eigentlich war, kommen. Soviel kann ich euch aber schon jetzt verraten: ihr werdet überrascht sein. Ich versuche noch immer, mich zumindest im groben an die Abläufe der Originalserie zu halten, damit ihr einen Überblick habt, wo wir denn eigentlich stehen. Die nächsten Kapitel werden sich dann langsam, aber sicher mit dem Third Impact beschäftigen. Ihr könnt also weiterhin ge- spannt sein. (Falls ihr nicht nach dieser langen Wartepause schon längst eingeschlafen seit). Danksagungen (immer noch die selben): ===================================== Christian Schulze - http://www.gruselgrotte.rockt.de - (wie immer) für die Korrektur meiner Texte, die Anmerkungen, die Kritik, die Hinweise usw. Seashore - http://www.evangelion-armageddon.de Evaunit01 - http://www.evangelion-rulz.de AnimeXX - http://www.animexx.de Defender - http://defender3.sondergleichen.org - für das Veröffentlichen meiner Fic auf ihren Seiten. Alle meine Leser vor allem diejenigen, die sich durch ihre Kommen- tare für das Weiterschreiben dieser Fic ein- setzen. Autor: Thomas Ryssel, Radebeul 2001 EMail: ThomasRyssel@web.de oder eastsoft@tripod.de oder ThomasRyssel@hotmail.com Homepage: http://www.eastsoft-online.de NGE Dimensionen im Netz: http://nge-dimensionen.eastsoft-online.de Ich hoffe, es dauert nicht mehr soooooooo lange bis zum Kapitel 11 - Boten. =================== Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)