Reverti von Coronet (Zurück auf Anfang) ================================================================================ Kapitel 2: ... und ein Anfang ----------------------------- Das Zaubereiministerium war ein summender Bienenstock in Minervas Augen. Kannte man den Weg nicht, überwältigte einen die Hektik schier. Hexen und Zauberer mit Kaffee- oder Teetassen drängten sich in alle Richtungen, unter der Decke flogen kleine Käuze Memos durch die Gegend und dazwischen mischten sich Hauselfen, vor denen meterhohe Aktenberge schwebten. Minerva war froh, dass sie es bis zum Besucherschalter gebracht hatte, bei dem ihr Zauberstab registriert worden war, ehe sie Arbeitsausweis nebst Dienstmarke erhalten hatte, zusammen mit der Anweisung, sich bei ihrem Vorgesetzten Elphinstone Urquart im zweiten Stock zu melden. Nur, dass sie keine Ahnung hatte, wo genau. Die Wegbeschreibung, die ihr der Angestellte im Atrium gegeben hatte, erwies sich als äußerst unzuverlässig. Mit verschwitzten Händen stand Minerva in einem langen Flur, der von unzähligen – größtenteils verwaisten – Aurorenbüros gesäumt war, und suchte verzweifelt nach der Abzweigung, die ihr der Zauberer beschrieben hatte. Hoffnungssuchend fixierte sie eine ältere Hexe. »Entschuldigung, können Sie mir –« Ohne sie eines Blickes zu würdigen, rauschte die Frau an ihr vorbei. »Los, los, Hintern hoch, Jungs«, rief sie ein paar Männern weiter hinten zu, »wir haben einen Einsatz in Newcastle!« Frustriert ballte Minerva die Hand fester um das kalte Metall ihrer Dienstmarke. Doch bevor sie sich nach jemand anderem umsehen konnte, sprach sie bereits ein Mann in dem gleichen blauen Umhang wie sie an. »Wenn ich Verzweiflung in einem Bild beschreiben müsste, dann wäre das hier eines meiner Favoriten.« Der Fremde hatte die Hände in den Hosentaschen versenkt und einen Mundwinkel hochgezogen. »Lassen Sie mich raten – Sie sind die Neue und finden den Weg nicht.« Minerva starrte ihn mit offenem Mund an. War das etwa ...? Zusehends drückte sich die Dienstmarke fester in ihre Handfläche. »Nun, wenn Ihnen meine Verzweiflung so ein Dorn im Auge ist, könnten Sie ja etwas dafür tun, um sie aus der Welt zu schaffen.« Sie reckte das Kinn vor. Da sie ihr Leben schon nicht der Ehe mit Dougal opferte, würde sie sich im Ministerium erst recht nicht herumschubsen lassen. Ihr Gegenüber lachte auf, ein tiefer, samtiger Ton, der zu seinem kantigen Gesicht und dunklen Haar passte. »Ausnahmsweise«, sagte er mit einem amüsierten Funkeln in den Augen, »weil Sie so freundlich nachgefragt haben, das weiß ich stets zu schätzen.« Die Hände immer noch in den Hosentaschen, ging er ihr zwischen den kleinen Bürozellen der Auroren voraus. »Keine Sorge im Übrigen, ich bin nicht Urquart. Nur sein erster Sekretär. Alston Mulciber.« Er sah über die Schulter und lachte erneut, als er Minervas Blick auffing. Sie konnte einfach nicht verhindern, dass ihre Augenbrauen einen wütenden Strich bildeten. So hatte sie sich diesen Neustart nicht vorgestellt. »Minerva McGonagall.« Sie zwang sich zu ihrem höflichsten Lächeln. »Die Neue.« »Das sehe ich. Na dann ... viel Erfolg mit Urquart.« Mulciber deutete mit einer spöttischen Verbeugung auf eine Tür, vor der sie gehalten hatten. »Es war hoffentlich nicht umsonst, Sie kennengelernt zu haben, Miss McGonagall.« Mit diesen Worten verschwand er den Flur hinab, ohne einmal die Hände aus den Hosentaschen genommen zu haben. Am liebsten wäre Minerva vom Fleck weg zurück nach Schottland disappariert. Was hatte sie sich nur hierbei gedacht? War diese Anstellung wirklich besser, als ihren Zauberstab Dougal zugunsten aufzugeben? Es würde sie jedenfalls nicht glücklicher machen, Tag für Tag Alston Mulciber ausgesetzt zu sein. Sie nahm einen tiefen Atemzug und starrte die geschlossene Tür vor sich an. Elphinstone Urquart, Vorsitzender Strafverfolger 3. Gamotskammer – Zuständigkeiten: Schwarzmagische Fluchschäden & Gebrauch indizierter Zaubersprüche. Bisher hatte sie ihren künftigen Vorgesetzten nicht kennengelernt, eingestellt hatte sie der Abteilungsleiter. Alles, was sie über Urquart wusste, basierte auf der Einschätzung ihres ehemaligen Verwandlungslehrers Albus Dumbledore, den sie bezüglich ihrer Stellenauswahl um Rat gebeten hatte. Demnach war Urquart zweimaliger Schachchampion des Hogwartsturniers, Vertrauensschüler und später Schulsprecher gewesen; ausgezeichnet mit dem Nachwuchspreis für seine Abschlussarbeiten in Kräuterkunde und Verteidigung dunkler Künste. Ein glatter Ohnegleichen-UTZ. Der jüngste Leiter einer Strafverfolgungskammer am Zaubergamot. Das Musterbeispiel eines überaus ehrgeizigen Slytherins. Und laut Albus ein anständiger Mensch. Wie schlimm konnte es schon werden? Entschlossen hob Minerva die Hand, um anzuklopfen – da wurde die Tür von innen aufgerissen. Sie sah in die Leere, bis ihr Blick einige Etagen tiefer rutschte. Vor ihr stand eine grimmig dreinblickende Elfe, die in ein graues Tuch mit goldenen Verzierungen gekleidet war, das sie wie eine Toga um sich gewickelt trug. »Ihre neue Angestellte ist gerade aufgetaucht, Sir«, brummte sie, den Kopf nach hinten ins Zimmer gewandt. »Wunderbar Tilly, schick sie bitte herein.« Die Hauselfe schenkte Minerva einen langen Blick und wies mit dem Daumen in das Büro hinter sich, ehe sie den Gang hinuntereilte, als sei ein Drache auf ihren Fersen. Verdutzt sah Minerva ihr hinterher, bevor sie über die Türschwelle trat. Sie empfing nicht, womit sie gerechnet hatte. ‚Grüne Hölle‘ war das Erste, was ihr in den Sinn kam, als sie die Tür hinter sich schloss. Und selbst das war ein schwacher Ausdruck für das Innere des Büros. Wo Minervas Blick auch hinfiel – er traf eine Pflanze. »Ähm ...« Von so viel magischen Gewächsen auf dem falschen Fuß erwischt, vergaß Minerva glatt, was sie sagen wollte. Ihre Sprachlosigkeit besserte sich nicht gerade, als sie bemerkte, dass eine dicke Ranke lautlos an sie heranschlich und sich um ihren Unterarm wickelte. Sie wischte das Ding hastig fort, doch weitere Tentakel zupften bereits an ihrem Haar, ihren Ohrringen – sogar in ihre Handtasche langte einer ... »Geben Sie der Teufelsschlinge einfach einen ordentlichen Klaps, wenn sie zu aufdringlich wird. Sie ist sehr neugierig – zu neugierig bei Unbekannten.« Erschrocken hob Minerva den Blick von den Tentakeln. Sie hatte beinahe vergessen, dass sie nicht alleine war. Doch inmitten all des Pflanzengrüns befand sich tatsächlich ein Schreibtisch und dahinter saß ein blonder Zauberer im Muggelanzug. Er hatte eine lange Rolle Pergament vor sich ausgebreitet, auf der er mit gerunzelter Stirn Korrekturen vornahm. Ohne aufzusehen, fuhr er fort: »Keine Sorge, Miss Cuddles würgt nicht. Sie ist gut erzogen. Versetzen Sie ihr einfach einen Schlag mit der flachen Hand, das tut ihr nicht weh. Nur zu, trauen Sie sich.« Minerva starrte auf die kräftige Teufelsschlingenranke hinab, die sich inzwischen erneut um ihr Handgelenk geschlungen hatte. Dank Pomona konnte sie das Kräuterkundelehrbuch im Schlaf herunterbeten und wusste trotz ihrer Abneigung gegenüber dem Fach genau, dass Teufelsschlingen mit Vorsicht zu genießen waren. Äußerster Vorsicht. Auf jeden Fall war das keine Pflanze, die man sich in einem Topf aufs Fensterbrett stellte. Oder zähmen konnte. Ein Ruck ging durch Minervas Unterarm, als die Teufelsschlinge sich enger zog und rasch versetzte sie dem dicksten Tentakel einen Schlag. Für ein paar Sekunden hielten die Ranken inne, dann ließen sie tatsächlich von ihr ab. Nur ein leises Schlürfen war zu hören, als die Schlinge sich in ihren Übertopf zurückzog, der zwischen Tür und Schreibtisch stand. Wie ein Kätzchen rollten die Tentakel sich auf der Erde zusammen. »Ich hoffe, Sie können den Überfall entschuldigen?« Endlich sah der Zauberer hinter dem Tisch von seinen Pergamenten auf. Er musterte Minerva aus stechend grauen Augen. »Es hat Sie wohl niemand vor Miss Cuddles gewarnt, nehme ich an. Das ist mal wieder typisch ...« Ein kleines Seufzen entkam ihm, bevor sich ein Lächeln auf seinen Zügen ausbreitete und den strengen Eindruck vertrieb. »Haben Sie wenigstens gut hergefunden?« »Ihr erster Sekretär war so gnädig, mir den Weg zu zeigen.« »Hach, wunderbar, Sie haben Mulciber also schon kennengelernt. Und das so früh am Morgen, mein aufrichtiges Beleid.« »Oh ähm ... ich wollte damit nicht sagen –« »Bitte, Sie brauchen sich nicht dafür entschuldigen, dass Sie ihn nicht absolut reizend finden.« Schmunzelnd winkte Minervas neuer Vorgesetzter ab, wobei sein rechter Mundwinkel höher wanderte als sein linker. Im Gegensatz zu seinem Sekretär wirkte es bei ihm freundlich. »Mulciber reizt einen vielleicht, aber sicher nicht auf die gute Art.« Überrascht von dieser Ehrlichkeit sah Minerva betreten auf die Schreibtischkante. So hatte sie sich ihren Einstand hier wahrlich nicht vorgestellt. Immerhin schienen sich in dem Mann vor ihr nicht sämtliche Vorurteile gegenüber Slytherins zu bewahrheiten, das war auch etwas wert. »Falls es Sie tröstet – mit der Begüßung durch Mulciber und Miss Cuddles haben Sie das Schlimmste bereits überstanden«, ergänzte Urquart. »Und Sie halten sich jetzt schon besser als Ihr Vorgänger.« Minervas Nervosität brach sich in einem kleinen Lachen Bahn. Das würde sie erst glauben, wenn sie diese Woche – ach was, den ganzen Monat – hinter sich hatte. Wer wusste schließlich, welche Überraschungen dieser Mann und seine Abteilung noch für sie bereithielten ... »Nun, ich freue mich jedenfalls, dass Sie hier sind, Miss McGonagall. Ich bin Elphinstone Urquart und ab heute für sie verantwortlich, aber das wissen Sie sicherlich.« Er stand auf und wies auf die zusammengerollte Teufelsschlinge in ihrem Übertopf. »Und der Vollständigkeit halber – das ist Miss Cuddles. Meine treue Assistentin.« Urquart zwinkerte, bevor vor Minerva trat und ihr die Hand reichte. »Auf gute Zusammenarbeit, möchte ich hoffen.« »Danke, Sir. Das hoffe ich auch.« »Oh, bitte, kein ‚Sir‘. Wir sind hier ja nicht in Hogwarts –« Ein schrilles Klingeln unterbrach ihn. Auf dem Schreibtisch hinter Urquart schüttelte sich ein Silberglöckchen unter einer Art Käsehaube, die abwechselnd rot und weiß aufleuchtete. »Ah, na großartig, ist es denn schon so weit ...« Mit einem Schnippen brachte Urquart den Alarm zum Schweigen. »Miss McGonagall, ich wünschte, wir hätten die Zeit für eine gemütliche Einarbeitung, aber ich fürchte, Sie haben sich für ihren ersten Tag ausgerechnet den ausgesucht, der Action vespricht. Das ist unser Signal, dass wir losmüssen. Hausbesuch. Ich erkläre Ihnen den Fall unterwegs.«   Nur eine Stunde nach ihrer Disapparation vom Bahnhof Kings Cross fand Minerva sich so erneut in dessen unmittelbarer Nähe wieder, in einem schmuddeligen Mehrfamilienhaus, das von Muggeln und magisch Begabten gleichermaßen bewohnt wurde. Die Tapete schälte sich im Flur von den Wänden und die Ecken waren schwarz vor Schimmel. Alles in allem ein ziemliches Klischee, dass sie ausgerechnet hier eine Wohnung durchsuchen sollten. Der Bewohner von Appartement Nr. 3b stand im Verdacht, in eine Reihe Raubüberfälle in der Winkelgasse verwickelt zu sein, bei denen unter Verwendung verbotener Flüche wertvolle Artefakte erbeutet worden waren, die in ein Verlies in Gringotts überführt werden sollten. Offiziere der magischen Strafpatrouille hatten den Mann in Urquarts Auftrag die letzten Tage beobachtet, bis das Gamot den Durchsuchungsbeschluss durchgewunken hatte, mit dem Minervas Vorgesetzter jetzt gegen die Tür hämmerte. Flankiert wurde er von Mulciber und Margarete Jansson, Aurorin dritter Klasse – oder »der Dame für’s Handfeste«, wie die junge Hexe sich Minerva vorgestellt hatte. Hintendrein wartete Minerva selber, neben den zwei Beamten der Patrouille, die mit Geheimnisaufspürsonden ausgestattet waren. »Mr Langley?« Urquart hielt inne, ehe er heftiger auf das Holz schlug. »Bitte öffnen Sie die Tür!« An Langleys Stelle hätte Minerva längst Reißaus durchs Fenster genommen (wo genau deshalb zwei weitere Patrouillenbeamte warteten), doch der mutmaßliche Straftäter stellte sich als nicht besonders hinterlistig heraus. Er öffnete im Morgenmantel die Tür, in der freien Hand nicht etwa seinen Zauberstab, sondern eine Tasse Kaffee. Bevor der Verdächtige etwas sagen konnte, schob Urquart den Fuß über die Türschwelle. »Guten Morgen, Mr Langley.« Er hob den besiegelten Beschluss des Gamots in die Höhe. »Magische Strafverfolgung, wir sind hier für eine Hausdurchsuchung. Bitte treten Sie beiseite und rühren nichts an, solange wir uns umsehen.« In geradezu komödiantischer Langsamkeit rutschte Langley seine Tasse aus dem Griff und die Schwerkraft übernahm. Das gepunktete Porzellan fiel gen Boden, gefolgt von einem Schwall Kaffee. »Arresto Momentum«, murmelte Minerva, den Zauberstab in ihrer Umhangtasche umfasst. Kaffee und Tasse erstarrten in der Luft, ehe sie sich wieder zusammenfügten und sanft hinter der Türschwelle landeten. Mit einem großen Schritt trat Urquart darüber hinweg, wobei er dem reichlich verwirrten Langley den Durchsuchungsbeschluss vor die Brust drückte. »Besten Dank, Miss McGonagall.« Mulciber kicherte. Er schob die Tasse mit der Spitze seines glänzenden Lackschuhs beiseite, als wäre sie giftig, und warf Minerva einen provokanten Blick zu. »Süß.« Minerva umklammerte ihre Dienstmarke fester in der freien Hand. Sie würde sich das hier nicht kaputt machen lassen. Nicht nach dem Preis, den sie dafür gezahlt hatte. »Das nächste Mal achte ich darauf, dass der Kaffee auf Ihrem Umhang landet.« Mit diesen Worten drängte sie sich an Mulciber vorbei in die Wohnung. Langley wohnte nicht sonderlich aufregend – die Einzimmerwohnung wies eine Küchenzeile auf, in der Zaubertrankzutaten neben Gewürzen im Regal standen, ein chaotisches Bücherregal, in dem sich magische Schundliteratur stapelte, und natürlich das ungemachte Bett, dem der Mann eben erst entstiegen war. »Übersichtlich«, kommentierte Margarete Jansson hinter Minerva. Die zierliche Aurorin wippte auf den Zehenspitzen vor und zurück, während sie alles einer wachsamen Musterung unterzog. »Hm ... ich finde, das Bücherregal sieht vielversprechend aus. Dem sollten wir uns als Erstes widmen.« Sie zwinkerte Minerva zu. »Du willst Alston schließlich nicht den Vortritt lassen, oder? Komm!« Anstatt Minervas Antwort abzuwarten, zog Margarete sie mit sich. Doch das Regal entpuppte sich nicht als der Goldschatz, den die Aurorin in ihm gesehen hatte. Zwischen den Buchdeckeln warteten nur hohle Worte, kein verstecktes Diebesgut. Auch die Geheimnissonden der Patrouillenbeamten blieben stumm, ebenso wie diverse Aufrufezauber ergebnislos waren. Es sah ganz danach aus, dass Minervas erste Hausdurchsuchung doch nicht so aufregend werden würde. Das schien Langley ebenso zu wissen, denn er hatte sich inzwischen wieder entspannt und nippte an dem Kaffee, den sie gerettet hatte. »War’s das dann?«, fragte er, die Augen auf Mulciber geheftet, der mit einem Grinsen ein paar Schmuddelhefte unter dem Bett hervorzog. »Ich hab heut nämlich noch anderes vor.« »Kommt drauf an«, erwiderte Urquart, »wenn Sie uns sagen, wo wir finden, was wir suchen, dann ist das hier gleich vorbei. Wenn nicht, dann sehen wir uns noch gründlicher um. Sie haben die Wahl, ob Sie Ihrem Vermieter erklären wollen, warum es hier aussieht wie in einem Gnomenhort.« Langley kniff die Lippen zusammen. »Wenn es Ihnen Spaß macht ...« »Oh ja, das tut es.« Mulciber blätterte durch eines der Magazine, auf dessen Cover eine leicht bekleidete Hexe immer wieder ihr Gesäß entblößte und dabei zwinkerte. Urquart warf ihm einen abschätzigen Blick zu. »Wenn es dir Spaß macht, hast du wohl noch nicht die richtige Aufgabe.« Er zog Mulciber das Erotikheft aus den Händen. »Hopp, hopp, du kümmerst dich jetzt um die Erstellung eines Magiespurenprofils. Das volle Programm, ich will eine komplette Analyse von jeder Ecke dieser Wohnung. Wenn wir auch nur den Hauch einer Spur finden, wird das untersucht.« Mulciber, der Urquart ein gutes Stück überragte, verschränkte die Arme und schien ein Augenrollen mit aller Macht – oder Würde – zu unterdrücken. »Aber sicher. Sonst noch Extrawünsche?« »Du hältst den Mund dabei.« Wie schon im Ministerium deutete Mulciber eine Verbeugung an, bevor er seinen Zauberstab zückte und mit einem Winken einen der Patrouillenbeamten zu sich zitierte. Minerva hörte ihn leise Zaubersprüche murmeln, die auf vergangene Magie anschlagen würden – und gleichwohl sie fand, dass er ruhig schuften sollte, formte sich eine Idee in ihrem Kopf. Sie löste sich vom Bücherregal und trat, gefolgt von einer neugierigen Margarete, zu ihrem Vorgesetzten. »Ähm, Mr Urquart ...« – Das »Sir« schluckte sie gerade noch herunter – »Nicht, dass ich Mitleid mit Mr Mulciber habe, aber ich hätte da vielleicht einen Vorschlag, wie ich das Ganze beschleunigen könnte.« »Warum nur vielleicht?« »Ah ...« Minerva straffte die Schultern; spürte wieder das kalte Metall ihrer Dienstmarke zwischen den Fingern ihrer linken Hand. Dachte an Dougal, der sie nie so herausgefordert hatte. Sie wollte das hier. Sich beweisen; ihre Fähigkeiten als Hexe demonstrieren. »Ich habe einen Vorschlag, der vielleicht funktioniert«, korrigierte sie sich. »Ich bin eine registrierte Animagi. Um genau zu sein, nehme ich nach der Verwandlung eine Katzengestalt an. Und Katzen sehen zwar schlecht, können dafür allerdings gewisse magische Auren erkennen. Von Menschen, aber auch von manchen Zauberbannen.« Mulciber, der offensichtlich gelauscht hatte, stöhnte, während Margarete in die Hände klatschte. »Oh, das ist ja wundervoll! Eine waschechte Animagi, das ist noch besser als deine Erwiderungen an Alston! Und die sind schon allererste Sahne.« Auch Urquart sah begeistert drein, zumindest war da ein Funkeln in seinen Augen, das vorher nicht dagewesen war. »Das könnte wirklich verflucht nützlich sein. Also schön, legen Sie los! Ich bin gespannt.« Minervas Herz schlug unnötig schnell, als sie sich unter den Blicken ihrer Kollegen das erste Mal verwandelte. Natürlich lief die Transformation reibungslos ab, schließlich hatte sie diese oft genug geübt, doch auf Beobachtung konnte sie trotzdem verzichten. Genauso wie auf Margaretes verzücktes »Oh, wie süß!«, als sie auf vier Pfoten dastand. Es dauerte einen Moment, bis Minervas veränderte Sicht sich richtig eingestellt hatte. Vor sich erkannte sie einen zarten, blauen Flimmer, der Urquart umgab. Daneben schimmerte Margarete in fröhlichem Violett. Neugierig wandte Minerva den Kopf, um den Rest der Anwesenden in Augenschein zu nehmen. Mulcibers Aura erstrahlte in einem rostigen Orange-rot, die Patrouillenbeamten waren beide gelb. Und Langley umgab ein Grün, das so verschmutzt war, dass es fast schon braun wirkte. Viel war über die Bedeutung von Auren nicht bekannt – die Forschung daran galt gemeinhin als Schwachsinn (oder wurde eher dafür genutzt, solchen zu begründen) –, aber Minerva wusste zumindest, dass Auren sich durch den exzessiven Gebrauch dunkler Magie trübten. Misstrauisch kräuselte sie die Nase, sodass ihre Schnurrhaare zuckten. Besonders gut roch es hier in der geschärften Wahrnehmung einer Katze auch nicht. Langley stank nicht nur im übertragenen Sinne bis zum Himmel. Dass seine Atmung plötzlich abflachte und er seine Zähne so fest aufeinanderpresste, dass es knirschte, stärkte Minervas Eindruck nur. Sie war sich der Blicke in ihrem Rücken wohl bewusst, also trat sie ein paar Schritte in den Raum hinein und sah sich witternd um. Zunächst fiel ihr nichts Besonderes ins Auge, doch dann – das Bücherregal! Zielstrebig hielt sie darauf zu. Da, unter dem letzten Regalbrett, schimmerte es verdächtig an der Rückwand. Minerva neigte den Kopf und sah den Lichtstrahlen dabei zu, wie sie auf das Holz trafen ... und kleine Kreise auslösten, einem Stein gleich, den man in einen See warf. Eine silberne Schicht bedeckte die Regalwand. Sie hatte keine Ahnung, was für ein Zauber das war, aber dass er da war – dafür würde sie ihre Pfote ins Feuer legen. Neben dem Bücherregal kniend, verwandelte sie sich zurück. »Mulciber, das hier sollten Sie überprüfen.« Mit dem Zauberstab schubste sie einige Bücher beiseite und deutete auf die – für menschliche Augen gänzlich unspektakuläre – Holzwand. Grummelnd rückte der ältere Zauberer mit dem Patrouillenbeamten im Schlepptau an und Minerva räumte ihren Platz. Mulciber machte eine ziemliche Show daraus, die Rückwand zu betasteten. »Was soll hier sein, die Sonde schlägt nicht aus –« Er hielt inne und der Ausdruck in seinen Augen wandelte sich. »Oh verflucht ...« Es klirrte. Minerva wirbelte herum – und rutschte beinahe auf einer Lache aus Kaffee aus. Langley war zurückgewichen, mit einem Mal doch einen Zauberstab in der Hand. »Tun Sie das nicht, Mr Langley«, sagte Urquart ruhig. »Das wird Ihre Strafe nur schlimmer machen. Und denken Sie doch nur an Ihre arme Mutter, die dann ganz alleine sein wird ...« »Tsss!« Langley richtete den Zauberstab auf ihn. »Was wissen Sie schon von meiner Mum –« Urquart streckte sich und hob einen Bilderrahmen von der Fensterbank neben dem Bett. »Nun, das ist Sie doch oder nicht? Sie sieht nicht aus, als wenn Sie wüsste, was Sie in Ihrer Freizeit machen, Mr Langley. Wollen Sie ihr das Herz brechen? Wir haben eine ausgebildete Aurorin dabei. Sie wissen, was das bedeutet. Wenn Sie sich wehren, ist sie befugt, Sie um jeden Preis festzusetzen.« Langleys Blick zuckte zu Minerva. Dann senkte er den Zauberstab und eine seltsame Entschlossenheit blitzte in seine Augen auf. »Das kannste vergessen!« Er trat einen Schritt vorwärts, eine kleine Drehung – Minerva wusste nicht, was Besitz von ihr ergriff, aber als Langley drohte, sich in Luft aufzulösen, da warf sie sich vor, packte seinen Unterarm und klammerte sich fest. Es riss sie in einem Wirbel aus Farbe von ihren Füßen. Die Wohnung um sie löste sich auf, genauso wie ihr Einsatzteam. Langley versuchte noch, ihren Griff von sich zu lösen, aber sie ließ nicht locker, obwohl die Disapparation so grauenvoll stümperhaft war, dass sie ihr das Frühstück die Speiseröhre emportrieb. Keine zehn Sekunden später schlugen Minervas Knie unsanft auf Gras. Knapp zwei Meter vor ihr rollte derweil ihre unfreiwillige Mitreisegelegenheit über die Rasenfläche. Minerva hatte den Zauberstab schon in der Hand, da bemerkte sie erst die Muggel, die sie umgaben. Die sie anstarrten wie das siebte Weltwunder. Sie waren mitten in den Hyde Park appariert. Langley vor ihr lachte dreckig. »Tja, dann brech mal das Geheimhaltungsabkommen, Schätzchen!« Betont lässig stand er auf und klopfte sich das Gras vom Morgenmantel. Sein Blick glitt über die Muggel, die sie mit offenen Mündern musterten. »Ich bin schließlich nur ein unbewaffneter Mann, der von einer Verrückten angegriffen wird ...« »Dafür gibt es Vergissmichs!«, schnappte Minerva, auch wenn sich in ihrem Magen ein harter Knoten gebildet hatte. Er durfte ihr jetzt nicht entwischen – und sie nicht an die Konsequenzen ihres Handelns denken ... Ihren Zauberstab vom Ärmel verborgen, richtete sie die Spitze langsam auf Langley. Rotes Licht brach daraus hervor – und hinterließ ein Brandloch im Rasen, als Langley sich mit einem Hechtsprung zur Seite warf. Anstatt ihr einen Gegenfluch entgegenzuwerfen, rannte er auf den Gehweg zu, lauthals um Hilfe schreiend. Lange warten musste er nicht und schon lief ihm der erste mutige Muggel entgegen. »Du verfluchter Bastard!«, knurrte Minerva. Sie schleuderte ihm einen zweiten Schockzauber hinterher, den Langley über seine Schulter abwehrte. Die umstehenden Muggel schrien. Der Mann, der Langley eben erst zur Hilfe hatte eilen wollen, verharrte unschlüssig auf halbem Weg und Minerva nutzte das freie Feld, um einen weiteren Zauber auf ihren Gegner zu schleudern. Wieder wehrte Langley ab. Ein drittes Brandloch fraß sich in den Rasen. Den Rasen ... Minerva senkte den Zauberstab. Langley grinste und drehte sich um. Zumindest wollte er das. Seine Füße allerdings verweigerten ihm den Dienst. Panisch sah der Mann nach unten – und fand seine Beine von dicken, fleischigen Ranken umschlungen. »Du Schlampe!«, schrie er, den Zauberstab erhoben. Etwas Helles zischte auf Minerva zu, doch sie riss einen Schutzschild hoch. Noch bevor sie einen Gegenzauber geformt hatte, knallte es in der Nähe und unter einem Baum tauchte ihr Einsatzteam auf. Margarete feuerte einen Fluch auf Langley, der ihn keuchend vornüberkrümmen ließ, und Mulciber sowie die Patrouillenzauberer schwärmten in Richtung der lärmenden Muggel aus, ihre Hände beschwichtigend erhoben. Nur Elphinstone Urquart blieb stehen und besah sich einen Moment das Chaos. Dann glitt sein Blick langsam zu Minerva. Sein Umhang bauschte sich unheilverkündend hinter ihm auf, als er über die Rasenfläche auf sie zuhielt. »Es tut mir wirklich leid«, verkündete sie, kaum dass er in Reichweite war. »Ich –« Langley brüllte. »Bombarda!« Minerva sprang auf ihren Vorgesetzten zu. Er starrte sie mit großen Augen an, bevor schon ihre flachen Hände auf seine Brust schlugen und sie beide zu Boden stürzten. Hitze raste über Minervas Rücken. Sie verbarg das Gesicht in ihren Armen, einen spitzen Schrei in der Kehle. Der Geruch angesengter Haare erfüllte die Luft und sie nahm dunkel wahr, dass Urquart etwas rief. Als sie den Kopf hochriss, sah sie gerade noch, wie Margarete Langley mit einem Schockzauber außer Gefecht setzte. Die Ranken umschlangen ihn inzwischen bis zur Brust und so blieb er stehen wie eine groteske Statue. Atemlos betastete Minerva ihren Hinterkopf. Noch alles dran ... »Cac naomh!«, entfuhr es Urquart neben ihr auf Gälisch. »Nàile«, pflichtete sie ihm bei und unterdrückte ein zittriges Lachen. Lustig war hier immerhin gar nichts, doch für den Moment war da einfach nur Erleichterung. Heilige Scheiße, da hatte er recht. Um ein Haar wäre das hier ihr letzter Arbeitstag geworden. Zittrig stemmte Minerva sich zurück auf die Beine. Das Gras um sie her war von Langleys Feuerball plattgedrückt und die Muggel in der Ferne waren weiß wie Geister im Gesicht. Sie schlang die Arme um ihre Mitte. So hatte sie sich das wirklich nicht vorgestellt. »Es tut mir so leid«, murmelte sie an Urquart gewandt, der sich Gras vom Umhang strich. »Ich hätte das nicht tun dürfen –« »Später.« Er klopfte ihr auf die Schulter. »Erstmal müssen wir uns um dieses Chaos kümmern ...« Ein kleines Seufzen auf den Lippen, trat er auf das Gras, das knackte und schließlich brach. »Nun, das kann schon mal nicht so bleiben. Reverti!« Er zog einen großen Kreis mit dem Zauberstab und direkt unter Minervas Sohlen färbte sich das Gras wieder grün, richtete sich langsam auf und streckte sich erneut der Sonne entgegen. »Schon besser«, meinte Urquart mit einem Zwinkern. »Dann kriegen wir den Rest auch wieder hin.«   Miss Cuddles, die Teufelsschlinge, regte sich nicht, als Minerva Urquarts Büro zum zweiten Mal an diesem Tag betrat. Aber das war nur ein schwacher Trost für das, was ihr unweigerlich bevorstand. Wenn sie nur daran dachte, wie breit Margarete Jansson gegrinst hatte, als sie ins Ministerium zurückgekehrt waren, wie spöttisch sie »Glückwunsch, du hast Mulciber heute seeehr glücklich gemacht; er liebt Gedächtniszauber, die sind seine Spezialität«, gesagt hatte ... Sie war fällig. Es brannte in ihren Augenwinkeln und Minerva schluckte gegen die aufsteigenden Tränen an. Warum nur lief alles schief? Erst die Sache mit Dougal und jetzt das. Noch viel mehr als am Morgen wünschte sie sich nach Hogwarts zurück. Hinter ihr knarrte die Tür und Urquart trat ein. »Bitte, nehmen Sie Platz«, wies er sie an. Mit gesenktem Kopf zog Minerva den rechten Stuhl zurück – »Ah, nicht den.« Verwundert sah sie auf. »Der hat eine kaputte Feder. Da hält man es nicht länger als fünf Minuten drauf aus, bevor es wirklich ungemütlich wird.« »Oh, ich könnte das reparieren, mit dem Reparo –« »Nein, nein.« Urquart gluckste leise. »Das könnte ich natürlich auch, aber der Stuhl gehört so. Manche Leute will man eben nicht länger als fünf Minuten dahaben.« Er wies auf den linken Sessel, der genauso aussah wie der Rechte. »Bitte.« Stumm nahm Minerva Platz. Wenn sie länger als fünf Minuten hier sitzen sollte, war die Situation schlimmer als angenommen. Sie hatte damit gerechnet, dass Urquart kurzen Prozess machen würde, ihr die Dienstmarke abnehmen und gegen die Kündigung austauschen, doch offenbar plante er vorher eine längere Rede ein. Sie sah auf die goldene Marke in ihrer Hand hinab, in deren Oberfläche ein Zauberstab geprägt war, an dessen Spitze eine Waage hing. M. McGonagall, magische Strafverfolgung. Was war es doch für ein schöner Traum gewesen, sich hier einen Namen zu machen. Zusehends verschwamm die Prägung vor ihren Augen. Was sollte sie nur ihren Eltern – und Robbie! – in ihren Briefen schreiben? »Also, Miss McGonagall – das war mal ein erster Arbeitstag. Sowas hatten wir auch noch nicht.« Minerva ballte die Faust um ihre Dienstmarke. »Ich weiß, dass es ein Fehler war«, würgte sie hervor. »Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie derart enttäuscht habe und ich kann natürlich verstehen, dass ich unter diesen Umständen nicht bleiben kann.« Ihre Stimme klang selbst für sie ganz fern, als würde sie von einer anderen Person kommen. Sie wagte es nicht, ihrem Vorgesetzten in die Augen zu sehen. Er war der Letzte, der ihre Tränen bemerken sollte. Doch Urquart schüttelte den Kopf. »Gòraiche«, sagte er mit sanfter Bestimmtheit. »Das ist nun wirklich Unsinn. Sie haben heute zwar Ihr Glück sehr herausgefordert, aber wir alle machen Fehler. Das Wichtige ist doch, dass wir aus ihnen lernen. Und Sie haben ja schon begriffen, dass diese Aktion ein bisschen zu mutig war. Warum sollte ich Sie also loswerden wollen?« Die Kanten der Dienstmarke bohrten sich in Minervas Haut. »... Nicht?« »Nein. Ich versichere Ihnen, dass ich Sie nicht loswerden möchte. Ich bin doch nicht verrückt!« Er warf einen Seitenblick auf die eingetopfte Teufelsschlinge und zuckte mit den Schultern. »Zumindest nicht auf diese Art verrückt. Sie sind die Erste, mit der ich vernünftig auf Gälisch lästern kann, das ist doch wunderbar!« Das entlockte Minerva ein Schmunzeln, ehe der Ernst der Situation sie wieder einholte. »Miss McGonagall, ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie mir heute das Leben gerettet haben? Und nicht nur das – Sie haben dafür gesorgt, dass wir das Diebesgut gefunden und Mr Langley festgenommen haben. Das war gute Arbeit.« »Aber zu welchem Preis? Die ganzen Muggel ...« »Die Muggel sind allesamt obliviert und glücklich wie eh und je.« Urquart schubste mit seinem Zauberstab eine Kekstüte über den Tisch und nickte auffordernd. Der Geruch frischen Ingwers stieg Minerva in die Nase, aber es brauchte eine zweite Geste, damit sie sich einen Keks nahm. Beschämt knabberte sie am Rand, obwohl es durchaus gut schmeckte. »Miss McGonagall, nehmen Sie sich das bitte nicht so zu Herzen. Sie konnten nicht wissen, dass wir eine Liste von Mr Langleys üblichen Fluchtorten haben und ihm so oder so auf die Schliche gekommen wären. Wenn etwas Schuld ist, dann die schlechten Vorbereitung dieser Mission. Ich hätte Sie vernünftig einweihen sollen oder aber nicht mitnehmen. Das nächste Mal wird besser laufen, das verspreche ich Ihnen. Und bis dahin gibt es genug Schreibtischarbeit für uns.« Minerva starrte Urquart an, dann die Marke in ihrer Hand. Inzwischen hatte das Muster darauf seinen Abdruck in ihrer Handfläche hinterlassen. M. McGonagall. Magische Strafverfolgung. Sie lächelte und schlussendlich gewann das Brennen in ihren Augen doch. Eine einsame Träne lief über ihre Wange, als sie aufsah. »Ich ... Danke.« »Dafür nicht. Willkommen im Team, Minerva.«   ☽•••☾   Der erste September 1982 neigte sich dem Ende entgegen. Die vielen Fenster von Hogwarts waren noch hell erleuchtet, doch eins nach dem anderen erloschen die Lichter dahinter. Es war eine eigenartige Ansicht – niemals sonst hatte Minerva diesen Tag außerhalb des Schlosses verbracht, seit sie Lehrerin geworden war. Die leise Wehmut, die in ihr hinaufkroch, passte zu den Erinnerungen, in denen sie geschwelgt hatte. Und dennoch freute sie sich, dieses Mal Hogwarts zu verlassen. Manchmal waren Trauer und Freude, Ende und Anfang, einfach zu nahe beieinander. Noch heute fragte sie sich gelegentlich, was aus ihr und Dougal hätte werden können. Ob sie nicht doch glücklich gewesen wären. Mindestens genauso oft, wie sie sich wunderte, was geschehen wäre, wenn sie dem Ministerium nicht nach zwei Jahren den Rücken gekehrt hätte, um in ihre Heimat zurückzukehren. So viele Möglichkeiten, so viele offene Fragen. Aber dann sah sie das kleine Cottage vor sich, in dem sie seit wenigen Wochen mit ihrem echten Ehemann lebte, nicht dem, der fast gewesen wäre. Die Hand auf der Gartenpforte hielt sie einen Moment inne. Sog die kalte Luft in sich auf, die vom Herbstanfang kündete. Sie roch Kaminfeuer und lächelte, als sie einen Schatten hinter den Vorhängen erkannte. In Augenblicken wie diesen wusste sie, dass sie die Zeit keinesfalls zurückdrehen würde. Kaum, dass sie in den Flur trat, kam Elphinstone aus dem Wohnzimmer, von wo es herrlich nach heißer Schokolade, Keksen und Kamin duftete. »Willkommen daheim.« Er grinste, als hätte er den ganzen Tag nur darauf gewartet, diese zwei Worte loszuwerden (und so wie Minerva ihn kannte, hatte er das wirklich). »Komm her.« Mit einem glücklichen Seufzen ließ sie sich in seine Arme ziehen. »Na, wie war dein ...« Elphinstone zählte lautlos. »Dein 30. erster Schultag?« Sie lachte leise. »Wie immer. Na ja, fast. Es herrscht kein Krieg mehr, das merkt man. Es ist viel zu lange her, dass es so war. Dass die Kinder so unbeschwert waren. Es hat sich sogar ein Schüler gewagt, ein Furzkissen auf Albus’ Platz zu schmuggeln.« »Oho, ein wahrlich raffinierter Streich.« »Noch machst du Witze, aber in ein paar Jahren habe ich es sicher wieder mit einer ausgewachsenen Streichepidemie zu tun.« Minerva schnitt eine Grimasse. »Warum sind es auch immer meine Schüler, die Unheil anrichten?« »Haben das Gryffindors nicht so an sich? Du bist schließlich genauso gut darin.« Elphinstone fing grinsend ihr Handgelenk auf, als sie ihn in die Seite piksen wollte. »Frech«, sagte Minerva, bevor sie ihn in einen Kuss zog. »Unerhört frech.« »Ach, gib’s doch zu – ein bisschen hast du das vermisst.« Anstatt zu antworten, sah sie ihn mit ihrem strengsten Lehrerinnenblick an, bis er lachen musste. Zufrieden lehnte sie sich wieder gegen ihn und genoss das Gefühl seiner Umarmung. Das Schicksal trieb schon ein interessantes Spiel. Manchmal überraschte einen das Leben genau dann mit einem neuen Anfang, wenn man es am wenigsten erwartete. Oft genug war Minerva davon ausgegangen, dass etwas endgültig sein würde, nur damit sich herausstellte, dass mit einem Mal alles anders sein konnte. Plötzlich brach Krieg aus und ebenso überraschend ging er zu Ende. Doch mitunter waren solche Änderungen auch beruhigend – wie das Wissen darum, dass es immer wieder die Chance gab, aus Fehlern zu lernen. Etwas zu ändern. Sich zu verändern. Vielleicht brauchte es gar keinen Reverti-Zauber für das Leben, der alles auf null setzte. Denn wie hatte Elphinstone einst, als aus jahrelanger Freundschaft mehr geworden war, zu ihr gesagt? »Jede neue Chance ist die Gelegenheit, etwas Wunderbares zu erschaffen. Nicht schöner, nicht besser, sondern anders.« Und an diesem Punkt konnte Minerva sagen, dass jenes ‚anders‘ ihr sehr gut gefiel. Sie genoss es, für jede Sekunde, die es anhielt. Wer wusste schon, wie viele Enden und Neuanfänge das Leben noch bereithalten würde. Sie war jedenfalls gewappnet.   ☽• E N D E•☾ Hosted by Animexx e.V. 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