Shadows - Vergangenheit und Gegenwart von pbxa_539 ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Fünf Jahre war es nun her. Sanji stand am Bett seines Sohnes, betrachtete ihn im Schlaf. Dies tat er seit diesem einen, bestimmten Tag beinahe täglich. Mehr war ihm nicht geblieben. Außer den Erinnerungen an bessere, glücklichere Zeiten. Sein Blick fiel an die bunt bemalte Wand, an der neben den vielen kindlichen Zeichnungen auch etliche Bilder hingen. Darauf abgebildet er selbst, sein Partner und ihre sehr ungleichen Zwillinge. Äußerlich und charakterlich waren sie total verschieden, dennoch aber ein Herz und eine Seele. Ein eingespieltes Team, ihren Adoptivvätern wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie hatten meist nur Unfug im Kopf und Sanji hatte diesen kopfschüttelnd, meist amüsiert, hingenommen. Wenn er auch mit Belehrungen diesbezüglich nicht sehr zurückhaltend war. Sie waren stolz auf ihre Jungs und deren Selbstständigkeit gewesen. Die beiden gehörten zu den wenigen Kindern, die mit ihren zarten fünf Jahren allein in ihren Kindergarten gehen durften. Immerhin war der ja lediglich drei Straßen entfernt. Hauptstraßen gab es dort nicht, daher war der Weg der Jungs immer sicher. War. Noch heute hörte er das Quietschen der Bremsen, den dumpfen Aufprall und markerschütternde Schreie. Ein ungutes Gefühl hatte ihn beschlichen, weswegen er die Vorbereitungen für das Mittagessen unterbrach, in seine Schuhe schlüpfte und Handy und Schlüssel einsteckte. So verließ er das Haus, eilte auf die Quelle des Lärms zu. Das Auto erkannte er sofort. Es war seines. Die Front des Wagens war verbeult und aus dem Kühler qualmte es nicht zu knapp. Im Auto saß sein Lebensgefährte, der mit weit aufgerissenen Augen aus der Windschutzscheibe starrte. Sanji folgte dem Blick. Einige Meter weiter lagen zwei Kinder auf der Straße. Sowohl die Klamotten, die sie trugen, als auch die Taschen, die sie dabei hatten, waren dem Koch bestens bekannt. Ein Keuchen kam über seine Lippen und er tastete in der Hosentasche nach seinem Handy. Stammelnd setzte er einen Notruf ab, schaffte es dabei lediglich, den Namen der Straße anzugeben, in der er sich gerade befand. Offenbar hatte jemand anderes schneller gehandelt, denn er hörte Sirenen, die sich schnell näherten und demzufolge lauter wurden. Jemand führte ihn etwas an die Seite, redete auf ihn ein, doch das einzige, was für Sanji zählte, waren die beiden Jungs, die versorgt wurden. Stumme Tränen liefen dem Blonden über das Gesicht, als über den gesamten Körper seines kleinen Blondschopfes eine Decke gelegt wurde. Der Notarzt hatte zuvor noch leicht mit dem Kopf geschüttelt und sich dann dem zweiten, verletzten Jungen gewidmet, während sich die Sanitäter zeitgleich um seinen Partner, der lediglich eine kleine Schramme an der Stirn davon getragen hatte, kümmerten. „Papa.“ Sanji blinzelte, wurde sich der Tränen bewusst, die auf seinen Sohn tropften und ihn geweckt hatten. „Du weinst schon wieder.“ Es war eine Feststellung, die keines weiteren Kommentars bedurfte. Deswegen nickte Sanji auch nur und setzte sich auf die Bettkante. Sein inzwischen zehnjähriger Sohn griff nach Sanjis Hand, hielt sie fest in seinen eigenen. „Aber ich bin doch bei dir. Du brauchst nicht weinen.“ Ein kurzes, aber schmerzvolles Lächeln huschte über Sanjis Lippen. Der Junge schien um einiges stärker zu sein, als Sanji. Seine Kraft, sein Lebens- und Überlebenswille überraschte Sanji immer wieder. Und riss ihn mit. Die Diagnose hatte Sanji damals den Rest gegeben. Querschnittslähmung. Nie wieder würde er seinen Jungen durch den Garten tollen oder Bäume hochklettern sehen. Zheny hatte das nicht als so schlimm aufgefasst, als man ihm sagte, er würde niemals mehr gehen oder laufen können. Im Gegensatz dazu war Sanji in ein tiefes Loch gefallen, aus dem er alleine kaum mehr hervorgekommen war. Noch heute befand er sich in dauerhafter Therapie, zu der ihn Zheny immer begleitete. „Gehen wir sie heute wieder besuchen?“ Erneut blinzelte Sanji, als Zheny ihn aus seinen trüben Gedanken riss. „Nach der Sitzung“, nickte er dann. Zudem stand heute ein Besuch bei der Physiotherapie an. Denn Zheny arbeitete daran, irgendwann aus dem Rollstuhl zu entkommen. Er war fest entschlossen, wieder laufen zu lernen. Und er machte durchaus Fortschritte, wenn man den Aussagen der Therapeutin Glauben schenkte. Zheny richtete sich auf, krallte seine Finger dabei fester in Sanjis Hände. Mit dessen Hilfe saß er aufrecht in seinem Bett, bereit für den neuen Tag. Sanji musste ihm nur selten in den Rollstuhl helfen, Zheny hatte eine eigene Methode entwickelt, wie er vom Bett auf sein rollendes Gefährt kam. Überhaupt war er trotz seines Handicaps sehr selbstständig, machte viel allein und brauchte kaum Hilfe. So war es auch nicht verwunderlich, dass er eine normale Schule besuchte. Er war ein fleißiger Schüler und sehr ehrgeizig. Er wollte später Kunst studieren, war ein talentierter Zeichner. Nach dem Frühstück machten sie sich auf zur Schule. Zheny ließ zu, dass Sanji ihn schob. Er hatte eine Hand nach hinten, auf Sanjis, gelegt. Die dreieinhalb Stunden Unterricht seines Sohnes verbrachte Sanji mit der Arbeit im Restaurant. Seit dem Unfall beschränkte Sanji sich auf die Buchhaltung, ließ sich kaum noch in der Küche blicken. So ging er Fragen nach seinem Wohlbefinden aus dem Weg. Wenn ihn doch einmal jemand danach fragte, brummte er ausweichend oder ignorierte den Fragesteller. Ihr Mittag nahmen sie in Jeffs kleiner Wohnung ein, die direkt über dem Baratie lag. Zheny berichtete von den Ereignissen im Unterricht, war aber auch froh, dass die Schule für diese Woche bereits vorbei war. Feiertage waren doch ein Segen. Diese Aussage entlockte Sanji ein kleines Schmunzeln, hatte er doch zuvor immer das Gegenteil behauptet. Gerade feiertags war seine Arbeit besonders anstrengend, zumal er dann um den Dienst in der Küche auch nicht herum kam. Auch ihre Therapie hatten sie recht bald hinter sich gebracht, sodass sie nun den von Zheny gewünschten Weg einschlagen konnten. Zuvor hatten sie noch zwei weiße, langstielige Rosen gekauft. Eine für Zhenys Bruder, die andere für Sanjis Partner. Sanji hatte ihm nie verzeihen können, dass Zoro es war, der ihre Söhne angefahren und so das ganze Drama provoziert hatte. Und Zoro hatte es sich selbst auch nie verzeihen können. In einem langen Brief hatte er Sanji seine Gefühle und Absichten offen gelegt. Als Sanji den Brief in den Händen hielt, war es längst zu spät gewesen, um noch etwas zu unternehmen. Und Sanji hatte auch nicht die Kraft dazu gehabt. Doch er musste später die Kraft aufbringen, um seinem Sohn beizubringen, dass er nicht nur seinen Bruder zu Grabe tragen musste. Sondern auch seinen über alles geliebten Daddy. Und Sanji seinen Partner, den er noch immer über alles liebte. Vielleicht hatte er doch damit begonnen, ihm zu verzeihen. In der Tiefe seines Herzens. Denn dort fand er für Zoro noch immer innige Liebe und Zuneigung. Er konnte ihn nicht hassen, denn dann wäre er nicht dazu in der Lage, Zheny weiter zu versorgen und zu erziehen. Der Junge war Zoro wie aus dem Gesicht geschnitten, quasi sein Ebenbild, nur in klein. Charakterlich schienen sie auch gleich zu sein, denn Sanji erkannte in den Verhaltensweisen Zhenys vieles von Zoro wieder. „Warum hat Daddy uns allein gelassen?“ stellte Zheny die Frage, vor der Sanji am meisten graute. „Er war Schuld an eurem Unfall“, antwortete der Koch sehr leise. Er hatte es schon oft erklärt, dennoch fielen ihm die Worte schwer, auch wenn sie der Wahrheit entsprachen. „Er war unaufmerksam und viel zu schnell, als er in unser Viertel einbog. Nur deshalb ist es zu diesem Unglück gekommen.“ Sanji unterbrach sich und ließ seine Augen über das Familiengrab wandern. In silberfarbenen Lettern standen dort die Namen und Daten ihrer Lieben. „Er hat es einfach nicht verwunden, dass er an dem Tod deines Bruders Schuld ist. Und an deiner körperlichen Verfassung. Deshalb hat er seinem Leben ein Ende gesetzt. Auch wenn das an den Tatsachen nichts ändert.“ „Aber mir geht es doch besser.“ „Jetzt ja. Aber dein Leben hing nach dem Unfall an einem sehr seidenen Faden. Die Ärzte haben lange um dein Leben gekämpft. Und du selbst auch. Daddy kam mit seinen Schuldgefühlen einfach nicht mehr klar und sah keinen anderen Ausweg für sich. Wir müssen das so akzeptieren und das beste daraus machen.“ „Sie sind immer bei uns“, wisperte Zheny und legte seine Rose auf die Grabstelle. Sanji folgte seinem Beispiel, fuhr mit den Fingern über den glatt polierten Grabstein. Den Tod der beiden würde er wohl nie vollständig verarbeiten, tiefe Risse hatte er in seinem Seelenleben davon getragen. Zu gern hätte er gewusst, wie es in Zheny aussah, doch der Junge hielt sich da sehr verschlossen. Auch bei den Therapiesitzungen verlor er nur selten Worte über sein Gefühlsleben, was gerade dieses Thema betraf. Sanji hatte über die Jahre gelernt, nicht weiter nachzubohren. Wenn dem Jungen wirklich etwas auf der Seele brannte, würde er schon von sich aus kommen. Das war bisher immer so gewesen und würde sich wohl auch nicht ändern. Sie hatten ja nur noch sich als kleine Familie. „Sie fehlen mir.“ Sanji hob seinen Kopf und betrachtete seinen Sohn, der irgendwie verloren wirkte. „Mir auch“, gab er zur Antwort, ging vor dem Rollstuhl in die Hocke und legte seine Arme um Zheny. Seinen Kopf bettete er auf Zhenys Beinen, während Zheny wiederum seine Arme um Sanjis Hals legte und sein Gesicht in den blonden Haaren vergrub. Eine ganze Weile hockten sie noch dort, vertieft in ihre Trauer um ihre Familie. „Wir sollten gehen.“ Sanji sah auf und schaute seinem Sohn in die grünen Augen. „Vielleicht hast du recht“, murmelte er und erhob sich langsam. Es fiel ihm schwer, diesen Ort zu verlassen, war dies doch der einzige Platz, an dem er sich mit Zoro wirklich verbunden fühlte. „Wird es irgendwann leichter?“ wollte Zheny wissen. Sanji zuckte mit den Schultern. Seit fünf Jahren kamen sie hierher. Er hatte nicht das Gefühl, dass auch nur irgend etwas leichter geworden wäre. Im Gegenteil. Alles, was er tat, fiel ihm unglaublich schwer. Nur Zhenys eiserner Lebenswille hielt ihn davon ab, ebenfalls einen Schlussstrich zu ziehen. Er wollte und konnte seinen Sohn nicht allein lassen. Auch wenn dieser sein Schicksal akzeptiert hatte und meisterte. „Vielleicht. Frag mich nächstes Jahr wieder.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)