Abyss von lunalinn ================================================================================ Kapitel 4: Show --------------- Eigentlich hat Enji nicht vorgehabt, den Stripclub erneut zu besuchen. Wirklich nicht. Er hat hin und her überlegt, versucht, sich mit einem Film irgendwie davon abzulenken, oder erwogen, einfach eine Runde im Park joggen zu gehen. Dennoch ist ihm Hawks‘ nicht sehr subtile Einladung nicht aus dem Kopf gegangen, sodass er es am Ende aufgegeben hat. Während er den Wagen parkt, denkt er darüber nach, was er vorhat. Vermutlich dasselbe wie beim letzten Mal – die Bar ansteuern, Drinks bestellen und darauf warten, dass sich der Kerl aufdrängt. Oder aber er spricht eine der Frauen an, wie er es ihm angekündigt hat. Allerdings sträubt sich schon beim bloßen Gedanken in ihm alles gegen das, was ihn hier erwartet. Nicht, weil die Damen nicht ansprechend sind. Eher weil er nicht glaubt, dass ihn die Gesellschaft einer halbnackten Frau, die sich auf seinem Schoß räkelt, irgendwie aufmuntern kann. Er will auch nicht, dass sich Hawks auf seinem Schoß räkelt, aber mit dem hat er sich wenigstens schon mal befasst. Mehr oder weniger. Enji verdrängt seine Überlegungen und richtet dann seinen anthrazitfarbenen Anzug. Die Krawatte hat er weggelassen, trägt nur ein weißes Hemd, bei dem er den obersten Knopf aufgelassen hat. Etwas weniger förmlich. Der Türsteher begegnet ihm mit demselben grimmigen Misstrauen wie immer und auch Aizawa lässt es sich nicht nehmen, ihn mit Blicken zu erdolchen, während er ihm denselben Drink wie die letzten Male zukommen lässt. Offensichtlich können die zwei ihn nicht leiden. Vermutlich wegen Hawks. Dabei macht dieser nicht den Eindruck, als würde er einen Beschützer brauchen. Er ist berechnend genug, um selbst für seine Sicherheit zu sorgen, und nur, weil er weder groß noch breit gebaut ist, heißt das nicht, dass er wehrlos ist. Jemand, der sich kopfüber an eine Stange hängen und dabei lasziv in die Menge grinsen kann, hat zweifellos eine überragende Körperbeherrschung – und Muskeln. Enji nimmt einen Schluck von seinem Whiskey, während er den Blonden beobachtet, wie er seine Show abliefert. Der ältere Typ ist ebenfalls wieder da und kann die Augen nicht von dem jungen Stripper lassen. Enji fragt sich, wie viele von diesen Männern tatsächlich glauben, dass sie am Ende des Abends eine oder einen von ihnen mit nach Hause nehmen können. Wie viel Geld sie wohl für diese Hoffnung ausgeben? Die Musik erreicht ihren Höhepunkt und Hawks legt sein Finale hin, indem er mit seinem Hintern wackelt und seinem Verehrer erlaubt, ihm ein paar Scheine in die enge Unterhose zu stecken. Niveaulos. Dem Kerl scheint es aber zu gefallen, vor allem als Hawks ihm über seine Schulter zuzwinkert. Sein Tattoo, das sich über seinen kompletten, verschwitzten Rücken zieht, leuchtet regelrecht. Dann klingt die Musik ab und das nächste Lied wird gespielt, woraufhin er von der Bühne verschwindet. „Was genau erwarten Sie sich eigentlich von Ihrem Besuch bei uns?“ Enji hält inne, als ihn der dunkelhaarige Barkeeper unvermittelt anspricht. Verwirrt sieht er diesen an, denn bisher hat dieser kaum ein Wort mit ihm gewechselt. „…bitte?“, erwidert er, weil er nicht weiß, was dieser von ihm will. Aizawa sieht ihn nicht an, sondern trocknet in Ruhe ein paar Gläser ab. „Sie kommen her. Sie betrinken sich. Geben vor, dass Sie alles hier anwidert. Behandeln unsere Mitarbeiter schlecht. Wenn Sie einer von diesen Typen sind, die nicht mit ihren Neigungen klarkommen, sollten Sie gehen, bevor jemand zu Schaden kommt.“ Enji verschlägt es regelrecht die Sprache; was fällt dem Kerl ein?! „Mit meinen Neigungen ist alles in Ordnung“, knurrt er nach ein paar Sekunden und hasst es, wie defensiv er klingt. Aizawa hebt nun doch den Blick, fixiert ihn aus seinen müden, dunklen Augen. „Das hoffe ich. Genau, wie ich hoffe, dass Sie sich benehmen.“ Enji hasst es, wie er mit ihm redet. Als wäre er ein Kind, das es zu ermahnen gilt. Die Wut lodert in ihm hoch, doch er will nicht, dass der Typ sich auch noch bestätigt fühlt. Außerdem will er nicht mit dem Mann streiten, der ihm seine Drinks serviert. „Hawks hat mich eingeladen“, grollt er. „So mies kann ich ihn also nicht behandelt haben.“ Aizawa blickt ihn so durchdringend an, als wolle er damit seine Absichten erkennen. Als ob er welche hätte…es ist ja nicht mal geplant gewesen, dass er überhaupt heute hier auftaucht. „Du bist ja echt gekommen! Und mit keiner anderen mitgegangen – das freut mich, Großer!“, erklingt die vertraute Stimme, bevor Aizawa noch etwas sagen kann. Er dreht den Kopf und sieht in Hawks‘ leuchtende Bernsteine, die ihn tatsächlich erfreut ansehen. Irgendwie ist das befremdlich, denn es freut sich selten jemand ehrlich über seine Anwesenheit. Hawks scheint sich frisch gemacht zu haben, denn er trägt andere Kleidung. Diesmal ist es eine enge, tief sitzende Jeans, braune Stiefel und ein Cowboyhut. Ansonsten ist er obenherum unbekleidet und es scheint ihn nicht zu stören. „Machst du uns zwei Drinks, Aizawa? Du weißt ja, was er trinkt, und ich nehme etwas Fruchtiges! Danke dir~!“, zwitschert er gut gelaunt und setzt sich neben ihn. Scheinbar hat Aizawa nicht vor, zu widersprechen, denn er fixiert Enji zwar noch einmal warnend, tut dann aber, worum Hawks ihn bittet. Dieser lächelt ihn an und neigt dabei den Kopf, was mit dem großen Hut ziemlich bescheuert aussieht. „Kein Polizist mehr?“, brummt Enji bloß, woraufhin Hawks schmunzelt. „Wollte halt frisch für dich sein! Gefällt’s dir nicht?“ „Ziemlich nackt.“ „Du weißt schon, wo du hier bist, oder?“ Hawks wirkt amüsiert, während Enji ihn nur genervt ansieht; natürlich weiß er das. Dennoch hat er als Polizist wenigstens ein Hemd getragen. Meistens jedenfalls. In dem Moment kommen ihre Drinks, sodass er um eine Antwort herumkommt. Hawks klemmt sich den Strohhalm zwischen die Lippen und nimmt einen Schluck von seinem Cocktail, überlegt dabei scheinbar. „Wollen wir rübergehen, bevor Miruko auf Beutefang geht und uns das Separee klaut?“ Es ist wohl tatsächlich sein Ernst, so wie er ihn ansieht. Enji zögert, weil er weiß, welchen Eindruck er dadurch vermitteln wird. Als wäre er wie der Kerl, der dort hinten sitzt und immer wieder zu ihnen herüberstarrt. Wenn Enji sich nicht entscheidet, hat Hawks wohl gleich den nächsten Kunden…und das will er auch nicht. Es stimmt schon, er ist wegen ihm hier. „Von mir aus.“ Hawks blinzelt, hat wohl trotz seiner Forschheit nicht damit gerechnet, dass er ja sagt. Dann aber grinst er zufrieden und erhebt sich, wendet sich aber noch mal kurz Aizawa zu. „Wir sind drüben. Sag Miruko, dass ich schneller war! Oh, und können wir die Flasche mitnehmen?“ Der Barkeeper verdreht bloß die Augen, erwidert jedoch nichts auf den frechen Spruch, sondern reicht ihm die Whiskeyflasche. Hawks zwinkert Enji zu und winkt ihn dann mit sich, wobei er auch seinen Drink mitnimmt. Der Stripperin im Hasenkostüm, die soeben einen Kunden bezirzt, streckt er dreist die Zunge heraus, wobei ihre roten Augen schmal werden und ein eher gruseliges Grinsen ihre Lippen überfliegt. Er muss das nicht verstehen…oder? Das Separee ist ein recht kleiner Raum, in dem eine schwarze Ledercouch mit bordeauxroten Kissen steht. In der Mitte ist eine Stange mit einem kleinen Podest zum Tanzen angebracht, welche durch das rote Licht noch verruchter wirkt, als es sowieso schon der Fall ist. Das ganze Zimmer drückt Erotik aus und Enji fragt sich zum ersten Mal, was hier drin eigentlich passiert. Er fühlt sich wie in einem Porno und das ist unangenehm. „Setz dich!“, fordert Hawks ihn auf und stellt die Flasche auf dem Tisch ab. „Ich weiß nicht, ob…“, beginnt Enji und bricht direkt wieder ab. Vielleicht ist das hier ein Fehler. Er sollte gar nicht hier sein, das ist…nicht richtig. Hawks mustert ihn einen Moment lang, ehe er leise seufzt. „Hör mal, ich hab dir doch gesagt, ich muss nicht tanzen. Wir können hier einfach nur sitzen und uns unterhalten.“ Um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, setzt er sich auf die Couch und klopft neben sich. Enji zögert immer noch, doch dann nimmt er in höflichem Abstand zu ihm Platz. Hawks nimmt den Whiskey und füllt ihm ungefragt nach, während im Hintergrund leise Musik gespielt wird. „Ich erklär dir mal, wie das hier generell läuft. Ich glaube nämlich, dass du hiervon eine falsche Vorstellung hast“, meint er ruhig und schraubt die Flasche wieder zu. „Der Kunde, also du, sitzt einfach nur da. Kein Fummeln, kein Schwanz rausholen und keine Nötigung. Einfach nur sitzen und der Show zugucken. Ich bin Tänzer und keine Hure. Sex gegen Geld gibt’s nicht – und wenn du mir noch so viel bietest. Wenn ich auf deinem Schoß sitze und tanze, sagst du mir rechtzeitig Bescheid, wenn’s eng wird. Ist echt nicht schön, wenn jemand kommt, während man drauf sitzt – und ja, das ist mir schon mal passiert.“ Enji schluckt hart, denn obwohl Hawks ja generell sehr offen ist, hat er nicht mit solch einer detaillierten Erklärung gerechnet. Andererseits beruhigt es ihn aber auch, denn er will kein solches Bild vermitteln. „Das hatte ich auch nicht vor“, murmelt er, woraufhin Hawks wieder lächelt. „Habe ich mir gedacht. Also, dass du nicht so einer bist.“ „Ah ja“, kommt es skeptisch von Enji. „Dachte, du hast mich eingeladen, weil ich Geld habe.“ „Ist ja auch so“, kommt es heiter zurück und der Hut landet auf der Couchlehne. Enji schnaubt leise; wenigstens ist er ehrlich. „Und weil ich dich mag. Du bist interessant…und angenehmer als der Kerl da draußen, der mir seit Wochen am Hintern klebt.“ „Du hast dir von ihm Scheine zustecken lassen und ihm zugezwinkert“, argumentiert Enji trocken, woraufhin Hawks ihn verwundert ansieht. „Natürlich! Er ist ein gut zahlender Kunde…aber eben auch gruselig. Ich halte ihn bei Laune, tanze manchmal privat für ihn, aber wenn er noch mal zudringlich wird, war’s das.“ „…noch mal?“ „Ach, nichts Wildes. Hat mir in den Hintern gekniffen und Anspielungen gemacht.“ Hawks zuckt mit den Schultern, als wäre das nicht der Rede wert. Für ihn ist es das vermutlich auch nicht, schließlich kommen bestimmt öfter Männer und Frauen vorbei, die die Grenzen überschreiten. Für Enji ist es nach wie vor unverständlich, dass er hier arbeiten kann. „Aber keine Sorge, Kan und die anderen passen schon auf uns auf, wenn’s mal brenzlig wird. Also, nicht, dass ich nicht auf mich selbst aufpassen kann, aber jemanden im Rücken zu haben, ist ja auch nicht verkehrt.“ „Vermutlich nicht“, brummt Enji nur und trinkt einen Schluck. Er ahnt, dass ihn der Abend viel kosten wird, doch wenn er eines noch hat, dann ist es Geld. Ein paar Sekunden schweigt er, ehe er beschließt, dass er wenigstens das Beste daraus machen kann. „Dein Tattoo“, spricht er daher etwas an, das ihn bis jetzt beschäftigt hat. „Hat das eine Bedeutung?“ Hawks hält inne und für einen Moment scheint er tatsächlich mit sich zu hadern. Es überrascht Enji, denn er hat bisher nicht das Gefühl gehabt, dass der Jüngere mit Informationen hinter dem Berg hält. „Das ist aber eine private Frage“, meint er, lächelt aber dabei. „…du hast mir eben erzählt, dass jemand gekommen ist, während du…“ „Ja, aber das ist beruflich. Mein Tattoo nicht. Das habe ich mir übrigens vor drei Jahren stechen lassen. Symbolisiert meine Freiheit – oder die Freiheit, die ich gerne hätte“, erklärt er es ein bisschen mehr. „Ich meine, wäre das nicht toll? Wenn man Flügel hätte, mit denen man einfach davonfliegen könnte? Egal wohin?“ Enji versteht, was er meint. Zumindest auf seine eigene Situation bezogen. Er weiß nicht, wann er sich das letzte Mal frei gefühlt hat. Allem entkommen zu können, auf welche Weise auch immer, das klingt auch für ihn verlockend. Es ist der Grund dafür, warum er so viel trinkt, nur leider hat es meistens den gegenteiligen Effekt. Er nickt knapp und trinkt den letzten Schluck seines Whiskeys. Wahrscheinlich wird er sowieso die ganze Flasche bezahlen müssen, was soll es also? „Du machst nicht den Eindruck, als seist du nicht frei“, erwidert er, woraufhin Hawks‘ Lächeln etwas schiefer wird. „Sagen wir, ich bin auf dem Weg dahin. Es gibt noch ein paar Fesseln, die mich am Boden halten – und nein, damit meine ich nicht den Club. Ich bin gern hier. Mir gefällt die Aufmerksamkeit und das Tanzen. Außerdem habe ich echt tolle Kollegen.“ Dass er das immer wieder klarstellen muss, würde Enji eigentlich als gegenteilig auslegen, aber wer ist er, dass er urteilen kann? Zumal er nicht das Gefühl hat, dass Hawks hier gefangen gehalten wird. „Jetzt bist du dran, erzähl mir was!“, fordert ihn dieser plötzlich auf und lehnt sich zurück. „Von deiner Arbeit, von mir aus.“ Enji überlegt, ob er darüber reden will, entscheidet sich aber dagegen. Wenn Hawks auch noch weiß, dass ihm eine Firma gehört, wird er ihn vielleicht zu erpressen versuchen. Ausschließen kann er es nicht, immerhin kennen sie sich nicht richtig. Andererseits hat Hawks bestimmt schon seinen Namen gegoogelt…und bisher ist kein Wort darüber gefallen, also kann er ihm vielleicht doch ein Stück weit vertrauen. Tut er ja gewissermaßen schon, indem er wieder hier ist. „Du weißt schon genug über mich“, gibt er dennoch entschieden zurück. „Frag etwas anderes.“ Hawks brummt beleidigt, kann aber anscheinend auch kein Gegenargument aufbringen. „Na gut…“, lenkt er jedoch ein und funkelt ihn an. „Sei ehrlich, du bist Männern nicht abgeneigt, oder? Ehe hin oder her.“ Enji kippt beinahe den Whiskey daneben, als er sich einschenkt. Vielleicht hätte er lieber die Arbeitsfrage beantworten sollen. Er atmet durch, während er die Stange im Raum fixiert und sich wiederholt fragt, warum er eigentlich hier ist. „Hey. Was im Separee passiert oder besprochen wird, bleibt im Separee. Ich kann es mir nicht leisten, dich zu verlieren, hm? Du bist leichtes, gutes Geld. Nicht wie der Typ da draußen. Ich kann aber auch den Schnabel halten und dir lieber ein paar Tricks an der Stange zeigen, wenn du-“ „Ja.“ Hawks verstummt und blickt ihn verwirrt an, wobei er scheinbar nicht weiß, worauf sich das Wort bezieht. „Eh…ja, ich soll tanzen?“, hakt er nach. „Nein. Das andere.“ Enji leert sein Glas halb, fühlt das Brennen in seinem Hals und merkt, dass der Alkohol langsam wirkt. Sonst würde er das Gespräch doch unterbinden, nicht wahr? „Oh“, kommt es überrascht von Hawks und er sieht ihn mit großen Augen an. „Und…wie? Ich meine, du bist noch mit einer Frau verheiratet, oder?“ Enji fixiert die goldene Flüssigkeit in seinem Glas, während er nickt. „Das war vor meiner Frau“, sagt er leise, denn er hat noch nie jemandem davon erzählt. „Als Teenager…es ist lange her und nicht von Bedeutung.“ „Aber auch keine Phase, nicht wahr?“ Das kann Enji nicht abstreiten, weswegen er einfach still bleibt und trinkt. Er schämt sich nicht mal dafür, sondern redet einfach nicht gern darüber. Es gehört zu seiner Vergangenheit, die heute nicht mehr wichtig ist. Mit 20 Jahren hat er Rei kennengelernt und von da an hat es nur noch sie gegeben. Nun, heute wünscht sie sich wahrscheinlich, sie hätten sich nie kennengelernt. Bitter. „Versteh schon“, kommt es von Hawks. „Auch wenn deine Zurückhaltung jetzt noch weniger Sinn für mich ergibt – und sag mir nicht, dass du mich nicht heiß findest. Du siehst mir zu. Dir gefällt es.“ Enji blickt ihn grimmig an, einerseits, weil er Recht hat, und andererseits, weil ihn dieses überzogene Selbstbewusstsein wütend macht. „Du bist mir zu jung“, knurrt er daher zurück, woraufhin Hawks lacht. „Ich hole dir gern Tiger, wenn der eher dein Ding ist? Ein reifer Mann mit Haaren auf der Brust, na? Wie wär’s?“ Er wackelt dabei mit seinen buschigen Augenbrauen, was Enjis Zorn noch mehr triggert. Der verdammte Kerl provoziert ihn doch absichtlich. „Nein. Lass das jetzt. Du hast gesagt, Reden ist in Ordnung“, zischt er zurück. „Ja. Das meinte ich auch so. Aber ich merke, dass du nicht entspannt bist. Du kannst dich nicht fallen lassen…und deswegen hast du gleich die halbe Flasche weggezogen. Dann wirst du wieder wütend und irgendwann eskaliert es. Deswegen solltest du mal Druck abbauen. Dringend. Ich helfe dir dabei, nur wie gesagt…kein Anfassen.“ Enji sieht ihn finster an, vor allem weil er merkt, dass der Jüngere Recht hat. Er ist angespannt und wütend – und kurz davor, aus der Haut zu fahren. Die Schlinge um seinen Hals ist immer da, drückt ihm die Luft ab. Er weiß nur nicht, wie Hawks ihm helfen will. „Das ist falsch“, gibt er schroff zurück, doch der Blonde seufzt bloß. „Ich biete es dir an. Du bezahlst sowieso schon für den Raum, was also ist dabei? Komm schon. Wir versuchen es? Wenn es dir nicht gefällt, höre ich auf.“ Enji ringt innerlich mit sich, denn eigentlich ist das hier bis jetzt keine Option gewesen. Es sollte auch keine sein. Ja, Hawks ist erwachsen, aber dennoch 20 Jahre jünger als er. In Ermangelung einer Entscheidung zuckt er bloß hilflos mit den breiten Schultern, woraufhin der andere lächelt und nach seinem Hut greift. Na toll… Enji sieht Hawks zu, wie dieser die Musik über einen Regler an der Wand etwas lauter dreht. Danach schlendert er zur Stange, langsam, ehe er sich dort positioniert, den Hut tief ins Gesicht gezogen, und ein paar Sekunden wartend, bis das nächste Lied einsetzt. Er ist sofort im Takt, als es losgeht, und bewegt seinen Körper auf eine Weise, die Enji einen Schauer über den Rücken jagt. Er weiß, was er tut und wie er es machen muss. Den Hut zieht er sich während der Show vom Kopf und wirft ihn in seine Richtung, wo er neben ihm auf der Couch landet. Dann grinst er, entledigt sich seiner Stiefel und bezieht die Stange mehr mit ein, schwingt sich an dieser hinauf und hält sich mal nur mit den Beinen, mal nur mit den Armen daran fest. Es muss unglaublich viel Zeit und Kraft gekostet haben, solch eine Beherrschung zu erlangen, das erkennt Enji an. Auf eine gewisse Art und Weise hat das hier etwas von Kunst. Kunst und Erotik. Zweifellos. Wann immer Hawks ihn mit seinem Blick streift, ihm tief in die Augen sieht, durchfährt es ihn wie ein Blitz. Er ist gut in seinem Job. Mehr als das. Plötzlich lässt er sich von der Stange gleiten und kommt auf ihn zu, woraufhin Enjis Hals trocken wird. Trotzdem er noch seine Jeans trägt und nur obenherum und an den Füßen nackt ist, ist das ausreichend, um ihn nervös zu machen. Hawks hat scheinbar keine Hemmungen, denn er kniet sich in seiner Jeans einfach über ihn und kommt ihm dabei viel zu nahe. Nur ihre Beine berühren sich, während er Bewegungen imitiert, die nichts anderes zulassen, als dass er an Sex denken muss. Er lehnt sich zurück, wenn auch eher, um Hawks‘ Brust nicht direkt vor seinem Gesicht zu haben, und gräbt die Finger ins Leder. Seine Atmung beschleunigt sich unweigerlich, als er in die raubtierhaften Augen sieht, die ihn auf eine Weise anfunkeln, die ihm schwindelig werden lässt. Enji ist überfordert. Und erregt. Weil ein halbnackter, junger Mann auf seinem Schoß sitzt und ihn damit heiß macht. Plötzlich kommt die Scham hinzu und nimmt ihm die Luft zum Atmen. Er ächzt leise, spürt, wie das Rauschen in seinen Ohren zurückkehrt und er die Kontrolle zu verlieren droht. Das hier ist falsch. Falsch. Er verdient nichts davon. Erinnerungen flackern auf und das ist das Ende. Er muss hier raus. Weg. Luft. Schwarze Punkte tanzen vor seinen Augen und er hört nicht mehr, dass Hawks irgendetwas sagt. Es ist so weit entfernt. Sein Puls rast. Ihm wird eiskalt und gleichzeitig heiß. Er kann nicht… Enji bemerkt nicht sofort, dass er zittert und seine Lippen beben. Erst, als Hawks die Arme um ihn legt und ihn fest an sich zieht, fällt ihm auf, dass er keine Kontrolle mehr hat. Er will ihn von sich stoßen, weil ihm die enge Umarmung das Gefühl gibt, dass er nicht entkommen kann, doch es geht nicht. Nicht mal Sprechen ist möglich, das Adrenalin schießt ihm durch den ganzen Körper. Hawks hält ihn weiter fest. Irgendwann verlässt Enji die Kraft und er kippt gegen ihn, sein Kopf sackt gegen die Schulter des Jüngeren und er atmet gepresst. „Scht…ruhig…einatmen, ausatmen…alles wird gut, Großer“, hört er ihn murmeln, während die Übelkeit seinen Magen krampfen lässt. Enji nimmt einen tiefen Atemzug, lauscht seiner Stimme und senkt dabei die Lider. Es ist ihm nicht möglich, sich allein zu beruhigen, also muss er sich auf Hawks verlassen. Es dauert. Sein Kopf ist wie leergefegt, als sich sein Herzschlag endlich wieder der Normalität nähert. Allerdings wird ihm damit auch bewusst, was hier soeben geschehen ist. Hawks hält ihn immer noch, streichelt ihm mittlerweile sanft über den Rücken, während er auf ihm sitzt. Die Nähe wird ihm schlagartig bewusst – und auch, dass das mit dem Verbot des Anfassens wohl nicht aufgegangen ist. Doch Enji kann sich nicht lösen. Auf eine skurrile und beängstigende Weise tut es ihm gut, dass er bei dieser Panikattacke nicht allein ist. Hawks‘ Parfüm ist nicht besonders stark, sodass die persönliche Note in seinem Geruch überwiegt. Es ist angenehm, obwohl er geschwitzt hat. Er ist viel kleiner als er, aber wie erwartet drahtig, sodass er ihn einigermaßen halten kann. Unangenehm. Er muss sich von ihm lösen und… „Ist okay. Bleib noch etwas so“, unterbricht Hawks seine Gedanken. Enji atmet abermals tief durch, blickt matt vor sich hin. „Dachte, kein Anfassen“, brummt er nach einer Weile erschöpft. „Genau genommen fasse ich dich ja an. Also alles regelkonform“, erwidert Hawks amüsiert. „Außerdem kann ich eine Panikattacke von Grabschen unterscheiden. So…kannst du dich hinlegen? Ich komme gleich wieder, hole dir eben Wasser.“ Enji nickt nur und lässt sich nach hinten auf die Couch sinken, die zum Glück groß genug ist. Ihm entgeht Hawks‘ prüfender Blick nicht, als sich dieser seine Stiefel anzieht. Dann geht er und Enji schließt die Augen, reibt sich über diese. Ihm dreht sich alles und er weiß nicht, ob das am Alkohol liegt oder von der Panik kommt. Er hasst sich dafür. Nicht mal in einem Stripclub ist irgendetwas normal für ihn. Erbärmlich. Hawks kommt relativ schnell wieder und hat eine große Wasserflasche dabei, die er ihm gibt, als er sich aufrichtet. „Geht’s wieder oder brauchst du noch ein bisschen?“, will er ernst wissen. Ehrlich gesagt ist Enji überrascht, dass er ihn nicht verspottet. Er glaubt nicht, dass andere Kunden so auf einen Lapdance reagieren. Anstelle einer Antwort trinkt er ein paar Schlucke Wasser und versucht, sich zu fassen. „Ich glaube, Weitertanzen ist keine gute Idee gerade, hm?“, meint der Jüngere scherzhaft, woraufhin Enji schnaubt. Was soll er schon dazu sagen? Er hat sich hier auf ganzer Linie blamiert. Dabei ist er ein erwachsener Mann. Er sollte sich nicht von einem Stripper, den er bezahlt, beruhigen lassen wie ein Kind. Leider hat er nicht mal die Kraft, richtig wütend zu sein. Weder auf sich noch auf Hawks. „Komm mal her.“ Irritiert sieht er Hawks an, als dieser auf seine Oberschenkel klopft. Was soll das jetzt werden? Sein Blick sagt wohl genug darüber aus, was er darüber denkt. „Nein, ernsthaft, leg dich hier hin. Ich hab dir doch gesagt, ich will dich entspannt kriegen. Das hilft“, beharrt der Blonde und Enji merkt, wie sein Widerstand bricht. Also legt er sich mit dem Kopf in Hawks‘ Schoß und versucht, zu verdrängen, wie lächerlich das aussehen muss. Er schließt die Augen erneut, zuckt leicht zusammen, als ihm durch die roten Haare gestreichelt wird. Die Finger ziehen kleine Kreise auf seiner Kopfhaut, wandern hinunter zum Nacken und wieder hoch. Es ist befremdlich…aber auch unheimlich angenehm. Das heute sind die ersten menschlichen Berührungen seit Monaten und es sendet eine Erleichterung durch seinen Körper, die tatsächlich wohltuend ist. Hawks redet nicht…und zwischendurch muss er wohl die Musik leiser gedreht haben. Enji spürt, wie er nachgibt und loslässt. Zumindest für den Moment kann er sich gehen lassen. Wenn auch vor einem praktisch Fremden. Aber vielleicht funktioniert es gerade deswegen. Er weiß es nicht, aber es ist gerade auch egal. Das hier ist schön. Er will es nur noch ein bisschen länger genießen. Bis ihn die Realität einholt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)