Play the Game von lulubluelau (Die Strasse des Lebens) ================================================================================ Kapitel 1 | Warten ------------------ Das Leben hat es mit mir nicht gut gemeint, oder habe ich schlichtweg nichts aus meinem Leben gemacht?   Prinzipiell war Kai nicht ein Typ Mensch der sich sonderlich gern bemitleiden liess, darum entschied er sich für den zweiten Gedanken.   Fast schon gleichmässig, trommelten die schweren Regentropfen auf das Dach des 1976er Mercedes. Keine Frage, das alte, blassgelbe Taxi hatte seine besten Tage schon lange hinter sich gelassen. Die matten Seitenfenster waren allesamt von Kondenswasser umrahmt und nur die Windschutzscheibe gab eine ungefähre Sicht auf den Insassen am Steuer frei.   Tief in den breiten, dunkelbraunen Ledersitz gelehnt, starrte ebendieser auf sein Mobiltelefon – sein Gesicht erhellt vom blassen Blau des kleinen Bildschirms, welches ähnlich vage schimmerte, wie das warme Gelb des Taxi-Symbols auf dem Dach des Fahrzeuges.   Warten.   Ein leises Seufzen entwich seinen Lippen als er sein Mobiltelefon zurück in die Hosentasche gleiten und sich noch ein wenig tiefer in den Fahrersitz sinken liess.   Mit gerunzelter Stirn schloss er seine müden Augen, legte den Kopf in den Nacken und fasste sich mit Zeigefinger und Daumen an den Nasenrücken, in der Hoffnung, seine penetranten Kopfschmerzen mit einer kurzen, behelfsmässigen Druckmassage zumindest ein klein wenig zu lindern.   Es dauerte keine zwei Minuten, da machte sein Mobiltelefon mittels Vibrationsalarms auf sich aufmerksam:   Absender, Bryan | Uhrzeit, 02.34 Uhr 5 Minuten.   Er las die Nachricht nur mit halber Aufmerksamkeit. Er war müde, hatte bald schon eine 14-stündige Dienstschicht auf dem Buckel und wünschte sich im Moment nur noch ins Bett.   Er unterdrückte ein aufkommendes Gähnen, wodurch unwillkürlich Tränen der Müdigkeit in seine Augenwinkel traten. Er war eine abgestumpfte Kopie seiner selbst. Kein Feuer, kein Elan – einfach nur ausgelaugt. Dabei war er doch nie so gewesen. Oder?   Seine schläfrigen Augen flackerten mit einem Male auf, als ein paar 100 Meter vor ihm eine Gestalt aus einer Seitenstrasse in die seine einbog und zielstrebig auf das Taxi zusteuerte. Er verengte seine Augen um den Blick zu schärfen, musterte die herannahende Gestalt einen kurzen Moment und öffnete anschliessend die Türschlösser.   Mit einem ordentlichen Ruck, öffnete sich die Beifahrertüre und Bryan, ein russischer Hüne, liess sich förmlich auf den Beifahrersitz fallen.   Kräftig zog er die knarzende Fahrzeugtüre hinter sich ins Schloss und streifte in der gleichen Bewegung die graue Kapuze von seinem blassen Haarschopf – sein Kapuzenpullover war vom kräftigen Regen dunkel gesprenkelt.   «Das wurde aber auch Zeit.» murrte Kai den Neuankömmling unfreundlich an und wurde mit einem leicht verärgerten aber zeitgleich amüsierten Blick taktiert.   «Fahr’ schon los, du Schlaftablette.»   Kai schnaubte verstimmt und startete den Motor. Die Kopflampen des alten Vehikels flackerten ein, zwei Mal auf, ehe die Tachonadeln in die Höhe sprangen und sich das Fahrzeug langsam in Bewegung setzte. Endlich war es soweit – Zeit, nach Hause zu gehen.     —     Schon seit geraumer Zeit, übernachtete Kai bei seinem Kumpel auf der Couch. Aus dem, was zu Beginn noch als Überbrückung gedacht gewesen war, war schon innerhalb kürzester Zeit eine Gewohnheit geworden. Und Kai war wirklich froh darum, denn auf der Couch schlief es sich wesentlich besser, als im Dienstwagen.    Die Fahrt war kurz und die Strassen weitestgehend leergefegt. Der westliche Teil der Millionenstadt, einst und blühendes und vielversprechendes Unternehmerviertel, war heruntergekommen und allem voran verdammt gefährlich – erst recht bei Nacht. Hier überfuhr man rote Ampeln aus Prinzip, da die Chancen im Stillstand von einer Bande ausgeraubt zu werden weitaus höher waren als eine Ordnungsbusse zu kassieren.   Kai kannte das Strassennetz in- und auswendig. Wie auf einer imaginären Karte, waren die wirren Strassenzüge für ihn jederzeit gedanklich abruf-, als auch nachvollziehbar. Würde man Kai an einer noch so entfernten Ecke der Stadt aussetzen, so wusste der Kerl sich zu orientieren – dessen war sich Bryan sicher. Kai war ein intelligenter Mitmensch, der wohl bloss aus vollkommender Unterforderung bei seinen unzähligen Dienstfahrten das Strassennetz der Stadt gedanklich kartographiert hatte.       —     Schweigend stiess Bryan die schwere Eingangstüre des heruntergekommenen Backsteinblocks auf, welcher etwa 24 weiteren Haushalten ebenfalls ein Dach über dem Kopf bot. Im Gang stank es nach Urin und neben einem Berg aus Abfallsäcken ragte eine Wendeltreppe hinauf in die erste Etage. Der spärlich beleuchtete Treppenaufgang musste beinahe Blind begangen werden. Die beiden jungen Männer schwiegen, wie bereits während der Rückfahrt, auf den letzten paar Metern zu Fuss, und erreichten in aller Stille Bryans dürftige 2.5-Zimmer-Wohnung in der vierten Etage.    Auch wenn die Wohnung schäbig war, war sie doch Bryans Zuhause und so seufzte der Hüne zufrieden, als er die Wohnungstüre hinter sich und Kai ins Türschloss zog und sie für die Nacht mit Kette und doppeltem Drehschloss verriegelte.   Von Kai, würde er heute wohl nichts mehr hören. Der Grauhaarige hatte seine Schuhe bereits im Gehen von den Füssen gestreift und sich zielstrebig in den angrenzenden, kargen Wohnbereich verzogen. Wie üblicherweise war er dort schon nach der ersten Berührung seines Rückens mit der dunkelgrünen Couch, auf ebendieser eingeschlafen.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)