Champ Stories von Platan (Band 1: Endynalos) ================================================================================ Kapitel 24: Ich bin viel zu schwach ----------------------------------- Inzwischen war es einige Tage her, seit sich Endynalos ihnen am Dyna-Baum angeschlossen hatte. Die Wohnung von Delion hatte ihn anfangs verunsichert, doch irgendwann konnte er sich mit der Situation arrangieren, auch wenn er es vorzuziehen schien, dass sie zumindest die Terrassentür immer offen ließen. Ein Problem war das nicht, da es in Score City, laut Delion, nie wirklich kalt wurde, und außerdem wollten auch Glurak und Intelleon ohnehin stets Zugang zur Terrasse haben. Somit hatten sie also jeden in der Familie zufriedenstellen können. Eines Nachts störte aber plötzlich ein lauter Knall die friedliche Atmosphäre. Der Lärm war aus dem Trainingsraum gekommen, in dem das Licht brannte. Dort lag Raelene gerade keuchend am Boden, mit einer schweren Hantel auf ihrer Brust, die sie nicht aus eigener Kraft wieder von sich runter bekam. Ihre Ohren klingelten leise, weil der Knall eben so laut gewesen war. „Mist!“, zischte Raelene, ihr Gesicht vor Schmerz verzerrt. Dummerweise wurde sie von der metallenen Hantelstange derart auf den Boden gepresst, dass sie nicht mal einfach unten drunter wegrutschten könnte. Sie war eingeklemmt. Verdammt! Ich bin so ein Idiot! Raelene war vor einer Weile aufgestanden, weil sie nicht mehr schlafen konnte, und ein wenig ziellos durch die Wohnung gewandert wie ein ruheloses Geister-Pokémon. Schließlich hatte ihr Weg sie automatisch hierher geführt, wo sie dem Drang gefolgt war, sich etwas mit den Hanteln zu beschäftigen und zu testen, wie viel Gewicht sie wohl heben könnte. Mit den kleineren Versionen hatte sie keine großen Schwierigkeiten gehabt, also war sie verrückt genug gewesen, sich an einem der größeren Versionen zu versuchen … Tatsächlich war es ihr mit viel Mühe und Kraftaufwand irgendwie gelungen die schwere Hantel etwas anzuheben, aber sie war nicht stark genug gewesen sie lange zu halten. Nun hatte sie ein ernsthaftes Problem. Allmählich bekam sie nämlich auch kaum noch Luft. Ein vertrautes Geräusch verriet ihr, dass Durengard vor der Tür zum Trainingsraum herumschweben musste. Deshalb wollte sie nach ihm rufen und darum bitten Hilfe zu holen, doch da hörte sie bereits Delions Stimme. „Rae!“ Erschrocken eilte er zu ihr und nahm ihr mit seinem gesunden Arm problemlos die Hantel von der Brust, die er vorsichtig, jedoch hastig zur Seite legte. Sofort holte Raelene tief Luft und rollte sich auf die Seite. Es zog sich ein ziehender Schmerz durch ihren gesamten Brustkorb, aber sie glaubte nicht, dass sie sich etwas gebrochen oder verstaucht hatte. „D-danke“, murmelte Raelene erleichtert. „Ich glaub, jetzt weiß ich, wie sich die Attacke Body Press anfühlt ... tut ganz schön weh.“ Zum Glück war Delion ihr rechtzeitig zu Hilfe gekommen, vermutlich weil der Knall ihn aufgeweckt haben musste. Bestimmt hatte sie mit dieser Aktion auch die Pokémon aus dem Schlaf gerissen. Dabei war sie zuvor die ganze Zeit so leise wie möglich gewesen, um niemanden zu stören. Besorgt kniete Delion sich neben sie. „Hast du dich verletzt?“ „Ich glaube nicht ...“, schnaufte sie. „Gut ...“ Er atmete auf. „Du solltest die Attacken auch nicht an dir selbst ausprobieren. Dafür sind sie zu gefährlich. Sich von Hanteln erschlagen zu lassen übrigens auch.“ „Ja, das hab ich gemerkt.“ „Auf die harte Tour.“ Behutsam legte er seine Hand auf ihren Kopf. „Warum bist du eigentlich noch wach?“ Sie sah Delion mit glasigen Augen an. „Ach, weil ich mir die ganze Zeit so dumme Gedanken mache.“ Raelene setzte sich aufrecht hin, wobei sie kurz das Gesicht verzog, als ihre Brust dabei schmerzte. Auf einmal hüpften Azurill und Dedenne in den Raum. Als sie sahen, dass es ihr nicht so gut ging, kamen sie direkt zu ihr und sahen sie besorgt an. Dedenne kletterte sogar auf ihre Schulter und tätschelte ihre Wange. „Oh, ich hab euch alle aufgeweckt, was?“ Weil Raelene ihnen nicht noch mehr Sorgen bereiten wollte, rang sie sich ein Lächeln ab. „Tut mir echt leid. Mir ist nur die Hantel runtergefallen, alles in Ordnung.“ Auch Durengard kam in den Trainingsraum, als er bemerkte, dass er nicht länger wachsam im Türrahmen bleiben musste, und schwebte um sie herum. Ihm könnte Raelene wohl nichts vormachen, genauso wenig wie Delion, der sie ziemlich besorgt ansah. „Was für dumme Gedanken denn?“, hakte er nach. „Vielleicht solltest du mit mir darüber reden, statt dich fast dabei zu verletzen. Du musst mir gegenüber nicht der standhafte Champ sein, auch wenn ich verstehe, dass du denkst, du müsstest dich zusammenreißen.“ Beschämt senkte Raelene den Kopf. „Das weiß ich ja eigentlich. Ich hatte bisher einfach nur noch keine passende Gelegenheit dazu, mit dir darüber zu reden. Liberlo und du, ihr wart verletzt und seid immer noch nicht wieder ganz gesund. Dann mussten wir uns zuerst um Endynalos kümmern. Meine Probleme waren da erst mal echt unwichtig.“ Es wäre ihr lächerlich vorgekommen, zwischen all dem zu sagen, dass es ihr schlecht ging, während Endynalos jahrelang in Gefangenschaft leben musste, Delion angeschossen worden war und Liberlo auch angeschlagen war. Delion legte seine Hand unter ihr Kinn und brachte sie vorsichtig dazu, ihn wieder anzusehen. „Hör zu, Rae. Deine Probleme werden für mich nie unwichtig sein, okay? Also erzähl sie mir ruhig. Ich will immer wissen, wie du dich fühlst.“ Ein warmes Gefühl legte sich wie ein Verband heilsam über den Schmerz in Raelenes Brust. Ihr Gesicht erhitzte sich ebenfalls. Diese Geste von Delion und seine Worte waren so rührend, sie könnte einfach anfangen zu weinen, aber noch konnte sie die Tränen zurückhalten. „Okay“, sagte sie aufgewühlt. „Dann ... setzen wir uns mal gemütlich hin und ich schütte mein Herz aus.“ Azurill quietschte zustimmend, gefolgt von einem herzhaften Gähnen, dem Dedenne sich sofort anschloss. Müde rieb er sich mit seinen kleinen Pfötchen die Augen. „Alles klar, also gehen wir besser zurück ins Schlafzimmer.“ Mit einem Nicken deutete er zu den Kleinen. „Damit die Pokémon weiterschlafen können.“ Wahrscheinlich war Wolly eine der wenigen, die durch den Knall nicht aufgewacht war. Noch nicht. Also könnten sie sich einfach auf das Bett setzen und Wolly würde friedlich weiterschlafen, solange sie sich dabei wieder an einen von ihnen kuscheln könnte. Daher klang das Schlafzimmer nach dem perfekten Ort für dieses Gespräch. Delion erhob sich und half Raelene dabei ebenfalls aufzustehen, indem er ihr die Hand reichte. Das konnte sie nur dankend annehmen. Ihr wurde kurz etwas schwindelig, als sie aufrecht stand. Hoffentlich hatte sie sich beim Sturz nicht den Kopf angeschlagen. „Legt euch ruhig wieder hin und schlaft weiter“, bat sie Azurill und Dedenne. „Wir gehen auch zurück ins Schlafzimmer.“ Die beiden nickten und liefen zuerst aus dem Trainingsraum, um zurück in ihre Bettchen zu gehen. Durengard war inzwischen auch zufrieden und kehrte mit den Baby-Pokémon ins Wohnzimmer zurück. Ohne Delions Hand loszulassen, folgte Raelene ihrem Beispiel und ging Richtung Schlafzimmer. Dort angekommen schaltete Delion erst einmal das Licht ein, achtete jedoch darauf, es ein wenig zu dämpfen, damit Wolly nicht doch noch aufwachte. Er bugsierte Raelene auf das Bett und setzte sich direkt neben sie. „Also, erzähl mal. Was geht dir durch den Kopf?“ Statt sofort zu antworten, tätschelte Raelene Wolly ein wenig den Kopf, während sie darüber nachdachte, wie sie anfangen sollte. Irgendwann seufzte sie schwer und sah Delion bedrückt an. „Ich bin viel zu schwach.“ Es laut auszusprechen tat beinahe mehr weh als der Schmerz in ihrem Brustkorb. „Was mit Liberlo passiert ist, hätte nicht passieren dürfen. Ich will nicht, dass meine Pokémon meinetwegen so schwer verletzt werden, weil sie mich beschützen müssen.“ Natürlich verletzten sie sich auch beim Training und vor allem in Kämpfen, aber dort achtete Raelene stets darauf, dass es niemals zu weit ging und keiner ernsthaften Schaden nahm. „Ich habe total versagt“, sagte sie traurig. Ein wenig befürchtete Raelene, dass Delion sie beruhigen wollte, indem er anbrachte, dass sie das mit Liberlo nicht wirklich hätte verhindern können – auch wenn sie stärker gewesen wäre. Oder dass sie, in seinen Augen, gar nicht schwach war. So etwas wollte sie aber nicht hören. Es käme ihr sonst so vor, als wären ihre Sorgen absolut unsinnig, obwohl Raelene sich seit Tagen deswegen quälte. „Du willst also stärker werden“, schloss Delion aus ihren Worten, statt sie direkt abzuwehren. Raelene nickte entschlossen, seufzte aber sofort wieder betrübt. „Ich weiß natürlich, dass das nicht von heute auf morgen geht. Bis ich wirklich stärker werde, muss ich erst mal lange trainieren, so wie du und die Pokémon. Es macht mich trotzdem verrückt. Ich will jetzt stark werden, bevor so etwas wie mit Liberlo wieder passiert.“ Diesmal würde Liberlo wieder gesund werden, aber nächstes Mal könnte es schlecht ausgehen, sollte nochmal etwas Schlimmes passieren. Das wollte sie sich gar nicht vorstellen. Schweigend neigte Delion den Kopf ein wenig und schien genau zu überlegen, was er am besten sagen sollte. Offenbar nahm er ihr Problem ernst und wollte deshalb nicht unbedachte Äußerungen tätigen. Diese Rücksichtnahme beruhigte Raelene und half ihr, sich wieder zu entspannen. „Meister Mastrich sagte mir einmal, Ungeduld sei der Feind der Stärke“, erinnerte Delion sich. Zerknirscht tastete Raelene über ihren Brustkorb. „Ja, das mit der Ungeduld habe ich vorhin gespürt.“ „Glaub mir, ich kann verstehen, dass du es schnell haben willst“, fuhr Delion fort. „Dennoch, nicht einmal der Champ kann die Phase des Trainings und der Geduld einfach überspringen.“ „Ich weiß ..:“ Wolly schmiegte sich im Schlaf an sie. Lächelnd legte Raelene einen Arm um sie und sah wieder Delion an. „Wegen dieser Sache ist aber auch eine alte, blöde Angst wieder hochgekommen“, erklärte sie. „Nämlich der Gedanke, dass ich eigentlich kein wahrer Champ bin.“ Niemals hätte sie gedacht, mit dem Thema mal so offen gegenüber Delion zu sein – nicht ohne es nur als schlechten Scherz zu tarnen. „Ein Teil von mir denkt immer noch, wenn du damals durch die Sache mit Endynalos nicht so angeschlagen gewesen wärst, dann hätte ich haushoch gegen dich verloren. Und weil ich so unsicher bin, komme ich mir erst recht wie ein lausiger Champ vor.“ „Na ja, ich muss an der Stelle zugeben, dass ich dich damals nur so schnell herausgefordert habe, weil ich daran gezweifelt habe, dass ich ein echter Champ bin“, gestand Delion, mit ruhiger Stimme. Überrascht sah Raelene ihn an. Sogar ihm war dieser Gedanke mal durch den Kopf geschossen, als er noch Champ gewesen war? Seine Niederlage gegen Endynalos damals musste ihn wohl tiefer getroffen haben, als sie ahnte – und dann hatte Delion mit diesen Sorgen auch ganz alleine klarkommen müssen. Also waren Champs nicht alle immer zwingend absolut von sich überzeugt. „Aber ich denke trotzdem nicht, dass du haushoch verloren hättest, selbst wenn das nicht gewesen wäre. Du bist an Durengard vorbeigekommen – das schaffen beileibe nicht viele. Ich meine, du kennst Durengard ja, er versteht sich auch ohne meine Kommandos gut aufs Kämpfen und vor allem Beschützen.“ Delion sah auf Wolly hinab und lächelte. „Außerdem hast du eine großartige Bindung zu deinen Pokémon. Du bist wirklich ein guter Champ. Und dass du den Titel immer noch hast, unterstreicht das nur noch.“ Als Raelene an ihren ersten Kampf gegen Durengard zurückdachte, musste sie schmunzeln. An ihm hatte sie sich damals fast die Zähne ausgebissen. Dafür war der Antrieb nur umso größer gewesen, als ihr Team und sie ihn endlich überwunden hatten. Sie dachte gerne an diesen spannenden Kampf zurück. „So schwach bist du also nicht.“ Liebevoll strich Delion ihr über den Rücken. „Und zusammen kriegen wir dich auch noch körperlich stark. Versprochen.“ „Ich bestehe sogar darauf, dass du mein persönlicher Trainer wirst“, forderte sie motiviert. „Du kennst dich immerhin super damit aus. Ich will irgendwann auch so eine riesige Hantel mit nur einer Hand hochheben können.“ Raelene schloss die Augen und lächelte. „Meine Hater würden ja sagen, dass ich bisher nur Glück mit den Herausforderern hatte. Aber du hast recht, ich habe mich schon gegen einige starke Trainer beweisen können. Und gegen Roy~.“ „Und Roy ist wirklich kein leichter Gegner. Er ist der einzige, den ich zu meiner Champ-Zeit als Rivale akzeptiert habe. Wenn deine Hater also glauben, du hättest nur Glück gehabt, dann sind sie Idioten, die keine Ahnung haben.“ Das waren Hater meistens, hatte Raelene sich sagen lassen. Die wenigsten von ihnen besaßen wirklich Ahnung von irgendetwas. „Ich werde diese Gedanken trotzdem nie so richtig los. Dabei habe ich wirklich großartige Pokémon, die für mich ihr Bestes geben. Ich muss mich in Zukunft auch noch viel mehr anstrengen.“ Raelene lächelte Delion dankbar zu. „In meiner Vorstellung haben mich alle immer ausgelacht, wenn ich ihnen das erzählt habe. Jetzt bin ich froh, dass du mir nicht einfach nur gesagt hast, ich soll nicht so negativ denken.“ Delion erwiderte ihr Lächeln. „Ich war ja auch mal Champ, ich weiß, welche Gedanken und Gefühle einen mit der Zeit so durch den Kopf gehen. Und was dann hilft ... oder eben nicht. Die Ansage, einfach nicht so negativ zu denken, ist jedenfalls nie hilfreich. Das weiß ich nur zu gut. Den Rat habe ich nämlich selbst mal bekommen, also habe ich danach einfach immerzu gelächelt.“ Davon hatte Raelene nichts gewusst. Woher auch? Das erklärte, warum ihr einige Fotos von ihm manchmal so seltsam vorgekommen waren. Es hatte daran gelegen, dass sein Lächeln ab und zu aufgesetzt gewesen war. So etwas von ihm anvertraut zu bekommen, bedeutete ihr sehr viel. Sicher kannten dieses Geheimnis nicht viele, falls Delion es überhaupt jemals wem erzählt hatte. Prüfend sah Delion sie an. „Geht es dir jetzt besser?“ „Ja~“, versicherte Raelene. „Es tat gut, das alles einfach mal laut zu sagen. Und Verständnis dafür zu bekommen.“ Vielleicht sollte sie die Vorstellung endlich ein für alle Mal ablegen, dass Champions perfekt seien und sie deswegen nicht in die Reihe dieser Legenden passte. Und sie sollte vorerst die Hände von den Hanteln lassen, bis Delion sie dabei unterstützte. Das hätte vorhin deutlich schlimmer enden können. „Ich bin auch beruhigt, dass du nicht enttäuscht bist.“ Raelene vergrub ein wenig das Gesicht in die weiche Wolle von Wolly. „Da wir endlich zusammen sind, will ich für dich halt am liebsten nur die beste Figur machen.“ „Für mich machst du immer die beste Figur, auch wenn es dir nicht so gut geht.“ Er küsste sie auf die Stirn, als sie ihn wieder ansah. „Ich kann gar nicht enttäuscht von dir sein, also mach dir keine Gedanken. Wahrscheinlich wirst du eher irgendwann von mir enttäuscht sein.“ Delion lachte, um das sofort abzuschwächen. „Aber ich gebe mir Mühe, keinen Unsinn anzustellen, also keine Sorge. Hin und wieder werde ich vielleicht aber auch mal schwache Momente haben.“ Sie legte eine Hand an seine Wange. „Ich werde niemals enttäuscht von dir sein. Immerhin liebe ich dich so, wie du bist. Für mich bist du perfekt.“ Kaum hatte sie das gesagt, hielt sie kurz inne und blinzelte. „Oh! Genau so siehst du das also auch, nur halt bei mir.“ „Ganz genau. Also musst du dir nie Sorgen deswegen machen.“ Nach dieser – doch recht späten – Erkenntnis, obwohl sie einander schon versichert hatten, wie großartig der jeweils andere für sie war, konnte Raelene nicht anders, als leise zu lachen. Gerade erkannte sie noch mehr, warum Liebe so etwas Wunderbares und Schönes war. Egal, wie schlecht es dem Partner ging oder wie schwach er sich fühlte, sie würden zusammenhalten. Das erleichterte sie in diesem Moment wirklich sehr. Zufrieden strich Delion ihr durch das Haar. „Zusammen bekommen wir das schon hin.“ „Ja, wir kriegen alles hin", stimmte sie Delion verträumt zu, während sie mit geschlossenen Augen seine Berührungen genoss. „Danke. Ich werde artig warten, bis du wieder ganz gesund bist, und mich bis dahin den Hanteln nicht mehr nähern.“ Wenn Liberlo und Delion so tapfer durchhielten, konnte sie das auch. Auf einmal schien alles ganz leicht zu sein. Das Gespräch hatte wirklich geholfen. Da Wolly gerade in Raelenes Armen schlief, wollte sie die Gelegenheit nutzen: „Kannst du mich heute festhalten, während wir schlafen?“ „Klar doch~“, sagte er freudig. „Dann bist du jetzt bereit, wieder zu schlafen?“ „Absolut bereit~. Ich hab mir ja den besten Trainer der Welt klargemacht, der mich noch dazu liebt, auch in meinen schwachen Momenten. Da muss ich mir keine Gedanken mehr machen.“ Raelene lächelte ihn glücklich an, bevor sie sich, mit Wolly im Arm, gemütlich hinlegte. Die Kleine mähte dabei nur verschlafen, wachte aber nicht auf. Wenn sie mal schlief, dann wie ein Stein. Wolly fühlte sich einfach sicher, worüber auch Raelene sich freute. Delion schaltete das Licht wieder aus und legte sich dann zu ihr. Vorsichtig, um Wolly nicht doch noch zu wecken, legte er den Arm um Raelene und schmiegte sich an ihren Rücken. „Geht das so?“, fragte er leise. „Mhm“, antwortete Raelene knapp. In diesem Moment hätte sie kein Wort anständig aussprechen können, ohne zu stammeln. Nach all den Tagen dachte Raelene, sich an Delions Nähe gewöhnt zu haben, aber das sorgte nun doch wieder dafür, dass ihr Herz einen Marathon lief. Aber es war ein schönes Gefühl. Seine Körperwärme war angenehm. Wahrscheinlich würde sie in dieser Stellung zwar kaum schlafen können, aber sie war vollkommen zufrieden. Daher schloss Raelene die Augen und murmelte leise „Gute Nacht“. „Schlaf gut“, flüsterte Delion.   ***   Wie erwartet hatte es einige Zeit gedauert, bis Raelene wirklich einschlafen konnte. Delions Nähe hatte sie, im positiven Sinne, um den Verstand gebracht. Aber seinem Atem zu lauschen und seine Wärme in sich aufzunehmen, das alles war sehr beruhigend gewesen. So war es schließlich doch noch dazu gekommen, dass sie die letzten Stunden bis zum Morgen gut schlief. Raelene wachte erst wieder auf, als Wolly sich in ihrem Arm so ungünstig drehte, dass sie mit dem Huf gegen ihre Brust kam, was ziemlich weh tat. „Au“, nuschelte sie müde. Wolly blökte leise, was eher einem Gähnen gleichkam, und döste weiter vor sich hin. Langsam öffnete Raelene die Augen und blinzelte mehrmals. Das Ziehen in der Brust erinnerte sie sofort daran, was in der Nacht geschehen war. Vorsichtig legte sie eine Hand auf die von Delion. Ob es an dieser Berührung oder nicht doch an ihrem leisen Schmerzenslaut eben lag, wusste sie nicht, doch offenbar hatte sie Delion auch aufgeweckt. „Alles okay?“, erkundigte er sich, noch im Halbschlaf. „Ist was passiert?“ „Nein, alles gut“, versicherte Raelene gähnend. „Meine Brust tut nur etwas weh.“ Sanft strich sie weiter über Delions Hand und schloss wieder die Augen. Mit ihm zusammen war sie bislang noch nicht aufgewacht, fiel ihr gerade auf. Einer von ihnen war immer schon vor dem anderen aufgestanden. Es war wirklich schön, so in einen Tag zu starten, auch wenn sie nun erst recht nicht aus dem Bett steigen wollte. „Soll ich mir das mal ansehen?“ Erst wollte Raelene ablehnen, weil ihr, abgesehen von blauen Flecken, sicher nichts fehlte. Dann dachte sie aber, dass ein Blick zur Vorsicht eigentlich nicht schaden könnte, auch wenn nichts gebrochen war. Falls es Blutergüsse gab, sollte man die zumindest im Auge behalten. „Ja, wäre wohl besser“, erwiderte sie, nach wie vor schläfrig. „Ist aber bestimmt nicht so wild.“ „Woooll~“, gähnte Wolly lang. Plötzlich befreite Wolly sich aus Raelenes Umarmung und schüttelte sich, kaum dass sie auf allen Vieren stand. Mit einem fröhlichen Ausruf verkündete Wolly den beiden ihren Morgengruß, bevor sie anschließend vom Bett sprang und schon aus dem Schlafzimmer lief. Erstaunt blickte Raelene ihr hinterher. „Dafür, dass sie von allen den festesten Schlaf hat, wird sie ganz schön schnell munter ...“ „Vielleicht ist sie gerade wegen des festen Schlafs schon so munter.“ Guter Punkt, das könnte in der Tat der Grund sein. Jedenfalls wäre das für Raelene nachvollziehbar. „Okay, dann zeig mir die Verletzung mal“, sagte Delion, während er sich von ihr löste und eine aufrechte Position einnahm. Raelene trauerte sofort seiner Wärme hinterher. Das war die erste Nacht gewesen, in der sie in einer Umarmung geschlafen hatten. Sie fühlte sich so glücklich wie ein Sonnflora. So eins hatte sie mal in einer Pokémon-Zeitschrift gesehen, denn die gab es leider nicht in Galar. Verträumt zog Raelene vorsichtig ihr Oberteil aus. Da sie auch diesmal wieder Kates Uniform darunter trug, machte sie sich darüber gar keine Gedanken. Außerdem konnte Delion kaum etwas sehen, wenn sie sich nicht vorher auszog. Durch die Uniform hindurch war aber noch nicht viel zu sehen, es lugte nur ein kleines Stück von einem blauen Fleck unter dem bauchfreien Top hervor. Erst als Raelene es für einen Blick ihrerseits mit den Fingern etwas hochhob, sah sie das ganze Ausmaß des kleinen Unfalls von letzter Nacht. „Woah!“, stieß sie erschrocken aus. Knapp unter ihrem Schlüsselbein zog sich ein großer, dunkelblauer Fleck horizontal entlang. Fast sah es so aus, als wäre sie von einem Pokémon vergiftet worden. „Ich hatte ja schon oft blaue Flecken, aber das ist ein neuer Rekord ...“ Delion reagierte nicht sofort, sondern atmete zuerst tief ein und aus. „Ja, das hatte ich mir fast gedacht. So eine Hantel ist eben doch ziemlich schwer.“ „Zu schwer für mich ... jedenfalls noch.“ Mit Delions Hilfe käme sie auch mit der Zeit an ganz viel Stärke und könnte solche Unfälle zukünftig verhindern. Zum Glück war das Ganze gut ausgegangen. Immerhin wollte sie Delion weiter anständig versorgen können, solange sein Arm noch geschont werden musste. „Ist aber sonst nichts weiter“, beruhigte sie ihn und sich selbst. „Das verheilt in den nächsten Tagen von allein. Ich muss nur aufpassen, die Stelle nicht zu berühren.“ Raelene löste den Blick von dem blauen Fleck und sah Delion erleichtert an. „Also kein Grund zur Sorge~.“ Anscheinend erforderte es für ihn gerade ein gewisses Maß an Mühe, ehe er sich auch von dem Anblick loseisen konnte, um sie anzuschauen. „Na, zum Glück ist das kein Grund zur Sorge. Aber behalten wir das besser doch mal im Auge, falls sich doch noch etwas daran ändern sollte. Nur vorsichtshalber.“ Irgendetwas stimmte nicht mit Delion. Deshalb ließ Raelene das Top wieder los und beugte sich näher zu ihm, damit sie eine Hand auf seine Wange legen konnte. Er fühlte sich heiß an, auch sein Gesicht war auf einmal ganz rot geworden. Hätten sie sich gerade geküsst, könnte sie das auf seine Verlegenheit schieben, doch das war nicht der Fall. „Alles in Ordnung? Hast du Fieber?“ Sie betrachtete ihn besorgt. „Oh je, die Schusswunde hat sich hoffentlich nicht entzündet. Hast du Schmerzen?“ Wenn dem so wäre, müsste Raelene ihn schnell zu einem Arzt bringen. Mit so etwas war nämlich nicht zu spaßen. Noch während ihre Hand auf seiner Wange lag, schien die Hitze sogar rapide zuzunehmen. „Nein, keine Sorge, meinem Arm geht es gut“, erwiderte Delion rasch, beinahe nervös. Beruhigt ließ Raelene die Hand wieder sinken, neigte aber nachdenklich den Kopf. „Dann war das Kuscheln diese Nacht vielleicht einfach nur zu warm. Ich mach dir gleich mal ein kaltes Getränk~.“ Inzwischen kannte sie sich in der Küche schon ziemlich gut aus und wusste, wo was stand. Also konnte sie für Delion zum Frühstück auch eine kleine Erfrischung machen. „Ich halte mich auf jeden Fall erst mal von den Hanteln fern. Hoffentlich hab ich dir keine Macke in den Boden gehauen damit ...“ „Ach, eine Macke macht dem Boden schon nichts aus“, entgegnete Delion. „Die kriegt man leicht wieder raus. Das ist das letzte, worum du dir dabei Sorgen machen musst.“ Dass Delion Ahnung von Bodenbelägen oder der Reparatur derselben besaß, hätte Raelene nicht erwartet. In ihrer Vorstellung rief er für solche Anliegen entsprechende Spezialisten. Wie es aussah, gab es noch viel, das sie über ihn lernen konnte. Auch ihr Gespräch in der Nacht hatte das bewiesen. Da sie sich nun beide ein Bild von dem Ausmaß ihres Unfalls machen konnten, zog Raelene ihr Oberteil wieder über. Anschließend rückte sie dichter an Delion heran und umarmte ihn zufrieden – sie glaubte, sein Herz wie verrückt schlagen hören zu können. „Nochmal Danke, für das Gespräch“, sagte sie sanft. „Das hat wirklich sehr geholfen. Ich werde es dir in Zukunft sofort sagen, wenn mich wieder etwas beschäftigt.“ Schon um seinen Boden zu schonen. Wer weiß, was als nächstes fallen könnte, statt einer Hantel? Delion erwiderte die Umarmung. „Keine Ursache. Und erzähl es mir wirklich sofort, ich versuche dir dann zu helfen. Oder ich höre dir einfach nur zu, was auch immer dir lieber ist.“ „Okay~.“ Widerwillig beendete Raelene die Umarmung und lächelte ihm zu, bevor sie zum Bettrand rutschte, um selber aufzustehen. Sie glaubte nicht, dass etwas passiert war, aber sie wollte mal nach den Pokémon sehen. „War das Kuscheln denn trotzdem okay für dich?“, fragte sie zögerlich, etwas schüchtern sogar. „Auch wenn es dir etwas zu warm war?“ Seltsam erstaunt blinzelte Delion sie an, als könne er nicht glauben, was sie soeben gesagt hatte. Schmunzelnd legte er die Hand an sein Kinn und sah sie plötzlich so an, als wäre sie ein besonders kostbarer Schatz, den man vor bösen Mächten beschützen müsste. Spontan stieg auch ihr die Hitze ins Gesicht und sie wollte nach dem Schirm ihrer Kappe greifen, doch die lag noch auf dem Nachttisch. „Oh, ja, es war großartig. Und ein bisschen Wärme schreckt mich nicht ab. Du weißt ja, ich bin Gluraks Partner, da ist man wesentlich mehr Hitze gewohnt. Besonders bei der Gigadynamaximierung.“ „Ah, stimmt! Dann können wir ja beruhigt weiter kuscheln~. Mir hat das richtig gut gefallen.“ Raelene strahlte glücklich, während sie das sagte. „Ich nehm Wolly einfach immer in den Arm. Oder wir tauschen mal, kein Problem.“ Es war immer noch wie ein Traum, dass sie Delion so nahe sein konnte. Inzwischen wusste sie, dass es die Realität war – schon weil der Schmerz in der Brust sich zu echt anfühlte. „Mir hat das auch gut gefallen~.“ „Ja?“ „Natürlich~. Und darum müssen wir das auf jeden Fall wiederholen“, fügte er hinzu, während er sich ebenfalls zum Aufstehen aufraffte. „Am besten direkt heute Nacht~.“ Erst recht weil Raelene nicht wusste, wie lange sie noch bei Delion übernachten durfte, also wollte sie das unbedingt ausnutzen. Ihr gefiel der Gedanke nicht, dass sie irgendwann auch mal wieder nach Hause gehen musste. Wäre es zu früh, zu fragen, ob sie einfach für immer bleiben durfte? Nun, darüber musste sie noch nicht nachdenken. Eilig griff Raelene nach der Kappe und setzte sie sich auf. „Also, schauen wir mal nach den Pokémon und überlegen dann, was es zum Frühstück geben soll.“ „Sehr gute Idee. Also alle beide. Bin gespannt, wie alle die Nacht erlebt haben.“ „Wegen meinem Unfall?“ „Nun, es gab einen ziemlich lauten Knall.“ Er zwinkerte ihr zu. „Aber keine Sorge, abgesehen von einem kleinen Schrecken dürfte die Pokémon das sonst nicht weiter beeinflusst haben.“ „Hoffentlich. Ich werde so etwas ja nicht nochmal machen.“ „Gut~.“ Locker tippte Delion wieder den Schirm ihrer Kappe nach unten und nahm ihre Hand, so dass sie gemeinsam ins Wohnzimmer gehen konnten, während Raelene leise lachte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)