We're (NOT) Getting Married von Winterbell (... it's all fake!) ================================================================================ Kapitel 4: » 4 « ---------------- - Eliza - Mit einem leisen Stöhnen stütze ich die Ellenbogen auf meinem Schreibtisch auf und massierte meine schmerzenden Schläfen. Die vergangene Nacht war eine Katastrophe gewesen. Egal, was ich versucht hatte, ich hatte einfach nicht einschlafen können. Tee, Wärmflasche, ein wenig lesen – nichts hatte funktioniert. Mein Kopf wollte einfach nicht aufhören zu arbeiten. Aber wie hätte er das auch tun können, bei allem, was gestern passiert war. Wir werden heiraten. Drei Worte, die mir nach wie vor so penetrant im Kopf umherschwirrten, als wären sie gerade erst ausgesprochen worden. Ich musste alle Anstrengung aufbringen, um nicht laut loszulachen. Wie um alles in der Welt hatte das nur passieren können? Gesternmorgen war alles noch wie immer gewesen, ein ganz normaler Mittwochmorgen. Und heute? Heute suchte ich verzweifelt nach einer Möglichkeit, aus diesem ganzen Schlamassel wieder herauszukommen. Mir fiel nichts ein. Überhaupt nichts. Sollte ich tatsächlich zum Vorstand gehen und reinen Tisch machen, würde Nathan mir das Leben zur Hölle machen. Feuern würde er mich nicht, aber er würde alles Erdenkliche tun, um mich dazu zu bringen, von mir aus zu kündigen. Er hatte mit allem, was er gesagt hatte Recht. Wenn er es wollte, konnte er meine Arbeitszeiten so legen, dass ich keine Chance mehr hatte meine Vorlesungen zu besuchen. Und ohne meine Vorlesungen würde ich mein Studium nicht beenden können. Und ohne mein Studium wären die letzten zweieinhalb Jahre vollkommen umsonst gewesen. Alles würde herauskommen. Natürlich wusste ich, dass ich spätestens nächstes Jahr meiner Familie sowieso hätte beichten müssen, dass ich kein Jurastudium verfolgt hatte und sogar eine komplett andere Universität besuchte. Der gewaltige Unterschied wäre allerdings, dass ich zu diesem Zeitpunkt zumindest meinen Literaturabschluss in der Tasche gehabt hätte. Jetzt würde ich ohne überhaupt irgendetwas dastehen. Ich vergrub das Gesicht in den Händen und schüttelte wiederholt den Kopf. Es war einfach hoffnungslos. Er hatte mich in der Hand. Egal, was ich tat, ich konnte nur verlieren. Mir blieb keine andere Wahl, als dieses lächerliche Theater mitzuspielen und die Fassade so lange aufrecht zu erhalten, bis der Deal mit Black Wolf abgeschlossen war. Sofern Nathan die aktuelle Lage richtig einschätzte, würde das ganze nicht länger als eine Woche dauern. Eine Woche. Das würde ich doch wohl schaffen! Was sollte schon großartig schief gehen? Außer dem Vorstand wusste niemand von dieser Verlobungssache und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich Vorstandsmitglieder am Klatsch und Tratsch der Kanzlei beteiligten. Alles war gut. Kein Grund zur Sor- »Entschuldigen Sie bitte, sind Sie Miss Blake?« Ich fuhr herum und brauchte einen Moment, um mich auf den Mann zu konzentrieren, der gerade den Kopf zur Tür hereingestreckt hatte. Das Logo auf dem Basecap, das er trug, kam mir irgendwie bekannt vor. »J-ja?« Ich schüttelte den Kopf, um mich wieder zu fangen. »Ja, die bin ich. Kann ich Ihnen helfen?« »Ich habe hier eine Bestellung für Sie.« Ich runzelte die Stirn und versuchte mich zu erinnern, ob ich irgendetwas vergessen hatte. »Was für eine Bestellung?« »Die hier.« Vollkommen sprachlos beobachtete ich ihn dabei, wie er einen riesigen Blumenstrauß durch die Tür quetschte. »Aber ich habe keine Blumen bestellt.« »Laut Auftrag ein Geschenk.« Er hatte die farbenfrohe Pracht auf dem Sideboard neben der Tür abgelegt und kramte in seiner Hosentasche. Er faltete einen Zettel auseinander. »Auftraggeber war ein gewisser Richard Swan.« Richard Swan. Oh Gott. Mir wurde schon wieder schlecht. »Hier ist auch ne Karte dabei.« Mr. Basecap fummelte zwischen den Blumen herum, zog ein kleines Kärtchen heraus und reichte ihn mir. »Vielleicht hilft das ja weiter. Ich muss dann wieder. Schönen Tag noch.« Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie er zum Abschied die Hand hob. Ich murmelte eine kurze Verabschiedung, ohne den Blick von der Karte in meinen Händen abzuwenden, und starrte auf große, dunkle Buchstaben. Für die zukünftige Mrs. Scott. Oh Gott. Meine Hände fingen an zu zittern. Oh Gott, oh Gott, oh Gott! Ich erhob mich von meinem Stuhl und stolperte durch den Raum, um den Strauß genauer zu betrachten. Unter normalen Umständen hätte ich mich über Blumen mehr als nur gefreut. Ich liebte Blumen. Diesen – zugegebenermaßen wunderschönen - Strauß hier hätte ich allerdings am liebsten aus dem Fenster geworfen. Noch während ich die zartrosa Blüten anstarrte, kam mir ein furchtbarer Gedanke. Es war mitten am Tag, die Mittagspause hatten die meisten bereits hinter sich und waren wieder an ihren Arbeitsplätzen. Das bedeutete, dass der Blumenlieferant mit dem Strauß durch die gesamte Etage spaziert war. Und solche Blumen zogen eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Zwar kannte ich mich mit den normalen Blumenpreisen nur vage aus, aber dieses Monstrum musste ein kleines Vermögen gekostet haben. Ein klopfen an meiner Tür. »Eliza?« Ich starrte in die großen, blauen Augen von Annabell Johnson - Mitarbeiterin der Abrechnungsabteilung und das wohl größte Plappermaul der gesamten Firma. Definitiv nicht die Person, die ich jetzt gerade hier gebrauchen konnte. »Hallo Bell.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Kann ich dir helfen?« Sie musste eigentlich nicht sagen, was sie von mir wollte. Der neugierige Blick, mit dem sie auf den Blumenstrauß starrte, hatte mir bereits alles gesagt, was gesagt werden musste. »Ach, ich wollte nur mal so vorbei schauen und fragen, wie es dir geht.« Sie begann über das ganze Gesicht zu strahlen und zeigte ihre perfekten, weißen Zähne. Natürlich wollte sie das. Wir hatten ja sonst auch so viel miteinander zu tun, schoss es mir sarkastisch durch den Kopf. »Bei mir ist alles in Ordnung, danke der Nachfrage.« Ich überlegte fieberhaft, wie ich sie schnellstmöglich wieder loswerden würde. »Ich... geh mal eine Vase besorgen. Und dann muss ich arbeiten. Ist viel zu tun.« Ich versuchte, an ihr vorbei aus dem Raum kommen, doch sie versperrte mir den Weg. »Von wem sind denn diese wunderschönen Blumen?«, fragte sie direkt und ohne mit der Wimper zu zucken. »Das muss ein ziemlich teurer Strauß sein. Hast du etwa einen Verehrer?« Alles was ich ihr jetzt sagen würde, würde binnen einer Stunde im gesamten Gebäude bekannt sein. »Es ist nicht so einfach.«, versuchte ich mich herauszureden und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Es ist kompliziert, ich erzähle es dir ein anderes Mal.« »Ach komm schon, spann uns nicht alle so auf die Folter.« Annabelle zwinkerte mir zu. »Alle haben den Kurier gesehen und fragen sich dasselbe wie ich. Nur hat sich keiner getraut, zu dir zu kommen.« Außer du. Weil du das größte Lästermaul der gesamten Firma bist und die anderen zwar neugierig sind, es der Anstand aber verbietet, seine Nase in fremde Angelegenheiten zu stecken. Das durfte ich denken, aber nicht sagen. »Ich habe dafür jetzt wirklich keine Zeit, Bell. Tut mir leid.«, versuchte ich es erneut. Sie schien zu bemerken, dass sie nicht weiter kam. »Schon in Ordnung. Wollen wir uns nächste Woche in der Mittagspause zu einem Kaffee treffen und ein wenig quatschen?« Damit du mich ausquetschen kannst? Nein danke. »Nächste Woche kann ich leider nicht. Ich begleite Mr. Scott auf einer Geschäftsreise.« Ich zwang mich erneut zu einem Lächeln. »Aber wie wäre es übernächste Woche?« Annabell schien wenig begeistert zu sein, dass sie so lange auf eine Erklärung warten musste. Das war gut, vielleicht hatte sie bis dahin ihr Interesse verloren und würde mich in Ruhe lassen. »Klar. Dann übernächste Woche...« Sie gab sich keine Mühe ihre Enttäuschung zu verbergen, fing sich jedoch relativ schnell wieder. »Ich muss dann mal wieder zurück an meinen Schreibtisch. Du weißt doch, viel zu tun und so.« »Natürlich. Kein Problem. Wir sehen uns.« »Bis dann.« Ich zwang mich an ihr vorbei und eilte den Flur entlang, ehe ihr etwas Neues einfiel, um mit mir zu sprechen. Als ich wenig später eine mit Wasser gefüllte Vase in den Händen hielt und zurück zu meinem Büro lief, hatte ich plötzlich das Gefühl von allen Seiten beobachtet zu werden. Als ich mich unauffällig versuchte umzusehen, drehten sich unzählige Köpfe schnellstmöglich wieder weg und taten so, als hätten sie mich nicht angestarrt. Wieder dieses ungute Gefühl in meinem Magen. Ich beeilte mich, in mein Büro zu kommen, schloss die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen in dem verzweifelten Versuch, meine Paranoia in den Griff zu bekommen. Mit wenigen Griffen stellte ich den Blumenstrauß in die Vase und zupfte ein paar Blumen zurecht. Der Strauß konnte immerhin nichts dafür, dass mir bei dem Gedanken an den Absender schlecht wurde. Ich hatte mich gerade abgewandt und wollte mich zu meinem Schreibtisch begeben, als ich mitten in der Bewegung innehielt. Langsam drehte ich den Kopf zur Seite und spürte meinen Puls in die Höhe schießen. Die Karte. Sie lang falsch herum auf dem Sideboard. Annabell. Diese verfluchte Schlange! Ich ballte die Hände zu Fäusten und unterdrückte einen wütenden Aufschrei. Wie hatte ich nur so dumm sein können? Annabell war die neugierigste Person im gesamten Gebäude, natürlich war sie noch einmal zurückgekommen, um die Karte zu lesen. Meine Bürotür öffnete sich erneut, diesmal jedoch war es die Ursache all meiner Probleme, die den Raum betrat. Er war vor etwas mehr als einer Stunde zu einer Besprechung gerufen worden. Wie immer schien er die Ruhe selbst zu sein, was mich innerlich nur noch mehr auf die Palme brachte. Das war nicht fair. Wie konnte er das alles nur so auf die leichte Schulter nehmen? »Swan oder Thompson?«, fragte Nathan und deutete auf den Blumenstrauß. »Swan.« Ich hielt ihm die Karte entgegen. Er überflog die wenigen Wörter, zeigte jedoch noch immer keine wirkliche Gefühlsregung. »Ich befürchte, dass es mittlerweile vermutlich das halbe Büro weiß.« Ich warf die Karte in den Mülleimer neben meinem Schreibtisch. »Annabell war hier.« »Der restliche Vorstand hat mir gerade im Beisein von zwei anderen Sekretärinnen zu unserer Verlobung gratuliert. Von daher ist es egal, wer die Neuigkeiten verbreitet.«, erwiderte Nathan monoton. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. »Ich dachte, wir würden versuchen das Ganze irgendwie… geheim zu halten.« »Das war auch der Plan. Ich muss zugeben, dass ich nicht erwartet hätte, dass es so hohe Wellen schlägt.« Er nahm sich die Akte, die ich im Laufe des Vormittages für ihn vorbereitet und an die Ecke meines Schreibtisches gelegt hatte. »Jetzt ist es sowieso zu spät. Sagen Sie meinen Termin heute Nachmittag mit Mr. Bolton ab und vereinbaren Sie einen Neuen für übernächste Woche.« Es war höchst ungewöhnlich, dass er Termine so kurzfristig cancelte. Ich warf einen Blick auf seinen Kalender. »Werde ich machen. Soll ich für heute etwas anderes eintragen?« »Nein, aber Sie werden mich später begleiten.« Ich hatte mir gerade einen Vermerk auf einem Notizzettel gemacht, als ich innehielt. »Ich? Wohin denn?« »Das werden Sie schon sehen. Abfahrt 14.30 Uhr.« Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten wandte er sich ab und verschwand in seinem Büro. Seufzend lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und legte den Kopf in den Nacken. Ich würde noch durchdrehen. -- Pünktlich um 14.30 Uhr wartete ich in meinem Büro auf meinen Chef, um was auch immer zu tun. Er hätte zumindest so freundlich sein können, mir zu erklären, wohin ich ihn denn bitte begleiten sollte. Ich hatte gerade meine Jacke geschlossen, als er in mein Büro trat, seinen schwarzen Mantel bereits angezogen und die dunkle Arbeitstasche in der Hand. Er hatte nicht vor nach diesem Termin zurück ins Büro zu kommen, stellte ich überrascht fest. »Können wir?« Nein. »Ja.« Stirnrunzelnd beobachtete ich ihn dabei, wie er die Tür öffnete, diesmal jedoch innehielt und wartete, damit ich zuerst hinausgehen konnte. Natürlich. Er war ja mein Verlobter. Gentleman und so. Ich hatte eindeutig schon viel zu lange keine Verabredungen mehr gehabt, wenn mich selbst diese kleinen Aufmerksamkeiten so durcheinanderbrachten. Meine Hand schloss sich fester um die Träger meiner Handtasche, als ich fast augenblicklich wieder die Blicke meiner Kollegen auf mir spüren konnte, kaum hatte ich die Schwelle übertreten. Ich war gerade dabei gegen den Drang zu kämpfen, wie ein trotziges Kind einfach zurück zu starren, als ich Nathans Hand in meinem Rücken spürte, die mich leicht nach vorne schob. Meine Wangen wurden heiß, als mir klar wurde, dass dieses ganze Schauspiel jetzt nicht mehr nur in der Theorie stattfand. Die neugierigen Blicke meiner Kollegen waren Beweis genug – sie wussten Bescheid. Und so, wie ich Annabell kannte, wussten es mittlerweile vermutlich alle. »Einfach weiter gehen.« Nathans tiefe Stimme half mir nicht gerade dabei zu entspannen. Ich entschied mich einfach auf den Boden zu schauen, während wir den langen Flur quer durch das Stockwerk entlangliefen, bis wir die Fahrstühle erreichten. Wenigstens hier hatten wir ausnahmsweise Glück – wir konnten sofort einsteigen und ohne Unterbrechung bis hinunter in die Tiefgarage fahren. Auch wenn ich nicht gewusst hätte, was für ein Auto Nathan fuhr, hätte ich dennoch automatisch auf den schwarzen SUV getippt, den wir geradewegs ansteuerten. Groß. Teuer. Schnell. Natürlich, was sollte er auch sonst fahren? Als ich schließlich auf dem Beifahrersitz saß und wir hinaus auf die vollen Straßen New Yorks gebogen waren, fand ich meine Stimme schließlich wieder: »Und wo fahren wir jetzt genau hin?« »5th Avenue.« Ich runzelte die Stirn. Zwar lebte ich noch nicht mein ganzes Leben lang hier in New York, mittlerweile allerdings lange genug, um zu wissen, dass das die wohl bekannteste Straße der Stadt war. Nathans knappe Antwort war deutlich gewesen; mehr würde ich nicht erfahren. Seufzend lehnte ich mich zurück und vertrieb mir die Zeit damit, aus dem Fenster zu schauen und die Menschen zu beobachten. Da wir uns sowieso in Manhattan befanden, waren wir nicht lange unterwegs, ehe Nathan vor einem Geschäft zu stehen kam, von dem Frauen aus aller Welt träumten. Mit großen Augen starrte ich auf große, dezent beleuchtete Buchstaben. »Tiffanys?«, entfuhr es mir. »Wir sind verlobt.«, erwiderte Nathan als wäre das bereits Antwort genug. 
Ich zwang mich, den Blick von dem Geschäft abzuwenden und mich in seine Richtung zu drehen. Ehe ich jedoch etwas sagen konnte, hatte er sich bereits abgeschnallt und die Tür geöffnet. Ihn gedanklich verfluchend tat ich es ihm gleich und trat hinaus ins Freie. Wieder legte er mir eine Hand auf den Rücken und schob mich in Richtung Eingang. Zwei Männer in perfekt sitzenden, schwarzen Anzügen öffneten uns die Tür und katapultierten mich mit einem Schlag in das reich meiner Träume. So ungern ich es zugab, konnte ich nicht abstreiten, dass sich eine kindliche Freude in mir breitmachte, als ich die vielen mit wunderschönem Schmuck befüllten Vitrinen erblickte. Augenblicklich wurde ich an den Filmabend mit meiner Großmutter erinnert, der schon einige Jahre zurücklag: Frühstück bei Tiffany. Eine Frau mittleren Alters, gekleidet in einem schwarzen knielangen Kleid, schwarzen Pumps und mit perfekt sitzender Frisur und Make-Up trat auf uns zu, kaum hatten sich die Türen hinter uns wieder geschlossen. »Guten Tag Mr. Scott. Ihre Bestellung liegt für sie bereit.“ Es sagte vieles aus, dass die Verkäuferin Nathan mit Namen kannte. Sie lächelte und wandte sich plötzlich mir zu. »Mein Name ist Tabitha. Ich nehme an, Sie sind die glückliche Braut?« Braut? Ja. Glücklich? Nein. Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ja… bin ich.« Ich räusperte mich leise. »Eliza Blake.« »Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Blake. Möchten Sie sich erst noch etwas umsehen oder sollen wir direkt nach hinten durchgehen?« Noch während ich mich fragte, was genau mit ‚nach hinten durchgehen‘ gemeint war, übernahm Nathan wieder das Reden. »Wir können direkt los.« »Dann folgen Sie mir bitte.« Wieder eine Hand in meinem Rücken, wieder wurde ich geschoben. Man hätte meinen können, ich hätte mich mittlerweile daran gewöhnt. Ich konnte den ein oder anderen verstohlenen Blick auf die vielen Schmuckstücke nicht zurückhalten, an denen wir vorbeikamen. Gott, das war alles so schrecklich teuer. Und so schrecklich schön. Tabitha führte uns quer durch das Geschäft, bis wir schließlich den klassischen Verkaufsraum verlassen hatten und in einem etwas kleinerem Raum gebracht wurden. Auch hier gab es einige Vitrinen - diesmal jedoch ohne Preisschilder - einen Tisch und zwei Stühle. Ich schüttelte unwillkürlich mit dem Kopf. Selbst dieser verdammte Tisch kostete vermutlich ein kleines Vermögen. »Nehmen Sie doch Platz, während ich den Ring hole.« Tabitha deutete auf die Stühle, ehe sie durch eine schmale Tür an der Seite des Raumes verschwand. Mit klopfendem Herzen ließ ich mich auf den linken der beiden Plätze sinken, während Nathan neben mir Platz nahm. »Ring?«, brauchte ich schließlich heraus. »Die Ausrede, dass Sie den Verlobungsring nicht tragen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, zieht nicht mehr.« Nathan hatte sein Smartphone gezückt und schien seine E-Mails zu überprüfen. »Es gibt durchaus Frauen, die überhaupt keinen Ring tragen.«, sagte ich langsam, ahnte aber schon, dass ich sowieso kein Mitspracherecht hatte. »Meine zukünftige Frau wird aber einen tragen.«, erwiderte er entschieden und machte mir deutlich klar, dass er sich auf keine Diskussionen einlassen würde. Ich schluckte die patzige Antwort hinunter, die mir auf der Zunge lag. »Wieso musste ich mit hier her kommen? Sie hätten den Ring doch ebenso gut einfach abholen können.« »Einige der wohlhabenden Ehefrauen der Vorstandsmitglieder sind regelmäßige Gäste bei diesem Juwelier und Thabita ist diejenige, die für Kunden dieser Kategorie zuständig ist.« Er sah nicht einmal von seinem Smartphone auf, während er sprach. »Und unter Frauen wird nun einmal gerne geredet, vor allem wenn es um den neusten Klatsch der oberen Zehntausend geht. Ich bin mir meines Rufes durchaus bewusst, Miss Blake, deshalb ist es nur von Vorteil, wenn man uns beide hier zusammen sieht und Tabitha bestätigen kann, was für eine reizende Verlobte ich doch habe.« Ich kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten, da Tabitha bereits wieder schon zurückkam. Sie trug ein kleines, mit schwarzem Satin bezogenes Tablett in der Hand und setzte sich auf die andere Seite des Tisches. »Hier wäre das Schmuckstück.« Mir blieb die Luft weg, als ich den Blick senkte. Der Ring selbst war äußerst schlicht gehalten, glatt und silbern. Der wirkliche Hingucker war der große, strahlende Stein der in der Mitte des Rings, eingefasst von einer Reihe weiterer, kleiner Steine. Er war atemberaubend schön. »Dann wollen wir mal sehen, ob er passt.« Tabitha wandte sich an Nathan. »Möchten Sie ihr den Ring anstecken?« Mit einem Mal wurde mir ganz anders. Es lag nicht nur daran, dass es mich nervös machte einen zweifelsfreien sehr teuren Ring anzuprobieren. Das hier war… intim. Etwas, was man normalerweise mit einer Person machte, die man liebte. Das hier war ein Verlobungsring. Das nahmen die meisten Menschen nicht so auf die leichte Schulter. Und trotzdem saß ich jetzt hier, an der Seite meines Fake-Verlobten und versuchte, mir mein Unwohlsein nicht anmerken zu lassen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Nathan es tatsächlich tun würde und war entsprechend erstaunt, als er sein Smartphone in seiner Jackentasche verschwinden ließ und den Ring nahm. Ich stelle erleichtert fest, dass ich nicht so sehr zitterte, wie ich erwartet hatte, als ich ihm meine linke Hand entgegenstreckte. Nathans Pokerface war wie immer perfekt. Wie selbstverständlich nahm er meine Hand in seine und schob mir den Ring auf den Finger. Seine Berührung verursachte mir eine Gänsehaut, doch richtete sich meine Aufmerksamkeit sofort wieder auf das kleine Vermögen an meiner Hand. »Wunderschön…«, flüsterte ich und strich ehrfürchtig über das makellose Silber. »Ihr zukünftiger Ehemann hat einen guten Geschmack.« Tabitha lächelte und bat mich, ihr meine Hand entgegenzustrecken. Sie bewegte den Ring etwas hin und her, ehe sie zufrieden nickte. »Passt perfekt. Ich denke nicht, dass wir noch etwas daran ändern müssen. Was sagen Sie? Fühlt er sich unangenehm an?« Unangenehm, ja. Aber nicht, weil er nicht passte. Ich schüttelte den Kopf. »Wunderbar. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Möchten Sie vielleicht schon einen ersten Blick auf die Eheringe werfen?« Tabitha hatte sich zur Seite gedreht und deutete auf eine der Vitrinen. »Wir haben erst vergangene Woche einige neue Stücke erhalten.« »Nicht nötig. Darum werden wir uns ein andermal kümmern.« Nathan griff in die Innentasche seines Mantels nach seinem Geldbeutel und zückte eine schwarze Kreditkarte. »Natürlich, wie Sie wünschen.« Sie zog ein kleines Lesegerät unter dem Tisch hervor und flog mit den Fingern über die Tasten, ehe sie es in Nathans Richtung schob. Ich konnte nicht anders und wagte einen Blick auf den kleinen Bildschirm. Mir blieb fast das Herz stehen. Natürlich hatte ich schon geahnt, dass der Ring teuer sein würde, immerhin waren wir hier bei keinem 0815 Juwelier, aber mit einem fünfstelligen Betrag hatte ich definitiv auch nicht gerechnet. Urplötzlich überkam mich das starke Verlagen, den Ring sofort wieder abzulegen und in einem Tresor einzuschließen. Ich wollte keinen so teuren Schmuck tragen, viel zu groß war die Angst, dass ich ihn versehentlich verlieren könnte. Ich schluckte schwer und spürte, wie ich ein wenig blass um die Nase wurde. Nathan bezahlte, schob seinen Geldbeutel zurück in die Manteltasche und erhob sich. »Können wir gehen, Liebling?« Liebling? Ich musste einen verwirrten Eindruck machen, denn er griff nach meinem Arm und zog mich auf die Beine. »J-ja, natürlich.«, beeilte ich mich zu sagen. Liebling. Das war ich. Nathan wandte sich an Tabitha, die ebenfalls aufgestanden war, und bedankte sich. Sie winkte lächelnd ab. »Ich habe zu danken. Sollten Sie sich auf die Suche nach passenden Eheringen machen, würden wir uns natürlich freuen, Sie wieder bei uns begrüßen zu dürfen.« Natürlich würden sie das, immerhin hatte Nathan schon für diesen Fake-Verlobungsring ein kleines Vermögen ausgegeben. Ich wollte gar nicht wissen, von was für Preisen dann bei Eheringen gesprochen wurde. Ich brachte ein freundliches Lächeln zu Stande, während wir uns verabschiedeten, und war froh, frische Luft schnappen zu können, nachdem wir hinaus auf die Straße getreten waren. Es war mir vollkommen egal, dass die Luft eisig war – es war genau das, was ich jetzt brauchte. Mit gemischten Gefühlen lehnte ich mich an die Beifahrerseite von Nathans Wagen und betrachtete den Ring an meiner Hand. Mir war durchaus bewusst, dass mein Boss am liebsten sofort wieder gefahren wäre, war er doch bereits dabei um den Wagen herum zur Fahrertür zu gehen. Er stoppte und trat zu mir. »Der ist… viel zu teuer.« Ich schüttelte den Kopf. »Mr. Scott, wirklich, ich kann diesen Ring nicht tragen.« »Sie sollten nicht vergessen, mit wem Sie verlobt sind.« Die Arroganz in diesen Worten war nicht überhörbar und brachte mich fast dazu, die Augen zu verdrehen. Aber er hatte ja Recht. Es war ein offenes Geheimnis, dass Nathan von einer mehr als nur wohlhabenden Familie abstammte. Privatschulen, Eliteuniversität – der Begriff wohlhabend war die Untertreibung des Jahrhunderts. »Wir werden nächste Woche auf Menschen treffen, die so einen Betrag aus ihrer Portokasse zahlen würden.«, fuhr er ebenso ungerührt fort. »Also gewöhnen Sie sich lieber schnell daran in solchen Kreisen zu verkehren.« Nathan war es zwar nicht bewusst, doch hatte ich durchaus Erfahrungen mit solchen Menschen. Ich selbst konnte mich über mein Elternhaus definitiv nicht beklagen. Nie hatte ich auf etwas verzichten müssen, hatte selbst eine Privatschule besucht und mir nie Sorgen um Finanzen machen müssen. Als einziges Mädchen der Familie, noch dazu als Nesthäkchen, war ich zudem ziemlich verwöhnt worden, und es war ein kleines Wunder, das ich keine verzogene Göre geworden war. Doch trotz allem war mir spätestens nach dem Kauf dieses Ringes ins Gedächtnis gerufen worden, dass Nathans Familie in einer völlig anderen Liga spielte. »Wie soll es jetzt weiter gehen?«, fragte ich langsam und zwang mich, den Blick von dem Ring abzuwenden. Es verging ein quälend langer Augenblick, ehe er mir antwortete: »Eine Woche, Miss Blake. Spielen Sie einfach eine Woche lang diese Rolle, dann ist alles vorbei und alles wird genauso sein, wie vorher.« Lächerlicherweise klang das fast so, als wollte er mich aufmuntern. Ich musste wirklich elendig dreinblicken. »Nichts wird wieder so sein wie vorher.«, widersprach ich ihm mit überraschend gefasster Stimme. »Das gesamte Büro weiß vermutlich mittlerweile Bescheid. Für Sie stellt das vielleicht kein Problem da, wenn wir uns schlicht und ergreifend nach dieser ganzen Scharade wieder ›trennen‹, aber ich bin eine Frau, noch dazu Ihre Assistentin.« Es war nicht nötig, dass ich meine Worte weiter erklärte. Egal wie das alles ausgehen würde, den Stempel, den man ganz automatisch verpasst bekam, wenn man mit seinem Vorgesetzten schlief, hatte ich bereits erhalten – und das, obwohl nicht einmal Sex im Spiel war. Wie erwartet bekam ich keine Antwort. Ich schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Jetzt war das ganze sowieso zu spät, ich steckte bereits viel zu tief drin, als jetzt noch einen Rückzieher machen zu können. »Also schön.« Ich sah ihm in seine dunkelbraunen, fast schon schwarz wirkenden Augen. »Mein Name ist Eliza, mein Liebling. Und ich denke, wir sollten uns jetzt ein wenig besser kennenlernen, wenn das Ganze funktionieren soll.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)