Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 25: Wer verhört hier wen? --------------------------------- Mittlerweile ist die sechste Schulstunde vorbei und die Klasse leert sich. Es ist Mittagspause und alle wollen schnell in die Cafeteria. Auch Eren packt seine Sachen zusammen und folgt dem Strom an Schülern, um nicht dem nutzlosen Plan des Direktors folgen zu müssen. Heute hat Eren den ersten Nachmittagsunterricht: Musik und Sport. Vor ersterem graut´s ihm. Hoffentlich muss er nicht singen. Oder ein Instrument spielen. Oder tanzen. Alles davon beherrscht er so gut, wie ein zweibeiniger Elefant im berüchtigten Porzellanladen. Sport interessiert ihn da schon mehr. Ob das so wird wie eine Trainingseinheit bei ihm Zuhause? Wohl kaum. Seine Klassenkameraden sehen nicht ansatzweise so aus, als könnten sie mit den Standards des Bunkertrainings mithalten.   In der Kantine angekommen, reihen sich die meisten Schüler zielstrebig an der Ausgabe ein oder sichern sich einen der vielen runden Tische. Nur Eren bleibt unschlüssig in Türnähe stehen. Jeder scheint hier schon einen Stammplatz zu haben, was ihm die Entscheidung, wo er sitzen soll, nicht gerade leichter macht.   Im Grunde ist es egal, beschließt er und steuert einen freien Tisch am Rand an. Er nimmt die Schultasche und den Sportbeutel ab und setzt sich so, dass er die Wand im Rücken und die Cafeteria im Blick hat. Je voller es wird, desto mehr kristallisiert sich eine Art Hierarchie heraus. Bestimmte Typen sitzen beieinander, wobei die meisten leicht an ihren Uniformen für die nachmittäglichen Wahlfächer erkennbar sind. Sportler - vermutlich Fußball nach dem schwarz-weißen Ball zwischen ihnen zu urteilen - haben drei Tische zusammengeschoben. Am Tisch daneben sitzen Cheerleader mit einem Pompomberg zwischen ihnen. In einer anderen Ecke sammeln sich Schüler mit Musikinstrumenten. Eine Schulband? Hat der Direktor die nicht erwähnt? Irgendwie kommt ihm das alles ziemlich klischeehaft vor. Sogar die Plakate an den …   „Hey, hast du keinen Hunger?“   Vor Schreck wäre er beinahe vom Stuhl gefallen und, was noch schlimmer wär, hätte aus Reflex nach dem Anschleicher geschlagen. Beides kann er glücklicherweise verhindern, doch zusammenzucken und einen beschleunigten Puls bekommt er dennoch. Anklagend funkelt er den Blonden an, der sich breit grinsend auf den Stuhl neben ihm sinken lässt. „Du liebst es dich anzuschleichen und andere zu erschrecken, oder?“   „Sorry, aber du lässt dich auch echt leicht erschrecken“, entgegnet Max und bringt Eren damit dazu, sich über sich selbst zu ärgern.   Der Junge hat ja recht. In letzter Zeit lässt er ziemlich nach, was seine Aufmerksamkeit angeht. Echte Gefahren hätten da leichtes Spiel. Er muss das unbedingt ändern, bevor Ajax das noch mitbekommt.   „Also? Keinen Hunger? Holst du dir nichts?“, wiederholt er die Frage.   „Nein. Also, ja, Hunger schon, aber ich hab was dabei.“ Zum Beweis holt er eine schwarze Box aus der Schultasche hervor.   „Gute Entscheidung“, lobt Max anerkennend, der ebenfalls eine blaue Lunchbox aus seiner Tasche zieht. „Das Cafeteriaessen sieht vielleicht gut aus, aber es schmeckt wie alte Sportsocken.“   „Auf den Geschmack kann ich gerne verzichten.“ Eren verzieht angeekelt das Gesicht. Das ist zwar nicht der eigentliche Grund für sein mitgebrachtes Essen, aber auch einer der Gründe. Hauptsächlich ist mal wieder seine Familie schuld, die trotz der Schulmission nicht duldet, dass Eren seinen Essensplan durcheinander bringt.   „Oh, ist unserem Prinzlein das Schulessen etwa nicht gut genug?“, nörgelt Timo bevor - Wie sollte es anders sein? - er sich zu Max und Eren an den Tisch setzt. Er hat sich etwas von der Kantine geholt und so wie es Max gesagt hat, sieht es nach einer gewöhnlichen Portion Spaghetti Bolognese aus.   Warum scheint Eren diese stänkernden Trottel nur magisch anzuziehen? Warum setzt der sich eigentlich zu ihm, wenn er ihn eh nicht ausstehen kann? Möglichst gefasst sieht er zu seinem Klassenkameraden. „Nein, aber ich hab einen Ernährungsplan und keine Lust darauf mir den Magen zu verderben. Max hat mich wegen dem Essen schon vorgewarnt.“   „Echt, du hast sogar einen Ernährungsplan?“, hakt Max ungläubig nach.   Eren öffnet zwar den Mund, aber Timo ist schneller. Diesmal allerdings richten sich seine harschen Worte an den Blonden. „Hör auf überall rumzuerzählen, dass das Schulessen schlecht sei. Das hab ich dir schon ein paar Mal gesagt! Nur weil du einmal einen verdorbenen Fisch erwischt hast, heißt das noch lange nicht, dass alle Gerichte zu Übelkeit führen!“   „Kann sein“, gibt Max schuldbewusst zu und zieht leicht den Kopf ein. „Aber immer wenn ich an Schulessen denke, muss ich an den Fisch denken und dann wird mir schlecht.“ Als Beweis hält er sich den Magen und wird tatsächlich ein wenig grün um die Nase.   „Lass ihn doch, wenn er lieber von Zuhause was mitbringen will.“ Auch Paula setzt sich nun zwischen Max und Timo mit einem Tablett voller Spaghetti an den Tisch. An Eren gewandt ergänzt sie: „Timo ist sehr empfindlich, was das Thema betrifft. Die Köchin ist nämlich unsere Mutter.“   „Ihr seid Geschwister?“ Ungläubig blinzelt der Experimentjunge die beiden an. Sie sehen sich nicht ähnlich genug, um Verwandt zu sein.   „Naja, Stiefgeschwister. Mein Dad hat seine Mom vor ein paar Jahren geheiratet“, erklärt Paula während sie ein paar Nudeln auf die Gabel aufdreht.   „Wieso erzählst du ihm das?“, ärgert sich Timo grundlos.   „Oh, tut mir leid. Ich wusste nicht, dass das ein Geheimnis ist!“, entgegnet sie pampig.   „Streitet Timo eigentlich mit jedem?“, erkundigt sich Eren mit gerunzelter Stirn bei Max.   „Ja, so ziemlich“, bestätigt dieser, öffnet seine Box und beißt von seinem Sandwich ab. Mit noch halbvollem Mund - ein Benehmen für das Eren einen Dolch von Ajax kassiert hätte - ergänzt er: „Er will immer recht haben und in allem der Beste sein und steht auch sonst gern im Mittelpunkt. Du als Neuer und auch noch ein Turano bekommst eben seinen ganzen Neid zu spüren. Gib ihm ein paar Wochen … oder Monate. Er wird sich schon wieder einkriegen.“   So lange wird die Mission hoffentlich nicht dauern. Aber warum fragt er eigentlich nach dem Streithahn? Der ist nicht seine Zielperson. Um diesen Fehler schnell zu überspielen, wendet sich Eren nun komplett zu Max um. „Übrigens, ich hab wegen Freitag gefragt. Es geht klar.“   „Oh, klasse! Das wird spitze, das verspreche ich! Ich zeig dir, wir man richtig Halloween feiert. Und dann wirst du Halloween genauso lieben wie ich“, prophezeit der Blonde zuversichtlich. „Vor allem, wenn wir jede Menge Süßkram erbeuten.“ Ein gieriges Glitzern erscheint in den grünen Augen. Ist das ein Fähigkeitenhinweis? Nein. Das ist nur gewöhnliche Zuckersucht.   „Ja, mal sehen.“ *Mal sehen, was ich an Halloween aus dir rausbekomme.*   „Und? Weißt du schon, als was du dich verkleidest?“, erkundigt sich der Blonde im Halloweenmodus.   „Geht ihr wirklich noch auf Süßes oder Saures?“ Der Klassensprecher zieht eine spöttische Schnute.   „Klar. Willst du mitkommen?“, bietet Max freundlicherweise an.   Hoffentlich nicht. Wenn Timo dabei ist, kann Eren sein Vorhaben gleich vergessen.   „Ganz sicher nicht. Das ist doch Kinderkram“, behauptet Timo zu Erens Erleichterung und stopft sich eine Gabel voll Spaghetti in den Mund. „So sind zwei Konkurrenten weniger am Kostümwettbewerb der Schulfeier beteiligt. Mir ist´s recht. Auch wenn keiner von euch eine echte Konkurrenz wär.“   „Da werden wir auch dabei sein“, beschließt Max und funkelt Timo herausfordernd an. „Wir werden ja sehen wer gewinnt. Nur als Erinnerung, ich hab letztes Jahr auch gewonnen. Weißt du noch?“   Na sieh mal einer an. Max scheint Wettbewerbe zu mögen. Kann man mit dieser Info irgendetwas anfangen?   „Na und? Da hatte ich mir auch den Arm gebrochen und konnte nicht teilnehmen“, erinnert ihn der Schwarzhaarige ausweichend. „Aber dieses Jahr bin ich voll dabei!“ Kampfbereit erhebt er seine Faust. In diesem Zusammenhang und mit einem Tomatenbart wirkt er allerdings eher zum Auslachen als zum Fürchten.   „Herausforderung angenommen.“ Die beiden Jungs schlagen ein, funkeln sich noch einmal rivalisierend an und die Sache ist geritzt. „Also, zurück zum Thema.“ Max sieht wieder zu Eren und fügt streng mit dem Sandwich auf ihn gerichtet hinzu: „Dein Kostüm. Damit meine ich ein echtes Kostüm und keinen feinen Anzug wie am Spielplatz.“   Timo prustet los. „Echt jetzt? Du hattest am Spielplatz einen Anzug an?“   „Jaa, das kannst du vergessen“, lautet Erens vernichtende Antwort, der Timo vollständig ignoriert. Stattdessen öffnet er nun selbst seine Lunchbox. Heute ist Dienstag, nicht? Das heißt es gibt einen Wrap. Nichts extravagantes, aber jede Woche die gleiche Reihenfolge. Es schmeckt gut, aber für etwas anderes, als das was in seinem Ernährungsplan steht, würde er töten. Wortwörtlich. Sein Vater hat den Ernährungsplan extra für ihn von einem Experten erstellen lassen und an den muss er sich schon seit Monaten halten. Einmal im Jahr wird der Plan erneuert. Nicht mal bei seiner Ernährung hat er ein Mitspracherecht.   „Was? Wieso?“, verlangt Max empört zu erfahren und ignoriert ebenfalls Timo, der vor Lachen gerade an einer Spaghetti erstickt. Paula klopft ihrem Stiefbruder mehr oder weniger hilfsbereit auf den Rücken.   „Na, weil das eine der Bedingungen war, weshalb ich Freitag überhaupt mitgehen darf“, antwortet der junge Turano ehrlich. „Außerdem hatte ich eh keine große Lust mir ein Bettlaken über den Kopf zu werfen und die ganze Zeit Buh zu rufen.“   „Ach, komm schon“, quengelt Max flehend und zieht einen Schmollmund. „Du musst ja nicht als Geist gehen, aber ein Kostüm gehört an Halloween einfach dazu.“   Eren schüttelt den Kopf. „Da musst du nicht mich überreden, sondern meinen Vater und Ajax.“   „Gut, mach ich. Holen sie dich heute ab?“ Der flehende Blick ist von einer Sekunde auf die andere einem mehr als entschlossenem gewichen. Ist Wankelmütigkeit ein Hinweis? Ne, das ist einfach nur eine Eigenart.   „Kann ich nicht sagen. Mein Bruder höchstwahrscheinlich schon, mein Vater … keine Ahnung“, meint Eren schulterzuckend.   „Dann geh ich einfach mit dir zum Auto und dann sehen wir schon“, entschlossen schiebt er sich den letzten Bissen in den Mund.   „Nein, das ist eine ganz, ganz miese Idee.“ Eren wird bleich um die Nase, wenn er nur daran denkt, was passieren könnte, wenn Max bei Ajax´ Mustang oder der Limousine auftaucht und darum bittet, dass Eren sich Freitag verkleiden darf. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Max dann einfach im Auto mitgenommen, unter Folter befragt und anschließend mit gelöschtem Gedächtnis am Straßenrand ausgesetzt wird. Das wäre die bevorzugte Art seines Bruders diese Mission abzuschließen. „Du kennst meinen Bruder nicht. Der lässt sich nicht überreden. Wenn du ihn fragst, verbohrt er sich nur noch mehr in seiner Meinung.“   „Ich kann aber auch ganz schön nervig und verbohrt sein“, verkündet Max als wäre es ein großes Talent und hebt stolz das Kinn.   „Ja, das kann er“, stimmt Paula zu. „Er gibt nicht auf, bis er bekommt, was er will. In dem Punkt ist Max eine hartnäckige Nervensäge.“   „Das durfte ich auch schon zweimal erfahren.“ Eren wirft Max einen gespielt grummeligen, vorwurfsvollen Seitenblick zu.   Max spielt sofort mit, fasst sich verletzt ans Herz und tut so, als würde er sich eine Träne von der Wange wischen. „Ihr seid so gemein zu mir. Und ich dachte, ihr wärt meine Freunde.“   Da ist wieder dieses Wort: Freunde. Sieht der naive Blondschopf Eren tatsächlich schon als Freund an? Kann es wirklich so einfach sein, sich in dessen Leben einzuschmuggeln? Irgendwie kann der junge Turano das nicht ganz glauben. Niemand schließt so schnell Freundschaft. Er kennt ihn ja überhaupt nicht. Aber gut, was weiß er schon über Freundschaft? Was beschwert er sich überhaupt? Max macht ihm die Mission so nur einfacher.   „Weißt du was mir gerade so auffällt, Eren?“, fragt Max plötzlich mit einem seltsamen Schmunzeln.   „Hm?“ Misstrauisch kneift Eren die Augen zusammen und kaut langsam weiter.   „Heute bist du viel offener als am Spielplatz oder im Krankenhaus. Du solltest öfter ohne deinem Bruder wo hingehen“, schlägt er mit dem Kinn auf der Handfläche abgestützt vor und einem Schmunzeln voller Genugtuung im Gesicht.   Eren erstarrt mitten in der Kaubewegung. Fieberhaft lässt er jeden einzelnen Satz der Mittagspause Revue passieren, analysiert jedes von ihm gesagte Wort und überlegt, ob er zu viel verraten hat. Er hat ein bisschen über seinen Vater und Bruder gemeckert, ja, aber … Kann man das schon gegen die Turanos verwenden? Schädigt das bereits den Ruf der Familie? Erregt das Misstrauen? Das darf nicht sein! Seine erste Solomission, sein erstes Mittagessen mit Gleichaltrigen und diese drei bringen ihn dazu, einfach locker zu antworten, ohne wirklich darüber nachzudenken. Was ist aus dem jahrelangen Verhörtraining geworden? Wo ist das alles hin?   ~~~   Den Großteil der restlichen Mittagspause hat Eren konzentriert an seinem Wrap geknabbert und den dreien hauptsächlich nur zugehört, wie sie über die geplante Halloweenfeier und den Kostümwettbewerb geredet haben. Ab und zu hat er einen Kommentar mit eingeworfen, sodass es nicht komplett so aussieht, als wäre er durch Max´ Feststellung so dermaßen verunsichert worden, dass er nur noch darüber nachdenkt, wie man ihm seine Worte im Mund herumdrehen könnte.   Dann endlich zuckt er wegen der schrillen Schulglocke, an die er sich noch immer nicht gewöhnt hat, zusammen, packt sein Mittagessen weg, steht auf und geht zusammen mit den anderen zur ersten Musikstunde seines Lebens. Die Lehrerin ist noch relativ jung, hat kurze braune Haare und trägt ein knielanges braun kariertes Kleid mit schwarzer Leggins. Sie hat sofort bemerkt, dass Eren neu in der Klasse ist, noch bevor er sich auf einen Stuhl gesetzt hat. Sie hat sich vorgestellt, nach seinem Namen gefragt und das war´s dann auch mit Vorstellungsrunde. Zum Glück ist sie nicht die Art Musiklehrerin, die ihre Schüler dazu zwingt etwas vor der ganzen Klasse vorzusingen. Sie lehrt lieber die Notenleiter. Ausnahmsweise ein Theorieunterricht, den Eren noch nicht vom Privatunterricht her kennt. Nur leider ist der Stoff deshalb auch nicht spannender. Und hilfreich für die Missionen erst recht nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)