Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 45: Missionsbesprechung ------------------------------- In der Sekunde, in der Eren die Autotür hinter sich zuschlägt, biegt Ajax auf die Straße und fährt Richtung Turano-Anwesen.   „Und? Was hast du herausgefunden?“, möchte der junge Mann ohne Begrüßung wissen. „Wieso hast du keine Zwischenberichte geschickt?“   „Weil Max ständig bei mir war“, erklärt Eren während er sich anschnallt. „Ich wollte nicht riskieren, dass er was merkt.“   „Das heißt, du hattest in den letzten vier Stunden keine fünf Minuten Zeit, um ein kurzes Update zu schicken?“ Die Tonlage von Ajax gefällt Eren nicht. Sie klingt so nach Strafe.   „Nein. Max ist mir ständig auf der Pelle gesessen“, verteidigt sich Eren und ergänzt, bevor Ajax etwas sagen kann: „Das hatte aber auch was gutes, so konnte ich ihn die ganze Zeit beobachten und herausfinden, dass er nicht die geringste Spur von irgendwelchen Kräften hat. Weder äußerlich noch irgendwie anders. Vom Charakter her scheint er mir auch nicht der Typ zu sein, der Fähigkeiten besitzt. Ich hab auch sein Zimmer durchsucht und fotografiert, konnte aber auch da keine Hinweise finden. “   „Soll das heißen, du glaubst, er ist ein gewöhnlicher Mensch?“, hakt Ajax nach, ohne von der Straße zu sehen.   Der junge Turano zögert. Wenn er jetzt die falsche Antwort gibt, wird er riesen Ärger bekommen. Er sieht auf seine Hände, die in seinem Schoß liegen und den Saum der Jacke kneten. Gedanklich geht er noch einmal jede Begegnung, jedes Wort mit der Zielperson durch, sucht jeden noch so kleinen verdächtigen Anhaltspunkt und wägt ab, ob sich hinter dem naiven, fröhlichen Dauergrinsen ein Junge mit besonderen Kräften verbergen könnte.   „Eren“, mahnt Ajax streng. „Ich hab dich was gefragt.“   „Ja. Ich meine, nein! Ich...“ Eren räuspert sich kurz, um sich wieder zusammenzureißen und hebt selbstsicher den Kopf. „Ich hab Max die ganze Woche genauestens unter die Lupe genommen und bin zu dem Entschluss gekommen: Er ist ein gewöhnlicher Junge. Wenn er irgendwelche Kräfte hätte, hätte ich sie sicher schon längst entdeckt. Außerdem hat er sich gewünscht Superkräfte zu besitzen, als wir an einem Kinoplakat vorbeigegangen sind. Das würde doch niemand sagen, der schon Kräfte hat.“   „Du bist dir also ganz sicher, dass Max keiner von uns ist?“ Forschend wirft er seinem kleinen Bruder einen Seitenblick zu. „Du musst dir absolut sicher sein, wenn du die Mission als beendet erklären willst. Sollte sich herausstellen, dass dieser Junge doch wie wir ist, ist es für ihn gefährlich weiter unter normalen Menschen zu leben. Das weißt du. Also?“   Ja, das weiß Eren. Ajax hat es schon ein paar Mal erwähnt. Böse Gruppierungen könnten ihn entführen und für ihre teuflischen Pläne benutzen und Blablabla.   „Ich bin mir sicher. Max ist ein normaler Junge“, verkündet Eren entschieden. Aber warum meldet sich bei dieser Aussage eine kleine, zweifelnde Stimme in seinem Hinterkopf?   „Gut. Dann kannst du Vater ja davon berichten, sobald wir Zuhause sind“, entscheidet der junge Mann.   „Heißt das, die Mission ist abgeschlossen?“, interpretiert der Junge vorsichtig.   „Das wird Vater entscheiden.“   ~~~   „Herein“, ertönt die Erlaubnis aus dem Inneren von Herrn Turanos Büro als Antwort auf Ajax´ Klopfen.   Der ältere Bruder öffnet die Tür und sie treten ein. Wie beim letzten Mal sitzt Benedikt auf dem Sofa der Sitzecke und hat ein paar Papiere vor sich ausgebreitet. Eine kleine Stehlampe in der Ecke spendet gerade genug Licht, um zu lesen. Als die beiden eintreten, hebt der Mann den Kopf. Er sieht müde aus, dunkle Ringe sitzen unter seinen Augen und ein paar Strähnen haben sich aus seinem strengen Zopf gelöst, die ihm jetzt ins Gesicht fallen, was ihn nicht zu stören scheint. Eren fragt sich, wann sein Vater wohl das letzte Mal geschlafen hat. Er sieht ihn immer nur arbeiten.   „Hallo, ihr zwei. Was führt euch denn so spät noch zu mir?“, erkundigt er sich neugierig und nimmt die Lesebrille ab.   „Entschuldige bitte die späte Störung, Vater, aber Eren kommt gerade von seiner Mission zurück“, erklärt Ajax und setzt sich auf den Sessel neben dem Sofa.   Interessiert sieht der Mann zu Eren, der sich auf dem Sessel ihm gegenüber niederlässt. „Ah, stimmt. Du warst heute mit diesem Jungen - Max, oder? - auf einer Halloweentour. Heißt das, weil du es mir persönlich berichtest, hast du was herausgefunden?“   Unter den direkten Blicken seiner Familie fühlt er sich immer wie in einem Verhör, was das aufrecht sitzen bleiben erschwert. Der Junge erzählt die Ereignisse des Abends in chronologischer Reihenfolge, angefangen beim Eiscafé FrostYum als er aus Ajax´ Wagen gestiegen ist. Er berichtet von der Süßes oder Saures-Tour, den vier Friedhofdieben, der anschließenden Verfolgungsjagd und den Gesprächsfetzen, an die er sich noch erinnert. Außerdem zeigt er seiner Familie auch die Fotos von Max´ Zimmer. Dass er die meiste Zeit dabei als Piratenskelett herumgelaufen oder vor dem Café eingeschlafen ist - was ihm immer noch ein Rätsel ist - behält er für sich.   „Es gibt also keinerlei Anzeichen dafür, dass Max irgendwelche Kräfte hat. Er ist ein normaler Junge“, schließt Eren seinen Bericht ab.   Schweigend hat der Mann die Augen gesenkt, dabei das Kinn auf die gefalteten Hände gelegt und die Ellbogen ruhen auf den Knien. Die Sekunden ziehen sich für Eren unendlich in die Länge. Sekunden in denen er vor Anspannung mit dem Fuß zu wippen beginnt. Es ist unmöglich zu erraten, was sein Vater denkt und genau das macht den Jungen so nervös. Er will die Mission erfolgreich abschließen und dafür fehlt das Urteil des Mannes, das hoffentlich zu seiner Zufriedenheit ausfällt. Wenn nicht …   „Eren, hör auf so herumzuzappeln“, unterbricht Ajax die Gedankengänge seines Bruders.   Augenblicklich stoppt Eren das Fußwippen und legt ordentlich die Hände in den Schoß. „Entschuldige, Ajax.“   „Nun gut“, sagt Benedikt schließlich, richtet sich auf und sieht seinen jüngeren Sohn an. „Anhand deiner Erkenntnisse scheint die Zielperson tatsächlich keiner von uns zu sein. Allerdings hat Ajax etwas an ihm bemerkt, dass auffällig ist.“ Er sieht kurz zu dem Blonden, der bestätigend nickt ehe er seine Augen wieder auf Eren richtet, dem diese kurze stumme Unterhaltung zwischen den beiden ein mulmiges Gefühl beschert. „Deshalb möchte ich, dass du ihn noch eine weitere Woche im Auge behältst. Entlocke ihm jedes Geheimnis, dass er versucht zu verstecken und berichte es wie gewohnt per Handy. Nächste Woche sehen wir dann weiter, ob eine längere Beschattung nötig ist. Verstanden?“   „Verstanden, Vater“, bestätigt Eren nickend.   Erleichterung macht sich in seinem Inneren breit. Er hat die Mission zwar doch noch nicht abgeschlossen, aber zumindest ist seine Familie mit den bisherigen Informationen soweit zufrieden, dass er deshalb nicht bestraft wird. Im Gegenteil, er darf sogar noch eine Woche in die Schule gehen! Zwar im Rahmen des Auftrags, aber das macht für den Jungen keinen Unterschied.   „Gut, da dieser Punkt nun geklärt ist: Über die morgige Mission hat dich Ajax schon informiert?“, fragt der Vater mit Blick auf den älteren Sohn nach.   „Ich hab ihm bisher nur gesagt, dass wir morgen eine Mission haben. Die Details hätte ich ihm während der Fahrt erklärt“, antwortet er.   „Okay, sehr gut. Dann überlass ich das dir“, beschließt der Mann zufrieden und wendet sich erneut an Eren. „Du kannst jetzt gehen, Eren. Morgen um dreizehn Uhr treffen wir uns im Missionsraum 1. Bis dahin arbeitest du bitte deinen Terminplan ab.“   „Ja, Vater.“ Also ist morgen wieder Training angesagt. Hoffentlich sind die Nebenwirkungen bis dahin verschwunden. „Wo fahren wir eigentlich hin? Und wie lange? Nur damit ich weiß, ob und was ich packen soll.“   „Nicht nötig. Das übernehmen die Angestellten. Sei einfach pünktlich im Missionsraum, geduscht und im Smoking“, weist ihn sein Vater an und entlässt ihn mit einem Nicken Richtung Tür. „Gute Nacht, Eren.“   „Gute Nacht, Vater, Ajax.“ Mit diesen Worten erhebt sich der Junge und geht Richtung Tür.   Auf halber Strecke wird er doch noch von seinem Bruder aufgehalten. „Eren, bevor du gehst, schalt bitte dein Smartphone aus und gib es mir. Du brauchst es für die Mission nicht.“   „Und wenn Max versucht mich am Wochenende zu erreichen?“, gibt Eren zu bedenken, der sein Handy nicht jetzt schon wieder hergeben möchte. „Ist es dann nicht verdächtig, wenn ich nicht antworte?“   „Ein Smartphone lenkt dich nur bei der Mission morgen ab. Und du weißt ja: wer abgelenkt ist, ist ein leichtes Ziel“, zitiert der Ältere eine seiner Regeln. Mal wieder. „Du bekommst es am Montagmorgen zurück.“   „Okay, Ajax.“ Widerwillig zieht er das Handy aus der Jackentasche, schaltet es aus und überreicht es seinem Bruder. „Gute Nacht.“   ~~~   In dieser Nacht hat Eren schlecht geschlafen. Es lag nicht daran, dass er nicht einschlafen konnte, dafür war er müde genug, vielmehr wurde er ständig von seltsamen Träumen geplagt. Teilweise hat er den grauen Raum betreten, allerdings haben die anderen Versionen von ihm kein Wort gesagt. In den Spiegeln war auch nur Rauch zu sehen. Gestört hat das den Jungen nicht, so musste er zumindest nicht diskutieren, aber es bereitete ihm ein äußerst ungutes Gefühl im Magen. Auch wenn die Stimmen im wachen Zustand stumm sind, hier im Spiegelraum waren sie immer äußerst redselig.   In anderen Traumfetzen spielte Max und manchmal auch Dr. Ryu eine zentrale Rolle. Verschwommene Bilder in denen Max mit den verschiedenen Elementen Kunststücke aufführt und ihn anfleht, niemandem sein Geheimnis zu verraten, weil er kein Versuchskaninchen am Grund des Ozeans werden will. Die Ärztin steht meist daneben, starrt ihn manchmal einfach nur traurig an oder sagt Dinge, die den Jungen nur verwirren. Dinge über seine Familie, schlimme Dinge, die einfach nicht wahr sein können.   Als er am nächsten Morgen von seinem Wecker aus dem Schlaf gerissen wird, kann er sich schon nicht mehr an die Traumfetzen erinnern. Alles was bleibt, ist das Gefühl einer alles anderen als erholsamen Nacht. Zumindest die Nebenwirkungen der Verwandlungstests gestern scheinen verschwunden zu sein.   Sobald Eren im Trainingsoutfit sein Zimmer verlässt, stehen schon zwei Butler bereit, die nur darauf gewartet haben, sein Zimmer aufräumen zu dürfen. Als wäre Eren nicht selbst dazu in der Lage sein Bett zu machen, ein bisschen Staubzusaugen oder die gewaschenen Klamotten wieder einzusortieren. Aber wenn er es tatsächlich einmal selbst macht, wird er sofort von Ajax und seinem Vater belehrt, dass er über den niederen Arbeiten der Angestellten steht und es für diese eine Ehre sei, jemandem wie ihm hinterherräumen zu dürfen. Lächerlich.   Die lange Tafel im Speisesaal ist groß genug, sodass vermutlich Erens gesamte Schulklasse daran Platz hätte. Allerdings steht nur ein einziges Tablett mit rechteckiger Glosche darauf.   „Guten Morgen, junger Herr Turano“, grüßt ihn eine ältere Dame mit Kochschürze freundlich. Sie hebt die Glosche an, als sich Eren setzt und präsentiert so sein Frühstück: Käse-Spinat-Omelett mit Vollkornbrot und Joghurt mit Früchten. Das selbe Frühstück wie seit Monaten. „Ich hoffe alles ist zu Ihrer Zufriedenheit? Sollte Ihnen was fehlen, läuten Sie einfach und ich eile herbei.“   „Ja, danke, Anita.“   Auch das ist etwas, das Eren aufgegeben hat immer und immer wieder zu erwähnen. Dieses unterwürfige Verhalten ihm gegenüber muss nicht sein. Die silberne Glocke hat er sowieso noch nie benutzt. Abgesehen davon, alles was er zum Frühstück essen darf, befindet sich bereits auf dem Tablett.   Mit einem Lächeln und einer leichten Verbeugung zieht sich Anita in die angrenzende Küche zurück und Eren beginnt zu frühstücken. Als er gerade dabei ist sein Omelett zu essen, wagt sich ein noch relativ junger Butler an die Tafel. Er ist vielleicht höchstens Zwanzig, hat den Kopf zwischen die Schultern gezogen und die Augen auf seine behandschuhten Hände gerichtet, die ein Tablet umklammern. Eren ist gut in Gesichter merken, aber ihn hat er hier noch nie gesehen.   „G-Guten M-Morgen, junger H-Herr“, stottert er nervös und hält Eren mit zitternden Fingern das Tablet entgegen. „I-Ich soll Ihnen Ihren T-Terminplan übergeben.“   „Danke dir.“ Eren bemüht sich darum ein möglichst freundliches Gesicht zu machen als er das Tablet entgegennimmt. „Bist du neu hier?“   Überrascht sieht der junge Mann für zwei Sekunden Eren direkt an, dann dreht er hastig den Kopf weg und zupft an den Fingern seiner Handschuhe herum. „J-Ja. N-Nein.“   Irritiert sieht Eren von seinem Terminplan auf. „Was jetzt: ja oder nein?“   Es ist deutlich zu sehen, dass sich der Butler irgendwo anders hinwünscht. „Ich bin schon seit zwei Jahren ein Butlerazubi, aber heute ist mein erster Tag im Anwesen.“   Oh je, der ist echt richtig nervös. Er hat sich auf alle Fälle keinen leichten Job ausgesucht. „Na dann, willkommen im Anwesen. Und danke für den Plan.“   Sichtlich erleichtert nickt er und macht kehrt, um sich zu verkrümeln als jemand mit schnellen Schritten auf den Tisch zusteuert. Es ist einer der älteren Butler hier, der beim Anblick des Azubis in Erens Nähe rot im Gesicht wird und sein Tempo erhöht. Unsanft zieht er den Azubi ein paar Schritte vom Tisch weg.   „Nils, was denkst du dir dabei?!“, zischt er ihn gedämpft an.   „A-Aber Sie haben doch gesagt, ich soll ihm den Terminplan übergeben“, verteidigt er sich eingeschüchtert.   „Du solltest das Tablet auf den Tisch neben der Tür ablegen und nicht den jungen Herrn belästigen! Du bist noch lange nicht befugt, direkten Kontakt zu der Turano-Familie zu haben!“, schimpft der ältere Butler im Flüsterton.   Eren hört dennoch jedes Wort und ist irgendwie nicht im geringsten überrascht, dass es so streng untersagt ist ihm ein Tablet zu geben. Schon wieder eine unnötig strenge Regel, die der Junge nicht nachvollziehen kann. Er weiß ganz genau, es ist unter seiner Würde sich um die Bediensteten zu kümmern, aber er kann nicht anders als ein schlechtes Gewissen wegen dieser Lappalie zu bekommen. Deshalb beschließt er sich einzumischen und zu hoffen, dass seine Familie keinen Wind davon bekommt.   „Bitte, ist schon gut. Ich hab nichts dagegen, das weißt du doch“, versucht der Junge die Situation zu entschärfen.   Der Mann dreht sich zu Eren herum, legt eine Hand aufs Herz und deutet eine Verbeugung an. „Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, junger Herr, aber Sie wissen doch, es überschreitet unsere Befugnisse. Vor allem einem Butlerazubi an seinem ersten Tag im Anwesen Turano ist es nicht gestattet direkten Kontakt zu einem Turano aufzunehmen. Bitte verzeihen Sie ihm diesen Fauxpas. Seien Sie sich gewiss, ich werde sicherstellen, dass das nicht wieder vorkommt.“   Bevor Eren noch was sagen kann, es würde sowieso niemand auf seine Worte hören, verschwinden die beiden Butler aus dem Speisesaal. Dem Jungen bleibt nur zu hoffen, dass dieser Nils nicht zu hart bestraft wird, weil er ihm das Tablet direkt ausgehändigt hat. Schwer seufzend wendet er sich wieder seinem Frühstück zu. Irgendwann wird er diese strengen, dämlichen Regeln lockern. Spätestens, wenn er die Leitung des Bunkers übernimmt. Das nimmt er sich fest vor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)