River under a soiled Sky von Elnaro ================================================================================ Kapitel 2: Geschenke -------------------- Shine und ich gehen durch zwei schwere Stahltüren in den Hauptbunker hinein. Das ohnehin schon fahle Licht fällt durch kleine Fenster aus dickem Panzerglas in die Halle. Links und rechts befinden sich kleine Verkaufsstände, an denen Kleidung, Haushaltsmittel und anderer Kram angeboten wird, den man nicht mit Geld kaufen muss, naja, und es auch gar nicht kann. Antrag stellen, bewilligt bekommen, Ware abholen. So läuft das bei uns. Papa und meine Großmutter Mag haben mit Shattered Sky einen autonomen Mikrostaat errichtet, der nicht auf einem kapitalistischen System beruht. Das unterscheidet ihn von allen anderen bekannten Städten in der Außenwelt. Bei uns herrschen weder König noch Geld. Unser aller Lord ist ein altbekanntes Monster namens Bürokratie. Über die Geldwirtschaft hört man ja wirklich nur Schlechtes, aber unser System ist auch kaputt. Über jeden Bürger, egal ob Mansch oder Vampir, wird penibel Buch geführt. Hast du keinen bewilligten Antrag, kannst du abtraben. Man könnte nun annehmen, dass Shine und ich als Familienmitglieder der zwei Obermuftis ein paar Sonderrechte einstreichen könnten, aber falsch gedacht! Wir haben Vorbildfunktion, ob wir wollen oder nicht. Auch über uns wird Buch geführt, über jeden Schritt, den wir machen, jede Blutration, die wir schlürfen. Meine Herzensdame Tear hat viele dieser bürokratischen Aufgaben übernommen, als sie zu uns kam. Ihr liegt Zettelwirtschaft mehr als uns. Unser Bunkerkomplex schützt im Übrigen vor mehr als nur Luftverschmutzung und Sonnenlicht. Papa zufolge widersteht er auch Erdbeben und darauf folgende Vulkanausbrüche, Überflutungen und was sonst noch alles passieren könnte - Raketenbeschuss zum Beispiel. Die meisten Leute leben im Erdgeschoss, gearbeitet wird in den Etagen darunter. Technologie gibt es wenig - Licht, fließendes Wasser, Belüftung betrieben mit zugeteiltem Strom für industrielle Anlagen in den Untergeschossen. Die kenne ich ziemlich gut und kann die meisten davon sogar instand halten. Natürlich kennen wir bei weitem nicht jeden Bürger des Refugiums, aber jeder hier kennt uns und grüßt uns in der Regel auch, egal wohin wir gehen. Wir grüßen Kate vom Blumengeschäft, Mika und Nod vom Klamottenladen, Lenny von der Drogerie und so weiter. So ist das hier schon immer gewesen. Shine, die seit etwas mehr als zehn Jahren bei uns ist, war davon nicht sonderlich überrascht. Als Prinzessin war sie in ihrer Heimatstadt wahrscheinlich ähnlich prominent. Weit gehen müssen wir nicht, da sich das Separee, in dem Shine, Mag, Papa und ich leben, gleich hinter den Geschäften befindet. Meine Großmutter Mag und mein Papa Alexander sind ein super Team. Sie halten den großen Laden namens Shattered Sky bravourös zusammen. Das Refugium kann den Leuten nicht viel bieten, aber sie wirken zufrieden damit. Aufstände gibt es hier keine, dafür ein friedliches, eintöniges und farbloses Leben … Shine läuft voraus und reißt unsere Wohnungstür schwungvoll auf. Ich sehe unser bescheidenes Wohnzimmer mit dem gut gepflegten Holztisch und den vier gepolsterten Stühlen, von denen gerade meine engste Familie aufsteht. “Da bist du ja! Glückwunsch, Riv!”, empfängt mich Mag und umarmt mich überschwänglich. Ihre blonde Bobfrisur fliegt mir voll ins Gesicht, deshalb huste ich ein “Danke”. Meine Großmutter ist einige hundert Jahre alt und wird respektiert wie sonst niemand. Das liegt vielleicht an ihrer hochwürdigen Aura und ihrem vereinnahmenden Lächeln. Obendrein ist sie eine Augenweide. Als sie mich loslässt, ist es Papa, der mich an sich drückt. Auch seine pechschwarze Mähne fliegt mir halb in den Mund. Ekelhaft! “Hab dich auch lieb”, bedanke ich mich, seine Haare aus meinem Mund pustend. Er packt mich an den Schultern, schiebt mich ruckartig von sich, hält mich aber weiter fest. “Was für ein hübscher Mann aus dir geworden ist”, grinst er mich stolz an. Das bringt Mag dazu, laut aufzulachen. “Lex, dein Sohn ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten!” “Genau, sag ich doch”, bestätigt er. Alle lachen. Recht hat Mag allemal. Meine Haarfarbe soll mit einem Rotbraun exakt die meiner Mutter sein und meine Augen eine Mischung aus dem Royalblau meiner Mutter und seinem Grasgrün. Die schmale Gesichtsform mit dem etwas markanterem Kinn und den Wangenknochen habe ich dagegen eindeutig von ihm. Ab und zu werde ich deshalb mit Alexander angesprochen, also dem Namen meines Vaters. “Ich dachte mir”, droht Papa ankündigend. "Nachdem du meine E-Gitarre letzte Woche repariert hast, freust du dich am meisten über ein Geburtrags-Ständchen von mir. Das wird ein unvergesslicher Live-Auftritt.” “Du verarschst mich”, ist alles, was ich raus bekomme, bevor er sich seine schwarzweiß glänzende Gitarre greift und beginnt, die Saiten zum Schwingen zu bringen. Strom und Verstärker sind angeschlossen und funktionstüchtig, leider. Was habe ich nur getan!? Der Riff zu Beginn ist noch ganz nett, aber dann fängt Papa an, so was Ähnliches wie zu singen. Ein merkwürdiges Grunzen trifft es eher. “Happy Birthday, my lovely son”, höre ich zwischen unverständlichen rauen Tönen heraus. Shine kommt von hinter mir gesprungen, hebt ihre Hände, an denen sie nur den Zeige- und kleinen Finger ausstreckt, und schmeißt ihre weißblonden langen Haare vor ihr hübsches Gesicht. In einer Gesangspause werfen Papa und sie ihre langen Mähnen im Duett hin und her. Hilflos blicke ich zu Mag, die mich begeistert anlächelt. Ich frage gar nicht erst, warum Papa nicht Klavier spielt. Das hätte mir nämlich tatsächlich gefallen können. Stattdessen warte ich die paar Minuten privates Metal Konzert brav ab. Die letzten Saiten schwingen auf der Gitarre nach, als Mag anfängt, herzlich zu applaudieren. Mir klingeln die Ohren. Das war der Horror! Papa und Shine grölen noch einmal halb außer Atem “Happy Birthday!”. Ich nicke dankend. Dass man das alles im halben Hauptbunker gehört haben muss, ist mir mega peinlich, wobei das auch sein Gutes hat. Nun wissen wenigstens alle Bescheid, auch die Verpeilten. Der Gedanke lässt mich selbstzufrieden grinsen. Nun höre ich es von hinter der Wohnungstür aus vielen Händen applaudieren. Ich öffne die Wohnungstür und staune nicht schlecht über die kleine Traube von Leuten, die sich davor gebildet hat. Sie gratulieren mir und ich bedanke mich. Naja, ist doch schon irgendwie ganz nett. Zwischen den Leuten erspähe ich die einzige Person, auf deren Gratulation ich mich richtig freue, die meiner geliebten, süßen Tear. Leider kommt sie zwischen all den Leuten so offensiv hervorgehüpft, dass ich Schlimmes ahne. “River, Hase!”, ruft sie, nimmt ihre braune Filzmütze ab und springt mir schwungvoll um den Hals. “Alles Gute auch von mir!” Ich bedanke mich, aber bleibe verhalten. Aus meiner Freude wird Beklemmung, die mir in der Brust schmerzt. Ach, mein armes süßes Tränchen… Sie lässt lockerer, will aber nicht loslassen. Ich nehme meine Freundin mit in die Wohnung und schließe die Tür mit beschwichtigenden Gesten. Die interessierten Blicke der Leute hätte ich somit endgültig aus unserer Wohnung ausgesperrt. “Ich freue mich ja so!”, quiekt Tear fröhlich. “Ich hab was ganz Tolles für dich!” Ich sehe, wie sich Papa die verwirbelten Haare richtet und betroffen einen Namen flüstert. “Sari …” Shine läuft zu ihrer Freundin Tear, zieht sie von mir weg und nimmt sie ihrerseits fest in die Arme. “Ist schon gut, Tear. Reg dich nicht auf.” Kaum ausgesprochen, sinkt die eben noch so überdrehte junge Frau schweigend in Shines Armen zusammen. Ich lasse die beiden gemeinsam in Shines Zimmer gehen, ohne dass ich Tears Gesicht zu sehen bekomme. Ach, wenn ich ihr doch helfen könnte … “Lassen wir sie eine Weile in Ruhe”, empfiehlt Mag. Wir setzen uns an den Tisch, auf den ich klangvoll den Brief meines Konvertierers klatsche. Die Stimmung ist ohnehin im Keller. “Seit 5 Jahren infolge”, blaffe ich. Mag lächelt mich weich an. “Riv, wenn du willst, dass es aufhört, dann geh hin.” Pff, klar sagt sie das. Sie ist parteiisch, wenn's um ihren kleinen Bruder geht. Ich sehe zu Papa, der betrübter nicht aussehen könnte. Viele Jahrzehnte war er engster Berater und Freund meines Konvertierers. Nach dem Erhalt des ersten Briefes erzählte er mir die Geschichte meiner Eltern. Meine Mutter Ellys war die Vampirkönigin und mein Papa der allseits bekannte Freund mit gewissen Vorzügen. Die beiden haben jedenfalls Knickknack und ich entstand. Warum auch immer kam ich als Halbvampir auf die Welt, der es nicht lange gemacht hätte, aber anstatt mich kleinen kranken Bastard zu verstoßen, konvertierte mich der Vampirkönig zum Vollvampir und erkannte mich auch noch als seinen Sohn an. Total schräg, denn das macht ihn zu meinem zweiten Vater. Anfangs war wohl geplant, dass alle zusammen bleiben, aber nach dem Tod meiner Mutter ein paar Monate später, verstieß mich der König mitsamt meinem Erzeuger. Ich vermute ja, dass mir mein royaler zweiter Vater die Schuld für Mutters Tod gab. Papa floh dann mit mir, dem Kuckuckskind, in Mags Refugium, abseits des loyalen Einflussbereichs. Tja, so war das. Ich beobachte Papas Reaktion, um herauszufinden, was er von der Sache hält. Von ihm kommt rein gar nichts. Er starrt einfach ins Leere und schweigt. Früher sagte er immer, ich müsse selbst wissen, was ich will, aber diesmal wirkt er unsicher. Ich muss ihn ansprechen, damit er mit der Sprache rausrückt, nur leider gefällt mir seine Antwort nicht. “Shit, sorry, River, aber so langsam solltest du nachgeben. Du kannst dich nicht ewig vor ihm verkriechen. Rova ist ‘n besserer Kerl als du denkst.” Rova, … das ist Robert-Valentins Kosename … Ich stöhne. Warum versteht mich hier eigentlich keiner? “Meine Fresse, dieser ach so dufte Kerl hat uns beide rausgeworfen! Mann, ey! Das einzige, was ich von dem will, ist meine Ruhe”, blaffe ich, nehme den Brief, stehe vom Tisch auf und gehe. Dabei bemerke ich, dass ich nicht mein Zimmer anvisiere, sondern Shines. Vielleicht mache ich das, weil Shine ebenfalls ein flüchtiger Adelssprössling ist. Sie ist Mags Großnichte, die es genauso wie ich nicht in diesem illustren Zwangsregime ausgehalten hat. Ich klopfe an ihre Tür und trete in das unordentliche Zimmer ein. Auf dem Bett, dem Stuhl, auf dem Fußboden, auf dem kleinen Schreibtisch, überall liegen farbenfrohe Klamotten, nur das Kleid nicht mehr, das ich heute Morgen stibitzt habe. Es duftet nach Tears Tränen. Das Wortspiel ist kein Zufall. Tear hat sich diesen Namen nämlich passenderweise selbst gegeben, nachdem sie zu uns kam. Allerdings hat sie sich nun bereits wieder gefangen, sitzt mit Shine auf dem Bett und betrachtet mich scheu von unten. Für mich ist sie die hübscheste Frau der Welt, auch wenn sie es durch einen Kurzhaarschnitt zu verbergen versucht. Null Chance, du wunderhübsches Ding! “Geht schon wieder”, flüstert sie und greift sich dabei in ihre graue Jackentasche. “Ich habe etwas für dich, aber bitte nicht falsch verstehen.” Während sie eine kleine Schatulle herausholt, denke ich darüber nach, was ich wohl falsch verstehen könnte. Nun bin ich noch neugieriger. Zögerlich reicht sie mir die Hand mit der Schatulle. Ich nehme sie ihr ein bisschen zu ungeduldig ab und klappe sie auf. “Vorsichtig …”, höre ich von Tear, als mich ein filigranes Schmuckstück anfunkelt. Was zur … ! Ich sehe einen schmalen Damenring mit zwei kleinen blauen Steinchen und einer leeren Steichenhalterung. Heftig, denn wenn ich mich nicht irre, besteht dieses kleine Schmuckstück aus einem verbotenen Material. Das würde auch den fehlenden Stein erklären. Diesen Ring kann man unmöglich zu einem Juwelier schaffen. Das war es, was ich nicht falsch verstehen sollte. Haha, jetzt erst recht, mein hübsches Tränchen. “Ja, ich will”, hauche ich in Tears Richtung, woraufhin sie scheu zur Seite blickt. Ich erkenne ein kleines süßes Lächeln auf ihren Lippen. “Irre, dieses Material ist ja noch seltener als der Kondensator, den ich beschafft habe!”, staunt Shine und übergeht meinen Scherz damit. Ich nehme den Ring heraus. Er brennt nicht auf meiner Haut. Entweder besteht er aus einem anderen Material, oder ich bin tatsächlich resistent. Shine betrachtet den Ring, der nun auf meiner Handfläche liegt, mit großen Augen. “Ist der auch wirklich echt? Darf ich ihn anfassen?”, fragt sie. Ich nicke und greife mit der freien Hand an meinen Gürtel. “Den Ring, du Blödmann!”, schnauzt sie. Nach einer kurzen Berührung des Rings zuckt sie weg. “Eindeutig Silber”, haucht sie verblüfft. Papa bezeichnet Silber als unser Kryptonit, was auch immer das heißen soll. Es ist das einzige Material, mit dem man Vampire mit Leichtigkeit töten kann. Alle, außer mich, wie es aussieht, denn ich reagiere überhaupt nicht darauf, obwohl ich ein vollwertiger Vampir sein müsste. Mit der Konvertierung hat das nichts zu tun. Tear ist schließlich auch konvertiert und reagiert ganz normal auf Silber. Ich bin nicht normal. Noch verrückter ist, dass ich die Handfläche umdrehen und leicht schütteln kann und der Ring daran kleben bleibt. Wie geht das? “Gibt ja doch was, das du kannst”, kichert Shine. “Auch wenn es absolut nutzlos ist.” “Find ich nicht”, murmelt Tear, der ich für das ausgefallene Geschenk danke. “Bist die Beste, Tear. Wollen wir nicht mal zusammen ausgehen?” Kaum ausgesprochen, wird die Luft im Raum dicker. Shines lodernder Blick gilt mir. Das ist nichts Neues. “Du lässt die Pfoten von ihr!” Ich hebe die Augenbrauen und grinse. “Weil ich lieber mit dir ausgehen soll?” “Widerling!”, keift sie. Irgendwas habe ich bei ihr gehörig vermasselt. Warum sonst sollte sie Tear so gluckenhaft vor mir beschützen wollen. Sie ist meine beste Freundin, aber darüber, wo ihr Problem mit einer Beziehung mit mir liegt, will sie mir leider nichts verraten. Das steht unangenehm zwischen uns. Tear selbst äußert sich auch nicht dazu. Ich wechsle das Thema. “Auch für dich zur Info, Tear. Ich habe wieder eine Einladung vom Obermotz erhalten. Wegen seines Terrors vergeht mir noch die Lust auf Geburtstage. Voll nervig.” Tear setzt sich ihre braune Mütze wieder auf den Kopf und antwortet gefasst, aber leise: "Schreib ihm doch, dass er damit aufhören soll.” “Oder repariere das Motorrad und fahr hin”, ergänzt Shine pragmatisch und wirft sich das lockige Haar in den Nacken. “Ich besuche den Vollhonk, der sich mein Vater schimpft, doch auch mehrmals im Jahr.” Damit steht nur noch die gute Tear auf meiner Seite. Sie hakt sogar in meinem Namen nach. “Shine, das ist eine Reise ins Unbekannte. Würde dir das keine Angst machen?” “Doch, schon, …”, zögert die Angesprochene. “... aber wenn ich mitfahre, könnte ich ihn führen.” Tear wird leiser. “Das wäre ein schönes Abenteuer für euch beide …” Shine senkt den Kopf, sagt aber nichts weiter dazu. Auch mir ist klar, dass sich Tear ebenfalls gern als Fremdenführerin anbieten würde, aber gerade wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Beide Frauen stammen aus Mensonia, aber ihre Lebensläufe könnten unterschiedlicher nicht sein. Shine steht als Teil der Herrscherfamilie an der Spitze, Tear war ein menschliches Dienstmädchen. Leider weiß ich absolut nichts darüber, was man ihr angetan hat, aber ihre Depressionen haben dort ihren Ursprung. Wahrscheinlich geht Shine deshalb so überfürsorglich mit ihrer Freundin um. Da die Unterhaltung deprimierende Züge angenommen hat, schließe ich sie ab. “Hab jedenfalls nicht vor, ihn zu besuchen.” “Wie du meinst”, zuckt Shine mit den Schultern. Ich stehe auf, verabschiede mich und verlasse ihr Zimmer. Nun, wo sich mein Geburtstag im Bunker herumgesprochen haben sollte, werde ich eine Runde drehen und mich ordentlich feiern lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)