Der Jadejunge von Puh-Schell (Die Erzählungen, Teil 1 - Shounen-Ai) ================================================================================ Kapitel 18: Nostradamus, ashxa itkig? ------------------------------------- 18 – Nostradamus, ashxa itkig? „Dakkas? Alles in Ordnung, oder hast du wieder Kopfschmerzen?“ Daniels Stimme durchbrach das eisige Gefühl in Dakkas Innerem, jagte es jedoch nicht vollkommen davon. „Nein, nein. Mir war nur kurz… schwindlig.“ Der Halbdrache runzelte seine Stirn und sah den Kleineren besorgt an. „Sobald wir genügend Zeit und die nötige Umgebung haben, würde ich dich gerne genauer untersuchen… irgendetwas stimmt da nicht. Die Kopfschmerzen und der Schwindel machen mir Sorgen.“ Dakkas machte sich auch Sorgen, jedoch nicht nur über die Kopfschmerzen. Domenek Der Name hallte in seinem Kopf, wie eine Warnung, doch so sehr er sich auch konzentrierte, er konnte keine Erklärung dafür finden. „Das erste, was wir in Kleingaren tun sollten ist: Eine gute Mahlzeit finden.“, verkündete Jared munter. Shan schmunzelte und einige der Schmerzensjünger lachten leise. „Was?“ Mit einem Schmollmund sah Jared zu seinem Liebhaber. „Sonst beschwerst du dich doch immer, dass ‚andere Leute’ ihr Essen viel zu stark kochen würden.“, antwortete Shan und sah den Halbwolf grinsend an. „Kleingaren liegt tiefer in die Herzlande hinein. Werwolfsküche wirst du hier wohl kaum finden.“ Jared blinzelte, als wenn ihm das eben erst klar geworden wäre. Seine Lippen formten ein ‚oh’ und die Fröhlichkeit wich aus seinem Gesicht. „Du hast Recht.“ Der Schmollmund kehrte zurück. „Dabei würde ich so gerne mal wieder Rappata essen.“ --„Das schmeckt gut. Was ist das?“ „Rappata, mit einem Brei aus Kartoffeln und fünf verschiedenen Gemüsesorten, dazu eine spezielle Soße.“-- Die Bilder überlagerten sich vor Dakkas Augen: Der Weg, seine Gefährten, die Pferde – und auf der anderen Seite ein Raum mit einem gutem Holztisch, gedeckt für vier, aber nur drei Plätze waren besetzt. Die Teller waren keine Keramik, sie waren Porzellan – schwerer herzustellen, teurer, aber auch schicker und in diesem Falle kunstvoll bemalt. Plötzlich verschwand das Doppel-Bild und alles, was Dakkas sah, war der steinige Weg vor ihnen. „Wird Euch eigentlich nie kalt?“ Es dauerte einen Augenblick, bis Dakkas klar wurde, dass er angesprochen worden war. Blinzelnd blickte er neben sich herunter auf die Bowe. Anders als die anderen neu dazu gekommenen des Trupps bestand sie darauf, ihn zu Siezen. „…Entschuldigung?“ Die Fee runzelte ihre Stirn und deutete auf seine Kleidung. „Ihr tragt nur leichte Stoffe, obwohl wir uns in den Dern-Bergen befinden. Selbst nachts schlaft Ihr nur mit zwei Decken. Selbst die Drachen brauchen inzwischen mehr.“ Dakkas blinzelte. Die Fee hatte Recht. Den anderen schien das ebenfalls mit einem Mal aufzufallen. „Ischa hat Recht…“, murmelte Jared mit einem Stirnrunzeln und Daniel kniff seine Augenbrauen zusammen. „Warum habe ich das nicht vorher bemerkt? Dass du noch nicht krank bist, ist erstaunlich.“ Der Grünäugige zuckte mit seinen Schultern. „Mir ist einfach nicht wirklich kalt.“ Ihm war höchstens ein bisschen kühl. „Ist das schlimm? Da ich noch nicht krank bin, halte ich kühlere Temperaturen wohl einfach besser aus.“ Ischa, die Bowe, lächelte. Es war das erste Mal, dass Dakkas sie hatte lächeln sehen. „Das ist möglich.“ ‚Aber ich glaube nicht daran’, sagte die Fee zwar nicht, aber es war deutlich in der Stille nach ihrem Satz zu hören. So langsam ging es Dakkas auf die Nerven, was alle möglichen Leute von ihm hielten, dachten und glaubten zu wissen. Es war fast so, als würde jeder ihn kennen – außer er selbst. Die schweren, eisernen Stadttore Kleingarens waren weitaus besser bewacht als die Tore von Sellentin oder Halmsdorf. Grimmig dreinschauende Wachen sahen die ankommende Reisegruppe mit kaum verstecktem Misstrauen und abschätzigen Blicken an. Die leicht gearbeiteten Kettenhemden der Wachposten klirrten bei jeder Bewegung der Männer und nicht wenige hatten ihre Hände griffbereit an den Knauf ihres Schwertes gelegt. Alles in allem war es ein kalter Empfang für Molokosh und seine Begleiter. Der Großteil ihrer Gruppe ließ sich davon nicht stören, doch Sar’Shan schien enorme Freude darin zu finden die Wachen zurück anzustarren, bis sie irgendwann ihren Blick von ihm abwandten. Und soweit Dakkas das beurteilen konnte gab es keine Wache, die seinem Blick standhielt. „Wohin?“, wollte der Grünäugige von Molokosh wissen. Der Drache runzelte seine Stirn. „Hier kenne ich mich ehrlich gesagt nicht aus, was Unterkunft angeht.“ „Es gab hier mal eine recht vernünftige Herberge…“, meldete Eric sich zu Wort. „’Zum Königsweg’ oder so, etwas weiter abseits hinter der Kirche, näher zum Bergpasstor hinaus.“ „Wann warst du schon mal hier?“, wollte Jared sofort von dem Werwolf wissen. „Bevor ich in die graue Zone kam.“ Jared runzelte seine Stirn. „Während des Krieges? Was hast du hier im Engelland gemacht, während…“ Jared verstummte, als er Erics harte Augen und zusammengepresste Lippen sah. „Tschuldige.“ Der Seher zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte nur den Kopf. „Schon länger her, keine Sorge.“ „Und dieser ‚Königsweg’ ist eine annehmbare Herberge?“, hakte Molokosh nach. Bevor Eric antworten konnte, hatte Daniel sich schon zu Wort gemeldet. „Sie heißt eigentlich ‚Zum Königsgraben’ und ist recht Wildblüter-freundlich.“ Alles sah den Heiler verdutzt an und dieser errötete langsam. „Mein ehemaliges Kindermädchen ist hierher zu ihrer Familie zurück gezogen, nachdem meine Eltern starben.“, erklärte der Halbdrache in leisen Tönen. Geglash schnaubte verächtlich, Eric nickte langsam und der Rest der Gruppe kommentierte Daniels Satz nicht weiter. Nur Dakkas fühlte sich wieder einmal verwirrt. „Dann zeig uns den Weg.“, wies Molokosh an und gewährte Daniel den Platz an der Spitze der Gruppe. Der Halbdrache führte sie quer durch die ganze Stadt, vorbei an der Sonnenkirche, dem Ratshaus und der großen Garnison Kleingarens. Den großen Markplatz umgingen sie jedoch, wobei Dakkas nicht erkennen konnte, ob das Absicht oder nur Zufall war. Irgendwann kamen sie dann an einem etwas heruntergekommen aussehendem Haus an. Es unterschied sich nicht großartig von den anderen Häusern in diesem Teil der Stadt, alle waren etwas älter und nicht so gut in Stand gehalten. Allerdings besaß es einen mit einem Holzzaun abgetrennten Vorplatz, in dem einige Tische und Stühle aufgestellt waren. Neben dem Eingangstor des Zaunes war ein großer Holzpfahl angebracht, an dem ein sanft im Wind schwingendes Holzschild angebracht war. Das Schild war alt und wettergegerbt, aber die einst kunstvolle Malerei darauf war noch gut zu erkennen: Ein auf dem Bauch liegender Mann mit einer Flasche in der einen Hand und einer Krone auf dem Kopf, der in einem tiefen Graben zu liegen schien. In verblichenen Buchstaben stand über der Zeichnung: ‚Zum Königsgraben’. „Das ist mal ein Herbergsname nach meinem Geschmack.“, kommentierte Jared schmunzelnd. Nacheinander saßen die berittenen Mitglieder der Gruppe ab und banden ihre Pferde an das Stück des Zauns, das einen Futtertrog danebenstehen hatte. An den Holztischen außerhalb der Herberge saßen nur wenige Leute, wobei keiner so aussah, als stamme er von Wildblütern ab. Dakkas entdeckte drei Elfen und zwei abgeschieden sitzende Zwerge. Dennoch wurde ihre Ankunft hier mit weniger Anspannung und Feindseligkeit begrüßt, als überall sonst in Kleingaren. Mit Molokosh an der Spitze trat die Gruppe hinein in die Schankstube der Herberge. Erstaunlicherweise sah die Herberge von innen sehr viel sauberer aus als von außen. Dakkas nahm das als gutes Zeichen war. Drinnen saßen noch ein paar Leute mehr, doch auch diesmal waren keine offensichtlichen Wildblüter zu sehen. Während die Vash-Anhänger sich im Raum verteilten und umsahen, sah der Wirt von seinem Platz hinter dem Tresen auf und lächelte. Er war ein älterer Mann mit einem Stoppelbart und langsam ergrauendem Haar. Allem Anschein nach war er ein Engel, doch sah er die gemischte Gruppe nicht mit der Abscheu an, die sonst in den Blicken vieler Engel mitschwang. „Willkommen im Königsgraben. Ich bin Markus Kohle, der Herbergsvater. Was kann ich für die Herrschaften tun?“ Dakkas spürte, wie seine Augenbrauen überrascht in die Höhe schossen. Auch Molokosh und der Rest ihrer Gruppe konnte den Schock über diese Begrüßung nicht verstecken. In der Tat, so eine freundliche Begrüßung von einem Engel in einer Engelsherberge hatte keiner von ihnen erwartet. Außer Daniel vielleicht. „Markus? Du hast dich gut gehalten. Du siehst kaum einen Tag älter aus.“, sprach der Heiler und trat hinter Molokosh und Sar’Shan hervor. Der Herbergsvater blinzelte und ließ den Putzlappen fallen, der bis gerade noch in seiner Hand gewesen war. Die zwei herbeieilenden Kellnerinnen, eine ältere Dame und ein jüngeres Mädchen, stoppten abrupt. „Ja, ich werd nicht mehr…! Trügen mich meine Augen oder seid Ihr das? Daniel Liebrenn?!“ Dakkas hochgezogene Augenbrauen wurden zu einem verwirrtem und nachdenklichem Stirnrunzeln. Liebrenn… das war ein Engelsname. Auch die Reaktionen der anderen waren komisch. Geglash gab ein kaum hörbares Grollen von sich, während Molokosh seufzte. Sar’Shan und die anderen Vash-Anhänger sahen den Heiler ihrer Gruppe verdutzt und auch anschuldigend an. Daniel selbst jedoch lächelte und reichte dem überschwänglich grüßendem Herbergsvater die Hand. „Nein, Euch noch mal zu sehen… Wo man solange nichts von Euch gehört hatte. Habt Ihr Eva schon besucht?“ Daniel schüttelte seinen Kopf. „Nein, wir sind gerade erst in Kleingaren angekommen, Markus.“ Daniel deutete auf seine Begleiter. „Das ist Molokosh de’Sahr, mein Lehnsherr, mit seiner Begleitung und Wache.“ An Molokosh gewand erklärte er: „Lanar, dass sind Markus Kohle, seine Frau Evelyn und…“ Das junge Mädchen wurde länger von ihm unter die Lupe genommen, doch am Ende schien Daniel sie zu erkennen. „Und seine Enkelin Rosemarie, richtig?“ Das Mädchen, sie konnte kaum 16 sein, wurde rot und vollführte einen graziösen Knicks vor Molokosh und Daniel. Evelyn knickste ebenfalls und grüßte höflich, doch ihre Augen, genau wie die ihres Mannes, waren groß geworden. „Markus und seine Frau sind alte Bekannte von mir, Lanar. Ihre Herberge ist gut geführt und sie sind gute Leute.“ Evelyn floss ob dieses Lobes Blut in die Wangen, jedoch konnte jeder erkennen, dass sie ihre Schultern bei den Worten Daniels etwas straffte. Molokosh lächelte und begrüßte die Engelsfamilie freundlich. „Wir sind auf der Durchreise und werden wohl ein paar Tage in Kleingaren bleiben. Daniel empfahl Eure Herberge.“ Markus lächelte stolz. „Das ist sehr nett von ihm, Fürst de’Sahr. Wir werden für Euch und Eure Begleiter sicherlich eine angemessene Unterkunft finden.“ Sar’Shan sah Molokosh an. „Für uns reicht ein gemeinschaftlicher Schlafsaal, de’Sahr-lana.“ Dakkas konnte sich kaum vorstellen, wie viel Überwindung diese förmliche Anrede den Vash-Anhänger gekostet haben musste. Selbst Molokosh schien geschockt, als Shan dass drakonische Wort für ‚Herr’ von den Lippen kam. Er versteckte diesen Schock jedoch schnell und sah zu Markus. „Einen Schlafsaal und zwei Zweierzimmer dann, wenn das möglich ist.“ Markus nickte sofort und die beiden Frauen eilten aus der Stube, um die Zimmer vorzubereiten. Nachdem Markus ihnen Getränke angeboten hatte und Shans Truppe sich im recht leeren Schankraum verteilt hatte, sah der alte Engel Daniel zögerlich an. „Ihr wisst es also noch nicht, Herr Liebrenn?“ Daniel runzelte seine Stirn und sah verständnislos zu Markus. „Was wissen?“ Verwundert kratze der Heiler sich am Kinn. „Ich war einige Wochen lang mit Lanar geschäftlich unterwegs, Markus. Wir wollten hier in Kleingaren nur einen kurzen Zwischenstopp machen.“ Der Herbergsvater trat von einem Bein auf das andere. Sein Blick war unsicher, fast, als wenn er sich nicht ganz klar wäre, ob er etwas gutes oder etwas schlechtes tat. „Euer Vetter ist letzten Monat gestorben.“ Daniel blinzelte. „Mein… Du meinst Roland?“ Der Name wurde von Daniel komisch betont. Dakkas war sich nicht sicher, ob er Feindseligkeit oder Überraschung in der Stimme mitschwingen hörte – vielleicht war es auch beides. Markus indessen nickte. „Burggraf Roland Liebrenn. Er starb letzten Monat. Er war unterwegs zu einem Bekannten in Schönwalde, als er von Banditen überfallen wurde.“ Dakkas glaubte zunächst, sich verhört zu haben. Wenn Daniels Vetter ein Burggraf war… dann war Daniel von Engelsadel. Altem Engelsadel, nur noch wenige Familien hielten diesen Titel. Die Familien starben aus, nicht zuletzt deswegen, weil es ein Titel mit niederem Rang war und die Burggrafen mit stetig schwindenden Einnahmen und Vermögen konfrontiert wurden. Trotzdem war es ein alter, adliger Engelstitel. „Davon wusste ich nichts…“, murmelte Daniel und setzte sich an den Tresen. Wortlos holte Markus ein kleines Glas hervor und schenkte Daniel irgendein stärkeres alkoholisches Getränk ein, dass Dakkas nicht erkannte. Keiner der anderen am Tresen stehenden kommentierte es, als Daniel das Glas nahm und mit einem Zug leerte. Auch wenn es nicht so aussah, als wenn Daniel seine Engelsfamilie mochte… Familie war Familie. Auch Shan und Jared hielten jedweden Kommentar zurück. „Ich dachte, als ich Euch hier sah, Ihr wäret deswegen hier auf der Durchreise… wegen dem Titel und all das.“ Das war jetzt allerdings interessant. Dakkas runzelte seine Stirn. Er hatte gedacht, dass Daniel keine Anrechte auf den Titel seiner Familie hatte. Schließlich lebte er unter dem Namen seines drakonischen Vaters. Außerdem waren Daniels Worte über seine Engelsfamilie, wenn er sie überhaupt erwähnt hatte, nicht sehr freundlich gewesen. „Der Titel? Roland hat doch einen Sohn, oder? Und eine Tochter…“ Markus füllte das Glas des Heilers wieder auf und schenkte auch den anderen am Tresen verweilenden etwas ein. Doch diesmal schlang Daniel den Alkohol nicht sofort herunter und Dakkas fragte sich ernsthaft, ob er das stark riechende Getränk vor sich wirklich probieren wollte. Nachdem seine Gäste bewirtet waren beantwortete Markus Daniels Frage. „Ja, er hatte einen Sohn und eine Tochter. Aber Hendrik – der Junge – kam beim Angriff auf die erste Dogenfeste ums Leben. Er war in die Gilde als Lehrling aufgenommen worden.“ Daniel schnaubte ob dieser Neuigkeit nur und schien dem Ableben seines Großvetters keinen weiteren Wert beizumessen. „Seine Tochter lebt noch. Henrietta, zwölf Jahre jung. Aber Herr, Ihr wisst doch: Weibliche Nachfahren sind…“ „… nicht erbberechtigt nach Engelsgesetz.“, schloss Daniel mit rauer Stimme ab. „Und abgesehen von ihr und mir gibt es keine Liebrenns mehr.“ Der Herbergsvater nickte stumm, während Daniel sein Glas zum zweiten Mal leerte. Molokosh machte ein komisches Geräusch in seiner Kehle, dass jedoch Shan und Jared fast von ihren Stühlen auffahren und die anderen anwesenden Drachen ihre Hände an ihre Waffen legen ließ. Dakkas interpretierte es daher als kein gutes Zeichen, obwohl Daniel unbekümmert sitzen blieb. „Ich wusste nicht, dass du in der Erbreihenfolge noch mitgezählt wirst, Daniel.“, meinte der de’Sahr schließlich. Der Heiler seufzte. „Ich habe es auch nie erwähnt, weil ich es für absolut unwahrscheinlich hielt.“ Der Halbdrache schnaubte, blickte in sein Glas und schüttelte seinen Kopf. „Mein Großvater… wusste nicht wirklich, dass meine Mutter sich in einen Drachen verliebt hatte. Er erfuhr erst davon, als die Einladung zur Hochzeit auf seinem Arbeitstisch ankam.“ Daniel erlaubte sich ein humorloses Grinsen. „Ich war natürlich nicht da, aber Mutters alte Dienstmagd und mein Kindermädchen haben mir öfters davon berichtet. Großvater soll sich sehr, sehr aufgeregt haben.“ Das konnte Dakkas sich vorstellen, und auch die anderen nickten verstehend. Daniels Großvater war ein Mann von altem Adel gewesen und seine Tochter ging dahin und heiratete einen Drachen – einen Wildblüter! – und noch dazu einen ohne jedweden Adelstitel. Ja, Dakkas konnte sich sehr gut vorstellen, dass der alte Herr Liebrenn sich aufgeregt hatte. Daniel trommelte eine Zeit lang mit seinen Fingern auf dem Tisch, bevor er fortfuhr. Seine Stimme klang erschöpft und erschlagen, als wenn er ein Wettrennen gelaufen wäre. „Nach Engelsgesetz müssen Ehen, die nicht nach dem Brauch der Engel durchgeführt werden, speziell bestätigt werden. Sonst… gelten sie im Engelsreich einfach nicht. Zumindest nicht, wenn man gleichzeitig ein Einwohner des eigentlichen Reiches ist, sprich ein Engel oder Hochelf.“ Der Heiler rollte sein benutztes Glas langsam in seiner Handfläche hin und her, während er weiter erzählte: „Mein Großvater erlaubte Mutter die Hochzeit nicht. Mama packte eine Tasche, verließ das Familienhaus mitten in der Nacht und ließ Großvater die Nachricht zurück: ‚Ich heirate, nicht du, also hast du mir gar nichts zu sagen.’“ Shan schnaubte in sein Glas vor Lachen und Jared grinste. „Hört sich an, als wäre deine Mutter eine echte Persönlichkeit gewesen.“ Daniel lächelte. „Das war sie. Sie arrangierte die gesamte Hochzeit, mit Hilfe von Papas Onkel natürlich, damit sie keinen der drakonischen Bräuche falsch verstand. Sie bestand darauf, die Flitterwochen in Shen-Hak zu verbringen und sorgte dafür, dass Papa in den Vorstand des Krankenhauses kam, in dem er damals arbeitete.“ Dann war Daniels Vater also auch schon ein Arzt gewesen. Und ein guter, so wie es sich anhörte. „Hört sich an, als wäre deine Mutter eine sehr willensstarke Frau gewesen.“, kommentierte der Grünäugige. Daniel nickte lächelnd. „Eva, mein Kindermädchen, sagte immer: Jeder im Haus wusste genau, wer der eigentliche Familienvorstand war. Aber Papa hat sich nie beschwert, soweit ich weiß.“ „Frau Liebrenn war eine herzensgute Dame.“, bestätigte Markus von seinem Platz hinter dem Tresen her. „Ich selbst habe sie nur ein einziges Mal persönlich gesehen, als wir Eva damals besuchten in Den-Seng… Aber sie war eine Dame mit wahrer Klasse, was man bei weitem nicht von allen angeblich adligen Damen sagen kann. Der Herr Daragan war auch eine selten gute Person… Ich erinnere mich noch, wie Evelyn damals einen schweren Husten bekam und der Herr so nett war, sie zu behandeln. Das Wohl seiner Patienten lag ihm am Herzen.“ Das schien Daniel von seinem Vater geerbt zu haben, dachte Dakkas bei sich. Und wenn sein Vater in Den-Seng ein Krankenhaus geleitet hatte, musste er ein wirklich guter Arzt und Heiler gewesen sein. Am bekanntesten war die Stadt natürlich für das rote Vulkansalz mit seinen besonderen Heilfähigkeiten, aber an zweiter Stelle war sie vor allem für ihre begnadeten Ärzte, Heiler und Schulen der Heilkünste bekannt. „Aber ich dachte, deine Mutter hätte den Namen ihres Mannes angenommen?“, hakte Molokosh beharrlich nach. Daniel nickte. „Hat sie auch. Nach drakonischem Brauch war sie verheiratet und Frau Rosalie Daragan.“ Er lächelte, ein wahres, echtes Lächeln. „Nach Engelsgesetz war sie aber immer noch Fräulein Rosalie Liebrenn, unverheiratet aber mit einem deutlich älterem Drachen zusammen wohnend und bald darauf unverheiratete Mutter.“ Er zuckte mit den Schultern. „Weswegen mein Name, was das Engelsrecht angeht, auch Daniel Liebrenn ist.“ Etwas in Dakkas Geist schien sich aneinander zufügen bei dieser Erklärung des Heilers. Es war fast so, als würden einige Puzzlestücke richtig zusammen gesteckt. Er sah eine Frau vor seinem inneren Auge. Keine umwerfende Schönheit, aber sie besaß dieses ‚gewisse Etwas’, dass einem ein warmes, geborgenes Gefühl gab. Die Art Frau, die auch ohne wunderschön auszusehen attraktiv und charismatisch wirkte. Ihr Haar war braun und obwohl sie wie eine Engeldame aussah, trug sie ein knielanges dunkelblaues Kleid mit drakonischen Runen. Sie lief durch eine breite, von vielen Leuten begangene Straße und wurde von einem hochgewachsenem, grauhaarigem Drachen begleitet, der augenscheinlich kampferfahren und gut bewaffnet war. Die Wölbung ihres Bauches verriet, dass sie schwanger war. Seine Sicht schaltete sich um und die Welt verschwamm zu bunten Farben. Die Frau war ein gleichmäßig pulsierendes, angenehmes Weiß-Rot, doch in ihrer Bauchgegend zuckte und pulsierte ein zweites Leben, ein kleines Bündel voller Energie und Tatendrang. Das Kind war stärker, viel stärker als die Mutter oder der Drache neben ihr. „Milosh, du brauchst mich nicht zum Einkaufen begleiten.“ Die Frau sah ihren drakonischen Begleiter mit einer Mischung aus Vorwurf und Belustigung an. „Das schaffe ich auch alleine.“ Der Drache, Milosh, schüttelte nur seinen Kopf. „Quatsch. In deiner Verfassung solltest du dich nicht überanstrengen, das hat sogar dein lieber Mann gesagt.“ Die Frau schnaubte. „Zaresh macht sich zu viele Sorgen. Mir geht es- uff!“ Beide waren so vertieft in ihr Gespräch gewesen, dass sie Dakkas nicht gesehen hatten, bis die Frau in ihn hinein gelaufen war. Schnell packte der Kleinere die Schwangere am Handgelenk und balancierte sie beide aus. Milosh umfasste die Schultern der Engelsfrau und zog sie einen Schritt von Dakkas weg. „Alles in Ordnung, Rosalie?“ „Ja, ja.“ Die Frau sah Dakkas entschuldigend an. „Verzeiht, Herr.“ Dakkas Sicht hatte sich wieder umgeschaltet und jetzt konnte er den warmen Ausdruck in den Augen der Frau erkennen. Der Kleinere lächelte. „Nicht doch, es ist genauso meine Schuld. Man sollte nicht gedankenverloren in die Gegend starren auf so einer belebten Straße.“ Die Muskeln des Drachen entspannten sich merklich, als Dakkas keinerlei böswilligen Handlungen unternahm. Als wenn er aggressives Handeln erwartet hatte… Doch Dakkas hielt sich nicht mit dem angespannten Drachen auf. „Elf gesegnete Monate für Euch.“, sprach der Kleine den traditionellen drakonischen Glückwunsch für eine Schwangerschaft aus. Milosh der Drache entspannte sich vollends und Rosalie lächelte. „Danke, Herr. Fünf sind davon schon um.“ Dakkas lächelte die stolze werdende Mutter an. „Habt Ihr schon einen Namen?“ „Dartesh.“, verkündete die Engelsdame fröhlich, bevor sie und ihr Begleiter sich verabschiedeten. „Daniel… Daniel war nicht dein eigentlicher Name, oder?“, sprach Dakkas, als er wieder den Schankraum vor sich sah. Der Heiler blickte überrascht auf und sah den lächelnden Dakkas fragend an. „Deine Mutter schien sich von ihrer Familie lossagen zu wollen. Sie hätte dir keinen Engelsnamen gegeben.“ „Du hast Recht, Dakkas.“, gab Daniel leise zu. „Bei meiner Geburt bekam ich den Namen Dartesh.“ Das war in der Tat ein drakonischer Name. Und es bewies, dass Dakkas einmal in der Vergangenheit Daniels Mutter getroffen hatte, wenn auch nur flüchtig und im wahrsten Sinne des Wortes. Es bedeutete jedoch auch, dass er selbst einiges älter als der Halbdrachen Heiler sein musste. Die Erkenntnis traf Dakkas wie ein Schlag. Er war alt. Die zweite Erkenntnis kam kurz nach der ersten. Sein Gedächtnis schien sich zu reparieren; so, wie Daniel es ganz am Anfang vorausgesagt hatte. Dinge, die er schon einmal gehört oder gesehen hatte, weckten Erinnerungen in ihm. Innerlich grinste Dakkas bis über beide Ohren. Äußerlich trank er etwas von dem komischen Alkohol in seinem Glas, um zu feiern. Fast sofort bereute er es. Nur schwerlich unterdrückte er einen Husten und entschied für sich, dass starker Alkohol nicht sein Ding war. „Ich kannte dich all die Jahre lang nur als Daniel Daragan. Warum hast du einen Engelsnamen angenommen?!“, wollte Molokosh wissen. Der Schwarzhaarige klang nicht erbost, allerdings auch nicht wirklich froh. „Habe ich nicht… nicht wirklich. Nachdem… Nachdem Großvater meine Mutter hatte umbringen lassen, hat Papa lange Zeit versucht, es beweisen zu können, dass Großvater der Verantwortliche war. Er hat es nicht geschafft. Als Großvater starb entdeckte mein Onkel, dass ich nach Engelsrecht erbberechtigt war. Mama hatte mich als Daniel Liebrenn bei der Volkszählung eingetragen. Es ist also mein Name, wenn man so will.“ „Warum hat sie das gemacht, wenn sie nichts mehr mit ihrer Familie zu tun haben wollte?!“ Jareds Frage schwirrte in den Köpfen aller Anwesenden umher. Daniel grinste trocken. „Rache, wie nur meine Mutter sie nehmen konnte.“ Auf die unverständigen Blicke der anderen hin erklärte er: „Ein männlicher Nachfahre ist nach Engelsrecht immer erbberechtigt. Auch, wenn er unehelich ist, Vorraussetzung jedoch ist dann, dass er der letzte männliche Nachkomme ist. Zur damaligen Zeit hatte mein Onkel zwei Töchter in jungen Jahren und eine schwangere Frau, aber noch keinen Sohn.“ Dakkas runzelte seine Stirn. „Was dich zum Erbgrafen machte.“ Daniel nickte und seufzte. „Großvater hatte Mama umbringen lassen, weil sie ihn und die Familie ‚öffentlich beleidigt und hintergangen’ oder einen ähnlichen Schwachsinn getan haben sollte. Ich war für ihn nicht von Interesse – warum sich mit einem Halbdrachen-Bastard abgeben? Aber für meinen Onkel war ich plötzlich eine Gefahr.“ „Er wollte dich beseitigen.“, schloss Shan und Daniel nickte. „Papa schickte mich zu einem Freund der Familie, in dessen Obhut ich bleiben sollte. Graf Tishken Gra vom Klan der Trec’ba.“ Molokosh blinzelte. „Tishken Gra… der Boreas-Anhänger?“ Daniel nickte. „Ein bekennender Gläubiger vom Gott des Verrats und der Intrigen. Attentäter machen einen großen Bogen um Boreas-Anhänger, ich war also ziemlich sicher bei dem Grafen. Papa… blieb in Den-Seng und nach seinem Tod wollte ich eine Erinnerung an meine beiden Eltern haben, also mischte ich meine Namen.“ Er breitete seine Hände aus. „Daniel Daragan.“ Mit einem langen, schweren Seufzer beendete Daniel seine Erzählung. „Einige Zeit später landete ich dann in der Grauen Zone, wo Ihr mich kennen lerntet, Lanar.“ Dakkas umklammerte sein Glas. Er hörte zum ersten Mal, dass Daniel ebenfalls in der Grauen Zone gelebt hatte. Das war fast noch interessanter als sein adliger Hintergrund und seine Kindheit bei einem Grafen der Drachen. Daniel war also ebenfalls ein Grauzonler, wenn man so wollte. Anders als Shan oder Jared hatte er sich jedoch nicht diesem mysteriösen Meister angeschlossen, sondern war irgendwie an Molokosh geraten. Markus nutzte die plötzlich entstandene Stille, um sich zu räuspern. Als Daniel aufsah, blickte der ältere Engel ihn besorgt an. „Verzeihung, Herr, aber Ihr solltet da etwas wissen…“ Daniel runzelte seine Stirn. „Was gibt es da denn noch zu wissen? Den Titel zu bekommen…“ Der Halbdrache schnaubte. „Das ist mit zuviel Aufwand verbunden. Jeder Engel, der könnte, würde sich quer stellen, nur damit kein ‚Halbling’ einen alten Adelstitel kriegt.“ Der Herbergsvater verzog seine Lippen zu einer bizarren Grimasse. „Genau da habt Ihr unrecht, Herr.“ Daniel sah Markus fragend an. Auch Shan, Jared und Molokosh wirkten sehr interessiert. „Seitdem Praina Hohensonn an den Königshof zurückgerufen wurde, hat sich einiges verändert.“, meinte der Herbergsvater. „Zurückgerufen?“ Molokosh stellte sein Glas ab und mischte sich in das Gespräch mit ein. „Ich dachte, er wäre bloß wieder da aufgekreuzt und hätte die Adligen geärgert, nicht, dass er offiziell zurückgerufen wurde.“ Der Name Praina Hohensonn war Dakkas bekannt, aber er hatte keine Ahnung, worüber gerade gesprochen wurde. Der Mann war der Bruder des Sonnenkönigs, es gab also keinen Grund, warum er nicht am Königshof sein sollte. „Nein, nein.“, setzte Markus sofort zu einer Erklärung an. „Seine Verbannung ist aufgehoben worden. Oder zumindest scheint es so. Einige seiner Gesetzesvorschläge sind angenommen worden und er hat immer mehr Macht im Königspalast. Seine blaue Garde wurde sogar offiziell wieder eingesetzt und alle inhaftierten Mitglieder freigelassen.“ Dakkas war sehr froh, dass er saß und sein Glas nicht fallen lassen konnte, da es auf der Theke stand. Praina Hohensonn war verbannt worden, warum auch immer. Mitglieder seiner Garde waren inhaftiert worden. Er hatte sich in seiner Erinnerung nicht mit einem Prinzen oder Königsanwärter getroffen, sondern mit einem Verbrecher im Exil. Kein Wunder, dass der Engel einen Schlüssel von seinem Bruder geklaut hatte. Besagter Bruder hatte ihn ja anscheinend schon zum Freiwild erklärt. Aber was hatte Molokosh gerade gesagt: Dort wieder aufgekreuzt um die Adligen zu ärgern… Anscheinend hatte Praina sich nicht großartig an seiner Verbannung stören lassen. Und trotz der offiziellen Verbannung hatte er sich noch frei im Engelsreich bewegen können. Da stimmte doch etwas nicht. Irgendeinen Trumpf musste der Hohensonn im Ärmel haben, der es für seinen Bruder unmöglich machte, ihn wirklich ernsthaft verfolgen zu lassen. Und Dakkas hatte so dieses Gefühl, dass dieser Trumpf nicht nur das Blut in seinen Adern und seine Abstimmung war. Doch das hatte sich jetzt, aus welchem Grund auch immer, geändert. Irgendetwas war geschehen, das Hepai Hohensonn veranlasst hatte, seinen Bruder wieder am Hof zu dulden. Und dieses Etwas musste groß gewesen sein. „Das sind interessante Neuigkeiten, aber was haben die mit meinem möglichen Titel zu tun?“, warf Daniel ein. Markus lächelte sanft. „Die blaue Garde hat angefangen, ihre alten Tätigkeiten wieder aufzunehmen. In erster Linie die sinnvolle Wahrung der Gesetze im Reich. Und der Herr Praina erwartet, dass sich jeder hundertprozentig an diese Gesetze hält, auch Adlige. Ihr kennt doch sicherlich das reichsweite Erbrecht, oder, Herr Liebrenn?“ Daniel schien angestrengt nachzudenken. „Damit habe ich mich nie wirklich beschäftigt. Ich weiß, dass jeder männliche Nachkomme erbberechtigt ist und…“ Der Heiler blinzelte. Als er wieder sprach, war seine Stimme heiser. „Der nächste erbberechtigte Nachkomme hat nach dem Tod des vorherigen Titelträgers vier Monate Zeit, um den Titel zu beanspruchen, bevor der nächste Berechtigte es tun darf.“ Markus nickte. „Der Großhändler Merwen, der Freund Eures Cousins, will Eure Großcousine heiraten und den Titel so bekommen… aber die blaue Garde lässt den Ehe-Absichtsvertrag nicht in Kraft treten, solange die vier Monate nicht herum sind und Ihr noch lebt.“ Daniel starrte leblos in sein Glas und die anderen am Tresen sitzenden starrten geschockt ihren Heiler an. „Daniel hier wäre also ein ganz legitimer Adliger, wenn er diesen Titel annehmen würde?“, hakte Jared nach. Markus nickte, doch Daniel lachte bloß heiser. „Ein Titel ohne jeden Wert. Die Liebrenns haben seit mehreren Generationen praktisch kein Vermögen mehr. Was immer auch übrig war, haben mein Onkel und mein Cousin vollends verschleudert. Es ist praktisch nichts mehr, außer einem Titel.“ „Warum sollte dieser Merwen deine Großcousine dann heiraten wollen?“, wollte der Halbwolf genervt wissen. Dakkas kam Daniel beim Beantworten zuvor. „Weil er ein Großhändler ohne Titel ist. Das Geld hat er wahrscheinlich schon, der Titel ist, was er will. Oder?“ Daniel nickte stumm. Jared runzelte seine Stirn. „Warte mal, wie alt soll das Mädchen gleich noch gewesen sein? Zwölf? Wie kann man denn so ein junges Ding heiraten?“ „Eheverträge, Ehe-Absichtsverträge, Handel zwischen reichen und oder adligen Familien…“ Daniel zuckte mit den Schultern. „Es ist immer noch üblich, solche Verträge oder Versprechen abzuschließen.“ „Aber… zwölf?“ Der Werwolf schüttelte sich. „Die arme Kleine. Mit so jungen Jahren einen älteren Kerl heiraten zu müssen…“ Ein lautes Schnauben ertönte hinter den am Tresen sitzenden. Geglash war von seinem Platz bei Xin-Mei und Ischa aufgestanden und hinter Sar’Shan getreten. „Komisch, bei diesen Worten fällt mir diese vorlaute kleine Halbwerwolf ein, der es sich mit nicht ganz 16 Jahren in den Kopf gesetzt hatte, meinen Kommandanten ins Bett zu kriegen.“ Der blauhaarige Drache grinste schief. Dakkas lachte leise und selbst Molokosh zog amüsiert seine Augenbrauen hoch. Shan seufzte und Jared schmollte. „Und er hat trotzdem darauf bestanden, zu warten bis ich 19 bin.“ Als Antwort bekam der Halbwolf einen Kuss von seinem Liebhaber. Daniel hatte angestrengt auf das Glas vor ihm gestarrt, seitdem Jared von der armen Kleinen gesprochen hatte. Nun sah der Heiler auf und fragte Markus, wo und wie man den Titel würde annehmen können. Dakkas hatte eine sehr gute Vermutung darüber, warum der Heiler plötzlich doch an seiner Engelsfamilie interessiert war. „Die blaue Garde kümmert sich darum. Ihr müsstet in eine ihrer Garnisonen gehen.“, war die Antwort des Herbergsvaters. „Gibt es denn schon wieder welche?“, fragte Geglash ungläubig. „Wir hatten nur gehört, dass sie wieder offiziell eingesetzt wurde, aber nicht, dass die Garnisonen wieder belegt wurden…“ Der alte Engel lächelte. „Oh doch, einige stehen schon wieder unter Befehl der blauen Garde. Eine in Großgaren, eine in der Hauptstadt natürlich, eine in Friedesaue, eine in Wachtburg und eine in Vilai.“ Dakkas horchte auf. „Vilai? Der ehemalige Elfenaußenposten südlich von Tirin?“ Markus nickte. „Genau die Stadt.“ Man konnte Daniel seine Gedanken förmlich aus seinem Gesicht ablesen. Es herrschte Stille, bis Molokosh einmal schwer seufzte. „Du willst den Titel annehmen, um das Mädchen beschützen zu können, oder?“ „Ich kann nicht zulassen, dass sie an einen alten, gierigen Sack gefesselt wird.“ Molokosh lächelte. „Du bist zu gutmütig.“ Der Drache rieb sich die Schläfe. „Dann machen wir eben einen Abstecher nach Vilai. Du hast ja noch… ungefähr drei Monate Zeit, richtig?“ Der Heiler nickte freudig. Nachdem ihr baldiger Ausflug nach Vilai beschlossene Sache war, bezogen sie alle ihre jeweiligen Zimmer beziehungsweise Schlafräume. Wie sich herausstellte, gehörte nicht nur das eine zur Straße hin gelegene Haus zur Herberge, sondern auch noch zwei etwas längere Bauten und einem angeschlossenem Stall, die einen Innenhof mit dem Schankhaus teilten. Schnell war der Beschluss gefasst, den Rest des Tages als Verschnaufpause zu nutzen. Sie waren inzwischen etliche Tage gereist und ein halber Tag von Ruhe konnte ihnen allen nur gut tun. Außerdem würde der weitere Verlauf viel Planung und Vorsicht erfordern. Schließlich wollten sie in ein Dogenhaus einbrechen. Wie gewohnt belegten Molokosh und Nostradamus ein Zimmer, Daniel und Dakkas das andere. Zunächst trafen die vier, zusammen mit Jared und Sar’Shan, sich jedoch in dem Zimmer der de’Sahr Brüder. „Also, wie genau soll das jetzt funktionieren?“, wollte Shan wissen und sprach somit die Frage aus, die jeder der Anwesenden sich stellte. „Nostradamus kann uns sagen, wo Olivier wohnt. Am sichersten wäre es wohl, ihn früh morgens aufzusuchen.“, schlug Dakkas vor. „Nicht abends?“, meinte Jared verwirrt. Dakkas blinzelte. Ja, die meisten Leute hätten wohl spät abends oder nachts so einen ‚Besuch’ getätigt, aber sein Geist hatte diese Möglichkeit fast selbstverständlich aussortiert. Der Grünäugige gab sich Mühe, seine wirren Gedanken zu sortieren und geordnet wiederzugeben – sowohl für die anderen als auch für sich selbst. „Nein. Jemand, der spät abends oder nachts komischen Besuch empfängt, fällt auf. Und man kann immer gesehen werden: Nachbarn, die gerade heimkommen oder ausgehen, jemand hat Besuch und öffnet die Türe… morgens hingegen achtet kaum jemand auf solche Dinge, weil man dem eigenen Tagesablauf nachkommen muss. Die Chance, dass man auffällt, ist kleiner, wenn alle zu beschäftigt sind um auf einen zu achten.“, beendete Dakkas seinen kleinen Vortrag. „Da stimme ich fast zu.“, brummte Molokosh, „Aber wer soll ihn besuchen? Wir alle?“ Dakkas überlegte und schüttelte seinen Kopf. „Das würde zuviel Aufsehen erregen, auch wenn wir noch in den dunklen Morgenstunden an seiner Tür stehen würden.“ „Alleine wirst du auf gar keinen Fall gehen!“ Molokoshs Augen funkelten, als er sprach und eine Hand auf Dakkas Schulter legte. Der Grünäugige blinzelte und verschränkte dann seine Arme. „Erstens habe ich das gar nicht vorgeschlagen und zweitens kann ich auf mich selbst aufpassen.“ Molokosh sah aus, als wollte er widersprechen, aber Dakkas stechender Blick ließ ihn seinen Mund wieder schließen. Seufzend zog er seine Hand von der Schulter des Kleineren zurück. „Was schlägst du dann vor?“ „Jared kann mitkommen.“ Die Drachen sahen den Halbwolf verdutzt an. Dieser sah auch überrascht aus ob dieser Aussage. „Ich?!“ „Ja, natürlich.“ Dakkas lächelte. „Solange du deinen Mund nicht aufmachst oder jemanden anknurrst, hält dich jeder für einen Engel. Das Aussehen dazu hast du.“ Der Zauberer gab ein halblautes Knurren von sich und brummte: „In einigen Teilen meiner Heimatstadt wäre das eine Beleidigung gewesen.“ Dakkas schmunzelte. „Dann kannst du ja froh sein, dass wir nicht in deiner Heimatstadt sind.“ Molokosh schien den Vorschlag abzuwägen, aber Sar’Shan war nicht damit einverstanden. „Die Idee ist Scheiße.“ Der Vash-Anhänger zog seinen Geliebten in seine Arme und umklammerte ihn. „Wir haben keine Ahnung, ob wir diesem Jerome trauen können oder nicht. Ihr beide werdet nicht ohne Schutz zu ihm gehen.“ „Wie bitte?!“ Jared streckte seinen Kopf nach oben, so dass er Shan in die Augen sah. „Ohne Schutz?! Ich glaub, ich hör nicht richtig.“ „Schatz… so war das nicht gemeint und das weißt du.“ Der Drache gab dem Werwolf einen Kuss. „Ich mache mir nur Sorgen. Schließlich ist das ein Doge.“ Jared blinzelte und setzte kurz darauf ein zuckersüßes Lächeln auf. „Liebling, deine Sorge wurde zur Kenntnis genommen.“ Nach diesen Worten stellte Jared sich auf seine Zehenspitzen und zog Shans Kopf herunter, so dass er dem Drachen etwas ins Ohr flüstern konnte. Was auch immer es wahr, es ließ Shan feuerrot werden und den Halbwolf aus seinen Armen entgleiten. Als Jared neben seinen Freund trat, lag ein zufriedenes Grinsen auf seinem Gesicht und Shan räusperte sich. „Wenn Jared möchte kann er dich natürlich gerne begleiten, Dakkas.“ Dakkas grinste und Daniel schien in seine Hand zu lächeln. Molokosh zog nur amüsiert seine Lippenenden hoch. „Es ist immer gut zu wissen, wer der derganar ist, hm, Sar’Shan?“ Die einzige Antwort des Kriegerdrachens war ein dunkler Blick aus seinen grauen Augen, bevor er seinen Kopf wieder senkte. „Also, ich hätte kein Problem damit, Dak.“ Jared lächelte. „Außerdem wollen wir deinen Dogenfreund ja nicht verschrecken, indem einer von den Großen an seine Tür klopft, hm?“ „So kann man’s auch sehen.“, bemerkte Daniel halbleise und fuhr sich dann seufzend durch die Harre. „Wo lebt der Herr noch mal?“ „Kreuzweg 6, Kleingaren.“, intonierte Nostradamus in einer emotionslosen Stimme und ließ so alle Anwesenden auffahren. „Hintereingang.“ Molokosh lächelte seinen Bruder an, der auf seinem Bett saß und stur aus dem Glasfenster des Zimmers starrte. „Danke, Nostradamus.“ Jared schüttelte seinen Kopf. „Nichts für ungut, aber daran werde ich mich nie gewöhnen.“ „Entschuldigt mich, aber ich will noch etwas mit Markus reden.“, meinte Daniel plötzlich. „Abgemacht ist also, dass Jared und Dakkas morgen früh diesen Olivier aufsuchen und mit ihm darüber sprechen, wie man uns alle ins Dogenhaus kriegt und wo wir uns alle treffen können?“ Als die Versammelten nickten, verließ Daniel mit einem kurzen Abschiedswort das Zimmer. Shan sah ihm nachdenklich nach. „Diese Sache mit seiner Familie bedrückt ihn.“, meinte der Krieger schließlich. Jared seufzte leise. „Würde es das nicht jeden? Man sollte ihm etwas Zeit lassen.“ „Eine gute Idee.“, bestätigte Molokosh. „Könntet ihr euren Freunden sagen, dass sie ihn heute nicht aufregen sollen?“ Der Schwarzhaarige sah die beiden Grauzonler bittend an. „Das brauchen wir ihnen nicht sagen.“, brummte Shan, etwas beleidigt. „Wir sind schließlich keine Barbaren.“ Molokoshs Blick sagte deutlich, dass das noch zur Debatte stand. „Dieser Markus wusste erstaunlich viel über die neuesten Ereignisse.“ Dakkas fiel nicht auf, dass er diesen gedachten Satz laut gesprochen hatte, bis Molokosh ihm antwortete. „Hast du nicht das Wappen hinter der Theke gesehen?“ Dakkas blinzelte. Wappen? Er erinnerte sich an den Schankraum: Ein Raum wie alle anderen Schankräume in Engelstavernen. Hölzerne Tische, Stühle, eine Theke mit Stühlen davor, lange Reihen von Fässern, Flaschen und Gläsern. An der Seite die Tür zur Küche, aus der verlockende Düfte gekommen waren… Vielleicht würde er gleich etwas essen gehen. Aber an ein Wappen erinnerte er sich nicht wirklich… Halt, doch. Da war eins gewesen. Es war fast unsichtbar gewesen, sehr schlicht und einfach. Ein kreisrundes Stück Stoff in einer sanften, hellblauen Farbe. Auf den Stoff war eine zweiter, kleiner Kreis von etwas dunklerem Blau gemalt oder gestickt worden und in diesen hinein wiederum eine Krone in einem sehr tiefem Dunkelblau. „Hab’s nur am Rande wahrgenommen.“, sprach Dakkas schließlich. „Das Wappen der blauen Garde.“, erklärte Molokosh. „Daniels Bekannte sind Praina-Loyalisten.“ Der Drache runzelte seine Stirn und zuckte dann mit den Schultern. „Kein schlechter Ort, um erst mal unterzukommen.“ „Die Grafschaften, die Praina Hohensonn treu blieben haben die ‚Experimente’ der Dogen für ungesetzlich erklärt.“, fügte Shan anbei. In der Stimme des Drachen schwang fast so etwas wie Respekt für den adligen Engel mit. Praina Hohensonn war also ein Mann mit sehr unterschiedlichen Ansichten als sein Bruder und viele andere Engel. Dakkas merkte sich das und sinnierte darüber, was er noch mit dem Hohensonn zu tun haben könnte, während er sich auf den Weg zum Schankraum und einer warmen Mahlzeit machte. Sein Gefühl sagte ihm, dass Praina und er mehr als nur einen Schlüssel und die Information über eine Trollfestung ausgetauscht hatten. ~*~ Die Herberge hatte einen erstaunlich guten Mittagstisch und Dakkas freute sich über die erste gute, warme Mahlzeit seit etlichen Tagen. Sogar Jared schien von den Kochkünsten der Frauen des Hauses beeindruckt: Der Werwolf kommentierte laut und lobend die Würzung des Fleisches und der Soße – obwohl er an Shan gewand immer noch meinte, dass die Soße mit rohem Fleisch noch besser schmecken würde. Nach dem Essen verteilten die Mitglieder der Gruppe sich. Daniel setzte sich zu Markus an die Theke und dachte laut darüber nach, die Familie seines alten Kindermädchens zu besuchen. Jared ergriff Shans Hand und zerrte den Drachen mit sich in die Richtung ihres Schlafsaals. Über seine Schulter wies er die anderen Vash-Anhänger an, die nächsten Stunden dort nicht vorbeizuschauen. Shan sah nicht so aus, als würde ihn das Verhalten seines Geliebten stören und von den wissenden Grinsen auf den Gesichtern des Trupps her geschah etwas dieser Art auch nicht zum ersten Mal. Die Vash-Anhänger teilten sich in zwei Gruppen auf: Die eine wollte sich den Markt und die dortigen Geschäfte angucken, die andere begann ein Kartenspiel an einem der Tische in der Schankstube. Molokosh bot Dakkas an, mit ihm etwas zu unternehmen, aber der Grünäugige lehnte ab. „Die nächste Stunde will ich mal nichts tun, außer hier zu sitzen und zu faulenzen.“, meinte er. Der Drache sah zwar etwas enttäuscht aus, akzeptierte die Antwort aber und entschwand ebenfalls in Richtung Markt. Dakkas hatte die Wahrheit gesagt, er brauchte einfach einen Moment Ruhe nur für sich. Einen Augenblick, in dem er mal nichts weiter zu tun hatte als atmen und entspannen. Die Schankstube war etwas voller geworden im Verlauf ihrer Mahlzeit und jetzt waren einige der Tische besetzt. Die Karten spielenden Vash-Anhänger schienen so etwas wie eine kleine Kuriosität zu sein, denn die anderen Gäste beobachteten sie neugierig und interessiert. Wie eine Ansammlung seltener Tiere. Ungewollt musste Dakkas schnauben und seinen Kopf schütteln. Kein schöner Vergleich für Shans Trupp, aber doch ein sehr passender. Einige dieser Leute hatten wahrscheinlich noch nie etwas wie einen Drachen oder Visha gesehen. Der plötzlich stärker werdende Wind ließ die hölzernen Fensterläden an der Außenseite des Hauses klappern und Dakkas, der am Fenster saß, auffahren. Der Grünäugige blickte durch das erstaunlich saubere Fenster nach draußen und sah das im Wind schwingende Tavernenschild der Herberge. Der Himmel war etwas dunkler geworden, als wenn es bald regnen würde und zusammen mit dem stärker werdenden Wind sah es aus, als würde es bald einen Sturm geben. Dakkas hatte schon mal besseres Wetter gesehen. Lachen dröhnte von einem voll besetzten Tisch in der Ecke herüber und Dakkas drehte seinen Kopf in die Richtung. Eine Gruppe älterer Herren, Engel, rauchte Pfeife, trank Bier und schien über irgendeinen Witz zu lachen. Evelyn, die Herbergsmutter, brachte ein Tablett mit einigen belegten Brotscheiben und stellte es vor den Gästen ab. Die Gäste grüßten, Evelyn grüßte zurück. Ein kurzes, freundliches Gespräch entstand, bevor Evelyn ging und sich wieder ihrer Arbeit widmete. Dakkas sah wieder aus dem Fenster. All das besaß so eine heimelige Atmosphäre, ein gutes Gefühl. Das komische Gefühl, dass kurz vor Kleingaren von ihm Besitz ergriffen hatte, war wie weg geblasen. Das Rascheln von Kleidung ihm gegenüber riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf und sah Nostradamus, der einen Becher mit heißem, dampfenden Tee in seinen Händen hielt. Der Kleinere blinzelte. Er hatte bisher noch keinen Tee in der Herberge gesehen. „Wo hast du den her?“ Der Seher lächelte und nahm einen großen Schluck des heißen Gebräus. Wäre er kein Drache gewesen, hätte er sich den Mund und den Hals verbrüht. „Evelyn. Nette Frau.“ Es wunderte Dakkas nicht sonderlich, dass Nostradamus Tee von der älteren Dame bekommen hatte. Der Seher wirkte durch seine geistige Abwesenheit manchmal äußerst zerbrechlich. Evelyn wollte ihm wahrscheinlich etwas Gutes tun. „Kleingaren hat eine Universität.“, sprach der grauhaarige Drache plötzlich und brachte so Dakkas ganze Aufmerksamkeit auf sich. „Universität?“ Nostradamus nickte, sein Blick immer noch auf das Fenster und die Welt dahinter gerichtet. „Eine sehr gute. Magische Künste, Rhetorik, Geschichte, Sprachen, Technische Wissenschaften. Wer es sich leisten kann und aufgenommen wird, schickt sein Kind hierher.“ Das war zwar interessant zu wissen, aber Dakkas sah den Grund dafür nicht, warum der Seher ihm davon erzählte. Doch halt… „…Du hast gesagt, ich hätte unterrichtet.“ Die Luft blieb ihm in der Kehle stecken und seine Stimme wurde heiser. „Hier?!“ Der Seher lächelte und trank einen Schluck Tee. „Nein, nicht hier. Ein, zwei Mal eine Gastvorlesung, aber soweit ich weis, warst du nie lange hier.“ Dakkas Herz pochte weiter, wo es ihm gerade noch vorgekommen war, als hätte es still gestanden. „Nicht hier.“ „Nicht hier.“, wiederholte Nostradamus sich, bevor er fortfuhr. „Aber die Universität hat eine öffentliche Bibliothek.“ Dakkas spitze seine Ohren. „Ja?“ Der Seher musste einfach auf etwas hinaus wollen mit diesem Gespräch. „In der Bibliothek gibt es eine Abteilung für ‚Magische Vorkommnisse’. In dieser Abteilung gibt es ein Buch – ‚Das Kompendium magischer Lebewesen’. Es steht im dritten Regal, das nach dem Bild vom heiligen Emil kommt. Nah am Fenster, nah am Boden.“ Der Seher blinzelte und sah kurz zu Dakkas, bevor er wieder das Fenster anstarrte. „Du solltest in dem Buch unter dem Begriff ‚Avatar’ nachschlagen.“ Dakkas starrte den Seher an. Das war eine sehr genaue Beschreibung und eine sehr eindeutige Anweisung. „Warum? Warum ist das wichtig?“ „Vielleicht ist es das gar nicht.“, meinte Nostradamus. „Vielleicht wäre es überflüssig, dass du es dir anguckst und durchliest. Vielleicht nützt es eh nichts. Aber ich gehe nur ungern Risiken ein, die sich vermeiden lassen.“ Der Seher lächelte und trank von seinem Tee. Dakkas hatte seine Stirn gerunzelt und blickte auf seine Hände, die vor ihm auf dem alten Holztisch lagen. „Du hast wieder irgendwas gesehen, nicht war? Etwas möglicherweise gefährliches.“ Nostradamus wandte seinen Blick vom Fenster ab und sah Dakkas an. „Jeder Augenblick in deiner Gegenwart ist gefährlich. Jeder Augenblick in meiner Gegenwart ist gefährlich. Jeder Augenblick in Sar’Shans Gegenwart ist gefährlich – obwohl Daniel fast genauso gefährlich sein könnte, wenn er wollte.“ Nostradamus schmunzelte und Dakkas hatte kaum Zeit sich zu fragen, warum Daniel so gefährlich sein sollte, bevor der Seher fortfuhr: „Würde ich mir Sorgen über Gefahren machen, würde ich keine Zeit für irgendetwas anderes finden.“ „Aber du machst dir gerade Sorgen über irgendetwas.“, beharrte Dakkas. Innerlich fluchte der Grünäugige. Dieser Seher war verschlossener als eine zwergische Schatzkammer mit magischen Schutzvorrichtungen. Nostradamus stockte und schien etwas zu kalkulieren, bevor er zögerlich sagte: „Es wäre möglich, dass wir uns in eine Sackgasse manövriert haben.“ Dakkas fühlte, wie ihm eiskalt wurde. „Sackgasse?! Was soll das heißen?!“ Der Seher lächelte humorlos und schüttelte nur seinen Kopf. „Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen. Ich kümmere mich um die Sackgasse, du liest das Buch.“ Der Grauhaarige legte seinen Kopf schief. „Einverstanden?“ „Habe ich eine große Wahl?“, fragte Dakkas zurück, seufzte aber resignierend. „Also gut. Ich gehe in die Universitätsbibliothek und schlage in dem Buch unter ‚Avatar’ nach.“ Nostradamus lächelte beruhigt und trank seinen Tee. Dakkas hatte große Lust, dem Grauhaarigen einen Schlag ins Gesicht zu verpassen. ~*~ Die Universität in Kleingaren war ein Komplex von mehreren Steingebäuden, die zusammen einen relativ großen Häuserblock der Stadt darstellten. Die Geschäfte in diesem Teil der Stadt waren größtenteils Bücherläden, kleinere Tavernen und Herbergen sowie gemischte Geschäfte, die eine große Menge kleiner, unterschiedlichster Dinge anboten. Junge Engel, Elfen und Feen stellten den Großteil des Straßenbildes dar. Die Bibliothek war in einem besonders alt aussehendem Steingebäude untergebracht, das aussah, als wäre es schon mindestens genauso alt wie das Gebirge, auf dem die Stadt errichtet wurde. Aber vielleicht war das auch einfach nur Absicht und sollte das Alter und die Ehrwürdigkeit der Universität unterstreichen. Jedenfalls hatte Dakkas keinerlei Probleme, die Bibliothek zu betreten und die von Nostradamus erwähnte Abteilung zu finden. Man schenkte ihm auch keine große Beachtung; weder die in Roben gehüllten Bibliothekare noch die verschiedenen anwesenden Studenten schienen ihn großartig zu bemerken. Dem Schwarzhaarigen fiel auch bald auf wieso: Sein jugendliches Aussehen zusammen mit seiner etwas besseren, wenn auch eindeutig gebrauchten Kleidung, ließen ihn wie bloß einen weiteren Studenten aussehen. Sein Aussehen ließ ihn seine Stirn runzeln, während er nach dem von Nostradamus erwähntem Heiligenbild suchte. Er sah jung aus, das wusste er. Bislang hatte er sich nicht darüber gewundert, wie viel er in seinem bisherigen Leben bereits unternommen zu haben schien, da die Wesen Kvi’stas unterschiedlich alt werden konnten. Der durchschnittliche weiße Engel schaffte locker 400 bis 500 Jahre. Elfen und Bowen ebenfalls, wobei letztere durchschnittlich etwas länger lebten. Die Drachen hatten mit rund 800 möglichen Jahren die längste Lebensspanne aller Völker Kvi’stas. Da ihre größte Freizeitbeschäftigung jedoch das gegenseitige Töten war, erreichten nur sehr wenige von ihnen mehr als 300. Wenn es nicht hin und wieder ein paar glückliche, einsiedlerische Drachen geben würde, die tatsächlich rund 800 Jahre alt wurden, würden sie wohl für die kürzeste Lebensspanne bekannt sein. Tatsache war jedoch: Dakkas war älter als Daniel und schien sich äußerlich so gut wie gar nicht verändert zu haben. Das schloss eine Menge möglicher Herkunftsvölker für ihn aus. Übrig blieben Drachen und Werwölfe, die aufgrund ihrer Selbstheilung äußerlich langsamer alterten. Oder die immer noch von Shan favorisierte Variante: Dämonenabkömmling. Insgeheim, musste Dakkas sich eingestehen, hatte er sich mit dieser Erklärung bereits angefreundet. Es würde wirklich viel erklären. Bei all dem Nachdenken hätte er es beinahe geschafft, an dem Heiligenbild vorbei zu laufen. Erst als er schon fast dran vorbei war, erkannte er neben sich den Magierstab des Heiligen Emil und blieb abrupt stehen. Das Bild war groß und zeigte den Heiligen im üblichen Gewand der Sonnenpriester, zusammen mit seinem Magierstab. Im zu Füßen lag eine Art dämonischer Hund, blutend aus vielen Wunden und offensichtlich kurz vorm Sterben, wenn nicht schon ganz tot. Das sollte höchstwahrscheinlich Quar-ta sein, der Hundedämon, für dessen Tod Emil heilig gesprochen worden war. Da er an seinem Ziel angekommen war, machte Dakkas sich daran, dieses ‚Kompendium’ zu suchen. Was sich als schwieriger als angenommen herausstellte. Das dritte Regal zu finden war absolut kein Problem. Nah zum Fenster hin und nah am Boden engte die Suche auch noch etwas ein, aber trotzdem waren das immer noch etliche Bücher. Fast war der Grünäugige sich sicher, dass irgendein Magier das Regal verzaubert hatte, nur damit mehr Bücher als eigentlich möglich drauf passten. Zwanzig Minuten später förderte seine Suche endlich das Kompendium zutage: Ein dicker, abgegriffen aussehender Wälzer von schier unfassbarem Gewicht. Dakkas hatte vorgehabt, den Begriff ‚Avatar’ eben im Stehen nachzuschlagen, aber das Ding wollte er nicht ewig in der Hand halten. Fünf Minuten später saß er an einem der alten Holztische, die überall in der Bibliothek verteilt waren, und schlug den Ledereinband des alten Buches auf. Die Schrift war erstaunlich gut lesbar, obwohl das Buch in der alten Schrift des Engelskönigreiches gedruckt worden war. Dakkas hatte keine Schwierigkeiten, es zu lesen. Die kurze Einleitung überschlug er größtenteils. Dort schien nichts zu stehen außer allgemeinen Floskeln des Autors über die Herkunft der im Buch enthaltenen Informationen. Langweilig und uninteressant. Was er suchte war der Eintrag unter ‚Avatar’. Glücklicherweise war das Buch alphabetisch sortiert und nicht nach den verschiedenen Arten der Magie oder etwas ähnlich idiotischem. Schnell blätterte Dakkas die Einträge unter ‚A’ durch, bis er endlich die Seite aufschlug, die mit großen Buchstaben ‚Avatar’ als Titel stehen hatte. Das Kompendium magischer Lebewesen war genau das, was der Name andeutete: Eine Art Enzyklopädie für Wesen, die als ‚unnatürlich’ und magischen Ursprungs angesehen wurden. Dakkas hatte daher vielleicht eine Art Dämon, magischem Geist oder ähnlichem erwartet. Was jedoch tatsächlich unter dem Eintrag Avatar vermerkt war, ließ ihn stirnrunzelnd in den Stuhl sacken. Avatar: Ein von göttlicher Magie verwandelter Einwohner Kvi’stas Das versprach ja schon mal interessant zu werden. ‚Avatar’ ist die landläufige Bezeichnung für den obersten ausgewählten Verfechter einer Gottheit. In seltenen Fällen tritt es ein, dass eine Gottheit einen ihrer Anhänger auserwählt, um besondere Aufträge oder Dinge zu erledigen, bewerkstelligen oder einzuleiten. Falls dies passiert, gibt die Gottheit dem ausgewählten Gläubigen einen dauerhaft anhaltenden Segen und schenkt ihm oder ihr einen kleinen Teil göttlicher Macht. Avatare sind daher selten und normalerweise nur in Notzeiten anzutreffen. Dakkas bekam an dieser Stelle das ungute Gefühl, dass Nostradamus von einer wirklichen Gefahr gesprochen hatte. Notzeiten bedeutete für Götter wahrscheinlich etwas anderes als für die Normalsterblichen Kvi’stas. Eine Notzeit, die so groß war, dass man einen Superkrieger auf der Welt brauchte, musste das Wort Not praktisch erfunden haben. Avatare sind erfüllt von göttlicher Magie und erlangen somit fantastische Kräfte: Borbas der Schlächter vermochte flüssigen, brennenden Stein an seine Seite zu rufen; Leila die Weiße konnte durch Handauflegen die Purpurpest heilen. Jeder Avatar erhält andere, von seiner Gottheit stammende Kräfte. Einige sind berühmt für ihre Wohltaten, andere für die Blutspur, die sie hinter sich ließen. In allen Fällen verfügt ein Avatar über einen fanatischen Glauben an seine oder ihre Gottheit: Da die Verwandlung sich nicht rückgängig machen lässt, wählt ein Gott nur mit großer Sorgfalt die Person aus, die so viel Macht erhalten soll. Ja, das hörte sich tatsächlich nach großen Schwierigkeiten an. Warum ließ Nostradamus ihn das hier nachgucken? Würde bald ein Avatar auftauchen? War in diesem Moment einer erschaffen worden? War es nötig, dass ein Avatar erschaffen werden musste? Würden sie auf einen treffen? Der Seher hatte einige Fragen zu beantworten, so viel stand fest. Und wenn Dakkas ihn dazu mit Hilfe seiner Magie fesseln musste, die Wichtigkeit von diesem Avatar-Zeug wollte er jetzt erklärt haben. Das Augenmerk des Schwarzhaarigen fiel auf den letzten Abschnitt der Seite, wo noch eine kleine Liste vermerkt war. Da es nicht schaden konnte, las er auch diese. Zu den bekannteren Avataren der Geschichte zählen: Borbas der Schlächter, Avatar des zweiten Vash der ersten blutigen Ära; Leila die Weiße, Avatar der dritten Mirabelle der zweiten blutigen Ära; Sergei der Flinke, Avatar des ersten Turdas der chaotischen Ära; Grom Eisenfaust, Avatar des Drengar der zweiten blutigen Ära Blutige Ära… Chaotische Ära… Genau erinnerte Dakkas sich nicht an die Bedeutungen dieser Worte, abgesehen davon, dass es Namen vergangener Zeitalter waren. Aber die gebrauchten Adjektive hörten sich nicht sehr vielversprechend an. Besorgt schloss er das Buch und stellte es an seinen Platz im Regal zurück. Diese ganze Angelegenheit wurde immer komplizierter. Vielleicht sollte er sich mal genau anschauen, was um ihn herum passierte. Sein Geist kramte die Erinnerung an eine stürmische Nacht in einer Hütte im Wald zutage. Und Cecilia, Göttin der Jagd und des Überlebens, die von einem ‚Umbruch’ gesprochen hatte. Die Göttin schien vor etwas warnen zu wollen, auch wenn Beauron ihn später vor ihr gewarnt hatte. Jetzt wo er darüber nachdachte, Cecilia hatte ihn zwar warnen – beeinflussen – wollen, aber sie hatte nichts genaues gesagt. Nur genug, um sein Interesse zu wecken. Das war doch etwas suspekt… aber wahrscheinlich war es unmöglich, die Motive für ihr Erscheinen zu erahnen. Trotz alledem glaubte Dakkas, dass dieser ‚Umbruch’ echt war. Irgendetwas geschah in Kvi’sta, dass viele Götter und mächtige Personen in Aufruhr versetzte. Praina Hohensonn, der aus dem Exil zurück kehrte. Cecilia, die von einem Umbruch sprach. Beauron, der gefangen war und anscheinend von Dakkas befreit werden sollte. Dämonen, die unbedeutende Dörfer angriffen ohne ersichtlichen Grund. Nostradamus, der ihn auf obskurer Art und Weise vor Avataren gewarnt hatte – oder zumindest über diese Gotteskrieger informieren wollte. Warum bei den Teufeln hatte er überhaupt mit alledem zu tun?! Es musste doch einen Grund geben, wegen dem er Beauron befreien wollte. Der Todesgott war schließlich verrückt, gefährlich und- Nein, nein, das war Beauron nicht. Während Dakkas die Bibliothek der Universität verließ, zeigten seine brüchigen Erinnerungen ihm Beauron, wie er mit einem Lächeln auf seinem Gesicht auf einer Holzschaukel saß und mehr wie ein verlorenes Kind als ein Todesgott aussah. In der Erinnerung umgab Beauron bereits das andersweltliche Gefühl, dass einen Gott verriet, wenn man wusste worauf zu achten war. Aber der kleine Junge auf der Schaukel schien so unschuldig und harmlos zu sein, während er mit seinen Füßen auf dem Boden scharrte. Beauron war kein Monster, tief in seinem Inneren war er ein verschreckter Junge. Er hatte nie ein Gott sein wollen. Seine Gottwerdung war ein Unfall gewesen; ein schrecklicher, schrecklicher Unfall. Dakkas würde den kleinen Gott befreien; ihm seine Freiheit wiedergeben. Das war sein Ziel gewesen, bevor er diese Amnesie bekommen hatte. Und er würde sich von so einem kleinen… Zwischenfall nicht stören lassen. Bevor Dakkas zur Herberge zurück kehrte, erlaubte er sich noch einen Gang über den Markt. Da es bereits spät wurde, nahmen die Besucher des Marktes bereits immer mehr ab. So brauchte Dakkas sich nicht durch ein dichtes Gedränge wühlen. Es gab zwar nichts, was sein Interesse weckte, aber in der Zeit konnte er sich gedanklich einige Fragen für Nostradamus zurecht legen. Und die besten Methoden dafür überdenken, wie er den Seher zum Antworten bringen könnte. Am liebsten würde er dem Grauhaarigen an die Kehle springen und Antworten fordern, aber da Nostradamus ein gutes Stück größer und muskulöser war, würde der Seher ihn wahrscheinlich mit einer Hand von sich fern halten können. Außerdem würde Molokosh das nur sehr ungern sehen wollen, auch wenn Dakkas einen guten Grund hatte, um über den Seher frustriert zu sein. Zur Abendmahlzeit kehrte er dann schließlich zum Königsgraben zurück. Molokosh, Daniel, Jared und Shan saßen an einem der Tische und aßen eine recht ordentliche Mahlzeit. Die Vash-Anhänger waren auf drei umliegende Tische verteilt und wurden von Evelyn bewirtet. Markus stand hinterm Tresen und kümmerte sich darum, den vielen Bierbestellungen nachzukommen. Es war erstaunlich voll geworden in der Herberge, und so musste Dakkas sich an anderen Gästen vorbei quetschen, um zu Molokoshs Tisch zu gelangen. Freundlicherweise schien Daniel ihm einen Platz neben sich, gegenüber von Jared, reserviert zu haben. „Dakkas! Wir dachten schon, du wärst irgendwo in einem Straßenloch verschwunden.“, kommentierte Jared auch sofort mit vollem Mund, als der Kleinere sich an den Tisch setzte. „Ich war in der Universitätsbibliothek.“ Jared verschluckte sich und musste husten. Shan klopfte seinem Liebhaber auf den Rücken und schüttelte gleichzeitig seinen Kopf. „Das wundert mich irgendwie nicht.“ „Was? Dass ich Bücher lese, oder dass Jared nicht richtig essen kann?“ Dakkas grinste frech. Jared schmiss mit einem Stück Brotkruste nach ihm. Molokosh stöhnte laut auf. „Wunderbar. Wenn du damit fertig bist, dich wie ein Kind zu benehmen, Jared, kann ich dann mit Dakkas sprechen?“ „Halte ich dich denn davon ab?“, war Jareds Antwort, bevor er wieder in sein Brot biss. Molokosh grummelte nur etwas unverständliches und wandte sich dann an Dakkas. „Wo ist Nostradamus?“ „Huh?“ Der Grünäugige war dabei gewesen, sich ein Brot zu schmieren und sah verwirrt von seinem mit Butter beladenem Messer auf. „Woher soll ich das wissen? Ich war fast den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, erst die Bibliothek und dann ein Buch zu finden.“ „Ischa sagte, ihr hättet vorhin miteinander geredet und wäret zusammen gegangen.“ Molokosh hörte sich ernsthaft besorgt an. „Nostradamus und ich haben uns unterhalten.“, bestätigte Dakkas, während er mit dem Knauf seines Messers auf Jareds Handrücken einstach. Der Werwolf zog seine Hand schnell von Dakkas Teller zurück. „Nimm dir deine eigene Scheibe Brot.“ An Molokosh gewandt fuhr er fort: „Nostradamus wollte sich um irgendetwas kümmern… etwas besorgen oder so, aber er hat mir nicht gesagt was und auch nicht, wohin er wollte. Eigentlich sind wir auch nicht zusammen weg, er muss kurz nach mir losgegangen sein oder so.“ Molokosh runzelte seine Stirn. „Und du hast ihn einfach gehen lassen?!“ Dakkas warf dem Schwarzhaarigen einen ungläubigen Blick zu. „Was hätte ich tun sollen, ihn am Tisch anketten? Tut mir ja Leid, dir das mitzuteilen, aber ich bin nicht für die Taten deines Bruders verantwort- Jared, kannst du nicht vom Teller deines Liebhabers klauen?!“ Grüne Augen sahen Jared eiskalt an, der beschämt grinsend erneut seine Hand von Dakkas Teller wegzog. Inzwischen zierte diese eine rote Furche, wo Dakkas Messer entlang gefahren war. „Wenn ich Werwolfblut auf meinem Brot finde, klaue ich dir deine Spielkarten.“ Shan seufzte betont laut und steckte seinem Freund seine angefangene Brotscheibe in den Mund. „Entschuldige, Dakkas. Gossenkind-Syndrom. Er bedient sich normalerweise von jedem Teller außer seinem eigenem.“ Um weiteren ‚Attacken’ auf Dakkas Abendbrot vorzubeugen schlang Shan einen Arm um Jared und zog ihn näher zu sich heran. Schnell wurde Dakkas klar, dass der Halbwolf sein eigentliches Ziel erreicht hatte, als Shan anfing ihn zu füttern. Molokosh schob indessen seinen Teller von sich weg. „Ich hoffe, Nostradamus ist nichts passiert.“ „Ihm wird schon nichts zustoßen, Lanar.“, warf Daniel ein. „So gefährlich ist Kleingaren auch nicht, und außerdem kann Euer Bruder besser auf sich aufpassen, als man zuerst denkt, das wisst Ihr.“ Molokosh brummte leise etwas, nickte dem Heiler aber zu. „Trotzdem wäre es mir lieber, wenn er mir bescheid geben würde, bevor er losgeht.“ „Er wird schon noch wieder auftauchen.“, meinte Dakkas und zuckte mit den Schultern. Seiner Meinung nach konnte der Seher sich besser verteidigen als einige andere Mitglieder ihrer Gruppe. Als Nostradamus auch zwei Stunden nach Mondaufgang noch nicht da war, wurde auch Dakkas langsam ungeduldig – Molokosh stolzierte eh schon im Schankraum auf und ab und machte die anderen Gäste nervös. Der Seher hatte sich um ein Problem kümmern wollen. Das wusste Dakkas und sonst keiner. Inzwischen fragte der Grünäugige sich, ob er Molokosh von diesem Problem und dem Gespräch vorhin erzählen sollte. Doch was würde das bringen, außer Molokosh erst recht besorgt zu machen? Dakkas hatte keine Ahnung, was der Seher vorhatte oder wohin er gewollt hatte. Das von ihm erkannte ‚Problem’ konnte praktisch jeder und alles sein. Sie würden niemals eine Chance haben, den Seher zu finden. Irgendwann dann brachte Daniel es fertig, Molokosh zum Schlafen zu überzeugen. Es war spät, sie hatten keine Ahnung wohin Nostradamus unterwegs war und würden ihn so schnell auch nicht finden. Daniel ließ von Markus einen Botenjungen bestellen, mit dem der Heiler einige Nachrichten an alte Bekannte verschickte, die vielleicht helfen konnten, den Seher wiederzufinden. Antworten auf diese Nachrichten würden aber frühestens am nächsten Tag eintreffen. Shan, Jared und die anderen Grauzonler waren ebenfalls unruhig geworden. Shan schlug vor, am nächsten Morgen in der Garnison nachzuschauen, ob dort jemand etwas wüsste. Schließlich würde es schon ausreichen, wenn Nostradamus beim Passieren einer Taverne in eine Schlägerei geraten war, um von den Gardisten aufgegriffen zu werden. Dakkas lag in dieser Nacht wach in seinem Bett und starrte im Dunkeln die Decke an. Wenn sie morgen in der Garnison nichts über Nostradamus hören würden, würde er Molokosh von den Befürchtungen seines Bruders erzählen. Wer wusste, vielleicht würde Nostradamus ja auch mitten in der Nacht wieder in der Herberge auftauchen. Das hoffte Dakkas zumindest insgeheim. Irgendwann fiel der Grünäugige dann doch noch in einen unruhigen, von vagen Alpträumen geplagten Schlaf. Beim Aufwachen erinnerte er sich nicht an den Inhalt der Träume, doch steckte eine eisige, bedrohliche Kälte in seinen Knochen, als wenn sein eigener Körper ihn vor etwas zu warnen versuchte. Und Nostradamus war immer noch verschwunden. -------------- Nostradamus, ashxa itkig? – Nostradamus, wo bist du? derganar, Nomen, männlich – Hausherr, Ehemann, traditioneller Familienvorstand einer drakonischen Familie Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)