Ein legendärer Sternenschauer von Platan (21. Ein Meer aus Sternenstaub) ================================================================================ Ein legendärer Sternenschauer ----------------------------- Die Sinnoh-Region war nicht nur bekannt für ihre uralte Geschichte über das legendäre Seen-Trio, sondern auch für den Kraterberg. Er ragte ungefähr in der Mitte des Landes empor und teilte es durch eine Bergkette nach Süden hin – durchzogen von unzähligen Höhlen, in denen man sich leicht verlaufen konnte. Betrachtete man das alles auf einer Karte, sah es so aus, als hätte es sich ein gigantisches Stahlos in der Region gemütlich gemacht und durch seinen kalten Atem den ewigen Winter in den Norden gebracht. In der südwestlichen Ecke der Sinnoh-Region lag der See der Wahrheit, umgeben von Wäldern, die den Ort schützend in ihre Arme schlossen. Genau dort hielten sich gerade zwei Besucher aus Galar auf: Delion und Raelene. Im Auftrag von Sania waren sie in diese Region gereist, um für sie Nachforschungen anzustellen. Was genau es herauszufinden galt, wussten die beiden jedoch nicht so wirklich. Sania hatte versucht, es ihnen zu erklären, aber Raelene bekam von zu vielen Fachausdrücken schnell Kopfschmerzen. Delion dagegen hatte nur darüber geklagt, dass er eigentlich froh war, wenn er sich nicht auch in seiner Freizeit mit solcherlei komplizierten Hintergründen befassen musste. Aufgrund dessen war die modebewusste Forscherin schließlich zu dem Schluss gekommen, dass sie es für das berühmteste Paar in Galar einfach halten sollte. Aus diesem Grund hatte Sania sie letztendlich nur darum gebeten, nach den legendären Pokémon der drei Seen Ausschau zu halten und ihr hinterher davon zu berichten. Legendär und Pokémon, mehr war für Delion und Raelene nicht nötig gewesen, um ihr Interesse zu wecken. Laut Sania besaßen sie einen unverschämt hohen Sympathiefaktor, wegen dem Delion und Raelene viel zu schnell und leicht Freundschaft mit Pokémon zu schließen vermochten. Hinzu kam auch noch ein gewisses Glück, ungewöhnlichen und seltenen Exemplaren zu begegnen – der Erfolg sei ihnen sicher, wollte Sania damit wohl ausdrücken. Irgendwie waren die beiden im Nachhinein unschlüssig darüber, ob man Sanias Aussage als anerkennendes Lob oder unterschwellige Kritik, gepaart mit Neid, zu verstehen hatte. Was davon auch zutreffen mochte, die Arena-Challenge in Galar dieses Jahr war schon seit einigen Wochen – leider – wieder vorbei, sowohl der Präsident als auch der Champ konnten also die nötige Zeit für so einen Ausflug erübrigen. Außerdem hatten sie sich sowieso nicht entscheiden können, wohin sie in ihrem gemeinsamen Urlaub diesmal reisen sollten. So gewannen also alle Seiten. Daher waren sie Sanias Bitte gefolgt und gestern in Sinnoh angekommen. Natürlich hatten sie keine Zeit verlieren wollen, weshalb sie sich bereits am See der Wahrheit aufhielten. Beiden war sofort die außergewöhnliche Atmosphäre an diesem Ort aufgefallen. Es war, als würde etwas ihren Geist beruhigen und ihre Körper fühlten sich seltsam leicht an. Auch die Luft schien viel reiner zu sein und das Wasser war so kristallklar, dass man bis auf den Grund blicken konnte. Durch die Lichtreflexion der warmen Herbstsonne bekam man den Eindruck, als würden goldene Funken über die Oberfläche des Sees zu tanzen. „Wow~“, hauchte Raelene fasziniert. Sie kniete am Rande des Sees. „Ich wusste nicht, dass Wasser so schön sein kann!“ „Schon irgendwie magisch“, stimmte Delion zu, der neben ihr stand. Prüfend tauchte sie eine Hand ins Wasser. „Hat die perfekte Temperatur.“ „Willst du etwa schwimmen gehen?“ „Das nicht, aber vielleicht will Sania das auch wissen. Außerdem kann ich doch nicht hier schwimmen gehen.“ Delion hob eine Augenbraue. „In Alola bist du andauernd überall ins Wasser gesprungen.“ „Doch nur, weil ich die rosafarbenen Corasonn sehen wollte“, erklärte Raelene, während sie den Kopf hob und seinen Blick lächelnd erwiderte. „Na gut, und weil schwimmen Spaß macht.“ „Aha, also doch.“ „Aber Delion!“ Er zuckte leicht zurück, als Raelene plötzlich überaus enthusiastisch aufsprang und dabei so laut sprach. Gleichzeitig lag aber ein neugieriges Glitzern in seinen gelben Augen, weil er das Gefühl bekam, gleich wieder etwas Neues über seine Freundin zu lernen. Dabei dachte er, inzwischen jede Seite und alle Kleinigkeiten an ihr zu kennen. Auch Raelenes ebenso gelbe Augen leuchteten ein wenig, als sie ihn ansah und die Arme ausbreitete, bevor sie ehrfürchtig weitersprach: „Das hier ist ein heiliger Ort!“ Delion blinzelte einige Male irritiert, ehe er zu lachen anfing. „Ach so! Verstehe~.“ Verstand er das wirklich? Für Raelene war es selbstverständlich, dass sie an einem heiligen Ort nicht einfach schwimmen gehen konnte. Wäre das nicht respektlos dem legendären Pokémon gegenüber? Immerhin hatten die Einheimischen in Fleetburg, wo sie mit dem Schiff angekommen waren, ihnen geraten, bei ihrer Suche nicht gedankenlos zu handeln. Ihnen war sogar davon abgeraten worden, die schwimmenden Höhlen, welche sich jeweils in der Mitte jedes Sees befanden, ohne entsprechende Einladung zu betreten – was auch immer genau damit gemeint war. Falls das legendäre Seen-Trio in diesen Höhlen ruhte, müssten sie eine Möglichkeit finden, dorthin zu dürfen. Vom wem könnten sie eine Einladung bekommen? Oder hatte man die beiden nur von jeglichen Erkundungstouren abhalten wollen, weil man Touristen aus anderen Regionen nicht traute? Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Sanias Erklärungen ein wenig mehr Gehör zu schenken. „Wir sollen dem See doch unsere Gefühle zeigen, oder?“ Delion blickte nachdenklich auf das Wasser, während ein sanfter Windstoß ein wenig mit seinen violetten Haaren spielte. „Damit die legendären Pokémon unsere wahren Absichten erkennen und sich uns gegebenenfalls zeigen.“ Raelene hätte sich beinahe in diesem wundervollen Anblick verloren, konnte aber noch eine leise, verträumte Zustimmung murmeln. Genau das war der Rat gewesen, den ihnen eine ältere Dame in Fleetburg gegeben hatte. Eigentlich lebte sie in einer Stadt namens Elyses, wollte am Hafen jedoch etwas besorgen. Seltsamerweise war sie auf Anhieb äußerst interessiert an den beiden gewesen und hatte sie sogar darum gebeten, sie mal zu besuchen, sollte dafür während des Urlaubes Zeit sein. Angeblich könnte sie ihnen eine würdige Gegnerin für einen spannenden Pokémon-Kampf vorstellen. Plötzlich schielte Delion fragend zu ihr, seine Mundwinkel deuteten ein Lächeln an. „Stimmt etwas nicht?“ „Hä?“ Aus ihren Gedanken gerissen, schüttelte sie mit dem Kopf. „Nein! Wieso?“ „Weil du mich so intensiv anstarrst.“ Verlegen zupfte Raelene an ihren eigenen, blauen Haaren, die ihr über die Schultern geglitten waren. „Du weißt ganz genau, warum ich das manchmal mache ...“ Diese Art Gespräch hatten sie bereits einige Male. Offenbar mochte Delion es aber, von ihr gesagt zu bekommen, dass sein Anblick ihr immer noch den Verstand raubte. Wenn er noch dazu so leger gekleidet war, in einer gewöhnlichen Jeans und einem lockeren Shirt, statt des roten Fracks, passierte ihr das erst recht sehr schnell – auf Alola war es besonders schlimm gewesen. Schmunzelnd beugte er sich zur ihr runter, bis seine Stirn die von Raelene berührte, und sah sie eindringlich an. „Was meinst du, wie zeigen wir unsere Gefühle wohl am besten?“ „J-ja, äh, also ...“, stammelte sie vor sich hin. Er neckte sie! Wie konnte er nur so schamlos mit ihrer Verlegenheit spielen?! Wo war seine eigene hin, die er am Anfang ihrer Beziehung noch hin und wieder gezeigt hatte? Lag es am Altersunterschied? Verdammt, ihr Herz sprang ihr gleich aus der Brust. Um sich besser konzentrieren zu können, schloss sie die Augen. „Gefühle, Gefühle, Gefühle ...“ „Gefühle, genau~“, betonte er. „Ah!“ Als sie ein Geistesblitz erfasste, schoss eine Woge der Aufregung durch ihren Körper. „Ich hab's! Ein Pokémon-Kampf!“ Auf einmal war die Verlegenheit wie weggeblasen. Raelene öffnete die Augen wieder und sah ihn entschlossen an, was ihn erneut zum Schmunzeln brachte. Er löste sich von ihr und trat einige Schritte zurück. Die Vorfreude stand auch ihm schon ins Gesicht geschrieben. Diese Herausforderung nahm Raelene nur zu gerne an. Sie liebte es, gegen ihn zu kämpfen. Außerdem durfte sie als Champ niemals zurückweichen. Sofort zog sie einen ihrer Pokébälle hervor, was Delion direkt nachahmte, doch sie warf ihren zuerst. „Du bist dran!“ Ein rötlicher Blitz schoss aus dem Ball hervor, kurz darauf war ein munteres Blöken zu hören und ein putzmunteres Wolly hüpfte vor Raelene glücklich auf der Stelle. Satt selbst sein Pokémon aus dem Ball zu befreien, knickte Delion ein wenig zusammen und gab einen Ton von sich, der eine ungewöhnliche Mischung aus einem Seufzen und einem kurzen Lachen war. „Ach, komm schon! Ich kann doch nicht gegen Wolly kämpfen“, klagte Delion amüsiert. Raelene grinste verspielt. „Warum nicht? Wenn sie voller Tatendrang ist, kann sie für viel Chaos sorgen.“ Wolly blökte abermals vergnügt, obwohl sie nicht zu verstehen schien, wovon genau die Rede war. Kopfschüttelnd stemmte Delion seine freie Hand in die Hüfte und starrte Raelene nur mit einem schweigsamen Lächeln an. Schließlich gab sie nach und gestand, dass das nur ein Scherz sein sollte. Natürlich wusste Delion, dass ihr Wolly nicht für Kämpfe trainiert wurde. Darum schickte sie Wolly lieber spielen, was die Kleine direkt in die Tat umsetzte. Fröhlich hüpfte ihr erstes Pokémon davon. „Okay, jetzt im Ernst!“, verkündete Raelene. Diesmal rief sie Lanturn, das sie vor einer Weile von der Ranch geholt hatte, um für etwas Abwechslung im Team zu sorgen. Außerdem war Delion bislang noch nicht in den Genuss gekommen, gegen dieses Pokémon von Raelene zu kämpfen. Seine Reaktion fiel entsprechend aufgeregt aus. Lanturn verschwand geradewegs mit einem hohen Sprung ins Wasser, wodurch die Oberfläche aufgewühlt wurde und kleine Wellen schlug. „Für Pokémon gilt die Regel mit dem nicht-an-heiligen-Orten-schwimmen wohl nicht?“, bohrte Delion nach, den diese Tatsache sichtlich erheiterte. „Natürlich nicht~.“ Ein strahlendes Lächeln unterstrich ihre Antwort. „Es sind schließlich Pokémon.“ „Gut zu wissen.“ Zu Raelenes Überraschung entschied Delion sich kurzerhand dafür, einen anderen Pokéball zu nehmen, und schickte Intelleon in den Kampf. Diese Wahl verwirrte sie ein wenig. Wäre sein erstes Pokémon wirklich mehr im Nachteil gewesen? Intelleon würde es gegen Lanturns Elektro-Attacken schwer haben. „Lass dich überraschen~“, rief Delion, der ihre Verwirrung bemerkt hatte. „Können wir starten?“ Nickend riss Raelene die Hand nach oben. „Na klar! Champ-Time! Lanturn! Setz Mystowellen ein!“ Auf Kommando sprang ihr Pokémon aus dem Wasser hervor, Lanturns Antenne begann kräftig zu leuchten und in der nächsten Sekunde rasten mehrere Ringe aus Elektrizität wie Luftschlangen auf Intelleon zu, um seinen speziellen Angriffswert zu senken. Delion reagierte sofort, ließ Intelleon ausweichen und schickte ihn danach ebenfalls ins Wasser. „Nervös? Oder warum willst du meine Angriffskraft schwächen?“ Raelene grinste. „Wenn jemand ein Pokémon mit Typennachteil in den Kampf schickt, hat er etwas vor. Ich bin nur vorsichtig.“ „Solltest du auch sein.“ Delion ballte die Hände zu Fäusten. „Intelleon, Agilität!“ Intelleon war eigentlich von Natur aus schon recht schnell. Entweder hatte er einen sehr ausgefallenen Plan oder er wollte sie nur verunsichern. Egal, solange sein Pokémon auch im Wasser war, besaß Raelene den Vorteil. „Donnerwelle, Lanturn!“ „Whirlpool!“, konterte Delion. Augenblicklich zuckten unzählige Blitze durch das Wasser. Egal, wo Intelleon war, er würde dem Angriff nicht ausweichen können. Durch den Whirlpool schien er sich aber tatsächlich vor der drohenden Lähmung schützen zu können. Die Donnerwelle erreichte ihn trotz leitendem Wasser nicht richtig. Netter Trick. „Okay, Lanturn, raus aus dem Wasser und Eisstrahl!“ Wieder sprang ihr Pokémon mit einem hohen Satz aus dem See hervor und flog regelrecht nach oben, von wo aus es den Eisstrahl nach unten feuern wollte. Es war nicht schwer, zu erahnen, dass Raelene Intelleon damit im See einsperren wollte, doch erneut hatte Delion den passenden Konter parat. „Setz Lehmschuss ein!“ „Was?!“, platzte es aus Raelene heraus. „Das kann Intelleon?!“ Schlecht. Lanturns zweifacher Typ verschaffte ihm eine Boden-Schwäche, auch wenn Wasser-Pokémon sonst kein großes Problem damit hatten. Durch die Agilität war Intelleon zudem derart schnell, dass der Lehmschuss ihr Lanturn traf, bevor es den Eisstrahl richtig anwenden konnte. Es stieß einen Schmerzenslaut aus und flog durch den Treffer noch ein Stück weiter nach oben. „Sorry“, sagte Delion aufrichtig. „Ein breit gefächerter Angriffspool verschafft einem eben viele Vorteile.“ Anscheinend dachte er, dass dieser Angriff Lanturn bereits außer Gefecht setzen müsste. Da irrte er sich gewaltig. Ein Lanturn besaß zwar nicht so viel Kraft wie viele andere Pokémon, konnte jedoch durchaus einiges wegstecken. Deshalb scheute sie nicht davor zurück, den nächsten Befehl zu geben, noch während es sich in der Luft befand – das unruhige Zappeln verriet ihr, dass es sich schon wieder gefangen hatte. „Blitz!“ Grelles Licht erfüllte die Umgebung, kaum dass sie zu Ende gesprochen hatte. Erstaunt rief Delion, der selbst zu spät den Arm hochgerissen hatte und deshalb ebenfalls geblendet worden war, Intelleon etwas zu. Raelene würde ihnen aber keine Zeit geben, zu reagieren, solange sie noch durch die Blendung einen Vorteil besaß. „Gut, jetzt Voltwechsel!“ Mit hohem Tempo stürzte Lanturn sich aus der Luft hinab Richtung See, zielsicher auf Intelleon zu, der noch geblendet war und daher orientierungslos umher schwamm. Wie ein Pfeil bohrte Lanturn sich durch die Wasseroberfläche und traf sein Ziel, setzte den Kampfplatz ein weiteres Mal unter Strom. Während Lanturn anschließend in seinen Pokéball zurückkehrte und aus Raelenes Team automatisch schon Feelinara in den Kampf geschickt wurde, rief Delion abermals nach Intelleon. Er trieb erst regungslos im Wasser, zuckte bald jedoch und schüttelte sich, sichtlich geschwächt. „Das kam unerwartet“, gestand Delion, der Intelleon zurückrief. „Ich gebe zu, dass Lanturn so einen Angriff noch gut wegstecken kann, hätte ich nicht gedacht. Da war ich wohl zu voreilig.“ Verständlich, Intelleon war gut trainiert und selbst hinter diesem Lehmschuss hatte ein immenser Druck gesteckt. Wahrscheinlich wäre sie an seiner Stelle auch sicher gewesen, dass ein Elektro-Pokémon dem nicht so leicht standhalten kann. Zumal Lanturns weniger wie Kampfmaschinen wirkten. Von seiner Selbstsicherheit hatte Delion dennoch nichts eingebüßt, denn er hielt schon den nächsten Pokéball bereit. Anhand seiner Mimik konnte Raelene voraussehen, wen er als nächstes in den Kampf schicken würde. Tatsächlich erschien nur einen Wimpernschlag später Glurak höchstpersönlich auf der Bildfläche, der von Feelinara mit einem freundlichen Laut begrüßt wurde. „Oha“, kommentierte Raelene nervös. „Dein Trumpf? Jetzt schon?“ Der Pokéball von Liberlo schien leicht zu vibrieren. Glurak war der Rivale ihres Partners. Sobald es um ihn ging, wollte Liberlo derjenige sein, der gegen ihn antrat. Leider musste Raelene ihn diesmal enttäuschen. Erst mal war Feelinara an der Reihe. Sie hatte ebenfalls einige Tricks auf Lager – ob die genügen würden, um Delions Glurak zu besiegen, bezweifelte Raelene ein bisschen, doch sie wollte es versuchen. Delion zwinkerte ihr zu. „Ich will mal sehen, wie sich deine anderen Pokémon gegen ihn schlagen. Hier können wir eh kein Dynamax anwenden, also wird das sicher auch für uns interessant.“ Glurak stieß ein kräftiges Brüllen aus und Feelinara stand weiterhin unschuldig lächelnd da. Entweder verstand sie nicht, dass ihr Gegenüber überdeutlich in Kampflaune war, oder sie war ziemlich unerschrocken und vertraute Raelene. Das motivierte sie umso mehr, sich ordentlich ins Zeug zu legen. „Na schön, wie du willst! Feelinara, geben wir unser Bestes!“   ***   Am Ende war Delion derjenige gewesen, der den Sieg davongetragen hatte. Knapp, aber er war der Sieger. Betrübt war Raelene deswegen nicht, im Gegenteil. Jeder Kampf gegen ihn war voller Spannung und Intensität! Genau das liebte sie daran. Außerdem lernte sie auf die Weise wieder und wieder, dass Delion keineswegs auf der faulen Haut lag, was Pokémon-Kämpfe anging. Obwohl er als Liga-Präsident eher weniger dazu kam, Leute herauszufordern, überraschte er Raelene stets mit neuen Angriffen und Taktiken. Wahrscheinlich ging es ihm umgekehrt auch so mit ihr. Anscheinend hielten die Herausforderer, die zwischendurch den Kampfturm angingen und bis zu ihm nach oben kamen, ihn in auf Trab. Irgendwie beruhigte sie das. Er war eben nicht der Typ, der immerzu nur im Büro ausharren konnte, ohne auch mal aktiv zu werden. Nach ihrem Kampf war aber leider nichts passiert. Kein legendäres Pokémon war aufgetaucht und eine Einladung hatten sie auch nicht bekommen. In der Hinsicht blieben sie vorerst weiterhin erfolglos. Also hatten sie hinterher noch einige Stunden lang die Umgebung des Sees genauer unter die Lupe genommen und begeistert die Pokémon dieser Region bewundert, bis die erste Erkundung mit der Entscheidung endete, dass sie vorerst an diesem Ort zelten würden. In der Natur fühlten sie sich in der Regel wohler als in einem Hotel, genau wie ihre Pokémon. Erst am Abend war alles fertig vorbereitet und aufgebaut gewesen, auch das Essen war bereits gekocht. Dafür hatte Raelene einige Zutaten aus Galar mitgebracht, doch bald würde sie das ausprobieren müssen, was Sinnoh ihnen bot. Wenigstens konnten sie an diesem Tag nochmal ihr heißgeliebtes Curry genießen – ihre eigene Portion hatte Raelene wieder großzügig gewürzt, damit es schön scharf war, sehr zum Unverständnis von Delion. Jeder war satt und sie konnten diesen Tag in Ruhe ausklingen lassen. Nun lagen sie alle verstreut in der Gegend herum, unter einem dunkelblauen Himmel verziert mit etlichen Sternen. Einige blieben im Schein des Lagerfeuers, andere hatten sich etwas weiter abgesetzt. Aktuell waren Liberlo, Feelinara, Wolly, Gorgasonn, Lanturn und Mottineva in Raelenes Team, Delion war mit Glurak, Katapuldra, Durengard, Intelleon, Maxax und Mamutel angereist. Endynalos und Zamazenta hatten sie solange Sania und Hop anvertraut. Schon als Delion und Raelene nach Alola verreist waren, hatte das wunderbar funktioniert. Es war bislang nie zu Problemen gekommen, sofern Sania und Hop die Wahrheit sagten – warum sollten sie lügen? Diesmal war zum ersten Mal auch ihr kleines Wunder in Galar geblieben. Während Zamazenta im Labor von Brassbury Zeit mit seinem Bruder Zacian verbringen konnte, nutzte Sania die Gelegenheit Endynalos weiter zu erforschen. Anscheinend gefiel ihm diese Art Aufmerksamkeit sogar und er war mittlerweile neugierig darauf, was für Daten sie noch über ihn sammeln könnte. In Sinnoh schmiegte Wolly sich im Moment sichtlich vernarrt an Durengard, der äußerst zufrieden darüber wirkte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Delions Pokémon sicher nicht allzu begeistert davon gewesen wäre, hätte er gegen Wolly gekämpft. Die zwei hingen nämlich sehr aneinander. Es war eine ziemlich innige Beziehung, was Raelene nach wie vor entzückend fand. Solange sie glücklich waren, konnten Delion und sie das auch sein. Glurak lag einige Meter entfernt im Gras und wollte eigentlich entspannen, wurde jedoch von Liberlo belagert, der ihm, wieder mal, seine Fußfertigkeiten präsentierte. Dafür hatte er sich, wie üblich, einen Stein aus der Umgebung besorgt, den er in Brand steckte und geschickt in die Luft kickte, ohne ihn fallenzulassen. Wahrscheinlich war Liberlo noch ein wenig eingeschnappt, weil er an diesem Tag nicht selbst gegen Glurak kämpfen konnte. Intelleon hatte den meisten Abstand eingenommen und trieb gelöst auf der Oberfläche des Sees, was sie nur sehen konnten, weil Raelenes Lanturn friedlich mit leuchtender Antenne um ihn herumschwamm. Dafür war Katapuldra in ihrer Nähe, am Lagerfeuer, wo er beobachtete, wie die Grolldra mit den Bändern von Feelinara spielten. Ihr Gorgasonn dagegen stand einfach nur am Rande des Sees und blickte andächtig in den Himmel, beinahe als wäre es plötzlich in einer ganz anderen Welt gelandet. Das Maxax von Delion lag neben Gorgasonn und seufzte zwischendurch schwer. Bestimmt vermisste es Raichu und Marill. Diesmal hatten sie beschlossen, die beiden ebenfalls auf der Ranch zu lassen, bis sie zurück waren. Immerhin waren sie inzwischen keine Babys mehr und müssten sich daran gewöhnen, manchmal mit anderen Pokémon den Platz zu tauschen. Für Maxax schienen sie aber weiterhin wie Babys zu sein, weil es sich stets liebevoll um sie gekümmert hatte. Offenbar vermisste Maxax es nun sehr, auf die Nesthäkchen aufzupassen. Dafür hatte Raelene, neben Lanturn, auch Mottineva von der Ranch geholt, so wie Delion sein Mamutel. Sicherlich lag es an ihrem Eis-Typ, dass sie sich auf Anhieb gut verstanden. Dabei war Mottineva sonst eher lieber alleine, doch Mamutels Ruhe und Geduld schien ihr zu gefallen. Mottineva saß auf dem Rücken von Mamutel und döste vor sich hin. Sogar dabei wirkte sie unheimlich elegant. Es sah in der Dunkelheit ein bisschen so aus, als hätte Delions robustes, erdgebundenes Pokémon Flügel bekommen. Delion und Raelene saßen nebeneinander am Lagerfeuer, letztere beobachtete schon eine Weile einfach nur ihre Pokémon dabei, wie sie die Zeit miteinander verbrachten. Für sie war es immer noch ein Traum, dass sich alle gut verstanden. Was hätten sie nur tun sollen, wenn ihre Pokémon sich nicht ausstehen könnten? Das wäre ein riesiges Problem geworden. So war aber alles perfekt. Plötzlich durchbrach Delions klare Stimme die Stille: „Ich mag es, wenn du so schaust.“ „Hm?“ Sie wandte sich ihm zu und bekam direkt wieder Herzklopfen, weil sein Gesicht ihrem so nahe war. „Was meinst du?“ „Sobald du unsere Pokémon beobachtest, wirkst du so zufrieden mit der Welt. Das mag ich~.“ „Als ob es dir nicht auch so gehen würde“, meinte sie verlegen. „Bei dir ist es aber niedlicher.“ „Dafür wirkst du dabei viel anmutiger.“ „Anmutig?“, wiederholte Delion. „Echt?“ Etwas an dieser Aussage fand er scheinbar amüsant, doch Raelene nickte ihm zu. „Wie ein edler König.“ „Das liegt dann bestimmt nur an meiner Aufmachung.“ „Glaub das ruhig, ich weiß es besser~.“ Anhänglich lehnte sie ihren Kopf gegen seine Schulter. „Du hast auch bei unserem Kampf heute wieder richtig gut ausgesehen. Mann, ich hätte dich fast gehabt.“ Seinerseits folgte ein stolzes Schnauben. „Ja, fast.“ Während sie sich unterhielten, setzte Gorgasonn sich in Bewegung und hüpfte leicht schwebend am See entlang, sehr langsam. Maxax blickte ihr hinterher und stand kurz darauf selbst auf, um ihr zu folgen. Gewiss wollte Maxax sie beschützen und im Notfall zurechtweisen, sich nicht zu weit zu entfernen. So wie Maxax es sonst bei Raichu und Marill tat. Im Pokémon-Hort wäre Maxax sicher ein erfolgreicher und beliebter Erzieher. „Das erinnert mich an eine Unterhaltung mit Roy, die ich vor Ewigkeiten mal hatte.“ Raelene hob den Blick, so dass sie Delion weiterhin in die Augen schauen konnte. „Da wirkte er recht angefressen, weil ich angemerkt hatte, dass er mich bei unserem Schaukampf fast besiegt hätte. Ich hatte ihn aber eigentlich echt nur loben wollen.“ Ungläubig runzelte Delion die Stirn. „Roy und angefressen? Wegen einer Niederlage? Sieht ihm gar nicht ähnlich.“ „Nicht wahr?“ Feelinara wickelte die Grolldra behutsam in ihre Bänder ein und legte sich mit ihnen gemütlich hin, nachdem sie lange mit ihnen gespielt hatte. Daran nahm Katapuldra sich ein Beispiel und kuschelte sich dicht an sie, umschloss sie regelrecht schützend mit seinem länglichen Körper. Die Pokémon von Delion nahmen recht oft die wachsame Position ein, wie Raelene auffiel. Lag vermutlich daran, dass sie in der Regel viel älter waren als ihre eigenen Pokémon und sich daher wie ihre Beschützer fühlten. „Dann hat er mich darauf hingewiesen, dass ich mich mal mit Social Media befassen und realisieren sollte, was einige Leute wirklich von meiner Position als Champ halten.“ Inzwischen konnte sie darüber schmunzeln und nahm das nicht mehr sonderlich ernst. „Ich glaube, danach bekam ich diese … Phase, in der ich etwas schwierig war. Er muss wirklich frustriert gewesen sein. Danach hat er sich auch mehrmals bei mir entschuldigt.“ „So so“, murmelte Delion, mit seltsam gepresster Stimme. „Ist ja interessant.“ Plötzlich wurde Raelene bewusst, was für ein Geheimnis sie soeben ausgeplaudert hatte. Normalerweise gab es nichts, was sie Delion verschwieg. Sie erzählte ihm alles, egal was. Deshalb war ihr auch diese Geschichte wohl so leicht herausgerutscht. „Vergiss das ruhig wieder!“, bat Raelene hastig. „Das sollte nämlich eigentlich niemand erfahren.“ „In dem Fall werde ich es erst recht nicht vergessen.“ „... Du hast diese Info nicht von mir.“ „So schlimm?“ Gespielt gelassen zuckte sie mit den Schultern. „Nein, gar nicht.“ „Rae ...“ „Hey, sei ihm nicht böse. Du kennst ihn doch.“ „Oh ja, das tue ich.“ Er fuhr mit seiner Hand durch ihr Haar. „Keine Sorge. Er ist mein bester Freund, darum werde ich da halt etwas hellhörig.“ Irgendwie wurde Raelene nicht das Gefühl los, dass Delion dabei ein wenig … angespannt klang? Gar verbittert? An Raelenes rebellische Phase dachte er nie gerne zurück, verständlicherweise. Dafür würde sie sich ihr Leben lang schämen. Ein Wunder, dass Delion sich nach dieser Zeit noch in sie verliebt hatte. „Danke“, entglitt es ihren Lippen, wie von selbst. Dafür erntete sie von ihm einen verwirrten Blick. „Seit wann machst du dir solche Gedanken um Roys Wohlergehen? Was glaubst du denn, was ich mit ihm anstelle?“ „Doch nicht deswegen.“ Leise lachend drückte sie sich an ihn. „Aber natürlich mache ich mir Gedanken um Roy, er ist auch für mich ein guter Freund. Ich wollte mich nur bedanken, dass du mir noch eine Chance gegeben hast.“ „Mhm, das wievielte Mal bedankst du dich dafür jetzt schon bei mir?“ Leicht schmollend wandte sie den Blick ab. „Ich kann doch nichts dafür, dass ich so dankbar bin. Nicht jeder wäre so nachsichtig wie du gewesen.“ „Ja, ich bin eben richtig selbstlos, was?“, scherzte er. Da sie bereits oft genug über dieses Thema gesprochen hatten, konnte er so locker darauf reagieren. Manchmal wünschte Raelene sich, sie könnte besser mit Worten mitteilen, was sie gerade fühlte. Sie wollte ihn unbedingt wissen lassen, wie glücklich er sie machte, auch wenn er das im Grunde schon wusste. Aber er sollte es noch viel, viel deutlicher spüren. Kurzentschlossen legte sie eine Hand in seinen Nacken und zog ihn das letzte Stück näher zu sich, bis sie ihn küssen konnte. Solche Dinge zu tun machte sie immer noch nervös, im positiven Sinne. Erst recht wenn er solche Aktionen annahm und sogar erwiderte. In diesen Momenten würde ihr Herz sicher auch noch in einigen Jahren so schnell klopfen wie Liberlo rennen konnte. Daran änderte sich bestimmt nie etwas. Ein helles Leuchten, begleitet von leisen Glockenklängen, sorgte dafür, dass sie sich einige Zeit später rasch voneinander lösten und blinzelnd in den Himmel sahen. Schlagartig hielten sie beide die Luft an. Das Licht kam von einigen Sternen, die herunterzufallen schienen und die Umgebung erhellten, je tiefer sie sanken. Ein … Sternenschauer? Sahen sie das wirklich? Wurden sie von einem wilden Pokémon angegriffen? Oder hatten ihre Emotionen ein neues Level erreicht? Träumte sie etwas nur? Nein, das musste real sein. Seltsamerweise erreichten die Sterne, große und kleine, niemals den Boden, sondern lösten sich vorher in der Luft auf, zu einem goldenen Sand, der von dem Wind sacht hinfort getragen wurde. Fasziniert klebte Raelenes Blick geradezu am Himmel, bis Delion neben ihr aufstand und ihr zu verstehen gab, dass sie das auch tun sollte. „Der Boden!“, platzte es aus Delion heraus. „Sieh dir das an!“ Kaum stand Raelene auf ihren Füßen, senkte sie den Blick – und hielt abermals den Atem an. Plötzlich schien der See übergelaufen zu sein und hatte die gesamte Umgebung unter Wasser gesetzt. Sie standen auf der Oberfläche, ohne unterzugehen oder nass zu werden. Auch ihre Pokémon liefen auf dem Wasser, als wäre es vollkommen normal. Gorgasonn und Wolly realisierten diese mysteriöse Veränderung nicht mal, obwohl Maxax sich Mühe gab, sie darauf hinzuweisen. Intelleon trieb nach wie vor auf dem Rücken im Wasser und blinzelte unbeeindruckt, Lanturn dagegen versuchte das Lichtspiel seiner Antenne den leuchtenden Sternen anzupassen. Liberlo rannte begeistert hin und her. Feelinara starrte mit glitzernden Augen nach oben, ebenso wie die Grolldra. Nur Glurak und Durengard zeigten sich alarmiert und waren dazu bereit, im Notfall alle zu verteidigen. „Was ist hier los?“, murmelte Raelene, deren Blick in sämtliche Richtungen wanderte. „Das wüsste ich auch gerne.“ Delion gestikulierte unwillkürlich mit den Händen. „Ich meine, es ist echt hübsch, aber ...“ Plötzlich war wieder der Klang einer Glocke zu hören, zumindest war es diesem Geräusch recht ähnlich. Vielmehr hörte es sich nach dem Singsang eines Pokémon an, wenn Raelene so darüber nachdachte. Eine hohe, klare Stimme, vollkommen frei von jeglichen negativen Gefühlen oder gar Gedanken. Sie vermittelte dasselbe beruhigende Gefühl von Leichtigkeit, dass Delion und Raelene von Anfang an wahrgenommen hatten. „Rae, pass auf!“ Von einer Sekunde zur nächsten schlang Delion die Arme um sie, als die zahlreichen Sterne auf einmal doch entschieden, pfeilgerade nach unten zu schießen. Genau auf sie zu. Auch ihre Pokémon reagierten sofort und schützen sich jeweils gegenseitig. Durengard nutzte sogar seinen gesamten Körper, um für Wolly wie ein Regenschirm alles abprallen zu lassen. Jeglicher Grund zur Panik war aber unbegründet, wie sie feststellten. Selbst wenn sie von einigen Sternen getroffen wurden, zerbröselten sie einfach und glitten wie weiche Federn an ihnen ab. Nur wenige Sekunden vergingen, bis sämtliche Sterne unter ihnen im Wasser versunken waren und sich anschließend nicht mehr rührten. Wie schlafende Kinder trieben sie nun im See und leuchteten von dort aus magisch. Der See hatte sich in ein Meer aus Sternenstaub verwandelt. „Wow~.“ Wie schon am Anfang konnte Raelene ihre Faszination nur vor sich hin hauchen. „Wunderschön.“ Allmählich entspannte auch Delion sich und ließ sie wieder los, griff dafür jedoch nach einer ihrer Hände. „Das ist noch untertrieben.“ Ein einziger Stern bewegte sich noch, trieb langsam in ihre Richtung und durchbrach die Wasseroberfläche … doch es handelte sich um ein Pokémon! Sowohl Delion als auch Raelene erkannten es sofort. Beide hatten es als künstlerische Interpretation in einem Buch von Sania gesehen, bevor sie hierher gekommen waren. Das Pokémon hatte einen hellblauen, zierlichen und kleinen Körper, nahezu feenhaft. Sein Kopf war rosafarben, mit einem roten Edelstein auf der Stirn. Ein goldenes Augenpaar musterte sie beide eindringlich. „TOBUTZ!“, riefen sie, im Einklang. Unbewusst hatten Delion und Raelene sogar ihre jeweils freie Hand gehoben und deuteten auf das legendäre Pokémon. Dieses schüttelte aber sacht den Kopf und quietschte. Offenbar hatten sie sich geirrt. Bei einem Trio solcher Pokémon, die sich noch dazu alle ähnlich sagen, konnte das schon mal passieren. Beschämt murmelten sie zeitgleich eine aufrichtige Entschuldigung. Keiner von ihnen wollte nochmal daneben liegen und das Pokémon eventuell doch noch verärgern, deshalb sahen Delion und Raelene sich nachdenklich an. In Fleetburg hatten sie sich durchgefragt, zu welchem See sie am besten zuerst gehen sollten, und waren dementsprechend beraten worden. Durch die Erzählungen der Bewohner wussten sie daher eigentlich, welches von den drei Pokémon genau hier lebte. Welches war das noch gleich? „Ah, jetzt weiß ich es wieder“, erinnerte Delion sich. „Vesprit.“ Zufrieden schwebte es tanzend hin und her. Raelene atmete erleichtert auf. Ausgerechnet in solchen Situationen fiel es ihr schwer, sich an so wichtige Details zu erinnern. Zum Glück war Delion da anders. Im Gegensatz zu ihr hatte er wahrscheinlich schon mal irgendwann etwas über die Geschichte des Seen-Trios gelesen und konnte sich dadurch besser entsinnen als sie. „Hallo~!“ Sein Gesicht strahlte und zeigte offen seine Begeisterung über dieses Treffen. „Schön, dich kennenzulernen. Hätte nicht gedacht, dass wir dich so schnell zu Gesicht bekommen.“ „Ich auch nicht“, sagte Raelene ehrfürchtig. „Du bist so, so … süß!“ Es war bereits ausgesprochen, ehe sie merkte, dass diese Aussage zu respektlos sein könnte. Zu einer weiteren Entschuldigung kam sie aber nicht, da Vesprit schon kicherte und sich sogar geschmeichelt zu fühlen schien. Was für eine Erleichterung. Vesprit näherte sich den beiden neugierig und umkreiste sie mehrmals, unter den wachsamen Augen von Glurak, Durengard und auch Liberlo, der mittlerweile stehengeblieben war. Allerdings gab es keinerlei Grund zur Besorgnis. Das legendäre Pokémon stupste sie freundlich an, was es lustig zu finden schien, denn es kicherte erneut immer wieder dabei. Als auch die Grolldra sicher waren, dass keine Gefahr drohte, lösten sie sich von Feelinaras Bändern und flogen herbei, um Vesprit zu zeigen, was für ein tolles Versteck Delions Haare waren. Tatsächlich huschte Vesprit ihnen hinterher, was Delion schmunzeln ließ. Raelene fand den Anblick einfach nur herzerwärmend. Ihr entglitt ein überraschter Laut, als Vesprit sich dann auch plötzlich in ihren Haaren vergrub. Es war so winzig! Bisher hatte sie nur größere Legenden getroffen, wie Zamazenta, Zacian und Endynalos. Sie wollte Vesprit die ganze Zeit nur knuddeln. Nachdem das legendäre Pokémon sich den beiden angenähert hatte, nutzte Delion die Gelegenheit, eine Frage zu stellen: „Wie kommen wir eigentlich zu der Ehre? Bist du für diese Illusion hier verantwortlich? Das ist doch eine Illusion, oder?“ Vesprit hielt inne und starrte sie einen Moment lang nur an. Dann ließ es sich innerhalb eines kurzen Atemzuges zurück in den See – gegenwärtig eher als Meer zu bezeichnen – fallen, worauf Delion sehr erschrocken reagierte. „W-warte! Tut mir leid! Ich wollte dich nicht mit Fragen nerven ...“ „Moment“, beruhigte Raelene ihn. „Ich glaube, es holt etwas.“ Wenn man genauer hinsah, erkannte man, dass Vesprit dabei war, etwas von dem Grund des Sees an die Oberfläche zu tragen. War das … ein weiteres Pokémon? Raelene kniete sich hin und Delion tat es ihr gleich. Geduldig warteten sie, bis das, was Vesprit ihnen zeigen wollte, die Oberfläche erreichte und vor ihnen erschien. Es war ein schneeweißes, kleines Pokémon mit rötlichen Akzenten, das an einen Fuchs erinnerte. Leider war es nicht bei Bewusstsein, sondern schien zu schlafen. Das Fell war zerzaust und es wirkte so, als hätte es Schmerzen. Besorgt hob Raelene es vorsichtig auf ihre Arme und betrachtete es genauer. Delion strich dem Pokémon behutsam über das Fell. „Fühlt sich kalt an“, bemerkte er. Raelene nickte. „Ist das ein Zorua?“ Zumindest erinnerte es an eines, doch es sah anders aus. Auf jeden Fall war es nicht in Bestform. Ob es krank war? Auch die Grolldra waren besorgt und tippten das vermeintliche Zorua behutsam mit ihren Schnauzen an. Wie kam das Pokémon überhaupt auf den Grund des Sees? „Willst du, dass wir uns darum kümmern?“, fragte sie, ohne den Blick von Zorua abzuwenden. Keine Antwort. Davon war nicht nur sie selbst irritiert, sondern auch Delion. Synchron hoben sie den Kopf und ihnen stockte, schon zum dritten Mal an diesem Abend, der Atem. Vesprit war verschwunden. Nicht nur das, auch die Umgebung sah wieder genauso aus wie vorher. Der See war nicht über seine Ufer getreten und im Wasser leuchteten keine Sterne mehr. Die Oberfläche war glatt und alles war ruhig, irgendwo in der Ferne waren nur die leisen Laute eines Hoothoots zu hören. Prüfend lenkte Raelene den Blick zurück auf das Zorua in ihrem Arm, doch das war noch da. Ein Traum war das also nicht gewesen. Sie hatten das wirklich erlebt. Der Herbstwind hüllte sie in eine Umarmung, begleitet von dem Gefühl, als würde Vesprit ihnen auf diese Weise sein Vertrauen übermitteln wollen. Entschlossen sah sie Delion an, der genauso wie sie fühlte. Auch in seinen Augen brannte bereits der Wille, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um diesem Pokémon zu helfen. Zwar wussten sie noch nicht, ob das wirklich ein Zorua war, doch das war vorerst zweitrangig. Zuerst mussten sie ihm helfen und es zu einem Pokémon-Center bringen. „Ich baue das Zelt ab“, beschloss Delion. „Sammle du unsere Pokémon ein und pass auf das hier auf.“ Seine Hand fuhr nochmal vorsichtig über den Kopf des Zoruas. Anschließend sprang er auf und machte sich an die Arbeit, ohne eine Antwort von Raelene abzuwarten. Das war aber auch gar nicht nötig, schließlich wollte sie ebenfalls schnell los. Vorsichtig stand sie auf und nickte in Richtung der schwimmenden Höhle, die mitten auf dem See ruhte. „Wir kümmern uns darum, versprochen!“ Nach diesen Worten rief sie die anderen Pokémon zu sich und bat sie, vorerst zurück in die Bälle zu gehen. Keiner von ihnen hätte damit gerechnet, dass ihnen die Legende vom See so eine Aufgabe anvertrauen würde. Scheinbar war an Sanias Worten etwas dran und sie besaßen wirklich einen unverschämt hohen Sympathiefaktor. Auf jeden Fall würden Raelene diesen besonderen Moment an diesem See so schnell ganz sicher nicht vergessen, wohin auch immer sie die Reise mit diesem Geschenk führen würde. Darüber hinaus hatte Raelene zuvor noch nie so einen beeindruckenden Sternenschauer gesehen wie den von Vesprit. Wahrlich legendär. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)