Die Puppe von Damien_Black ================================================================================ Kapitel 1: One-Shot ------------------- Genervt sah der Ältere aus dem Fenster des Autos und beobachtete, wie die ihm so vertraute Landschaft immer mehr verschwand. „Weshalb müssen wir noch mal in dieses kleine Kaff ziehen?“, wollte er, wie nebenbei, von seinem Vater wissen. Wobei diese Frage auch mehr rhetorisch gemeint war. „Das weißt du doch. Ich habe ein wesentlich besseres Jobangebot bekommen und da konnte ich schlecht nein sagen. Ihr werdet euch sicher bald eingelebt haben“, gab ihr Vater ruhig von sich und sah einen Moment in den Rückspiegel, wo seine Zwillingssöhne ihn misstrauisch entgegen sahen. „Das bezweifle ich doch sehr“, meinte der Jüngere und setzte seine Kopfhörer auf. Er wollte gerade nur noch abschalten und nichts mehr hören. „Ach Jungs, ihr findet sicher schnell Anschluss und außerdem ist das Haus doch wesentlich größer, als unser altes. Da kann jeder von euch ein eigenes Zimmer haben und wir können sogar einen Pool bauen lassen“, versuchte der Älteste im Auto noch einmal seine Söhne für den Umzug zu begeistern, aber er ahnte schon, dass sie wohl Zeit brauchen würden. „Wenigstens etwas“, meinte Jonathan nur, ehe er, wie sein Bruder, die Musik anstellte und in eine andere Welt abdriftete. So bekamen die beiden Jungen nicht viel von der mehrstündigen Fahrt mit und wurden erst wieder aufmerksam, als die ersten Häuser ihrer neuen Heimat vor ihnen auftauchten. Etwas neugierig geworden legten die beiden ihre Kopfhörer ab und sahen sich um. „Hier gibt es ja fast gar nichts“, stellte Jonathan fest und erntete ein zustimmendes Nicken von seinem Zwilling. „Das wird sooo langweilig hier“, bestätigte dieser. „Es gibt alles, was man braucht und jetzt versucht euch zu freuen, denn da vorne ist unser neues Haus“, mit diesen Worten deutete das Familienoberhaupt auf ein großes Anwesen, einer kleinen Villa gleich, welches sich schon fast am Ende des Städtchens befand und irgendwie gruselig wirkte. „Wow, das Haus ist ja cool“, rief Joshua und klebte begeistert an der Fensterscheibe. „Oh ja, da wohnen sicher etliche Geister“, bestimmte der Ältere. Über die Aussage schmunzelnd parkte ihr Vater in der Einfahrt, woraufhin die beiden aus dem Auto sprangen. „Dann geht doch schon mal vor und sucht euch ein Zimmer aus. Unsere Umzugskartons sind in der Garage. Die räumen wir nachher dann zusammen aus.“ Er reichte ihnen den Haustürschlüssel und sogleich stürmten die beiden los. Nach einer kurzen Erkundungstour hatten die beiden ihre Zimmer gefunden und saßen nun gemeinsam auf einem alten Metallbett, welches im Zimmer des Älteren noch stand und seine besten Jahre schon hinter sich hatte. „Das Haus ist echt geil. Wie aus einem Horrorfilm. Ob hier wohl mal jemand gestorben ist?“, wollte eben dieser grinsend wissen. „Das müssen wir auf jeden Fall mal im Internet nachschauen. Auf jeden Fall ist der Umzug doch nicht so blöd gewesen, wenn wir so ein cooles Haus dafür bekommen haben. Hier können wir endlich all unsere Ideen zu Halloween ausleben“, meinte der Jüngere begeistert. „Das wird ein Spaß.“ Ein paar Wochen später waren die drei vollständig in ihr neues Haus gezogen und die beiden Jungen planten fleißig ihre Dekoration für Halloween. „Wir brauchen noch irgendetwas Cooles auf der Veranda. Da müssen wir mit Dad auf jeden Fall noch einkaufen gehen“, begann der Schwarzhaarige zu sprechen und nahm den Notizblock zur Hand, auf welchem sie schon seit Tagen ihren Ideen notierten. „Oder wir schauen mal auf dem Dachboden. Vielleicht haben die Vorbesitzer da auch noch Sachen hinterlassen, die wir benutzen können“, schlug der Rothaarige vor und machte sich auch gleich auf den Weg dorthin. „Hey, warte auf mich“, rief Jon ihm hinterher und folgte sogleich. „Dann musst du schneller sein“, neckte ihn Josh, ehe er die Leiter herunter zog und auf den noch nicht erkundeten Dachboden stieg. Dieser zeigte sich recht vollgestopft und es war stickig, als wenn schon lange niemand mehr hier war. „In all den Kisten muss sich doch etwas finden.“ Dem stimmte der Ältere nur zu und so begannen sie gemeinsam die Kisten zu öffnen und genau zu inspizieren. Nachdem sie etliche durchsucht und nichts gefunden hatten, stießen sie auf eine riesige, hölzerne Truhe, die in der hintersten Ecke stand und mit ihnen unbekannten Schriftzeichen verziert war. „Wahrscheinlich nur alte Kleidung“, vermutete der Rothaarige. Dennoch öffnete er die Truhe und unterdrückte einen kleinen Schrei. „Was ist los?“, wollte der andere sogleich wissen und trat neben ihn. Auch er erschreckte sich zunächst, doch dann sahen beide fasziniert ihren Fund an. In der Truhe lag eine lebensgroße Frauenpuppe, mit schwarzen Haaren, weißem Gesicht, leeren, schwarzen Augenhöhlen und weißem Kleid, auf welchem vereinzelt Blutflecke zu erkennen waren. Die Puppe schien eine sehr junge Frau dazustellen. „Die Vorbesitzer müssen Halloween genauso geliebt haben, wie wir es tun. In der Garage steht noch ein alter Schaukelstuhl, den stellen wir auf die Veranda und darauf kommt dann diese Puppe. Mit den Spinnennetzen, Grabsteinen und Skeletten wird das die beste Deko, die wir je gemacht haben“, grinste Jon begeistert und holte die Puppe aus der Truhe. „Boa, die ist auch noch so schwer wie ein Mensch. Hilf mir bitte, sonst kriegen wir die die Treppe niemals runter.“ Ohne zu zögern nahm der andere die Beine der Puppe und so trugen sie sie gemeinsam erst die Treppen ins Erdgeschoss hinunter und dann auf die Veranda hinaus. Dort legten sie sie kurz ab, holten den alten Schaukelstuhl aus der Garage und platzierten sie darauf. „Was meinst du? Braucht sie noch mehr drum herum oder wirkt sie so schon gruselig genug?“ Auf die Frage ging der Jüngere auf den Gehweg vor dem Haus und betrachtete die Szene. „Sie sieht so schon extrem gruselig aus. Auch weil der Schaukelstuhl schon so schön abgenutzt ist. Komm, jetzt platzieren wir die Grabsteine, Spinnennetze und Skelette, dann ist unsere Dekoration perfekt.“ Gemeinsam machten sich die Fünfzehnjährigen an die Arbeit und schon wenige Stunden später erstrahlte ihr Haus und der Vorgarten im besten Halloween-Outfit. „Das wird das beste Halloween, was wir je hatten. Und morgen Abend gibt es eine Menge Süßigkeiten“, strahlte Josh glücklich. Den restlichen Tag verbrachten die beiden mit dem Studieren der Stadtkarte und der Planung der Route. Noch wussten sie ja nicht, ob alle Bewohner der Stadt an Halloween teilnahmen, also mussten sie ihre Zeit so einteilen, dass sie wirklich alle Straßen abgehen konnten. Am Abend saßen sie dann zusammen mit ihrem Vater beim Essen und unterhielten sich über ihre Kostüme. „Sagt mal Jungs, wo habt ihr denn die Puppe her? Ihr sollt euer Taschengeld doch nicht für solche Sachen ausgeben. Wenn ihr etwas braucht, dann sagt mir doch Bescheid“, begann ihr Vater zu sprechen und unterbrach seine Söhne so. „Die haben wir hier auf dem Dachboden gefunden, also hat sie uns nichts gekostet“, erklärte Jon schmunzelnd. „Oh, dass ist natürlich praktisch. Und sie ist wirklich extrem gruselig“, nickte der Älteste der Runde. Auch er war begeistert von Halloween und unterstützte seine Söhne, zu diesem Feiertag, wo er nur konnte. „Das stimmt. Wenn es einen Preis geben würde, dann würden wir ihn sicher gewinnen“, gab Josh grinsend von sich, während er seinen Teller leer aß. „Noch gibt es aber keinen. Vielleicht sollten wir das nächstes Jahr mal in der Bürgerversammlung ansprechen“, grinste ihr Vater ebenso zurück. „Machen wir. So, wir müssen noch unsere Kostüme fertig machen. Schlaf gut, Dad.“ „Ihr auch.“ Lächelnd verschwanden die beiden in ihre Zimmer, wo sie noch letzte Handgriffe, an ihren Kostümen, vornahmen und kurze Zeit später schlafen gingen. Am Abend des folgenden Tages standen ein Vampir und ein Zombie auf der Veranda der kleinen Villa und sahen noch einmal auf die Karte. „Wir laufen erst mal die Hauptstraße entlang, dann gehen wir immer abwechselnd rechts und links die Nebenstraßen ab“, klärte der Schwarzhaarige noch einmal ab, ehe sie sich auf den Weg machten. Nach wenigen Häusern hatten sie schon eine schöne Ausbeute in ihren Beuteln. „Schau mal, Jon. Die haben die gleiche Puppe wie wir“, stellte Josh auf einmal fest und deutete auf den Vorgarten eines kleinen Hauses, welches sie noch nicht besucht hatten. „Vielleicht waren die vor Jahren mal so beliebt, dass mehrere Haushalte sie gekauft haben“, meinte Jon Schulter zuckend. „Hmm, da könntest du recht haben.“ Sich nicht weiter darüber Gedanken machend, gingen die beiden Jungen weiter und füllten ihre Beutel mit Süßigkeiten. Hier und da kamen ihnen kleinere Gruppen von verkleideten Eltern mit ihren Kindern entgegen, sonst war die Stadt sehr ruhig. Doch nach fast einer Stunde, wo sie schon unterwegs waren, beschlich den Jüngeren ein komisches Gefühl. „Jon? Ist es nicht irgendwie merkwürdig, dass diese Puppen jedes zweite Haus hier besitzt? So beliebt können die doch nicht gewesen sein, oder?“, wollte Josh unruhig wissen. „Was willst du damit andeuten? Es ist sicher nur Zufall“, versuchte der Ältere seinen kleinen Bruder zu beruhigen. „Naja, vielleicht sind es nicht viele Puppen, sondern nur eine?“ Skeptisch sah der Schwarzhaarige den anderen an. Jetzt übertrieb dieser es aber auch. „Du hast wohl zu viele Horrorfilme, ohne mich, geschaut. Ja, ich liebe Halloween und alles was damit zusammen hängt, aber eine Puppe, die durch eine Stadt läuft. Das ist Unsinn“, erwiderte er ruhig, wandte sich wieder dem Weg zu und wollte gerade weiter gehen, als er erschrocken zurück wich. Vor ihnen auf dem Gehweg stand ein alter Schaukelstuhl, wie der ihre und darauf saß so eine verdammte Puppe. „Das stand eben noch nicht da“, flüsterte Josh deutlich ängstlich. Ihm behagte die ganze Situation nicht. „Da erlaubt sich einer einen Scherz mit uns“, murmelte der andere, auch um sich selbst zu beruhigen. Sicher wollte nur jemand den Neuen in der Stadt einen Streich spielen. Hier lebten vielleicht dreihundert Menschen, also wussten sicher schon alle, dass sie erst vor kurzem hier her gezogen waren. Er nahm seinen Bruder an die Hand und wollte gerade weiter gehen, als die Puppe von dem Stuhl aufstand und auf sie zuging. Erschrocken ließ Joshua einen Schrei hören und versteckte sich halb hinter seinem älteren Bruder. „Nach Hause, sofort“, rief eben dieser ebenso erschrocken aus und rannte, seinen Bruder immer noch an der Hand haltend, in die entgegengesetzte Richtung. „Ist sie noch hinter uns?“, japste der Rothaarige. „Ich schaue nicht nach. Beeilen ...“, abrupt brach er ab, blieb ebenso stehen, so dass der andere in ihn knallte. Vor ihnen war mit einem Mal wieder die Puppe mit ihrem Schaukelstuhl aufgetaucht, welcher sich mit einem unheimlichen Quietschen bewegte. „Weg hier.“ Panisch riss nun Joshua an der Hand seines Bruders und zog diesen wieder in die Richtung, aus welcher sie gekommen waren. Weg von der Puppe, aber auch weg von ihrem neuen Zuhause. „Wir brauchen Hilfe. Schnell“, brachte der Größere keuchend heraus und sah sich um. „Komm, wir klingeln da vorne. Da waren wir noch nicht.“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, rannte er gemeinsam mit dem anderen zu einem Haus am Ende einer Nebenstraße und klingelte dort Sturm. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, in welcher sich die beiden Brüder immer wieder panisch umsahen, ehe ein älterer Mann ihnen öffnete. „Wir brauchen Hilfe. Dürfen wir reinkommen?“, sprach Josh schnell und hoffte inständig, dass ihnen der ältere Herr helfen würde. „Kommt rein, ihr Lieben. Was ist denn passiert?“ Freundlich lächelnd trat der Grauhaarige zur Seite, so dass die beiden rasch ins Haus laufen konnten. „Wir werden verfolgt. Bitte glauben Sie uns, auch wenn es ungläubig klingt. Wir werden von einer Puppe verfolgt“, erklärte der Rothaarige, während er versuchte seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. „Eine Puppe? Die Jungend von heute hat eine blühende Phantasie. Möchtet ihr einen Kakao?“ Der Alte wartete keine Antwort ab, sondern verschwand gleich in der Küche. „Ob wir hier sicher sind? Der Mann wirkt so komisch. Wir sollten doch versuchen, nach Hause zu kommen.“ „Ich glaube, dass ist wirklich besser.“ „Dafür ist es zu spät, meine Lieben. Ihr habt sie geweckt und sie wird euch jagen, bis sie euch gefangen hat.“ Erschrocken wandten sich die beiden um und sahen den lächelnden Mann, mit zwei dampfenden Tassen in der Hand, vor ihnen stehen. „Wovon reden Sie?“, verlangte Jon zu wissen. „Ihr habt die jungfräuliche Braut geweckt. Vor fast hundert Jahren wurde sie zu einer Heirat gezwungen und in der Hochzeitsnacht, der Nacht von Halloween, von ihrem Ehemann ermordet, weil dieser dachte, dass sie keine Jungfrau mehr sei. Seit diesem schrecklichen Ereignis geht sie jedes Jahr, in der Nacht von Halloween, auf die Jagd, bis sie einen jungen Mann gefunden und ihren eigenen Tod gerächt hat“, erklärte der freundliche Herr, als wenn er über das Wetter sprechen würde. „Was können wir dagegen tun?“ Irgendetwas mussten sie doch tun können. Es konnte doch nicht sein, dass sie bis zum Morgen durch die ganze Stadt flüchten mussten. „Ihr könnt nichts tun. Einer von euch wird die Nacht nicht überleben und wenn der andere schlau ist, wird er die Stadt vor dem kommenden Halloween verlassen. Ihr habt sie nach knapp fünfzig Jahren geweckt, denn damals wurde sie von einer mächtigen Hexe in einen gesicherten Sarg gesperrt, aus dem sie nicht aus eigener Kraft entkommen konnte. Ihr werdet ihre potenziellen Opfer bleiben, bis ihr einundzwanzig seid, dann übersieht sie euch. Doch jetzt genießt erst mal euren Kakao, solange er noch heiß ist.“ Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Warum musste dieser dumme Sarg auch wie ein normale Truhe aussehen und einfach auf ihrem Dachboden herum stehen. „Sie können sich ihren Kakao sonst wo hin stecken. Komm, Josh, wir suchen uns einen anderen Unterschlupf“, energisch nahm der Ältere die Hand des anderen und öffnete die Haustür, ehe er panisch aufschrie. Wie in Zeitlupe trat die vermeintliche Puppe durch die eben geöffnete Tür und wollte den älteren Zwilling packen. „Lass ihn in Ruhe“, schrie der Jüngere aufgebracht, sprang nach vorne und versuchte die Braut zu schlagen. Doch sein Schlag ging ins Leere und plötzlich ging alles ganz schnell. Ein eisiger Wind wehte hinein und ließ die Anwesenden erstarren, während sich die Hände der Toten nach dem Kleineren ausstreckten und diesen mit sich nach draußen zogen. Gelähmt konnte Jonathan nur zusehen, wie sein kleiner Bruder in die Dunkelheit gezogen wurde und die Tür krachend ins Schloss fiel. „Nein! Joshua!“, schrie er laut, als die erdrückende Kälte verschwand. Aufgebracht stürmte er zur Tür und riss diese auf, doch von seinem Bruder und der toten Braut war nichts mehr zu sehen. „Es ist zu spät, mein Junge. Sie hat ihr Opfer gewählt. Geh nach Hause, vergiss diese Nacht und verlasse die Stadt“, hörte er die Stimme des Alten, wie durch Watte, während er aus dem Haus lief und immer wieder nach seinem Bruder rief. Tränen der Verzweiflung liefen über seine Wangen, während ihm die Erkenntnis kam, dass er nichts mehr tun konnte. Unterdessen stand der alte Mann in der Tür und sah ihm etwas wehmütig nach. „Vielleicht bekommst du jetzt einen neuen Freund, Andrew“, flüsterte er, nachdem er die Tür geschlossen und seinen Blick auf ein altes Familienbild gerichtet hatte, auf welchem zwei lachende, junge Männer zu sehen waren. Hosted by Animexx e.V. 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