Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 15: Tarnen und Täuschen ------------------------------- Bis die Brüder zu ihrer Mission aufbrechen, steht für Eren sein gewöhnliches Trainingsprogramm auf dem Plan. Allerdings mit kleinen spontanen Änderungen. Anstatt an seiner Ausdauer zu arbeiten, solle er seine Fähigkeiten nutzen, damit beide Male bis Missionsbeginn so weit geschrumpft sind, sodass sie unter Alltagsklamotten nicht mehr auffallen.   Pünktlich um neun Uhr sitzen Eren und Ajax im grauen Ford Mustang auf dem Weg ins Krankenhaus von Haikla City. Anders als bei den bisherigen Aufträgen ist Eren ausnahmsweise wie ein gewöhnlicher Junge angezogen, ohne besondere Missionskleidung oder Waffen oder Ausrüstung oder sonst was. Nur einen dünnen dunkelblauen Pullover, ein schwarzes T-Shirt darüber, eine blaue Jeans und Turnschuhe. Der Zwölfjährige kann sich nicht erinnern jemals so normal ausgesehen zu haben. Es ist ungewohnt, aber auf eine gute Weise.   Ajax hat ihm bereits von seinem Plan erzählt. Er ist zwar gut und durchdacht, aber auch riskant. Besonders tagsüber, unter so vielen Leuten und in der Nähe der Polizei. Wenn etwas schief geht oder sie mit dem bevorstehenden Mord irgendwie in Verbindung gebracht werden können, dann wäre die Geheimorganisation nicht länger geheim und sie landen alle im Knast. Aber darüber macht sich Eren keine Sorgen. Sie haben schon so viele Aufträge übernommen und nie ist etwas schief gegangen. Ajax sorgt dafür. Er ist ja nicht ohne Grund der Beste. Allerdings ist dies die erste Mission, die in ihrer Heimatstadt zu erledigen ist. Besonders Ajax´ Gesicht ist hier nicht unbekannt. Hoffentlich geht alles gut.   Das Krankenhaus liegt ein Stückchen außerhalb der Stadt, umringt von Feldern und einem Wald. Ein friedliches Plätzchen für die Patienten, um sich in Ruhe zu erholen, ohne ständig den Verkehrslärm im Ohr zu haben. Ajax parkt den Wagen im Parkhaus auf der untersten Etage, direkt gegenüber der Ausgangsschranke, um nachher schneller vom Ort des Geschehens wegzukommen.   Sobald der Motor aus ist, löst Eren den Sicherheitsgurt und will aussteigen, wird jedoch von Ajax zurückgehalten. „Du weißt was zu tun ist, ja?“   „Ja, keine Sorge. Ich schaffe das“, versichert Eren zuversichtlich. „Bis nachher.“   Bevor sein Bruder noch mehr sagen kann, springt der Junge aus dem Auto und schließt die Tür. Mit den Händen in den Hosentaschen marschiert er los zum Treppenhaus, das ins Innere des Krankenhauses führt. Es sind nur eine Handvoll anderer Autos auf dieser Etage, dennoch ist der Abgasgestank enorm. Eren rümpft angeekelt die Nase, die er sich am liebsten zuhalten würde, aber das würde nur unnötig Aufmerksamkeit auf ihn ziehen. Nicht jeder nimmt Gerüche so intensiv wahr wie er.   Im Treppenhaus riecht es sogar noch ekelhafter. Hier vermischt sich der Abgasgestank mit dem typischen sterilen Krankenhausduft. Dieser Mischmasch treibt Eren Tränen in die Augen, die er durch häufiges Blinzeln zurückdrängt. Schnell sprintet er immer drei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinauf und flüchtet durch die Metalltür mit der Aufschrift „Etage 03“. Hinter der Tür bleibt er kurz stehen, um sich zu orientieren. Obwohl er schon sein ganzes Leben in Haikla City lebt, war er noch nie im Krankenhaus. Das war bisher auch nicht nötig. Immerhin haben die Turanos ihre privaten Ärzte, ein eigenes Labor und Patientenzimmer. Und seine Heilkräfte sind zu gut, um überhaupt die Hilfe von Ärzten in Anspruch nehmen zu müssen.   Das Stockwerk ist in hellen Farbtönen gehalten, damit es freundlicher wirkt. Die Wände sind halb hellgrün und halb hellblau gestrichen, dazu mit bunten Blümchen bemalt, sodass es einer Blumenwiese im Sommer ähnelt. Selbstgemalte Bilder oder Naturfotos hängen abwechselnd links und rechts an den Wänden. Irgendwie kitschig, aber es erfüllt seinen Zweck die Illusion einer freundlichen, sicheren Umgebung zu schaffen. Krankenpfleger, Ärzte, Besucher und Patienten sind auf dem Gang unterwegs. Ein paar von ihnen lächeln Eren sogar an, als sie an ihm vorbeigehen. Eren erwidert die höfliche Begrüßung mit einem Kopfnicken und leichtem Lächeln.   Gegenüber dem Treppenhaus ist ein Plan der Etage zu finden, der zeigt welche Zimmer in welcher Richtung liegen. Schnell hat Eren die Nummer 308 gefunden, biegt nach rechts ab und folgt den weiteren Beschriftungen. Unterwegs sieht er sich alles an was er so findet. Immerhin ist er das erste Mal in einem Krankenhaus und findet interessant wie sich normale Menschen behandeln lassen.   Niemand schenkt dem Kind wirklich große Aufmerksamkeit. Erst als er den kurzen Gang erreicht, in dem die Zimmern 308 und 309 liegen, wird er angesprochen. Am Ende des Ganges sitzt ein Polizist in Berufsbekleidung. Als Eren um die Ecke biegt erhebt sich der Mann und baut sich vor der Tür auf, behält jedoch ein freundliches Gesicht. Schließlich ist Eren nur ein Kind in seinen Augen.   „Hallo. Hast du dich verlaufen? Hier ist Zutritt verboten, Junge“, erklärt der Mann leicht lispelnd. Er hat einen buschigen Schnurrbart und nur noch wenige schwarze Haare am Kopf. Sein Hemd spannt sich über den leichten Bierbauch.   Eren nimmt die Hände aus den Hosentaschen und setzt sein bestes Unschuldsgesicht auf als er in der Mitte des Ganges stehen bleibt. „Hallo. Tut mir leid Sie zu stören, Herr Polizist, ich wollte Sie nur etwas fragen.“   Überrascht hebt der Polizist eine Augenbraue. „Ich hab leider keine Zeit für Fragen, Kleiner. Ich muss arbeiten.“   Kleiner! Wie er es hasst so genannt zu werden! Trotzdem behält er sein Lächeln auf und ärgert sich nur innerlich. „Bitte. Es dauert auch nicht lange und danach lasse ich Sie in Ruhe. Versprochen.“   Ergeben seufzt der Mann und nickt. „Also gut. Was willst du denn wissen?“   „Eigentlich ist es eher eine Bitte“, gesteht Eren und spielt nervös mit seinen Fingern. „Meine kleine Schwester liegt hier ganz in der Nähe und sie liebt Polizisten. Sie will selbst eine Polizistin werden, wenn sie groß ist.“ Jetzt noch ein bisschen auf die Tränendrüse drücken und der Mann ist Wachs in Erens Händen. „Wissen Sie, sie hat sich bei einem Autounfall die Wirbelsäule verletzt und sitzt jetzt im Rollstuhl.“ Tränen sammeln sich in den blauen Augen, die den Mann mitleidig das Gesicht verziehen lassen. „Ich würde sie gerne aufmuntern. Würden Sie kurz zu ihr gehen? Bitte? Lilly würde es so viel bedeutet einen echten Polizisten zu treffen. Besonders jetzt, wo sie wahrscheinlich selbst keine mehr werden kann.“ Eren schnieft und wischt sich eine Träne von der Wange. „Bitte?“   Der Mann öffnet den Mund, schließt ihn wieder, zieht grüblerisch die Stirn in Falten und hat selbst nasse Augen. Eren grinst triumphierend in sich hinein. Das war ja einfach.   So ein dämlicher Polizist.   Ein Mann, der Mitleid hat und einem kranken Kind eine Freude machen will, ist nicht dämlich.   „Bitte nicht weinen, Kleiner.“ Etwas überfordert hebt er die Arme und sieht unschlüssig von Eren zur Tür und zurück.   „Bitte“, wiederholt Eren und wischt sich mit dem Ärmel die nächste Träne weg. *Jetzt hab ich dich.*   Der Polizist schließt die Augen und atmet langsam aus. „Also schön. Aber hör bitte auf zu weinen, ja?“   Der Mann zieht eine Packung Taschentücher aus seiner Tasche, die er Eren reicht. Dieser nimmt sie mit einem „Danke“ an und schnäuzt sich die Nase. „Vielen, vielen Dank, Herr Polizist. Das wird Lilly so freuen!“   „Schon gut. Aber nur fünf Minuten, ja? Ich muss arbeiten, das ist wichtig“, betont der Polizist eindringlich.   Eren nickt heftig. „Natürlich!“   „Gut. Dann zeig mir, wo deine Schwester ist.“ Mit einer Kopfbewegung deutet er zu der Gabelung hinter Eren.   „Hier lang.“ Der Zwölfjährige dreht sich um und führt den Polizisten zielsicher den Weg zurück, den er gekommen ist. „Ich bin schon gespannt auf Lillys Gesicht“, spinnt er derweilen die Geschichte weiter.   „Wie geht’s ihr denn nach dem Unfall? Abgesehen davon, dass sie jetzt im Rollstuhl sitzen muss?“, erkundigt sich der Mann, um vorbereitet zu sein.   „Eigentlich gut soweit. Sie ist nur sehr niedergeschlagen, weil sie eben keine Polizistin mehr sein kann“, lügt Eren. Dabei ist er froh, dass er vorangeht. So kann er mit den Augen rollen, ohne dass der Mann es sieht.   Die Menschen um sie herum sehen den Polizisten und das Kind mit unterschiedlichen Gesichtern an. Manche neugierig, manche fragend, manche gleichgültig, aber niemand stellt sich ihnen in den Weg oder fragt nach wohin sie denn gehen.   Hoffentlich funktioniert Ajax´ Plan. Wenn nicht, gibt es einen Polizisten, der sein Gesicht kennt. Obwohl … Ajax würde ihn vermutlich eher umbringen, wenn Plan A nicht klappt. Das stört Eren an seinem Bruder. Er kann nicht jeden kaltblütig töten. Ja, er tut es, aber nur sehr ungern. Besonders wenn es nur Zivilisten sind, die mit dem Auftrag nichts zu tun haben und nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Eren drängt die Gedanken beiseite. Er darf sich jetzt nicht ablenken lassen. Wenn alles glatt geht, sind sie hier bald fertig und können wieder nach Hause, ohne Zivilisten verletzen zu müssen.   „Wir sind da“, verkündet Eren vor der Zimmertür 314. Leise klopft er an bevor er die Türklinke drückt und eintritt. Er sieht über die Schulter zurück zu dem Polizisten, lächelt und legt einen Zeigefinger an die Lippen, um ihm zu zeigen, dass er leise sein soll.   Der Mann erwidert das Lächeln und nickt verstehend. Er wirft einen kurzen Blick auf das Patientenschild neben der Tür, Lilliane Hoffarm, ehe er dem Kind ins Innere folgt und die Tür leise hinter sich schließt.   „Hallo, Lilly. Ich hab dir jemanden mitgebracht.“ Eren geht weiter in den Raum hinein, der bis auf zwei Betten und einer weiteren Tür, die ins kleine Badezimmer führt, komplett leer ist. Der Junge setzt sich auf das hintere Bett, stützt sich mit den Händen ab und pendelt mit den Beinen.   Der Polizist bleibt zwischen den Betten stehen, sieht sich irritiert und wachsam um. „Aber hier ist doch niemand.“   Die Vorhänge sind zugezogen, sodass es ziemlich düster ist. Für Eren kein Problem. Er kann sehen wie sich aus den Schatten im Badezimmer eine Gestalt herausschält und sich lautlos dem Polizisten von hinten nähert.   Emotionslos sieht er den Mann an. „Doch, es ist jemand hier.“   Schneller als der Mann reagieren kann hat Ajax ihn mit einem gezielten Schlag ins Traumreich geschickt. Der ältere Turano fängt den Polizisten auf, ehe er geräuschvoll auf den Boden aufschlagen kann, hebt ihn mit Leichtigkeit hoch und wirft ihn sich über die Schulter.   „Hat jemand was bemerkt?“, möchte Ajax wissen.   „Nein. Niemand hat wirklich auf uns geachtet.“ Ein bisschen stolz ist Eren schon auf seine Leistung so überzeugend einen erwachsenen Polizisten anlügen zu können. Naja, es war ja nicht alles gelogen. Es gibt diese Lilly wirklich, aber das ist auch schon alles was an Erens Geschichte wahr ist. Ajax hat sich ganz einfach in die Computer des Krankenhauses gehackt und nach einem Zimmer gesucht, dass in der Nähe der 308 liegt, besetzt, aber zur Zeit ihres Handelns leer ist.   *Danke, Lilliane Hoffarm, wer auch immer du bist.*   „Und erkannt hat dich auch niemand?“   „Nein.“ Woher auch? Das ist nunmal so, wenn er in der Öffentlichkeit nicht gezeigt wird. Anders als sein Bruder, der auch bei Presseterminen und anderen öffentlichen Auftritten an der Seite ihres Vaters steht, bleibt Eren im Hintergrund. Niemand weiß, wie der jüngere Sohn aussieht.   „Gut. Dann weiter mit Schritt Zwei.“ Ajax verschwindet mit dem Bewusstlosen im Badezimmer. Kurz darauf kommt der Polizist wieder heraus und schließt die Badtür.   Wie jedesmal findet Eren es extrem faszinierend wie sein Bruder es schafft, wie jemand komplett anderes auszusehen. Er hat ihm einmal erklärt, wie das funktioniert. Ajax verwandelt sich nicht wirklich in die andere Person, er legt lediglich eine Illusion über sich selbst, sodass andere in ihm die gewünschte Person sehen. So ganz versteht es Eren noch immer nicht, aber seine eigenen Kräfte versteht er ja auch nicht so ganz. Also belässt er es einfach dabei, bevor er von der Grübelei noch Kopfschmerzen bekommt und konzentriert sich weiter auf seine Aufgabe.   „Und das Mittel von Dr. Ryu wirkt?“, fragt Eren besorgt nach. Er will schließlich nicht, dass sich der Polizist nach dem Aufwachen noch an ihn erinnert.   Polizisten-Ajax zupft an den Ärmeln der Uniform herum. „Bei den Testpersonen hat´s funktioniert. Falls nicht, können wir ihn nachher immer noch töten. Lass uns weitermachen.“   „Alles klar“, willigt der Zwölfjährige nicht ganz einverstanden ein, behält seine Zweifel jedoch für sich.   Eren hüpft vom Bett und geht auf die Zimmertür zu. Draußen schlägt er zunächst wieder den Weg zurück zum Raum 308 ein, aber anstatt in den Gang abzubiegen, setzt er sich auf einen der Stühle, die immer wieder zwischen den Zimmertüren bereitstehen. Der Junge lehnt sich zurück, vergräbt die Hände in den Hosentaschen und tut so, als würde er auf jemanden warten. Als wenig später Polizisten-Ajax an ihm vorbei geht, schenkt er ihm lediglich einen flüchtigen Blick.   Erens Hauptaufgabe bei dieser Mission war es den Polizisten wegzulocken. Als Kind ist das einfacher als wenn ein Erwachsener die gleiche Story erzählt hätte. Kindern glaubt man solche Sachen eben eher.   Während sich Ajax als Polizist ins Zimmer 308 begibt, um Wen-auch-immer zu töten, beobachtet Eren heimlich die anderen Menschen. Mehr hat er nicht zu tun. Nur hier sitzen und warten bis Ajax fertig ist. Gelangweilt lehnt er den Kopf gegen die Wand und starrt die Decke an.   Wie lange braucht der denn noch, um einen verletzten Menschen zu killenl?!   Es ist falsch zu morden. Das wisst ihr. Jedes Leben, egal wie groß oder klein, ist kostbar und sollte nicht leichtfertig ausgelöscht werden. Ich verstehe nicht, warum wir das machen.   Na, weil wir gut darin sind?   Das ist die hirnloseste Erklärung aller Zeiten.   Eren versucht die Diskussion der Stimmen auszublenden, indem er konzentriert die Punkte an der Decke zählt. Wenn hier im Krankenhaus jemand merkt, dass er Stimmen hört, wollen sie ihn mit Sicherheit in eine Klapsmühle stecken. Warum muss er eigentlich hier warten? Herumsitzen und Löcher in die Luft starren, das kann er auch im Auto. Nur leider kann er im Auto die Umgebung nicht beobachtet. Wenn ein Arzt ins Zimmer 308 geht und Ajax erwischt, dann wäre dieser der nächste, der heute sein Leben verliert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)