A-Sidte von DracaTec ================================================================================ Kapitel 1: ----------- A-Sidte Es sind jetzt 11 Jahre, die wir uns kennen. Wir führten eine Beziehung über Briefe und Telefon. Ich las seine Briefe gern. Sie erzählten viel und doch so wenig. Sie bedeuteten mir alles. Unsere erste Begegnung werde ich nie vergessen. Ich war gerade 6 geworden und drückte wahllos Knöpfe auf dem Telefon. Meine Eltern waren nicht zu Hause. Ich weiß nicht mehr wie viele es waren, auf jeden Fall eine ganze Menge. Es läutete dreimal, dann ging er ran. "Allo?!" Sie war tief und kräftig und sie vermittelte eine unglaubliche Schwere, die ich zu der Zeit noch nicht begriff. "Aloa! Spreche ich mit Hawaii?" fiepste ich in den Hörer. Stille am anderen Ende. "Nein tut mir leid, Kleine." Sagte er dann. In einem starken russischen Akzent. "Wenn du mit Hawaii sprechen willst, solltest du ins Telefonbuch sehen..." Ich kicherte vor mich hin. Ich saß in einem langen Korridor und hielt am Boden gehockt mit beiden Händen den Hörer. "Hör zu, Kleine. Falls du keine Standpauke von deinen Eltern willst, dann leg jetzt auf." Sprach er forsch und bestimmend. "Nein. Warte! Nicht auflegen!" bat ich. Stöhnen. "Ich leg jetzt auf!" Tut. Tut. Tut. Ich legte auch auf. Ich ging im Haus auf und ab und beobachtete etwa eine halbe Stunde das Telefon. Ich nahm den Hörer wieder auf. "Allo?!" Wieder seine Stimme. "Aloa!" grüßte ich wieder (immer noch glaubend ich würde mit Hawaii sprechen...) Ein kurzes Husten. "Na, du bist ja eine ganz Schlaue!" senierte er. "Warum?" fragte ich unwissend. Der Arme tut mir so leid. Er saß in seiner Wohnung in Moskau und musste sich von einer sechsjährigen Japanerin bequatschen lassen, die eine überaus schrille Stimme besaß. "Du hast die "zwei- Kreise- Taste" gedrückt, nicht wahr?" Er klang ruhig und gelassen. Langsam ging er auf mich ein. Mich amüsierte es. Ich hielt es für ein Spiel. "Ja! Ich wollte noch mal mit dir sprechen!" quietschte ich in den Hörer. "Ach ja? Und warum?" Jedes Mal große Pausen bevor er etwas sagte. "Deine Stimme gefällt mir!" freute ich mich. "Wie schön, dass dir meine Stimme gefällt..." sagte er gedämpft. Ich glaube, er lag auf seinem Bett oder seiner Couch und hielt angenervt sein Gesicht in ein Kissen. "Ist bei dir schönes Wetter?" fragte ich. "Weiß nicht." Blockte er ab. Seine Geduld war ziemlich am Ende. "Wie spät ist es jett bei dir?" nervte ich weiter. "Ist mir egal..." nuschelte er immer noch gedämpft durch das Kissen. "Bei mir ist es genau 9:23. Scheint bei dir der Mond?" Genervtes Schweigen. Kurzes Rascheln und dann auf einmal Musik. "Aloa?" fragte ich. "Halt den Mund!" befahl er. Ich tat, was er sagte. Ungefähr 20 Minuten später lief die Musik immer noch. Niemand sagte etwas. "Wo wohnst du denn?" Ich sagte ihm die Stadt. "Ach so." Ich fragte, ob er schon einmal da war. "Ja, aber wie Moskau ist es nicht... Wie heißt du?" Ich nannte meinen Namen. "Hm, klingt nett." Seine Stimme war ganz rau geworden und ziemlich leise. "Und dein Name?" Ich lauschte angestrengt doch bekam keine Antwort. "Nenn mich..." Wieder eine lange Pause. "Keiro." Ich nickte. Auf einmal hörte ich die Tür. "Meine Eltern sind zu Hause!" flüsterte ich in den Hörer. "Dann leg doch auf!" sagte er monoton. "Und wie soll ich wieder mit dir reden?" flüsterte ich immer noch. "Kannst du schreiben?" fragte er. "Ja." Antwortete ich. Wir tauschten Adressen aus. Ich sollte die erste sein, die schreibt. Meine Eltern sagten nichts dazu. Sie dachten wahrscheinlich, dass ihre kleine süße Tochter einfach irgendjemanden in Russland eine halbe Stunde lang bequatschte. Ich lernte gerade erst schreiben und brauchte circa drei Wochen für eine halbe Seite. Ich weiß gar nicht mehr, was drin stand. Etwa anderthalb Monate später kam die Antwort. Er kam mir sehr entgegen, denn er schrieb noch schlechter als ich. Ich hob jeden seiner Briefe sorgfältig auf. Er schrieb eigentlich nichts über sich. Ich erfuhr nur, dass er zu diesem Zeitpunkt vierzehn war und allein lebte. Nach einer meiner Anfragen brachte er mir russisch bei. Allerdings gestaltete es sich schwierig. Es war seine Muttersprache und er konnte mir keinerlei grammatische Regeln beibringen. Obwohl ich heute glaube, dass es mir nicht viel geholfen hätte. Das ganze ging zwei Jahre. Ich war acht und er sechzehn. Es war das erste Mal, dass er wirklich etwas von sich aus über sich selbst schrieb. Er hatte gerade seine ersten sexuellen Erfahrungen gemacht und brannte anscheinend darauf mich armes unschuldiges Mädchen damit zu konfrontieren. Er schrieb nicht mal nette Sachen über sie. Er empfand ihr gegenüber nichts, was mich ziemlich traurig machte. Er meinte dazu, dass es nicht schlimm sei, es würde wahrscheinlich schlimmer sein, wenn er etwas empfinden würde. Ich verstand das nicht so recht. Ich war ja nicht mal aufgeklärt... Ein Jahr später erzählte er, er hätte sich ein Tattoo stechen lassen. Ich fragte, ob es ein Besonderes wäre. Er widersprach, ein einfaches, schwarzes. Verschnörkelte Symbole ohne Bedeutung. Es lief immer noch über Briefe. Das Gespräch, das natürlich nicht nur aus einem Satz bestand, ging über vier, fünf Monate. Ich fragte, warum er es hatte machen lassen, wenn es doch nichts bedeutete. Er hatte keine Ahnung, ihm war langweilig. Damit hatte das Thema sich erledigt. Ich wusste nicht, warum wir uns immer noch schrieben. Er hielt sich immer kurz und ich erzählte nur irgendwas über mich und meine albernen Probleme. Ich hatte zwar Freundinnen, aber ich glaubte, dass er mir Rat geben könnte, da er ja viel älter war. Es half mir sehr. Meine Eltern kümmerten sich so gut wie gar nicht um mich. Sie hatten nur ihre Arbeit im Kopf. Drei Jahre waren vergangen. Ich war am Anfang meiner Pubertät. Ich schrieb ihm doch tatsächlich, dass ich meine erste Periode hatte... Dafür hörte ich eine ganze zeitlang nichts von ihm. Dann kam der Brief. Sechs Jahre hatten wir uns geschrieben und dann das! Er schrieb mir, dass er sich überlege in meine Stadt zu ziehen. Ich hatte ja keine Ahnung warum, aber das war es nicht allein. Er resignierte unsere bisherige Zeit. Er schrieb, genauer wortlaut: "Wir kennen uns jetzt seit sechs Jahren. Ich merke wie du dich veränderst. Ich nicht, aber darum geht es nicht. Ich habe mit dir eine bessere und tiefere und längere Beziehung als sonst vorher. Nicht mal zu meinen Eltern." Ich bemerkte, dass ich mich langsam ernsthaft an Jungen interessierte und er schrieb das! Ich hatte schon so ein Gefühl. Behielt es aber für mich. Niemand wusste von ihm. Der nächste Brief von ihm enthielt eine Telefonnummer und die Mitteilung, er wohne jetzt auch hier. Endlich würde ich seine Stimme wieder hören! Wie sehr hatte ich sie vermisst. Ich glaube, er dachte, wenn wir uns weiter schreiben, würde ich eines Tages vor seiner Tür stehen. Ich hätte das nie gemacht. Ich hatte gar keine Courage. Mein Gott, ich war zwölf! Na ja, vielleicht wollte ich es nicht, weil ich entweder enttäuscht oder positiv überrascht gewesen wäre und ich wollte das Bild, das ich von ihm hatte, nicht zerstören. Ich rief ihn also an. Ich erkannte seine Stimme sofort. Sie war dieselbe wie damals. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Wir telefonierten immer mindestens zwei Stunden in der Woche. Ich hörte und hörte nicht auf zu erzählen. Er hörte zu, gab seine Kommentare, er sprach immer sehr monoton ohne Gefühl. Er war introvertiert, ja, das wusste ich. Nie war die Rede von ihm, von seinen Freunden. Ich wusste nicht mal, als was er arbeitete. Das war mir egal. Ich war vierzehn als ich meine beste Freundin kennen lernte. Ich redete mit ihr über alles nur nicht über ihn. Ich gebe es zu, ich war oberflächlich. Ich bemühte mich krampfhaft einen Freund zu finden. Sie hatte einen Sandkastenfreund. Ich war immer eifersüchtig gewesen, weil sie etwas hatte, was ich haben konnte, aber es nicht verstand. Wir hatten beide jemanden mit sechs kennen gelernt, den wir heute noch kannten. Der Unterschied war, dass meine Bekanntschaft ganz genau achteinhalb Jahre älter war als ich, was so viel heißt wie: Ich kann nichts mit ihm anfangen, weil er in der Pubertät war, als ich das erste Mal mit ihm sprach. Obwohl, so wie ich das mitbekam, hatte er gar keine richtige. Sein Stimmbruch war mit vierzehn schon vorbei! Oder es fiel mir nicht auf, was eher unwahrscheinlich ist. Er lebte seit seinem elften Lebensjahr allein in Moskau! Zu seinen Eltern hatte er keinen Draht oder sie waren wie meine nicht da. Es hört sich vielleicht blöd an, weil ich jünger war, aber ich glaubte die ganze Zeit, er wäre erwachsen. Also, sein Alter kannte ich schon, aber es geht um seine Reife und da war er den meisten Erwachsenen voraus. Kurze Zeit später fand ich heraus, warum er nach Tokio kam. Es lag nicht an meinem Brief, dass er sich einige Zeit nicht gemeldet hatte. Es lag schlicht und ergreifend daran, dass er nicht konnte. Er lag im Krankenhaus. Keine Ahnung wieso, aber aus irgendeinem Grund hatte die russische Mafia was gegen ihn. Sie schossen ihm viermal in den Rücken. In Tokio tauchte er unter und änderte seinen Namen, weshalb er mir wahrscheinlich nicht seine Adresse gab. Er rief mich nie an. Vor zwei Monaten fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen. Der Grund, warum ich damals wieder anrief, war, dass mir seine Stimme gefiel, mich faszinierte. Er war über elf Jahre mein Vertrauter. Ich sagte ihm das alles über mich, weil ich wollte, dass er weiß, wie ich bin und trotzdem mit mir redet. Ich wollte gemocht werden, wie ich bin, von ihm. Ich hatte ihn gesehen, nie jemanden von ihm erzählt und jetzt wollte ich es. Ich erzählte also nach elf Jahren meiner besten Freundin, dass ich einen älteren, engen Vertrauten hatte, in den ich auch noch verliebt war. Ich erhielt dafür die erwarteten Blicke. Und dann vor zwei Wochen, hörte ich das erste Mal seinen Anrufbeantworter. Ich sprach das Übliche drauf. Wer ich war, was ich wollte, mich fragte warum er nicht da sei, es für egal deklarierte und schließlich meine Nummer hinterließ. Vor einer Stunde dann ein Anruf. "Entschuldigen sie. Haben sie eine Nachricht hinterlassen...?" Natürlich auf seinem Anrufbeantworter. "Ja." Antwortete ich. "Standen sie sich nah?" war die nächste Frage. Ich bejahte. Und dann: "Ich muss ihnen die Mitteilung machen, dass er vor etwas über zwei Wochen ermordet wurde." Ich sagte gar nichts. Er hätte sich bestimmt darüber lustig gemacht. "Wir dachten, sie wollten vielleicht zu seiner Beerdigung kommen." Natürlich wollte ich. Ich schrieb mir die Adresse und den Zeitpunkt auf. Dann kam das Besinnen. Keine Tränen. Keine roten Augen. Nichts. So wie seine Stimme immer. Es kommt der Zeitpunkt. Seine Beerdigung. Ich dachte ehrlich, ich würde ihn endlich sehen und dann das! Geschlossener Sarg. Warum? Weil man ihn in den Kopf geschossen hatte! Die wollten wohl auf Nummer Sicher gehen...! Ein paar seiner Bekannten zeigten mir Fotos. Er sah wirklich gut aus. Ich stehe also vor seinem Sarg und stelle ihn mir vor. Danach kann ich nicht mehr. Ich breche zusammen. Ich brauche eine Woche um wieder in die Schule gehen zu können. Die ganze Zeit mache ich mir Vorwürfe. Warum hast du dies nicht, warum das nicht?! Meiner Freundin erzähle ich, ich sei krank. Sie glaubt mir, warum auch nicht, ich fühle mich beschissen, man sieht es auch. Einen Monat nach seinem Tod, er wäre an diesem Tag sechsundzwanzig geworden, fasse ich den Entschluss. Ich stehe auf dem Balkon an meinem Zimmer. "Es tut mir Leid. Es tut mir Leid, dass ich nie versucht habe dich näher kennen zu lernen. Verdammt! Ich war so egoistisch. Wie gerne hätte ich etwas über dich erfahren. Etwas mehr. Ich liebe dich! Das wollte ich sagen. Keiner hat mich je so verstanden wie du. Du erinnerst dich bestimmt, als wir diesen Film sahen. Gemeinsam, über Telefon. Hinter dem Horizont. Du sagtest, es wäre der schönste Film, den du je gesehen hattest. Ich wünschte mir, dass wir genauso wären wie sie. Seelenverwandte. Nur das ich nie etwas zeichnen werde, das du auch sehen kannst und das ich nicht so lange brauche wie sie. Ich wünsche mir, dass du mich aus meiner Hölle befreien wirst oder zumindest bei mir bist. Ab jetzt fühle ich gar nichts mehr. Nicht das Blut, das an mir herunter rinnt noch den damit verbundenen Schmerz. Ich bin froh, dass es vorbei ist. Ich bin siebzehn Jahre alt und bin elf Jahre lang an deiner Seite glücklich gewesen. Ich will nicht wie die Leute werden, die sich wünschen zu sterben und doch am Leben bleiben, weil sie glauben, dass sie müssen. Aber das ist nur eine Ausrede. Erinnerst du dich? Du hattest es gesagt: ,Die meisten Leute sind glücklich und wünschen sich zu leben und wenn es schwierig wird, wünschen sie sich den Tod. Ich bin anders, ich wünsche mir die ganze Zeit zu sterben, lebe aber weiter, weil ich gar nicht anders kann und das kotzt mich an. Du wirst nicht so...' Ja, genau. Du hast mich verstanden. Und nun bist du fort und ich will nicht alleine bleiben... also mache ich Schluss..." A-Sidte Ende Vom 6.7.2004 By DracaTec ____________________________ Soho ich hoffe es hat euch gefallen, wenn ich mir das ganze heute so durchlese, kann ich das Mädel nicht mehr kleiden, aber damals hab ich sie verstanden (können nur so um die zwei Stunden gewesen sein...^^) Versuche noch ein anderes abzuschreiben und n neues Kap von NSI abzutippen. Wünsch euch noch viel Spass!!! gruß Draca-chan Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)