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Gloria Mundi

Der Ruhm der Welt
von

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Gestrafte

Gloria Mundi - der Ruhm der Welt I

by Lail, April 2004
 

Der Regen schlug gegen die Fensterscheiben der Lagerhalle. Das künstliche, weißgraue Licht der streng angeordneten, simplen Lampen flackerte. Die Lüftungsanlage brummte monoton und rasselte dann und wann. Irgendwo in der Ferne heulten Polizeisirenen. Nichts Ungewöhnliches für ein Gebäude im Randbezirk einer Großstadt.
 

Sein Hemd war zerrissen. Das blonde Haar, lang genug, um störend über den Augen zu hängen, aber dennoch zu kurz, um es hinter die Ohren zu verbannen, war zerzaust.
 

Was hatten sie ihm angetan? Er wagte nicht, darüber nachzudenken, war es doch so offensichtlich - auch wagte er nicht, seinen Blick an der zusammengekauerten Gestalt tiefer sinken zu lassen und Antworten auf die nicht gedachten, schon gar nicht gestellten Fragen zu bekommen.
 

***
 

... was...? Was ist...

Du? ...GOTT! Was machst DU hier?! Ich... geh weg! Geh... BITTE, geh!

... nein! Nicht näher! Komm nicht näher!

... gut. Bleib da. Bleib da stehen! Nicht näher kommen, nur nicht näher kommen!

...

Du bist geschockt, was? Deshalb kommst du auch nicht näher...

Arschloch.

ARSCHLOCH!

Zu spät! Zu bist zu SPÄT!

... Gott sei Dank...

Du hättest mich sonst schreien gehört. Ich habe nach dir geschrieen, weißt du... aber du hast mich nicht gehört. Kein Wunder.

...

Willst du da jetzt ewig stehen bleiben?

Mir ist kalt, weißt du... Woher solltest du es wissen... vielleicht, weil du Augen im Kopf hast...? Aber schaust du mich überhaupt an...?

Würdest du mich bitte losmachen? Paketschnur macht sich nur gut an Handgelenken... Ach, und würdest du mir meine Klamotten wiedergeben? Hemd hab ich ja noch... irgendwie. Ja, und meine Hose... liegt hier irgendwo rum. Glaub ich. Shorts? Keine Ahnung, hab ich aber auch ursprünglich mal angehabt, ja...

Vielleicht sollte ich den Mund aufmachen und was sagen? Oder wenigstens die Augen öffnen? Dann wüsste ich, ob du mich anschaust... würdest du meinen Blick suchen? Würdest du auch etwas sagen? Versuchen, mich zu trösten? Mich in den Arm nehmen? Oder wärest du nur erstarrt... ich könnte es nachvollziehen, denke ich... so, wie ich aussehen muss... sicherlich kein schöner Anblick...

Soll ich...

'N Scheiß werd' ich tun!

... ich will nicht mehr sitzen... das tut weh, weißt du...

Fuck! Ich fang gleich schon wieder an, zu heulen!

... nein... nein! Bleib hier, du dumme Träne...

NEIN!
 

***
 

Er weinte.
 

Wie in Ketten gelegt fühlte er sich, dabei war er selbst doch frei.

Unbeweglichkeit. Oh, wie er sie hasste.

Unfähigkeit. Unbeweglichkeit bedeutete Unfähigkeit. Besonders in diesem Fall.

Er konnte sich nicht bewegen.
 

***
 

Was...? Immer noch nicht? Du bist immer noch nicht da?

... das ist arm, weißt du?! Warum hab ich denn jetzt geweint - warum weine ich IMMER NOCH?!

WILLST DU'S SCHRIFTLICH, DU SACK?!

...

Oh, nein... Jetzt hab ich geschluchzt - ich habe doch... ja, ich habe geschluchzt.

... nein... ich will nicht. Ich will das nicht!

WAS FÜR EIN SCHUTZENGEL BIST DU EIGENTLICH?!

... gut, jetzt bräuchte ich nur noch den Mund aufmachen und das zu sagen. Zu schreien.

Aber es geht nicht. Ich kann das einfach nicht...

Lukiel...
 

***
 

Er sah die Tränen des jungen Mannes, hörte die leisen Laute, getränkt von Schmerzen, voller Verzweiflung.

Und immer noch war er unfähig, sich zu bewegen.

>>Ich schätze, davor hat mich Dumah gewarnt... dazu hätte es nicht kommen dürfen<<, schoss es ihm alarmierend durch den Kopf. Nein, eigentlich wanderten seine Gedanken wie eine zähflüssige Masse in seinem Geist umher. Nur allmählich stiegen sie in sein Bewusstsein auf und machten ihm die Situation alles andere als leichter.

Lukiel würde ihn umbringen, wüsste er, was seinem Schützling widerfahren war... Dem war er sich sicher.

Der Körpertausch war keine gute Idee gewesen...
 

***
 

... kommst du wohl her...? Festgewachsen, oder was?

Scheiße, ich sterbe!

Naja... doch... ich sterbe! ... seelisch zumindest. Wahrscheinlich bin ich schon tot. Und das ist deine Schuld... das ist alles deine Schuld!

Komm her, damit ich dich wegstoßen kann! Lukiel...

Was ist los mit dir? Was habe ich getan? Was habe ich dir getan, um so behandelt zu werden?

Wieso? Warum? Wofür bestrafst du mich?!

Lukiel... komm her...
 

***
 

Die Lippen des jungen Mannes zitterten.
 

Nein! Das reichte! Er konnte das nicht länger mit ansehen! Er konnte nicht länger mimen, was er nicht war. Diese Maskerade war zu weit ausgeufert.

"Tut mir Leid, Yuki...", überwand seine Stimme endlich die Blockade seines Körpers und Geistes. "..." Dann aber holten ihn die Arme des betroffenen Schweigens wieder ein, umschlangen ihn, würgten ihn, bis ein starres Atmen das einzige war, das ihn verlassen konnte
 

***
 

... es tut dir... Leid?!

WAS?

... Lukiel...?!

Oh, nein! Ich habe die Augen aufgemacht!
 

***
 

Yuki öffnete die Augen. Oh, wie viel Verzweiflung, wie viel Leid konnten diese Seelenspiegel fassen, ohne zu zerspringen, ohne, dass es sie zerriss? Und wie sehr konnten sie vor Verwirrung diffus und fragend leuchten?
 

Er trat unbeabsichtigt zurück, als wollte er vor dem Blick des jüngeren fliehen, augenblicklich ergriff ihn Panik, die seinen Geist, sein Bewusstsein befiel und übernahm.

>>Was soll das?! Lass das, Mensch!<<

"Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig!", rief er laut und selbst schützend - ja, beinahe schrie er in das von Tränen gezeichnete Gesicht, dass diese Aktion offensichtlich nicht fassen konnte.
 

Das hellgrüne Augenpaar weitete sich schlagartig, der geschundene Leib fuhr zusammen. "Lukiel... w-was...", wisperte er fassungslos, stotterte, schien sich zu verschlucken, während weitere Tränen seine Wangen hinab sanken.
 

"Ich bin nicht Lukiel!", korrigierte er, seine Stimme von einem nervösen Lachen verzerrt. "Lukiel ist in der Hölle..."
 

***
 

Was soll das?! Lukiel??

Mach keine Scheiße, ja? Hallo? Lukiel...?

... nicht jetzt...

... was...?
 

***
 

Verwirrung. Orientierungslosigkeit. Etwas schien den jungen Mann zu lähmen.
 

Er wusste nicht, woher sein Lächeln rührte - vielleicht war es die Sicherheit, dass der Mensch so fassungslos, so hilflos war, die ihm die Überheblichkeit zu lächeln schenkte, das über alles hinaus oberflächlich war. Wieso verlieh es ihm Sicherheit, um Yukis Situation zu wissen? Beinahe machte es ihn wütend.

"Lukiel und ich schlossen einen Pakt", sagte er in gewichtigem Ton, der die Gegenwart völlig außer Acht zu lassen schien. "Mein Name ist Ksiel, ich bin ein Strafengel Gottes..."
 

***
 

Wer... was...? Ksiel...?

Was soll das, Lukiel?? Spielen wir jetzt Scharade?

Das ist nicht komisch... ah!...

Ich sollte daran denken, mich nicht zu bewegen... aber...

Lukiel...
 

***
 

Er verschränkte die Arme vor der Brust, stolzierte vor Yuki auf und ab, strich sich das dunkelbraune, lange Haar, das nicht einmal wirklich sein eigenes war, zurück, aus dem Gesicht. Gegen seinen ursprünglichen Willen hatte er sich von einer gespielten Rolle in die nächste geworfen.

"Lukiel flehte mich um meine Hilfe an... dafür kam er gar in die Hölle..."

Der Engel schmunzelte emotionslos. "Er hat vor mir im Dreck gekniet, dein großer Beschützer..."
 

***
 

... ich versteh nichts mehr... mir tut alles weh... ich will hier weg!

HÖR AUF! LUKIEL!

Ich will nichts wissen... ich will nicht... lass mich!
 

***
 

Yuki rutschte näher an den Heizkörper, an den man ihn gefesselt hatte. Es war wohl der dabei auflodernde Schmerz, der seine Gesichtszüge verzerrte.
 

Ksiel hob die Augenbrauchen. Langsam ging er scheinbar ziellos durch den Raum, jeder seiner Schritte hallte auf dem metallenen Boden wider, echote von den hohen Wänden. Schließlich blieb er wieder stehen, zog ein durchnässtes Kleidungsstück aus einer Pfütze zwischen umgefallenen Kanistern hervor - der Aufschrift der Behälter war es eine brennbare Flüssigkeit.

"Na, da können wir aber froh sein, dass keiner von uns beiden raucht...", kommentierte er, und hielt die Hose mit einem Finger schier angewidert möglichst weit von sich weg und gleichzeitig demonstrierend in Richtung des immer noch Gefesselten.
 

***
 

Meine... oh, nein! Oh, Gott!

... hey, jetzt bloß nicht rot werden... das fehlte mir noch, verdammt!

Aaah...

Lukiel... wo bist du? Warum...?

Was ist los? Was passiert hier eigentlich? Ich...
 

***
 

Mit einem abfälligen Blick warf der Engel das Bekleidungsstück auf Yuki zu. Mit einem lauten Platschen schlug es zuerst nahe bei Yukis Kopf auf dem Boden auf, woraufhin der junge Mann heftig zusammenzuckte.
 

***
 

AH!... huh...

... was... was soll das? Was zur Hölle sollte das?! Willst du mich jetzt auch noch umbringen?

... mach mich los!
 

***
 

Der junge Mann schnaubte.
 

Ksiel hielt inne, drehte sich wieder zu Yuki, warf sich in dieser Bewegung die gerade aufgesammelte Jacke des jüngeren leger über die Schulter.

"Oh, was denn?", fragte er auf überzogen mitleidige Art und hob abermals die Augenbrauen. Ein Grinsen verfinsterte seine Gesichtszüge. "Willst du dich etwa beschweren? Passt dir etwas nicht?"

Langsam, einen Fuß unmittelbar vor den anderen setzend, kam er näher, ging schließlich vor Yuki in die Hocke. Wie stark und täuschend echt die von ihm aufgelegte Maske schon auf seinem Gesicht haftete, merkte er nicht. Dass sein Verhalten mehr als nur unangebracht war, dem war er sich längst nicht mehr bewusst. "Hör zu, es war ja Teil der Abmachung, dass ich mal ein Auge auf dich werfe, aber, hey, ich bin kein Schutzengel!" Sein Blick streifte zwar die Fesseln, dann aber sah er Yuki wieder gleichgültig an, zeigte keine Intention, den jungen Mann zu befreien. In den Augen des Engels war vielmehr erkennbar, dass in diesem Körper gegenwärtig ein fremder Geist wohnte, der dort nicht hingehörte.
 

***
 

Er hat mich... hat er mich deshalb nicht mehr angesehen? Schon so lange nicht mehr...? Schon... schon so lange ist... Schon so lange ist Lukiel nicht mehr da??

Aber...
 

***
 

Ernüchternd Erkenntnis schien Yuki getroffen zu haben. Er bewegte die Lippen, brachte aber keinen Ton heraus.
 

Ksiel faltete die Jacke typgerecht zusammen und legte sie in, beziehungsweise über den Schoß des jungen Mannes.

"Tut mir Leid, deine Träume zerstören zu müssen, Yuki."

Mit einem gewichtigen, aber wieder emotionsarmen Seufzen stand er auf. "Nein, zerstören, das klingt so hart." Er runzelte gespielt nachdenklich die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. "Sagen wir lieber ent-täuschen - im wahrsten Sinne des Wortes, denn du obliegst einer gravierenden Täuschung..." Wieder heuchelte er bewusst überzogen und nach allen Regeln der Kunst sein Mitleid vor. "Weißt du, Engel können nicht lieben..."
 

Yuki war wie erstarrt. Langsam wuchs eine Träne, löste sich, lief die Wange des jungen Mannes hinab und verlor sich in der Stille.
 

***
 

Was... soll das?

... Hilfe... Lukiel! Warum...?

Was soll das heißen?
 

***
 

"Lukiel...", entfloh es Yuki heiser.
 

"Ist in der Hölle", ergänzte Ksiel. "Du warst ihm ein Problem."
 

***
 

Was? Problem...? Aber...! Aber...

Lukiel...
 

***
 

"Problem...?"
 

Ksiel nickte. "Ja. Wie hast du dir das denn vorgestellt?" Wieder lachte er oberflächlich. "Ein Schutzengel und sein Schützling? Ein himmlisches Wesen und ein... Mensch?" Er rollte mit den dunklen Augen. "Bitte, klingt das nicht lächerlich genug, um offensichtlich unmöglich zu sein?"

Wieder ging er in die Hocke. "Logisch, oder?"
 

Der Mund des jungen Mannes stand jäh offen.
 

***
 

... lächerlich?

Ja... lächerlich... Lukiel und ich... lächerlich. Logisch...

Nein.... Niemals hätte ich auch nur im Entferntesten daran gedacht... klar...

Gut... ja, ich hab's geschnallt. Kein Problem. Bin ja nur ein Mensch, klar, ich muss einfach nur umdenken, alles andere vergessen... Arschloch...

Nein, nicht schon wieder anfangen, zu weinen! Zusammenreißen...
 

***
 

"Mach mich los..."
 

Ksiel hob die Augenbrauen, offenbar skeptisch. Was war denn plötzlich mit dem Menschen, dass er so unüberhörbar, wenngleich auch nur flüsternd forderte, aber nicht erzürnt zu sein schien?

"Lukiel... hat unglaubliche Angst vor dir...", begann Ksiel. "Engel haben grundsätzlich Angst vor Gefühlen..." Weshalb fühlte er sich plötzlich, als hätte man ihn verraten? Warum fühlte er sich so an die Wand gespielt, als hätte man ihn in eine Ecke getrieben? "Seit Luzifers Fall wird so etwas streng geahndet, weißt du..."
 

"Warum erzählst du mir das?" Ohne Ankündigung sah Yuki auf, die Augen des jungen Mannes blitzen. Dann jedoch erloschen sie wieder, er schloss die Augen, ließ den Kopf wie erschöpft auf die Seite kippen. "Es interessiert mich nicht."
 

***
 

Woher nehme ich eigentlich die Kraft, zu sprechen...? Egal...

Ich habe sowieso schon aufgegeben... oder? ...

Lukiel... ich bin wütend... Spricht dieser Engel die Wahrheit? Oder ist das alles nur dein Spiel, Lukiel? ... diese Augen... sofort hätte ich es gewusst. Nie und nimmer sind das deine Augen, Lukiel... so kalt...

Angst... hast du wirklich Angst vor mir, Lukiel? Ist das das Einzige, was du für mich empfindest? Habe ich dir nur Angst eingejagt, als ich dich im Spiegel sah und erkannte, dass ich nicht alleine bin? Aber du hast doch gelächelt, dich mit mir unterhalten...

Lukiel... du hast doch gesagt, dass du dich mir schon so lange hattest zeigen wollen... weil du...
 

***
 

Die Fesseln von Yukis Handgelenken lösten sich. Rasch ließ er die freigegebenen Hände hervorschnellen, griff nach einer Hand des Engels, bekam sie zu fassen und zog sie zu sich, hielt sie fest, als wäre sie die hervorstehende Baumwurzel an einem Abgrund, in den er zu fallen drohte. "Aber er hat mich ge-..."
 

Ksiels Augen sprachen Bände, waren leer und schienen zugleich vor Aussage zu zerbersten. Wahrscheinlich hätten sie ein eindeutiges Gefühl übermittelt, wären es Ksiels eigene Augen gewesen.
 

Von der Erkenntnis getroffen, stieß Yuki die gefangene Hand von sich. "DU?!"
 

***
 

Er?! Dieser Kerl?!... als er gesagt hat, dass er... es war nicht Lukiel... sondern ER?
 

***
 

"Warum? Was fällt dir ein? Perverser!" Yuki sprang auf, zwang sich in Eile wieder in Shorts und Hose, wich auf Abstand, fuhr dann herum und stürzte aus der Halle.
 

Ksiel blieb stehen, verbarg seine Hände in den Seitentaschen des weiten, beigen Übergewandes. Lange zeigte sich keine Regung auf seinem Gesicht, dann, klammheimlich, schlich sich wieder ein Lächeln auf sein Gesicht.

"Schätze, davor hat mich Dumah gewarnt..."
 

***

Gelangweilte

Gloria Mundi - der Ruhm der Welt II

by Lail, April 2004
 

"Du hast WAS?!"
 

"Dies hier ist nicht der Himmel mit seinen endlosen Korridoren, also brülle er nicht so!", erklang eine lethargische Stimme die, obwohl sie wenig durchsetzungsfähig erschien, dennoch für kurzzeitige Ruhe sorgte.
 

"Danke, Lahatiel..." Ksiel, immer noch im Körper des Schutzengels, nickte anerkennend in Richtung des feingliedrigen Engels, der mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem Vorsprung vor der lichtarmen Höhle hockte, den Kopf auf eine Hand gestützt, und sich selbst in einem verzierten, detailreichen Handspiegel betrachtete.
 

Auf die Danksagung hin gähnte dieser nur und winkte ab, zog es vor, sein puppengleiches Gesicht weiter im Spiegel zu betrachten. "Oh, danke er mir nicht, Ksiel, ich hätte mit Freuden zugesehen, wie er ihm das Genick bricht, allerdings sollten sie vorher in die eigenen Körper zurückkehren..." Mit einem Seufzen fuhr er sich durch das lange, goldblonde Haar, zögerte noch einen Moment, bis er sich schließlich von seinem Spiegelbild losriss, und stand auf. Mit hämischem Lächeln bedachte er die Streitenden. "So macht es Sinn, nicht wahr?" Er betrat die Höhle, beschritt stolzierend einen Halbkreis um Ksiel und Lukiel.
 

"Ja, gib mir meinen Körper zurück!"
 

"Du hast hier gar nichts zu melden!", fuhr Ksiel sein Gegenüber barsch an.
 

Die stahlblauen Augen des hoch gewachsenen Engels funkelten, dennoch leuchteten sie unwirklich, ließen das gesamte Wesen unecht erscheinen.

"Gib mir meinen Körper zurück!", wiederholte Ksiels rauchige Stimme fordernd, zwei weiße Schwingen klappten sich aus, der Engel stob vorwärts, auf Lukiel zu, doch bevor er ihn erreichte, wurde er festgehalten. Natürlich war es Lukiel, der auf Ksiel zugestürmt und nun festgehalten wurde, doch für einen Zuschauer, der nicht wusste, dass die beiden Engel die Körper getauscht hatten, hätte es eben so ausgesehen.
 

Im nächsten Augenblick hallte ein gläsernes Lachen aus einer anderen Ecke der Höhle. "Tihihi, lasse er ihn doch los, Shaftiel! Lasse er uns sehen, was passiert!"
 

"Makkiel!", fuhr Ksiel den ankommenden Engel knurrend an. Dieser erhob nur die eine Hand zum Siegeszeichen und grinste.
 

"Mache er sich nicht über mich lustig!", bemerkte Lahatiel, der im Kontrast zu der an sich empörten Beschwerde, weiterhin sehr langsam und gelangweilt sprach, als ginge ihn das alles rein gar nichts an.
 

"Ladies...", wandte der Engel, der Lukiel festhielt, ein, bemüht, nicht zu grinsen.
 

"Ksiel! Du hast mir versprochen, auf ihn aufzupassen!", meldete sich Lukiel nun wieder zu Wort, wand sich in dem Griff des größeren Engels - erfolglos.
 

"Hey, ich bin kein Schutzengel", beharrte Ksiel und hob beschwichtigend die Hände.
 

"Das SOLLTEST du aber sein!"
 

"Könnten sie bitte wieder tauschen? Sie verwirren mich! Ich bekomme Kopfschmerzen!", gähnte Lahatiel.
 

"Dieser Körper verwirrt mich!", klagte Lukiel.
 

"Stört dich mein drittes Bein?" Ksiel schlug mit Unschuldsmiene die Augenlieder nieder.
 

"Leiht mir jemand ein Messer?", fragte Lukiel in die Runde.
 

"WAG DICH!" Ksiel wollte vorschießen, doch Makkiel und Lahatiel, in den plötzlich Leben kam, waren sofort zur Stelle und hielten ihn fest.
 

"Was ist denn hier los?", mischte sich eine Stimme, dunkel wie ein Donnergrollen, ein.
 

Ksiel gab seine Gegenwehr auf, woraufhin Makkiel und Lahatiel ihn losließen und sich in Richtung der Stimme, zum Höhleneingang, drehten.
 

"Ah, der Chef... schon zurück, Dumah?", erkundigte sich Makkiel mit einem wissenden Lächeln.
 

Von dem Ankömmling kam nur ein drohendes Knurren. Der Engel war von imposanter Gestalt, mit kantigen Gesichtszügen, dunkelroten Augen und pechschwarzem, kurzem, zerzaustem Haar. Das schwarze Flügelpaar nur nachlässig angeklappt, schritt er breitschulterig und -beinig auf die anderen Engel zu und stellte sich demonstrativ zwischen Ksiel und Lukiel.
 

Für einen Augenblick herrschte gespanntes Schweigen.
 

"Luzifers Bälle werden auch nur noch dekadenter, nicht interessanter...", fällte Dumah Antwort gebend ein ernüchterndes Urteil und durchbrach die Stille.
 

"Außerdem hat er sich mit Rahab angelegt...", ergänzte eine sehr weiche, helle Stimme.
 

Dumah verzog das Gesicht. "Hrrrr, Puriel!", knurrte er Zähne knirschend und funkelte verärgert über seine Schulter.
 

Ein weiter Engel, etwas klein geraten, ganz in Weiß, mit hellbraunen Locken, und strahlend grünen Augen trat neben Dumah hervor, ein ausgeglichenes Lächeln auf den Lippen. Mit Unschuldsmiene tauschte er einen Blick mit dem ihn überragenden Anführer der Strafengel, dann kicherte er vergnügt und floh mit raschen Trippelschritten vor Dumahs bösem Blick hinter Lahatiels Rücken.
 

"Fehlt nur noch Chitriel, dann wären wir alle mal wieder beisammen", kommentierte Ksiel amüsiert. Sein Blick wanderte von Strafengel zu Strafengel. "Sag schon, Makkiel, wo hast du ihn angebunden?"
 

Makkiel grinste katzengleich und hüllte sich in Schweigen.
 

"Würden sie nun bitte wieder tauschen?", erinnerte Lahatiel, der sich in der Zwischenzeit wieder seinem Spiegelbild zugewandt hatte.
 

"Shaftiel, bringe er ihn zum Schweigen...", kommentierte Ksiel und verdrehte die Augen.
 

"Ich stimme ihm aber zu!", erklärte Lukiel und versuchte abermals, Shaftiel, dem Engel, der ihn hielt, zu entkommen.
 

Dumahs Flügel richteten sich in einem Ruck auf, das dabei entstehende Geräusch rief die Aufmerksamkeit der anderen Engel zur Räson. Wieder war es still. Dumah hatte die Augen geschlossen und wartete.

Dann atmete er durch.

"Tauscht", fiel es simpel von seinen Lippen, dann wandte er sich ab und schritt wieder zum Vorsprung am Ausgang der Höhle.
 

Keiner rührte sich, bis Dumah seine Schwingen wieder ausgebreitet und in die Lüfte entschwunden war.
 

Shaftiel ließ Lukiel los. "Lahatiel, hast du nicht noch etwas zu tun?", fragte er mit erhobenen Augenbrauen.
 

Der Angesprochene sah überrascht auf. "Oh, ja, dem ist so. Die Tore bewachen sich nicht von selbst." Er neigte sein Haupt und ließ seine Flügel auflockernd kurzzeitig auf und nieder schlagen. "Danke, dass du mich daran erinnert hast." Ein Lächeln schlich über Lahatiels Lippen, dann verschwanden er und Shaftiel gemeinsam aus der Höhle.
 

Makkiel grinste und schüttelte den Kopf. "Ja, die Arbeit..." Er fasste sich auf theatralische Weise an die Stirn. "Hach, ich werde Chitriel suchen gehen..." Und so verließ auch er den Ort des Geschehens.
 

Puriel faltete die Hände. "Tauscht", wiederholte er ruhig.
 

Lukiel ging auf Ksiel zu. "Dafür wirst du mir noch büßen", schwor er mit Ksiels Stimme und sah im Grunde sich selbst mit zornigen Augen an.
 

Ksiel hob die Augenbrauen. "Büßen? Oh, ich halte nicht viel von Buße, weißt du...", meinte er und genoss es, das Lukiel es mit ansehen und anhören musste. "So wütend? Das ist eine Sünde..."
 

"Ksiel...", wandte Puriel nachdrücklich und bestimmt ein.
 

Lukiels Augen verengten sich. "Gib mir einfach meinen Körper wieder, ja?"
 

Ein triumphierendes Lächeln schmückte Lukiels Lippen - es war das Letzte, was Ksiel tat, bevor die Auras der beiden Engelskörper aufleuchteten, verschmolzen, heller wurden und sich dann wieder trennten und wieder unsichtbar wurden.
 

Puriel nickte zufrieden. "Gut. Komm, Lukiel, ich bringe dich zurück." Er hielt dem Engel einladend seine rechte Hand entgegen.
 

Lukiel und Ksiel standen sich immer noch gegen über, jeder musterte den anderen mit Argwohn.
 

Puriel räusperte sich und seine Stimme wurde fester.
 

Ksiel sah wie alarmiert auf, ärgerte sich dann aber über seine Schreckhaftigkeit. Lukiel hatte die stille Auseinandersetzung nun gewonnen - zumindest würde er das so sehen, ahnte er doch nichts davon, was für ein unheilvolles Zeichen es war, wenn der kleine Engel ernster wurde.
 

Doch, dass sich Lukiel in Siegessicherheit wog, hatte Vorteile, denn er ging nun auf Puriels Einladung ein, zumindest insofern, dass er zu ihm trat und sich aufbruchsbereit zeigte, was Puriel wiederum sehr zu beruhigen schien.
 

Kurz darauf verließen die beiden die Höhle und Ksiel blieb allein zurück.
 

Er fühlte sich seltsam. Sein Kopf erschien ihm so voll, dennoch fasste er keinen einzigen, klaren Gedanken. Er war sich eigentlich sicher, gar nicht bewusst zu denken, vielmehr glaubte er, dass da etwas war, an das er unbedingt denken sollte, was ihm allerdings entfallen war. Ziellos und verwirrt ging er in der Höhle auf und ab, lehnte sich schließlich mit dem Rücken an die kalte Felswand, legte den Kopf in den Nacken und seufzte.

Eine Weile lauschte er der Stille.

Allmählich wurde er sich bewusst, wie viel angenehmer es doch war, im eigenen Körper zu sein. Alles stimmte wieder. Er hob den Kopf wieder, senkte ihn dann leicht nach vorne und betrachtete seine Hände. Seine eigenen Hände.

Er stieß sich wieder von der Wand ab, ging wieder umher, setzte bewusst Fuß vor Fuß und genoss das Gefühl, zu gehen. Auch begann er mit einem Mal, zu summen. Erst leise, dann lauter - nur, um seine Stimme, seine eigene Stimme in seinen eigenen Ohren zu hören. Er setzte weiter Fuß vor Fuß, ging im Kreis umher, bis er keinen Drang mehr verspürte, weiterzumachen. Also blieb er stehen und atmete einmal tief durch.

Dann lächelte er zufrieden.

Alles war wieder gut.
 

***
 

Du hast mich verraten. Lukiel... was hast du dir dabei gedacht? Dachtest du wirklich, du könntest so einfach zurückkommen und dich vor mir verstecken? Glaubst du, ich könnte so einfach vergessen?

Du hast also Angst vor mir? Dann hab wenigstens den Mut, mir das zu sagen. Ein Ding der Unmöglichkeit, ich weiß - nicht nur für Engel, Lukiel, nicht nur für Engel...

Es geht mir gut. Den Umständen entsprechend.

Es ist seltsam... wenn ein Herz stirbt.

Erst tut es weh. Sehr weh. Man glaubt, zu zerspringen. Alles reißt an einem. Die Gefühle zerren an Herz und Seele, vernebeln den Geist. Und man kann nichts tun... Tausend Nadeln stechen ein Herz, tausend Klingen durchbohren es. Aber nicht, dass es auf einmal zerreißt. Nein, so etwas zieht sich hin... quälend langsam. Schmerz brennt durch den Körper, brennt alles aus. Wie ein ätzendes Gift.

... ich fühle mich leer. Sehr leer sogar. Schön, wenn man vor Augen gehalten bekommt, wie leer man sich fühlt, wenn man verlassen, betrogen und benutzt wurde. Wie ausgesaugt.

Wieso falle ich eigentlich nicht in mich zusammen? In mir ist doch nichts mehr, dass meinen Körper daran hintern könnte... zumindest spüre ich nichts.

Eigentlich müsste mir kalt sein. Aber mein Blut pocht heiß unter der Haut...

Seltsam, wie sehr ich mir bewusst bin, dass ich lebe, obwohl ich mich so tot fühle. Fast lästig, dieses Gefühl von Lebendigkeit.

Ja, wenn ich darüber nachdenke, habe ich sogar Hunger. Aber ich will keinen Hunger haben. Und ich habe einen starken Willen...

Lukiel... du bist also wieder da... ich bin nicht mehr allein... oder?

Eigentlich ist doch alles gut...

Nein, nichts ist gut. Alles, was passiert ist... All die Dinge, die du mir gesagt hast. Das hast nicht du gesagt. Das war er...

Ich hasse dich dafür, Lukiel. Weißt du das? Ahnst du das? Spürst du das? Kannst du es spüren? Kannst du es fühlen, du Engel?

Nein... sicher nicht... was solltest du fühlen? Hauptsache, ich lebe und habe eine reine Seele. Damit ich in den Himmel komme...

Soll ich dir was sagen, Lukiel? Du kannst mich mal...

Ja, das würde ich mir wirklich wünschen - verrückt, oder?

Du hast mir weh getan... das war wirklich nicht nett von dir. Du hast meine Welt zerbrochen - und doch hat ist Welt, seitdem sie in Scherben liegt, plötzlich so überschaubar für mich.

Alles scheint mir nun klarer...

Du willst mich retten, Lukiel? Willst du mich jetzt wieder beschützen? Meine Seele bewahren?

Nein, du bist zu spät... wenn ich eine Seele gehabt habe, dann hast du sie zerstört. Und das weißt du, nicht wahr, Lukiel?

Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir... nein, es war Ksiel... Ich habe mit Ksiel über den Tod gesprochen. Zumindest habe ich es versucht - er wollte mir nicht antworten. Jetzt weiß, ich warum. Es war eine Frage an dich, Lukiel.

Ich war nie sehr gläubig... das müsstest du wissen. Ich war auch geschockt, als ich dich sah. Es war irgendwie umwerfend - es machte mir Angst, aber faszinierte mich. Ich wollte dich so vieles fragen. Ich habe Ksiel sehr vieles gefragt. Aber ich wollte Antworten von dir.

Engel können nicht lieben. Das hat Ksiel zumindest gesagt. Und ich glaube ihm. Warum? Weil ich keine andere Antwort habe. Und du zeigst dich nicht. Was muss denn noch passieren, damit du mit mir redest?

Weißt du, was ich in deinen Augen gesehen habe? Als Ksiel in deinem Körper war? Seine Seele. Glaube ich. Was ich gesehen habe?

Langeweile. Gleichgültigkeit. Emotionslosigkeit. Kälte. Reserviertheit. Aggression.

Ist es so trostlos dort, wo er ist? Er tut mir Leid.

Bestimmt ist er auch ganz alleine. So wie ich.

Ich bin müde, Lukiel. Ich werde schlafen gehen. Aber ich werde nicht mehr aufwachen.

Natürlich erzähle ich dir das nicht. Du würdest bestimmt versuchen, mich aufzuhalten.

Eigentlich eine schöne Vorstellung. Aber ich will das nicht. Ich will nicht, dass du mir nur dann beistehst, wenn ich dich erpresse.

Du sollst leiden, Lukiel. Für das, was du mir angetan hast. Ich sterbe. Und du leidest.

Heißt es nicht, Selbstmörder kämen nicht in den Himmel?

Das ist meine Rache, Lukiel. Dafür, dass du mich belogen und allein gelassen hast.

... ich habe dich geliebt, weißt du...? Und was hast du getan?

Ksiel hat mich geküsst. Und nicht nur einmal. Und nicht nur förmlich. Ich wünschte, du hättest das getan. Vielleicht tust du es, wenn ich tot daliege?

Das klingt alles so lächerlich... was tu ich hier?

Ksiel... Ksiel ist in der Hölle... und ich will zu ihm. Alles wird leichter, wenn ich...

Ich habe mein Leben sowieso nie gemocht...

Ich bin dumm, Lukiel. Ich tue gerade etwas sehr dummes.

Und du hast mich noch nicht aufgehalten... gut...

... halte mich nicht auf... bleib weg...

Sieh mich nicht an... fass mich nicht an...

Niemals.

Ich liebe dich. Immer noch... trotzdem hasse ich dich... du liebloser Engel...

... vielleicht magst du mich ja ein bisschen...

Dann wirst du mir vergeben.

Vergiss mich nicht...

Hm... ...
 

Ich bin mir sicher, du wirst mich niemals vergessen...
 

***

Gescheiterte

Gloria Mundi - der Ruhm der Welt III

by Lail, April 2004
 

Ein heißer Wind strich über die zerklüftete Landschaft, wühlte Sand auf, sog ihn empor und trieb ihn über die steinigen Ebenen.

Ksiel stand am Rand eines Vulkankraters, thronte wie ein Bergkreuz über einem Tal und blickte hinab. Rotbraunes Gestein, wohin er sah. Kein Baum. Kein Busch. Kein Grün. Kein Wasser. >>Trostlos...<<

Der Wind zerrte an seinen weißen Flügeln, wollte ihn wohl zu einem Rundflug einladen. Doch dem Engel war ganz und gar nicht nach so einer Zerstreuung zu Mute.

Ein kühlerer Windzug streifte ihn, riss Ksiel aus seiner Apathie.
 

"Ah, hier bist du..." Dumah war hinter Ksiel gelandet und trat nun neben ihn. "Man verlangt nach dir..." Mit ernstem Gesichtsausdruck kreuzte er die Arme vor der Brust.
 

"Lass mich allein", brummte Ksiel nur missbilligend.
 

Dumah sah ihn mit einem Anflug von Eindringlichkeit an. "Du wirst doch nicht..."
 

"Ich weiß, wer ich bin, Dumah", wandte der andere rasch ein. "Mach dir keine Sorgen", betonte Ksiel nachdrücklich und deutete dann ein knappes Lächeln an.
 

Dumah schien ansatzweise zufrieden mit dieser Reaktion und nickte. Dann spreizte er die Flügel. "Ich werde dir nie einen Vorwurf machen..."

Und als würde er nichts wiegen, stieß er sich vom Boden ab und wurde sogleich von den Winden emporgehoben, als wäre er nur eines der unzähligen Sandkörner.
 

Ksiel wartete, verharrte. Lauschte. Erst, als er sich sicher war, wieder vollkommen allein zu sein, seufzte er.

Langsam breitete er seine Schwingen aus, genoss es, wie der Wind durch das weiße Gefieder blies - stärker und intensiver, je weiter er sie öffnete. Bald drückten die Winde von unten gegen die Flügel, wollten ihn hochheben, in ihre Arme schließen. Ksiel schloss die Augen und ließ sich einfach fallen. Als er die Augen wieder öffnete, lag alles weit unter ihm, über ihm war nur noch der unwirkliche Himmel der Hölle - eine schwarzgraue Masse, die kein Ende hatte, so weit man auch emporstieg.

Er übernahm die Kontrolle über seinen Flug, trat seine Reise an.
 

Nach einer Weile teilten rote Feuerflüsse das Land. Und schwarze Seen. Das Gestein der Ebenen und Felsen wandelte sich, verblasste, bis es fast weiß war, und wurde dann wieder dunkler. Das Land wurde flacher. Bald war es eine einzige, graue Wüste. Wie ein Teppich.

Da war nichts unter ihm, was einen Punkt hätte markieren können, doch Ksiel wusste genau, wo er landen musste.
 

Plötzlich winkelte er die Flügel wieder an, stürzte hinab, riss die Flügel knapp über dem Boden wieder auf, beschrieb einen Bogen nach oben und landete sicher auf den Füßen. Der graue Teppich war durch sein Landemanöver hinfort geweht worden, er stand auf schwarzem Boden.
 

Er sah sich um, ging dann ein paar Schritte, seine nackten Füße hinterließen gut sichtbare Spuren in dem grauen Belag - feinster Asche.

Nach einer Weile blieb er wieder stehen. Sein Blick schweifte langsam umher.
 

***
 

Wo bist du... Ksiel...
 

***
 

Wie vom Blitz getroffen fuhr der Strafengel zusammen, sprang vor, drehte sich um.
 

Er stand da. Aufrecht. Und doch gekrümmt. Vielleicht von der Last jener knochigen, schwarzen Flügel, die er zu tragen hatte. Sein Haar war fast schwarz, mit einem dunklen Blaustich. Seine Augen beißend hell in einem goldgelb - ein schauderhafter Anblick. Und nicht wirklich angenehm. Die schmale Gestalt wirkte hager, sah man die Flügel. "Ksiel..."
 

Plötzlich mit der knarzenden Stimme konfrontiert, schreckte der Engel aus seiner Betrachtung auf, riss sich von dem Bild los, zwang sich den Augen seines Gegenübers zu begegnen. "Yuki...", grüßte er die Gestalt mit einem Nicken. Seine Stimme ließ weder Begeisterung noch Abneigung verlauten. Er hüllte sich in Neutralität. Strickt.
 

***
 

Sieh mich nicht so an... doch, du siehst mich an... wie sehe ich aus? Ich habe mich noch nicht gesehen... Bist du geschockt? Überrascht?

Oder wusstest du, dass ich komme...? Ksiel...
 

***
 

"Ksiel...", wiederholte das Wesen, streckte scheinbar unter Mühen die Arme nach dem Strafengel aus. "Ich liebe dich..."
 

Ksiel trat zurück. Nicht aus Furcht, nein, er trat völlig bewusst und bestimmt zurück, stand kerzengerade da. "Tust du das?", fragte er gleichgültig.
 

Der junge Dämon verharrte, es war als würde es dauern, bis er die gehörten Laute als Worte erkennen konnte. "... ja..."
 

***
 

Ich... warum fühle ich mich so seltsam...?

Ksiel... was passiert mit mir...? Ich... warum kann ich meinen Körper nicht kontrollieren? Wieso kann ich meine Arme nicht sinken lassen? Warum kann ich nicht weiter auf ihn zu gehen??
 

***
 

Ksiel senkte den Blick, schloss die Augen.

Er lauschte. Irgendwo, hoch über ihnen rief der Wind nach ihm.

"Lebe wohl, Yuki...", meinte er dann und wandte sich ab, kehrte dem Wesen, das wohl einst ein Mensch gewesen sein musste, den Rücken.
 

"... Ksi... el...", kam es langsam aus dem Mund des Dämonen, als wäre dessen Mund eingerostet.
 

***
 

Was... KSIEL! WARTE!... Ksiel... KSIEL!... Ich...

Ich kann mich nicht bewegen... was passiert mit mir??

KSIEEEL!
 

***
 

"...Ksi..."
 

Der Engel hatte bereits einige Schritte getan, hatte den Abstand vergrößert. Nun blieb er nochmals stehen, richtete seinen Blick in den unwirklichen Himmel.

Dann begann er zu lachen.

"Kurios, nicht wahr?"

Er drehte sich auf der Stelle zu dem Wesen um. "Wie hast du dir das vorgestellt? Das hier ist die Hölle..."

Ein Funkeln spielte in seinen Augen. "Glaubst du, man würde dich für Feigheit belohnen?"

Er seufzte und schüttelte den Kopf. "Dummer Mensch..."

Seinen Blick wieder nach oben wendend, breitete er seine Flügel aus.
 

***
 

... Ksiel... was soll das...?! WAS SOLL DAS ALLES?!!
 

***
 

Er war nicht mehr fähig, sich zu bewegen, konnte nicht sprechen. Auch sein Augenlicht wurde schwächer.
 

Ksiel schloss abermals die Augen. Wartete.
 

***
 

Was passiert hier?? Ich fühle mich... als würde ich... als würde man mir die Seele aus dem Leib ziehen... was... was zur Hölle... Hilfe... ich...

AAAAAAAAAAAAH!...

...
 

***
 

Ein Fiepen. Der Dämon fiepte. Dann, plötzlich, krümmte sich die Gestalt, ging in die Hocke, zuckte, krümmte sich weiter, bis sie ausgestreckt auf dem Boden lag und sich hin und her wand. Dann rührte sie sich nicht mehr.
 

Er tat noch zwölf Atemzüge. In aller Ruhe.

Dann seufzte er.

"Man lebt nur einmal, Yuki...", murmelte er leise. Seine Stimme verlor sich in einem aufkommenden Wind.

Melancholie gab seinen Augen Tiefe. Wieder sah er empor, spreizte die Flügel weiter und flog dann empor, während sich am Boden, mitten in der Aschewüste, irgendwo im Niemandsland der Hölle, ein Dämon tiergleich und ohne Erinnerungen an irgendetwas, das vorher war, mühsam und knurrend wieder aufrichtete.
 

***
 

~Ende~
 


 

Nachwort:

Kein Kommentar. Ich weiß nicht, was mich ritt. Sollte eigentlich nur ein simples Lemon werden... wenn meine Charaktere die Kontrolle übernehmen... *seufz*
 

Vale!

Lail



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von: abgemeldet
2006-08-22T19:16:14+00:00 22.08.2006 21:16
Sehr schöne Geschichte. Besonders die Teile in der Ich-Form gefielen mir gut, da sie nicht so sorgfältig ausgearbeitet waren, wie das sonst meistens der Fall ist, wenn eine Geschichte in der Ich-Form geschrieben ist, sondern fast schon abgehackt wirkten, wie Gedanken eben sind... hm, tja, was noch?! Na ja, insgesamt sehr schön, auch mal schön, dass es kein Happy End gibt... öh... ja... Wie gesagt, sehr schöne Geschichte.
Ciao,
Morien
Von:  Sanctuary
2004-08-06T11:42:00+00:00 06.08.2004 13:42
echt gut!mach weiter so...
Von: abgemeldet
2004-06-27T17:08:00+00:00 27.06.2004 19:08
Hallöchen!
Ich mal wieder!
Der Aufbau dieser Story...diese Wechsel gefallen mir!
So ganz genau weiß ich noch nicht worum es geht ^^'
aber es gefällt mir! Genau sowas mag ich!! *nick*
Und das das meiste aus Gedanken und wörtlicher Rede besteht...das hat einfach was.
Und Stories mit Engeln lese ich immer gerne! ^.^
Ich meld mich also bald wieder! ^.^

Pitri
Von: abgemeldet
2004-04-20T18:09:43+00:00 20.04.2004 20:09
Schreib weiter!!! Die Story ist...ich weiß nicht...irgendwie verwirrend und doch verständlich. Sie ist sehr interessant geschrieben. Man muss viel zwischen den Zeilen lesen, finde ich, und das gefällt mir besonders gut. Also scheib schnell weiter.

mel

PS.: Könntest du mir Bescheid sagen, wenn's weiter geht?
Von: abgemeldet
2004-04-18T15:38:11+00:00 18.04.2004 17:38
Erster! XD
*yay* *fähnchen schwenk*
Weiterschreiben, weiterschreiben!! XP


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