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Leaving a Sign that I was there

私がいた証拠を残して
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
An dieser Geschichte arbeite ich (zumindest geistig) schon recht lange, im Schreiben bin ich leider etwas langsam, aber ich wollte sie trotzdem mal veröffentlichen.
Ich bin ein großer Fan von Ritsuko, also konnte ich nicht anders, als eine Story über sie zu schreiben (und über meinen OC natürlich *gg*)
Die Story beginnt im Jahr 2000, als die beiden noch Teenager sind und kommt hoffentlich irgendwann 2015 und in der Zeitleiste von 3.33 und 3.0+1.01 an; in Teilen existieren davon schon Kapitel, aber die Ausarbeitung wird vermutlich ein Mammutprojekt. Komplett anzeigen

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Anfang April 2000 - im Süden von Deutschland

Träge walzten die dunklen Wolken über den Himmel und kündeten von einem baldigen Regenschauer. Das Frühjahr hatte sich bisher nicht von seiner schönsten Seite gezeigt und die Natur hielt sich mit Blättern und Blüten ebenfalls noch zurück. Auch im Herzen des Mädchens, das mit seinen blauen Augen nach den Wolken Ausschau hielt, war es eher trüb. Ihr Vater war von der Arbeit aus nach Japan versetzt worden und ihr Umzug stand kurz bevor. Das war bereits viele Monate vorher beschlossen worden und so hatten er und seine Familie sich auf das Kommende einstellen können, aber jetzt wo der Tag gekommen war, hatte seine Tochter doch etwas Magenschmerzen. Deutschland und Japan waren in sehr vielen Dingen unterschiedlich und das würde sie nur allzu bald feststellen müssen.

"Hast du alles gepackt?" Wurde sie aus der Richtung ihrer Zimmertür angesprochen.

Mit einem Seufzen drehte sie sich um, im Türrahmen stand ihre Mutter und lächelte sie aufmunternd an.

"Ja, ich denke schon", murmelte sie. Das braune Haar fiel ihr in sanften Wellen bis zur Mitte des Rückens, ihre Mutter strich ihr liebevoll eine der Strähnen hinter das Ohr zurück.

"Ich weiß, es fällt dir nicht leicht; Thomas eben so wenig und mir geht es genauso, aber du weißt ja ...", setzte sie an.

"Ja, ich weiß ...", gab das Mädchen zurück, ohne es grob zu meinen, "Es fällt mir nur schwer, hier so vieles zurück zu lassen."

"Ich versteh dich gut", ihre Mutter lächelte matt, die ganze Sache mit dem Umzug schaffte auch sie. "Aber es ist nicht für immer, irgendwann können wir wieder hier her zurück."

"Mhm", machte ihre Tochter etwas abwesend, fing sich aber dann, da sie wusste, sie saßen alle im selben Boot und hatten wenigstens sich als Stütze in einem fremden Land. Sie umarmte ihre Mutter, "Wir schaffen das schon, danke."

Ihr Mutter erwiderte die Umarmung und tätschelte ihr dann den Rücken, "Na, dann lass uns die Koffer mal einladen."

Ein Großteil ihrer Sachen war bereits vor ein paar Tagen mit einem Flieger nach Japan geschickt worden, aber da ihr Vater dort ein kleines Haus gestellt bekam das überwiegend eingerichtet sein würde, brauchten sie kaum Möbel mitzunehmen. Heute würde dann die Familie mit ihren persönlichen Dingen und dem Handgepäck nachreisen.

Das Mädchen nahm seinen Koffer vom Bett, warf sich den Rucksack über die Schulter und drehte sich nach ihrem Zimmer noch ein letztes Mal um - fast 14 Jahre lang hatte sie hier gelebt und es würde ihr definitiv fehlen. Mit klopfendem Herzen folgte sie ihrer Mutter auf den Gang und die Treppe hinab, wo sie bereits von ihrem Vater und ihrem älteren Zwillingsbruder erwartet wurden.

"Bereit für das große Abenteuer?" Ihr Vater grinste sie unter seinem buschigen Schnauzbart hervor an und ihr Bruder hob die Hand für ein High Five.

Sie schlug ein und merkte erst danach, dass es eher halbherzig gewesen war, "Jepp, bin bereit." Sie rang sich ein halbwegs fröhliches Lächeln ab und ging dann hinaus zu dem Taxi, das sie bereits erwartete.
 

Anfang April 2000 - Tokyo, Japan

Auf dem Flughafen angekommen wurde die Familie bereits von Männern in dunklen Anzügen und Sonnenbrillen erwartet - es wirkte wie ein schlechter Gangsterfilm, als sie in ein Auto mit getönten Scheiben gelotst wurden. Ihr Vater erklärte, dass es Mitarbeiter seiner Firma seien, denn es war ihm versprochen worden, dass jemand sie abholen und in ihr neues Zuhause bringen würde.

Und genau dort wurde die Familie auch abgesetzt. Sie fanden sich vor einem hübschen Häuschen in einem Ortsteil von Tokyo wieder, wo bereits ihre restlichen Sachen auf sie warteten. Es war noch recht früh am Tag und so konnten sie die Zeit damit verbringen sich erst mal umzusehen und einzurichten. Die beiden Geschwister klärten die Frage nach dem Zimmer durch simples Schere-Stein-Papier und das Mädchen sah sich dabei als Gewinnerin, denn sie hatte das Zimmer mit dem Ausblick auf den Garten bekommen, während ihr Bruder sich mit dem Blick auf das Nachbarhaus begnügen musste, dafür aber etwas mehr Platz hatte.

"Vielleicht wohnt ja ein hübsches Mädchen neben uns, dann bekomme ich immerhin was zu sehen", meinte er grinsend und verschwand mit seinem Koffer den Gang hinunter zu seinem neuen Domizil. Seine Schwester lächelte ihm kopfschüttelnd nach. Sie war erstaunt darüber, wie gelassen er die ganze Sache mit dem Umzug genommen hatte und dass er sich scheinbar mit jeder Situation abfinden konnte.

Sie blickte in ihr neues Zimmer, das wirklich recht hübsch und sogar mit einem normalen Bett ausgestattet war; generell wirkte das Haus recht westlich auf sie und gar nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Mit einer flappsigen Handbewegung warf sie ihren Rucksack auf das Bett, stellte den Koffer ab und sah aus dem Fenster; hier schien die Sonne und es war deutlich wärmer als in Deutschland, vielleicht würde es ja doch ein angenehmer Frühling werden. Sie räumte ein paar ihrer Sachen aus den Kisten und dem Koffer, doch nach einer Weile des Ein- und wieder Umräumens, in der sie nicht zufrieden mit den diversen Platzwahlen war, zog es sie nach draußen. Sie ging die Treppe hinunter und rief ihren Eltern, die in der Küche am Werkeln waren, zu, "Ich schau mir mal die Gegend an."

"Alles klar, aber verlauf dich nicht, Schatz", antwortete ihre Mutter.

"Und komm nicht zu spät wieder, ihr müsst morgen in die neue Schule" setzte ihr Vater hinzu.

"Ja, ja, schon gut", gab sie etwas mürrisch zurück, weil er sie an etwas erinnert hatte, wovor sie sich etwas fürchtete. Neue Schulen und Gegenden waren immer so eine Sache, aber das alles in einem fremden Land, mit einer völlig anderen Kultur zu erleben ließ sie etwas erschaudern. Sie hatte die Schuluniform, die sie von jetzt an tragen musste, kritisch beäugt; es war eine Art Matrosenoutfit, das aus einer Bluse mit Kragen und Schleife, sowie einem Faltenrock, passenden Kniestrümpfen und einem Paar brauner Schuhe bestand. Nicht nur, dass sie die Kombination nicht besonders hübsch fand, sie wollte auch eigentlich auf keinen Fall etwas anziehen, das keine Hose war, doch welche Wahl hatte sie schon? Die japanischen Schulen waren, was das anging, angeblich sehr streng.

Sie seufzte leise und schlenderte durch die Straße, in der sie von jetzt an wohnen würde, ließ sich von ihren Füßen einfach davontragen. Sie entdeckte putzige Häuschen im japanischen Stil, aber auch viel westliche Architektur, hübsche Gärten, Spielplätze und eine Grundschule. Irgendwann sah sie auf die Uhr und merkte, dass sie bereits eine Weile unterwegs gewesen war und es langsam Zeit wäre umzukehren. Auf dem Rückweg musste sie jedoch an einer Stelle falsch abgebogen sein und kam in eine andere Straße als zuvor. Sie blickte sich kurz um, fand aber nicht heraus woher sie ursprünglich gekommen war - mit einem Schulterzucken schlenderte sie auf's Geratewohl weiter und hoffte, sie würde irgendwann wieder in die Richtige Straße kommen. In dieser Hinsicht war sie vielleicht ein bisschen leichtsinnig, obwohl es gleichmütig wohl besser traf, sie sah es als ein weiteres Abenteuer in einer unbekannten Gegend an.

Als sie wieder an dem Spielplatz vorbei kam, war sie sich sicher, in die richtige Richtung zu gehen, doch sie blieb für einen Augenblick unentschlossen stehen. Dort schaukelte ein Mädchen, etwas jünger als sie, mit einer Brille und zwei geflochtenen Zöpfen. Sie sah das Mädchen an und das Mädchen sah zurück.

Sie richtete ihren Blick wieder auf die Straße vor sich, doch sie ging nicht weiter. Plötzlich wurde sie von der Seite angesprochen; das Mädchen von der Schaukel war abgestiegen und zu ihr rüber gekommen. Bis auf ein paar wenige Worte verstand sie das Mädchen aber nicht, also lächelte sie verlegen und stammelte, dass sie kaum Japanisch könne. Dann murmelte sie ein paar Abschiedsworte, verneigte sich und ließ das etwas verdutzte Mädchen zurück. Sicher hatte sie ihr nur helfen wollen und es war unfreundlich gewesen einfach so ab zu hauen, aber wenn man die Sprache nur schlecht verstand und sich nicht ausdrücken konnte, war es in ihren Augen sowieso hoffnungslos. Sie seufzte und fragte sich, wie das wohl in der Schule werden würde. Sie hatte die letzten Monaten zwar immer wieder die Sprache geübt, aber es war doch etwas ganz anderes, sie auch praktisch anzuwenden.

Als es langsam dämmerte bog sie endlich in die richtige Straße ein und näherte sich dem Haus aus der anderen Richtung. Ihre Mutter riss bereits besorgt die Haustür auf, "Wo warst du denn so lange? Ich hab mir schon Sorgen gemacht!"

"Tut mir leid, Mama, ich hab ... etwas rumgetrödelt", murmelte sie und ging hinein. Sie wollte ihrer Mutter nicht noch mehr Sorgen bereiten, in dem sie ihr gestand, dass sie sich direkt am ersten Tag verlaufen hatte.

Beim Abendessen schärfte ihnen ihr Vater noch mal ein, dass sie morgen zur Schule müssten und er früh zu seiner neuen Arbeitsstelle, "Also macht heute nicht zu lange. Jemand von meiner Arbeit kommt morgen früh und holt euch ab, um euch zur neuen Schule zu bringen. Angeblich sind da ein paar Kinder deren Eltern in der selben Firma arbeiten."

Die Geschwister nickten.

"Wird schon werden", sagte der ältere Zwilling optimistisch.

"Bis auf die Sache mit der Schuluniform", murrte seine Schwester, "ich könnte auf das Röckchen und das Seemannsoutfit verzichten."

"Ich wette, du siehst richtig süß darin aus, Schwesterherz", neckte er sie und bekam darauf gleich einen bösen Blick von ihr.

"Tja, Vorschrift ist leider Vorschrift", fügte ihr Vater hinzu. "Du wirst dich schon daran gewöhnen."

Von Röcken war sie nie begeistert gewesen, und dieser hier fiel dazu noch recht knapp aus; würde er wenigstens bis über's Knie reichen ... Sie seufzte erneut und beendete ihr Abendessen schweigend.

Zurück in ihrem Zimmer kam ihr die Idee, ihren Schrank nach etwas zu durchforsten, was sie unter dem Rock tragen konnte, ohne dass es auffallen würde. Und tatsächlich fand sie nach etwas wühlen in den Kisten ihre kurzen Shorts für den Sommer. Sie wählte eine aus dünner Baumwolle aus, schlüpfte hinein und zog probehalber den Rock darüber. Tatsächlich fiel es nicht auf, außer jemand sah ganz genau hin, was wiederum unhöflich wäre. Beim Bücken musste sie sowieso aufpassen und auch beim Sitzen allgemein, aber sie war sich sicher, dass es ihr Unwohlsein etwas eindämmen würde, wenn sie die Shorts darunter anbehielt. Etwas zufriedener zog sie die Klamotten wieder aus und machte sich bettfertig. Danach sah sie noch ein wenig aus dem Fenster und sann darüber nach, wie die neue Schule wohl sein würde, irgendwann übermannte sie die Müdigkeit und sie legte sich hin. Die erste Nacht im neuen Haus und in einem neuen Bett. Sie war sich eigentlich sicher, dass sie nicht gut schlafen würde, aber durch die ganze Aufregung schlief sie wie ein Stein.
 

Am nächsten Morgen klingelte sie um sieben Uhr der Wecker wach. Ihr Vater war bereits früh aus dem Haus gegangen und so frühstückten die Zwillinge alleine mit ihrer Mutter. Kaum, dass sie damit fertig waren, stand ein dunkler Wagen vor der Tür und ein Mann mit schwarzem Anzug und Sonnenbrille stieg aus. Ob es einer der Männer vom Vortag war, war dem Mädchen unklar. Die Geschwister stiegen folgsam in das Auto und ließen sich von dem Mann schweigend zu ihrer neuen Schule fahren. Er stieg mit ihnen aus, führte sie in das Gebäude und zum richtigen Klassenzimmer - wortlos machte er mit der Hand eine einladende Geste in das Zimmer hinein und verneigte sich erst vor ihnen und dann vor dem Lehrer, danach verschwand er ebenso schweigsam wie er gekommen war.

Ihr Bruder trat forsch ein und sie folgte ihm etwas zögernd; sie fühlte sich so verdammt nackt in den Kniestrümpfen und dem kurzen Rock; trotz der Shorts darunter. Der Lehrer begrüßte sie freundlich und bat sie, sich an die Tafel zu stellen und ihre Namen zu nennen. Der Wortschatz der Zwillinge war zwar noch etwas brüchig, aber es reichte für die notdürftigsten Floskeln und Unterhaltungen.

"Watashi no namae wa Alexandra Kaiser desu, hajimemashite", stellte sie sich vor und verneigte sich dann zögerlich vor der Klasse; alle Augen waren auf die beiden ausländischen Teenager gerichtet.

Ihr Bruder hob lediglich flappsig die Hand und fügte ein "Yo, Thomas desu" hinzu. Unter den Mädchen begann ein leises Gekicher und Getuschel als sie den braunhaarigen Europäer mit den strahlenden blauen Augen erblickten. Ihr Bruder würde sicher einige Herzen brechen.

Der Lehrer erklärte der Klasse noch, dass die beiden Zwillinge sind und dass ihr Vater aus beruflichen Gründen nach Tokyo gezogen ist und die beiden deswegen jetzt auf diese Schule gehen würden, dann wies er ihnen ihre Plätze zu - zumindest glaubte Alexandra, dass sie all das verstanden hatte, sicher war sie sich aber nicht.

Thomas bekam einen Platz in der Nähe der Tür, in der zweiten Reihe, Alexandra wurde eine Reihe weiter nach hinten und näher an's Fenster gesetzt. Das Mädchen ertappte sich dabei, wie sie immer wieder prüfend über den Rock strich und dabei hoffte, dass die Hose darunter nicht auffiel.

Den Geschwistern fiel es schwer sich auf den Unterricht zu konzentrieren oder gar viel zu verstehen, aber sie gaben sich Mühe nicht aufzufallen, denn das taten sie rein optisch schon.

Als die Stunde vorbei und endlich eine Pause war, trat Alexandra an die große Glasfront des Zimmers und schaute hinaus auf den Schulhof; bisher hatte sie noch nicht viel von der neuen Schule gesehen.

Direkt neben ihr, am Fenster, saß ein Mädchen mit halblangen rotbraunen Haaren, das schweigsam in einem Buch las und den beiden Neulingen kaum Aufmerksamkeit schenkte.

"Hallo", grüßte Alexandra das andere Mädchen freundlich weil sie jetzt ja quasi neben ihrem Tisch stand. Dann räusperte, korrigierte und verneigte sie sich schnell "Ähm ... konnichi wa."

Das Mädchen blickte kurz auf, so dass Alexandra erkennen konnte, dass sie grüne Augen hatte und sich seitlich unter dem Linken ein Muttermal befand, dann antwortete sie mit einem leichten nicken halblaut, aber freundlich "Konnichi wa", bevor sie sich wieder ihrem Buch widmete. Es schien ihr nichts auszumachen, dass Alexandra hier stand und aus dem Fenster blickte.

Die anderen Schüler begannen die Geschwister zu umringen und bestürmten sie mit Fragen, die sie oftmals nicht verstanden oder auch gar nicht beantworten konnten. Als Alexandra schon kurz davor war irgendwie aus dem Kreis der vielen fremden Schüler auszubrechen erhob sich das Mädchen mit dem rotbraunen Haar ruhig, aber nachdrücklich, klappte das Buch zu und sagte etwas zu den anderen Schülern, das Alexandra nur teilweise verstand. Sie konnte die Wörter "neu", "Schüler" und "lassen" heraushören, bevor das Mädchen sich umdrehte und das Klassenzimmer verließ.

Daraufhin ließen einige Schüler von ihnen ab, andere wiederum blieben hartnäckig, wenn auch freundlich bei ihnen stehen.

Zwei Mädchen rümpften die Nase und schienen sich abfällig über das andere Mädchen zu unterhalten. Alexandra konnte von den schnellen und leise gesprochenen Worten kaum etwas verstehen, aber sie war dem anderen Mädchen dankbar dafür, dass sie einen Großteil der Mitschüler verscheucht hatte.

Der Rest des Schultages verstrich halbwegs spannend, die Schülerinnen und Schüler der Klasse ratterten ihren täglichen Unterricht runter, verbrachten ihre Pausen und gingen am Nachmittag normalerweise in AGs oder zum Sport. Für die Zwillinge war dies erst mal keine Priorität und man nahm offenbar auch ein wenig Rücksicht auf die Neulinge, denn niemand sagte etwas, als sie nach regulärem Schulschluss die Schule verließen.

Der schwarze Wagen wartete am Tor auf sie und der Mann brachte sie schweigsam nach Hause. Sie bedankten und verabschiedeten sich von ihm und gingen hinein, wo ihre Mutter schon auf sie wartete.

Sie erzählten von ihrem ersten Schultag und Alexandra hatte das Gefühl ihr Kopf würde gleich platzen, weil um sie herum den ganzen Tag eine, für sie kaum verständliche, Sprache gesprochen wurde. Sie fragte sich, warum sie eigentlich auf eine Schule mit diesem Niveau gehen sollten, wenn sie dem Unterrichtsstoff nicht folgen konnten. Vielleicht sollte sie in eine Sprachschule gehen, dachte sie noch, als sie ihrer Mutter half, das Abendessen vorzubereiten. In Deutschland hatte sie versucht vieles selbst zu lernen und sie waren auch in einem Kurs gewesen, aber offenbar reichte es bei weitem nicht. Ihr blieb also Nichts anderes übrig, als fleißig Augen und Ohren offen zu halten um mit der Sprache schnell zurecht zu kommen.

Anfang April 2000 - Tokyo, Japan

Am nächsten Morgen holte der Mann sie wieder ab und brachte sie zur Schule, dieses Mal begleitete er sie aber nicht hinein. Das war den Zwillingen auch recht, denn es wirkte irgendwie sehr exklusiv und das war ihnen unangenehm.

Der zweite Tag verlief wie der erste und den beiden platzte nach wenigen Stunden schon der Kopf. Einige Schülerinnen und Schüler, die neugierig waren, belagerten sie wieder und gaben sich sichtlich Mühe ihre Sätze einfach zu gestalten, sowie langsam und deutlich zu sprechen. Alexandra merkte, dass ihr das bedeutend half und sie atmete etwas erleichtert auf, denn das zeigte ihr, dass sie nicht zu blöd, sondern lediglich zu ungeübt für die Sprache war. Um auf eine Frage zu antworten brauchte sie aber recht lang, denn sie musste erst nach den richtigen Wörtern kramen und blätterte nebenbei immer wieder in einem Lexikon.

Zwei Mädchen, die sich ihr als Nakayama Midori und Morikawa Satoko vorgestellt hatten versuchten ihr zu erklären, dass sie in der Kunst-AG seien und wollten wissen, ob Alexandra nicht auch dort hin wolle.

Das langhaarige Mädchen wehrte die Einlandung erst mal höflich ab, da sie die Befürchtung hatte, dass noch mehr Input ihr Gehirn grillen würde. Aber sie dankte den beiden und versprach, auf sie zuzukommen, wenn sie so weit wäre.
 

Nach der ersten Woche fühlte sich Alexandra so ausgelaugt, dass sie das Wochenende fast komplett durch schlief. Die Pause tat ihr gut, aber sie merkte am folgenden Montag schon, dass sie langsam in die Sprache hineinfand. Natürlich reichte es noch nicht für richtige Unterhaltungen, aber sie konnte langsam gesprochenen Sätzen besser folgen und Wörter gezielter nachschlagen oder -fragen.

Die beiden Mädchen erkundigten sich wieder bei ihr, ob sie Interesse an der Kunst-AG hätte und Alexandra fragte vorsichtshalber nach, was es denn noch für AGs an der Schule gäbe.

"Nun, da wären die Sport-AGs wie Fußball, Basketball, Tennis oder Leichtathletik. Und dann gibt es noch die Kunst-AG und die Musik-AG. Ach ja und die Bücherwürmer- eto ich meine den Buchclub. Die kann man nicht wirklich als eine AG bezeichnen, aber offiziell gibt es sie" zählte Midori sorgsam auf.

Alexandra lächelte schwach, sie las gerne und schon jetzt hatte sie sich vorgenommen sich den Buchclub wenigstens mal näher anzusehen; wo konnte man eine Sprache besser vertiefen, als beim Lesen und in Gesprächen?

Um ihrer Einladung aber nachzukommen beschloss sie, sich an diesem Nachmittag die Kunst-AG wenigstens mal anzusehen. Mit Kunst hatte sie nicht so viel am Hut, aber sie wollte auch nicht unhöflich sein. Die beiden hatten sie in der ersten Woche auch mal über das Schulgelände geführt und ihr alles gezeigt und diese Nettigkeit wollte sie irgendwie zurückgeben.

Ihr Bruder hatte sich die Basketball-AG angesehen und beschlossen ihr beizutreten. Beim Sport waren die Regeln relativ klar, die Sprache spielte da fast weniger eine Rolle.

Als die AG vorbei war, sah Alexandra aus dem Fenster und entdeckte ihren Bruder, der über den Schulhof schlenderte und auf den Ausgang zuhielt. Sie schulterte schnell ihren Rucksack und verabschiedete sich von den beiden Mädchen "Vielen Dank für heute."

Damit drehte sich um und rannte aus dem Klassenzimmer. Auf dem Flur stieß sie wegen ihrer Eile mit jemandem unsanft zusammen und die andere Person fiel zu Boden, während Alexandra sich gerade noch am Türrahmen festhalten konnte um nicht auf die andere Person zu fallen.

"Du meine Güte, es tut mir furchtbar leid!" Entschuldigte sie sich sofort und im Affekt auf Deutsch. Als sie in das Gesicht der anderen Person sah, erkannte sie das Mädchen, das neben ihr saß. Mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht saß sie auf dem Boden und rieb sich das Steißbein. Alexandra sog scharf die Luft ein, stammelte auf Japanisch eine Entschuldigung und streckte ihr etwas geknickt die Hand hin um ihr aufzuhelfen, "Gomen nasai! Daijoubu desu ka - geht's dir gut?"

Das Mädchen sah auf und ihre Blicke trafen sich. Etwas zögernd nahm sie die dargebotene Hand an, "Es geht schon, danke" antwortete sie und ihre grünen Augen musterten das deutsche Mädchen.

"Wirklich?" Alexandra war die Situation peinlich.

Das andere Mädchen nickte, "Ja, schon okay. Aber du musst es ja furchtbar eilig haben." Das Mädchen klopfte seinen Rock ab, strich ihn glatt und hob das Buch auf, das neben ihm auf dem Boden lag. Dann fuhr es fort, "Ich gebe dir einen Tipp: in japanischen Schulen wird auf den Gängen nicht gerannt. Vielleicht solltest du das beherzigen." Sie beendete den Satz mit einem kleinen Lächeln, so dass Alexandra - die natürlich nicht alles verstanden hatte - merkte, dass dies nicht als Strafpredigt gemeint gewesen war.

Alexandra lächelte verlegen, "Ähm ... danke. Aber jetzt muss ich gehen." Und damit mogelte sie sich an dem anderen Mädchen vorbei und war weg. Ihre Sitznachbarin sah ihr mit einem Kopfschütteln nach, das man kleinen Kindern gerne angedeihen ließ um sie halb ernst, halb humorvoll zu tadeln.

Das braunhaarige Mädchen hatte sich nicht nur schnell aus dem Staub gemacht um ihren Bruder einzuholen, sondern auch, weil es ihr peinlich gewesen wäre, wenn das andere Mädchen gewusst hätte, dass sie vielleicht gerade mal die Hälfte des Satzes verstanden und deswegen schwammig geantwortet hatte.

Vor dem Schultor schloss sie zu ihrem Bruder auf, der sich nach dem schwarzen Wagen umsah.

"Ups, vermutlich ist er gefahren, als wir nicht kamen", meinte Thomas zu seiner Schwester und steckte die Hände in die Hosentaschen.

"Und jetzt? Laufen wir?" Fragte sie ihn.

Er zuckte mit den Schultern, "Warum nicht? Es ist ja nicht so weit und ich finde den Weg bestimmt."

"Gut, dass ich dich dabei habe, alleine würde ich mich verlaufen" sagte sie grinsend zu ihm und gemeinsam machten sie sich auf den Heimweg.

"Und, was machen deine neuen Bekanntschaften?" Fragte er sie.

"Meinst du die beiden Mädchen aus unserer Klasse?" Als er nickte fuhr sie fort, "Na ja, sie sind nett und bemühen sich wirklich. Mal schauen, ob sich daraus tatsächlich Freundschaften entwickeln", sie zuckte mit den Schultern. Abgesehen von den beiden redete sie in der Schule kaum mit jemandem. Das Interesse an den neuen Schülern war größtenteils schon wieder verebbt und lediglich mit ihren Sitznachbarn tauschte sie höflich Begrüßungen aus.

Ihre linke Sitznachbarin, das Mädchen mit den grünen Augen, das am Fenster saß, hatte die Nase überwiegend in Büchern stecken und wirkte auch sonst eher wie eine Einzelgängerin. Eben hatte sie das erste Mal wirklich mit ihr geredet.

"Oh und außerdem hab ich gerade noch das Mädchen, das neben mir sitzt, über den Haufen gerannt, aber das zählt nicht, oder?"

"Haha, nein, das zählt nicht!" Er lachte und fügte dann hinzu, "Bei mir ist es mit den Bekanntschaften ähnlich; also bis auf das Umrennen von Leuten."

Er grinste sie an und sie grinste zurück, dann warf sie noch mal einen Blick zurück zum Schulgebäude. Ihr Blick wanderte hinauf zum Fenster ihres Klassenzimmers und sie bildete sich für die Dauer eines Herzschlags ein, das andere Mädchen am Fenster stehen gesehen zu haben, doch als sie blinzelte sah sie nur die Spiegelung des Glases.

"Kommst du jetzt, oder was?" Rief ihr ihr Bruder zu, der bereits ein paar Schritte weiter gegangen war. "Was gibt's denn da zu sehen?"

"Ach, ich dachte nur eben darüber nach in welche AG ich mich einschreiben lassen möchte" wiegelte sie ab. Innerlich hatte sie schon eine Entscheidung getroffen, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wer in dem Buchclub überhaupt alles Mitglied war.
 

Am nächsten Tag war der 11. April und der 14. Geburtstag der Zwillinge. Bei all den Aufregungen der letzten Zeit hatten sie es beinahe vergessen und hofften auch ein wenig, dass in der Schule niemand darauf achtete; sie wollten möglichst unbehelligt durch den Tag kommen.

Als sie an diesem Morgen aus der Tür kamen war der Mann mit dem schwarzen Anzug wieder da um die beiden abzuholen. Er entschuldigte sich dafür, dass er sie gestern Nachmittag an der Schule nicht angetroffen hatte und hielt ihnen die Tür auf. Alexandra und Thomas versichertem ihm, dass es nicht seine Schuld gewesen war, denn er konnte ja nicht wissen wie lange sie in der Schule bleiben würden. Ebenso machten sie ihm klar, dass sie ab morgen laufen würden; es war kein all zu weiter Weg bis zur Schule und dank ihrem Bruder fand sie den Weg vermutlich nach kurzem sogar allein. Man sah dem Mann die Erleichterung an und er nickte angesichts ihrer Erklärungen; vermutlich war es nicht seine liebste Aufgabe die Kinder von anderen Mitarbeitern herum zu chauffieren.

Bei der Schule angekommen trafen sie direkt auf die beiden Mädchen der Kunst-AG, die Alexandra freundlich grüßten und mit ihnen zum Klassenraum liefen. Bei der Tür angekommen trafen die beiden Mädchen noch auf eine andere Schülerin der AG und blieben kurz stehen um sich mit ihr zu unterhalten. Alexandra blieb respektvoll bei ihnen stehen, weil sie nicht einfach abhauen wollte, doch ihr Bruder betrat direkt das Klassenzimmer. Während sie da standen, kam Alexandras Sitznachbarin an, drückte sich mit einem gemurmelten "Sumimasen - Verzeihung" an den Mädchen vorbei und betrat ebenfalls das Klassenzimmer.

"Die wieder", murrte Midori und rümpfte die Nase. "Steht's hält sie sich für überlegen, weil sie so viel liest."

"Du hast recht", pflichtete ihr Satoko bei. "Ich glaube, es liegt daran, dass ihre Mutter so berühmt ist."

Alexandra spitzte die Ohren und war verwundert wieviel sie inzwischen glaubte zu verstehen. "Entschuldigung, was meint ihr?" Fragte sie zögerlich und fuhr dann in gebrochenem Japanisch fort, "Ihre Mutter ist berühmt?" Sie glaubte zwar nicht, dass sie überhaupt eine berühmte japanische Personen kannte, aber neugierig war sie dennoch.

Die Mädchen nickten einstimmig und eines antwortete, "Ja, sie muss irgendein hohes Tier sein, das was mit Computern zu tun hat, oder so was. Ihren Namen - Akagi Naoko - ließt man diesbezüglich wohl viel in Fachkreisen, deswegen hält sich unsere Akagi auch für was besonderes."

"Ach so?" Sagte Alexandra mehr zu sich selbst, als zu den beiden Mädchen und diese nickten bestätigend.

Schließlich betraten sie das Klassenzimmer und gingen zu ihren Plätzen. Alexandra blieb einen Augenblick neben dem Tisch ihrer Sitznachbarin stehen und grüßte sie, "Ohayou gozaimasu, ähm ... Akagi-san, stimmt's?"

Das Mädchen sah von ihren Schulbüchern auf und wirkte etwas verloren, weil sie plötzlich angesprochen wurde. "Ja, richtig. Ohayou gozaimasu, Kaiser-san", antwortete sie fast schüchtern und nickte ihr zu.

Alexandra verneigte sich vor ihr und sortierte kurz ihre Worte, "Äh ... geht es dir gut? Ich meine, wegen gestern ..."

Das andere Mädchen schien kurz nachzudenken und meinte dann, "Ja, danke, es ist alles in Ordnung. Es tut nicht weh."

Alexandra atmete erleichtert auf, "Da bin ich aber froh. Ich dachte schon, ich hätte dich verletzt", damit setzte sie sich an ihren Tisch und holte ihre Schulbücher hervor. Dann lehnte sie sich etwas zu ihr hinüber und meinte "Ähm ... entschuldige ich hätte eine Frage. Ich habe gehört, es gibt hier an der Schule so was wie einen ... Buchclub?"

Akagi sah sie fast etwas verwundert an und antwortete dann, "Ja, das gibt es. Möchtest du ihn mal besuchen?"

"Sehr gern, wenn ich darf. Ich lese sehr gerne!" Alexandra strahlte sie an und es war keinesfalls gelogen, sie las wirklich gern; aber sie freute sich auch, dass das ruhige Mädchen, das auf andere offenbar unnahbar wirkte, mit ihr gesprochen hatte. Mit diesem guten Gefühl, ging sie in den Unterricht, der just in dem Moment begann.

In der Mittagspause verschwanden die meisten Schüler irgendwo hin zum essen und da ihr Bruder unter den anderen Jungs schnell Anschluss gefunden hatte, verließ auch er das Klassenzimmer. Alexandra blieb unentschlossen sitzen, bis Midori und Satoko zu ihrem Tisch kamen und fragten, ob sie mit ihnen zu Mittag essen wolle. Sie zögerte kurz und sah aus dem Augenwinkel, dass Akagi keine Anstalten machte aufzustehen, offenbar blieb sie allein im Klassenzimmer zurück. Da sie bisher mit den beiden anderen Mädchen gegessen hatte, wollte sie das Angebot jetzt nicht plötzlich ausschlagen, also erhob sie sich und ging mit den beiden mit. Sie wollte sie nicht vor den Kopf stoßen, aber sie beeilte sich etwas und ging unter dem Vorwand, zur Toilette zu müssen, früher zurück. Als sie das Klassenzimmer wieder betrat, saß das andere Mädchen immer noch an ihrem Tisch. Schweigend aß sie ihr Bento und laß nebenher ein Buch über Computertechnik.

<Wow, ein ganz schön anspruchsvolles Buch für eine 14jährige, aber wenn das mit ihrer Mutter stimmt, ist es sicher kein Wunder>, dachte sie, setzte sich an ihren Platz und beobachtete die Sitznachbarin aus dem Augenwinkel. Sie wollte unbedingt mehr über den Buchclub erfahren, aber sie wollte sie nicht schon wieder stören.

Offenbar merkte das Mädchen die Unruhe neben sich, denn sie legte ihre Essstäbchen beiseite, klappte das Buch zu und legte es neben sich, während sie sich Alexandra mit fragendem, aber freundlichem Blick zuwandte. Diese fühlte sich ertappt und errötete etwas.

"Entschuldigung, ich wollte dich nicht stören", murmelte sie betreten, "Iss bitte erst fertig."

"Schon gut," sie lächelte etwas verlegen und machte den Deckel auf das Bento, "ich bin es nur nicht gewöhnt beim Essen Gesellschaft zu haben. Was kann ich für dich tun, Kaiser-san?"

"Ich ähm ... wollte nochmal nach dem Buchclub fragen. Wann und wo findet er statt, welche Bücher lest ihr und so."

"Es freut mich, dass die AG dein Interesse geweckt hat," das andere Mädchen klang aufrichtig. "Wir treffen uns immer Montags, Mittwochs und Freitags nach dem Unterricht in der Schulbibliothek. Es darf jeder lesen was er oder sie mag, manchmal suchen wir auch ein gemeinsames Buch als Projekt zum Besprechen aus; du darfst gerne vorbeikommen und es dir anschauen."

"Sehr gern, das hört sich gut an", gab Alexandra zurück. In dem Moment kamen Midori und Satoko herein und winkten Alexandra fröhlich zu, wobei sie das andere Mädchen mit fast schon strafenden Blicken ansahen. Diese ignorierte die Blicke, packte ihr Bento weg und nahm ihr Buch wieder zur Hand. Alexandra hob halbherzig die Hand, sie mochte es nicht, wenn jemand wegen irgendetwas ausgegrenzt wurde; und genau das schien hier zu passieren. Außerdem tat es ihr leid, dass sie das andere Mädchen beim Essen gestört hatte.

Kurz nachdem der Unterricht wieder begonnen hatte lehnte sich Alexandra nochmals zu ihrer Sitznachbarin hinüber und wisperte "Darf ich dich nach deinem Namen fragen?"

Das andere Mädchen lächelte freundlich herüber, hob seinen Schulblock hoch, auf dessen Vorderseite sein Name stand und zeigte mit dem Finger auf die beiden Kanji für den Nachnamen und die drei eher untypischen Katakana für den Vornamen. Während sie mit dem Finger über die Zeichen fuhr erwiderte sie ebenso leise "Ich heiße Ritsuko, Akagi Ritsuko."

Alexandra strahlte sie dankbar an und wendete ihre Aufmerksamkeit dann schnell wieder dem Unterricht zu, bevor der Lehrer sie beide noch erwischte. Mit dem Mädchen geredet zu haben und zu wissen, wie sie hieß, war fast wie ein Geburtstagsgeschenk für sie.

Nach Schulschluss gingen die Geschwister an diesem Tag direkt nach Hause - Thomas hatte keine AG und Alexandra würde vermutlich erst am morgigen Mittwoch zum Buchclub gehen; außerdem stand ein kleiner Familienabend an, den die Zwillinge auf keinen Fall missen wollen würden.

Ihre Mutter hatte ihnen ihren Lieblingskuchen gebacken und sie spielten Brettspiele, bis ihr Vater nach Hause kam.

Beim Abendessen erzählten die Geschwister von ihrem Schultag und ihr Vater ein bisschen was von der Arbeit.

"Oh, Papa, da du ja selber in der Computer-Branche zu tun hast, kennst du dich bestimmt aus", begann Alexandra, "In unserer Klasse ist ein Mädchen, deren Mutter wohl ziemlich berühmt auf dem Gebiet der Computer sein soll."

"Computer ist ein breitgefächerter Begriff, da musst du schon etwas präziser werden. Weißt du denn wie sie heißt?" Fragte er und seine Neugier war durchaus geweckt worden.

"Äh ... Akagi ... den Vornamen hab ich leider vergessen, sorry."

Ihr Vater blickte fast ehrfürchtig von seinem Teller auf, "Akagi? Doch nicht etwa Dr. Naoko Akagi!?"

"Ja, genau, das war der Name. Du kennst sie also doch!" Alexandra grinste.

"Allerdings!" Er klang ein bisschen stolz, "Sie ist meine neue Chefin - eine brillante Frau, sag ich euch!"

"Wow, also ist sie eine Berühmtheit", Alexandra staunte nicht schlecht. Sie hatte gedacht die beiden Mädchen hätten übertrieben, weil sie das andere Mädchen vermutlich einfach nicht leiden konnten.

Ihr Vater nickte, "Ist sie. Es ist eine große Ehre, dass ich mit ihr arbeiten darf. Und ihre Tochter geht bei euch in die Klasse, ja?" Alexandra nickte zur Antwort, da sie sich gerade eine Gabel mit Nudeln in den Mund geschoben hatte und mit vollen Backen kaute.

Nach dem Essen versumpfte die Familie vor dem Fernseher, um den Geburtstag der Zwillinge ausklingen zu lassen.

"Tut mir leid, dass euer Geburtstag dieses Jahr so ... anders ausfällt, als sonst" entschuldigte sich ihr Vater bei ihnen, als er ihnen die Geschenke überreichte.

Thomas winkte ab, "Mir macht das nicht so viel aus, auch wenn ich zugeben muss, dass mir meine Freunde schon etwas fehlen", sagte er und wickelte aus dem Geschenkpapier ein PlayStation-Spiel aus, das er sich gewünscht hatte. Freudig grinsend hob er es hoch, "Na, damit kann ich jetzt immerhin gut Japanisch lernen."

"Mir fehlen Aurora, Tante Kati und Onkel Ralf" gab Alexandra mit einem Seufzer zu und machte sich am Geschenkpapier zu schaffen. Kati - eigentlich Katrin - war die Schwester ihres Vaters und mit deren Mann und der gemeinsamen Tochter Aurora war sie alles an Verwandtschaft, was die Familie noch hatte; und natürlich hatten sie sämtliche Familienfeste zusammen gefeiert. Die beiden Mädchen hatten sich immer gut verstanden und zusammen gespielt, da sie auch fast gleich alt waren.

Aus dem Geschenkpapier schälten sich schließlich das Album einer Rock-Band und ein japanischsprachiger Manga; sie freute sich ehrlich darüber, denn der Manga konnte ihr beim Lernen helfen und Musik mochte sie sowieso immer.

Ihr Vater wuschelte ihr liebevoll durch's Haar, "Mir fehlen sie auch, aber vielleicht können sie uns ja bald mal besuchen; oder wir sie." Alexandra nickte nur, sie wollte den Tag nicht dadurch verderben, dass sie das Heimweh in allen hervorlockte, also schlug sie vor noch einen Film zu schauen und der Rest der Familie stimmte zu.

An diesem Abend gingen alle später zu Bett, als geplant, und Alexandra war nach dem Tag mehr geschafft, als sie erst gedacht hatte. Sie warf sich auf ihr Bett und blinzelte die Schuluniform, die sie am Schrank aufgehängt hatte, etwas missmutig an. Sie fühlte sich immer noch sehr unwohl darin.

<Na, ich werd mich schon noch an dich gewöhnen, du Fetzen. An japanischen Mädchen siehst du gar nicht mal so schlecht aus, aber ich fühle mich einfach unwohl in so einem knappen Rock ... Zum Glück hab ich die Shorts ...> Sie drehte sich zum Fenster um, rollte sich zusammen und schlief ein, ohne sich bettfertig gemacht zu haben, aber sie war einfach zu müde.

12. April 2000 - Tokyo, Japan

Alexandra wachte an diesem Morgen früh auf und sie freute sich sogar ein wenig auf die Schule, da sie hoffte, den Buchclub heute besuchen zu können. Als die Geschwister das Klassenzimmer betraten waren kaum Schüler anwesend, aber ihre Sitznachbarin saß bereits an ihrem Tisch und hatte die Nase in einem Buch.

"Guten Morgen Akagi-san" sagte sie halblaut und mit einer leichten Verbeugung zu ihr. Diese erwiderte mit einem freundliche Lächeln und Kopfnicken die Geste. Alexandra nutzte die Gelegenheit vor dem Unterricht und bat sie darum, sie nach der Schule mit in den Buchclub zu nehmen, was diese zusagte. Das langhaarige Mädchen freute sich und hoffte, dass der Unterricht schnell vorübergehen würde.

Als wären ihre stillen Gebete erhört worden, flog die Zeit vorbei und als der Unterricht endlich beendet war packte sie ihre Sachen zusammen und wartete darauf, dass Akagi ebenfalls bereit zu gehen war.

Sie folgte dem Mädchen zur Schulbibliothek und gemeinsam betraten sie sie. Es war ein hübscher kleiner Raum mit einem sauberen Holzboden und Regalen bis zur Decke. In einer Ecke standen ein rotes Ecksofa, zwei passende Sessel und ein niedriger Tisch. Ein Junge und ein Mädchen saßen bereits dort und erhoben sich rasch, als die beiden Mädchen eintraten.

"Hallo Akagi-senpai", sprach der Junge sie an und beide verneigten sich vor der Schülerin. Mit einem Blick auf Alexandra fügte er hinzu, "Oh, haben wir etwa einen Neuzugang? Hallo, mein Name ist Honda Satoshi und das ist Kusawa Hana, wir sind eine Stufe unter Akagi-senpai", er wies bei der Vorstellung mit der Hand auf sich und das Mädchen neben ihm und verneigte sich vor Alexandra, wenn auch nicht so tief, wie vor Akagi.

"Freut mich", sagte das jüngere Mädchen strahlend und verneigte sich ebenfalls.

"Hallo, ich bin Kaiser Alexandra. Es freut mich, dass ich hier sein darf", gab sie zurück und verneigte sich vor den beiden jüngeren Schülern.

"Bist du eine Austauschschülerin?" Wollte Hana neugierig wissen.

Alexandra lachte, "Na ja, so was ähnliches. Mein Vater arbeitet jetzt in Tokyo, also sind wir alle hergezogen."

"Und woher kommst du?" Fragte sie weiter.

"Ich komme aus Deutschland. Vor einem Jahr wurde gesagt, äh ...", sie kramte in ihrem Kopf nach den passenden Worten, doch sie wollten ihr nicht einfallen, "na ja, dass er nach Tokyo soll. Ich glaube, er arbeitet mit deiner Mutter, Akagi-san", fügte sie an das Mädchen mit dem rotbraunen Haar hinzu.

"Oh, er arbeitet ebenfalls dort?" Klinkte sich Satoshi ein, "Dann arbeiten alle Eltern der Mitglieder des Buchclubs zusammen."

"Alle?" Alexandra blickte sich um, "Hat der Buchclub nur drei Leute? Und alle Arbeiten mit Akagis Mutter?" Das empfand sie schon als seltsamen Zufall, oder hatte sie das missverstanden?

"Nun, wir sind ein kleiner, aber eloquenter Haufen", scherzte er. Er wies mit der Hand auf Akagi "Sie ist unsere Leiterin, als längstes und auch ältestes Mitglied der Gruppe steht ihr diese Position zu."

"Du tust ja gerade so, als gäbe es hier viel zu managen", meinte Hana und fügte dann schnell hinzu, "Nichts für ungut, Ritsuko-senpai, aber ich glaube du weißt, was ich meine." Diese tat die Aussage mit einem höflichen Lächeln ab. Alexandra fiel es noch schwer der Unterhaltung zu folgen und sie hatte ein wenig Bammel davor, ob sie dem Buchclub überhaupt gewachsen sein würde.

"Ein Mitglied fehlt uns allerdings noch", wechselte Satoshi das Thema und blickte tadelnd zur Tür, die sich just in diesem Augenblick auftat und eine Schülerin herein ließ.

"Entschuldigt bitte die Verspätung", sagte diese gehetzt und warf ihre Tasche neben dem Tisch auf den Boden. Sie wirkte jünger als die beiden anderen und war demnach in der ersten Klasse der Mittelschule. Als ihr Blick auf Alexandra fiel weiteten sich ihre Augen, "Ah, das Mädchen von neulich!" Und jetzt erkannte auch Alexandra sie wieder; es war das Mädchen mit der Brille und den zwei Zöpfen, das geschaukelt hatte.

Alle Blicke richteten sich auf sie, was ihr noch mehr Unbehagen bereitete.

"Ihr kennt euch?" Akagi sah von dem einen zum anderen Mädchen.

Das Mädchen mit den Zöpfen nickte eifrig, "Ich hab sie neulich am Spielplatz gesehen und weil sie so verloren aussah, hab ich sie gefragt ob sie sich verlaufen hätte. Aber dann hat sie was unverständliches gemurmelt und ist einfach gegangen."

Alexandra bekam leicht rote Ohren und murmelte vorsichtshalber ein "G-gomen", sie verstand von dem Redeschwall nur einen Bruchteil und kratzte sich verlegen am Kopf, "T-tut mir leid, mein Japanisch ist schlecht."

"Das dachte ich mir fast" antwortete das jüngere Mädchen mit einem Grinsen und stellte sich dann vor, "Mein Name ist Fuji Yuriko, freut mich."

Alexandra erwiderte die Vorstellung mit einer leichten Verbeugung vor dem Mädchen.

"Nun, dann können wir ja beginnen, oder?" Meinte Akagi, setzte sich und zu Alexandras Überraschung holte sie aus ihrer Tasche ein Etui und zog eine filigrane Brille heraus, die sie sich aufsetzte. Bisher hatte sie das Mädchen im Unterricht nicht mit Brille gesehen, aber offenbar benötigte sie sie zum Lesen.

Dann widmete sich die Gruppe ihren Büchern und den Diskussionen.

Alexandra tat sich wohlgemerkt schwer beim Lesen, denn Kanji konnte sie noch nicht so viele um flüssig ein Buch lesen zu können. Auch der hitzigen Diskussion konnte sie oftmals nicht folgen, da sie schnellgesprochene Sätze oder schwierige Wörter nicht verstand, aber sie versuchte so gut es ging mitzuhalten und sich keine Blöße zu geben.

Es war schon nach 18 Uhr als sich der Buchclub auflöste und gemeinsam traten die Mitglieder vor die Tür des Schulgebäudes. Sie überquerten den Schulhof und am Tor deutete Akagi nach links "Ich muss hier lang. Wohin musst du, Kaiser-san?"

"Dort lang", sie deutete in die andere Richtung. Ihr Gehirn rauchte nach der Zeit im Buchclub und sie freute sich schon auf ihr Bett. Schnell verbeugte sie sich vor den anderen und sagte "Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, vielen Dank. Sayounara", dann drehte sie sich auf dem Absatz um und eilte nach Hause, ohne abzuwarten ob vielleicht jemand von den anderen in ihre Richtung musste.

Zuhause wurde sie bereits vom Rest ihrer Familie erwartet und während dem gemeinsamen Abendessen erzählte sie von dem Buchclub und ihren neuen Bekanntschaften. Als sie an diesem Abend endlich im Bett lag sinnierte sie noch einmal über alles nach und beschloss sich mehr mit Akagi anzufreunden - sie schien nett zu sein und vermutlich auch ein bisschen einsam; zumindest in ihrer Klasse. Über diesen Gedanken schlief sie schließlich ein.
 

Mitte April 2000 - Tokyo, Japan

Die weiteren Tage vergingen wie im Flug und langsam kam die Familie in ihrem neuen Leben an.

Die Zwillinge drückten brav die Schulbank und während Alexandra sich im Buchclub langsam etwas wohler fühlte und auch ihre Sprache verbessern konnte, besuchte ihr Bruder fleißig die Basketball-AG der Schule und wurde dadurch zu einem noch größeren Schwarm unter den Mädchen.

Zu Midori und Satoko pflegte Alexandra ein freundschaftliches, aber höflich distanziertes Verhältnis. Sie aß mit ihnen überwiegend zu Mittag, besuchte auch noch mal die Kunst-AG und auch wenn sie ihr nicht beitreten wollte versprach sie, hin und wieder vorbei zu schauen; an den Tagen, an denen es sich nicht mit dem Buchclub deckte, wäre es problemlos möglich. Ihr Hauptaugenmerk lag aber auf eben jenem Buchclub - sie fühlte sich unter den anderen Schülern sehr wohl und erfuhr nach und nach, was die Eltern der anderen taten. Satoshis Vater war einer der vielen Fahrer, die für die Firma arbeiteten, die Mutter von Hana war in der Kantine tätig und die Eltern von Yuriko arbeiteten beide dort; ihre Mutter war in der Krankenabteilung als Ärztin angestellt und ihr Vater arbeitete als Mechaniker.

"Was tut dein Vater eigentlich?" Wollte die neugierige Hana von ihr wissen.

"Hm, ich bin mir gar nicht so sicher", gestand sie, "Er spricht nicht viel über die Arbeit, aber er programmiert dort irgendwas unter der Leitung von Dr. Akagi; von der er übrigens immer ehrfürchtig spricht", fügte sie an die Tochter gewandt hinzu. Diese lächelte sie zwar über den Rand ihrer Brille hinweg an, sagte aber nichts weiter dazu.

Obwohl Akagi ihr gegenüber immer höflich blieb, so wahrte sie auch offenbar eine gewisse Distanz zu allen um sich herum, was Alexandra mit einschloss. Natürlich hatte das Mädchen nicht geglaubt gleich eine innige Freundschaft in so kurzer Zeit aufbauen zu können, aber das Mädchen mit den halblangen Haaren schien nett und manchmal etwas einsam zu sein. Über ihre Mutter und deren Arbeit sprach sie nie, aber vielleicht wusste sie darüber ebenso wenig wie Alexandra über die Arbeit ihres Vaters und deshalb fragte sie auch nicht.

So vergingen die Tage zwischen Schule, Buchclub und ihrem Leben Zuhause und langsam beschlich Alexandra das Gefühl, dass sie eine Sucht nach der buchverrückten AG entwickelt hatte, da alle sehr nett zu ihr waren und sie gleichzeitig die Leidenschaft für Bücher und das Lesen teilten.

In der Schule tat sich Alexandra immer noch recht schwer und auch die Sitten und Bräuche der Japaner waren ihr oft fremd und sie fühlte sich fehl am Platz, doch sie versuchte alles richtig zu machen und sich keine Blöße zu geben.

Eine Sache, die sie in der Schule einerseits liebte, aber auch hasste, war der Sportunterricht. Alle hatten sie dabei recht knappe Kleidung an und auch hier fühlte sie sich wieder halb nackt und unwohl, aber die sportliche Betätigung tat ihr gut; sie konnte sich den Kopf frei laufen und versuchte so den Stress, die Unterschiede und das Fremdsein zu vergessen.
 

Ende April 2000 - Tokyo, Japan

Der nächste Morgen war wie die meisten der letzten Zeit, die Geschwister frühstückten gemeinsam mit ihrer Mutter, weil ihr Vater immer schon früh zur Arbeit musste und erst spät wieder nach Hause kam. Was das anging empfand Alexandra die Arbeit hier in Japan noch strenger als bei ihnen Zuhause, aber vielleicht wollte ihr Vater auch einfach nur einen besonders guten Eindruck hinterlassen.

Die Geschwister gingen wie üblich zur Schule und im Klassenzimmer waren schon einige Schüler anwesend. Mit Freude stellte Alexandra fest, dass auch ihre Sitznachbarin bereits da war.

"Ohayou Akagi-san" begrüßte sie sie mit einer Verbeugung und setzte sich an ihren Platz.

"Ohayou gozaimasu Kaiser-san. Na, wie gefällt dir unser Buchclub bisher? Es ist sicher nicht so spannend wie andere AGs, wenn man noch Probleme mit der Sprache hat, ich weiß-" "Nein, ganz und gar nicht!" Unterbrach Alexandra sie hastig und fügte schnell hinzu "Ich meine, ja es ist schwierig manchmal alles zu verstehen, aber es gefällt mir sehr gut und ich freue mich, dass ihr mich so nett aufgenommen habt."

Der restliche Tag blieb ereignislos und Alexandra war etwas wehmütig über den Umstand, dass an diesem Tag kein Buchclub stattfand; sie konnte den morgigen Tag kaum erwarten.

Nach Schulschluss verabschiedete sie sich von Akagi, "Sayounara, Akagi-san" und verneigte sich.

Als sie das andere Mädchen kichern hörte sah sie verlegen auf.

"Entschuldige, ich wollte dich nicht kränken", sagte Akagi schnell, "aber sag nicht immer sayounara, das klingt so ernst und endgültig. Wir sehen uns morgen doch hoffentlich wieder" fügte sie lächelnd hinzu und Alexandra hatte den Eindruck auf ihren Wangen einen leicht roten Schimmer zu sehen.

"Ähm ... ja" antwortete Alexandra nur unverbindlich und überlegte kurz, "Was ... soll ich denn stattdessen sagen?" Es war ihr etwas peinlich, da sie selbst etwas so einfaches scheinbar nicht wusste, sie aber bisher auch niemand darauf angesprochen hatte.

"Verwende lieber mata ashita - bis morgen, oder dewa mata - bis dann" schlug sie ihr freundlich vor.

"O-okay, d-danke" murmelte Alexandra und errötete etwas.

"Entschuldige, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen" fügte Akagi hinzu.

"Nein, nein, das hast du nicht. Ich bin dankbar, wenn ich etwas lernen kann", sie verneigte sich erneut und schließlich sagte sie, "also dann, mata ashita, Akagi-san."

"Bis morgen, Kaiser-san" gab das andere Mädchen zur Antwort und verneigte sich ebenfalls leicht.

Mit einem seltsamen Gefühl in ihrer Magengegend schlenderte Alexandra nach Hause. Sie wusste nicht, ob es Freude oder Aufregung, oder einfach eine Magenverstimmung war.
 

Am nächsten Tag, als Alexandra gerade angekommen war, ging die Tür zum Klassenzimmer auf und einer ihrer Lehrer steckte den Kopf zur Tür herein, "Kaiser-san, würdest du bitte kurz mitkommen?"

Alexandra sah ihn verblüfft an und fragte sich, ob sie was falsch gemacht hatte. Sie spürte auch den fragenden Blick von Akagi auf sich, doch dann erhob sie sich und folgte dem Lehrer wortlos hinaus. Er dirigierte sie in's Lehrerzimmer und bot ihr einen Stuhl an.

"Habt ihr euch schon etwas eingelebt?" Fragte er und setzte sich an seinen Schreibtisch.

Das langhaarige Mädchen nickte, "Ja, danke." Sie fragte sich immer noch, was sie hier sollte.

"Es ist sicher nicht einfach für euch, in einem komplett fremden Land und mit einer neuen Sprache." Als Alexandra ihn etwas verwirrt ansah wiederholte er seinen Satz auf Englisch.

"Ja, es ist alles ungewohnt" antwortete sie ihm ebenfalls auf englisch und war froh, dass sie wenigstens diese Sprache gut genug verstehen und sprechen konnte.

Der Lehrer nahm einen Stapel Arbeiten, die er korrigiert hatte, und stieß sie ein paar mal auf dem Tisch auf, um sie ordentlicher zu schichten, "Wenn ihr Hilfe braucht, lasst es mich, oder einen anderen Lehrer, wissen. Wir haben auch eine Schülervertretung, wenn es euch leichter fällt, mit einem Gleichaltrigen darüber zu sprechen. Wir sind bemüht, dass ihr euch gut einleben könnt."

"Danke", murmelte das Mädchen, war aber aufrichtig erleichtert über die angebotene Hilfe, "Die Sprache fällt mir noch sehr schwer, aber ich bin dem Buchclub beigetreten und hoffe, dass ich sie dadurch schneller lerne."

"Oh, das ist gut", der Lehrer klang begeistert, "dann hast du ja ein paar gleichgesinnte Schüler zur Seite, die dir sicher auch helfen werden, wenn du sie fragst."

Alexandra nickte, sie wollte die anderen aber nicht mit ihren Problemen belasten. Im Moment war alles einfach noch zu fremd und verworren; was konnte man nach vier Wochen schon erwarten? Gesprächen zu lauschen, Bücher zu lesen und dem Unterricht zu folgen war aktuell das Maximum was sie leisten konnte, aber sie hoffte, dass es schnell besser werden würde.

"Nun gut, das wollte ich euch nur wissen lassen. Sag es auch bitte deinem Bruder", sagte der Lehrer noch mit einem Lächeln, "Du darfst jetzt wieder gehen."

"Danke" sagte Alexandra, jetzt wieder auf Japanisch, verneigte sich vor dem Lehrer und verließ das Lehrerzimmer.

Sie schlenderte durch den Flur zurück, inzwischen war auch mehr los, aber es war ja schon kurz vor Unterrichtsbeginn. Zurück im Klassenzimmer entdeckte sie auch ihren Bruder, ging kurz zu ihm und richtete ihm aus, was der Lehrer gesagt hatte, dann ging sie zu ihrem Platz zurück. Akagi nickte ihr zu und sie erwiderte die Geste, dann begann auch schon der Unterricht.

Obwohl es ihr schwer fiel dem Unterricht ordentlich zu folgen verflog der Tag und auch der Buchclub am Nachmittag war wieder so schnell um, dass Alexandra sich fragte wo die Zeit nur hinging. Sie verabschiedete sich von den anderen Mitgliedern des Buchclubs und machte sich auf den Nachhause weg. Sie war vergnügt und hoffte, dass es so positiv weiter ging, doch kaum Zuhause angekommen fragte ihre Mutter sie, ob sie noch mal schnell zum Laden gehen könne.

"Tut mir leid, ich weiß, es ist nicht gerade um die Ecke, aber ich habe etwas für's Abendessen vergessen."

"Schon gut", Alexandra zog die Schuhe wieder an und nahm ihren Geldbeutel. Das konnte ihr die gute Laune nicht verderben. Außerdem war es noch nicht all zu spät und damit auch noch nicht dunkel. Sie würde den Weg spielend hin und zurück finden, zumal sie mit ihrer Mutter schon ein paar Mal dort gewesen war. Tatsächlich war der Laden auf der anderen Seite der Schule und das bedeutete für sie etwas mehr als nochmal den Schulweg hin und zurück zu müssen, aber sie versprach sich zu beeilen. Sie nahm also die Beine in die Hand und ging den Weg zügig ab. An der Schule bog sie in eine andere Straße ein und stand kurz darauf vor dem Laden, den ihre Mutter besuchte, seit sie hier lebten.

Alexandra betrat den Laden und wollte schnell die zwei Dinge zusammen suchen, die ihre Mutter zum Kochen brauchte. Etwas planlos lief sie durch den Laden, bis sie das eine gefunden hatte. Dann kratzte sie sich am Kopf und fragte sich, wo sie wohl das andere fand. Um Zeit zu sparen wollte sie gerade die Frau an der Kasse fragen, als sie aus dem Augenwinkel eine Person bemerkte. Sie wendete den Kopf und erkannte ihre Sitznachbarin aus der Schule. Diese spürte den Blick auf sich und wandte sich ihr zu.

"Hallo Kaiser-san, was machst du denn noch hier?" grüßte das Mädchen mit den grünen Augen sie und lächelte sie an

"Ha-hallo Akagi-san", murmelte sie, "meine Mutter hat was vergessen und mich hergeschickt. Aber leider finde ich es nicht."

"Oh, das ist schlecht. Was suchst du denn? Vielleicht kann ich dir behilflich sein." Sie kam zu ihr rüber.

Alexandra sagte ihr, was sie suchte und Akagi dirigierte sie zielsicher zu einem Regal weiter hinten im Laden. Tatsächlich stand dort, was ihre Mutter benötigte und Alexandra war sich sicher, an dem Regal mindestens zweimal vorbeigelaufen zu sein, ohne es zu sehen.

"Arigatou Akagi-san", sagte Alexandra etwas erleichtert und beschloss dann kurz die Gelegenheit für ein Gespräch zu nutzen, "Musst du auch noch etwas besorgen?"

Das andere Mädchen nickte, "Meine Mutter arbeitet sehr viel, also übernehme ich oft das Kochen und gehe nach der Schule hier her um Besorgungen zu erledigen. Oh, Entschuldigung, war das zu schnell?" Akagi errötete leicht, da sie in einen lockeren Plauderton verfallen war und vergessen hatte, dass Alexandra oft nicht alles verstand. Doch das langhaarige Mädchen schüttelte den Kopf und gab zu verstehen, dass sie die Kernaussage verstanden hatte.

"Habt ihr euch schon etwas eingelebt?" Fragte das Mädchen mit den grünen Augen plötzlich, als Alexandra schon am Überlegen war, sich zu verabschieden, weil sie Akagi nicht weiter aufhalten wollte.

Sie nickte langsam, "Ja, ein wenig", sagte sie nur und fragte sich, ob sie noch was anfügen könnte, damit ihr Satz nicht so alleine dastand.

"Gut", hörte sie Akagi sagen, "dann ... bis morgen, Kaiser-san?" Offenbar war die Stille dem anderen Mädchen ebenfalls unangenehm.

Alexandra nickte erneut, "Bis morgen, Akagi-san. Und danke nochmal." Sie verneigte sich vor ihrer Sitznachbarin und ging dann zur Kasse um zu bezahlen.

Draußen dämmerte es schon, also beeilte sie sich, um den Rückweg vor Einbruch der Dunkelheit zu schaffen. Außerdem wartete ihre Mutter sicher bereits sehnsüchtig auf die Zutaten.

Anfang Mai 2000 - Tokyo, Japan

Die weiteren Tage verflogen ebenso schnell und langsam wurde Alexandra etwas sicherer im Umgang mit der japanischen Sprache. Sie konnte zwar immer noch nicht genug Kanji lesen um einem Buch ohne Lexikon zu folgen, aber Unterhaltungen fielen ihr schon etwas leichter, sofern die Sätze nicht all zu schnell, lang oder komplex war.

Nach der anstrengenden Woche freute sich Alexandra immer auf das Wochenende. In der ersten Zeit hatte sie die freie Zeit meist verschlafen, oder mit ihrer Familie verbracht, aber in letzter Zeit zog es sie auch wieder etwas nach draußen. Also beschloss sie an diesem Sonntag nach dem Frühstück einen kleinen Spaziergang zu machen und kam dabei an dem Spielplatz vorbei, auf dem sie an ihrem ersten Tag das Mädchen aus dem Buchclub getroffen hatte. Heute war aber lediglich eine Mutter mit ihrem Kind dort, das fröhlich im Sandkasten spielte. Alexandra ließ sich auf einer der beiden Schaukeln nieder und blickte etwas verträumt in die Landschaft.

Sie dachte darüber nach, wie sie die unsichtbare Barriere zwischen ihr und den anderen durchbrechen konnte. Die Mitglieder des Buchclubs waren höflich und gerade Kusawa und Fuji waren auch neugierig und selten um eine Frage verlegen, dennoch wirkte es distanziert, wenn sie mit ihr sprachen. Vielleicht lag das auch an ihrer eigenen Verlegenheit, da sie die Sprache noch nicht so beherrschte und dadurch auch keine richtigen Konversationen führen konnte. Sie seufzte, weil sie sich etwas hilflos fühlte, aber sie wusste, dass lediglich die Übung ihr hier weiterhelfen würde.

"Oh Kaiser-san, du bist auch hier?" Riss eine Stimme Alexandra aus ihren Gedanken. Als sie aufblickte entdeckte sie das Mädchen mit der Brille und den zwei Zöpfen, die sie anlächelte.

"Ko-konnichi wa, Fuji-san", antwortete das Mädchen etwas verwirrt, doch sie freute sich, die jüngste des Buchclubs zu treffen und schenkte ihr ein Lächeln.

Das Mädchen ließ sich auf der anderen Schaukel nieder, "Bitte nenn mich Yuriko-chan. Was tust du denn so alleine hier?" Sie sprach langsam und betonte die Wörter deutlich, damit das ausländische Mädchen sie auch wirklich verstand. Alexandra bemerkte das und quittierte es mit einem dankbaren Lächeln.

"Ich denke nach. Ich war spazieren und bin dann spontan hier geblieben", antwortete die ältere.

"Das kann ich gut verstehen. Der Spielplatz ist schön, nicht wahr?"

Alexandra blickte etwas verlegen drein, weil sie sich nicht sicher war, was das Mädchen meinte. Fuji bemerkte es, machte mit dem Finger eine Kreisbewegung und deutete dann auf den Boden unter sich, "Spielplatz", wiederholte sie.

"Ah, danke", Alexandra verstand nun, worauf sich das Mädchen bezogen hatte, "Ja, er ist schön." Sie wippte mit den Beinen vor und zurück, so dass sich die Schaukel nur ein wenig bewegte, ihre Füße aber immer auf dem Boden blieben, dabei sah sie sich nochmal um. Der Spielplatz war wirklich schön, er hatte einen Sandkasten, eine Klettermöglichkeit mit Rutsche, eine Wippe und die beiden Schaukeln.

"Gefällt es dir bei uns? Ich meine, fühlst du dich wohl hier?" Fragte das Mädchen mit der Brille fast schon scheu.

Alexandra legte für einen Moment den Kopf schief, "Ich denke schon, aber alles ist noch so fremd." Irgendwie war sie gerührt, dass sie das in letzter Zeit öfter gefragt wurde; scheinbar lag ein paar Leuten hier doch am Herzen, dass sie sich gut einlebten.

"Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid, ich würde mich freuen, wenn ich helfen kann" meinte das Mädchen lächelnd zu ihr und schaukelte leicht vor und zurück, so dass die Zöpfe etwas wippten.

"Danke" Alexandra wurde etwas rot, weil sie spürte, dass die Jüngere sich ernsthaft bemühte.

"Keine Ursache, du bist doch meine Senpai" sie lächelte sie aufrichtig an.

Alexandra wollte gerade etwas erwidern, da spürte sie einen Ruck an ihren Haaren und wäre beinahe hinterrücks von der Schaukel gefallen. Als sie sich nach der Ursache umdrehte hörte sie den entsetzten Ruf einer Frau und hinter ihr stand das Kind aus dem Sandkasten.

"Nee-chan", sagte es zu ihr und brabbelte dann ein paar Wörter die sie nicht verstand. Die Mutter kam direkt angerannt, verbeugte sich mehrmals und ließ einen Schwall an Worten los. Alexandra war völlig perplex und sah hilfesuchend zu dem anderen Mädchen hinüber.

Fuji versuchte ihr zu erklären, dass die Mutter sich für das Verhalten ihres Sohnes entschuldigte und Alexandra wiederum versuchte klar zu machen, dass es nicht schlimm gewesen war.

Der kleine brabbelte wieder los "Nee-chan Taro burabura."

Auf Alexandras fragenden Blick deutete Fuji auf die Schaukel, "Er möchte hier drauf."

"Oh, natürlich", Alexandra erhob sich lächelnd und machte dem Knirps Platz, "douzo - bitte!" Sagte sie und deutete auf die Schaukel. Freudig strahlend kletterte er darauf und ließ sich mit einem Johlen von seiner Mutter an schubsen. Diese entschuldigte sich erneut bei Alexandra, doch sie schüttelte nur lächelnd den Kopf. Sie verstand den genauen Wortlaut nicht, aber es machte ihr auch absolut nichts aus, den Platz auf der Schaukel zu räumen. Sie setzte sich auf das umlaufende Geländer und sah dem Jungen beim Schaukeln zu. Fuji tat es ihr gleich.

"Hast du Geschwister?" Fragte sie sie.

Alexandra nickte "Einen älteren Zwillingsbruder. Und du?"

"Oh, Zwillinge, cool!" Entfuhr es der Jüngeren und leicht errötet fuhr sie fort, "Ich habe drei Geschwister. Zwei jüngere Brüder und eine ältere Schwester."

"Oh wow", Alexandra konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Sie konnte es sich gar nicht vorstellen in einem Haus mit so vielen Leuten zu leben. Sicher war es immer recht laut bei so vielen Kindern. Vielleicht ging das Mädchen auch deswegen gerne alleine auf den Spielplatz.

Taro war inzwischen von der Schaukel abgesprungen und tapste fröhlich herum. Er kam nochmal auf die beiden Mädchen zu, brabbelte ein Wort und zeigte dann auf Alexandra.

Seine Mutter ermahnte ihn und wollte ihn bei der Hand nehmen, doch er entzog sich ihr.

Fuji kicherte, "Ich glaube, er möchte deine Haare nochmal anfassen."

Alexandras Augen weiteten sich kurz vor Überraschung, aber dann ging sie vor dem Jungen in die Hocke, holte ihre gewellten Haare über die Schulter nach vorne und hielt sie geduldig hin. Was machte das schon aus, wenn es dem Kind Freude bereitete.

Er griff, dieses Mal vorsichtig, in die Strähnen und streichelte sanft über das lange Haar des Mädchens.

"Fuwafuwa", quietschte er freudig.

"Weich" übersetzte Fuji die Lautmalerei des Kindes.

"Arigatou Nee-chan, ja mata" sagte der Junge und ging dann brav zu seiner Mutter. Diese verneigte sich erneut, entschuldigte und bedankte sich und ging dann mit ihrem Sohn zum Sandkasten zurück. Alexandra winkte dem Jungen nach. Sie warf ihre Mähne wieder nach hinten und erhob sich. Als sie Fujis Blick auf sich spürte wurde sich leicht rot.

"Das war nett von dir Kaiser-san" sagte das Mädchen.

"Ach, das war doch keine große Sache" murmelte sie verlegen und steckte die Hände in die Hosentaschen, "Er war ja lieb."

"Trotzdem, das würde nicht jeder machen" Fuji erhob sich ebenfalls und sagte mit einem leisen Seufzer, "Ich muss langsam mal nach Hause. Bis morgen, Senpai."

"Ja, bis morgen" Antwortete Alexandra und machte sich dann ebenfalls auf den Heimweg. Sie war froh, dass sie mit dem Mädchen ein wenig reden konnte, das gab ihr das Gefühl hier doch irgendwie gut aufgenommen zu werden. Und das Erlebnis mit dem kleinen Jungen hätte ihr in Deutschland genauso passieren können, das hob ihre Laune noch ein wenig mehr.

Der Rest des Tages verging gemütlich Zuhause und Alexandra freute sich auf den morgigen Tag, weil der Buchclub wieder anstand.
 

Der Vormittag des Montags verging zäh, es stand Sport auf dem Plan und Alexandra merkte wieder, wie unangenehm sie es fand so wenig anhaben zu müssen. Scheu blickte sie sich unter ihren Klassenkameradinnen um und fand es ebenso befremdlich sie so knapp bekleidet zusehen. Ihr Blick fiel auf Akagi und irgendwie bekam sie dabei ein flaues Gefühl im Magen. Sie konnte nicht deuten, ob es Scham war - wobei es sich teilweise wie Freude anfühlte, was sie noch mehr verwirrte -, also wendete sie den Blick respektvoll von dem Mädchen ab und konzentrierte sich auf den Sportunterricht.

Hin und wieder war sie mit dem Mädchen zu kleinen Gesprächen gekommen, aber diese drehten sich meist um den Buchclub, oder die Schule. Und ab und zu erkundigte sich Akagi auch bei ihr, ob sie gut zurecht käme und Alexandra nickte die Frage einfach ab, obwohl es ihr immer noch schwer fiel mitzuhalten. Sie wollte ihr Problem aber niemandem aufbürden, also tat sie einfach so, als wäre alles in Ordnung. So mogelte sie sich durch den Unterricht und den Buchclub. Bei Gesprächen konnte sie inzwischen besser mithalten, aber auch da lächelte sie öfter nur verlegen und gab schwammige Antworten. Sie kam sich durchaus etwas verlogen vor, aber sie schämte sich auch einfach zugeben zu müssen, dass sie nach wie vor nicht so gut mit der Sprache zurecht kam.

Es tat Alexandra leid, dass sie - sprachlich bedingt - selbst nicht mehr Interesse an ihren Kollegen vom Buchclub zeigen konnte; gerne würde sie mehr über sie erfahren und so nahm sie sich vor etwas offensiver zu werden. Es konnte nur besser werden, als es jetzt war; und sollte sie in ein all zu tiefes Fettnäpfen treten, dann ... nun ja, dann hatte sie es halt verkackt.
 

Mitte Mai 2000 - Tokyo, Japan

Alexandra ließ noch ein paar Tage verstreichen und bemühte sich allen Gesprächen zu lauschen, ordentliche Antworten zu geben und beim Lesen nicht all zu sehr hinterher zu hinken. Schließlich nahm sie sich vor erst mal Akagi anzusprechen; als ihre Sitznachbarin sah sie diese immerhin jeden Tag. Außerdem war sie auch die Leiterin des Buchclubs und sollte deswegen entscheiden, ob Alexandra mit ihrer Offensive fortfahren könnte. Sollte sie dem irgendwie abgeneigt sein, würde Alexandra den Plan erst mal vertagen, bis sie das Gefühl hatte, die Barriere zwischen ihr und den japanischen Teenagern wäre dünner geworden.

"Eto, Akagi-san?" Sprach sie sie in der Mittagspause an, in der sie alleine im Klassenzimmer saßen und ihr Essen zu sich nahmen. Nervös drehte sie ihr Brot in den Händen hin und her, aber als sie den fragenden Blick des anderen Mädchens auf sich spürte fuhr sie fort. "A-also ich hab mich gefragt ...", sie schluckte, sortierte ihre Wörter und nahm ihren Mut zusammen, weil sie sich selbst im Moment ganz seltsam fand. Doch Akagi blickte sie aufmerksam und geduldig an, bis sie endlich weiter sprach, "ähm ... vielleicht k-könnten wir ja auch mal so was unternehmen? D-der Buchclub, meine ich. Also, nur falls ihr wollt! Ich möchte mich nicht aufdrängen, a-aber ich ... na ja, ich kenne ja sonst niemanden hier und ..." sie brach verlegen ihr Gestammel ab.

Das andere Mädchen lächelte sie freundlich an, "Ja, warum nicht?", antwortete sie zu Alexandras Überraschung, "Wir können die anderen morgen ja einfach fragen."

"Ja, wirklich?" Das langhaarige Mädchen klang freudig und strahlte regelrecht, dennoch hatte sie kurz ein flaues Gefühl in der Magengrube, als das andere Mädchen sie angelächelt hatte. In letzter Zeit schien ihr Magen in einer Tour zu rumoren. Sie hatte festgestellt, dass sich in ihr etwas zusammen zog, wenn sie ihre Sitznachbarin ansah. Noch konnte sie das Gefühl nicht deuten und versuchte ihm deswegen keine allzu große Bedeutung beizumessen, aber sie fragte sie woran das lag.

Vielleicht wollte sie sie aber einfach nur besser kennen lernen und wünschte sich deswegen etwas mit ihr außerhalb von Schule und Buchclub zu unternehmen. Unter dem Deckmantel einer gemeinsamen Unternehmung mit dem besagten Club würde sie sich weniger seltsam fühlen und es gab ihr hoffentlich die Chance sie und die anderen etwas näher kennenzulernen. Vielleicht würden sich daraus doch noch richtige Freundschaften ergeben.
 

Tags darauf beim Buchclub sprach Akagi den Vorschlag von Alexandra an, dass sie gemeinsam etwas unternehmen könnten und die drei anderen waren ebenfalls von der Idee begeistert. Sie begannen auch direkt darüber zu beratschlagen, was man denn unternehmen könne und was sie dem neuen Mädchen alles an Sehenswürdigkeiten zeigen könnten. Alexandra war erleichtert, dass der Vorschlag so positiv aufgenommen wurde und blickte verlegen dankbar zu ihrer Sitznachbarin hinüber. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Mädchen sehr gern, obwohl sie sie eigentlich kaum kannte und sofort mischte sich zur Freude wieder das Ziehen in der Magengegend hinzu.

"Gibt es denn etwas, das du gerne sehen möchtest, Kaiser-san?" Sprach das Mädchen namens Kusawa sie an.

Ertappt schreckte Alexandra aus ihren Gedanken hoch, "Äh ... ich weiß nicht. Ich fände es nur nett, wenn wir etwas unternehmen würden, ein Treffen, oder so. Einfach etwas abseits von der Schule, damit wir uns etwas besser kennenlernen, weil ich doch sonst niemanden kenne" murmelte sie verlegen.

Die anderen nickte einstimmig und Kusawa fügte hinzu, "Stimmt, so etwas haben wir schon lange nicht mehr gemacht. Das wäre bestimmt mal wieder spaßig."

Alle stimmten zu und es wurde der kommende Samstagnachmittag dafür ausgewählt, weil keiner etwas anderes vorhatte. Kusawa schlug eine kleine Eisdiele in der Nähe der Schule vor, damit sie für alle gut erreichbar war. An Alexandra gewandt fügte sie hinzu, "Wo wohnst du denn? Vielleicht kann dich jemand abholen, der in der selben Richtung wohnt."

Das langhaarige Mädchen nannte ihr ihre Adresse und es stellte sich heraus, dass keines der anderen Clubmitglieder direkt in dieser Richtung wohnte, doch Fuji bot sich an, sie abzuholen.

"Nein, das kann ich doch nicht annehmen", wehrte Alexandra verlegen ab, "Ich finde es sicher auch so."

"Es macht mir wirklich Nichts aus, Senpai", gab das Mädchen zurück und sah dann fast flehend über den Rand ihrer Brille hinweg, "Ich möchte dir helfen, bitte lass es zu."

Akagi sah die Jüngere an und sagte mit einem leicht tadelnden Unterton "Bitte bring sie nicht in Verlegenheit, Yuriko-chan. Wir lösen das Problem einfach, in dem wir uns am Schultor treffen. Wäre das in Ordnung, Kaiser-san?"

Alexandra wurde etwas rot und nickte dann. Sie wusste, dass die Jüngste es nur gut gemeint hatte, aber sie fühlte sich schlecht, wenn sie das annehmen würde.

Akagi nickte zufrieden, "Also gut, dann treffen wir uns also am Samstag um 15 Uhr am Schultor. Einverstanden?"

Alle waren damit zufrieden und freudig stürzten sie sich jetzt in die Debatten über ihre Bücher.

Während sie redeten zogen dunkle Wolken auf und es begann zu regnen. Wie Sturzbäche entluden sich die dicken Wolken über der Stadt und tränkten den durstigen Boden.

Als sich der Buchclub auflöste regnete es immer noch und Alexandra stand einen Augenblick unentschlossen unter dem Vordach der Schule, das den Haupteingang vor Regen und Sonne schützte. Die drei jüngeren Mitglieder hatten sich schon verabschiedet und waren vor ihr aus dem Gebäude gegangen, während sie noch ihre Sachen zusammenpackte.

"Hast du keinen Schirm dabei?" Wurde sie plötzlich von hinten angesprochen und zuckte kurz zusammen. Als sie sich umdrehte, stand Akagi hinter ihr, die einen Regenschirm in der Hand hielt.

Alexandra schüttelte den Kopf, "Nein, ich dachte nicht, dass es heute so schütten würde."

"Sollen wir uns meinen teilen?"

Diese Frage kam überraschend, da Akagi sonst eher zurückhaltend war.

"Aber du musst doch in die andere Richtung" meinte Alexandra und kramte dann in ihrem Rucksack. Sie zog eine Cappie heraus und setzte sie auf, "Die muss reichen, aber ich danke dir für das Angebot."

Akagi lächelte sie an, "Es hätte mir wirklich nichts ausgemacht dich zu begleiten; zumindest ein Stück weit."

Alexandra hatte kurz das Gefühl ihr Herz würde stehen bleiben. Dieses Lächeln gefiel ihr aus einem unerfindlichen Grund gut und als sie sich bei dem Gedanken ertappte sah sie schnell zur Seite und zog sich die Schirmmütze etwas tiefer in's Gesicht.

"Ich ... ähm ... danke", murmelte sie nur verlegen und schulterte ihren Rucksack wieder, "Ich beeile mich einfach. Bis morgen, Akagi-san", damit verneigte sie sich vor ihrer Klassenkameradin und sprintete mutig durch den prasselnden Regen auf das Schultor zu, bog um die Ecke und legte die Strecke bis nach Hause in Rekordzeit zurück.

Ihr Herz wummerte und sie war sich sicher, es kam nicht nur vom Rennen. Sie hatte sich insgeheim sehr über das Angebot von Akagi gefreut, aber sie hätte sich auch unwohl mit dem Gedanken gefühlt, wenn sie sie bis nach Hause begleitet und dann den kompletten Weg zurück gemusst hätte.

Völlig durchnässt kam sie Zuhause an und musste erst mal ihren ganzen Rucksack ausleeren und versuchen alles zu trocknen.

<So ein Mist!> Schimpfte sie in sich hinein und zog ihre Schreibsachen hervor, <Vielleicht hätte ich das Angebot doch annehmen sollen ...> Sie seufzte und hoffte, dass nicht alles unleserlich geworden war.

Ihre Kleidung hängte sie ebenfalls auf, sprang direkt unter die Dusche und föhnte sich die Haare, damit sie sich nicht erkälten würde.

Beim Abendessen erzählte sie ihrer Familie dann von dem geplanten Ausflug in die Eisdiele am kommenden Samstag und sofort besserte sich ihre Laune wieder.

Mitte Mai 2000 - Tokyo, Japan

Am nächsten Morgen, als sie in die Schule kam, war Akagi, wie immer, schon da und hatte die Nase in einem Buch, jedoch ohne Brille, wie Alexandra wieder auffiel. Als sie sie grüßte und sich an ihren Platz setzte sah das andere Mädchen auf und fragte, "Bist du gestern sehr nass geworden?"

"Ja, bis auf die Knochen" antwortete das langhaarige Mädchen mit einem verlegenen Grinsen, "Hätte ich dein Angebot besser mal angenommen."

"Beim nächsten Mal dann" gab Akagi zurück und lächelte leicht verschmitzt.

"Dann habe ich hoffentlich einfach selber einen Schirm dabei" lachte Alexandra und dachte, kaum, dass sie den Mund wieder zu hatte, dass diese Aussage auch falsch zu verstehen war. Doch an Akagis Blick konnte sie nicht ablesen, ob diese sich dadurch gekränkt fühlte.
 

Die Woche verging wie im Flug und endlich kam der besagte Samstag. Alexandra war vor Aufregung bereits früh auf. Ihre Eltern freuten sich besonders darüber, dass das Mädchen offenbar schnell Anschluss hier gefunden hatte.

"Und du weißt auch sicher, wo du hin musst?" Fragte ihre Mutter leicht besorgt.

"Keine Sorge, wir treffen uns am Schultor", gab sie siegessicher zurück.

"Und danach? Findest du von der Eisdiele denn wieder nach Hause?" Warf ihr Bruder ein und traf damit einen wunden Punkt.

"Oh, daran hab ich nicht gedacht", gab das Mädchen zu und wurde bleich. Sicher würden die Mitglieder des Buchclubs nicht erst bis zur Schule laufen wollen um sich zu trennen.

"Soll ich dich begleiten? Also nur bis zur Eisdiele, ich will euren Club nicht sprengen", bot ihr Bruder ihr an, "Du weißt, ich hab ein fotografisches Gedächtnis, wenn ich weiß wo die Eisdiele ist, kann ich dich dort abholen" er tippte sich an den Kopf.

"Hm", Alexandra grübelte kurz nach, "Also ich weiß nicht, wie recht das den anderen ist ..."

Thomas zog die Schultern hoch, "Du musst ja nicht, aber ich kenne dich doch."

Sie blickte ihn zerknirscht an und seufzte entwaffnet, "Jaaa, ist ja schon gut und ich bin dir dankbar dafür."

Alexandra tigerte also den ganzen Vormittag unruhig durch das Haus und überlegte was sie anziehen könnte. Der Frühling in Japan hatte sich als wärmer und teilweise schwül herausgestellt, aber es war noch nicht zu heiß für ihre Lieblingshose, eine Latzhose aus violettem Cord. Dazu kramte sie eines ihrer Lieblings-Shirts aus der Kommode, außerdem wollte sie dazu noch eine Basecap aufziehen und eine kleine Umhängetasche mitnehmen.

Das Mädchen saß auf glühenden Kohlen bis endlich die Zeit reif war um zu gehen

Die beiden machten sie sich also auf den Weg zur Schule. Thomas merkte seiner Schwester an, dass sie nervös war. Sie ging zügiger als sonst, zupfte immer wieder an ihrer Kleidung herum oder rückte das Cappie zurecht.

"Warum so aufgeregt? Ist doch schließlich kein Date, oder?" Murmelte er ihr grinsend auf Deutsch zu, als sie in die Straße zur Schule einbogen.

"Nein, aber ich bin trotzdem aufgeregt" gab sie zurück und klammerte sich mit beiden Händen an den Träger ihrer Umhängetasche.

Am Schultor angekommen, waren sie offenbar die ersten, denn es war sonst noch keiner da.

Ihr Bruder sah auf die Uhr, als er ihre Unruhe feststellte, "Keine Sorge, es ist erst zehn Minuten vor drei. Wir sind überpünktlich."

Die drei warteten also am Tor der Schule und nach ein paar Minuten kam jemand um die Ecke gebogen. Kusawa und Honda stießen zu der Gruppe und grüßten sie.

"Hallo Kusawa-san, hallo Honda-san", sagte Alexandra und auch wenn sie immer noch aufgeregt war fiel etwas von der Anspannung von ihr ab. Sie hatte sich immer wieder dabei ertappt zu denken, dass die anderen vielleicht nicht auftauchen könnten.

"Und das ist ...?" Fragte Kusawa neugierig und beäugte Thomas.

"Oh Entschuldigung, das ist mein Bruder Thomas. Er begleitet mich nur, damit er weiß wo die Eisdiele ist und er mich später abholen kann. Ich würde mich sonst vermutlich verlaufen" gab sie verlegen zu. Sie schielte heimlich auf die Uhr ihres Bruders, es war kurz vor 15 Uhr. Fehlten noch Akagi und Fuji. Die Leiterin des Buchclubs war eigentlich immer pünktlich; zumindest was die Schule betraf. Allein der Gedanke an das andere Mädchen ließ Alexandras Herz ein wenig schneller schlagen, doch sie wusste nicht mal warum. Und just in diesem Augenblick bogen die beiden Mädchen um die Ecke der Schule, kamen zügig auf die Gruppe zu und entschuldigten sich für die Verspätung, obwohl sie immer noch pünktlich waren. Alexandra musterte Akagi unbewusst und bemerkte, dass sie einen Faltenrock und eine Bluse, dazu kurze Socken und schlichte braune Schuhe trug.

Alexandra durchlief bei ihrem Anblick ein kleine Welle an Gefühlen und sie zuckte unmerklich zusammen. Ihrem Bruder entging das nicht und er musterte das japanische Mädchen unbewusst.

"Oh, hallo Kaiser-san" sagte Akagi an ihn gewandt und bevor sie noch etwas sagen konnte fügte Alexandra schnell die Erklärung ein, warum ihr Bruder ebenfalls anwesend war. Akagi lächelte sie an und meinte, "Das ist verständlich, ich würde mich in einer neuen Umgebung wohl auch verlaufen."

Wieder zog sich in ihr etwas zusammen. Wenn sie mit dem anderen Mädchen sprach war da Freude, aber immer wieder schlich sich auch dieses seltsame Magendrücken ein. Sie hatte versucht es zu ignorieren, oder auf einen Zufall zu schieben, aber es kam in letzter Zeit immer öfter.

"Nachdem wir jetzt alle da sind", sagte Kusawa und hob freudig eine Hand, "iku yo - gehen wir!"

Die Gruppe folgte ihr und nach einem etwa zehnminütigen Marsch kamen sie in einer ruhigen Gasse an in der es neben der besagten Eisdiele, die parallel ein kleines Café war, einen Buchladen gab. Alexandra musste schmunzeln, irgendwie wirkte das nach dem perfekten Ort für die Mitglieder des Buchclubs. Am Gruß, den Kusawa der Besitzerin des Laden angedeihen ließ, erkannte Alexandra, dass sie sich wohl sehr häufig hier aufhielt.

"Nun denn", sagte Thomas, als er sich kurz umgeschaut und die Gegend gemerkt hatte, "dann verlasse ich euch mal. Es hat mich sehr gefreut", er verneigte sich vor den anderen und wandte sich dann auf deutsch an seine Schwester, "Wann soll ich dich denn wieder abholen, Schwesterherz?"

Während sie überlegte hörte sie die anderen kurz tuscheln und bevor sie ihrem Bruder eine Antwort geben konnte, sagte Akagi, "Du darfst auch gerne bleiben, Kaiser-san, also wenn du möchtest und deine ... Imouto?", sie blickte zu Alexandra und diese nickte den korrekten Begriff für kleine Schwester ab, "Wenn deine Imouto-san nichts dagegen hat" vollendete sie den Satz.

"Ich möchte eure Gruppe nicht stören", hielt er dagegen, "Es wäre nur nett, wenn ihr mir sagen würdet, wann ich sie wieder abholen soll."

"Es macht uns wirklich nichts aus" sagte Kusawa schnell und Alexandra glaubte einen leicht roten Schimmer auf ihren Wangen zu sehen. Offenbar war sie direkt ein Fan von Thomas geworden. Die anderen nickten bestätigend.

Alexandra meinte leise auf deutsch zu ihm, "Bleib doch. Mir macht es nichts und den anderen offenbar auch nicht."

Thomas kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf, "Na gut, also schön, ich bleibe. Danke für die Einladung."

Die Besitzerin half der Gruppe hurtig zwei Tische zusammen zu schieben und genügend Stühle für alle parat zu haben, damit sich die Teenager niederlassen konnten. Dann verteilte sie Speisekarten und sagte zu ihnen noch, dass sie die Eissorten auch direkt am Tresen auswählen könnten, wenn sie das möchten. Kusawa und Honda bestellten direkt etwas, das zeugte erneut davon, dass sie wohl oft hier waren. Alexandra blätterte in der Karte, beschloss dann aber sich die Sorten direkt am Tresen anzuschauen und auszuwählen. Es sah alles furchtbar lecker aus und ein bisschen fühlte sich Alexandra an Zuhause erinnert, da dieses Café europäisches Flair ausstrahlte. Jetzt fiel ihr auch auf, dass der Laden einen italienischen Namen trug und die Besitzerin selber auch nicht nach einer Japanerin aussah.

"Buongiorno signorina, weißt du schon, was du möchtest?" Sprach diese sie an und lächelte über den Tresen.

"H-hallo", antwortete Alexandra und meinte dann, "hm, ich hätte gerne Schokolade, Melone und Zitrone in einer Waffel bitte."

"Sehr gerne", die Besitzerin nahm eine Waffel zur Hand und schabte die Kugeln mit dem speziellen Löffel aus den Behältnissen, "du bist neu hier, oder?" Meinte sie plötzlich und das Mädchen war überrumpelt von der Frage. Die Besitzerin lachte kurz und sagte dann, "Scusi! Ich wollte dich nicht aus der Fassung bringen. Es ist nur so, dass Hana-chan und Satoshi-kun recht häufig hier sind. Die beiden anderen Mädchen habe ich auch schon ein paar mal gesehen, aber dich und den anderen Jungen noch nie. Verzeih mir meine Neugier" sie reichte das Eis über den Tresen.

"Sch-schon gut", gab Alexandra zurück und bezahlte das Eis, "Ja, mein Bruder und ich sind erst vor kurzem her gezogen."

"Und woher stammt ihr, wenn ich fragen darf? Ich finde es einfach nur spannend zu sehen, dass sich die Kulturen der Welt immer irgendwo treffen und überschneiden" sie lächelte erneut und ihre weißen Zähne blitzten auf.

"Aus Deutschland", Alexandra betrachtete die Frau. Sie hatte dunkle Augen, lockiges schwarzes Haar und schön geformte volle Lippen. Sie beschloss ihrer Neugier nachzugeben, denn offenbar würde sich diese Frau nicht über Gegenfragen ärgern, "Sind Sie Italienerin?"

Sie nickte, "Ja, das stimmt. Mein Name ist Isabella und wie heißt du?"

"Alexandra" antwortete sie artig und probierte von dem Eis, "Oh, das ist köstlich!" Entfuhr es ihr und Isabella lachte wieder.

"Das freut mich, grazie signorina. Ich stelle es selbst her."

"Wahnsinn", Alexandra sah sie mit großen Augen an, "Darf ich fragen was Sie hier her verschlagen hat? Bei uns wurde der Vater beruflich nach Tokyo versetzt" gab sie ihre Erklärung gleich mit auf den Weg.

"L'amore Schätzchen, es war die Liebe", sie seufzte, "Ich habe meinen Mann kennengelernt, als er in Italien auf Reisen war und wir haben uns sofort ineinander verliebt. Der Entschluss, dass ich mit Sack und Pack zu ihm ziehe, hat dann zwar noch einiges an Vorbereitung und Zeit gebraucht, aber schließlich haben wir es doch geschafft."

"Das klingt sehr ... romantisch" murmelte das Mädchen und fühlte sich plötzlich beobachtet. Als sie sich umsah, standen Fuji und Akagi hinter ihr. Alexandra kam nicht umhin etwas rot anzulaufen. Sie hatte das Gefühl den Betrieb aufgehalten zu haben, entschuldigte sich leise und huschte zum Tisch zurück.

Thomas sah sie forsch an.

"Was?" Fragte sie ihn auf deutsch und hoffte, dass sie die Röte in ihrem Gesicht auf die Wärme schieben konnte. Er zuckte nur mit den Schultern und erhob sich dann, um sich ebenfalls etwas auszusuchen. Manchmal konnte sie nicht sagen, was im Kopf ihres Bruders vor sich ging. Einerseits wirkte er oft teilnahmslos, andererseits schien er selbst Kleinigkeiten wahrzunehmen, die anderen verborgen blieben.

Kusawa und Honda hatten ihre Bestellung mittlerweile bekommen und saßen scherzend vor ihren Eisbechern. Alexandra war schon aufgefallen, dass die beiden sich gut verstanden und mutmaßte, dass sie auch in die selbe Klasse gingen.

Als die anderen zum Tisch zurück kehrten entsponnen sich unterschiedliche Gespräche und Alexandra bekam so in Erfahrung, dass Fuji neben dem Lesen noch das Querflötespielen als Hobby hatte, Honda sich gerne mit Modellautos beschäftigte und Kusawa ihrem Vornamen Hana, der sich mit dem Kanji für Blume schrieb, alle Ehre machte und einen kleinen Garten pflegte. Akagi war eher zurückhaltend und gab nur hin und wieder einen Kommentar ab, wenn sie angesprochen wurde. Alexandra hätte brennend interessiert, was sie so in ihrer Freizeit tat, doch sie traute sich nicht zu fragen. Sie hatte das Gefühl, je mehr sie von dem anderen Mädchen wissen wollte, desto schwerer fiel es ihr nach solchen Kleinigkeiten zu fragen.

Kusawa sprach die Zwillinge an, "Und was macht ihr sonst so, neben der Schule?"

"Hm, ich glaube, außer Lesen hab ich keine größeren Hobbys. Ich war als Kind immer viel draußen; das bin ich heute noch gern, aber mein schlechter Orientierungssinn ... na ja, ich muss mich erst etwas zurecht finden", sie lächelte verlegen, "Ansonsten höre ich gerne Musik. Unser Vater hat viele Schallplatten und ich glaube, das hat auf mich abgefärbt."

"Oh, welche Musik hörst du denn gerne?" Fragte Kusawa neugierig nach.

"Überwiegend Rock", Alexandra grinste, "meine Lieblingsband ist Twisted Sister, die sind etwas ... speziell. Leider gibt es die Band nicht mehr, aber ihre Alben finde ich klasse."

Nachdem Alexandra nichts mehr hinzufügte richteten sich alle Augen fragend auf den Bruder.

"Ich spiele gerne mit meiner PlayStation, oder mache Sport", antwortete Thomas, "Ich hab mich in der Basketball-AG eingeschrieben und trainiere mit den Jungs von dort."

"Hättest du dann nicht heute auch in's Training gemusst?" Fragte Kusawa ihn, "Soweit ich weiß trainieren die samstags auch."

Thomas nickte, "Das stimmt, aber ich habe mich heute extra entschuldigen lassen; meiner Schwester zuliebe", er tätschelte Alexandra kurz den bemützten Kopf. Diese wurde unter der Geste kleiner und errötete etwas, als sie merkte, dass alle sie ansahen.

Ihr Zwillingsbruder tat als Entschuldigung etwas, das sie selbst sich nicht traute, "Akagi-san, wie sieht deine Freizeit so aus?" Alexandra spitzte die Ohren.

"Nicht so spannend", antwortete das Mädchen verlegen und strich sich eine Strähne hinters Ohr. Eine Geste, die Alexandra plötzlich furchtbar elegant fand und ihr fiel auch das Muttermal wieder auf. Es saß an einer sehr prominente Stelle, die das langhaarige Mädchen nur von Schauspielerinnen kannte, die es sich aufmalten, aber bei Akagi war es sicher echt. Schnell senkte sie den Kopf etwas, so dass ihre Augen im Schatten der Schirmmütze lagen. Dann hörte sie Akagis Stimme wieder, "Nun, ich beschäftigte mich etwas mit Computern, bedingt durch die Arbeit meiner Mutter habe ich vermutlich auch ein Interesse daran. Ansonsten bleibt neben der Schule und dem Buchclub nicht so viel Freizeit für anderes, aber hin und wieder gehe ich Schwimmen, das bringt mich auf andere Gedanken."

Alexandra kam nicht umhin sich das Mädchen im Badeanzug vorzustellen und als sie merkte, dass sie leicht rot wurde verbannte sie den Gedanken in den hintersten Winkel ihres Kopfes.

Isabella kam in diesem Moment an ihren Tisch und fragte, ob sie ihnen noch etwas anbieten dürfe. Alexandra bat um ein Wasser und die anderen taten es ihr gleich und bestellten sich ebenfalls noch etwas zu trinken.

Sie plauderten noch eine Weile über dies und das und bei einigen hitzigen Unterhaltungen der japanischen Schüler verstanden die Zwillinge nicht alles, oder sie kannten auch die Leute oder Begebenheiten nicht, um die es ging, also lehnten sie sich zurück und genossen das Wetter und ihr Getränk.

Irgendwann sah die Jüngste im Bunde auf die Uhr und meinte, "Ich muss langsam los, ich habe meiner Mutter versprochen ihr beim Abendessen zu helfen."

Kusawa sah in die Runde, "Sollen wir dann für heute Schluss machen? Wir können das ja bald mal wiederholen."

Alle nickten einstimmig, erhoben sich und bezahlten ihre Getränke bei Isabella am Tresen.

"Kommt jederzeit wieder. Besonders du, kleine signorina, es hat mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen" meinte sie zu Alexandra und diese errötete etwas, weil sie von dieser Aussage überrascht war.

Sie marschierten gemeinsam los und als sie außer Hörweite waren, sagte Kusawa zu dem Mädchen mit den blauen Augen, "Ich glaube, sie mag dich."

"W-wen meinst du?" Alexandra fühlte sich ertappt, wusste aber nicht mal warum.

"Na, Isabella."

"Wie kommst du darauf?" dem langhaarigen Mädchen war das irgendwie peinlich.

"Nur so ein Gefühl", Kusawa grinste und zuckte mit den Schultern, "Ich kenne sie schon ein bisschen und ich glaube, sie hat sich einfach gefreut sich mit dir zu unterhalten."

"Oh", machte Alexandra, "na ja, sie ist nett, glaube ich."

Kusawa nickte bestimmt, "Das ist sie in der Tat."

Ein paar Straßen weiter trennten sich Fuji und Akagi von der Gruppe und wünschten den anderen ein schönes Wochenende.

"Es hat mich gefreut" sagte Akagi noch in die Richtung der Zwillinge und verneigte sich, so dass Alexandra nicht wusste ob das Mädchen nun sie, oder ihren Bruder oder einfach sie beide meinte. Sie erwiderten die Floskel und Geste und dann gingen die älteste und jüngste des Buchclubs in eine Seitenstraße.

Kurz darauf trennten sich auch Kusawa und Honda von den Zwillingen und das selbe Prozedere folgte. Danach schlenderten die Geschwister nach Hause. Dort angekommen erzählten sie von dem Nachmittag und ihre Eltern nickten es ab, dass ihre Kinder sich offenbar amüsiert hatten und in guter Gesellschaft gewesen waren.

Als Alexandra an diesem Abend in ihrem Bett lag ärgerte sie sich furchtbar darüber, dass morgen erst Sonntag war, den sie sonst immer sehr genossen hatte. Jetzt wusste sie gar nicht, wie sie den Tag rum bringen sollte; der Montag konnte für sie gar nicht schnell genug kommen.

Mitte Mai 2000 - Tokyo, Japan

Den Sonntag verbrachte Alexandra etwas ruhelos. Sie tigerte immer wieder durch's Haus, versuchte sich ein paar ihrer seltsamen Gedanken aus dem Kopf zu schreiben, legte ihre Schulsachen für den folgenden Tag bereit und machte schließlich noch einen kleinen Spaziergang in der Umgebung.

An diesem Abend ging sie früh zu Bett und sah der Sonne dabei zu, wie sie hinter den Häusern verschwand. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu ihrer Sitznachbarin ab und sie wusste nicht mal genau wieso. Der gestrige Tag hatte ihr sehr gut gefallen, aber sie mochte die ganze Truppe des Buchclubs gern, warum also zog sich in ihr etwas zusammen, wenn sie Akagi sah? Ihr Lächeln, wie sie über den Rand ihrer Brille sah, oder wie sie sich eine Strähne hinters Ohr strich ...

<Arg, warum denke ich das denn jetzt?!>

Vermutlich wollte sie sie einfach nur gern näher kennenlernen und mit ihr befreundet sein, befand sie, drehte sich auf die Seite und versuchte an etwas anderes zu denken.

Irgendwann übermannte sie der Schlaf, doch sie wachte immer wieder auf und sah ständig auf die Uhr. Als es schließlich sechs Uhr war, stand sie auf und ging in's Bad und schließlich nach unten um schon mal den Tisch zu decken.

"Du bist schon auf?" Alexandra zuckte zusammen, als ihre Mutter sie ansprach.

"Ja, ich konnte irgendwie nicht so gut schlafen heute Nacht. Bin dauernd aufgewacht..." murrte sie und stellte die Teller auf den Tisch. Ihre Mutter warf ihr einen fragenden Blick zu, sagte aber nichts weiter und gemeinsam deckten sie den Tisch.

Ihr Vater kam kurz darauf, begrüßte die beiden und ließ sich am Tisch nieder. Da die Schule in Japan später als in Deutschland startete, frühstückte er meistens schon mit ihrer Mutter und die Zwillinge kamen erst später dazu.

Alexandra frühstückte mit den beiden und als sie fast fertig und ihr Vater schon auf dem Weg zur Arbeit war, tauchte ihr Bruder auf.

Das Mädchen warf immer wieder einen Blick auf die Uhr und sprang schließlich vom Tisch auf, "Wir müssen los, hopp-hopp!" sagte sie zu ihrem Bruder, der sich eben ein Stück Brot in den Mund schob.

"Waff? Ef ift noch viel fu früh!" Er blickte sie verdattert an.

Seine Schwester rügte ihn mit einem Blick "Na gut, dann ich geh ich einfach schon mal vor. Ich ... muss noch was erledigen", fügte sie schnell hinzu und verschwand aus dem Haus, ihre Mutter und ihr Bruder blickten ihr verdutzt hinterher.

Alexandra wusste, dass zumindest ihr Bruder die Notlüge durchschauen würde, aber das war ihr egal. Sie rannte fast den kompletten Weg zur Schule. Warum sie sich eigentlich so beeilte, wusste sie selbst nicht, der Unterricht begann noch lange nicht und war zudem nicht besonders spannend - vor allem wenn man vieles gar nicht verstand -, aber auf den Buchclub freute sie sich wie immer, vermutlich lag ihre Eile daran.

Vor dem Schultor angekommen blieb sie erst mal kurz stehen und schnappte nach Luft, sie hatte in ihrer Aufregung nicht gemerkt, wie sehr sie außer Puste gekommen war. Raschen Schrittes bewegte sie sich auf das Gebäude zu und stand vor ihrem Klassenzimmer im zweiten Stock. Als sie die Tür mit leichtem Herzklopfen aufschob stellte sie mit Enttäuschung fest, dass es noch leer war; niemand war bisher da, aber es war auch noch eine ganze Weile bis zum Unterrichtsbeginn. Erneut strich sie über den Rock der Uniform, als könne sie ihn damit zum Wachsen bringen - diese Geste war ein ständiger Begleiter von ihr in der Schule geworden. Die Shorts hatte sie immer noch darunter und würde sie wohl so schnell auch nicht ablegen.

Als sie da so im Eingang stand und den Blick durch das Zimmer schweifen ließ wurde sie plötzlich halblaut von hinten angesprochen "Guten Morgen, Kaiser-san. Du bist aber früh dran."

Sie fuhr herum und sah Akagi vor sich stehen, "Akagi-san! O-ohayou gozaimasu!" Stammelte sie.

"Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken", sagte das andere Mädchen mit einem leicht verlegenen Lächeln.

"N-nein, schon gut", gab sie zurück und ging zur Seite, so dass ihre Sitznachbarin eintreten konnte. Da war es wieder, das Gefühl, dass sich in ihr etwas zusammenzog. Es war nicht unbedingt ein schmerzhaftes Gefühl, aber auf eine gewisse Art doch unangenehm. Gleichzeitig freute sie sich wahnsinnig das andere Mädchen wieder zu sehen.

Sie folgte Akagi zu ihren Plätzen hinüber, ließ sich an ihrem Tisch nieder und ertappte sich dabei, wie sie das andere Mädchen aus dem Augenwinkel beobachtete.

Diese schien die heimlichen Blicke zu spüren, drehte sich ihr zu und meinte mit einem seichten Lächeln "Du bist eine Schuluniform nicht gewohnt, oder?"

Alexandra zuckte ertappt zusammen, "W-was? J-ja" stammelte sie, "Ich trage eigentlich nie Röcke, wenn es sich vermeiden lässt. Ich fühle mich darin nicht besonders wohl ..."

Akagi legte ihre Tasche auf dem Tisch ab, "Dann solltest du dir für das nächste Schuljahr eine Uniform mit Hose aussuchen" meinte sie verständnisvoll. Ihr war nicht entgangen, dass das deutsche Mädchen permanent mit dem Kleidungsstück beschäftigt, am Samstag in der Latzhose aber offenbar viel entspannter gewesen war.

"Geht das denn?" Alexandra spitzte die Ohren, davon hatte sie Nichts gewusst.

Akagi legte den Kopf leicht schief, "Nicht auf allen Schulen, aber hier geht es. Man muss es bloß rechtzeitig vor dem neuen Schuljahr anmelden. Man kann auch die Rocklänge bestimmen, oder im Zweifelsfall selbst kürzen, wenn man das denn mag; das machen viele."

"Hätte ich das mal früher gewusst ..." sagte Alexandra mit einem Seufzen und lehnte sich etwas missmutig zurück.

Akagi ließ sich an ihrem Tisch nieder und begann ihre Schulsachen auszupacken, beiläufig fragte sie dann, "Hat es dir am Samstag gefallen?"

Alexandra nickte, "Ja, es war toll, danke. Ich würde mich freuen, wenn wir so was bald mal wieder machen" sprudelte es aus ihr hervor.

"Das würde mich auch freuen" gab das Mädchen mit den grünen Augen zurück und lächelte wieder. In Alexandra zog sich erneut etwas zusammen. War das ein schlechtes Zeichen, oder ein Gutes? Sie fand Akagi nett und wollte sie gerne näher kennenlernen, denn obwohl sie mittlerweile seit über einem Monat auf diese Schule ging und im Buchclub schon ein fast fest integriertes Mitglied war, so hatte sie doch privat noch keine wirklichen Kontakte geknüpft. War mit Akagi und den anderen also alles rein formeller Natur? Denn obwohl sie alle nett zu ihr waren, hatte sie schon gemerkt, dass es nicht einfach war als Ausländer Zugang zu den Japanern zu bekommen, die teilweise sehr verschlossen wirkten, dabei aber trotzdem immer höflich blieben.

Alexandra fragte sich, ob sie es wagen konnte, das Mädchen mal zu fragen, ob sie auch mal ohne die Leute vom Buchclub was unternehmen wollten; immerhin waren sie ja in einer Klasse und schienen sich auch so ganz gut zu verstehen. Sie mochte die anderen ebenso, aber zu Akagi fühlte sie irgendwie eine Art Verbindung, die sie nicht näher definieren konnte.

Ohne es zu merken grübelte sie darüber nach und starrte dabei abwesend das andere Mädchen an.

"Ist alles in Ordnung?" Fragte Akagi, die merkte, dass das langhaarige Mädchen sie auf eine verträumte Art ansah, und riss Alexandra damit aus ihren Gedanken.

"Hm?" Alexandra schreckte hoch und ihr Blick fixierte das Mädchen wieder, "Entschuldige, ich war gerade in Gedanken. Hast du etwas gesagt?"

Akagi schüttelte den Kopf, "Nein, schon gut." Sie legte ihre restlichen Sachen auf den Tisch und hängt ihre Tasche dann an der Seite des Tisches an den dafür vorgesehenen Haken. Sie hatte sich kurz etwas unwohl gefühlt, als sie dachte, das andere Mädchen würde sie anstarren, aber offenbar hatte das Mädchen mit den blauen Augen nur verträumt in die Landschaft und gar nicht explizit sie angesehen.
 

Die Tage verflogen und plötzlich war es schon Ende Mai. Alexandra fühlte sich in der Gruppe sehr wohl, verspürte aber auch immer noch das Bedürfnis ihre Sitznachbarin näher kennen zu lernen. In der Klasse war das Mädchen nach wie vor recht einsam und Alexandra hatte das Gefühl, dass sie tatsächlich außerhalb vom Buchclub keine anderen Bekanntschaften pflegte. Vielleicht wollte sie sich gerade deswegen mehr mit ihr anfreunden.

An diesem Morgen hatte Alexandra ihren Bruder beim Frühstück etwas angetrieben und die beiden waren pünktlich in der Schule. Thomas fragte sich, warum seine Schwester es neuerdings immer so eilig hatte, aber ihm war auch nicht entgangen, dass sie etwas nervös wurde, wenn ihre Sitznachbarin in der Nähe war. Das war ihm schon bei dem Tag in der Eisdiele aufgefallen und seine Schwester war sonst eigentlich nicht so ein nervöser Typ Mensch.

Den Schultag überstand Alexandra mit Mühe und gemeinsam mit Akagi ging sie nach dem Unterricht zum Buchclub. Sie überlegte, ob sie es ansprechen sollte, dass sie gerne wieder was mit den anderen machen würde, aber sie wollte sich nicht aufdrängen. Sie hatte Angst, dass die anderen dann das Gefühl hätten sich mit ihr treffen zu müssen, anstelle vielleicht etwas zu unternehmen, was sie wirklich tun wollten.

"Hallo Senpai", wurden die beiden von Fuji begrüßt, als sie die Bibliothek betraten. Sie grüßten zurück und machten es sich auf den Sitzgelegenheiten bequem. Fuji und Alexandra hatten sich auf eine Ecke des Sofas gesetzt, während Akagi es sich auf einem der beiden Sessel bequem machte und ihre Brille hervor zog. Kurz darauf trafen auch Kusawa und Honda ein und die Besprechung ihres aktuellen Buches konnte beginnen.

Alexandra merkte, dass Fuji sie immer wieder zu beobachten schien. Offenbar war das jüngere Mädchen, seit ihrem Treffen auf dem Spielplatz aufmerksamer und betonte ihre Aussprache extra langsam und deutlich. Die anderen gaben sich ebenfalls Mühe wenn Alexandra zugegen war, das entging ihr nicht, aber das Mädchen mit den zwei Zöpfen schien es ganz genau zu nehmen. Sie fragte zwar nie nach, ob Alexandra alles verstanden hatte - vermutlich, um ihr keine Blöße zu geben -, aber an den Blicken, die sie ihr im Gespräch zuwarf, merkte sie eindeutig, dass sie es ihr zuliebe tat. Sie lächelte sie dankbar an und Fuji nickte seicht.

Als der Buchclub fast am Ende war, überlegte Alexandra immer noch, ob sie ein weiteres Treffen vorschlagen sollte. Ohne es zu merken knetete sie dabei verkrampft ihre Hände.

"Stimmt was nicht, Kaiser-san?" sprach Fuji sie plötzlich an und Alexandra war völlig perplex, als das Mädchen ihre Hand beruhigend auf ihren Arm legte. Diese Art Körperkontakt kannte Alexandra von ihren bisherigen Begegnungen mit der japanischen Bevölkerung nicht.

Sie sah dem Mädchen in die fragenden braunen Augen und schüttelte dann leicht verlegen den Kopf, "Es ist alles in Ordnung, ich dachte nur ... ich wollte fragen, ob ..." sie suchte krampfhaft nach Worten. Ihr Japanisch war einfach noch nicht so gut, also blieb ihr nur übrig es recht direkt zu formulieren, "Der Nachmittag in der Eisdiele hat Spaß gemacht und ich wollte fragen ... hättet ihr Lust das zu wiederholen?" Rang sie sich schließlich ab.

Die anderen blickten sie an, sahen in die Runde und nickten dann lächelnd, "Ja, es hat Spaß gemacht und sicher finden wir noch mal einen Termin, an dem wir uns treffen können" meinte Kusawa schließlich und Alexandra fühlte sich erleichtert, weil ihr Vorschlag so positiv aufgenommen wurde.

"Diesen Samstag kann ich leider nicht", sagte Fuji etwas enttäuscht.

"Ich kann leider auch nicht, wir fahren am Wochenende zu meiner Großmutter auf's Land" räumte Honda ein.

"Dann müssen wir das wohl erst mal vertagen" meinte Kusawa und blickte das ausländische Mädchen etwas entschuldigend an.

"E-es muss ja auch nicht diese Woche sein", murmelte Alexandra, "jede andere Woche ist genau so gut."

Sie verabredeten sich also unverbindlich für den Samstag in der Woche darauf und alle versprachen, abzuklären, ob dieser Tag bei ihnen möglich wäre.

Als sie ihre Sachen zusammen packten war Alexandra erleichtert. Sie stieß nicht auf Ablehnung, wie sie befürchtet hatte und sie gab die Hoffnung noch nicht auf, aus diesen Bekanntschaften richtige Freundschaften machen zu können.

Als die beiden Ältesten des Clubs als letzte das Schulgebäude verließen und langsam Richtung Tor gingen, gab Alexandra sich einen Ruck.

"Ähm ... d-darf ich dich was fragen, Akagi-san?"

"Natürlich, was gibt es, Kaiser-san?" Das Mädchen blieb am Schultor stehen und lächelte Alexandra an.

Diese durchlief eine Welle und ihr Magen zog sich zusammen, als sie in die grünen Augen blickte. Schnell wendete sie den Blick ab und sammelte sich kurz.

"I-ich wollte fragen, ähm ... hä-hättest du Lust mal was ... zu unternehmen? A-also nur wenn du magst" setzte Alexandra schnell hinzu und hatte das Gefühl, dass sie rot wurde. Ihr Herz schlug vor Aufregung plötzlich schneller.

"Wir treffen uns doch demnächst wieder mit dem Buchclub" antwortete Akagi, weil sie dachte, Alexandra hätte die Unterhaltung vielleicht nicht komplett verstanden.

"D-das meinte ich nicht", murmelte Alexandra und kam sich dabei furchtbar seltsam vor.

"Oh ...", Akagi war sich nicht sicher, was das andere Mädchen ihr zu sagen versuchte und strich sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr.

"Wi-wie gesagt, nur wenn du magst" murmelte das langhaarige Mädchen und wollte die Hände in die Hosentaschen stecken, doch dann merkte sie, dass sie immer noch die Schuluniform anhatte. Sie wich dem Blick von Akagi aus, was das ganze sicher noch merkwürdiger machte. "Ich dachte nur, weil wir ja in die selbe Klasse gehen, gleich alt sind und so ..." Alexandra wusste nicht, wie sie noch erklären sollte, dass sie das andere Mädchen einfach kennenlernen wollte, ohne mit der Tür in's Haus zu fallen.

Akagis Blick hellte sich auf, "Ach so meinst du das. Entschuldige, ich bin es nur nicht gewöhnt, dass Leute mit mir etwas unternehmen möchten ..." Sie klang etwas traurig, als sie das eingestehen musste, aber sofort fügte sie an, "Das ist nett von dir Kaiser-san und ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns mal treffen würden."

"J-ja?" Alexandra blickte sie leicht hoffnungsvoll an und das andere Mädchen nickte aufrichtig, "das freut mich." Sie war erleichtert, dass Akagi ihren Vorschlag so gut aufgenommen hatte, auch wenn die Situation zuerst komisch wirkte. "Dann bis morgen?" Fügte sie noch an und als Akagi die Aussage bestärkte verabschiedeten sich die beiden Mädchen voneinander und gingen nach Hause.

Alexandra war jetzt wohler um's Herz. Sie hatte sich so dämlich angestellt, dabei wollte sie mit dem Mädchen, das jeden Tag neben ihr saß, doch nur ein bisschen besser befreundet sein. Sie schob ihre Nervosität und Unsicherheit auf die mangelnden Sprachkenntnisse, dabei konnte sie diese Art Konversation inzwischen ganz gut verfolgen und auch schneller reagieren.
 

Am nächsten Tag war Alexandra wieder früh in der Schule und sah gerade aus dem Fenster, als sie von hinten leise angesprochen wurde.

"Guten Morgen, Kaiser-san", hörte sie die Stimme von Akagi sagen und als sie sich umdrehte stand das Mädchen mit den grünen Augen neben ihrem Tisch.

"Guten Morgen, Akagi-san" erwiderte sie und freute sich aufrichtig ihre Sitznachbarin zu sehen.

Das Mädchen trat neben sie und gemeinsam blickten sie aus dem Fenster. Der Himmel war strahlend blau und es würde ein wunderschöner sonniger Tag werden.

Bevor sie noch etwas sagen konnte ergriff Akagi scheu das Wort, "Was ... hattest du dir denn vorgestellt, was wir machen könnten?"

Alexandra war überrascht, dass das Mädchen die Thematik vom Vorabend so direkt aufgriff und war etwas überrumpelt, "Ähm ... ich weiß nicht ...", sie kratzte sich verlegen am Kopf, "H-hast du eine Idee?"

"Sollen wir ... vielleicht in's Schwimmbad gehen?"

"W-was?" Alexandra wandte ihr den Kopf zu und hatte das Gefühl, ihre Ohren würden heiß werden.

"Möchtest du das nicht? Ich meine ... wäre dir das unangenehm? Du magst ja die Schuluniform auch schon nicht besonders ..." Akagi bekam selbst einen leicht roten Schimmer auf den Wangen, und fügte dann hinzu, "Entschuldigung, das war eine blöde Idee. Mir fällt sicher noch was anderes ein."

"N-nein ..." stammelte Alexandra. Sie war von dem Vorschlag überrascht, denn sie hatte nicht gedacht, dass Akagi ausgerechnet so was vorschlagen würde. Und sie war sich nicht sicher, wie sie es finden sollte. Tatsächlich war sie kein Schwimmbad-Mensch, weil ihr der Badeanzug auch immer etwas unangenehm war, aber sie wollte das andere Mädchen nicht vor den Kopf stoßen, also rang sie sich zu einer Antwort durch, "A-also, wenn das für dich okay ist, dann klar, warum nicht?"

Akagi lächelte etwas verlegen, "Tut mir leid, dass ich so einfallslos bin."

Alexandra schüttelte den Kopf, "Es muss dir nicht leid tun, der Vorschlag ist gut. Ich hab ja selber auch keine Ideen."

Wieder lächelte Akagi sie an und Alexandras Magen schien eine Drehung zu vollführen. Was war nur los mit ihr? Wurde sie etwa krank, jetzt wo sie sich gerade begann mit dem anderen Mädchen anzufreunden?

Da der Samstag mit dem Buchclub ja leider flach gefallen war, verabredeten sie sich für diesen Tag im nahegelegenen Schwimmbad. Sie wollten sich wieder am Nachmittag treffen und Akagi beschrieb Alexandra so gut es ging, wo das Schwimmbad sich befand.

"Im Zweifelsfall können wir uns auch an einem Ort treffen, den du kennst", schlug das Mädchen noch vor und Alexandra nickte die Idee dankbar ab, wollte sich aber zuerst selber schlau machen. Dank ihrem Vater besaßen sie inzwischen Zuhause einen Internetanschluss und zur Not täte es vermutlich auch ein Telefonbuch um die genaue Adresse des Schwimmbads in Erfahrung zu bringen.

Eine seltsame Stille trat zwischen die beiden Mädchen, die jetzt wieder aus dem Fenster sahen, und wurde erst unterbrochen, als mehr Schüler in den Klassenraum strömten und den Lärmpegel hinauftrieben.

Da an diesem Tag kein Buchclub anstand verabschiedeten die beiden Mädchen sich nach dem Unterricht vor dem Schultor und Alexandra ging, in Gedanken versunken, nach Hause.

Sie war bei der Schwimmbad-Sache immer noch Unsicher - war es eine gute Idee? Sie würde sich vermutlich neben dem anderen Mädchen in Grund und Boden schämen, außerdem fand sie es auch etwas unangenehm schon im Schulsport alle so knapp bekleidet zu sehen, wie würde das dann erst in einem Schwimmbad werden?

Zuhause angekommen ging sie erst mal ihren Badeanzug suchen und hoffte, dass er noch passen würde.

Als sie gerade in den noch nicht ausgeräumten Umzugskartons mit den Klamotten kramte, steckte ihre Mutter den Kopf zur Tür herein.

"Was suchst du denn?" Wollte sie wissen.

"Hm, meinen Badeanzug ..." murmelte Alexandra eine Antwort und zog sommerliche Kleidung aus dem Karton.

"Wozu das denn? Du gehst doch gar nicht gern in's Schwimmbad." Ihre Mutter konnte ihre Überraschung nicht verbergen und trat neben ihre Tochter, um ihr über die Schulter zu schauen.

"Jaaa, tu ich auch nicht, aber ... ich habe mich für Samstag mit meiner Klassenkameradin spontan zum Schwimmen verabredet", antwortete sie etwas abwesend, "Sofern ich das blöde Teil überhaupt finde ..." grummelte sie.

"Warte mal, ich glaube die Schwimmsachen habe ich bei mir im Schrank, weil du ja eh nie schwimmen gehen wolltest." Ihre Mutter verließ das Zimmer und kam nach kurzer Zeit wieder. In der einen Hand hielt sie Alexandras Badeanzug, in der anderen eine Badekappe. "Die solltest du vielleicht in Betracht ziehen, damit du deine Haare hinterher nicht stundenlang föhnen musst."

"Ach, es ist doch warm", winkte Alexandra ab, nahm sie jedoch trotzdem an, "Aber vielleicht hast du recht, ich weiß ja nicht wie streng die in Japan mit so was wie Haaren sind."

Flugs schlüpfte sie aus ihrer Schuluniform und probierte, ob der Badeanzug noch passte; und das tat er. Sie war ein wenig erleichtert, weil sie sich dann nicht noch um einen neuen kümmern musste, trotzdem blieb das leichte Unwohlsein in ihrer Magengrube.

Sie nutzte die Gelegenheit und suchte im Telefonbuch nach dem Schwimmbad, aber da sie nicht wusste wie man den Namen des Schwimmbads schrieb fing sie nicht viel damit an; sie beschloss Akagi am nächsten Tag nach der genauen Adresse zu fragen.

Beim Abendessen erzählte wieder jeder etwas von seinem Tag und Alexandra kam nicht umhin die Sache mit dem Schwimmbad zu erwähnen.

Ihr Vater sah sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Freude an, "Du gehst also mit Dr. Akagis Tochter schwimmen? Du? Die sonst nie in ein Schwimmbad wollte?"

Seine Frau kicherte, "Das hab ich mir auch gedacht", doch als sie sah, dass ihre Tochter etwas beschämt dreinschaute fügte sie hinzu, "aber es ist doch schön, so findet sie hier wenigstens Freunde." An ihre Tochter gewandt meinte sie noch, "Ich freu mich für dich Schätzchen. Das wird dir sicher Spaß machen und auch mal gut tun."

Alexandra biss sich verlegen auf die Lippe und antwortete dann schroffer, als sie es meinte, "Ja und? Menschen ändern sich" und an ihren Bruder gewandt fügte sie hinzu, "Und nein, diesmal brauche ich keinen, der mich bringt oder abholt." Damit legte sie ihr Besteck weg und sah ihre Eltern an, "Ich bin fertig, darf ich aufstehen?"

"Natürlich" sagte ihre Mutter nur und tauschte mit ihrem Mann einen schuldbewussten Blick aus.

Alexandra hatte kaum was gegessen, aber irgendwie hatte sie sich durch dieses Gespräch in die Ecke gedrängt gefühlt und darauf hatte sie gereizt reagiert. Dadurch war ihr der Appetit vergangen. Aber da ihr Magen zur Zeit eh etwas zu spinnen schien, machte ihr das wenig aus.

Sie freute sich natürlich auf das Treffen mit dem anderen Mädchen, aber sie war auf so vielen Ebenen super nervös, dass sie es nicht aushielt von ihrer Familie auch noch aufgezogen zu werden.

Sie ging in ihr Zimmer und ließ sich auf's Bett fallen.

<Die anderen haben keine Vorstellung davon wie viel Überwindung mich das kostet ...>, seufzte sie in sich hinein und rollte sich zum Fenster, <Ich wollte Akagis Vorschlag aber auch nicht direkt ablehnen, nur weil ich mich damit nicht wohl fühle ... Sie schien es zwar bemerkt zu haben, aber jetzt kann ich doch keinen Rückzieher mehr machen; das wäre irgendwie doof ...>

Nach ein paar Minuten klopfte es vorsichtig an ihre Zimmertür und die Stimme ihres Vaters drang dumpf von der anderen Seite herüber, "Darf ich reinkommen?"

Alexandra richtete sich auf, "Ja" antwortete sie ihm und setzte sich im Schneidersitz auf's Bett.

Ihr Vater trat herein und auf seinem Gesicht lag ein schuldbewusster Ausdruck. Er schloss die Tür hinter sich und setze sich neben ihr auf das Bett.

"Es tut mir leid, wenn ich dir das Abendessen verdorben habe. Ich wollte dich nicht verärgern" sagte er schließlich.

Alexandra schüttelte seicht den Kopf, "Nein, schon gut, ich hatte eh nicht so wirklich Hunger." Antwortete sie und fügte dann hinzu, "Du hast ja recht, ich gehe tatsächlich nicht gerne in's Schwimmbad, deswegen bin ich vermutlich auch so nervös." Sie blickte ihn verlegen an.

"Warum überlegt ihr euch dann nicht was anderes? Sicher versteht sie das" versuchte er einen Vorschlag zu machen.

"Ich hab schon zugesagt und möchte das ungern umwerfen, außerdem ... vielleicht hilft es mir auch, mich zu überwinden."

Er wuschelte ihr aufmunternd durch's Haar, "So ist's recht. Ich versteh das, aber vielleicht ist es manchmal gut, sich seinen Ängsten zu stellen." Alexandra nickte unter seiner Hand nur. Sie wusste, dass ihre Eltern es nicht böse gemeint hatten, aber es hatte sie doch irgendwie geärgert, dass sie sich auf Gunsten ihrer Ablehnung gegen Schwimmbäder amüsiert hatten.

"Und du bist mir oder deiner Mutter wirklich nicht böse?" Hakte er nochmal nach.

"Nein", sie gab sich Mühe ihn anzulächeln. Innerlich kämpfte sie gegen das Unwohlsein an, das sich in ihr ausbreitete, wenn sie an den Schwimmbadbesuch dachte, aber wirklich böse war sie ihren Eltern nicht gewesen.

"Dann bin ich beruhigt. Ich dachte schon, ich hätte dich jetzt vergrault", er grinste sie an, "Zur Entschuldigung gebe ich dir und deiner Freundin ein Eis aus, oder was auch immer japanische Kids gerne im Schwimmbad essen."

Alexandra lachte, "Das weiß ich nicht, aber danke Papa."

Mit einem erneuten Wuscheln durch ihren Schopf erhob er sich vom Bett und verließ das Zimmer seiner Tochter wieder. Alexandra fühlte sich besser und versuchte erst mal nicht mehr über das Thema nachzudenken.
 

Am nächsten Morgen sprach sie Akagi auf die Adresse des Schwimmbads an. Diese schrieb sie ihr auf einen Zettel - extra mit Furigana darüber -, damit auch Leute, die den Kanji noch nicht so mächtig waren, alles lesen konnten.

"Danke, das hilft mir sehr", sagte Alexandra, faltete den Zettel sorgsam zusammen und steckte ihn in ihren Geldbeutel, "Im Telefonbuch konnte ich nicht alles lesen und war mir dann unsicher wegen der Adresse."

"Kein Problem", antwortete Akagi lächelnd und fügte dann hinzu, "Wie gesagt, wir können uns auch gerne irgendwo treffen, wo du dich auskennst und gemeinsam hingehen."

Das Angebot löste in Alexandra eine kleine Welle an Freude aus und sie beschloss kurzer Hand, es anzunehmen. Sie nickte dankbar, "Das würde ich gerne."

Akagi überlegte kurz und sagte dann, "Wie wäre der Einkaufsladen, in dem wir uns mal begegnet sind? Von dort aus ist es nicht mehr so weit bis zum Schwimmbad."

Das langhaarige Mädchen nickte erneut, "Ja, dort finde ich hin, das wäre super."

"Dann machen wir es so" entschied Akagi und die beiden machten noch eine Uhrzeit aus.

Mit einem Mal wurde Alexandra klar, dass das ja bereits der morgige Tag wäre und eine Mischung aus Freude und Aufregung regte sich in ihrer Magengegend. Sie konnte sich kaum auf den Unterricht konzentrieren und auch im Buchclub schweifte sie immer öfter mit ihren Gedanken ab. Die Aufregung überwog und sie hatte Angst, dass sie sich in Grund und Boden schämen würde.

Als sie sich am Ende des Buchclubs verabschiedeten war das langhaarige Mädchen schon recht hibbelig geworden und machte sich schleunigst auf den Heimweg, in der Hoffnung, dass sie sich wieder etwas beruhigen würde vor dem morgigen Tag.

Ende Mai 2000 - Tokyo, Japan

Der Samstag kam und Alexandra tigerte den ganzen Vormittag ruhelos durch's Haus. Zum Frühstück hatte sie sich gezwungen, aber zum Mittagessen bekam sie beim besten Willen keinen Bissen hinunter.

"Alles okay mit dir, Schätzchen?" Fragte ihre Mutter mit leichter Besorgnis in der Stimme.

"J-ja, ja, ich bin nur nur ... nervös", tat sie die Frage ab und rieb sich den rumorenden Bauch, "Man soll vor dem Schwimmen doch sowieso nichts essen" fügte sie noch grinsen hinzu.

Das Wetter sah heute eher trüb aus, aber sie hatte keine Lust einen Regenschirm mit zu schleppen, also verließ sie sich auf ihr Glück; beim Schwimmen würde sie sowieso nass werden, was sollte es dann schon ausmachen.

Als es endlich Zeit war zu gehen, hatte Alexandra bereits längst ihre Tasche gepackt und schlüpfte noch in Schuhe und eine dünne Jacke.

"Viel Spaß" rief ihr ihre Mutter noch hinterher und Alexandra winkte zum Abschied zurück. Wie versprochen, hatte ihr Vater ihr Geld dagelassen, das neben dem Eintritt noch ein Eis oder ähnliches abdecken würde. Sie war froh, dass alles irgendwie in Laufweite war und sie sich nicht auch noch mit Bus oder Bahn herumschlagen musste.

Sie wusste, dass sie genug Zeit hatte, den Laden zu erreichen und so schwankte ihr Gang zwischen schlendern und einem schnellen Schritt, den sie vor Nervosität automatisch annahm.

Eine viertel Stunde vor der vereinbarten Zeit sah sie den Laden vor sich und davor stand bereits Akagi; das japanische Mädchen hatte in weiser Voraussicht einen Regenschirm mitgebracht. Sofort verkrampfte sich Alexandras Magen und sie beschleunigte ihren Schritt.

"Entschuldige, dass du warten musstest" sagte sie nach der Begrüßung.

"Kein Problem, ich war sowieso zu früh dran" gab das andere Mädchen zurück und deutete dann mit der flachen Hand in die Richtung, die sie ansteuern wollte, "Sollen wir?"

Alexandra nickte nur und als Akagi sich in Bewegung setzte folgte sie dem Mädchen.

"Das Wetter sieht heute nach Regen aus ..." meinte Akagi und ließ sich auf ihre Höhe zurückfallen, so dass sie gemeinsam nebeneinander her gingen.

"Ja, stimmt", murmelte Alexandra. Sie wusste nicht recht, was sie dazu sagen sollte, irgendwie war sie zu nervös.

Tatsächlich war es vom Laden bis zum Schwimmbad nicht weit und sie legten den Weg bis dahin schweigend zurück. Vor dem Gebäude blieb Alexandra stehen. Sie sah es an und schluckte unmerklich, ihre Hände klammerten sich an den Gurt ihrer Tasche.

Plötzlich begann es zu tröpfeln und als Akagi sich zu ihr umwandte, damit sie schnell hinein gingen um dem Regen zu entkommen, stieß sie verkrampft hervor, "I-ich kann das nicht, tut mir leid" und automatisch trat sie zwei Schritte von dem Gebäude zurück. Als das andere Mädchen sie etwas fragend ansah, stammelte sie, "Ich dachte, ich könnte es, aber ..." Verlegen sah sie zu Boden.

Mittlerweile hatte es zu regnen begonnen und Akagi spannte ihren mitgebrachten Schirm auf. Sie kam auf sie zu und blickte sie sanft aus ihren grünen Augen an, "Es ist okay, wir müssen das nicht machen." Sie hielt den Regenschirm über sie beide und war dem deutschen Mädchen damit sehr nahe.

Die Unterhaltung klang in Alexandras Ohren so absurd. Als wäre dies ein Date und die beiden hätten irgendwas unanständiges vor. Sie kam sich dumm und gleichzeitig verloren vor. Sie errötete vor Scham und stammelte eine weitere Entschuldigung die vom Prasseln des Regens auf den Schirm überwiegend verschluckt wurde.

"Komm", sagte das andere Mädchen ruhig, sah sie auffordernd an und ging von dem Gebäude weg. Alexandra blickte sie kurz fragend an, ging dann aber mit ihr.

Gemeinsam mit ihren Taschen war es eng unter dem Schirm und obwohl sich Akagi nichts anmerken ließ, war Alexandra bemüht, ihr nicht zu nahe zu kommen. Unweit des Schwimmbads bogen sie in eine Gasse ein und nach einem kurzen Weg erkannte Alexandra die Gegend wieder. Es war das Sträßchen mit dem italienischen Eiscafé. Als Akagi darauf zusteuerte atmete Alexandra erleichtert auf. Ob Akagi dieses Aufatmen hörte, wusste sie nicht, aber es war ihr für den Moment auch egal.

Die beiden Mädchen betraten das Café, grüßten freundlich und Akagi stellte ihren Regenschirm in den dafür vorgesehenen Ständer. Isabella erkannte sie sofort und begrüßte sie herzlich. Sie wies ihnen einen kleinen Tisch in einer Nische zu und brachte ihnen die Karten.

Ein seltsames Schweigen herrschte zwischen den Mädchen, das Akagi erst brach, als Isabella ihnen ihre Bestellungen gebracht hatte.

"Es tut mir leid. Wenn ich gewusst hätte, dass es dir so unangenehm ist, dann hätte ich es nicht vorgeschlagen."

Alexandra blickte sie verblüfft an. Warum entschuldigte sie sich bei ihr? Sie schüttelte den Kopf, "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, du konntest es ja nicht wissen. Ich bin selbst schuld, weil ich Nichts gesagt habe ... Ich dachte wirklich, ich könnte das", sie lächelte das andere Mädchen verlegen an, "Ziemlich blöd, oder?"

Diesmal schüttelte Akagi den Kopf, "Nein, gar nicht. Ich habe ja bereits gemerkt, dass dir die Schuluniform und auch die Sportbekleidung unangenehm sind, da hätte ich etwas weiter denken sollen."

Wieder schwiegen sie sich an und Alexandra stocherte etwas verloren in ihrem Eisbecher herum. Sie überlegte krampfhaft was sie sagen könnte, doch egal was ihr einfiel, es wirkte absurd. Sie wollte das andere Mädchen einfach nur etwas besser kennenlernen, aber Konversation fand sie unglaublich schwierig, wenn sich nicht spontan ein Gespräch entwickelte. Außerdem hatte sie die Situation mit ihrem Verhalten verpatzt, wie konnte sie das ausbügeln?

Doch wieder war es Akagi, die die Stille durchbrach, "Yuriko-chan hat mir von eurem Treffen auf dem Spielplatz erzählt."

"Ach ja?" Alexandra sah überrascht von ihrem Eisbecher auf.

Das andere Mädchen nickte, "Sie hat mir erzählt, dass du einen neuen Freund gefunden hast" gab sie mit einem leisen Kichern zurück.

"Was?" Das langhaarige Mädchen war perplex, dann erinnerte sie sich, "Oh, du meinst den kleinen Jungen? Ich glaube, er heißt Taro", sie errötete unmerklich etwas, als sie an das Erlebnis auf dem Spielplatz dachte.

"Du kannst wohl gut mit kleinen Kindern umgehen" meinte das Mädchen auf der anderen Seite des Tisches.

Alexandra legte den Kopf leicht schief, "Hm ... darüber hab ich nie nachgedacht. Ich glaube es war nur ein Zufall. Der Junge war eigentlich ganz süß."

Sie fragte sich, was genau Fuji dem anderen Mädchen erzählt haben könnte.

"Trotzdem ist es nicht selbstverständlich, was du getan hast" fügte Akagi hinzu und wieder war die Aussage so schwammig, dass Alexandra nicht wusste was genau sie meinte. Akagi blickte aus dem Fenster und Alexandra ertappte sich dabei, wie sie das Profil des anderen Mädchens musterte. Sie hatte eine hohe Stirn, lange geschwungene Wimpern, eine leichte Stupsnase, schön geformte Lippen, ein edel wirkendes Kinn und ihre Haut sah so zart und irgendwie zerbrechlich aus, und dann war da noch das perfekt geformte Muttermal, das ihr Gesicht mit den tiefgrünen Augen abrundete.

Als Alexandra merkte, was ihr eben durch den Kopf gegangen war, schalt sie sich innerlich selbst und musste den Impuls, heftig den Kopf zu schütteln, unterdrücken. Sie versuchte in der Aufzählung von Akagis optischen Werten eine reine Bewunderung zu sehen und nichts weiter. Doch sie merkte plötzlich wie ihr Herz heftiger klopfte und in ihrem Magen erneut ein flaues Gefühl aufkam. Es war kein so übelerregendes Gefühl mehr wie vor der Schwimmhalle, als sie eine regelrechte Panik durchbohrt hatte, aber dennoch ein seltsames Gefühl, das nicht weichen wollte.

Akagi wandte ihren Blick wieder dem andere Mädchen zu, lächelte und widmete sich dann ihrem Eisbecher. Alexandra tat es ihr gleich, bevor das meiste davon nur noch Suppe wäre.

In diesem Moment kam Isabella an ihren Tisch, "Na, seid ihr nur zu zweit heute?" Fragte sie und beim Lächeln blitzten ihre weißen Zähne auf.

"Ja, diesmal ist es kein offizielles Treffen unseres Buchclubs" gab Akagi lächelnd zurück und lobte den Eisbecher.

Isabella bedankte sich für das Lob und wendete sich dann Alexandra zu, "Du bist so still heute signorina, ist alles in Ordnung?"

Das langhaarige Mädchen riss sich von seinen Gedanken los und zwang sich zu einem Lächeln, "Ja, alles gut, danke. Das Eis ist genau so lecker wie letztes Mal."

"Herzlichen Dank. Dann lasst es euch schmecken. Wenn ihr noch etwas brauchen solltet, ruft mich einfach" und damit ließ sie die beiden Mädchen wieder alleine.

Um einem erneuten Schweigen zu entkommen zwang Alexandra sich dazu, etwas zu sagen, "Gehst du eigentlich öfter schwimmen?" Am liebsten hätte sie sich direkt danach auf die Zunge gebissen - Akagi hatte bei dem Treffen mit dem Buchclub doch erwähnt, dass sie das gerne tat. Alexandra rollte innerlich über ihre eigene Dummheit mit den Augen.

Akagi legte den Kopf leicht schief, "Nicht so oft, wie ich gerne würde", antwortete sie mit einem seichten Lächeln, "Meine Zeit lässt es leider nicht so häufig zu, aber dann und wann schaffe ich es."

"Oh ..." Alexandra kam sich vor, als hätte sie das andere Mädchen jetzt um etwas Schönes betrogen.

"Darf ich dich was fragen?" Kam es von Akagi und Alexandra nickte. Das Mädchen mit den grünen Augen fuhr fort, "Bist du noch nie gern schwimmen gegangen? Also ... sofern du mir das verraten möchtest."

"Damit habe ich kein Problem", sie lächelte das Mädchen an, dankbar über die Unterhaltung, und antwortete dann, "Als Kind habe ich schon gern geplanscht, ich habe auch einen Schwimmkurs absolviert, es ist also nicht so, als könne ich es nicht", erklärte sie, "aber ... mit dem älter werden kam das Unwohlsein. Ich hörte auf Kleider und Röcke zu tragen und wollte auch nicht mehr in's Schwimm- oder Freibad. Ich fühlte mich einfach nicht wohl dabei. Vielleicht war es die Scham, von anderen so gesehen zu werden ... und vielleicht ist sie das auch jetzt noch" wieder lächelte sie verlegen.

Akagi nickte, "Ich verstehe."

"Macht dir das denn gar nichts aus?" Platzte es aus Alexandra heraus und schnell biss sie sich auf die Zunge, "Ich meine ... die Schuluniform und so ..."

"Es ist manchmal schon etwas unangenehm, aber ich bin es von kleinauf gewöhnt. Ich glaube, ich habe nie wirklich oft Hosen getragen", diesmal war sie es, die verlegen lächelte und sie strich sich eine Strähne hinters Ohr, was Alexandras Herz erneut zum Klopfen brachte, "Und beim Schwimmen bin ich so konzentriert, dass ich alle anderen Menschen um mich herum ausblende. Ähnlich wie beim Lesen oder Lernen" sie grinste leicht.

Alexandra blickte sie etwas bewundernd an, da es ihr oft schwer fiel sich auf etwas zu konzentrieren. Sie fand die Art des anderen Mädchens irgendwie faszinierend, verstand aber auch, warum viele dachten sie wäre hochnäsig. Dabei war sie offenbar ein ruhiges, in sich gekehrtes Mädchen, das zielstrebig seinen Weg verfolgte und nicht anecken wollte; das machte sie vermutlich gleichzeitig auch etwas einsam.

"Gibt es in Deutschland keine Schuluniformen?" Wollte Akagi jetzt wissen.

Alexandra schüttelte den Kopf, "Nein, also zumindest kenne ich das so nicht. Vielleicht auf Privatschulen, aber sonst ..."

Das japanische Mädchen blickte sie interessiert an, "Dann verstehe ich, warum es für dich so ungewöhnlich sein muss. Vermutlich würde es mir dann genauso gehen." Nach einer kurzen Pause wechselte Akagi das Thema, "Und, wie weit bist du mit deinem aktuellen Buch?"

"Fast fertig", antwortete das Mädchen mit den blauen Augen ihr, "Ein, oder zwei Stellen muss ich wohl noch mal lesen und mir ein paar Kanji raussuchen, die ich nicht ganz deuten kann, aber im Großen und Ganzen sollte ich damit nächste Woche fertig werden."

Akagi nickte leicht anerkennend, "Das klingt doch gut."

Dass Alexandra leichte Lektüre las, die eher für Grundschüler geeignet war, störte Akagi nicht. Als Leiterin des Buchclubs war es ihr vor allem wichtig, dass alle Spaß am Lesen hatten. Mehr wertete sie nicht. Dem deutschen Mädchen war bereits Hilfe angeboten worden und ob sie diese annahm, oder nicht, stand ihr frei; sie würde sie nicht dazu drängen. Doch Akagi gestand sich ein, dass ihr die Hartnäckigkeit, mit der ihr Gegenüber sich durch den Alltag biss, durchaus imponierte. An dem Mädchen mit den blauen Augen war etwas Besonderes, das ihr Interesse geweckt hatte; alleine schon, weil sie sich irgendwie um sie und die anderen des Buchclubs bemüht hatte, was ihr nicht selbstverständlich vorkam. Außerdem kam sie ihr bedingungslos freundlich und ehrlich vor, was sie an der neuen Schülerin sofort bemerkt hatte. Sie war auf die Frage, ob sie etwas gemeinsam unternehmen wollten, auch deswegen eingegangen, weil sie ebenso das Bedürfnis verspürte das Mädchen näher kennen zu lernen. Sie hatte kaum Freunde und vielleicht war die Offenheit des ausländischen Mädchens genau das, was sie selbst als Anstoß brauchte um aus sich heraus zu kommen.

Akagi legte den Löffel beiseite und sah das andere Mädchen aufmerksam an, "Darf ich dich noch etwas fragen?" Sie klang dabei fast etwas schüchtern, was das langhaarige Mädchen darauf schob, dass sie sonst vermutlich eher zurückhaltend und ruhig war.

"Natürlich", antwortete Alexandra, froh darüber, dass es nicht wieder in Schweigen endete, "deswegen sind wir doch hier, oder?" Fügte sie grinsend hinzu.

Das Mädchen mit den grünen Augen lächelte schüchtern und nickte, "Stimmt", bevor sie fortfuhr strich sie sich erneut eine Strähne hinters Ohr, die beim Eisessen nach vorne gerutscht war, "Wie war es für dich, als du hörtest, dass ihr umziehen werdet? Es ist ja ein großer Schritt, in ein anderes Land zu ziehen."

"Das stimmt", Alexandra nickte und überlegte kurz wie sie sich mit ihrem noch recht kargen Wortschatz ausdrücken konnte, "Ich war anfangs nicht begeistert darüber. Aber ich wollte meine Familie auch nicht alleine lassen."

"Hättest du denn bei jemandem bleiben können? Großeltern, oder so?"

"Vielleicht bei meiner Tante, wenn ich es wirklich gewollt hätte, aber ...", sie überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf, "Nein, es war für mich keine Option getrennt von meinen Eltern oder meinem Bruder zu sein."

Akagi nickte langsam, "Ich glaube, ich verstehe. Hast du dich denn wenigstens schon etwas an das Leben in Japan gewöhnt?"

"Es ist manchmal nicht einfach. Die kulturellen Unterschiede sind sehr groß, aber im Moment ist die Sprache ist das größte Problem, denke ich. Aber dank dem Buchclub fühle ich mich schon sehr viel wohler hier", gab das langhaarige Mädchen zurück und lächelte Akagi an, "Ich bin euch wirklich dankbar, dass ihr alle so nett zu mir seid."

Wieder ein schüchternes Lächeln von dem japanischen Mädchen, "Wir mögen doch alle Bücher, da ist das doch selbstverständlich."

Alexandra lächelte zurück und schüttelte sacht den Kopf, "Nein, ist es nicht."

Darauf konnte Akagi nichts erwidern. Sie wusste, dass das andere Mädchen recht hatte, trotzdem empfand sie es als selbstverständlich jemanden, der gerne las, im Buchclub mit offenen Armen zu empfangen. Vielleicht lag es aber auch an dem deutschen Mädchen, das seine eigene Schüchternheit überwunden und sie angesprochen hatte, obwohl es noch ganz neu auf der Schule war.

Isabella trat wieder zu ihnen an den Tisch, "Darf ich euch noch etwas bringen?" Fragte sie freundlich.

Alexandra sah Akagi fragend an und ein leichter Zweifel blitzte in ihren Augen auf. Sie wollte noch nicht gehen, aber es auch nicht überstrapazieren.

"Sollen wir?" Meinte Akagi und Alexandra war sich nicht sicher, was sie damit meinte. Sollen wir gehen? Sollen wir noch etwas bestellen? Es war manchmal schwierig den Kontext zu verstehen. Also nickte sie einfach nur und gab die Entscheidung damit an das andere Mädchen ab. Als Akagi noch etwas zu trinken bestellte atmete das langhaarige Mädchen innerlich auf. Sie tat es ihr gleich und Isabella verschwand mit ihren leeren Eisbechern in der Küche.

"Ich bin froh, dass wir hergekommen sind" sagte Akagi plötzlich und als Alexandra sie verdutzt ansah fuhr sie fort, "Na ja, ich glaube, beim Schwimmen hätten wir uns nicht so gut unterhalten können." Sie errötete leicht.

Alexandra fühlte, wie sie eine Welle überrollte und ihr Herz begann wieder wie wild zu klopfen, "St-stimmt", brachte sie heraus und wünschte, das bestellte Trinken wäre schon da. Ihr Hals fühlte sich plötzlich ganz trocken an. "Ich hoffe, ich habe dich trotzdem nicht um das Vergnügen gebracht, da du doch so gerne schwimmst" murmelte sie, weil ihre Stimme zu brechen drohte.

Akagis Augen weiteten sich für den Bruchteil eines Herzschlags, "Aber nein, das macht doch Nichts", beteuerte sie und fügte dann leiser hinzu, "Ich hätte mich schlecht gefühlt, dich in's Schwimmbad zu zwingen, wenn du es doch eigentlich gar nicht willst."

"Da-danke ..." krächzte Alexandra. In ihren Ohren rauschte das Blut und sie schluckte mehrmals um ihren Hals zu befeuchten. Sie war regelrecht angetan von Akagis Freundlichkeit und sie wünschte sich wirklich, mit dem Mädchen öfter etwas zu unternehmen.

Just in diesem Augenblick kam das erlösende Getränk und Alexandra trank begierig ein paar Schlucke, auch wenn sie das Gefühl hatte, es half nicht gegen die Trockenheit ihres Halses. Sie fragte sich, warum sie nach wie vor so nervös war. Ihr entging jedoch nicht, dass Isabella ihnen einen kurzen Blick zu warf, bevor sie wieder in die Küche verschwand; einen Blick, den sie nicht so recht zu deuten wusste.

"Wie ist Deutschland so?" Wollte das Mädchen mit den grünen Augen wissen und Alexandra war froh, dass sich ihr Herzschlag wieder etwas beruhigt hatte.

"Ähm ... na ja ... deutsch?" Sie lachte, "Ich weiß nicht. Was möchtest du denn gerne wissen?"

Akagi kicherte kurz und überlegte dann, "Stimmt es, dass es ein Land der Denker und Dichter ist, wie es immer heißt?"

Alexandra legte kurz den Kopf schief, "Ja, da ist durchaus was dran, denke ich. Es gab viele Dichter, Komponisten und Erfinder - Goethe, Schiller, Heine, Beethoven, Bach, Wagner, Einstein, Benz, Daimler, ..." zählte sie auf, "Alles große Persönlichkeiten aus Deutschland." Akagi warf ihr einen leicht bewundernden Blick zu, weil sie so viele Leute aufzählen konnte ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Daraufhin errötete das langhaarige Mädchen und verstummte.

"A-aber ich denke, das sind alles Ausnahmen. Wenn man bedenkt wie viele Menschen in dem Zeitraum noch gelebt haben" fügte sie hinzu und blickte auf die Tischplatte zwischen ihnen.

"Das ist wahr, trotzdem haben diese paar Beachtliches geleistet" hörte sie Akagis Stimme und nach einer kurzen Pause sagte sie, "Was kannst du mir noch erzählen? Gibt es etwas, das du besonders magst?"

Alexandra war leicht verwirrt über das Interesse des anderen Mädchens, aber es machte sie auch gleichzeitig glücklich, weil sie so mit ihr reden konnte.

"Ich liebe die Landschaft. Es gibt natürlich auch Großstädte, aber ich mag besonders das ländliche Leben; die Dörfer mit ihren Kuhweiden, die Berge, Seen und Flüsse und ganz besonders mag ich den Winter. Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, in der es recht viel Schnee gibt und ich habe es jeden Winter geliebt" Alexandra dachte verträumt an die Winter zurück in denen sie mit ihrem Bruder einen Schneemann gebaut hat oder mit dem Snowboard die Piste runter gesaust war. Erst als Akagi leise zu sprechen begann, riss es das Mädchen aus seinen Gedanken.

"Das muss wunderbar sein, ich würde es gerne mal sehen."

Alexandra blickte sie an, "Wirklich?"

Das andere Mädchen nickte scheu, doch ihre Augen glänzten, "Was noch?" Fragte sie fast begierig und Alexandra musste in sich hinein grinsen über die Neugier von Akagi.

"Ich mag einige der Feste", begann sie wieder. "Der christliche Glauben ist weit verbreitet bei uns und demnach sind es auch die Feste - Ostern und Weihnachten sind die Größten und die werden auch primär gefeiert, denke ich" sie überlegte kurz und fuhr dann fort, "Ich selbst bin nicht gläubig in diesem Sinne, aber ich mag es, dass man an diesen Festen Zeit mit seiner Familie verbringt."

"Ah, ich verstehe", das andere Mädchen nickte, "Das klingt schön."

Alexandra lehnte sich zurück, "Leider sehen das nicht alle so, aber na ja", sie seufzte und blies sich den Pony aus der Stirn, "Aber abgesehen davon gibt es in Deutschland eher Kleinigkeiten, die mir gefallen haben. Freizeitparks, Theater, Konzerte und so weiter; Dinge, die es hier aber mit Sicherheit auch gibt" sie grinste das andere Mädchen an.

Akagi lächelte erneut, "Mit Sicherheit" bestätigte sie.

Nach dem Redeschwall widmete sich Alexandra ihrem Getränk und leerte es fast in einem Zug. Sie war froh, dass sich ihr Magen wieder beruhigt hatte und sie sich recht normal mit dem anderen Mädchen unterhalten konnte.

"Gehst du denn gerne in's Theater oder in Freizeitparks?" Wollte Akagi noch wissen. Alexandra war verwundert über die Gesprächigkeit des Mädchens, das sonst eher wortkarg war.

"Na ja, ich war noch nicht besonders oft im Theater oder auf einem Konzert, aber es hat Spaß gemacht. Und in dem einen oder anderen Freizeitpark war ich auch schon. Mein Vater unternimmt ganz gern was mit uns, wenn es sich einrichtigen lässt" gab sie zurück, "Und du?"

Akagi schüttelte leicht verlegen den Kopf, "Meine Mutter hat für so was leider kaum Zeit, aber mit meiner Großmutter bin ich schon mal in's Theater oder zu den üblichen Schrein-Festen gegangen."

"Du warst also noch nie in einem Freizeitpark?" Alexandra konnte sich das kaum vorstellen, aber vielleicht hatte sie auch einen Luxus erlebt, den nicht jeder hatte.

Erneut schüttelte das Mädchen gegenüber den Kopf und errötete leicht, "Aber das ist nicht schlimm, denke ich", fügte sie hinzu.

"N-nein, natürlich nicht" sagte Alexandra schnell und hatte ein schlechtes Gewissen. Sie hoffte, sie hatte dem anderen Mädchen nicht das Gefühl gegeben, dass es wichtig sei, solche Dinge zu machen. "Vi-vielleicht können wir so was ja irgendwann einmal machen" fügte sie schnell hinzu, ohne groß darüber nachzudenken, ob Akagi das überhaupt wollte.

Das Mädchen mit den grünen Augen nickte und lächelte seicht, "Ja, das wäre schön."

Da war es wieder, das Herzklopfen und das leicht schwummerige Magengefühl. Alexandra sah schnell zur Seite und tat, als würde sie den Regen draußen vor dem Fenster beobachten, der unaufhörlich weiter fiel.

"Möchtest du noch etwas trinken?" Hörte sie Akagi fragen, die ebenfalls vor einem leeren Glas saß.

Alexandra wollte nicht auf die Uhr sehen. Sie hatte kein Gefühl dafür, wie lange sie schon hier waren und sie würde gern noch mehr Zeit mit dem Mädchen verbringen, aber irgendwie kam es ihr auch ein wenig seltsam vor hier allein mit Akagi zu sitzen. Sah es für außenstehende nicht komisch aus?

"Ich ähm ... möchtest du denn?" Zwang sie sich zu fragen und hoffte, dass Akagi auf den Zug aufsprang.

"Ich würde gerne, aber ich glaube ich sollte langsam mal nach Hause. Ich muss noch etwas lernen" gab diese schüchtern zurück und Alexandra war sich nicht sicher, ob es vielleicht eine Ausrede war um nicht mehr länger mit ihr hier sitzen zu müssen.

"Oh ..." antwortete sie nur und war sich sicher, dass sie ihre Enttäuschung schlecht kaschiert hatte.

"Sicher findest du das dumm, an einem Samstag Nachmittag noch etwas lernen zu wollen" murmelte Akagi und strich sich verlegen eine Strähne hinter's Ohr.

"N-nein, gar nicht", sagte Alexandra schnell und wusste, dass es nicht besonders glaubhaft klang, "Ich gebe zu, für mich wäre es Nichts, aber ... ich verstehe, dass es dir wichtig ist" versuchte sie die Situation zu retten, obwohl ihr Satz nicht wirklich gehaltvoll klang. Sie wusste, dass das japanische Mädchen in jeder freien Minute ein Buch in der Hand hatte, oder lernte; zumindest schien es ihr so.

"Tut mir leid" sagte Akagi noch leise und sah etwas betreten auf den Tisch.

"M-macht doch nichts. Ich freue mich, dass wir hier waren und reden konnten" gab das langhaarige Mädchen zurück und klang dabei jetzt wirklich aufrichtig. Akagi sah sie dankbar an und in Alexandra drehte sich sofort wieder alles. Schnell sah sie sich suchend um und entdeckte Isabella am Tresen, die sie zu beobachten schien.

"Wi-wir müssen an den Tresen um zu zahlen, oder?" Fragte sie Akagi und als diese zur Antwort nickte erhob sich Alexandra und das andere Mädchen tat es ihr gleich.

Sie schulterten ihre Taschen und traten dann vor Isabella, die sie breit anlächelte.

"Wir würden gerne bezahlen", sagte sie und an Akagi gewandt fügte sie hinzu "Ich bezahle alles." Wieder spürte sie einen Blick von Isabella auf sich, den sie nicht einordnen konnte, doch als sie sie fragend ansah lächelte diese nur und gab ihr ihr Rückgeld.

Danach bedankten sie sich erneut bei der Besitzerin des Cafés und steuerten auf den Ausgang zu, wo Akagi ihren Schirm wieder zur Hand nahm. Bevor sie das kleine Gebäude im rustikalen Stil verließen zwinkerte Isabella Alexandra zu und formte mit den Lippen etwas, das sie nicht verstand. In ihrer Unwissenheit lächelte das langhaarige Mädchen die Besitzerin nur an und folgte Akagi hinaus.

"Vielen Dank für die Einladung, das wäre nicht nötig gewesen" sagte Akagi, deren Stimme durch den Regen fast übertönt wurde, aber sie lächelte. Sie spannte den Schirm auf und bedeutete Alexandra, sich wieder zu ihr zu gesellen.

"Kein Problem, mein Vater hat mir extra Geld für ein Eis oder ähnliches mitgegeben", Alexandra lächelte etwas schüchtern zurück und kam dem Angebot dankbar nach, "Immerhin waren wir nicht schwimmen, da bin ich dir was schuldig" sie grinste.

"Ach was", wieder strich sich Akagi eine Strähne hinters Ohr. War dies ein Zeichen von Verlegenheit bei dem japanischen Mädchen? Alexandra fand, es sah unglaublich elegant aus und ihr Herz klopfte sofort wieder etwas schneller. "Wir hatten doch eine gute Zeit, oder?"

"Ja" meinte Alexandra etwas verlegen und als Akagi dies mit einem Lächeln quittierte und sich schließlich in Bewegung setzte, folgte Alexandra ihr.

"Zum Dank begleite ich dich nach Hause, dann wirst du nicht wieder nass", meinte Akagi nach einem kurzen Stück Weg.

Alexandra hatte das Gefühl etwas rot zu werden, "Da-danke ..." murmelte sie. Eigentlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil das japanische Mädchen ja nach Hause und lernen wollte, aber sie war auch glücklich über das kleine Bisschen mehr Zeit, das sie miteinander hatten.

Sie schwiegen den ganzen Weg und Alexandra durchbrach das Regengeräusch nur um sich peinlich berührt zu entschuldigen, wenn sie mit der Schulter an die von Akagi stieß. Doch darauf lächelte das andere Mädchen nur und bedeutete, dass es nicht schlimm sei.

Vor dem Haus angekommen blieben die beiden Mädchen stehen.

"A-also ... danke für's Heimbringen und ... für den heutigen Tag" meinte Alexandra und fühlte wieder eine Verlegenheit in sich aufsteigen.

"Sehr gern", Akagi nickte und lächelte, "Dann bis Montag, Kaiser-san" sagte sie und verneigte sich leicht vor dem ausländischen Mädchen.

"B-bis Montag" Antwortete Alexandra und verneigte sich ebenfalls. Dann ging sie schnell in's Haus um nicht nass zu werden, ertappte sich aber dabei, wie sie Akagi noch kurz beobachtete, als diese sich umwandte und ihren Heimweg einschlug.

Ihre Mutter begrüßte sie und wollte neugierig wissen, wie ihre letzten Stunden waren. Erst jetzt sah Alexandra auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits nach 18 Uhr war. Sie hatte also drei Stunden Zeit mit dem anderen Mädchen verbracht und fragte sich wohin die Zeit verflogen war; sie hatten sich doch nur ein bisschen unterhalten und ein Eis gegessen. Wenn man Hin- und Rückweg mit einberechnete war Alexandra vier Stunden unterwegs gewesen, ohne es wirklich zu merken.

Beim Ausräumen des Rucksacks fiel ihrer Mutter auf, dass weder das Badetuch noch der Badeanzug nass waren. Ihre Tochter blickte sie etwas beschämt an und sagte dann knapp, "Wir waren nicht schwimmen."

"Oh", machte ihre Mutter und sah sie fragend an. Sie überlegte, ob sie ihre Tochter fragen durfte, was die beiden Mädchen denn stattdessen gemacht hatten, oder ob sie beschließen sollte, dass sie das Nichts anginge.

"Ich hab mich nicht getraut", räumte Alexandra nach einer kurzen Pause ein und sah verlegen auf die Badesachen hinab, "Wir waren dann ein Eis essen."

"Das klingt doch gut, oder etwa nicht?"

Alexandra nickte, "Ja, Akagi hatte Verständnis dafür, dass ich mich unwohl fühlte. Es war ihre Idee stattdessen ein Eis essen zu gehen und dafür bin ich ihr dankbar. Wir haben uns gut unterhalten und ich glaube, sie fand es nicht so schlecht."

Ihre Mutter hob die Augenbrauen und suchte den Blick ihrer Tochter, "Und wie fandest du es?"

Alexandra erwiderte den Blick, "Gut. Nein, sehr gut! Wir haben uns wirklich nett unterhalten und ich glaube ... das machen wir mal wieder. Sie ist wirklich ... freundlich."

"Es freut mich, dass du schon eine Freundin gefunden hast", die Frau war erleichtert.

"Ich weiß nicht, ob es schon eine Freundschaft ist, aber ich hoffe, dass eine daraus wird" gab das Mädchen zurück und räumte die Sachen endlich weg. Danach fühlte sie sich direkt besser, als wäre eine unglaubliche Last von ihr abgefallen.

"Ach, wie bist du eigentlich heim gekommen? Es regnet doch in strömen und du hast wieder deinen Schirm vergessen" sagte ihre Mutter leicht tadelnd.

"Ähm ... Akagi hat mich heimbegleitet, sie hatte einen Schirm dabei" antwortete ihre Tochter leicht zerknirscht.

Die Augen ihrer Mutter weiteten sich, "Und da bittest du sie nicht herein?"

"Ich äh ... sie wollte noch lernen, hat sie gesagt", gab sie zurück. "Da kann ich sie doch nicht aufhalten, wenn sie mich schon nach Hause begleitet hat."

Die Antwort stellte ihre Mutter zwar zufrieden, aber sie hob doch eine Augenbraue leicht kritisch, "Das nächste Mal dann aber, ja?" Ihre Tochter nickte und die Mutter war zufrieden. Immerhin wollte sie sich nicht nachsagen lassen, ihre Kinder wären nicht gerade noch gut genug erzogen um der japanischen Etikette wenigstens ein bisschen Ehre zu erweisen.
 

Den Sonntag verbrachte Alexandra mit ihrer Familie, aber immer wieder schweiften ihre Gedanken zu dem Mädchen mit den grünen Augen. Wie sanft sie sprach, wie freundlich sie war und sie schien auch irgendwie immer die Ruhe selbst zu sein. Während Alexandra eher ein Spring-in's-Feld war, sich gerne ablenken ließ und ihre Gefühle oft nur schwer kontrollieren konnte. Es wirkte so gegensätzlich und trotzdem schienen die beiden sich zu verstehen.

In den nächsten beiden Wochen unterhielten sie sich etwas öfter als zuvor und auch mit dem Buchclub machten sie nochmal einen gemeinsamen Ausflug. Alexandra genoss jede Zusammenkunft mit den anderen, aber besonders mit Akagi. Etwas an ihr zog sie fast magisch an. Da war immer eine Art Freude, wie ein Leuchten, in ihr, doch in letzter Zeit plagten sie auch öfter wieder die seltsamen Magenschmerzen, die sie sich nicht erklären konnte.

Mitte Juni 2000 - Tokyo, Japan

Morgens beeilte sich Alexandra immer öfter um früh da zu sein, damit sie noch Zeit hatte, sich mit Akagi zu unterhalten, doch in letzter Zeit hatte ihr Unwohlsein zugenommen. Auch an diesem Morgen ging es ihr nicht besonders. Kaum hatte sie das Klassenzimmer betreten und ihre Sitznachbarin erblickt, auf die sie sich jeden Tag freute, weil sie sich mittlerweile ganz gut verstanden, fühlte sie wieder das flaue Gefühl in ihrer Magengrube.

Sie grüßte das andere Mädchen wie immer höflich und setzte sich an ihren Tisch. Am liebsten hätte sie sich direkt mit ihr unterhalten, aber ihr Magen machte ihr einen Strich durch die Rechnung.

Sie merkte, dass sie feuchte Handflächen bekommen hatte und ihre Hände zitterten etwas; sie spielte nervös mit ihrem Stift, der ihr natürlich prompt aus der Hand fiel. Beide Mädchen bückten sich gleichzeitig nach dem Stift und als sich ihre Finger sanft berührten zuckte ihre Hand zurück. Sie blickte das andere Mädchen etwas erschrocken an.

Akagi nahm den Stift und hielt ihn ihr lächelnd hin, "Bitte sehr."

"D-danke", schnell nahm sie den Stift an sich und rieb ihre schwitzigen Hände unauffällig an ihrem Rock ab. Sie fühlte sich heiß und schwummerig, wurde sie etwa krank?

"Geht es dir gut, Kaiser-san?" Fragte Akagi sie etwas besorgt, "Du siehst blass aus." Und dann tat das Mädchen etwas, mit dem Alexandra nicht gerechnet hatte: sie hob ihr den Handrücken an die Stirn um zu prüfen, ob sie Fieber hätte. Von dieser Geste überrumpelt zuckte Alexandra zurück und erhob sich ruckartig.

"Es geht schon", murmelte sie und stürzte aus dem Raum. Ihr war plötzlich schlecht und der Schwindel schien zuzunehmen.

Schnell ging sie zur Toilette und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab, dann stützte sie sich auf das Waschbecken und blickte in den Spiegel. Eigentlich sah sie ganz normal aus, fand sie. Aber warum fühlte sie sich dann so krank?

Nach einer kurzen Verschnaufpause schien es ihr wieder besser zu gehen, der Schwindel und die Übelkeit ließen nach, aber ganz wohl fühlte sie sich noch nicht. Sie verließ den Raum und ging zurück in's Klassenzimmer, in dem bereits einige Schüler mehr waren, als vorhin.

Sie setzte sich an ihren Platz zurück und Akagi sah sie fragenden an, "Alles okay? Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten" murmelte sie.

Alexandra schüttelte seicht den Kopf, "Sch-schon gut, danke ...", antwortete sie mit einem matten Lächeln.

Sie war froh, als der Unterricht endlich um war; und so gern sie in den Buchclub ging, so entschuldigte sie sich doch bei Akagi, dass sie wegen ihres Unwohlseins lieber nach Hause gehen würde.

"Natürlich, du brauchst dich zu nichts zwingen, wenn es dir nicht gut geht. Mata ashita - bis morgen, Kaiser-san und gute Besserung" sagte Akagi noch zu ihr, bevor sie das Klassenzimmer verließ.

Doch Alexandra kam am nächsten Tag nicht in die Schule. Sie hatte sich wohl wirklich was eingefangen und blieb die nächsten Tage im Bett. Appetitlosigkeit, Übelkeit und leichtes Fieber waren ihre Begleiter in diesen Tagen und sie genoss die Ruhe in ihrem Zimmer.

Sie schlief viel, doch in ihren Träumen taten sich wirre Abgründe auf und nach dem Aufwachen wusste sie oft nicht, was Realität und was Traum war.
 

Nach einer Woche Bettruhe fühlte sich Alexandra so weit hergestellt, dass sie wieder zur Schule wollte. Sie vermisste primär den Buchclub und auch wenn sich in ihr direkt wieder etwas zusammenzog, so versuchte sie das Gefühl zu verdrängen.

<Na los, du kannst nicht ewig krank sein!> Bläute sie sich selbst ein, denn den Druck der japanischen Gesellschaft hatte sie schon bemerkt und sie wollte sich keine allzu große Blöße geben.

Als sie an diesem Morgen in's Klassenzimmer kam wurde sie von Midori und Satoko fröhlich begrüßt und auch Akagi lächelte ihr freundlich zu, "Guten Morgen, Kaiser-san. Geht es dir wieder besser?" Fragte sie sie, nachdem sie sich neben sie gesetzt hatte.

"Ja, ich denke schon" murmelte sie und fühlte wieder dieses Ziehen in ihrer Körpermitte. Was war das nur für ein lästiges Gefühl, das sie dauernd hatte? Sie wünschte sie würde wenigstens seine Herkunft wissen, dann müsste sie sich vielleicht nicht so viele Gedanken darum machen. Doch das Gefühl blieb. Lediglich wenn sie Zuhause in ihren vier Wänden war, schien es nachzulassen, aber mittlerweile hatte sie festgestellt, dass es auch dann kam, wenn ein bestimmtes Gesicht vor ihrem inneren Auge auftauchte. Es war das Gesicht von Akagi. Was hatte das zu bedeuten? Sollte sie etwa ...? Nein, das konnte nicht sein. Sie schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich die nächsten Tage steif auf den Unterricht und die Diskussionen im Buchclub, außerdem versuchte sie immer zügig nach Hause zu gehen.

Im Sportunterricht war ihr aufgefallen, dass sie dazu neigte Akagi mehr zu beobachten als bisher und dabei durchliefen ihren Körper Wellen, die Stromstößen glichen. Das schwummerige Gefühl kehrte in diesen Momenten zurück und sie begann das Mädchen fast schon zu meiden. Wenn sie bemerkte, dass sie sie wieder beobachtete, schaute sie schnell weg und versuchte an etwas anderes zu denken; sie fühlte sich langsam aber sicher auf eine unbestimmte Art schmutzig.
 

An einem der folgenden Tage, als wieder einmal der Buchclub anstand, ging es Alexandra besser. Sie hatte ihr Buch beendet und wollte im Buchclub davon berichten. Obwohl es draußen wieder einmal in Strömen regnete, konnte das ihre Laune nicht trüben.

Die drei jüngeren Schülerinnen und Schüler warteten bereits auf sie und sofort stürzten sie sich in die Debatten. Als erster erzählte Honda von seinem Buch; er hatte erst ein Neues angefangen und tat sich noch schwer die Taten der Charaktere nachzuvollziehen. Danach durfte Alexandra von ihrem Buch erzählen und was ihr daran so besonders gefallen hatte.

Schließlich war Kusawa dran, sie hatte ebenfalls ein Buch beendet und schwärmte regelrecht darüber.

"Wisst ihr, so ein Buch habe ich noch nie gelesen", sagte sie und war plötzlich etwas rot im Gesicht, "es geht um die Liebe einer Frau zu einer anderen Frau, das war etwas Neues, Aufregendes, aber es war auch etwas ... befremdlich" fügte sie verlegen hinzu. "Aber es gab ein Zitat, das mir sehr gefallen hat und das mich zum Nachdenken anregte. Wollt ihr es hören?" Als die anderen nickten und sie aufmerksam ansahen fuhr Kusawa fort "Ich bin in sie verliebt, wusste Sumire auf einmal. So eindeutig, wie Eis kalt ist und Rosen rot sind. Und diese Liebe reißt mich mit ihrem Sog davon, so übermächtig, dass ich mich ihr nicht entziehen kann. Widerstand ist zwecklos."

In Alexandras Gedanken blitzte plötzlich ein Bild auf; es war das Gesicht von Akagi. Wie vom Donner gerührt saß sie da und starrte das Mädchen mit den grünen Augen an, sogar das Buch fiel ihr aus der Hand. Als es mit einem kleinen Knall zu Boden fiel richteten sich alle Augen auf sie. Als sie sich nicht nach dem Buch bückte, um es aufzuheben, sprach sie Fuji an.

"Alles in Ordnung, Kaiser-san?"

"Wi-Widerstand ... ist zwecklos ..." murmelte sie nur und hatten einen Blick, wie ein Reh, das in die Scheinwerfer eines Autos blickte.

<Ist es das?> Fragte sie sich und ihre Gedanken rasten, <Bin ich etwa ... in Akagi verliebt!? Nein, das geht doch nicht! Wir sind doch Freunde ...> Sie hatte alles um sich herum ausgeblendet und war in ihrem Gedankenkarussell gefangen.

Als sie eine Berührung an ihrem Arm spürte, wurde sie in die Realität zurück gerissen. Sie blickte in die besorgten Augen von Akagi und sofort wurde ihr wieder übel. Ihr Kopf fühlte sich wattig an und ihr Blick verschwamm. Akagi hatte ihr die Hand auf den Arm gelegt und schien etwas zu sagen, doch sie verstand es nicht.

Sie stand ruckartig auf, murmelte etwas und stürmte aus der Bibliothek. Sie rannte den Flur entlang, die Treppen hinunter und aus dem Gebäude. Es kümmerte sie nicht, dass es regnete und ihre Füße trugen sie von allein über den Schulhof. Sie stürmte vom Gelände und bog nach rechts ab, wie wenn sie den Nachhauseweg nehmen würde, doch dann bog sie in eine Seitenstraße ein und befand sich in einer Querstraße von der Schule. Dort kam sie wieder zur Besinnung und stand völlig durchnässt auf dem Gehweg. Ein Stück weiter die Straße runter erkannte sie eine Bushaltestelle und hielt darauf zu. Sie setzte sich auf einen der Kunststoffsitze und zog die Knie unter das Kinn.

<Ist es das wirklich? Bin ich verliebt in Akagi?> Fragte sie sich erneut, <Aber warum tut es dann so weh? Liebe soll doch was Schönes sein. Ich spüre nicht nur Freude, wenn ich sie sehe, in letzter Zeit spüre ich viel öfter das Unwohlsein ...>

Der Regen, der ihre Haare durchnässt hatte rann ihr über's Gesicht und in den Kragen der Schuluniform.

<Und jetzt? Was soll ich jetzt tun?> Entmutigt und von ihrer neuen Erkenntnis erschlagen schlang sie die Arme um ihre Knie und ließ den Kopf darauf sinken. Sie wollte nichts sehen und nichts hören. Am liebsten wäre sie im Moment auch gar nicht hier. Nur wo sonst könnte sie sein? Die Gefühle, die sie offenbar für das anderen Mädchen hegte, würden sie überall hin begleiten.

War das Zitat aus dem Buch, das Kusawa vorgetragen hatte, tatsächlich der Schlüssel zu dieser Erkenntnis gewesen? Sie hatte gemerkt, dass sie sich zu dem anderen Mädchen hingezogen fühlte und dass sie jede Minute in ihrer Gegenwart genoss, aber sie dachte, dass es reines Interesse und Freundschaft war. Sollte es tatsächlich mehr als das sein? Sie wusste es nicht und sie wollte am liebsten auch nicht darüber nachdenken. Sie schloss einfach die Augen und hoffte, dass es vergehen würde.
 

"Ich gehe sie suchen" Fuji erhob sich, als sich die Gruppe von Alexandras raschem Abgang erholt hatte.

Akagi nickte und sagte "Teilen wir uns auf und suchen rasch das Gebäude ab, vielleicht ist sie ja nur auf die Toilette gegangen."

Der Buchclub packte seine Sachen zusammen und durchsuchte die Schule, jedoch ohne Anhaltspunkt auf das ausländische Mädchen.

"Vielleicht ist sie raus gerannt", meinte Kusawa und blickte durch das Glas der Eingangstür, "Ohne Schirm wäre das keine kluge Idee, aber ...." sie sprach den Rest nicht aus, weil sie nur mutmaßen konnte, was mit dem anderen Mädchen war.

Fuji wollte schon in ihre Schuhe schlüpfen und den Schirm nehmen, doch Akagi hielt sie zurück.

"Nein, ich mache das. Geht ihr nach Hause. Bei dem Regen möchte ich euch alle lieber sicher im Trockenen wissen" sagte die älteste pflichtbewusst und packte sowohl ihre, als auch die Sachen ihrer Sitznachbarin zusammen. Mit ihren Regenschirmen verließ sie das Schulgebäude und sah sich auf dem Schulhof um. Wohin könnte das Mädchen gerannt sein? Vielleicht in den Schulgarten? Oder etwa direkt nach Hause? Was hatte sie nur gehabt? Sie wirkte fast etwas verstört und Akagi fragte sich woran das liegen könnte. Als Leiterin des Buchclubs und als Klassenkameradin von Alexandra fühlte sie sich verpflichtet das Mädchen zu suchen und sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Sie stand am Schultor und schloss für einen Moment die Augen. Sie lauschte auf das Prasseln des Regens und versuchte sich vorzustellen, wohin das andere Mädchen gerannt sein könnte.

<Es regnet so heftig wie neulich, als wir Eis essen waren>, dachte sie bei sich, <Bei dem Regen ist es schwer etwas zu hören.>

Sie überließ ihren Instinkten das Suchen und bog vor der Schule nach rechts ab; die Richtung die das langhaarige Mädchen auch nach Hause nehmen würde. Etwas ziellos ging sie die Straße entlang und blickte in die seitlich abzweigenden Straßen, in der Hoffnung, das Mädchen zu entdecken. Etwas ließ sie in eine Querstraße zur Schule einbiegen und tatsächlich saß das Mädchen mit den langen Haaren am Ende der Straße an der Bushaltestelle. Sie hatte sich auf einem der Sitze zusammengekauert und war durchnässt bis auf die Knochen. Vorsichtig trat sie zu ihr.
 

Alexandra spürte, dass jemand in ihrer Nähe stand und sie hörte das Rascheln von Kleidung.

"Kaiser-san?" Sprach sie eine vertraute Stimme an. "Du bist ja komplett durchnässt ..."

Alexandra sah auf und blickte in das besorgte, aber auch freundliche Gesicht von Akagi, die ihren Schirm über sie beide hielt, obwohl es unter dem Wartehäuschen der Bushaltestelle nicht regnete.

Als das Mädchen mit den blauen Augen nichts sagte fuhr Akagi zögernd fort, "Ich ... weiß nicht, was dir fehlt, aber falls du reden möchtest ... ich höre gerne zu, wir sind doch Freundinnen, oder nicht?"

Alexandra fühlte sich, als hätte ihr jemand in den Magen geschlagen. Eigentlich müsste sie sich darüber freuen, dass das japanische Mädchen sie als Freundin betrachtete, aber ihre neuen Gefühle machten ihr einen Strich durch diese Rechnung. Wenn Akagi nur wüsste ...

Als Alexandra sie nur schweigend ansah fügte Akagi hinzu "Ich habe deine Schulsachen und deinen Regenschirm mitgebracht. Du solltest nicht in deiner nassen Kleidung bleiben, sonst erkältest du dich noch." Ihr Blick fiel auf die Schuhe, die Alexandra trug. Es waren die Schuhe, die sie in der Schule anhatten, "Oh, deine Schuhe habe ich ganz vergessen, tut mir leid."

"Macht nichts" murmelte Alexandra und sah an dem Mädchen vorbei zu dem Regen, der auf die Straße fiel. Sie erhob sich etwas widerwillig, aber langsam wurde ihr tatsächlich kalt. Sie nahm die Sachen von Akagi entgegen, "Danke, wäre nicht nötig gewesen" murmelte sie.

Das andere Mädchen sah sie aus ihren grünen Augen fast etwas mitleidig an, "Soll ich ... dich vielleicht nach Hause begleiten?" Fragte sie vorsichtig.

"Nein, ich geh besser allein" gab Alexandra nur zurück und mied den Blick des anderen Mädchens. Sie wollte sie am liebsten gerade gar nicht sehen. Sie war sich mit ihren Gefühlen so unsicher und wollte auch die Freundschaft, die sie so mühevoll mit ihr aufgebaut hatte, nicht zerstören. "Mach's gut" murmelte sie und verließ die Bushaltestelle, ohne ihren Schirm aufzuspannen.

"Ki o tsukete - pass auf dich auf" hörte sie Akagi sagen und spürte ihren Blick noch eine Weile auf sich. Erst als sie um eine Ecke bog hörte das Gefühl auf.

Sie schlurfte durch den Regen nach Hause und wurde dort mit fragenden Blicken von ihrer Mutter und ihrem Bruder beäugt. Ohne jedoch ein Wort zu sagen oder auf ihre Fragen zu antworten schloss Alexandra sich im Bad ein, duschte heiß und zog sich trockene Kleidung an. Sie föhnte ihre Haare halbherzig und ging dann auf ihr Zimmer. Ohne noch einmal herauszukommen legte sie sich auf ihr Bett und schlief ein. Dass ihre Mutter einmal nach ihr sah, bemerkte sie nicht einmal.

Am nächsten Morgen, als sie geweckt wurde, drehte sie sich von der Tür weg und murmelte, "Ich gehe heute nicht zur Schule."

"Aber warum denn nicht? Bist du krank?" Fragte ihre Mutter und leichte Besorgnis klang in ihrer Stimme mit. Sie kam zu Alexandra an's Bett und legte ihr die Hand an die Stirn. "Hm, Fieber hast du aber keines."

Alexandra biss sich auf die Unterlippe und würgte eine Ausrede hervor, "M-mir ... ist schlecht." Zugegeben, das war nicht mal ganz gelogen. Ihr Magen verkrampfte sich schon, wenn sie nur an Akagi dachte, oder daran, ihr in der Schule zu begegnen.

"Oh je, hast du dir den Magen verdorben?" Ihre Mutter stand auf und wollte schon gehen, doch dann drehte sie sich noch mal zu ihrer Tochter um, "Was war gestern eigentlich los? Du kamst ja klatschnass nach Hause."

"Ich ... es ... regnete", meinte das Mädchen und zog sich die Decke über den Kopf. Sie wollte darüber jetzt nicht sprechen.

"Was du nicht sagst", murmelte ihre Mutter und schüttelte den Kopf, doch dann ließ sie ihre Tochter allein. Sie spürte, das was nicht stimmte, aber bisher kam Alexandra immer zu ihr, wenn sie einen Rat brauchte; darauf verließ sie sich auch dieses Mal und gönnte ihrer Tochter einen Tag Auszeit von der Schule.

Später am Tag stand Alexandra auf und schlich hinunter. Ihre Mutter werkelte mit der Waschmaschine herum und so setzte sie sich das Mädchen auf das Sofa im Wohnzimmer. Sie blätterte sich durch die Plattensammlung ihres Vaters und ihr Blick blieb am Soundtrack eines kitschigen Filmes hängen, den ihre Eltern so gerne sahen. Eigentlich mochte sie es, wenn das Schlagzeug mit seinem schnellen Rhythmus ihr Herz zum Klopfen brachte und die kreischenden E-Gitarren ihr eine Gänsehaut verpassten, doch heute war es ihr nach etwas ruhigerem zu Mute. Also legte sie die Platte auf, stöpselte die Kopfhörer an und setzte sich zurück auf das Sofa. Mit angezogenen Knien lauschte sie den Liedern, die von Verliebtheit, Sehnsüchten und Träumen sangen und sie überlegte, ob sie genau das auch fühlte. Sie dachte oft an Akagi, eigentlich sogar andauernd, wenn sie ehrlich war, und als ihr das Bewusst wurde traten ihr Tränen in die Augen. Schnell blinzelte sie sie weg und wischte mit dem Ärmel ihres Schlafanzuges über die Augen. Sie wollte die Freundschaft, die sie mit dem Mädchen aufgebaut hatte, nicht in Gefahr bringen, außerdem fürchtete sie sich auch vor Zurückweisung.

Als sie so vor sich hin starrte und ihren Gedanken nach hing, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie fuhr hoch und sah ihre Mutter hinter dem Sofa stehen. Erschrocken nahm sie die Kopfhörer hab, "Ach, du bist es", murmelte sie und erntete dafür einen leicht vorwurfsvollen Blick.

"Hast du jemand anderen erwartet?" Ihre Mutter klang neugierig und als ihre Tochter leicht rot wurde, wusste sie, dass sie etwas vor ihr verbarg. Sie legte ihr eine Hand an die Stirn, "Geht es dir besser?" Fragte sie, um ihrer Tochter die Verlegenheit zu ersparen über etwas zu reden, über das sie offenbar noch nicht reden wollte.

Alexandra nickte halbherzig. Die Berührung erinnerte sie an Akagi, die ihr in der Schule ebenfalls die Hand an die Stirn gelegt hatte, wenn auch anders und nicht so vertraut, wie zwischen Mutter und Tochter. Sofort zog sich ihr Magen wieder zusammen und sie sah verlegen zu Boden, dann schüttelte sie den Kopf, "Nein, nicht so wirklich ..."

Sie spürte, dass ihre Mutter sie musterte und dann hörte sie sie seufzen, "Du bist komisch heute." Es klang aber nicht vorwurfsvoll, sondern eher besorgt und dann spürte sie ihre Hand auf ihrem Kopf, "Ruh dich aus, okay?" Als Alexandra nickte verschwand ihre Mutter aus dem Wohnzimmer und das Mädchen ließ sich wieder auf's Sofa plumpsen.

Gegen Abend spürte sie plötzlich ein Kratzen im Hals und die Schleimhäute ihrer Nase anschwellen und wusste, das war die Quittung für den Regenguss von vor zwei Tagen.

Alexandra hatte sich eine Erkältung zugezogen und fristete den Rest der Woche erst mal in ihrem Bett. Rasende Kopfschmerzen und Fieber begleiteten sie und ihre Nase und ihr Hals fühlten sich dick und wattig an. Starker Husten kam noch hinzu und hielt sich hartnäckig.
 

Ein paar Tage später klingelte es an der Tür und als Alexandras Mutter öffnete stand ein Mädchen mit halblangen rotbraunen Haaren vor ihrer Tür.

Sie verneigte sich tief und sagte "Entschuldigen Sie bitte die Störung, mein Name ist Akagi. Ich wollte mich nach Kaiser-san ... also nach Kaiser Areksandora-san erkundigen."

"Oh", machte Alexandras Mutter, "du bist also Akagi-san? Komm doch bitte herein" sie wies das Mädchen freundlich an einzutreten. Obwohl ihr Japanisch nicht so gut war und sie nur Bruchstücke dessen verstanden hatte, was das Mädchen gesagt hatte, vermutete sie, dass Akagi Alexandra besuchen wollte. Ihre Tochter lag nach wie vor im Bett und kämpfte mit der Erkältung.

Sie bot dem Mädchen einen Stuhl an und ging nach oben zum Zimmer ihrer Tochter. Leise klopfte sie an und steckte den Kopf durch die Tür.

"Ein Mädchen ist gekommen um dich zu besuchen. Es ist Akagi" sagte sie halblaut und auf deutsch, "Soll ich sie hoch schicken, oder fühlst du dich gut genug um runter zu kommen?"

Alexandras Herz hatte bei der Nennung des Namens kurz einen Sprung gemacht. Sie wollte das Mädchen unglaublich gerne sehen, aber andererseits wollte sie die Gefühle vergessen, die sie offenbar für sie entwickelt hatte.

Sie kniff die Augen zusammen und antwortete mit kratziger Stimme, "Ich ... möchte sie nicht sehen."

"Aber warum denn nicht?" Fragte ihre Mutter verblüfft, "Sie ist extra gekommen um sich nach dir zu erkundigen. Ihr seid doch Freunde, oder habt ihr euch etwa gestritten?"

Alexandra biss sich auf die Lippe, "Nein, aber ... ich möchte sie nicht anstecken", presste sie hervor, "Sag ihr ... es geht mir schon besser und ich komme bald wieder in die Schule."

Ihre Mutter schwieg kurz, sie wusste, dass es nicht ganz der Wahrheit entsprach, was ihre Tochter gesagt hatte, aber sie wollte auch nicht nachbohren. Also sagte sie, "Wie du meinst. Ich richte es ihr aus" und damit schloss sie die Tür zu dem abgedunkelten Zimmer.

Alexandras Gedanken kreisten eh schon die ganze Zeit um das Mädchen, aber jetzt, wo sie wusste, dass sie sogar hier war, kam die Übelkeit in ihr wieder hoch. Sie hätte zu gerne nur einen kleinen Blick auf das Mädchen geworfen. Sie würde gerne in ihre grünen Augen blicken, oder sehen wie sie sich eine Strähne hinter's Ohr streicht, oder sie einfach nur beim Lesen beobachten. All das würde sie auf eine gewisse Art zufrieden stellen, aber es würde auch ihre Gefühle schüren. Sie konnte sich doch nicht in das Mädchen verlieben.

Tränen traten in ihre Augen und sie drehte sich zum Fenster, <Es geht doch nicht ...>, murmelte sie in sich hinein, <und dann ist sie auch immer noch so nett und fürsorglich ... Ich wollte doch nur, dass wir Freunde sind ...>

Alexandras Mutter ging wieder hinunter und sagte mit etwas geknicktem Blick, "Tut mir leid Akagi-san, sie fühlt sich noch nicht ganz auf der Höhe für einen Besuch. Aber es geht ihr schon bald besser und dann kommt sie wieder zur Schule. Sie möchte dich nicht anstecken, daher ..."

Akagi nickte und erhob sich dann, "Ich verstehe. Ich wollte mich nur nach ihr erkundigen. Jetzt weiß ich ja, dass sie bald wieder auf den Beinen sein wird. Vielen Dank, Kaiser-san."

Alexandras Mutter begleitete sie bis zur Tür und verabschiedete sie mit einer Verbeugung, "Vielen Dank, dass du extra gekommen bist, das war sehr nett."

"Kein Problem, sie ist ja meine Klassenkameradin und Mitglied im Buchclub, da gehört sich das doch so" Akagi verneigte sich ebenfalls und verabschiedete sich dann.
 

Nach ein paar Tagen fühle sich Alexandra wieder fit genug um in die Schule zu gehen, wollte sich aber nicht überanstrengen. Also lies sie den Buchclub erst mal sausen und machte auch um sportliche Aktivitäten oder zu engen Kontakt zu den anderen Schülern - besonders natürlich Akagi - einen Bogen.

Dieser entging das nicht und so hielt sie sie an einem der darauffolgenden Tage zurück, als Alexandra eben aus dem Zimmer gehen wollte, "Kaiser-san, hab ich irgendwas gesagt, das dich verletzt hat?"

Alexandra blickte das andere Mädchen verdutzt an, das einen leicht traurigen Gesichtsausdruck hatte, "N-nein, wieso?" antwortete sie ihr und da kam das Ziehen wieder. Ihr wurde heiß und schwummerig.

"Ich habe das Gefühl, dass du mir aus dem Weg gehst ... Und falls ich etwas falsches gesagt haben sollte, tut es mir leid." Sie verneigte sich vor dem deutschen Mädchen, das sie perplex anstarrte.

Alexandra fühlte sich wieder so elend wie an dem Tag, an dem sie auf die Toilette geflüchtet war. Sie lächelte Akagi matt an und antwortete "Nein, du hast Nichts falsch gemacht, wirklich. Ich fühle mich nur immer noch nicht so gut, glaube ich ..."

"Oh, das tut mir leid" sagte Akagi betreten und fügte an "Dann wünsche ich dir weiterhin gute Besserung."

"Danke, auf wiedersehen Akagi-san" murmelte Alexandra, nahm ihren Rucksack und verließ das Zimmer eiliger, als sie es eigentlich wollte. Allein beim Aussprechen des Namens hatte sie eine Welle getroffen, die sie nicht einordnen konnte.

So schleppte sie sich die nächsten Tage durch die Schule und den Buchclub und ertappte sich oft dabei, an Akagi zu denken, wobei sich in ihr wieder das ziehende Gefühl breit machte.
 

Ende Juni 2000 - Tokyo, Japan

"Darf ich dich was fragen?" Sprach sie eines morgens ihren Bruder auf dem Weg zur Schule an. Als dieser mit erhobenen Augenbrauen zu ihr blickte nahm sie das als ein Ja auf, "Warst du schon mal verliebt?" Sobald sie es ausgesprochen hatte, fand sie es peinlich und blöd mit ihrem Zwillingsbruder darüber zu reden.

"Oho, wer ist es denn?" Neckte er sie sofort und erntete einen missbilligenden Blick. "Du meinst also so was wie Schmetterlinge im Bauch und so Kram?" Als sie nickte fuhr er fort, "Na ja, ich glaube, das hatte ich bisher nie. Vermutlich war ich noch nicht wirklich verliebt, es waren wohl eher Schwärmereien für ein Mädchen."

"Du hattest also noch nie ein Ziehen in der Magengegend? Ein schwummeriges Gefühl, oder schwitzende Hände, wenn du mit jemandem geredet hast?" Fragte sie frei heraus.

Er blickte sie verblüfft an, "Na das nenne ich mal eine präzise Beschreibung. Aber um dir auf deine Frage zu antworten: nein. Klingt mir aber eher danach, als wärst du noch immer angeschlagen. Geht's dir gut Schwesterchen?" Er prüfte sie mit einem Blick, fand aber, dass sie recht normal aussah.

"Ich weiß nicht ... Das dachte ich auch erst, aber es ist immer noch. Kann sich so ein Infekt so lange halten?"

Er zuckte mit den Schultern "Keine Ahnung, vielleicht solltest du zu einem Arzt gehen." Als er merkte, dass sie mit dieser Antwort nicht zufrieden war, fügte er hinzu, "Denkst du denn, dass du verliebt bist?"

"Na ja ... ich weiß es nicht genau, aber immer wenn ich mit der Person rede, oder sie sehe wird mir plötzlich heiß, ich werde nervös und hab ein Ziehen in der Körpermitte. Selbst wenn ich nur an sie denke, passiert das; und ich denke andauernd an sie." Platzte es aus ihr heraus, froh, sich mit jemandem darüber unterhalten zu können.

"Das klingt dann allerdings schon danach, als wärst du verliebt", gestand er zu. "Verrätst du mir denn, wer es ist?" Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und er hatte natürlich auch bereits eine Ahnung, denn ihm war das Verhalten seiner Schwester, Akagi gegenüber, nicht entgangen.

Alexandra schüttelte den Kopf, "Noch nicht, ich möchte mir erst ganz sicher sein. Aber danke, Bruderherz" sagte sie sanft.
 

Die Tage zogen dahin und Alexandra fühlte sich immer noch so. Jedes mal, wenn sie das Mädchen neben sich sah und mit ihr redete flutete eine Welle an Gefühlen über sie. Sie ertappte sich dabei sie zu beobachten wie sie las, oder schrieb und sie konnte den Gedanken, dass es anmutig wirkte, nicht unterdrücken. In ihrem Kopf entstand langsam eine kleine Glorifizierung des Mädchens und sie schwankte ständig darin, dass sie ihr nah sein wollte, oder dass es vielleicht besser wäre sie zu meiden, bis die Gefühle nachließen. Aber dann fiel ihr wieder ein, dass Akagi so bedrückt gewirkt hatte, als sie sich von Alexandra gemieden gefühlt hatte. Doch vielleicht war das nur auf einer freundschaftlichen Basis gewesen; für Alexandra galt das nicht. Sie war sich jetzt sicher, in das Mädchen verliebt zu sein und das konnte durchaus für Missmut in der Gesellschaft sorgen.

Sie hatte langsam das Gefühl, dass dieses Chaos in ihr sie zu erdrücken drohte. Sie kam zwar halbwegs im Schulalltag klar, aber es beeinträchtigte ihre Gedanken doch mehr als sie es sich zuerst eingestehen wollte. Morgens war Akagi das erste woran sie dachte und abends das Letzte. Ihre Familie merkte, dass sie oft verträumt und etwas neben der Spur war, doch Alexandra wich allen Fragen aus. Sie wollte Akagi zu gern sagen, was sie fühlte, aber sie fürchtete sich vor ihrer Antwort und vor allem vor Ablehnung.

Ihr Verhalten sorgte für eine leichte Abkühlung ihrer bisherigen Freundschaft und auch wenn es Alexandra weh tat, so war sie sich immer noch unsicher, ob es nicht sogar besser für sie beide wäre. Akagi war nach wie vor höflich zu ihr, aber auch ihrerseits etwas mehr auf Distanz gegangen. Das Mädchen mit den grünen Augen wusste nicht, warum Alexandra sich ihr gegenüber plötzlich anders verhielt und sie fühlte sich etwas vor den Kopf gestoßen, so dass sie begann sich wieder etwas mehr in sich zurück zu ziehen. Dies entging Alexandra natürlich nicht und es gab ihrem Herzen einen Stich, doch was sollte sie tun? Sie war ständig hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen für das Mädchen und ihrer Angst vor der Ablehnung des Mädchens und auch innerhalb der Gesellschaft. Würde es toleriert werden, dass sie ein Mädchen liebte? Erneut fühlte sie sich schmutzig bei diesem Gedanken, doch es brach ihr das Herz, wenn sie daran dachte jeglichen Kontakt zu Akagi abzubrechen.
 

Schließlich war es Mitte Juli und die Sommerferien standen kurz vor der Tür. Vielleicht war das die Gelegenheit mit sich und ihren Gefühlen in's Reine zu kommen, wenn sie Akagi einige Zeit nicht sehen würde.

Am letzten Schultag saß sie auf ihre Hand gestützt an ihrem Tisch und sah zu dem Mädchen hinüber, allerdings war es ein verträumter Blick, ihre Augen hatten das Mädchen nicht scharfgestellt, sie starrte eher in's Leere und hing ihren Gedanken nach. Eine Stimme drang dumpf zu ihr, doch sie verstand sie nicht und reagierte auch nicht darauf; zu sehr war sie in ihrem Tagtraum gefangen.

Plötzlich wurde sie sacht an der Schulter berührt und erwachte augenblicklich aus ihrer Starre. Vor ihr stand Akagi und beugte sich leicht zu ihr hinunter, sah ihr direkt in die Augen. Sofort durchflutete sie wieder eine Welle an Gefühlen.

"Daijoubu desu ka? Geht es dir gut?" Fragte Akagi das langhaarige Mädchen.

"Äh ... ja, Entschuldigung. Ich hab wohl mit offenen Augen geschlafen" sie lachte verlegen und merkte, dass sie etwas rot wurde. Akagi hatte sie an der Schulter berührt und ihre Gesichter waren sich für einen Moment sehr nahe gekommen. Dann fiel ihr ein, dass sie eine dumpfe Stimme vernommen hatte, vermutlich die von Akagi, "Was hattest du eben gesagt?"

"Dass sich der Buchclub in den Ferien zu den üblichen Zeiten in der öffentlichen Bibliothek des Bezirks trifft, falls du auch kommen möchtest" wiederholte Akagi geduldig. Sie war nach wie vor freundlich zu ihr, aber Alexandra hatte das Gefühl in ihren Augen zu sehen, dass sie etwas verletzt war. Sofort zog sich in ihr wieder etwas zusammen.

"I-ich würde ... dir auch gerne was sagen ..." stammelte sie und stand auf.

Jetzt sah Akagi sie aufmerksam, aber auch etwas argwöhnisch an, "Ja, bitte?"

"A-also ..." murmelte sie, doch dann war ihre Kehle wie zugeschnürt. Sie schüttelte kurz den Kopf; nein, sie hatte sich geschworen erst die Ferien abzuwarten, bevor sie etwas sagte, das nicht mehr rückgängig zu machen war. "Ich meine, es ist gut zu wissen, dass ihr euch auch in den Ferien trefft, danke", brachte sie schließlich heraus, "Ich weiß nicht, ob mein Vater vor hat vielleicht eine kleine Reise mit uns zu machen, aber wenn es sich einrichten lässt, komme ich bestimmt mal." Sie rang sich ein Lächeln ab und drehte sich danach hastig um, um das Klassenzimmer zu verlassen.

<Du blöde Kuh!> Schalt sie sich selbst, <Sie muss ja denken, dass du sie meidest, wenn du dich so verhältst. Sei einfach normal!> Sie musste ein paar Tränen unterdrücken und hastete so schnell es ging nach Hause.

In ihrem Zimmer warf sie sich auf's Bett und ließ den Tränen freien lauf - alles angestaute brach jetzt aus ihr heraus. Sie bemerkte nicht, dass ihre Mutter und ihr Bruder an der Tür zu ihrem Zimmer standen.

"Was hat sie in letzter Zeit nur?" Murmelte ihre Mutter, "Es kann doch kein Heimweh sein. Am Anfang, als wir herzogen, ging es ihr blendend."

Thomas schüttelte den Kopf und wisperte, "Nein Mama, ich glaube, sie hat Liebeskummer."

"Oh" entfuhr es ihr und dann betrat sie leise das Zimmer ihrer Tochter. Sie setzte sich neben ihr auf's Bett und strich ihr sanft über den Kopf und den Rücken. Thomas blieb an der Tür stehen.

"Möchtest du uns sagen, was los ist?" Fragte die Mutter sie leise, doch Alexandra antwortete nicht, sie schluchzte weiter in ihr Kissen.

Vor ihrem inneren Auge sah sie das lächelnde Gesicht des anderen Mädchens und obwohl es sie mit Freude erfüllte presste es auch ihr Herz zusammen und ließ sie weiter Tränen vergießen. Schweigend saß ihre Mutter neben ihr auf dem Bett, bis sie sich endlich etwas beruhigt hatte. Es kamen keine Tränen mehr und sie fühlte sich müde. Jetzt setzte sie sich auf und umarmte ihre Mutter schweigend, aber dankbar.

"Vielleicht solltest du es ihr sagen" meinte Thomas von der Tür her.

"Sie muss sich mir nicht anvertrauen, wenn sie nicht möchte" hielt ihre Mutter dagegen.

Der ältere Zwilling blinzelte und sagte "Das meinte ich nicht", bevor er seiner Schwester einen wissenden Blick zuwarf und dann aus dem Zimmer verschwand.

"Was meint er denn dann?" Fragte ihre Mutter verdutzt.

Alexandra rieb sich mit dem Handballen ein paar Tränen weg und lächelte ihre Mutter verlegen an "Er meint, ich soll es der Person sagen, die meine Gefühle so durcheinander bringt."

"Vielleicht solltest du das" ihre Mutter nickte, grübelte kurz und fügte dann hinzu "Aber warum sprach er dann von ihr?" Als Alexandra sich verlegen auf die Unterlippe biss, fiel bei ihrer Mutter der Groschen, "Oh!" Sagte sie nur und nahm ihre Tochter fest in den Arm, "Ein anderes Mädchen also."

Alexandra nickte "Jetzt kommen erst mal die Ferien, danach sehen wir weiter."

"Möchtest du mir verraten, wer dein Herz erobert hat?"

Alexandra gab ein schnaubendes Lachen von sich, "Ich glaube nicht, dass sie weiß, dass sie mein Herz in ihren Händen hält." Sie blickte etwas beschämt nach unten und wisperte dann, "Es ist Ritsuko Akagi, meine Sitznachbarin und die Leiterin des Buchclubs."

Ihre Mutter bekam große Augen, "Die Tochter von Papas Chefin? Das Mädchen, das dich besuchen wollte, als du krank warst!"

"Ja, genau" Alexandra nickte. "Auch deswegen bin ich vorsichtig. Ich will nicht, dass Papa dadurch Schwierigkeiten bekommen könnte."

"Ach du Süße! Mach dir darüber keinen Kopf", sagte sie. "Wenn Papa wüsste, wie sehr du leidest, würde er das höchstpersönlich regeln."

"Und genau deswegen wirst du ihm Nichts sagen", sie blickte ihre Mutter ernst an.

"Selbstverständlich nicht. Auch Mütter unterliegen einer gewissen Schweigepflicht", sie lächelte und fuhr sich dann mit aufeinander gelegtem Daumen und Zeigefinger über die Lippen, "Von mir erfährt er Nichts, solange du es nicht möchtest." Nach einer kleinen Pause hakte sie vorsichtig nach, "Wolltest du sie deswegen nicht sehen, als sie hier war ...?"

Wieder nickte ihre Tochter, "Ich ... musste mir erst klar darüber werden und wenn ich sie gesehen hätte, dann ..." sie zuckte mit den Schultern, weil sie nicht in Worte fassen konnte, was sie in diesem Moment gefühlt hatte.

"Ich verstehe", sagte die Frau und strich ihrer Tochter über den Kopf, "Ich dachte mir schon, dass was nicht stimmt, aber da du offenbar nicht reden wolltest, habe ich dich in Ruhe gelassen."

"Danke Mama. Jetzt geht es mir schon viel besser" Alexandra seufzte erleichtert, umarmte ihre Mutter ein weiteres Mal und erhob sich dann, um sich im Bad etwas frisch zu machen. Sie fühlte sich ausgelaugt und müde.

Anfang August 2000 - Tokyo, Japan

Inzwischen waren die Sommerferien halb um und Alexandra hatte sich zwanghaft versucht irgendwie zu beschäftigen um möglichst wenig an das andere Mädchen denken zu müssen. Tatsächlich war ihr Vater mit der ganzen Familie in der ersten Woche ein paar Tage weggefahren, sie hatten sich die Gegend rund um Tokyo angeschaut, denn bisher hatten sie noch keine Gelegenheit dazu gehabt. Aber als die dritte Woche anbrach dachte sie, dass sie kaum so viele Ausreden erfinden könne, warum sie den Buchclub nicht wenigstens einmal in den Ferien aufgesucht hatte; das gemeinsame Buchprojekt, welches sie vor den Ferien ausgewählt hatten, hatte sie sogar schon gelesen, auch wenn sie dafür oft das Wörterbuch wälzen musste und vieles trotzdem nicht verstanden hatte. Also seufzte sie eines Freitag nachmittags, als sie wieder das Buch in den Händen hatte, schulterte ihren Rucksack und ging hinunter.

Auf die Frage ihrer Mutter, wohin sie gehen wolle, antwortete sie "Zum Buchclub in die Bibliothek."

"Bist du dir da sicher?" Der wissende und leicht besorgte Blick ihrer Mutter sprach Bände.

Alexandra nickte und antwortete mit einem unsicheren Lächeln "Irgendwann muss ich sie ja wieder sehen, also probiere ich es heute einfach mal."

"Na gut, aber komm nicht zu spät heim" ihre Mutter versuchte unbesorgt zu klingen und war innerlich sogar etwas stolz auf ihre Tochter, da sie sich ihrer Angst stellte.

Alexandra hatte sich die Adresse der Bibliothek mühsam aus dem Telefonbuch gesucht und lief nun mit ihrem Notizzettel durch die Straßen des Bezirks. Irgendwann fiel ihr das große Backsteingebäude in's Auge und sie betrat den gefliesten Eingangsbereich. Sie grüßte die Frau am Tresen und hatte erst überlegt sie nach den anderen Schülerinnen und Schülern des Buchclubs zu fragen, beschloss aber, dass sie selbst ein wenig das Gebäude erkunden wollte. Außerdem wollte sie dem Gespräch nach einem Büchereiausweis entgehen - zum Einen wegen dem Ausfüllen des Formulars, das sicher voll mit komplexen Kanji war, und zum Anderen würde sie heute vermutlich sowieso kein Buch ausleihen; das könnte sie beim nächsten Besuch immer noch angehen.

Direkt hinter dem Eingangsbereich kam die Abteilung mit den Kinderbüchern, wo einige Kindergarten- und Grundschulkinder mit ihren Eltern oder älteren Geschwistern saßen, lasen und spielten. Von dort konnte man direkt nach links laufen, wo es ruhig und fast schon düster wirkte; vermutlich ein Bereich mit eher trockenen Fachbüchern und Tageszeitungen. Ging man an der Stelle aber gerade aus, dann kam die Abteilung mit den Jugendbüchern und Manga. Daran schloss sich linker Hand ein großer Lesesaal an und von dort gingen Gänge zu den Romanen für Erwachsene und der Fachliteratur ab, so dass man am Ende wieder von links zum Eingang kam.

"Oh, da ist ja Kaiser-senpai. Hallo, hier drüben sind wir!" Kusawa war von einem der Tische aufgesprungen und winkte zu ihr rüber. Sie erntete dafür von anderen Tischen böse Blicke und ein alter Mann räusperte sich verärgert hinter seiner Zeitung.

Die Schüler waren alle in bequemer Freizeitkleidung gekommen und während Alexandra leger ihre liebste Latzhose mit einem Band-Shirt trug, wirkte Akagi in ihrem Outfit mit Bluse und Rock fast wie ihr Gegenteil. Alexandras Herz klopfte plötzlich wieder wie wild, sie empfand das andere Mädchen als überaus attraktiv, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein.

Sie trat zu der versammelten Mannschaft des Buchclubs, verneigte sich und grüßte sie halblaut "Tut mir leid, dass ich so lange mit Abwesenheit geglänzt habe." Ihr Blick suchte den von Akagi und das Ziehen in ihr fühlte sich jetzt deutlich nach Freude an. Sie lächelte sie an und wisperte "Guten Tag, Akagi-san" während sie sich neben ihr nieder ließ. Diese lächelte ihr aufrichtig zu "Guten Tag, Kaiser-san. Schön, dich wieder bei uns zu haben." Die Anspannung zwischen den beiden Mädchen schien wieder etwas abgenommen zu haben. Vielleicht hatte Akagi es ihr doch nicht übel genommen, wie sie sich in der letzten Zeit vor den Ferien verhalten hatte.

Die Buchbesprechung gefiel ihr sehr gut und allgemein fühlte sie sich wieder wohler in ihrer Haut. Sie war sich inzwischen darüber im Klaren wirklich in das andere Mädchen verliebt zu sein und es fühlte sich gut an; gerade in ihrer Nähe sein zu dürfen erfüllte sie mit Glück. Jetzt war sie sich sicher selbst eine Abfuhr ertragen zu können, sollte sie sich jemals trauen ihr ihre Gefühle zu gestehen.

Nach dem Buchclub verließ die Gruppe geschlossen die Bibliothek.

"Wo warst du denn so lange?" Wollte die neugierige Kusawa von ihr wissen. Das Mädchen aus dem Jahrgang unter ihr war immer gut gelaunt, aber auch fleißig und Alexandra schätzte, sie war wohl der Innbegriff einer guten japanischen Tochter.

"Mein Vater war mit uns ein paar Tage verreist und ... ich musste noch ein paar persönliche Dinge klären", unbewusst warf sie dabei einen Seitenblick auf Akagi neben ihr, doch dieser schien das nicht aufzufallen.

"Wir hoffen, dass du jetzt wieder öfter dabei sein kannst", fügte Honda noch hinzu und verabschiedete sich dann von der Gruppe, weil er in eine andere Richtung musste. Kusawa schloss sich ihm an, da sie in der selben Straße wohnte. Die drei anderen gingen erst mal ein Stück zusammen, bis sich Alexandra dann von den beiden Mädchen verabschiedete um ihren Heimatkurs einzuschlagen.

"Bis zum nächsten Mal, Akagi-san, Fuji-san", sie verneigte sich vor ihnen und verließ sie dann.

"Es heißt Yuriko-chan!" Rief ihr die jüngste noch hinterher und winkte ihr zum Abschied. Sie mochte es nicht von anderen nur bei ihrem Familiennamen genannt zu werden. Mit einem Blick auf Akagi sagte sie, "Es ist schön, dass sie wieder da ist. Irgendwie hat was gefehlt, nicht wahr Ritsuko-senpai?"

"Ja, du hast recht", gab diese zur Antwort und lächelte seicht, "Es ist wirklich schön."
 

Zuhause angekommen wirkte Alexandra so glücklich und gut gelaunt wie eh und je. Ihre Mutter und ihr Bruder sahen sich fast schon verdutzt an und schließlich wollte Thomas wissen, "Na, wie war's denn? Du wirkst ja äußerst gut gelaunt", er grinste sie dabei an, aber sie wusste, dass er sich ehrlich darüber freute.

"Gut", antwortete sie knapp und legte ihre Tasche beiseite, "Nein, es war toll. Es hat gut getan mal wieder in den Buchclub zu gehen."

"Und äh ... das Problem?" Bohrte er vorsichtig nach, "Ist es ... weg? Oder hast du es geklärt?"

"Nein, noch nicht", sie klang irgendwie erleichtert, "aber es ist viel besser geworden. Da war ... eigentlich nur Freude." Sie setzte sich an den Esstisch und ihre Mutter brachte ihr ein Glas Wasser.

"Hast du vor es ihr zu sagen? Oder ist die Situation für dich jetzt so in Ordnung?" Wollte sie von ihrer Tochter wissen.

Diese nahm einen Schluck Wasser und legte dann den Kopf schief, während sie für einen Augenblick nachdachte, "Für den Moment ist es okay, glaube ich, aber vielleicht kümmere ich mich nach den Ferien darum. Ich warte, wie es sich entwickelt."

Die restlichen Ferien ging Alexandra wieder regelmäßig in den Buchclub und das Gefühl der Freude, wenn sie Akagi sah, überwog deutlich. Sie hatte das Gefühl, sich ihr langsam wieder auf einem normalen Level annähern zu können. Da waren immer noch Herzklopfen und Nervosität, aber kein schwummeriges Gefühl und vor allem keine Übelkeit mehr; es war wie sie sich Verliebtsein immer vorgestellt hatte. Auch Akagi schien ihr gegenüber wieder etwas offener zu sein. Offenbar hatte sie es wirklich auf Alexandras Unwohlsein geschoben, dass diese ihr gegenüber so seltsam gewesen war.

Anfang September ging die Schule wieder los und Alexandra freute sich sehr darauf wieder mehr Zeit in der Nähe des anderen Mädchens verbringen zu können. Sie wollte noch ein wenig abwarten und würde dann vielleicht ihren ganzen Mut zusammenkratzen um ihr ihre Gefühle zu gestehen.

"Wenn du Hilfe brauchst, lass es mich wissen", hatte ihr Bruder ihr angeboten. Er würde schon dafür sorgen, dass seine Schwester irgendwie zum Zug kam. Sie war ihm dankbar für das Angebot, aber sie musste sich erst mal im Klaren darüber werden wie und in welcher Situation sie Akagi überhaupt das alles gestehen konnte. Darüber machte sie sich jeden Abend, wenn sie im Bett lag, Gedanken. Es gab natürlich einige Momente, in denen sie mit Akagi mal allein war, aber war das so eine gute Idee? Sie beschloss sich auf ihr Bauchgefühl zu verlassen, denn zu viel nachzudenken, hatte ihr bisher nicht viel in der Sache geholfen.
 

13. September 2000 - Tokyo, Japan

"Heute werde ich es machen", sagte Alexandra bestimmt, während sie mit ihrem Bruder auf dem Weg zur Schule war.

"Echt jetzt?" Er war erstaunt, dass sie das Thema so plötzlich anschnitt, denn bisher hatte sie nicht viel mit ihm und ihrer Mutter darüber geredet, seit sie das Gespräch in der Küche geführt hatten; und die beiden hatten sie ihren Gedanken überlassen.

"Ja", antwortete sie ihm fest, "ich hab jetzt lang genug darüber nachgedacht und ich bin mir mit meinen Gefühlen absolut sicher. Selbst wenn sie danach nie wieder was mit mir zu tun haben will, möchte ich mein Herz einfach von dieser Last befreien."

"Das finde ich gut", er klopfte ihr auf den Rücken und grinste fröhlich. Er selbst war zwar ein viel umschwärmter Junge bei den japanischen Mädchen, aber verliebt hatte er sich noch in keines.

Alexandra wartete also den Vormittagsunterricht ab und beobachtete ihre Sitznachbarin immer wieder aus dem Augenwinkel. Als es dann zur Mittagspause läutete und alle Schüler den Raum verließen, blieben nur Akagi, die noch mit ihrem Unterrichtsmaterial beschäftigt war, und die Zwillinge zurück. Alexandra ging zu ihrem Bruder und zischte ihm zu, "Ich glaube, eine bessere Gelegenheit als jetzt bekomme ich nicht, verzieh dich", sie knuffte ihn mit dem Ellbogen leicht in die Seite.

"Alles klar, ich warte am Geräteschuppen im Garten auf dich, falls was sein sollte", antwortete er, erhob sich und klopfte ihr auf die Schulter. Er warf Akagi noch einen Blick zu, die ihn erwiderte, weil ihr das Getuschel der Geschwister nicht entgangen war, und dann wieder auf ihr Heft hinunter sah.

Alexandra atmete tief durch, drehte sich um und ging forschen Schrittes auf den Tisch des anderen Mädchens zu.

"Hey, Akagi-san", sagte sie und irgendwie klang es grober, als es sein sollte.

Akagi sah auf, lächelte und antwortete, "Was kann ich für dich tun, Kaiser-san?" Der angespannte Blick auf Alexandras Gesicht entging ihr nicht und sie überlegte wie sie ihn zu deuten hatte. Sie hatte sich nach wie vor eher etwas zurück gehalten, seit Alexandra sich so seltsam verhielt. Sie hatte sich zwar darüber gefreut, dass das deutsche Mädchen in den Ferien wieder zum Buchclub gekommen war, aber sie hielt ihre Freude darüber gut versteckt. Gespannt, was das Mädchen mit den blauen Augen nun von ihr wollen könnte, sah sie sie aufmerksam an.

Alexandra blickte auf die sitzende Schülerin hinab und sofort verkrampfte sich in ihr alles. Ein dicker Klos saß plötzlich in ihrer Kehle.

"Ich ähm ...", stammelte sie, "a-also ... eigentlich ... nanka ...", sie zögerte und die Worte blieben ihr im Hals stecken. Akagi sah sie fragend aber durchaus geduldig an, sie spürte offenbar das Unwohlsein des anderen Mädchens und schwieg deswegen, außerdem wusste sie, dass Alexandra in Unterhaltungen oft länger überlegen musste, bevor ihr die passenden Worte einfielen.

Alexandra blickte auf den Boden vor der anderen Schülerin, "Entschuldige, e-es ist Nichts!" Sagte sie schnell und wollte eben weggehen, doch plötzlich schien es, als setzten ihre Gedanken aus und ihr Körper mache sich selbstständig. Sie lehnte sich nach vorne, stützte sich mit der linken Hand auf dem Pult ab, legte die Rechte an Akagis Wange, zog sie näher zu sich und küsste sie auf den Mund. Obwohl der Kuss höchstens einen Herzschlag lang anhielt kam es ihr viel länger vor. Sie trennte sich von den weichen Lippen des überrumpelten Mädchens, sah ihr in die grünen Augen und schluckte den Klos hinunter. Dann stammelte sie, "A-aishite i-imasu! Ich liebe Dich!"

Dann trat sie einen Schritt zurück, lief puterrot an und murmelte, "D-das wollte ich dir nur sagen", dann machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Zimmer. Akagi hatte gar keine Chance mehr gehabt noch was zu antworten, so schnell war alles gegangen, doch das Mädchen war sowieso überrumpelt von der Tat und der direkten Rede des des langhaarigen Mädchens. Sie blieb erst mal eine ganze Weile sitzen, starrte auf die Tür des Klassenzimmers und ihre rechte Hand berührte sanft die Lippen, die gerade geküsst worden waren. Ihr Kopf färbte sich rot und sie schlug beschämt die Hände vor das Gesicht.

Alexandra rannte den Flur entlang, die Treppe hinab und aus dem Gebäude. Schnell verschwand sie im Schulgarten und hielt auf den Geräteschuppen zu, wo ihr Bruder auf sie wartete.

"Na, wie lief's?" Wollte er fröhlich wissen.

"Ich hab sie geküsst!" Brach es aus seiner Schwester japsend hervor, "Einfach geküsst!"

Verdattert blickte er sie an, "Ja und sonst? Hat sie was gesagt? Spann mich nicht so auf die Folter!"

"Nein, es ging alles so schnell", stammelte seine Schwester auf Deutsch. "Ich hab sie geküsst und ihr gesagt, dass ich sie liebe, und dann ... dann bin ich einfach abgehauen. Ich hab die Anspannung nicht mehr ausgehalten!"

"Was!?" Thomas sah sie perplex an und packte sie an den Oberarmen, "Da raffst du allen Mut zusammen und gestehst ihr deine Liebe und dann wartest du nicht mal auf die Antwort!? Mensch, Schwesterherz! Schnell, geh zurück bevor alle wieder da sind."

"Ich kann nicht", sie blickte ihn ängstlich an, "Ich glaube, ich muss mich übergeben vor Aufregung. Oder sterben. Oder beides!" Sie presste die Hand auf den Mund und ein paar Tränen traten in ihre Augen.

Er schüttelte sie sanft, "Alexandra Kaiser! Reiß dich zusammen, das ist die Chance deines Lebens, verpass sie nicht!" Als sich ihre Blicke trafen fühlte es sich so an, als würden sämtliche Zuversicht und jeglicher Mut ihres Zwillingsbruders auf sie übergehen.

Sie nahm die Hand vom Mund und blickte ihn fest an, "Ja, du hast recht. Wenn nicht jetzt, wann dann?"

"So ist's recht! Los, schnapp sie dir!" Er ging mir ihr zum Gebäude zurück und die Treppen hoch, trat aber nicht mit in das Zimmer ein.

Akagi saß an ihrem Tisch, hatte gerötete Wangen und räumte mit fahrigen Fingern auf ihrem Tisch ihre Schulsachen hin und her. Sie blickte auf, als Alexandra den Raum betrat und ihre Blicke trafen sich. Sofort wurden beide Mädchen rot bis über beide Ohren.

"Ah, eto, Kaiser-san ...", murmelte sie und erhob sich. Alexandra trat langsam auf sie zu, sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte und beschloss dem anderen Mädchen erst mal die Initiative zu überlassen. Doch bevor diese etwas sagen konnte, drang ein summendes Geräusch an die Ohren der beiden Mädchen. Akagi stutzte, zog aus ihrer Schultasche ein Handy und blickte darauf.

"Meine Mutter ...? Moment bitte Kaiser-san, da muss ich ran gehen", es schien ihr zu widerstreben, aber schließlich hob sie mit einem entschuldigenden Blick ab. Das Gespräch war kurz und Akagi antwortete nur knapp mit "Ja Mutter" und "Mach ich sofort".

Nachdem sie aufgelegt hatte stopfte sie das Handy zurück in die Schultasche und begann auch ihre Bücher und Hefte hastig einzupacken.

"Es tut mir leid, ich muss jetzt gehen. Lass uns ... morgen reden, okay?" Damit stürmte sie aus dem Raum.

Alexandra fragte sich, ob der Anruf echt gewesen war. Akagi ging nie früher nach Hause oder kam später, sie hatte auch noch nie so hektisch gewirkt wie eben, allerdings war ihr auch sicher noch nicht so was widerfahren, wie vorhin. Alexandra hatte durchaus Verständnis dafür, sie war ja auch einfach abgerauscht nachdem sie ihr das hingeknallt hatte.

Doch es gab für dieses Gespräch kein morgen. Die Lautsprecher der Schule fiepten und knackten plötzlich und dann erscholl eine Durchsage.

"Liebe Schülerinnen und Schüler, bitte begebt euch sofort nach Hause zu euren Familien. Soeben wurde uns eine Notfallmeldung übermittelt und alle Schüler und das Personal sollen nach Hause gehen."

Alexandra blickte ungläubig auf den Lautsprecher, ihr Bruder rüttelte sie am Arm und half ihr, ihre Sachen zusammen zu packen, "Los, lass uns abhauen, das klingt irgendwie gruselig."

Sie nickte, schulterte ihren Rucksack und gemeinsam liefen sie auf dem schnellsten Weg nach Hause.

"Tut mir leid, dass es mit Akagi nicht mehr zu einer Aussprache kam", sagte ihr Bruder auf dem Heimweg.

"Ja, mir auch ...", japste sie als Antwort. Einerseits fühlte sie sich jetzt elend, aber andererseits hatten beide Mädchen jetzt nochmal einen Aufschub vor dem Gespräch.

Als sie fast zuhause waren hörten sie Helikopterlärm und eine Schwadron flog über sie hinweg, dem Horizont entgegen.

Kaum waren sie zur Tür rein, wurden sie schon von ihrer Mutter in Empfang genommen, "Gott sei dank, seid ihr da! Eben kam ein Anruf von eurem Vater. Am Südpol muss was schreckliches passiert sein, seine Firma hatte dort wohl auch Leute gehabt und jetzt wollen sie erst mal alles Personal und deren Familien in Sicherheit wissen. Die Schule fällt also auch erst mal aus." Mit zitternden Händen umarmte sie ihre Kinder.
 

Die nächsten Tage starrte die ganze Welt gebannt auf den Südpol und das Ausmaß der Katastrophe. Was wirklich geschehen war, erfuhr man aus der Presse nicht, es hieß es wäre eine Explosion, oder ein Meteoriteneinschlag gewesen; ein dort anwesendes Forscherteam war komplett dabei getötet worden. Später wurde diese Katastrophe als Second Impact betitelt und veränderte die Welt in den nächsten Monaten bedenklich. Die Polarkappe war geschmolzen und dadurch der Wasserspiegel weltweit angestiegen. Daraufhin entbrannten Kriege um die bewohnbaren Flächen auf der Erde, so auch in Japan. Am 20. September fielen große Teile der Stadt einem Rauchbombenangriff zum Opfer, der viele Menschen das Leben kostete, noch mehr verletzte und die Hälfte von Tokyo in Trümmern zurück ließ.

Die Menschen brachten sich, so gut es ging, in Schutzräumen in Sicherheit und harrten der Dinge, doch auch dort brachen Auseinandersetzungen um Platz und Versorgung aus. Alexandra und ihre Familie saßen ebenfalls in einem dieser Bunker, weil sie nicht wussten wohin sie sonst sollten; von der Firma ihres Vaters hatte sich seit dem 13. September niemand mehr gemeldet. Die Familie hatte Glück gehabt, denn ihr Haus war nicht betroffen gewesen, aber als sie bei den Auseinandersetzungen in den Bunker flüchteten, mussten auch sie alles, bis auf ein kleines Handgepäck, zurück lassen.

Alexandra hatte furchtbare Angst, dass Akagi unter den Opfern der Auseinandersetzungen sein könnte, oder auch die anderen Schüler, die sie inzwischen lieb gewonnen hatte, doch sie behielt diesen Kummer für sich um ihre Familie nicht zusätzlich zu belasten.

Die Tage vergingen und sie dachte schon, sie würden nie wieder das Tageslicht erblicken, als irgendwann ein Mann in Anzug und Sonnenbrille auftauchte, ihren Vater beiseite nahm und sich leise mit ihm unterhielt. Alexandra konnte beobachten wie ihr Vater heftig gestikulierte und am Ende schließlich nickte, dann kam er zu ihnen zurück und murmelte ihnen leise zu, ihre Sachen zu packen und mitzukommen; der Mann im Anzug wartete etwas abseits.

"Was ist los, Papa?" Fragte Alexandra geistesgegenwärtig auf Deutsch.

"Der Mann arbeitet für die selbe Firma wie ich und meinte, dass Dr. Akagi und andere Leiter derzeit versuchen ihre Mitarbeiter ausfindig zu machen; offenbar brauchen sie uns dringen" antwortete er ihr leise.

"Im ernst jetzt?!" Entfuhr es ihr, "Hier geht grad alles den Bach runter und die versuchen ihre Firma am Laufen zu halten?!" Aber ihr Herz machte einen Satz, denn wenn Dr. Akagi noch am Leben war, dann sicher auch ihre Tochter; würde sie sie also doch wiedersehen?

"Psst!" Macht er und blickte ihr scharf in die Augen, "Keine Ahnung, was da genau läuft, aber es muss was Größeres sein. Wir haben jedenfalls die Zusicherung in einen eigenen Bunker zu kommen, der extra für die Firmenangestellten erbaut wurde und ich finde, da sollte man nicht meckern", er duldete keine Widerworte mehr, stand auf und zog sie am Arm grob auf die Beine.

Gemeinsam klaubten sie ihr weniges Hab und Gut zusammen und folgten dem Mann aus dem Bunker. Draußen wartete ein Helikopter. Sie stiegen alle ein, der Helikopter hob mit dem ohrenbetäubendem Lärm seiner Rotoren ab und brachte die Familie aus dem Gebiet von Tokyo weg. Nach einer kurzen Flugzeit landete der Helikopter an einer Stelle, die ziemlich leer wirkte und es eher nach Lagerhallen, als nach einem Bunker aussah.

"Papa, bist du sicher, dass die von deiner Firma sind und uns hier nicht einfach die Organe rausschneiden? Seit wann hat ne Computerfirma bitte solche Mittel und Wege ...", murmelte Alexandra pessimistisch, doch ihr Vater ignorierte ihren Einwand.

Sie betraten mit den Männern aus dem Helikopter die Lagerhalle und von dort führte eine Bunkertür in die Tiefen der Erde. Auf den Gängen war es totenstill und sie kamen an vielen Sicherheitstüren vorbei. In einem Fahrstuhl ging es tiefer unter die Erde und einen weiteren Gang entlang. Schließlich blieb der Mann, der sie abgeholt hatte, vor einer dieser Türen stehen, öffnete sie mit einer Schlüsselkarte, die er dann ihrem Vater überreichte und verneigte sich dann vor ihnen, bevor er verschwand.

Sie betraten den Raum, der spärlich mit Betten, einem Tisch, einer Küchenzeile und einem kleinen abgeteilten Bad mit Dusche und Toilette ausgestattet war.

"Tja, das ist dann wohl erst mal unsere Bleibe", seufzte ihr Vater erleichtert und sah sich um, "Ich werde mich direkt frisch machen, denn sicher muss ich heute noch irgendwo antreten." Und so war es auch. Kaum hatte er geduscht und sich was frisches angezogen klopfte es an der Tür und ein Mann holte ihn für ein Gespräch ab.

Alexandra hatte derweil den Raum etwas inspiziert. Die Küche war mit haltbaren Lebensmitteln bestückt und es ließen sich einfache Gerichte kochen. Die eingebauten Schränke des Raumes, die an den Wänden entlang liefen, waren mit einigen Overalls, Jeans und einfach T-Shirts sowie Pullovern gefüllt worden. Zwar waren es fast alles Einheitsgrößen und auf den meisten prangte ein seltsames Logo, das Alexandra an ein menschliches Hirn erinnerte, aber jeder von ihnen fand etwas passendes und so durften sie nach schier endlosen Tagen im Bunker in saubere Kleidung schlüpfen. Alexandra fiel eben erst auf, wie wenig sie das bisher wertgeschätzt hatte; ebenso ein Bett. Auf selbiges warf sie sich jetzt und sank fast sofort in einen tiefen traumlosen Schlummer.
 

4. Oktober 2000 - Bunker unter Hakone, Japan

Alexandra erwachte aus ihrem Schlaf und fühlte sich sogar halbwegs erholt. Sie sah auf die Uhr und stellte fest, dass sie mindestens zehn Stunden geschlafen haben musste. Ihre Mutter und ihr Bruder schliefen noch und ihr Vater war nicht da.

Von dem was sie jetzt gesehen - oder eben nicht gesehen - hatte, vermutete sie, dass alle Räume an denen sie vorbeigekommen waren mit Familien besetzt waren, von denen wohl jemand hier arbeitete. Doch was war das für eine seltsame Firma, die es sich leisten konnte einen ganzen unterirdischen Bunker für dutzende Menschen zu bauen? Irgendwie kam Alexandra das komisch vor und sie nahm sich vor, ihren Vater danach zu fragen, wenn er wieder da war. Sie wollte Klarheit über seine Arbeit und die jetzige Situation haben, schließlich wollte sie nicht wieder nur unter der Erde vegetieren; auch wenn hier Platz und Angebot deutlich besser waren, als in einem der öffentlichen Schutzbunker. Sie wollte gewiss nicht undankbar sein, aber man musste ja wissen woran man war.

Nach einer Weile erwachten auch die beiden anderen aus dem Schlaf und gemeinsam warteten sie auf die Rückkehr des Vaters. Irgendwann öffnete sich die Tür mit einem leisen Zischen und er trat ein. Er sah müde und auch etwas entnervt aus. In Alexandra machte sich ein schlechtes Gewissen breit, weil sie ihn unbedingt ausquetschen wollte, aber sie wollte die Wahrheit wissen; sofern er selbst sie tatsächlich wusste. Sie wartete geduldig, bis er im Bad gewesen war und sie gemeinsam am Tisch beim Essen saßen.

"Papa", begann sie vorsichtig und stocherte etwas lustlos in dem Fertigessen, das ihnen zur Verfügung stand, "was genau macht deine Firma eigentlich? Ich meine ... wieso ist es ihnen so wichtig ihre Mitarbeiter hier zu versammeln? Wo genau sind wir hier und was passiert jetzt mit uns?"

Ihr Vater seufzte und legte die Gabel weg. Er hatte mit so etwas gerechnet und sich bereits darauf eingestellt zumindest seiner Tochter bald auf viele Fragen antworten zu müssen. Seine Frau nahm meist einfach schweigend hin was geschah und unterstützte ihn mental und sein Sohn machte sich zwar viele Gedanken, sprach sie aber eher selten aus, sofern es nicht nötig war. Doch seine Tochter war da anders, sie war forsch und geradlinig; wie er. Er lächelte in sich hinein, weil er wieder mal feststellte wie ähnlich sie ihm war.

"Es hat sich viel getan seit dem 13. September; nicht nur an der Oberfläche", begann er und legte die Handflächen aneinander, "Ich versuche es so gut zu erklären, wie es mir möglich ist, denn bis zu einem gewissen Grad unterliege ich einer Schweigepflicht", er blickte sie reihum an, "Wir können uns glücklich schätzen, die kriegerischen Auseinandersetzungen überlebt zu haben und dass GEHIRN uns ausfindig gemacht hat."

"Gehirn? Wer oder was ist das?" Unterbrach ihn Alexandra.

"So nennt sich die Firma jetzt, zu der ich gehöre. Wir befinden uns unter Hakone, ein Stück entfernt von Tokyo, hier ist das Hauptquartier von GEHIRN."

"Okay und was genau tut diese Firma?" Wollte seine Tochter wissen.

"Ich kann nicht auf Details eingehen, aber meine Abteilung arbeitet unter Dr. Akagi an einem Super-Computer, der die Welt der Technik verändern soll. Mehr kann und darf ich nicht sagen", fügte er hinzu.

"Na gut und was sollen wir jetzt hier tun? Was ist da oben passiert und wie soll es weitergehen?" Alexandra sorgte sich nach wie vor um die Sicherheit von Akagi und den anderen, aber die Chancen standen gut, dass jemand von ihnen hier war.

Ihr Vater zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück, "Zuerst müssen die Streitkräfte die Lage da oben wieder in Ordnung bringen, es hat viele Tote gegeben und die Sache am Südpol wird auch ihre Spuren hinterlassen. Hier sollten wir relativ sicher sein, es gibt genug Wasser und Konserven und es wird sich bemüht für die Kinder schnell eine Art Schule einzurichten. Ich versuche noch in Erfahrung zu bringen in wie weit ihr euch hier unten frei bewegen dürft, aber spätestens wenn ihr in eine Schule sollt, müssen ja Räume dafür zur Verfügung gestellt werden. Ich hoffe, das befriedigt dich erst mal."

Alexandra nickte langsam und versuchte das Erfahrene erst mal abzuspeichern. Der Rest des Essens verlief schweigsam und ihr Vater legte sich danach sofort schlafen. Seine Tochter tigerte etwas unstet durch ihre neue Bleibe und versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Wenn sie ehrlich war, war ihr die Firma in erster Linie egal, sie wollte Akagi sehen, oder zumindest wissen, ob es ihr gut geht, aber dafür musste sie hier raus. Ihr war bewusst, dass dies ein ziemlich egoistischer Wunsch war, aber sollte sie demnächst sterben müssen, dann würde sie wenigstens gern die Chance haben zuvor noch mit dem Mädchen zu reden, in das sie verliebt war.

Nach einer viel zu kurzen Ruhezeit klingelte der Wecker ihres Vaters und er erhob sich um wieder an die Arbeit zu gehen. Zwischen Tür und Angel schob er sich noch was zu Essen zwischen die Zähne und verschwand dann wortlos. Alexandra fragte sich, ob sie ihn verärgert hatte, aber sie fand ihre Fragen nach der Aktion vom Vortag durchaus für gerechtfertigt. Vielleicht ging es sie Nichts an was GEHIRN für eine Firma war, aber die Sache mit dem Helikopter und den Bunkern blieb für sie doch etwas dubios.

Ihre Mutter, ihr Bruder und sie versuchten das beste aus den Tagen im Bunker herauszuholen, auch wenn ihnen kaum etwas einfiel. Ihre Mutter überbrückte die Zeit meist damit die Wäsche etwas zu säubern oder das Essen bestmöglich aufzupeppen. Ihr Bruder war dazu übergegangen sich mit Liegestützen, Sit-Ups und anderen Übungen fit zu halten. Sie hingegen hatte lediglich ihr letztes Leseprojekt im Rucksack, das sie natürlich bereits beendet hatte, und ihr Notizbuch. Sie begann sich Notizen zu den Ereignissen zu machen und ihre Gedanken irgendwie auf's Papier zu bringen, doch allein daran zu denken wieviele Menschen da draußen gestorben waren sorgte bei ihr für Übelkeit.

Als ihr Vater am vierten Tag von der Arbeit kam hielt Alexandra es nicht mehr aus. Sie stürmte auf ihn zu und bat ihn darum raus zu dürfen.

Er blickte sie etwas perplex an, "Ich wusste gar nicht, dass du unter Klaustrophobie leidest."

"Das ist es nicht, aber mir fällt hier drin die Decke auf den Kopf", rief sie leicht aufgebracht und sah ihn flehend an, "Ich möchte einfach ein bisschen raus, bitte!"

Er schenkte ihr einen mitleidigen Blick und legte die Hand auf ihren Kopf, "Ich weiß, du bist immer gern draußen gewesen, aber im Moment kannst du nicht an die Oberfläche; wir wissen nicht was da aktuell los ist ..."

"Aber du sagtest doch, dass wir vermutlich wenigstens hier unten bald etwas Freigang kriegen sollen."

"Jaaa", antwortete er gedehnt, "aber ich hab keine Ahnung wann das sein wird."

"Bitte Papa, frag nach, ich werd noch wahnsinnig hier drin", flüsterte sie und in ihren Augen glitzerte es leicht.

Er schloss sie in die Arme und murmelte ihr ein Versprechen in's Ohr, dann ließ er sie wieder los und ging in das kleine Bad um sich frisch zu machen.
 

Zwei weitere Tage musste sich Alexandra noch gedulden bis ihr Vater heim kam und ihr eine Schlüsselkarte für den Bunker überreichte, auf der ihr Name sowohl in Lateinischen Buchstaben, als auch in Katakana stand. Als sie danach griff, hielt er die Karte fest und blickte seiner Tochter ernst in die Augen, "Ich habe mein Wort gegeben, dass du nicht irgendwo rumstöberst, wo du nicht auch sein solltest." Sie nickte sofort, doch er ließ die Karte immer noch nicht los, "Es gibt eine kleine Bibliothek, die dir gefallen könnte. Du musst den Gang ein Stück zurück laufen und dort den Fahrstuhl zur nächsten Ebene nehmen. Diese Karte sichert dir den Zugang zu unserem Raum und ein paar öffentlichen Räumen, mehr nicht. Verlauf dich nicht und bleib nicht zu lange weg, damit Mama und ich uns keine Sorgen machen müssen", dann ließ er die Karte endlich los und sie hielt sie wie einen kleinen Schatz in ihren Händen.

"Ich versprech's!" Rief sie und fiel ihm um den Hals, "Danke Papa!"

"Schon gut, ich glaube andere Familien haben die selben Probleme, es gab auch für sie solche personalisierten Karten", und damit wandte er sich seiner Frau und seinem Sohn zu und überreichte auch ihnen ein Karte mit ihrem Namen darauf. Seiner Frau erklärte er, wo sie das Lager mit den Vorräten fand und dass sie sich vom Chef des Lagers ihre wöchentlichen Rationen abholen durften, ebenso gab es wohl einen großen Raum zum Wäsche waschen. Thomas bekam den Weg zu einem kleinen Fitnessraum erklärt und wo sich ein öffentlicher Hobbyraum befand.

"Die Sache mit dem Unterricht ist noch in der Klärung, aber das soll sich wohl auch bald lösen", fügte er abschließend an seine beiden Sprösslinge hinzu und ließ sich dann auf einen der Stühle am Tisch fallen, "So, jetzt bin ich müde von der Arbeit und von euch."

Alexandra drückte ihm schwungvoll einen Kuss auf die Wange, "Danke Papa, du bist der Beste!"

"Ja, ja, schon gut", murmelte er und machte dann eine wedelnde Handbewegung in Richtung Tür, "Nun haut schon ab ihr Nervensägen."

Das ließen sich seine Kinder nicht zweimal sagen und schon waren sie aus der Tür verschwunden. Gemeinsam schauten sie sich erst den Hobbyraum und den Fitnessraum an und machten sich dann auf den Weg zur Bibliothek.

"Gruselig, wie wenig hier los ist, oder?" Sagte Thomas gedämpft und sah über die Schulter den langen Gang hinunter.

"Vielleicht ändert sich das ja jetzt, wenn alle Familien ihre Schlüsselkarten und Genehmigungen bekommen", antwortete seine Schwester, aber auch ihr war der schummrige Gang mit dem hohlen Geräusch von Schuhsohlen nicht geheuer und es lief ihr direkt ein Schauer über den Rücken.

Der Raum, den ihr Vater als kleine Bibliothek beschrieben hatte, war rechteckig, wirkte ziemlich steril und hatte ein paar Schwerlastregale mit Büchern, sowie ein paar Stühlen und Tischen darin. Aber trotzdem war es das schönste, was Alexandra seit dem 13. September zu sehen bekam. Sie stöberte etwas durch die Regale und entschied sich dann für ein Buch. Neben der Tür hing ein Klemmbrett mit einem Kugelschreiber, auf dem man sich eintragen musste. Als sie ihren Namen und den Titel des Buches auf die Liste schrieb stach ihr der einzige andere Name, auf der sonst noch leeren Liste, in's Auge: Fuji Yuriko.

<Sie ist auch hier!? Wie schön! Das bedeutet, es müsste ihr gut gehen>, sie grinste in sich hinein, weil die ebenso buchverrückte 12jährige wohl auch als einziges nur die Bibliothek im Kopf gehabt hatte. Sie war sich sicher, dass sie sich bald hier treffen würden.

Mit ihrer neuen Leihgabe unter dem Arm machten sich Alexandra und ihr Bruder auf den Weg zurück zu ihrem Raum. Dort erzählten sie ihrer Mutter leise, um ihren Vater nicht zu wecken, was sie alles vorgefunden hatten. Diese freute sich, dass ihre Kinder jetzt wenigstens ein bisschen Ablenkung finden konnten.

13. Oktober 2000 - Bunker unter Hakone, Japan

Nachdem sie jetzt ihre Schlüsselkarte und die Erlaubnis hatte, sich in bestimmten Bereichen aufzuhalten, stromerte Alexandra öfter durch die unheimlichen Gänge, in der Hoffnung auf jemanden zu treffen, den sie kannte, auch wenn ihrer Mutter das nicht so ganz behagte. Ihr Vater und die anderen Mitarbeiter schufteten jetzt noch mehr als zuvor und so kam sie nicht dazu ihn nach Dr. Akagis Tochter zu fragen, doch sie blieb optimistisch sie vielleicht irgendwo zu treffen.

Auf ihren Streifzügen durch die Gänge traf sie so endlich auf Fuji und freute sich das Mädchen zu sehen.

"Fuji-san? Bist du das?" Rief sie ihr zu und als das Mädchen sie erkannte, wurden ihre Augen groß und sie kam auf sie zu.

"Kaiser-senpai! Ich hab mich also doch nicht verlesen auf der Liste in der Bibliothek. Wie schön dich gesund zu sehen!" Sie freute sich aufrichtig, jemanden zu treffen, den sie kannte. Dann fügte sie leicht tadelnd hinzu "Du sollst mich doch Yuriko-chan nennen."

Alexandra lächelte, "Okay, Yuriko-chan. Aber dafür nennst du mich bitte auch beim Vornamen, bei uns ist es nicht üblich sich permanent mit dem Nachnamen anzusprechen und ich kann mich nur schwer daran gewöhnen."

Das Mädchen blickte zerknirscht, "Aber der ist so schwierig auszusprechen. Areku- nein, Areksandora-senpai."

Alexandra lachte, "Ja fast, aber das ist schon in Ordnung, ich danke dir", dann wurde sie ernst, "Sag mal, hast du jemanden vom Buchclub getroffen? Weißt du ob es ihnen gut geht? Ob es ... Akagi-san gut geht?"

Das Mädchen griff ihren verzweifelten Blick auf und schüttelte traurig den Kopf, "Nein, tut mir leid, von Ritsuko-senpai weiß ich gar nichts. Ich glaube die Familie von Satoshi-senpai hat die Stadt verlassen und Hana-senpai wurde verletzt, sie liegt auf der Krankenstation, wo meine Mutter arbeitet, und wird gut versorgt", als sie den verängstigten Blick und die Tränen in den Augen der älteren Schülerin bemerkte, die krampfhaft versuchte sich zu beherrschen, nahm sie vorsichtig ihre Hand und fügte hinzu, "Keine Sorge, ihre Mutter hat hier doch eine leitende Position, sie hat sicher dafür gesorgt, dass Ritsuko-senpai in Sicherheit ist."

Alexandra nickte nur, sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und weinte leise. Sie drückte die Hand des Mädchens dankbar.

"Du hast sie wirklich gern, nicht war?"

Wieder nickte Alexandra nur. Die beiden Mädchen standen eine ganze Weile schweigend in dem schummrigen Korridor des Bunkers. Nur wenige Leute gingen in dieser Zeit an ihnen vorbei und niemand beachtete sie groß, alle waren durch die Geschehnisse traumatisiert.

Als Alexandra sich ein wenig beruhig hatte, meinte Yuriko "Komm, wir besuchen Hana-senpai auf der Krankenstation. Sie wird sich freuen, dich zusehen Kai- ähm ... Areksandora-senpai."

"Ja, lass uns gehen", Alexandra war dem jüngeren Mädchen sehr dankbar für den stillen Beistand, auch wenn ihr vermutlich gar nicht klar war, wie viel Akagi ihr bedeutete.

Um zur Krankenstation zu kommen mussten sie durch einige Gänge laufen und mit dem Fahrstuhl in tiefere Ebenen vordringen, dafür ernteten sie von manchen Mitarbeitern kritische Blicke, doch niemand sagte etwas.

Sie traten vorsichtig ein und eine Krankenschwester erkannte Yuriko direkt, "Hallo, wollt ihr zu Hana-chan?" Ihr Blick fiel auf die geröteten Augen von Alexandra und besorgt fügte sie hinzu, "Oder geht es euch nicht gut?"

Alexandra schüttelte sachte den Kopf und Yuriko sagte an ihrer Stelle, "Nein, alles gut, danke. Wir möchten Hana-senpai besuchen."

"Dann ist ja alles gut", die Schwester lächelte die beiden an, "Du weißt ja wo sie liegt, geht einfach zu ihr."

Und das taten sie auch. Das andere Mädchen lag in einem großen Raum, voller Betten, die lediglich durch Vorhänge voneinander abgetrennt waren.

"Hana-senpai, ich bin's", sagte Yuriko leise, "dürfen wir reinkommen?"

"Ja, gerne", tönte die Stimme dumpf von der anderen Seite, "Aber wer ist wir?"

Die beiden traten durch den Vorhang und als Kusawas Blick auf Alexandra fiel hellte er sich auf, "Kaiser-senpai, was für eine schöne Überraschung!"

"Hallo Kusawa-san, ich hoffe, du bist nicht all zu schwer verletzt?"

Sie winkte ab, "Ich hab mir das Bein gebrochen, das heilt schon wieder. Ich bin nur froh, wenn ich endlich wieder aufstehen darf. Hier ist es ziemlich langweilig. Und bitte, nenn mich doch Hana, wir kennen uns jetzt doch schon eine Weile. Darf ich dich auch beim Vornamen ansprechen?" Fragte sie direkt.

"Äh ...", Alexandra war überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel und der Vertrautheit des anderen Mädchens, "ähm, klar, gerne, wenn du möchtest."

"Na dann, Areksandora-san", sagte sie grinsend.

Alexandra grinste etwas verlegen zurück, räusperte sich und deutete dann auf den kleinen Stapel an Büchern neben ihrem Bett, "Immerhin kannst du lesen, gegen die Langeweile."

"Stimmt", sie lachte, "das würde mir noch fehlen! Aber erzähl, wie ist es dir ergangen? Ist mit deiner Familie alles gut?" Wollte sie ernst wissen.

Die ältere Schülerin nickte "Ja, uns geht es gut, danke. Wir sind in einem der Wohnräume untergebracht, aber mein Vater muss viel arbeiten. Und mir fällt langsam die Decke auf den Kopf, deswegen schlendere ich manchmal durch die Gänge, in der Hoffnung jemanden zu treffen; und so traf ich auf Yuriko-chan", sie warf der Jüngsten einen dankbaren Blick zu.

Hana nickte, "Das kann ich sehr gut verstehen. Aber wir können uns glücklich schätzen hier sein zu dürfen, draußen muss es echt übel sein ..."

Die drei schwiegen einen Augenblick und jede hing ihren eigenen Gedanken nach.

"Na ja, hoffen wir, dass sich die Lage bald bessert", brach Hana das Schweigen und meinte dann an die Jüngste gewandt, "Und, was liest du gerade?"

"Oh, ich habe in der kleinen Bibliothek eine Ausgabe von Goethes Faust entdeckt und sie mitgenommen."

Alexandra hob anerkennend die Augenbrauen "Ein ganz schön schwieriges Buch für eine 12jährige, oder?"

Yuriko bleckte die Zähne, "Ich bin schlauer als ich aussehe."

"Natürlich bist du das, sonst wärst du doch nicht im Buchclub" hielt Alexandra grinsend dagegen. Dabei fand sie gar nicht, dass das andere Mädchen in irgendeiner Art dumm aussah. Sie trug ihr halblanges Haar zu zwei schmalen Zöpfen geflochten und eine Brille, für Alexandra war das irgendwie der Inbegriff von Schlauheit.

Yuriko hob den Zeigefinger, "Sehr gut erkannt, Areksandora-senpai!" Die älteren beiden mussten lachen, aus der Kleinen würde sicher mal ein sehr kluger Kopf werden.

Nach einer Weile der halblauten Unterhaltungen mit Hana machten sich Alexandra und Yuriko wieder auf den Weg zurück zu den Wohnräumen; Alexandra befürchtete, dass ihre Mutter sich schon zu viele Sorgen machen würde. Sie war froh sowohl Yuriko als auch Hana in halbwegs munterem Zustand angetroffen zu haben, so kannte sie hier unten wenigstens noch jemanden und fühlte sich nicht ganz so einsam.

"Das war schön, mal wieder zusammen zu sitzen und über Bücher zu reden, oder?" Fragte Yuriko sie auf dem Rückweg.

"Ja, das war es", Alexandra war tatsächlich etwas erleichtert, zumal die Gemüter von Yuriko und Hana ungebrochen gut zu sein schienen, "Sollen wir versuchen uns regelmäßig zu treffen und den Buchclub ein wenig aufleben zu lassen, während wir hier unten gefangen sind?" Sie rang sich für die Jüngere ein Lächeln ab.

"Sehr gern", Yuriko strahlte sie an, "Sobald Hana-senpai wieder aufstehen darf können wir uns in der Bibliothek oder einem unserer Wohnräume treffen. Du hättest doch nichts dagegen?"

Alexandra schüttelte den Kopf, "Keines falls, ich würde mich sehr freuen."

Auf dem Gang kamen ihnen zwei Gestalten entgegen und beim Näherkommen erkannten sie Akagi, die neben einer Frau her schritt. Alexandras Gesicht hellte sich auf und ihr Schritt beschleunigte sich unbewusst.

"Akagi-san! Es geht dir also gut, bin ich froh!" Platzte es aus ihr heraus, ohne die Frau neben dem Mädchen zu beachten. So groß war ihre Freude, das Mädchen wieder zu sehen, das sie die letzten vier Wochen vermisst und um das sie so gebangt hatte.

Doch Akagi schenkte ihr nur einen knappen Blick und antwortete "Ja, danke, es geht mir gut." Sie nickte dem jüngeren Mädchen ebenfalls zu, grüßte es mit Namen und wandte dann den Blick wieder nach vorne um neben der Frau Schritt zu halten.

Alexandra glaubte, ihr Herz würde stehen bleiben. Sie konnte nicht einordnen, ob Akagi sie so abweisend behandelte, weil sie ihr damit klarmachen wollte, dass sie die ihr entgegengebrachten Gefühle nicht erwiderte, oder ob es an der allgemein angespannten Situation lag. Doch wie dem auch sei, ihr Herz hatte einen kleinen Sprung bekommen und als sie aus ihrer Starre erwachte überrollten sie Angst, Verzweiflung und Enttäuschung, die sich in einem wütenden Schlag mit der Faust gegen die Stahlwand des Ganges entluden.

"Areksandora-senpai!" Yuriko schien sichtlich erschrocken über diese Reaktion, doch dann erkannte sie die Tränen auf den Wangen des älteren Mädchens und sie griff mitfühlend nach Alexandras anderer Hand um sie sanft zu drücken. Sie sah Akagi und der Frau nach, die sich kurz umgedreht hatten um herauszufinden, was das Geräusch ausgelöst hatte, bevor sie sich wieder auf ihren Weg machten. "Komm, Senpai, ich begleite dich zu deinem Wohnraum" wisperte sie Alexandra zu und führte sie weg.
 

"Wer war das?", fragte die Frau das Mädchen, als sie außer Hörweite der beiden anderen Schülerinnen waren.

"Mitglieder aus dem Buchclub" antwortete diese knapp.

"Das eine Mädchen schien sehr aufgebracht wegen dir zu sein", kommentierte die Frau die Szene.

"Wenn du meinst, Mutter."

"Interessiert dich gar nicht warum?"

Das Mädchen schwieg.

"War sie aus deiner Klasse?"

"Ja, ihr Vater arbeitet für dich", antwortete das Mädchen.

Die Frau hob die Augenbrauen, "Also wohl einer von Dr. Kaisers Zwillingen. Warum war sie so wütend?"

Wieder schwieg ihre Tochter und gemeinsam gingen sie weiter den Gang hinunter.
 

Yuriko brachte Alexandra bis zu ihrem Wohnraum und als Thomas ihnen die Tür öffnete verneigte sich die jüngere Schülerin und verabschiedete sich.

"Gute Besserung, Areksandora-senpai", murmelte sie noch etwas zerknirscht, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer eigenen Bleibe machte.

"Was meinte sie?" Wollte ihr Bruder wissen und bemerkte erst jetzt, dass seine Schwester schwieg und gerötete Augen hatte. Mit einem Seufzen legte er ihr liebevoll die Hand auf den Kopf und gemeinsam traten sie in den Bunker.

"Na endlich! Ich hab mir schon Sorgen gemacht!" Ihre Mutter zeterte, doch Thomas brachte sie mit einem sanften Kopfschütteln zum Schweigen. Er führte seine Schwester zu ihrem Bett und setzte sich neben sie.

"Ist alles okay?" Murmelte er leise und Alexandra nickte halbherzig. Eigentlich wollte sie jetzt gar nicht hier sein, sie wollte ihre ganze Frustration und Wut irgendwo rausschreien, doch ihre Mutter war nicht bereit sie nochmal gehen zu lassen. Also beteiligte sie sich schweigend am Abendessen und legte sich dann auf ihr Bett, doch sie tat die ganze Nacht keine Auge zu.

Am nächsten Morgen stand sie vor den anderen auf und beschloss den Fitnessraum aufzusuchen, vielleicht gab es dort ja einen Boxsack, oder ähnliches, wo sie sich etwas austoben konnte. In den Gängen war es schummrig und leer, wie meistens, und sie hörte lediglich das Tappen ihrer Schuhsohlen auf den Metallplatten. Im Fitnessraum angelangt entdeckte sie tatsächlich einen Boxsack, doch da noch ein jüngerer Mann im Raum war beherrschte sie sich. Sie grüßte ihn leise und zog es dann vor auf dem Laufband zu rennen. Sie war zwar nicht super sportlich, aber auch keine Couchkartoffel, jedoch hatte sie nach zwanzig Minuten das Gefühl, ihre Lunge würde kollabieren und sie müsse sich übergeben. Also stieg sie ab und rang erst mal mit rotem Kopf nach Luft.

"Am Anfang sollte man es nicht gleich übertreiben", meinte der Mann lächelnd zu ihr und warf sich sein Handtuch über die Schulter, "Lass es langsam angehen. Aber Sport ist eine gute Methode um Dampf abzulassen", fügte er noch hinzu und verabschiedete sich dann.

Kaum war er aus dem Raum inspizierte sie den Boxsack und gab ihm einen kleinen Probeschlag mit der Faust. Er war härter, als es den Anschein hatte und jetzt verstand sie, warum die Leute immer mit Handschuhen daran trainierten. Aber sie hatte keine, also musste es so gehen. Sie ballte die Fäuste fixierte das rote schwankende Ding und verpasste ihm ein paar Schläge. Obwohl sie das Gefühl hatte recht fest zuzuschlagen pendelte der Sack kaum stärker als zuvor und sie kam schnell außer Puste. Das ärgerte sie. Sie ärgerte sich über sich selbst, über ihre Schwäche, über ihre Wut und sie ärgerte sich auch ein wenig über Akagi. Sie Szene vom Vorabend kam ihr wieder in den Sinn. Die ganze Nacht hatte sie deswegen nicht schlafen können. Sie verstand nicht, warum sie sie mit Nichtachtung strafte. Wenn sie nichts für sie empfand und die zarten Freundschaftsbande nun in Trümmern lagen, dann wollte sie darüber wenigstens Klarheit haben und versuchen damit abzuschließen.

Alexandra schlug immer härter auf den Boxsack ein und schrie sich die Wut aus dem Bauch, doch es sorgte nur dafür, dass sie müde wurde und ihre Hände schmerzten. Schließlich sank sie an dem Sportgerät hinunter und die Tränen begannen zu laufen.

Sie weinte und weinte, bis sie irgendwann sanft an der Schulter berührt wurde. Als sie sich beschämt umblickte sah sie ihrem Bruder entgegen.

"Was machst du denn hier?" Fragte er sie, "Mama hat sich schon Sorgen gemacht, als du nicht da warst."

Sie weinte einfach weiter und war nicht fähig zu antworten. Er nahm sie schweigend in den Arm und gemeinsam saßen sie auf dem Boden des Trainingsraumes, bis Alexandra sich etwas beruhigt hatte.

"Komm, wir gehen heim", murmelte er ihr zu und entdeckte dann ihre geröteten und verschrammten Hände.

"Heim ...", sie sprach das Wort fast etwas verächtlich aus, sagte aber nichts weiter.

Er half ihr schließlich auf und schweigend machten sie sich auf den Weg zu ihrem Wohnraum. Dort angekommen musste sich Alexandra von ihrer Mutter erst mal gehörig den Kopf waschen lassen, aber sie ließ es geduldig über sich ergehen. Nach ihrem Wutanfall im Trainingsraum und der Heulattacke danach, war sie einfach zu müde um noch großartig was zu erwidern. Ihr Bruder holte derweil etwas Eis für ihre Hände aus dem Gefrierfach des Kühlschranks und danach Verbandszeug um die Hände zu bandagieren.

"So ist es besser", sagte er schließlich, als er fertig war, "das wird schon wieder."

Alexandra schwieg und setzte sich auf ihr Bett, lehnte den Kopf an die Wand und starrte zur Zimmerdecke.

Was sollte sie jetzt tun? Wie sollte sie Akagi das nächste Mal begegnen? Einfach ignorieren konnte sie sie nicht, dafür hatte sie in den letzten Wochen zu sehr gelitten. Sie wollte sich aussprechen und wenn Akagi dann der Meinung war, dass sie in Zukunft lieber getrennte Wege gehen sollten, dann würde sie das akzeptieren; glaubte sie zumindest. Sie würde dann alles versuchen um ihr nicht mehr zu begegnen, das schwor sie sich.

Irgendwann musste sie über ihrer Grübelei eingenickt sein, denn sie erwachte vom Klappern der Töpfe und des Geschirrs, als ihre Mutter das Abendessen für sie zubereitete. Durch den Zugriff auf das Lager war ihre Mutter an ein paar andere Lebensmittel gekommen und sie konnte jetzt kleine Köstlichkeiten zaubern, die ihrer Familie tatsächlich ein wenig Heimat vermittelten. Das brachte das Mädchen zum Lächeln und sie raffte sich von ihrem Bett auf, setzte sich an den Tisch und bot ihrer Mutter ihre Hilfe an. Mit dem Schneiden von Gemüse konnte sie sich etwas ablenken und gleichzeitig freute sie sich schon auf das Essen.

Nach dem Kochen und Essen beschloss Alexandra nochmal die Bibliothek aufzusuchen, vielleicht traf sie dort ja wenigstens auf Yuriko. Das Mädchen hatte ihr mehr geholfen, als es vermutlich ahnte. Und vielleicht hatte sie ja Glück und traf Akagi, sie wollte unbedingt Klarheit haben, auch wenn es weh tun sollte. Wieder zog sich in ihr etwas zusammen, diesmal war es schmerzhaft und sie hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen.

<Verdammt, warum muss mein Magen immer rebellieren, wenn ich nervös bin ...>, murrte sie in sich hinein und versuchte das Gefühl hinunterzuschlucken.

Als hätte es das Schicksal so gewollt traf sie auf dem Gang zur Bibliothek auf Akagi. Diese war jedoch nicht allein, sondern wieder in Begleitung der Frau und auch zwei Männer mit Anzügen und Sonnenbrillen waren bei ihnen. Das wirkte schon seltsam genug, so dass Alexandra stehen blieb und das Mädchen mit den rotbraunen Haaren fest an sah. Akagi trug ein Outfit, das der Schuluniform recht ähnlich war, dabei fiel Alexandra auf, dass sie das Mädchen noch nie in einer Hose gesehen hatte; sie trug immer Röcke. Im Gegensatz zu ihr, schien ihr das nichts auszumachen.

"Akagi-san, bitte lass uns reden", sagte sie und das andere Mädchen blickte sie fast etwas erschrocken an. Alexandra meinte auch eine leichte Röte auf ihren Wangen zu sehen, doch sie antwortete nicht und schritt mit den anderen an ihr vorbei. Also rief Alexandra ihr nach, "Ich meinte ernst, was ich in der Schule zu dir sagte. Und das einzige was ich jetzt möchte, ist Klarheit!"

Akagi blickte zu ihr zurück und zögerte einen Augenblick; jetzt war Alexandra sich sicher, dass sie gerötete Wangen hatte. Das Zögern nahm Alexandra als Anlass, ihr nachzulaufen, doch die Frau nickte den beiden Männern zu und während der eine Akagi mit sanftem Druck weiter schob kam der andere auf Alexandra zu um sie am Weiterlaufen zu hindern.

"Hey, was soll das? Lassen Sie mich durch!" Sagte sie zu dem Mann und blickte suchend an ihm vorbei, doch er blieb hartnäckig in ihrem Sichtfeld. Also versuchte sie sich an ihm vorbeizudrängen, wurde von ihm jedoch grob zurückgehalten.

"Akagi-san hat keine Zeit, stör sie nicht" sagte er nur.

"Lassen Sie mich los!" blaffte sie, riss sich aus seinem Griff und versucht an ihm vorbeizurennen. Sie konnte Akagi etwas entfernt sehen. Sie blickte zu ihr zurück, wurde aber unaufhaltsam weitergedrängt.

"Akagi-san!" Rief sie dem Mädchen nach und kassierte, für ihren Versuch vorbei zu kommen, von dem Mann einen groben Schlag in die Seite, der sie mit einem Ächzen auf die Knie sinken ließ. Schließlich hatte er die Geduld mit ihr verloren, nahm ein Paar Handschellen hervor, hatte Alexandra mit einem gezielten Griff zu Boden gebracht und ihr hinterrücks die Schellen angelegt.

"Hey! Das können Sie nicht machen! Lassen Sie mich los!" Schrie sie und wandte sich auf dem Boden, doch sein Knie auf ihren Schulterblättern hielt sie erbarmungslos zu Boden gedrückt. "Akagi-san!" Rief sie noch einmal und das andere Mädchen blickte immer noch über die Schulter zu ihr zurück. Sie erkannte das Zögern, aber auch, dass das Mädchen weiter gedrängt wurde. Die Frau in dem Laborkittel hatte sie am Arm genommen und zog sie mit.

"Wie ist dein Name, Mädchen? Ich bringe dich in dein Quartier", sagte der Mann und zog sie am Arm auf die Knie.

"Ich will mit Akagi-san reden!" Antwortete sie nur bockig.

"Wie du willst", seufzte er, warf sie sich über die Schulter und trug sie den Gang lang, auf den Fahrstuhl zu. Währenddessen schimpfte sie wie ein Rohrspatz in sämtlichen Sprachen, derer sie mächtig war und zappelte ohne Unterlass.

"Hör auf dich zu wehren Mädchen, sonst muss ich dich k.o. schlagen", murrte der Mann. Alexandra war sich sicher, dass er es nicht tun würde und ignorierte ihn, und sie sollte Recht behalten.

Sie fuhren mit dem Fahrstuhl tiefer hinab, als sie es bisher getan hatte und dort öffnete er eine metallene Tür. Es war ein karger Raum aus Eisenplatten, der von einer einzelnen kleinen Lampe schwach beleuchtet wurde und außer einem Stuhl befand sich nichts darin. Auf diesem setzte er sie unsanft ab, ging wieder hinaus und verriegelte die Tür. Alexandra war so verdattert gewesen, dass sie nicht mal reagiert hatte, bis die Tür verschlossen war, dann sprang sie wütend auf, rannte zur Tür und warf sich probehalber mit der Schulter dagegen.

"Hey, was soll der Scheiß!?" Schrie sie, doch die Antwort des Mannes, auf der anderen Seite, konnte sie nicht verstehen, es drang lediglich unverständliches Gemurmel zu ihr durch.

Sie tobte und schrie noch eine Weile, bis sie müde wurde und es aufgab, dass der Mann die Tür wieder öffnen würde. Sie bezweifelte, dass er überhaupt noch da war. Alexandra ließ sich, so gut es mit gefesselten Händen möglich war, auf den Stuhl fallen und starrte an die schummerige Decke des Raumes.

In ihrem Kopf wiederholten sich sämtliche Szenen mit Akagi, erst ihr Geständnis in der Schule, dann das kühle Wiedersehen am Vortag und schließlich das heutige Treffen. Alexandra war aufrichtig froh zu sehen, dass es Akagi gut ging, aber offenbar erwiderte sie ihre Gefühle nicht. Damit musste sie sich jetzt wohl abfinden. Es tat mehr weh, als sie geglaubt hatte. Und sie hasste sich selbst dafür, die Freundschaft zerstört zu haben. Ihr Kopf fuhr Karussell und sie schloss für einen Moment die Augen.
 

Sie wusste nicht wieviel Zeit vergangen war und ob sie zwischendrin mal eingenickt war, doch sie vernahm dumpf das Öffnen der Tür und murmelnde Stimmen.

"Warum trägt sie Handschellen?" Die Stimme klang vorwurfsvoll.

"Es tut mir leid, aber sie wollte nicht kooperieren", hörte sie die Antwort, "Da sie mir nicht sagen wollte, in welchem Quartier sie lebt, habe ich sie hier untergebracht um ihre Angehörigen zu-"

"Schon gut", wurde er abgewürgt, "Nehmen Sie ihr die Handschellen ab. Bitte!"

Schweigend trat jemand zu ihr und entfernte die Handschellen. Dann verließ die Person den Raum und sie hörte wie sich die Tür wieder schloss.

"Die Behandlung tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es so laufen würde ...", sprach die erste Stimme zu ihr. Sie klang warm und vertraut, "Geht es dir gut, Kaiser-san?"

Als sie den Kopf hob stand Akagi an der Tür, lächelte sie etwas wehmütig an und kam dann langsam auf sie zu.

"Du ...?" Murmelte Alexandra müde, "Aber warum ...?"

"Ich wollte mich eigentlich mit dir unter vier Augen unterhalten, aber es gab bisher keine Gelegenheit. Meine Mutter gab mir schließlich die Möglichkeit, nachdem ich hörte, dass du hier festgehalten wirst", sie blickte sie entschuldigend an.

"Deine Mutter ...?"

"Ja, die Frau, die du bei mir gesehen hast." Als Alexandra schwieg und sie aus leicht apathischen Augen ansah fuhr sie fort, "Es freut mich, dich hier zusehen, eto ... also nicht hier", sie deutete auf den Boden unter ihren Füßen, "aber hier im Bunker allgemein, meine ich. Ich war nicht sicher, ob deine Familie ebenfalls hier her kommen würde, oder ob ...", sie brach ab und ihr Blick fiel auf Alexandras bandagierte Hände, "Ist das von heute? Der Mann vom Sicherheitsdienst hat dich doch nicht so verletzt, oder?" Sie klang bestürzt und kniete sich vor das Mädchen auf den Boden, nahm vorsichtig ihre Hände in die eigenen. Sie schwieg eine Weile und blickte auf den Verband, bevor sie schließlich weitersprach, "Weißt du noch, dass ich in der Schule zuletzt zu dir sagte, dass wir darüber reden werden? Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat."

"Und jetzt bist du hier ... um mir zu sagen, dass ich dumm war, nicht wahr?" Sagte Alexandra leise und blickte ihr wehmütig in die grünen Augen, "Ja, dumm war ich. Ich habe dich mit meinen Gefühlen überrumpelt, dich einfach geküsst und gehofft, dass du das Selbe fühlen würdest ...", Tränen rannen wieder aus ihren Augen und tropften auf die Hände des anderen Mädchens, das immer noch sanft die ihren hielt. Sie schluchzte, "Es tut mir leid, dass ich dich so bedrängt habe. Ich habe dich in eine Situation gebracht und dir dann nicht mal die Möglichkeit gegeben darauf zu reagieren. Natürlich musst du mich hassen."

"Hassen? Nein, ich hasse dich nicht", antwortete Akagi sanft, "Wäre ich hier, wenn ich dich hassen würde? Wäre ich hier, wenn es mir nicht etwas bedeuten würde? Noch nie hat mir jemand so was gesagt, wie du an diesem Tag. Noch nie hat mich jemand ... geküsst ... Aber ..." sie unterbrach ihren Redeschwall schüchtern.

"Aber du erwiderst meine Gefühle nicht, ich versteh schon", murmelte Alexandra traurig und zog ihre Hände aus dem sanften Griff des anderen Mädchens zurück, "Ich wünschte, wir könnten einfach wieder Freunde sein ..."

"Das wünsche ich mir nicht ..." sagte Akagi sanft, "Nein, ich ...", doch weiter kam sie nicht, da sich hinter ihr die Tür geräuschvoll öffnete. Die Frau, mit der sie unterwegs gewesen war, steckte den Kopf herein und blickte sie leicht missbilligend an.

"Ritsuko, bist du endlich fertig? Ich habe noch viel zu tun", wie um die Aussage zu unterstreichen, blickte sie auf ihre Armbanduhr, "Wenn sie sich wieder beruhigt hat, darf sie gehen."

Akagi stand auf, "Einen Moment noch bitte, Mutter", sie klang nachdrücklich, blieb aber höflich wie eh und je. Ihre Mutter schaute kritisch zu den beiden Mädchen und ehe sie die Tür wieder schließen ließ, fügte sie hinzu, "Zwei Minuten."

Akagi blickte Alexandra entschuldigend an, "Es läuft einfach Nichts, wie es soll. Meine Mutter ist leider immer in Eile." Sie atmete einmal ein und aus um sich zu sammeln und sagte schließlich, "Ich habe mir lange überlegt was ich dir sagen will, aber jetzt wo es so weit ist ... na ja, dann ist es doch anders, als gedacht", wieder eine kleine Pause, dann fuhr sie fort, "Es hat mich sehr gefreut, was du in der Schule zu mir gesagt hast. Und auch was du getan hast ..." sie brach ab, sah etwas beschämt zu Boden und Alexandra bemerkte im schummrigen Licht einen roten Schimmer auf ihren Wangen.

Ihr Herz klopfte plötzlich wie wild und sie glaubte schon, es würde gleich stehen bleiben. Sie erhob sich endlich von dem Stuhl und starrte das andere Mädchen an.

"Bitte sag mir die Wahrheit, Akagi-san, ich kann Ungewissheit nicht ertragen", flehte sie fast schon.

Das andere Mädchen blickte ihr schüchtern in die Augen. Bei dem Anblick, dem sich ihr bot machte Alexandras Herz einen kleinen Sprung.

Erneut atmete das andere Mädchen tief durch, bevor sie sich zu einer finalen Aussage durchrang, "Ich ... empfinde ebenso für dich ..." Sagte sie so leise, dass Alexandra es kaum verstehen konnte. Akagis Gesicht lief jetzt komplett rot an und sie sah auf den Boden, nicht mehr fähig dem Blick des blauäugigen Mädchens standzuhalten. "Ich gebe zu, ich war von deinem Geständnis sehr überrascht, Kaiser-san, vor allem weil es ... sehr direkt war, aber es hat mich auch sehr glücklich gemacht, diese Worte aus deinem Mund zu hören", murmelte sie, "M-mir war nicht klar, dass ich genauso für dich empfinde, bis zu diesem Moment ... So-sofern du noch so empfindest ..." fügte sie hinzu.

"Das tu ich!" Kam es wie aus der Pistole aus Alexandra geschossen und sie griff nach den Händen des Mädchens, das sie erschrocken an sah, "I-ist das ... wahr? Du empfindest ebenso ...?" Fragte sie ungläubig und das andere Mädchen nickte beschämt. Auf Alexandras Gesicht breitete sich ein Lächeln aus und es war ihr, als wäre eine Last von ihrem Herzen gefallen.

Erneut öffnete sich die Tür und Dr. Akagi steckte den Kopf herein, "Wir müssen jetzt wirklich los. Verabschiede dich bitte und komm." Sie duldete keinen Aufschub mehr.

Akagi zog ihre Hände sanft aus denen des langhaarigen Mädchens und sah sie entschuldigend an, "Du wirst gleich zu eurem Wohnraum gebracht und ... wir sehen uns bald wieder, ich verspreche es. Bis bald, Kaiser-san ..." murmelte sie ihr noch schnell zu, dann verschwand sie aus dem Raum und aus Alexandras Blickfeld.

Auf den Wink des Mannes im Anzug trat sie vor den Raum und sah wie sich Mutter und Tochter Akagi entfernten, "Bis bald ... Akagi-san", rief sie ihr schüchtern hinterher und sah, wie sich das andere Mädchen nochmal nach ihr umdrehte.
 

"Bist du jetzt zufrieden?" Fragte Dr. Akagi ihre Tochter.

"Ja. Danke Mutter", gab diese zurück und drehte sich nach Alexandra um, weil diese ihr eine Verabschiedung hinterher gerufen hatte.

"Verrätst du mir jetzt, was es mit dem Mädchen auf sich hat und warum du so dringend mit ihr sprechen wolltest?" So wie sie das sagte, wusste Ritsuko, dass ihre Mutter ein Nein nicht akzeptierte.

"Sie hat mir in der Schule ihre Liebe gestanden", sagte sie darum sanft, wenn auch nicht besonders laut.

Dr. Akagi hob die Augenbrauen, blickte erst ihre Tochter an und warf dann ebenfalls einen Blick zurück auf das Mädchen, das auf dem Gang stand, "So? Und du?"

"Ich liebe sie ebenfalls" murmelte das Mädchen.

"Aha", sagte die Frau unverbindlich und damit schritt sie weiter den Gang entlang, "Komm jetzt, wir haben genug Zeit verloren."

"Ja Mutter", antwortete sie und folgte ihr. Ihre Mutter war wie immer pragmatisch was Liebesdinge anging, aber auf Ritsukos Gesicht war dennoch ein verträumtes Lächeln zu erkennen.

In den letzten Wochen waren ihre Gedanken immer wieder um das Mädchen mit den blauen Augen und dessen klare Ansage in der Schule gekreist. Ein Missverständnis war bei den Worten, die sie benutzt hatte, eigentlich nicht möglich, deswegen war sich Ritsuko ziemlich sicher gewesen, was das deutsche Mädchen ihr zu verstehen gegeben hatte.

Zuerst hatte sie nicht so recht gewusst was sie damit anfangen sollte und der Schock über diese Tat überwog über allen anderen Gefühlen, doch dann hatte sie in sich hineingehorcht und gemerkt, dass sie diese Gefühle teilte. Es war ihr peinlich gewesen und in dem Chaos der letzten Zeit war es oft unter gegangen, doch wenn sie nachts im Bett lag und zur Ruhe kam dachte sie wieder an das Mädchen. Sie musste sich eingestehen, dass ihre Gefühle für Alexandra tiefer gingen, als nur Freundschaft. Und jetzt verstand sie auch, warum sie sich so abgewiesen und verletzt gefühlt hatte, als das langhaarige Mädchen sie etwas gemieden hatte. Sicher war es ihr genauso ergangen und sie hatte nur versucht ihre Gefühle zu sortieren.

Als Akagi an diesem Abend in ihr Bett sank, stieß sie einen erleichterten Seufzer aus. Jetzt konnte sie mit dem Mädchen endlich über alles sprechen, hoffte sie.

15. Oktober 2000 - Bunker unter Hakone, Japan

Es war bereits nach Mitternacht, als Alexandra in den Wohnraum ihrer Familie zurück gebracht wurde, ihr Vater war bereits da und beruhigte ihre aufgelöste Mutter.

"Wo warst du, junges Fräulein!?" Sagte er nur schwer beherrscht, dann fiel ihm der Mann im Anzug auf. Sofort wandelte sich sein Ärger in Besorgnis, "Ist etwas passiert?"

Alexandra blickte den Mann verschwörerisch an, der sich in diesem Moment verabschiedete und die Familie sich selbst überließ; in Familienangelegenheiten brauchte er sich nicht einzumischen.

An ihren Vater gerichtet sagte Alexandra kleinlaut, "Ich hatte eine Unterhaltung mit Akagi-san, ähm ... ich meine ... mit Ritsuko Akagi. Also ... der Tochter deiner Chefin."

"Und warum zu so später Stunde? Und warum hast du Nichts gesagt? Deine Mutter war krank vor Sorge!"

"Es tut mir leid, es war nur ..." Alexandra kam in's Schlingern. Sie wollte ihre Familie nicht anlügen, aber sie wollte auch nicht ihr Innerstes vor ihnen ausbreiten.

Ihre Mutter trat auf sie zu und nahm sie fest in den Arm, "Konntest du endlich regeln, was du schon so lange regeln wolltest?"

Alexandra nickte nur und merkte wie sie errötete.

"Was denn regeln?" Ihr Vater verstand gar nicht um was es ging. Also fasste Alexandra kurz zusammen, was in der Schule passiert war, ohne jedoch den Kuss zu erwähnen, und dass sie jetzt die Chance gehabt hatte sich endlich mit dem Mädchen, das sie liebte, auszusprechen. Die Details mit dem chancenlosen Kampf gegen den Mann und die eiserne Tür ließ sie unter den Tisch fallen.

"Sie wollte nur ungestört mit mir reden können", beendete sie ihre Ausführungen.

Ihr Vater blinzelte sie an, "Du liebst dieses Mädchen also? Ich meine, so richtig?" Alexandra nickte schüchtern. Ihr Vater schüttelte den Kopf, aber sie las kein Missfallen in der Geste, "So ist das also. Was für ein Chaos. Du hast deiner Mutter einen riesigen Schrecken eingejagt und dein Bruder und ich waren ebenfalls krank vor Sorge, als du so lange weg warst."

"Es tut mir wirklich leid, ich wollte nicht, dass das so ausufert", entschuldigte sie sich und verneigte sich unwillkürlich tief vor ihrer Familie.

Thomas nahm sie liebevoll in den Schwitzkasten und ließ die Knöchel auf ihrem Kopf tanzen, "Schwesterchen, du hast es ja faustdick hinter den Ohren!"

"Heeey, lass mich los!" Doch ihr erboster Ausruf ging in ein befreiendes Lachen über.

"Heißt das jetzt", ihr Bruder zog ihr Ohr an seinen Mund, "dass zu mit ihr zusammen bist?"

Alexandra errötete und rieb sich verlegen die Stelle, die ihr Bruder eben mit seinen Knöcheln bearbeitet hatte, "Ähm ... ich bin nicht sicher. So ein Wortlaut fiel nicht, aber ... ich weiß jetzt, dass sie meine Gefühle erwidert."

"Na, das klingt dann aber schon stark so, finde ich", er grinste sie breit an und entließ sie aus dem Klammergriff.

Ihre Mutter nahm sie erneut in den Arm, die Sorge um die Tochter fiel von ihr ab und sie freute sich gleichzeitig darüber, dass ihre Tochter es geschafft hatte ihre Liebesdinge zu klären.

Ihr Vater seufzte, "Na wenn dann jetzt alles geklärt ist, können wir endlich schlafen gehen; ich muss morgen wieder früh raus."

"Danke Papa, und tut mir leid, dass ihr meinetwegen Stress hattet", Alexandra gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange, als er sich auf das Bett der Eltern setzte.

"Schon gut Kleines", er rieb sich verlegen über den Schnauzer, "Jetzt aber ab in's Bett mit dir!"
 

Am nächsten Morgen klopfte es zaghaft an die Bunkertür der Familie und als Alexandra öffnete stand Yuriko davor. Sie verneigte sich tief und sagte, "Guten Morgen Areksandora-senpai, hättest du Zeit und Lust mit mir und Hana-senpai eine Runde zu Lesen und zu Diskutieren?"

"Zeit? Oh bitte, ja! Zeit hab ich hier wirklich mehr als genug!" Alexandra stöhnte, aber sie lachte direkt. Zu ihrer Mutter gewandt meinte sie auf Deutsch, "Darf ich Mama? Ich bleib auch nicht so lange weg."

Ihre Mutter verzog erst das Gesicht, aber dann gab sie nach, "Na schön, aber schau, dass du zum Mittagessen wieder da bist; und keine Eskapaden", fügte sie schmunzelnd an. Sie hatte den Vorfall von gestern noch nicht ganz verdaut, aber sie versuchte ihrer Tochter die mögliche Freiheit hier unten zu lassen. Mit einem Lächeln schnappte sich Alexandra ihr Buch und ihre Notizen und folgte dem jüngeren Mädchen aus der Tür.

"Hana-senpai wurde gestern entlassen, ich habe ihr vorgeschlagen, sie in ihrem Bunker zu besuchen, damit sie sich nicht gleich mit dem Laufen überanstrengt", der Blick des jüngeren Mädchens fiel auf die Bandagen an Alexandras Händen, "Oh, was ist denn mit deinen Händen geschehen?"

Alexandra ließ sie verlegen in den Hosentaschen verschwinden, "Ach, nur ein kleiner Sportunfall", dann wechselte sie schnell das Thema, "Es ist eine sehr gute Idee uns mit Hana-san bei ihr zu treffen", Alexandra nickte. Nachdem sie eine Weile schweigend durch die Gänge gelaufen waren ergriff die Ältere erneut das Wort, "Ich wollte dir noch für neulich danken, Yuriko-chan. Du hast mir wirklich sehr geholfen, das werde ich dir nie vergessen."

Yuriko errötete leicht, "Ach was, das hab ich doch gern gemacht", sie kratzte sich etwas verlegen an der Wange, dann fügte sie vorsichtig an, "Darf ich dich etwas fragen, Areksandora-senpai? Geht es dir besser? Du wirkst heute viel fröhlicher. Also, das finde ich natürlich gut, aber na ja, du weißt vielleicht was ich sagen will."

"Ja, das weiß ich", Alexandra nickte, "Und ja, es geht mir besser; viel besser."

"Oh, dann hast du dich also mit Ritsuko-senpai ausgesprochen?"

Schlagartig wurde Alexandra rot, "W-woher weißt du- ... ich meine ..."

Yuriko kicherte, "Warum wirst du denn so verlegen Senpai? Ich meine nur, es wirkte, als hättet ihr einen Streit gehabt und heute bist du wieder so vergnügt, deswegen frage ich."

"Ein Streit war es nicht, nein, aber ... na ja, wir haben geredet, ja", antwortete die Ältere etwas ausweichend.

"Dann ist es ja gut. Mein Opa sagt immer, Kommunikation sei sehr wichtig und ich glaube er hat recht", Yuriko klang vergnügt. Manchmal wirkte sie wie eine normale 12jährige und dann wiederum hatte man das Gefühl sich mit jemandem zu unterhalten der dreimal so alt war.

Beim Wohnraum von Hanas Familie angekommen klopften sie und wurden von Hana selbst eingelassen, die mit Krücken zur Tür gehumpelt kam um ihr gegipstes Bein zu schonen.

"Es ist schön, dich raus aus dem Krankenabteil zu sehen, Hana-senpai", grüßte Yuriko sie.

"Wem sagst du das", sie humpelte zurück zu ihrem Bett und ließ sich etwas ungelenk darauf fallen, "Schließt bitte die Tür und macht's euch einfach irgendwo bequem. Bedient euch bei den Getränken, ich kann's leider nicht selbst tun."

"Schon gut, lass mich nur machen", bot sich Alexandra an und schloss die Tür mit einem Druck auf den entsprechenden Knopf. Danach holte sie aus der Küchenzeile drei Gläser und brachte aus dem Kühlschrank Saft und Wasser mit, welche sie auf dem kleinen Tisch neben dem Bett abstellte.

"Oh, wir haben übrigens gute Neuigkeiten!" Platzte es aus Yuriko hervor, "Wir haben unsere Clubleiterin gesehen, es geht ihr gut."

"Wirklich? Ihr habt Ritsuko-senpai getroffen? Wo ist sie?" Wollte Hana wissen.

Yuriko sah auffordernd zu Alexandra und diese erzählte von der flüchtigen Begegnung auf dem Gang, ohne jedoch die ganze Wahrheit zu offenbaren - sie hoffte, dass das zwischen Yuriko und ihr blieb -, aber sie erzählte, dass sie Akagi am Tag darauf gesprochen hatte; das Wie, Wo und Warum ließ sie einfach weg. "Ich glaube, sie ist einfach bei ihrer Mutter", beendete sie die knappe Zusammenfassung, "sie meinte aber, dass wir uns bald wieder sehen würden."

Zugegeben, dieser Satz war Auslegungssache, aber es half die beiden Mädchen zu beruhigen; und wenn sie ehrlich mit sich selbst war, dann hatte es auf sie die selbe Wirkung.

"Es ist schön zu wissen, dass es ihr gut geht", Hana klang erleichtert.

Dann widmeten sich die drei Mädchen endlich ihren Büchern und Diskussionen. Alexandra merkte, dass ihr das richtig gut tat nach all der Sorge der letzten Zeit und sie fühlte ein kleines bisschen Normalität zurückkehren.

Auf dem Rückweg von Hana kam ihnen auf dem Gang Akagi entgegen und sofort schlug Alexandras Herz höher.

"Oh, hallo Ritsuko-senpai", rief Yuriko sofort fröhlich, "Wie geht es dir? Wir kommen eben von Hana-senpai, wir wollen den Buchclub wieder aufleben lassen."

Die Clubleiterin lächelte der jüngeren Schülerin zu, "Hallo Yuriko-chan, mir geht es gut, danke. Dir hoffentlich auch", die jüngere nickte und Akagi fuhr fort, "Das mit dem Buchclub ist toll, vielleicht kann ich auch bald dazu stoßen." Dann wanderte ihr Blick zu Alexandra, "Kaiser-san ... hast du kurz Zeit?"

Alexandra merkte, wie sie schon wieder etwas errötete, der Anblick des Mädchens löste in ihr eine Welle an Glücksgefühlen aus, "I-ich denke schon. Darf ich dich alleine zurück gehen lassen, Yuriko-chan?"

"Klar, kein Problem. Ich kenne mich hier bestens aus. Ihr habt sicher einiges zu bereden", dann verneigte sie sich vor den beiden und verabschiedete sich.

Die beiden älteren sahen sich einen Augenblick fragend an, dann sagte Akagi, "Komm bitte." Damit dirigierte sie Alexandra den Gang ein Stück zurück und öffnete dort eine Tür zu einem kleinen Raum, der den Wohnräumen nicht unähnlich war, nur eben viel kleiner.

"Yuriko-chan ist wirklich lieb. Sie hat mir letztens sehr geholfen, weißt du" meinte Alexandra, nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.

"Ja? Das ist schön", Akagi lächelte sanft, "Dieses Mädchen ist unglaublich, sie hat irgendwie ein besonderes Gespür für Menschen und ich glaube, sie hat dich in's Herz geschlossen."

"Ich sie irgendwie auch", Alexandra lachte verlegen, "Sie ist wirklich süß, und dazu hat sie echt was auf dem Kasten; eine tödliche Kombination", sie grinste.

"Mit Sicherheit", Akagi sah Alexandra an, "Ich habe die Abwesenheit meiner Mutter genutzt und gehofft, dass du hier vorbeikommen würdest. Ich hatte von Hana-chans Mutter erfahren, dass ihr euch bei ihnen im Wohnraum treffen wollt, also ..." sie ließ den Satz unbeendet und schenkte Alexandra ihr entwaffnendes Lächeln, "Ich wollte mit dir über Vorgestern sprechen ...", als Alexandra sie fragend anblickte fuhr sie fort, "Als wir uns auf dem Gang begegnet sind, meine ich ... Du warst bestimmt sehr wütend auf mich ..."

Alexandra machte eine abwehrende Geste, "Du hattest sicher deine Gründe-" "Der Grund war meine Mutter", fiel ihr Akagi sanft aber bestimmt in's Wort, "Und ich war auch total nervös, weil ich dich endlich nach all dem Chaos wieder gesehen hatte, damit hatte ich nicht gerechnet ... Und ich war erleichtert, weil ich schon das Schlimmste befürchtet hatte ... Wären wir allein gewesen, hätte ich dich sofort angesprochen, aber in Begleitung meiner Mutter ... nun ja, vielleicht war es mir auch etwas peinlich" sprudelte es aus ihr hervor.

Alexandra merkte, dass das andere Mädchen leicht zitterte und griff vorsichtig nach ihren Händen, die sie sanft drückte.

"Weißt du, ich wollte meiner Mutter keine Angriffsfläche bieten", fuhr sie sie fort, "Sie hat gern eine kontrollierte Umgebung und ein verliebter Teenager gehört sicher nicht dazu", sie lachte aufgesetzt, "Aber ich habe ihr von uns erzählt, Kaiser-san, und sie scheint erst mal Nichts dagegen zu haben" fügte sie ernst hinzu und blickte dem anderen Mädchen in die blauen Augen.

Alexandras Augen weiteten sich, "Wirklich?"

Das Mädchen mit den grünen Augen nickte und errötete, "Wissen deine Eltern ...?"

"Ja, sie wissen Bescheid. Ich hatte mit meiner Mutter schon vor den Sommerferien darüber gesprochen", Akagi zog überrascht die Augenbrauen nach oben und Alexandra lächelte verlegen, dann fuhr sie fort, "Als ich gestern Abend so spät Heim kam, gab's erst mal kurz eine Standpauke von meinem Vater, aber ... ich hab ihm erklärt worum es ging und er hat es verstanden."

Akagi blickte sie glücklich aus verlegenen Augen an, "Da bin ich aber froh" murmelte sie.

"Sind wir ...", begann das langhaarige Mädchen vorsichtig, "Ich meine ... nach gestern drängt sich mir eine Frage auf. Sind wir denn jetzt ... zusammen? Also, sind wir ein Paar, meine ich ..."

"Ich ... denke schon ... Wenn du es willst?" Antwortete Akagi schüchtern und wurde rot. Alexandra konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, dann nahm sie das andere Mädchen impulsiv fest in den Arm und drückte sie an sich. Akagi war von der Geste so überrascht, dass sie einen Moment wie versteinert stehen blieb.

"Und wie ich das will! Wie sehr hab ich mir das gewünscht", wisperte Alexandra in ihr Haar, "Du ahnst vermutlich gar nicht, wie sehr ich gelitten hab in all der Zeit."

"Gomen nasai - tut mir leid", murmelte Akagi und legte dann schüchtern die zitternden Arme um sie.

"All die seltsamen Schwindelgefühle, die Übelkeit vor Aufregung und mein ständiges Ausweichen, wenn ich auf dich traf ... all das waren Symptome dafür, dass ich mich in dich verliebt hatte. Ich hab es nur am Anfang nicht begriffen und dann brauchte ich eine Ewigkeit um dir das zu sagen, denn ich wollte mir auf jeden Fall sicher sein. Und dann noch der Unfall am Südpol und die Kämpfe ... Ich hatte solche Angst, dass ich dich nie wieder sehen würde! Und dann stehst du plötzlich vor mir ..." brach ein Schwall an Erklärung aus ihr hervor.

"Oh ...", sagte das andere Mädchen, "Und ich hatte die ganze Zeit gedacht du würdest mich nicht mehr leiden können. Ich dachte, ich hätte was falsch gemacht und da du mit mir darüber nicht reden wolltest, beschloss ich, dich in Ruhe zu lassen ... Das hatte mich sehr verletzt ... Und dann dein Geständnis ... das hatte mich überrumpelt. Damit hatte ich gar nicht gerechnet ..."

"Das wollte ich nicht, wirklich", beteuerte Alexandra und lockerte den Griff. Sie legte ihre Stirn an die des anderen Mädchens. Akagi zuckte erst kurz zurück, ließ die Berührung dann aber zu. Tränen traten in ihre Augen und als Alexandra das sah, kamen auch ihr Welche.

"Hätte ich nicht so furchtbare Angst davor gehabt, dass du mich danach nicht mehr leiden können würdest, hätte ich dir schon viel früher die Wahrheit gesagt", murmelte sie und hob zitternd eine Hand um ihr damit die Tränen weg zu wischen, dabei fuhr sie mit dem Daumen über das Muttermal, das sie schon so oft bemerkt hatte.

Akagi lächelte und es sah nach einem wahrlich glücklichen Lächeln aus, "Jetzt ist ja alles gut, Kaiser-san, und wir müssen nicht mehr in dieser Ungewissheit leben."

Alexandra sah sie leicht vorwurfsvoll an, "Bitte nenn mich nicht mehr so, das klingt furchtbar. Sag Alexandra zu mir."

"Oh ... okay, ich versuche es" gab Akagi etwas verlegen zurück.

"Darf ich dich denn jetzt auch beim Vornamen ansprechen?" Alexandra kam sich fast etwas doof vor, diese Frage zu stellen, aber man wusste ja nie.

"W-wenn du möchtest ...?" sagte das japanische Mädchen leise.

"Ritsuko-san ...", murmelte Alexandra. "Das wollte ich schon länger zu dir sagen, aber ich habe mich nicht getraut ...", entschlüpfte es ihr und sofort wurde sie rot.

Der Blick des Mädchens mit den halblangen Haaren war verlegen und als es nach unten sah fiel er wieder auf Alexandras bandagierte Hände. Sie deutete darauf und fragte vorsichtig, "Sagst du mir heute, was ist mit deinen Händen passiert ist?"

"Ach das," Alexandra trat verlegen einen halben Schritt zurück und hob eine ihrer Hände. Sie kratzte sich kurz am Kopf und lachte, "Ähm ... eine Sportverletzung." Ritsuko sah sie mit erhobenen Augenbrauen an und Alexandra merkte, dass sie sie durchschaute. Entwaffnet ließ sie die Hand sinken und steckte beide verlegen in die Hosentaschen, "Na ja, ich musste irgendwo Dampf ablassen", gab sie schließlich zu, "Nach unserem Treffen auf dem Gang war ich tatsächlich etwas ... wütend."

"Also doch" murmelte Ritsuko betreten, die sich daran erinnerte, dass das andere Mädchen gegen die Wand des Ganges geschlagen hatte.

"Nicht auf dich, falls du das denkst", stellte das langhaarige Mädchen sofort richtig, "Ich war im ersten Moment schockiert und enttäuscht, ja, und dann war ich wütend auf mich selbst, weil ich dachte, dass ich mit meinem Geständnis alles kaputt gemacht hätte. Ich dachte du würdest nie wieder ein Wort mit mir reden ..." fügte sie halblaut hinzu.

Ritsuko griff sanft nach Alexandras rechtem Arm, zog die bandagierte Hand damit aus der Hosentasche und nahm sie in ihre Linke. Alexandra ließ es geschehen und als sie Ritsukos fragenden Blick auf sich spürte fuhr sie fort, "Na ja, ich war im Trainingsraum und hab es wohl etwas übertrieben", schloss sie ihre Erklärung. Ritsuko sah an ihrem verlegenen Blick, dass sie nicht genauer ausführen wollte, was vorgefallen war.

"Es tut mir leid, dass das zu so einem Missverständnis zwischen uns geführt hat", Ritsuko blickte betreten auf die bandagierte Hand hinab.

Alexandra nahm die zweite Hand aus der Hosentasche und strich dem anderen Mädchen vorsichtig ein paar Haare hinters Ohr; etwas, das sie schon seit geraumer Zeit tun wollte, auch wenn ihre Hand jetzt vor Aufregung zitterte. Sie war sich nicht sicher wie das andere Mädchen auf die Berührung reagieren würde, aber sie konnte das Bedürfnis nicht unterdrücken. "Jetzt ist doch alles gut", sagte sie leise, "es ist keine schlimme Verletzung, das wird heilen."

"Ich hätte nie gedacht, dass Berührungen so schön sein können ...", murmelte Ritsuko mit geschlossenen Augen und schmiegte ihre Wange an die Hand des anderen Mädchens, "Bisher hielt ich zu allen Menschen einen gewissen Abstand. Einerseits aus Anstand und Etikette, anderseits aus Furcht und ... Einsamkeit."

"Jetzt bist du nicht mehr allein", gab Alexandra sanft zurück, "und wir haben alle Zeit der Welt um es genießen zu können."

"Das klang sehr ...", begann Ritsuko.

"Kitschig?" Vervollständigte Alexandra grinsend und nahm die Hand runter.

"Romantisch, wollte ich eigentlich sagen. Doch für Romantik hab ich im Moment leider wenig Zeit, ich muss wieder zurück. Wenn meine Mutter wiederkommt und merkt, dass ich weg bin ... Sie ist in der Hinsicht sehr streng. Ich erwähnte ja, dass sie gern eine kontrollierte Umgebung hat", sagte Ritsuko mit leicht flehendem Blick.

Alexandra nickte, "Ich verstehe. Wann ... sehen wir uns wieder?" Fügte sie noch hinzu und Ritsuko fühlte sich, als würde ein Hund versuchen sie mit seinem Blick zu bezirzen.

"Bald, Kaiser-san. Ich verspreche es", antwortete sie lächelnd.

"Alexandra", korrigierte das langhaarige Mädchen sie freundlich, "Also gut, dann bis bald, Ritsuko-san" fügte sie hinzu und gemeinsam traten sie aus dem Raum.

"Ki o tsukete - sei vorsichtig", verabschiedete sich Ritsuko mit einer üblichen Floskel, dann wandte sie sich um und schritte den Gang entlang. Alexandra blickte ihr kurz nach, dann machte auch sie sich auf den Heimweg; es war schon über die Mittagszeit hinüber.

Freudig beschwingt über das Treffen und die Unterhaltung mit Ritsuko ging Alexandra den Weg zu ihrem Wohnraum entlang. Wenn ihr jemand begegnet wäre, hätte er ein glückliches Mädchen mit einem verträumten Blick und einem breiten Grinsen im Gesicht vorgefunden.

Mit dieser guten Laune kam sie zuhause an und wurde bereits von ihrer Mutter erwartet. Diese bemerkte das Hoch ihrer Tochter sofort und lächelte. Eigentlich hatte sie sie ermahnen wollen, weil sie schon wieder zu spät kam, aber sie beließ es dabei, weil sie die Freude ihrer Tochter nicht trüben wollte.
 

Die nächsten Tage verstrichen, ohne dass die beiden Mädchen sich wiedersahen, aber Alexandra versuchte ihre Ungeduld zu zügeln und konzentrierte sich auf den Buchclub, den sie abwechselnd in den Familienunterkünften von ihr, Hana und Yuriko abhielten. Ihre Mutter freute sich über die Abwechslung und stellte mit Genugtuung fest, dass ihre Tochter offenbar einige nette Kontakte geknüpft hatte.

"Habt ihr schon gehört? Ab morgen sollen wir Unterricht bekommen", erzählte Yuriko aufgeregt und ihre Augen nahmen einen leicht leuchtenden Ausdruck an.

"Ach ja? Wo denn?" Alexandra spitzte die Ohren, denn vermutlich war das ihre Fahrkarte Ritsuko wenigstens täglich sehen zu können.

Die jüngste im Bunde zuckte mit den Schultern, "Das weiß ich leider nicht, ich hab nur gehört, wie meine Mutter mit jemandem darüber geredet hat."

"Nun, wenn es schon morgen losgehen soll, dann werden wir es wohl heute noch erfahren", sagte Hana und sie klang ein wenig erleichtert, "Wurde auch mal Zeit, langsam fängt es an, hier unten langweilig zu werden."

Alexandra nickte bestätigend, "Ich würde ja zu gerne mal nach oben gehen."

Yurikos Augen wurden groß, "Das ist doch sicher gefährlich."

"Glaube ich nicht mal unbedingt", erwiderte die älteste, "Es klingt immer alles recht ruhig, niemand redet darüber, dass man hier kämpfen würde, oder so."

"Das stimmt allerdings", klinkte sich Hana ein, "vielleicht waren die Kämpfe nur in der Stadt so schlimm?"

Die drei schwiegen kurz, bevor sie sich wieder ihrem Buch widmeten und schließlich verabschiedeten sich die beiden jüngeren von ihr. Alexandra half Hana beim Zusammenpacken ihrer Sachen und öffnete für die beiden die Tür. Yuriko trug die Tasche der älteren, damit diese mit ihren Krücken nicht noch zusätzlich was schleppen musste.

"Na dann bin ich mal gespannt, ob wir uns ab morgen wieder Schulstoff widmen dürfen", sagte Hana noch mit einem Grinsen, dann verabschiedeten sich die beiden von Alexandra und diese winkte ihnen noch kurz nach, bevor sie wieder rein ging.

"Die beiden scheinen ja echt nett zu sein", meinte ihre Mutter mit einem Lächeln.

"Ja, das sind sie", Alexandra klang zufrieden und räumte die Gläser der Mädchen weg.

"Ist deine Ritsuko nicht ebenfalls in eurem Buchclub?" Ihre Mutter versuchte beiläufig zu klingen.

Alexandra wurde rot und erwiderte, "Sie ist nicht meine Ritsuko, aber ja, ist sie."

"Warum kommt sie denn nicht auch? Oder ist es euch etwa peinlich, wenn man euch zusammen sieht?" Ihre Mutter konnte ein kleines Grinsen nicht unterdrücken.

Ihre Tochter wurde noch röter, "Nein, das ist es nicht!" Fuhr sie auf, fügte dann aber leiser hinzu, "Ich wünschte, sie wäre auch dabei, aber ihre Mutter ist wohl recht streng ... Seit wir hier unten sind habe ich sie nur dreimal gesehen und das immer nur kurz und meist in Begleitung ihrer Mutter." Sie vergrub ihre Hände in den Hosentaschen, eine Geste, dass sie verlegen, aber auch etwas betrübt war.

Alexandras Mutter wuschelte ihr entschuldigend durch das Haar, "Sicher seht ihr euch bald wieder. Es ist schade, dass ihr jetzt hier unten getrennt voneinander sitzen müsst, anstelle wie alle Teenies bisher, die ihr Leben abseits der Schule genießen konnten", ihre Mutter klang fast etwas wehmütig.

"Yuriko-chan erwähnte, dass wir ab morgen wieder Schule haben könnten, vielleicht seh ich sie dann wenigstens täglich", sie versuchte zu lächeln.

Ihre Mutter drückte ihr einen Tee in die Hand, "Vielleicht kannst du sie mir dann ja mal richtig vorstellen. Ich habe sie zwar kurz kennengelernt, als sie dich besuchen wollte, aber da habe ich ja kaum mit ihr gesprochen. Und ich würde sehr gern das Mädchen kennenlernen, das dir so den Kopf verdreht hat." Sie lächelte, als sie bemerkte, dass ihre Tochter wieder rot wurde und fügte schnell hinzu, "Also nur wenn du magst. Es muss ja auch nicht sofort sein, ich bin nur neugierig", gestand sie. Alexandra nickte verlegen.

Im Gegensatz zu den Mädchen bei ihr damals auf der Schule, war sie nie verliebt gewesen und hatte sich auch nicht in diesem Maße für Jungs interessiert. Sie hatte irgendwie immer andere Dinge im Kopf gehabt.

Sie blickte auf den Tee in ihrer Hand hinab und entdeckte ihr Spiegelbild darin; es lächelte sie seicht an. Plötzlich kam sie sich ein kleines Stück erwachsener vor.

"Mama, findest du ich hab mich verändert?" Als ihre Mutter, die sich gerade dem Haushalt gewidmet hatte, fragend aufsah, schüttelte sie lächelnd den Kopf, "Ach nicht so wichtig", dann nahm sie einen Schluck von dem Tee.

"Du bist verliebt, da verändert sich immer irgendwas in einem", gab ihre Mutter sanft zurück, "Die letzten Monate waren generell eine große Veränderung für uns alle, ganz besonders die letzten vier Wochen ... Ihr Kinder müsst wohl schneller erwachsen werden, als gedacht." Wehmut klang in ihrer Stimme mit, "Vielleicht bist du jetzt auch nur einfach nicht mehr die kleine Alexandra, die ich bisher in dir gesehen habe. Du bist immerhin schon 14. Das wurde mir erst jetzt so richtig bewusst", gab sie zu und richtete sich auf. Mit der Hand maß sie die Höhe zwischen ihnen, "Und scheinbar bist du auch tatsächlich etwas gewachsen; du bist jetzt größer als ich", sie grinste.

Alexandra lächelte etwas verlegen. Tatsächlich überragte sie ihre Mutter um wenige Zentimeter, aber wie diese immer betonte, war es unschwer größer zu sein als sie. Thomas hatte ihre Mutter bereits mit 12 Jahren überholt, daher war es vielleicht naheliegend, dass auch sie die großen Gene ihres Vaters geerbt hatte.

Mit ihrem Tee setzte sie sich an den Küchentisch und half ihrer Mutter bei Kleinigkeiten im Haushalt um den Nachmittag rum zu bringen.

Als ihr Vater etwas später von der Arbeit kam erzählte er genau das, was Alexandra sich erhofft hatte: sie durften ab morgen wieder zum Unterricht. Es hatten sich in den aufgenommenen Familien drei Lehrkräfte gefunden, die die nötigsten Fächer unterrichten konnten, bis der Normalzustand wieder hergestellt sein würde; zwar wusste keiner wann das sein würde, aber alle waren sich einig, dass es sicher bald der Fall wäre. Der Unterricht sollte in einem Raum auf der selben Ebene, auf der  auch die Bibliothek lag, stattfinden damit Bücher von dort zurate gezogen werden konnten, denn es fehlte an Material. Alexandra jubelte innerlich, denn sie war sich sicher, dass Dr. Akagi auch ihre Tochter zu diesem Unterricht schicken würde.

"Das ist großartig, nicht wahr Schätzchen?" Sprach ihre Mutter sie an, während sie in sich hinein grinste.

Aus ihren Träumereien gerissen nickte sie eifrig, "Ja, das ist prima!"

Ihr Vater blickte sie etwas verdattert an, "Seit wann bist du denn so versessen auf den Unterricht?"

Alexandra war nie faul gewesen, aber zur Schule ging sie doch immer mit einem gewissen Widerwillen. Sie hatte Glück, dass der meiste Schulstoff an ihr hängengeblieben war, ohne großartig dafür lernen zu müssen, und darüber war sie sehr froh gewesen, hatte sie ihre Freizeit früher doch gerne draußen verbracht.

"Ach weißt du, langsam wird es hier unten eben langweilig" antwortete sie ihm, und es war keine Lüge, denn sie langweilte sich tatsächlich. Damit ergab sich die Gelegenheit ihren Vater nach der aktuellen Situation zu fragen, "Weiß man denn schon, wie es oben aussieht? Gibt es noch Kämpfe?" Sie fragte das durchaus mit leichten Magenschmerzen, denn ein Krieg war nie etwas schönes und sie hatte auch Angst, dass irgendwann die Lebensmittelrationen hier unten zur Neige gingen.

Ihr Vater schüttelte den Kopf, "Tokyo ist wohl noch ein hartumkämpftes Pflaster und in großen Teilen der Welt sieht es auch nicht rosig aus. Ich habe versucht meine Schwester zu erreichen, aber in Deutschland muss es auch katastrophal sein ..."

Alexandra schwieg. Sie schämte sich, dass sie ihre Familie durch ihre eigenen Probleme komplett vergessen hatte. Jetzt wo ihr Vater es ansprach machte auch sie sich Sorgen um ihre Tante, den Onkel und ihre Cousine.

"Ich hoffe, wir können sie bald erreichen", murmelte sie.

Ihre Mutter legte ihre Hand auf die des Vaters, "Es geht ihnen bestimmt gut, Schatz. Vielleicht ist nur die Telefonleitung gestört", sie lächelte ihm aufmunternd zu.

"Du hast sicher recht", gab er müde zur Antwort und begab sich dann in's Bad um sich frisch zu machen. Als ihre Mutter sich dann an's Abendessen machte fiel Alexandra erstmals auf, was für eine Rolle ihre Mutter in dieser Familie eigentlich hatte. Sie kümmerte sich natürlich um den Haushalt, aber sie hatte für jeden ein offenes Ohr und tröstende Worte; auf ihr musste eine große Last liegen, die keiner so richtig wahr nahm. In diesem Moment nahm sie sich vor, ihre Mutter mehr zu unterstützen, ihre persönlichen Probleme mal zurück zu stecken und öfter nachzufragen, ob es ihr auch gut ging.

Die Familie aß gemeinsam zu Abend, unterhielt sich noch ein bisschen und dann begaben sich alle zu Bett. Ihr Vater weil er müde war, und sie weil sie möglichst schnell schlafen wollte und den Morgen kaum abwarten konnte.

19. Oktober 2000 - Hakone, Japan

Und der neue Morgen kam. Ihre Mutter war schon wach als ihr Vater früh aufstand. Er frühstückte hastig ein Brot, gab seiner Frau einen Abschiedskuss, rief den Kindern eine Verabschiedung zu und begab sich dann zur Arbeit. Die beiden Kinder der Familie richteten sich nacheinander im Bad und dann frühstückten sie gemeinsam mit ihrer Mutter. Danach hatten sie noch etwas Zeit bis der Unterricht begann, also half Alexandra ihrer Mutter die Teller zu spülen und aufzuräumen.

"Heute bist du aber fleißig" merkte diese an.

"Na ja, ich hab ja noch Zeit bis der Unterricht beginnt. Ich dachte, die nutze ich heute mal sinnvoll" flunkerte Alexandra. Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich etwas für ihre Selbstsucht der letzten Wochen schämte.

"Kein Problem, Kleines", antwortete ihre Mutter lächelnd und stieß sie sanft mit dem Ellbogen in die Rippen, "ich schaff das schon."

"Klein? Pah!" Empörte sich ihre Tochter gespielt, "Gestern haben wir doch festgestellt, dass ich größer bin als du, also ..." sie ließ den Satz unbeendet und grinste ihre Mutter an.

"Freches Ding!" Sie warf mit dem Geschirrtuch nach ihrer Tochter und diese fing es lachend auf. "Es ist schön, dass du wieder gute Laune hast", fügte sie hinzu und freute sich aufrichtig für ihre Tochter, "Eine Weile lang wirktest du so betrübt, dass ich mir ernsthaft Sorgen gemacht hab."

"Tut mir leid, Mama", murmelte sie und schulterte betroffen das Geschirrtuch.

"Schon gut", gab diese verständnisvoll zurück, nahm das Geschirrtuch wieder an sich und trocknete den Rest der Teller ab.

Danach machten sich Alexandra und Thomas auf zum Unterricht. Der dafür vorgesehene Raum war mit einigen Tischen und Stühlen, wie in einer Schule, ausgestattet worden. Ein Whiteboard war als Tafel aufgestellt worden und auf jedem Tisch lagen ein Block und Kugelschreiber. Es war wirklich alles etwas provisorisch, aber keines der anwesenden Kinder meckerte darüber. Als die Zwillinge den Raum betraten waren Hana und Yuriko schon da, außerdem noch ein paar andere Kinder in jüngerem Alter, die Alexandra nicht kannte; Ritsuko fehlte jedoch und Alexandra spürte darüber eine leichte Enttäuschung. Die jüngste des Buchclubs kam jedoch direkt auf sie zu und begrüßte sie freudig, was ihre Laune etwas hob.

Als eine der ältesten im Raum setzte sich Alexandra nach hinten, mit dem Rücken zur Tür; die kleineren Kinder sollten ruhig vorne sitzen, damit sie auch genug sahen. Thomas setzte sich links von ihr, der Tisch rechts blieb verwaist zurück.

Als sich von den neun Tischen acht gefüllt hatten und die Kinder bereits in Erwartungshaltung da saßen, betrat eine Frau das Zimmer und begrüßte sie. Sie stellte sich vor und erklärte, dass sie ihnen Unterricht in Japanisch und Englisch geben würde. Später würde dann ein anderer Lehrer kommen, der für Mathematik und Geografie zuständig war und eine weitere Lehrerin würde sich ihnen die Tage noch vorstellen und für Sport und Geschichte sorgen. Es war ein provisorischer Stundenplan erstellt worden, der die Schüler tagsüber etwas beschäftigte und natürlich auch förderte, schließlich sollten sie hier unten nicht den Anschluss verlieren.

Die Lehrerin wollte gerade mit dem Unterricht beginnen und rief die Schüler namentlich auf, als sich die Tür noch ein weiteres Mal öffnete und jemand hereintrat.

"Entschuldigen Sie die Verspätung", hörte Alexandra von hinten und vernahm das Rascheln der Kleidung, als sich die Person verbeugte. Als sie sich umdrehte erblickte sie Ritsuko, die sich eben wieder aufrichtete und pflichtbewusst ihre Schuluniform trug. Die Blicke der beiden Mädchen begegneten sich und ein leicht roter Schimmer trat auf ihre Wangen.

"Ah, Akagi-san, schön, dass du es noch geschafft hast", sagte die Lehrerin freundlich und wies mit der Hand auf den freien Tisch.

Mit einem gemurmelten Dank ließ sich Ritsuko an dem Tisch nieder und warf einen schüchternen Blick zu dem Mädchen neben ihr hinüber, diese lächelte sie glücklich an und richtete ihren Blick dann schnell wieder nach vorne, bevor sie all zu rot wurde.

Es wurden je eine Stunde Japanisch und Englisch unterrichtet, doch Alexandra fiel es schwer sich darauf zu konzentrieren. Immer wieder glitt ihr Blick zu dem Mädchen neben sich hinüber und in ihrem Bauch kribbelte es wohlig dabei. Ritsuko schien es nicht zu bemerken, oder ignorierte es gekonnt aus eigener Schüchternheit. Alexandras Bruder beobachtete sie, auf eine Hand gestützt, und als sie es bemerkte grinste er ihr wissend zu, was sie wieder leicht zum erröten brachte.

Nach den beiden Stunden gab es eine Pause mit Lehrerwechsel und Alexandra nutzte die Gelegenheit. Sie beugte sich zu dem anderen Mädchen hinüber und sprach sie halblaut an, "Schön, dass du auch da bist. Wie geht es dir?" Dabei merkte sie, wie ihr Herz wieder heftig zu schlagen anfing und ihr Kopf ganz heiß wurde; sicher war sie wieder rot bis über beide Ohren. Sollte das jetzt jedes Mal so sein, wenn sie das andere Mädchen ansah? Es fühlte sich an, als würde sie Extremsport betreiben, weil sie das Gefühl hatte schwerer Luft zu kriegen, gleichzeitig war es aber ein schönes Gefühl, das sie genoss. Sie fragte sich, ob es Ritsuko auch so erging, denn diese wirkte im Vergleich immer viel ruhiger, wenn sie aufeinander trafen. Als diese sie auch noch anlächelte war es wie ein Hammerschlag auf ihren Kopf - ihre Umgebung wirkte wie in Watte gepackt, alles klang dumpf und ihr Blick verschwamm leicht. Mit Mühe konnte sie das Mädchen vor sich scharf stellen und musste sich konzentrieren um ihre Antwort zu erhaschen.

"Es geht mir gut, danke. Ich hoffe, dir auch", Alexandra nickte bestätigend, bevor Ritsuko fortfuhr, "Es ist schön, dass wir jetzt wieder Unterricht haben, das lenkt uns etwas ab, nicht wahr?"

"Ja, a-außerdem ... können wir uns jetzt hoffentlich täglich sehen", murmelte sie eine schüchterne Antwort und errötete sicher schon wieder. Nervös spielte sie mit dem Kugelschreiber in ihren Händen und plötzlich rutschte er ihr aus den Fingern und landete auf dem Boden zwischen ihnen. Die beiden Mädchen blickten sich wissend an und Ritsuko hatte ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht, weil sie sich an eine ähnliche Szene in der Schule erinnerte.

"Lässt du deine Stifte öfter fallen?" Sie kicherte und bückte sich danach, nachdem Alexandra sich verlegen den Pony aus dem Gesicht gepustet hatte. Ritsuko hielt ihr den Stift hin, doch das andere Mädchen zögerte kurz. Warum war sie jetzt so nervös? Sie hatten sich doch schon öfter unterhalten, ihre Hände hatten sich bereits mehrfach berührt und - wie ihr eben schlagartig bewusst wurde - sie hatte sie ja sogar schon geküsst. Bei dem Gedanken daran lief sie feuerrot an und streckte dann endlich zitternd die Hand nach dem Stift aus. Ritsuko schien ihre Gedanken erahnen zu können, wurde selbst etwas rot, lächelte und hielt ihr geduldig die Hand mit dem Stift hin. Alexandra griff schließlich danach und als sich ihre Finger berührten verharrte sie für einen Moment. Obwohl es nur so eine kleine Berührung war, wollte sie es genießen. Sie starrte das andere Mädchen dabei schon fast unverhohlen an und Ritsuko sah schließlich verlegen weg, bevor sie den Stift los ließ und sich wieder nach vorne wandte.

"Danke" brachte Alexandra schließlich hervor und erkannte, dass Ritsuko ebenfalls rot war; jetzt war es ihr unangenehm, dass sie das andere Mädchen so angestarrt und vermutlich damit in Verlegenheit gebracht hatte. Sie versuchte, sich mehr zusammen zu nehmen.

Der Lehrer, der sie in Mathematik und Geografie unterrichten sollte, kam in diesem Moment herein und der Unterricht begann erneut für zwei Stunden. Danach war es erst mal genug für den ersten Tag. Morgen sollte es weitergehen und auch Sport sollte es dreimal die Woche geben um die Schüler auszulasten und ihnen die Möglichkeit zur Abwechslung zu geben. Alexandra fragte sich, wo es in diesem Bunker die Möglichkeit für sportliche Aktivitäten gab, außer in dem Fitnessraum, aber das sollte sie am nächsten Tag erfahren.

Der Buchclub durfte sich ab jetzt auch wieder seiner Leiterin erfreuen, was die anderen Mädchen ebenfalls glücklich stimmte, wenn auch nicht in dem Maße, wie es bei Alexandra der Fall war.

"Schade, dass Satoshi-kun nicht mehr bei uns ist", sagte Hana bedrückt. Er war fast ihr Nachbar gewesen und sie kannten sich schon seit Kindertagen, "Ich hoffe, es geht ihm und seiner Familie wenigstens gut ..."

"Keine Sorge", sagte Ritsuko sanft zu ihr, "so weit ich weiß, ist seine Familie rechtzeitig vor dem Umbruch aus der Stadt gezogen. Vielleicht kann ich über meine Mutter ja was in Erfahrung bringen."

Das Mädchen strahlte sie an, "Ja, wirklich? Das wäre großartig, vielen Dank Ritsuko-senpai!"

Ritsuko nickte sie aufmunternd an und zog dann ihre Aufschriebe für den Buchclub hervor, "Nun, ihr wart während meiner Abwesenheit nicht untätig, hab ich gehört?" Als die anderen bejahten fuhr sie fort, "Was habt ihr denn so gelesen in der Zwischenzeit?"

Yuriko hob stolz ihre Aufschriebe hoch, "Ich habe zuletzt Faust I gelesen, ein sehr interessantes Buch mit einem noch interessanteren Charakter."

"Oh, nicht schlecht", Ritsuko nickte ihr anerkennend zu und wendete sich dann an Hana, "Und was gab es bei dir zu lesen?"

"So einiges. Ich hatte auf der Krankenstation Nichts besseres zu tun, also habe ich mich durch die meisten Romane von Murakami gelesen und wurde recht gut unterhalten", antwortete diese.

"Die stehen auch noch auf meiner Liste, für irgendwann", gab Ritsuko mit einem leichten Grinsen zurück und wandte sich dann an Alexandra, "Und du, Kaiser-san?"

"Ich ähm ... hab mich an einem Buch über den Maler Hiroshige versucht, aber manche Kanji kann ich noch nicht lesen, also musste ich viel mit dem Wörterbuch arbeiten", gestand sie etwas peinlich berührt, "Für richtige Romane reicht es nur selten, ich sollte wohl mehr lernen" sie grinste verlegen.

"Keine Sorge, du kannst jederzeit fragen, wenn du was nicht verstehst" gab Ritsuko lächelnd zurück. "Und hey, bei Hiroshige betrachtet man doch vermutlich sowieso lieber die Bilder, oder?" Fügte sie mit einem Zwinkern hinzu.

"Ja das stimmt" gab Alexandra lachend zu und entspannte sich wieder etwas.

Nach der Besprechung bat Ritsuko die beiden jüngeren Mädchen schon mal vorzugehen und warf Alexandra einen vielsagenden Blick zu. Hana und Yuriko verabschiedeten sich darauf und die jüngste begleitete das andere Mädchen zu ihrem Wohnraum, damit sie nicht alles alleine tragen musste.

"Ich fühle mich ein bisschen wie eine Verschwörerin", meinte Alexandra grinsend, als sie alleine waren und klemmte ihr Notizbuch unter den Arm.

Ritsuko lächelte seicht und meinte dann leise, "Ich würde dich gerne um was bitten."

"Hm, was denn?"

"Würde es dir was ausmachen, wenn wir das mit uns erst mal für uns behalten?" Alexandra blickte sie leicht fragend an, woraufhin Ritsuko fortfuhr, "Ich meine, unsere Eltern wissen ja Bescheid, was ich auch gut finde, aber... na ja, ich möchte die anderen nicht in eine unangenehme Situation bringen."

"Was meinst du damit?" Fragte Alexandra, "Weil wir ... zwei Mädchen sind?"

Ritsuko nickte langsam, "Ja, ich habe die Befürchtung, das könnte einigen unangenehm sein und das möchte ich einfach nicht. Außerdem fände ich es gut, wenn es den Unterricht und den Buchclub nicht beeinflusst. Ich hoffe, du bist mir deswegen nicht böse."

"Aber nein", sagte Alexandra schnell und wollte schon nach ihrer Hand greifen, ließ es aber bleiben, nachdem sie sich hier ja an einem öffentlichen Platz befanden und jederzeit jemand reinkommen könnte, "ich versteh' das schon. Es ist ja auch nicht so ... normal, dass zwei ...", sie brach ab und überlegte, weil sie die richtigen Worte nicht fand. Sie verstand Ritsuko durchaus, aber sie wollte sich auch nicht verstellen müssen, "So lange es nicht für immer ist, ist das okay. Ich akzeptiere das, aber ich möchte mich nicht nur heimlich mit dir treffen können, das käme mir ... verlogen vor. Vielleicht können wir ja erst mal Hana-san und Yuriko-chan darauf vorbereiten", sie lächelte das andere Mädchen an und hoffte, das sie auch ihre Sicht verstand.

Ritsuko legte den Kopf leicht schief, überlegte und nickte dann, "Ja, du hast recht. Ich möchte die anderen auch nicht anlügen müssen, aber wir sollten nicht vorschnell sein."

Alexandra schürzte die Lippen und in ihr verkrampfte sich etwas, "Falls das mit uns doch Nichts wird, oder wie?" Sie klang unbewusst etwas vorwurfsvoll.

Ritsuko brauchte einen Moment, bis sie verstand, was das andere Mädchen ihr sagen wollte. Dann war sie es, die ihre Hand trotz allem ergriff, "Nein, das meinte ich nicht. Ich ... ich möchte nur niemanden vor den Kopf stoßen und mir deswegen überlegen wie wir es ihnen am Besten beibringen, das ist alles."

"Na gut, dann überleg es dir", Alexandras Herz klopfte direkt wieder schneller und sie zog ihre Hand mit sanfter Gewalt zurück um sie in die Hosentasche zu stecken und weitere Berührungen zu verhindern. Sie war diejenige, die sich etwas vor den Kopf gestoßen fühlte und eine Berührung zwischen ihnen sorgte nur dafür, dass sie mehr davon wollte. "Ich werde Nichts sagen oder tun, was uns verrät, bis du so weit bist." Sie atmete tief durch und ließ die Schultern sinken, die sie angespannt hatte, dann murmelte sie, "Ich gehe jetzt", damit drehte sie sich um und verließ die Bibliothek. An der Tür wendete sie sich noch einmal zurück, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte. Sie blickte das andere Mädchen verlegen an, "Es ... tut mir leid, ich ... mag dich wirklich sehr, deswegen ...", sie sah zur Decke, "Ich musste ja erst mal lernen mit meinen eigenen Gefühlen klar zu kommen und war deswegen einfach überschwänglich. Ich bemühe mich geduldig zu sein."

Ritsuko lächelte erleichtert. Sie hatte schon gedacht, dass dies ein erster Streit zwischen ihnen wurde. Dann meinte sie halblaut "Danke. Ich weiß, ich verlange viel, aber sieh es einfach erst mal als kleines Geheimnis zwischen uns an."

Alexandra nickte, "Das mache ich. Bis morgen ... Ritsuko-san", dann grinste sie das andere Mädchen verlegen an und ging nach Hause.

Sie schämte sich, dass sie Ritsukos Verhalten missinterpretiert hatte. Sie verstand ja, dass es ein heikleres Thema war, aber sie wollte einfach nur Zeit mit ihr verbringen und sich um die anderen keinen Kopf machen müssen. In Japan tickten die Uhren etwas anders, das wusste sie, und sie wollte auch keinen Unmut heraufbeschwören, aber ihre Gefühle wollten sie nun mal anders leiten. Sie war froh, dass sie am Ende die Kurve noch mal bekommen hatte, sonst wäre das Gespräch beim nächsten Mal vermutlich unangenehm zwischen ihnen gestanden.

Zuhause wurde sie von ihrer Mutter erwartet und diese fragte sie neugierig, wie ihr Tag gewesen war. Sie erzählte kurz vom Unterricht, was ihr Bruder sicher auch schon getan hatte, und auch vom Buchclub, den Rest behielt sie wieder für sich. Auch ihrer Familie gegenüber würde sie kleine Geheimnisse in dieser Form haben; wobei sie es nicht als Geheimnis, sondern als Intimsphäre betrachtete, schließlich gaben ihre Eltern auch nicht alles preis.

Der Rest des Tages verlief wie immer und am nächsten Morgen stand sie voller Vorfreude auf. Sie versuchte zu beherzigen, dass Ritsuko sie darum gebeten hatte, das Ganze erst mal vertraulich zu behandeln, aber sie vermutete, dass es ihr nicht leicht fallen würde. Da heute Sport anstand, war jedem Schüler am vorigen Tag Sportkleidung ausgehändigt worden. Alexandra hatte nicht rechtzeitig reagiert und musste nun in den knappen Shorts, die eher an ein Badehöschen erinnerten, und einem T-Shirt teilnehmen, was ihr sehr missfiel. Ihr Bruder grinste sie wissend an, als sie die Kleidung sichtete; er hatte die typische Ausstattung für Jungs bekommen und durfte sich immerhin über normale Shorts freuen.

"Nein, ich geh so nicht vor die Tür!" Alexandra schüttelte entschieden den Kopf und warf das knappe Höschen auf ihr Bett, "Das ist doch Sexismus pur!" Sie schnaubte wütend und wühlte in den von GEHIRN gestellten Klamotten nach etwas brauchbarem. Und tatsächlich stieß sie auf eine normale Shorts, die sie kurzerhand einpackte. Auf der Schule hatte sie keine Wahl gehabt, aber hier würde sie sich die Wahl einfach nehmen.

Mit den Schulsachen im Gepäck machten sich die Zwillinge nach dem Frühstück auf und gingen zum Unterrichtsraum. Zuerst standen heute Geschichte und Geographie an, Sport wäre später an der Reihe. Inzwischen war Alexandra auch den Verband an ihren Händen wieder losgeworden. Die Hände waren noch etwas gerötet, aber ansonsten gut verheilt.

Im Unterrichtsraum wimmelte es bereits vor jüngeren Schülern, die pflichtbewusst - und auch vermutlich aus Langeweile - bereits da waren. Ritsuko, Hana und Yuriko waren ebenfalls schon da. Sie grüßte die drei und versuchte sich Ritsuko gegenüber so normal wie möglich zu verhalten. Während den Unterrichtsstunden vermied sie es zu dem Mädchen neben sich zu schauen und konzentrierte sich vermutlich mehr denn je auf den Schulstoff.

Als der Sportunterricht auf dem Plan stand wurden die Jungs und Mädchen separiert und sollten sich umkleiden. Alexandra erinnerte sich daran, dass das auch auf der bisherigen Schule für sie ein kleines Problem dargestellt hatte. Sie hatte sich in der knappen Bekleidung sehr unwohl gefühlt und versucht so wenig wie möglich daran zu denken wie wenig die anderen Mädchen anhatten; denen schien das Nichts auszumachen, oder sie ließen es sich zumindest nie anmerken. Auch um Ritsuko hatte sie in dieser Zeit einen großen Bogen gemacht und sich stur auf den Sport konzentriert. So wollte sie es wieder halten.

Schnell hatte sie sich in einer Ecke des Raumes umgezogen und vermied Blicke nach links und rechts.

"Hast du gestern keine Sportbekleidung bekommen, Kaiser-san?"

Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich von hinten angesprochen wurde und als sie sich umdrehte erblickte sie die Lehrerin vor ihr, die sie musterte.

"Ähm ... doch, aber ...", sie kratzte sich am Kopf und überlegte wie sie die Situation am besten erklären sollte, ohne dass ihr die unliebsame Kleidung erneut aufgedrückt wurde.

"Sensei", mischte sich Ritsuko in die Unterhaltung ein, "Wir sind hier doch nicht wirklich in einer Schule, ist es da nicht egal was wir tragen? Hauptsache wir können Sport machen, oder?" Sie lächelte die Lehrerin gewinnend an.

"Hm, ja, da hast du wohl recht Akagi-san. Aber wären wir hier regulär an einer Schule könnte ich das nicht erlauben. Sei's drum", die Lehrerin seufzte und winkte den Schülerinnen zu, ihr zu folgen. Auf dem Gang warteten bereits die Jungs und gemeinsam machte sich die Gruppe auf zu einem Raum, der einer Sporthalle recht ähnlich war; zumindest war er groß, hoch genug und hatte sogar ein paar Felder für Fußball, Basketball und andere Sportarten eingezeichnet.

"Danke, du warst meine Rettung", wisperte Alexandra Ritsuko im Vorbeigehen kurz zu und diese nickte seicht zur Antwort. Alexandra vermied es das Mädchen näher zu mustern, denn ihr Herz begann sofort wieder wie wild zu klopfen. Das konnte ja heiter werden, während der Sportstunde, dachte sie sich und wandte sich schnell nach vorne um.

Die Lehrerin ließ die Schüler zum aufwärmen in der Halle ein paar lockere Runden laufen. Da Hana mit ihrem Fuß immer noch kaum laufen konnte, bestand für sie der Unterricht eher im Zeit absitzen.

Alexandra kämpfte sich in's vordere Feld vor, damit ihr Blick nicht auf eine bestimmte Person fiel. Also joggte sie neben ihrem Bruder her, der durch seine sportliche Art sowieso vorne lag.

"Na, Schwesterherz", sprach er sie auf deutsch an und trabte gemütlich neben ihr her; für ihn war ihre Geschwindigkeit keine große Anstrengung, "wie läufts so zwischen dir und ...?" Er verschluckte den Namen absichtlich und grinste sie an.

Alexandra wurde etwas rot und sah stur geradeaus, "Ganz okay, denke ich."

Er klopfte ihr auf die Schulter, "Ist ja auch noch alles ganz frisch. Lass dir Zeit und genieße es." Erneut grinste er.

Sie sah ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Dankbarkeit an, "Wie kommt es eigentlich, dass du immer alles so gelassen siehst und scheinbar alles weißt? Du warst doch selbst noch nie verliebt und mit jemandem zusammen, oder? Zumindest hast du bisher nie was darüber erzählt."

Sein Blick wurde ernst, "Das stimmt", räumte er ein, "aber irgendwie habe ich so eine Art Intuition, würde ich sagen. Keine Ahnung wie ich das beschreiben soll. Ich fühle manche Dinge einfach."

Ihr Blick wurde noch verwunderter, "Das klingt ja höchst ominös."

"Mach dich nicht über mich lustig", er schürzte die Lippen.

"Hab ich nicht, ich meinte das keineswegs negativ, eher ... interessant", verteidigte sie sich, "Ich ..."

"Kaiser-san! Also ... beide meine ich. Warum redet ihr dauernd? Wenn ihr so viel Luft habt, dann lauft ihr wohl noch nicht schnell genug?" Die mahnende Stimme der Lehrerin drang plötzlich an ihre Ohren.

"Verzeihung" sagte ihr Bruder und legte direkt einen Zahn zu. Es schien ihm nichts auszumachen noch schneller zu laufen und sie war sich nicht sicher, ob er damit auch ihrem Gespräch aus dem Weg gehen wollte; offenbar hatte sie ihm das Gefühl gegeben, seine Intuition nicht ernst zu nehmen, dabei war das nicht der Fall.

Alexandra war durch das Gespräch außer Puste gekommen und plötzlich kam Seitenstechen bei ihr auf. Sie scherte aus dem Tross aus, bei dem ihr Bruder sich jetzt mit einigem Abstand vorne befand, und ging zur Seite. Sie rieb sich mit der linken Hand die schmerzende Stelle, beugte sich etwas nach vorne und stützte sich mit der anderen Hand an der Wand ab.

"Alles okay?" Fragte die Lehrerin und klang nun weniger streng als eben.

Alexandra nickte, "Ja, danke. Ich hab mich wohl nur überanstrengt."

"Dann mach eine kurze Pause, wir haben uns vermutlich genug aufgewärmt" sie lächelte freundlich. Damit wandte sie sich zur Klasse um, klatschte in die Hände und rief sie zusammen. Als sich alle Schülerinnen und Schüler, bis auf Alexandra und Hana, um sie versammelt hatten erklärte sie ein paar Dehnungsübungen und ließ die Klasse diese paarweise absolvieren, selbst Hana konnte überwiegend mitmachen. Alexandra versuchte es zu umgehen, dass ihr Blick auf Ritsuko fiel, aber es ließ sich nicht vermeiden; ihre Augen wurden von dem Mädchen wie magisch angezogen und sofort legte sich ein roter Schimmer auf ihre Wangen. Sie hätte nie gedacht, dass sie mal so für jemanden empfinden könnte.

Als es ihr besser ging, stieß sie zur Gruppe. Da sie neun Schüler in der aktuellen Klasse waren, war natürlich kein Partner mehr für sie übrig, so dass die Lehrerin mit ihr die Übungen machte. Danach ließ die Lehrerin sie abstimmen, was sie machen sollten, denn die Zeit war schon fast wieder um. Die Schüler entschieden sich für etwas, das Alexandra stark an das Völkerball aus ihrer Schule in Deutschland erinnerte. Die Gruppe wurde gleichmäßig aufgeteilt und Hana machte den Schiedsrichter. Thomas und Alexandra hatten sich in unterschiedliche Gruppen setzen lassen und so hatte das Mädchen Glück, auf der Seite von Ritsuko spielen zu dürfen. Obwohl die älteren Schüler sich zurück nahmen waren die Jüngeren ziemlich schnell ausgeschieden, so dass auf Thomas Feld nur noch Yuriko war und auf Alexandras Feld, neben ihr, noch Ritsuko und ein Junge aus Yurikos Jahrgang. Nach einem gezielten Wurf schied der Junge jedoch aus und Thomas grinste seine Schwester herausfordernd an. Er ließ den Ball auf dem Finger kreiseln und meinte auf Deutsch zu ihr, "Na, dann ist jetzt deine Freundin dran" und er zielte auf Ritsuko.

Alexandra verschränkte die Finger und drückte die Handflächen nach außen, bis ein Knacken zu hören war, "Wag es ja nicht", murrte sie zurück, hatte aber ein Grinsen im Gesicht. Als er warf, hechtete sie nach dem Ball, bekam ihn zu fassen und donnerte ihn zurück, doch auch er fing ihn geschickt auf; es zahlte sich aus, dass er Basketball gespielt hatte. Alexandra zielte erst gar nicht auf Yuriko, sie sah in ihrem Bruder die größere Gefahr, außerdem hatte sie die jüngere Schülerin beobachtet und diese war ganz schön flink. Thomas war da etwas fieser, er zielte mit Absicht auf Ritsuko um seine Schwester ein bisschen zu ärgern und sie aus der Reserve zu locken. Es entsponn sich ein kleiner Ballwechsel zwischen den Geschwistern und die beiden anderen kamen sich schon etwas überflüssig vor.

"Kaiser-san, ich bin auch noch da", meinte Yuriko zu Thomas und bleckte dabei leicht die Zähne. Ihr war aufgefallen, dass ihr Teamkamerad gezielt auf Ritsuko warf und dass Alexandra alle Bälle entgegennahm. Thomas grinste sie an und warf ihr mit einer Entschuldigung den Ball zu. Sie sah zu dem anderen Zwilling und meinte verschmitzt, "Areksandora-senpai, jetzt kriegst du es mit mir zu tun!"

Unerwartet schleuderte sie den Ball auf die ältere Schülerin und diese war so perplex, dass sie den Ball nicht annehmen konnte. In dem Moment griff Ritsuko ein und übernahm die Rolle der Verteidigung. Alexandra blickte sie erstaunt an und das Mädchen neben ihr lächelte verlegen, während sie den Ball hielt.

"Dachtest du etwa, ich wäre schlecht in Sport, bloß weil ich lieber lese?" Sie grinste das langhaarige Mädchen an.

Alexandra lächelte entschuldigend, "Ich gebe zu, ich bin überrascht."

"Na dann muss ich mich wohl erst beweisen", Ritsuko nahm Maß und schleuderte den Ball in die Gegnerische Hälfte, wo ihn Yuriko geschickt annahm und direkt zurück feuerte. Ritsuko nahm den Ball erneut an und warf dann auf Thomas. Für den war es ein leichtes den Ball zu fangen und er konterte auf seine Schwester. Diesmal gelang Alexandra die Ballannahme und als sie die Chance erkannte warf sie nach Yuriko und erwischte sie am Bein, bevor sie ausweichen konnte. Die Jüngste ging leicht schmollend aus dem Feld und überließ ihrem Teamkameraden das Spiel.

Thomas begann die beiden Mädchen durch das Feld zu jagen und als sie außer Puste waren nutzte er seine Chance um Ritsuko abzuschießen.

"Sorry, jetzt liegt es an dir" meinte diese lächelnd zu Alexandra und verließ das Feld.

Das langhaarige Mädchen blicke zu ihrem Kontrahenten und sagte auf Deutsch, "Dann wird es jetzt persönlich, Bruderherz."

Er zog gespielt erstaunt die Augenbrauen hoch und meinte grinsend, "Ach, jetzt erst?"

Es entsponn sich ein erneuter Ballwechsel zwischen den Geschwistern, doch Alexandras Kondition hatte schon deutlich abgenommen und sie spürte das Seitenstechen wieder aufkommen. In diesem Moment erklang der Pfiff einer Trillerpfeife und die Lehrerin beendete das Spiel.

"Tut mir leid, wir müssen aufhören. Wir haben sogar schon etwas überzogen, doch es war ein gutes Spiel. Geht euch jetzt alle duschen und umziehen, den Rest des Tages habt ihr frei."

Die meisten Schüler waren etwas enttäuscht darüber, dass sie den Ausgang des Matches nicht sehen konnten, doch für Alexandra war klar, dass sie gegen ihren Bruder den Kürzeren gezogen hätte.

Während die anderen den Raum verließen beugte sie sich vor und rieb erneut die schmerzende Stelle, während sie versuchte zu Atem zu kommen. Sie fühlte sich verklebt, durch den Schweiß, der an ihr hinunter rann und rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn um die lästigen Haare aus dem Gesicht zu bekommen.

"Daijoubu janai desu ka? Geht's dir nicht gut?" Sprach Ritsuko sie von der Seite an und leichte Besorgnis klang in ihrer Stimme mit.

Alexandra richtete sich mit etwas schmerzverzerrtem Gesicht auf und wurde sofort wieder leicht rot, als sie in das Gesicht des anderen Mädchens blickte, "Schon gut, ich hab mich nur etwas verausgabt. Aber es ärgert mich, dass wir ihn nicht schlagen konnten" fügte sie grinsend hinzu.

"Beim nächsten Mal vielleicht", Ritsuko grinste zurück.

"Freut euch da mal nicht zu früh", sagte Thomas hinter ihnen und dotzte den Ball leicht an den Hinterkopf seiner Schwester. Mit einem Grinsen fügte er auf Deutsch hinzu, "Ihr Turteltäubchen."

Alexandra rieb sich den Hinterkopf und blickte ihn leicht böse, aber verschwörerisch an, während sie auf Deutsch antwortete, "Behalte das bitte erst mal für dich, das soll hier nicht die Runde machen."

"Schon gut, schon gut. Ich verrate euch nicht" antwortete er auf Japanisch und zwinkerte den beiden Mädchen zu, bevor er auf den Ausgang des Raumes zuhielt und den Ball bei der Lehrerin abgab.

Ritsuko sah ihre Freundin fragend an und errötete leicht, weil sie vermutete um was es eben ging. Doch Alexandra winkte ab, "Keine Sorge, er hält sein Wort." Sie konnte nicht verhindern ebenfalls etwas rot zu werden und hoffte, dass es niemandem auffiel.

Gemeinsam verließen sie als letzte den Raum und die Lehrerin schloss hinter ihnen ab. Im Klassenzimmer angekommen packten sie ihre Sachen und machten sich auf den Weg zu ihren Wohnräumen. Es gab zwar auch Duschräume, aber die Schüler wollten lieber die Privatsphäre nutzen, die ihnen momentan durch die Nähe ihrer Wohnräume zur Verfügung stand.

Alexandra ließ sich etwas hinter den anderen zurück fallen und zupfte Ritsuko vorsichtig am Ärmel. Als diese bemerkte, dass das andere Mädchen mit Absicht etwas trödelte und passte sich ihrem Schritt an. Sie warf ihr einen fragenden Blick zu, aber als sie sah, dass Alexandra rot im Gesicht war und nervös aussah schwieg sie und blickte geradeaus. So gingen die beiden Mädchen langsam nebeneinander her und der Abstand zu den anderen wurde größer.

"Ähm ...", begann Alexandra kurz bevor sie den Trakt mit den Wohnräumen erreichten und hielt an. Ritsuko blieb ebenfalls stehen und sah sie von der Seite an. Ihr fiel auf, dass das langhaarige Mädchen regelrecht den Henkel ihrer Tasche würgte und sie musste unwillkürlich etwas lächeln. Alexandra sah verlegen zu Boden und brachte schließlich mühsam hervor, "Sehen wir uns später noch? Ich meine ... nur ... wir b-beide?"

"Ich glaube ... das lässt sich machen ...", murmelte Ritsuko verlegen, "Meine Mutter arbeitet sowieso und ... ich habe sonst Nichts vor, also ..."

"Wo bleibt ihr denn, senpai?" Tönte es zu ihnen zurück und sie bemerkten, dass Yuriko stehengeblieben war und sich zu ihnen umgewandt hatte.

"Wir kommen schon", rief Ritsuko ihr zu und setzte sich langsam in Bewegung. Alexandra tat es ihr gleich und war immer noch rot im Gesicht. Ritsuko warf ihr einen Seitenblick zu und sagte leise, "Soll ich dich später abholen kommen? Du weißt ja nicht, wo unser Wohnraum ist, oder?"

Alexandra schüttelte den Kopf und meinte, "D-das wäre nett."

"Okay, dann bis später", wisperte Ritsuko noch, bevor sie zu den anderen stießen.

"Habt ihr zwei etwa Geheimnisse?" Neckte Hana sie und lachte.

Die beiden Mädchen schwiegen, aber es schien niemanden zu interessieren, denn sie wandten sich um und gingen gemeinsam weiter. Alexandra bildete sich ein, dass Yuriko ihr kurz einen wissenden Blick zugeworfen hatte, aber das Mädchen lächelte sie breit an und ging dann ebenfalls weiter.

Sie verabschiedeten sich nacheinander und gingen in ihre Wohnräume. Alexandra duschte in Windeseile und zog sich frische Kleidung an; ihre Lieblingshose und das Shirt, die sie am Tag, als sie in den Bunker flüchten mussten, anhatte, waren frisch gewaschen und warteten nur auf ihren Einsatz. Das Mittagessen schlang sie förmlich hinunter.

"Immer langsam mit den jungen Pferde", meinte ihre Mutter lachend, "warum hast du es denn so eilig? Habt ihr nachher nochmal Unterricht?"

"N-nein", sagte Alexandra und versuchte langsamer zu essen, "aber ich ... Darf ich nachher nochmal weg?"

Ihre Mutter musterte sie ernst, "Wohin, wenn ich fragen darf?"

"Ähm ... zu ... Ritsuko" murmelte sie die Antwort und spürte, wie ihr die Röte in's Gesicht stieg. Sie hatte keine Ahnung ob sie in der Gegenwart des Mädchen überhaupt einen sinnvollen Satz zustande brachte, aber sie wollte sie dennoch sehen.

Ihre Mutter lächelte sie wissend an, "Na gut, ich erlaube es, aber komm bitte nicht zu spät heim, ja?" Alexandra nickte und strahlte.



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