Four Soulmates in an Other World von _Momo-chan_ ================================================================================ Kapitel 6: Tagebucheinträge --------------------------- „In Büchern liegt die Seele aller gewesenen Zeit.“ Thomas Carlyle     ♥♦♣♠     Es war Noé als würde er aus einer Ohnmacht erwachen, als er die Augen öffnete. Der Geruch von Blut beißend deutlich. Doch ihm wurde nicht schlecht davon, wie man es vermuten könnte. Viel mehr empfand er den Geruch plötzlich als… angenehm? Und doch war da dieses flaue Gefühl im Magen, als würde dieser Duft nichts Gutes bedeuten. Er blinzelte. Das Bild vor ihm schien einen Augenblick zu wackeln und zu verschwimmen, bevor sich seine Sicht klärte.   Er sah Vanitas.   Wieder in dieser altmodischen Kleidung, die diesmal jedoch zerrissen und mit Blut bedeckt war. Da war etwas an seinem Hals. Eine Art leuchtend blaue Tätowierung, die bis in die Kleidung hinein reicht. Was machte Vanitas da? Er war so weit weg. Wieso kniete er dort am Boden?   Erst jetzt erkannte Noé, dass Vanitas jemandem im Arm hielt.   Jeanne?!   Sie sah blass aus… Fast schon leblos? War sie tot?   Vanitas‘ Augen waren starr auf die junge Frau in seinen Armen fixiert. Spuren von Tränen umrahmten seine unteren Lider, verklebten seine Wimpern, aber… er weinte nicht. Nicht mehr… Viel mehr schien er unter Schock zu stehen. Noés Sichtfeld erweiterte sich. Vanitas war nicht allein. Luca kniete neben ihm, die kleinen Finger fest in der Erde vergrabend. Auch sein Gesicht war mit Tränen überströmt. Ein Schluchzen entrann der Kehle des Jungen: „Jeanne… Wieso… Wieso, Onkel?“   Ein Stück weiter weg lag eine weitere Person. Ein Kind mit weißblondem Haar und…. Ebenfalls tot? Ein Junge im gleichen Alter wie Luca. Er kam Noé seltsam bekannt vor. Aber woher?     War das alles ein Traum? Es musste ein Traum sein, oder? Vanitas war sein Mitbewohner, sein Mitstudent. Luca war Domis Cousin und Jeanne ihre beste Freundin. Sie lebten ein friedliches Leben in der Pariser Altstadt. Nichts von dem was er gerade vor sich sah, passte in dieses Szenario.   Je mehr Noé darüber nachdachte zu träumen, desto mehr begann er seinen Körper zu spüren. Aber das war falsch! Das hier durfte sich nicht immer realer anfühlen. Er musste aufwachen! Stattdessen verblasste die Wirklichkeit immer mehr, lies den Traum zur Wirklichkeit werden. Als er hinabsah, spürte er einen zweiten Körper, der sich warm an ihn schmiegte. Zarte behandschuhte Hände klammerten sich an seine Weste, erbebten bei jedem Schluchzer, den er von der jungen Frau vernahm, die sich an ihn klammerte.   Domi?     „Wir müssen hier weg…“, hörte er sich plötzlich selbst sagen.   Wie kam das? Wieso schien sein Körper ohne seinen Willen zu agieren? Wieso konnte er nicht ändern was er tat und sagte? So als sei es längst geschehen…   „Wir kommen nicht mehr gegen sie an. Wir müssen uns zurückziehen! Vanitas!“, sagte er wieder ohne es kontrollieren zu können.     „Nein.“   Auch wenn Vanitas‘ Stimme gebrochen klang, hörte sich seine Antwort so klar in Noés Ohren an, als ob er direkt neben ihm stehen würde. Seine Sinne waren so geschärft. Dann war das hier wirklich eine gefährliche Situation? Er konnte den Blick nicht von Vanitas abwenden, als dieser weiter sprach.   „Es ist Zeit das hier ein für alle Mal zu beenden. Du musst mich auch nicht mehr beschützen, Noé. Ich beende unsere Abmachung hiermit.“   Unheimlich ruhig sagte der Schwarzhaarige diese Worte, während er Jeanne nieder legte und aufstand. Aus seiner Gürteltasche zog Vanitas ein Buch, dessen Seiten sich beim Öffnen von allein umzublättern schienen.   Noés Puls begann zu rasen. Aus irgendeinem Grund wollte er nicht, dass Vanitas dieses Buch öffnete. „Hör auf! Das ist zu gefährlich! Das Mal des blauen Mondes hat sich bereits auf deinen Hals ausgeweitet!“   Aber Vanitas hatte nur ein müdes Lächeln für ihn übrig.   „Sieh genau hin, Noé! Das hier sind vielleicht die letzten Fluchträger, die du jemals zu Gesicht bekommen wirst.“     Fluchträger? Was sollte das sein?   Erneut schien Noés Wahrnehmung sich zu erweitern. Da waren noch weitere Personen. Viele von ihnen, aber auf sicherem Abstand, als ob sie auf einen Befehl warteten.   „Seht alle genau hin.“ , setzte Vanitas wieder an. „Ich werde dieses Buch niemandem überlassen.“   Und besagtes Buch fing an zu leuchten.   ‚Nein!‘, war das einzige was Noé noch denken konnte. Er musste Vanitas beschützen. Aber wieso? Und wovor eigentlich? Alles was er wusste war, dass wenn er es nicht täte… Wenn er tatenlos zusehen würde, hätte er das Gefühl seinen Freund eigenhändig umzubringen.   Waren sie das bereits? Freunde?     „Noé… Wenn ich nicht mehr ich selbst bin… Weißt du, was du zu tun hast.“ Was sagte Vanitas da? Er wollte das nicht.     Plötzlich lief alles so schnell ab. Irgendetwas kam aus dem Buch heraus, wollte sich den Körper des jungen Mannes einverleiben. Etwas, das so gefährlich war, dass Domi Noé festhielt, um ihn davon abzuhalten Vanitas näher zu kommen.   „VANITAS! LASS DAS BUCH LOS!“, hörte er sich aus vollem Halse brüllen und dann…   Wurde alles weiß.     „Komm zurück!“   Diese Stimme. Er kannte sie, aber wer…?     Lehrmeister…?         Ein Ruck ging durch Noés Körper, als er in seinem Bett erwachte, die Augen weit aufgerissen zur Decke starrend. Da war etwas Nasses auf seinen Wangen. Zögerlich glitten die Finger des Studenten an seine Wange. Tränen? Hatte er geweint? Bröckchenweise kam ihm sein Traum wieder in den Sinn…   Ohne noch lange nachzudenken, sprang Noé aus dem Bett auf, eilte zu seinem Schreibtisch und kramte sein Tagebuch hervor. Er musste den Traum festhalten. Um jeden Preis, bevor er ihn vergaß!   Fahrig glitt die Spitze des Kugelschreibers über die Seiten des Buches. Er hatte sich nicht einmal richtig hingesetzt und versuchte nur angestrengt sich an jedes Detail des Traumes zu erinnern und es zu Papier zu bringen. Am Anfang schienen es nur Träume zu sein, doch je mehr sie sich wiederholten umso klarer wurden sie. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm und er musste herausfinden was es war.   Seit er begonnen hatte, diese Träume zu haben, wurde auch Noés Alltag mehr und mehr von ihnen beeinflusst. Die Déjà-vus häuften sich und sicherlich hatte sich auch sein Verhalten geändert. Domi sah ihn manchmal ganz seltsam an und auch Vanitas schien immer gereizter in seiner Gegenwart. Konnte es sein, dass er verrückt wurde? War es eine psychische Erkrankung? Bildete er sich eine Fantasiewelt ein? Als er den Stift absetzte lies er noch einmal den Blick über die Zeilen vor ihm schweifen. Vampire, ein Grimoire, magische Steine… Das alles war so fremd und doch irgendwie vertraut.     Nachdem Noé alles aufgeschrieben hatte schloss er das Buch, deutlich erleichtert. Allmählig begannen seine Gedanken sich wieder zu ordnen. Er musste sich heute nach der Uni an den Videoschnitt setzen. Es waren nur noch zwei Wochen bis zur Preisverleihung und er hatte noch nicht einmal alle Szenen ausgesucht. Außerdem würde Domi nachmittags vorbeikommen. Etwas zerstreut sah er auf die Uhr. Vanitas war sicher längst los gegangen, um vor den Vorlesungen in der Bibliothek vorbeizuschauen. Die Disziplin seines Mitbewohners beeindruckte Noé nach wie vor. Er streckte sich noch einmal, bevor er ins Badezimmer ging um zu duschen.       Hektisch verließ Noé am Nachmittag den Vorlesungssaal. Er hatte sich schon wieder mit dem Professor verquatscht. Aber was sollte er machen? Geschichte war einfach so wahnsinnig faszinierend und so ein Gespräch war die ideale Vorbereitung auf den anstehenden Test, oder nicht?   Mit schnellen Schritten eilte er die Treppen herunter, lief entlang der Rue Saints-Perés und überquerte die Bd Saint Germains, um die Straßenbahnlinie zu erreichen. Völlig außer Atem kam er gerade noch rechtzeitig an, um in die Bahn einzusteigen. Domi würde sicher schon vor ihm da sein. Seufzend holte er sein Handy hervor um ihr zu schreiben.     Dominique wollte gerade klingeln, als sie bereits den Ton ihres Mobiltelefons hörte. Verwundert holte sie es heraus, um die Nachricht zu lesen. Ein seufzen entglitt ihr. Er kam also schon wieder zu spät. Typisch.   Da sie sich sicher war, dass Noés Mitbewohner noch auf Arbeit sein würde, kramte Dominique den Ersatzschlüssel für Noés Wohnung heraus. Er hatte ihn ihr in weiser Voraussicht schon beim Einzug gegeben. Dieser Mann schaffte es einfach alles zu verlegen und hatte sich auch schon das ein oder andere Mal ausgesperrt, weil er den Schlüssel zu Hause vergessen hatte. Sie würde es sich einfach schon einmal gemütlich machen. Beim Öffnen der Tür kam ihr Murr entgegen und strich um ihre Beine. Mit einem lächeln begrüßte sie den Kater.   „Hallo Murr. Heute nicht auf Streifzug? Es wird wohl langsam kühler draußen.“, kicherte sie und kraulte ihn sanft hinter den Ohren.   Nachdem sie ihre Tasche im Eingangsbereich abgelegt hatte, steuerte Dominique gleich auf Noés Zimmer zu. Es war aufgeräumter als sonst und trotzdem lagen hier und da Dinge herum. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Er lernt es wohl nie.“   Vielleicht hatte ihr Großvater Noé einfach zu sehr verwöhnt. Immerhin fegte dort mindestens einmal die Woche ein Hausmädchen durch alle Zimmer, um aufzuräumen und zu putzen. Um sich die restliche Wartezeit etwas zu vertreiben übernahm Dominique diese Aufgabe kurzerhand. Schließlich kannte sie sich bei Noé so gut aus, dass sie wusste wo alles seinen Platz hatte. Liebevoll setzt sie den alten Teddy, den Noé noch aus Kindertagen hatte, zurück auf das Bett; sammelte die getragene Kleidung vom Stuhl ein, um sie in den Wäschekorb zu legen und warf die leere Verpackung eines Schokoriegels in den Müll.   Als sie Noés Schreibtisch sortieren wollte fiel Dominiques Blick auf ein Notizbuch, dass sie noch nie zuvor gesehen hatte. Am Rand des Buchens befanden sich zwei Metallösen, jedoch kein dafür vorgesehenes Schloss. War das etwa ein Tagebuch? Neugierig nahm sie es in die Hand. Ob sie mal hineinschauen sollte?     Ihre Wangen wurden rot. Was dachte sie da nur? Sie sollte das nicht lesen. Auf gar keinen Fall! Das wäre ein Vertrauensbruch allererste Güte und…     Was wenn etwas über sie darinnen stand?     Dominiques Gefühle gegenüber Noé waren seit langem mehr als nur freundschaftlicher Natur, aber sie hatte sich nie getraut etwas dazu zu sagen. In erster Linie deswegen, weil Noé sich für niemanden oder viel mehr für alle Menschen gleichermaßen zu interessieren schien.   Vielleicht war das hier eine Möglichkeit wenigstens einen Hinweis darauf zu finden, ob sie ihre Gefühle gestehen sollte. Denn schließlich wollte sie ihre Freundschaft nicht kaputt machen. Sie schluckte schwer. Mit einem flüchtigen Blick über die Schulter und zittrigen nervösen Fingern öffnete sie das Buch. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass es sich um ein neueres Buch mit noch wenigen Einträgen handelte. Bestenfalls ein paar Monate alt. Dann würde sie wohl kaum etwas über sich finden.   Suchend überflog sie die Texte. Ein schmollen machte sich in ihrem Gesicht breit. Wieso schrieb er so viel über seinen Mitbewohner? So faszinierend war Vanitas nun auch wieder nicht.   Zuerst waren die Einträge eher kurz und banal doch je mehr Dominique in dem Buch stöberte desto mehr Einträge über nächtliche Träume fand sie. Schlief Noé so schlecht? Hatte er Probleme in der Uni? Vielleicht sollte sie sich die Einträge doch genauer durchlesen…     Er träumte von Vampiren? Fast wäre Dominique amüsiert gewesen, wenn ihr die Dinge, die Noé schrieb nicht unheimlich bekannt vorgekommen wären… Mit jeder Zeile, die sie in sich aufnahm wuchs ein beklemmendes Gefühl in Dominiques Magengegend und doch konnte sie das Buch nicht aus der Hand legen. Wieso kam es ihr vor, als würde sie den Ausgang dieser Einträge kennen, ohne sie zu Ende gelesen zu haben?     Erschrocken fuhr Dominique zusammen als sie das Klicken der Wohnungstür vernahm. Noé war zurück. Schnell legte sie das Buch wieder auf den Schreibtisch und wandte sich zur Tür.   „Noé! Da bist du… ja…“ Sie geriet ins Stocken, als Noé in die Tür trat und ihre Blicke sich trafen. Noés Augen…   Waren sie nicht eigentlich violett? Nein…   Aufgrund dessen, dass sein helles Haar gar nicht zu seinem gebräunten Teint zu passen schien, hatte man bei Noé immer eine Art Teil-Albinismus vermutet. Seine grauen Augen wiesen auch immer einen gewissen violetten Schimmer auf, aber… Wieso kamen sie Dominique auf einmal so fremd vor? Wieso waren sie nicht komplett lila? Wieso…?   Ihr Kopf begann zu schmerzen.   „Domi?“, fragte Noé besorgt. „Ist alles in Ordnung mit dir?“   Als er ihr näher kommen wollte, wich sie zurück.   „Ich…“, begann sie leise zu stammeln. „Ich... ich glaube ich habe etwas… vergessen…“   „Was…?“   „Tut… tut mir leid… Noé. Ich muss nochmal nach Hause.“, kaum hatte sie die Worte ausgesprochen stürmte sie auch schon an ihm vorbei aus der Wohnung.   Was war mit ihr los? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)