Das Geheimnis der Kleeblattinsel von BlueGenie1974 ================================================================================ Kapitel 15: Buch 2 - Kapitel 9 ------------------------------ Buch 2 – Kapitel 9 Aus den Chroniken der Kleeblattinsel: „Unsere vier Hoffnungsträger haben ein weiteres Stück der Karte erhalten. Auch haben sie das Geheimnis um Shermine gelüftet. Möge Iduna sie weiterhin leiten.“ Marrakesch, Marokko, 28. September 1916 8:00 Uhr Ortszeit Es war früh am morgen. In der Stadt herrschte allerdings schon ein geschäftiges Treiben. Auch auf dem Bahnhof von Marrakesch ging es zu, wie in einem Ameisenhaufen. Gerade hatte ein Personenzug den Bahnhof Richtung Tanger verlassen, als ein anderer Personenzug einfuhr. Da in Marokko das dortige Schienennetz von den französischen Kolonialherren errichtet worden war, kamen auf den hiesigen Strecken französische Dampflokomotiven zum Einsatz. Der eingefahrene Zug wurde von einer Lok der Baureihe 231 mit der Achsfolge 2-C-1 gezogen. Die Türen der Waggons öffneten sich und die Reisenden, die in Marrakesch ausstiegen strömten auf den Bahnsteig. Auf dem Nebengleis kam gerade ein weiterer Zug an. Er wurde von einer Lok der Baureihe 231 G gezogen. Im Gegensatz zur Baureihe 231 unterschied sich diese „Super Pazifik“ in der Länge sowie im Bereich der Leistung. Während die 231er gerade einmal 2.000 PS schafften, waren die Super Pazifiks 1.000 PS stärker. Die Türen der Waggons dieses Zuges öffneten sich und die Reisenden, mit Ziel Marrakesch, strömten auf den Bahnsteig. In diesem Trubel achtete niemand auf das Quintett, das aus dem vordersten Wagen ausgestiegen war, und in Richtung Hauptausgang verschwand. Dort wartete ein Taxi auf die Reisenden. Nachdem die Frau, eine Asiatin mit grünen Augen, dem Taxifahrer das Ziel genannt hatte fuhr der Wagen los. Was die fünf Reisenden jedoch nicht bemerkt hatten, war, dass ein paar zwielichtige Gestalten sie beobachteten. „Was meinst du, sind diese Leute vermögend, Abdul?“, fragte einer. „Nein, Mahmoud. Aber die Frau könnte uns eine ordentliche Summe einbringen.“ „Da gebe ich dir Recht, Abdul. Aber das Risiko, dass die Behörden Fragen stellen, ist viel zu hoch. Erinnerst du dich noch an die Episode vor 3 Monaten, als wir diese Holländerin an den Bey von Tanger verkauft haben?“, fragte Mahmoud. „Erinner mich bloß nicht daran, Mahmoud. Die Polizisten haben meinem Cousin Harun unter Folter den Namen von Prinz Mustafa entlockt und 236 entsprechend Druck ausgeübt. Mustafa musste die Frau wieder rausrücken.“ „Und deswegen können wir es uns nicht leisten, mit der Polizei aneinander zu geraten. Aber wenn sie etwas Wertvolles bei sich haben, dann könnten wir Mandara darauf ansetzen. Ihre Schwester Shermine könnte bei einem Schäferstündchen versuchen, einem der Männer Informationen zu entlocken.“, sagte Mahmoud. „Gute Idee. Aber jetzt sollten wir verschwinden. Da drüben stehen zwei uniformierte. Die kucken schon so skeptisch.“ Die beiden Männer verschwanden. Im Hotel suchten Lucy Lee und die vier Freunde ihre Zimmer auf, und machten sich erst mal frisch. Danach hing jeder seinen Gedanken nach. Am Abend trafen sich die fünf Reisenden zum Abendessen im hoteleigenen Restaurant. Jewgeni, der Russe, brach als erster das Schweigen. „Wir sollten uns bald auf dem Marktplatz von Marrakesch umsehen. Ahmed al Shabuh hat mir erzählt, das wir Shermine dort finden. Aber er hat mir auch eine Warnung mitgegeben. Shermines jüngere Schwester, Mandara, ist eine sehr geschickte Diebin.“, sagte er. „Aber wie die beiden aussehen, hat er dir nicht verraten.“ „Wahrscheinlich weiß er das selber nicht.“, sagte Jewgeni. Lars Eric Holm schaltete sich in das Gespräch ein. „Ich würde vorschlagen, wir erkunden morgen ein bisschen die Stadt. Halten uns aber vom Marktplatz fern.“, sagte er. „Keine schlechte Idee. Aber mir sind am Bahnhof von Marrakesch so zwei zwielichtige Typen aufgefallen. Jede Wette, die führen nichts Gutes im Schilde.“ „Du hast sie also auch gesehen, Dirk.“, sagte Phil Taylor. „Die waren ja nicht zu übersehen.“ Nach dem Abendessen zogen sich die fünf wieder auf ihre Zimmer zurück. Sie waren müde, von der langen Reise. Am nächsten Morgen trafen sich die vier Auserwählten zum Frühstück. Lucy Lee war nicht mit von der Partie. Sie war von Marokko gleich mit dem ersten morgendlichen Zug nach Ägypten weitergereist. Die vier Freunde besprachen das weitere Vorgehen. „Also Phil, was machen wir als erstes?“, fragte Dirk Hemmler. 237 „Es wäre vielleicht nicht verkehrt, nach dem Namen des Händlers zu fragen, der das Kartenstück hat. Und wo wir ihn finden.“ „Danach sollten wir uns mit Shermine befassen.“, sagte Lars Eric Holm. „Wir sollten aber vorsichtig sein.“ „Daran hab ich auch schon gedacht, Jewgeni.“, sagte der Engländer. Nach dem Frühstück machten sich die Freunde auf den Weg. Ihr erstes Ziel war das Stadtviertel „die Medina“. Dieses Viertel war einer der noblen Stadtteile der Stadt. Ein Taxi hatte die vier Auserwählten dorthin gebracht. Dessen Fahrer hatte sich nach der Zahlung von 200 marokkanischen Dirham dazu bereiterklärt, sie überall hinzubringen, wo sie wollten. Während der Fahrt in das Viertel fragte Dirk Hemmler den Fahrer nach dem Namen des Händlers, den sie suchten. „Der Mann, den ihr sucht, heißt Rachid al Bedi.“, beantwortete der Marokkaner die Frage. „Wo finden wir ihn?“ „Er lebt eigentlich in Tanger. Aber er hat auch ein Haus in diesem Stadtteil.“, sagte Youssef, so hieß der Taxifahrer. „Ist es schwer, an ihn heranzukommen?“ „Nicht schwerer, als anderswo. Allerdings muss man fairerweise dazusagen, dass er sehr menschenscheu ist. Ich kaufe ihm ab und zu etwas ab.“, sagte Youssef. „Womit handelt Rachid al Bedi?“ Jewgeni Moskrovnovitch hatte diese Frage gestellt. „Rachid ist Antiquitätenhändler. Und nur damit ihr Bescheid wisst, fragt ihn nie nach seinen Quellen. Darüber schweigt er beharrlich.“, sagte der Taxifahrer. An einem in weiß gehaltenen Lehmhaus hielt Youssef an. „Wir sind da.“, sagte er. Die vier Freunde folgten ihrem Guide, als er auf das Haus zuging. Youssef klopfte. „Wer da?“, hörte man eine Männerstimme aus dem Inneren des Hauses. „Ich bins Youssef. Hast du Zeit, Rachid?“ „Einen Moment.“, sagte die Stimme. Kurz darauf hörte man Schritte im Inneren. Als sich die Tür öffnete, sahen 238 die vier Freunde einen älteren Mann, dessen Alter sie auf Anfang, Mitte 60 schätzten. Der Mann hatte ein ovales Gesicht mit braunen Augen, die die Fremden misstrauisch musterten. Er war 1,70 m groß und hatte einen bereits ergrauten Bart. Auf dem Kopf trug der alte Mann ein grünes Stofftuch, das seine Ohren und seine Stirn zur Hälfte verdeckte. Dazu trug er ein weißes Leinenhemd und eine braune Weste. Außerdem trug der Alte eine schwarze Hose und leichte, braune Lederstiefel. „Was wollen sie?“, blaffte der alte Mann die vier Freunde an. Phil Taylor öffnete seinen Beutel und holte das Tagebuch seines Vorfahren heraus, das er dem Mann wortlos überreichte. „Was soll ich denn damit?“, keifte der Alte. „Lesen sie, dann werden sie verstehen.“ Der alte Mann ging ins Haus zurück und schloss die Tür. Doch keine 10 Minuten später kam er wieder heraus. Er bedeutete den Freunden, einzutreten. „Setzen sie sich, meine Herren.“, sagte Rachid. Die vier Freunde setzten sich um den Tisch, auf dem das letzte Kartenstück lag. Es war mit einem roten „X“ gekennzeichnet. „Diese Karte befindet sich seit Generationen im Besitz meiner Familie. Sie wegzugeben hat für uns einen Frevel bedeutet. Aber ohne die anderen Stücke ist das nur ein wertloser Fetzen Papier mit einem roten X. Nehmen sie mein Stück. Sie können es besser brauchen.“, sagte Rachid. „Wir danken ihnen, Rachid. Wir werden ihnen das nie vergessen.“ „Kann ich ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein?“, fragte Rachid. „Was ist mit Shermine und Mandara?“ „Versuchen sie die beiden so gut es geht zu meiden. Mandara bestiehlt die Leute, während diese mit ihrer Schwester ein Schäferstündchen genießen.“, sagte der alte Händler. „Ich bin überzeugt, dass das nicht alles ist. Wissen sie vielleicht, ob es irgendwelche Hintermänner gibt, die die beiden Schwestern, vielleicht unter Druck setzen?“ Lars Eric Holm hatte diese Frage gestellt. „Ich würde es nicht ausschließen wollen. Sollte dem wirklich so sein, dann bitte ich sie, den Kerlen das Handwerk zu legen.“, sagte Rachid. 239 Nach dem Gespräch mit dem Händler brachte Youssef die vier zur örtlichen Polizeistation, wo die Auserwählten nähere Informationen über Shermine und Mandara einholten. So erfuhren sie, dass es tatsächlich Hintermänner gab, die Druck auf die beiden Schwestern ausübten. Außerdem teilte der Leiter der Wache den Freunden mit, dass diese Männer den kleinen Bruder, Said war sein Name, als Geisel hielten. Die Freunde schlugen dem Leiter der Wache vor, bei der Festnahme der Männer zu helfen, wenn dieser den Schwestern Straffreiheit gewähren würde. Doch der Beamte schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, meine Herren. Aber ich kann ihnen in dem Punkt nicht helfen. Meine Dienstvorschrift verbietet es mir, eine solche Amtshandlung alleine durchzuführen. Ich muss erst die Erlaubnis meines Vorgesetzten einholen.“, sagte er. Phil Taylor richtete das Wort an den Polizisten. „Wie lange dauert das?“ „Einen Monat, vielleicht auch zwei.“, sagte der Polizeipräsident. „Dann nehmen wir die Kerle eben alleine hoch.“, sagte Dirk Hemmler. Der Polizeibeamte erschrak. „Ich muss ihnen dringend von dieser Maßnahme abraten, meine Herren. Sie wissen nicht, wie gefährlich diese Männer sind.“, sagte er dann. „Wir sind schon mit ganz anderen Kerlen fertig geworden. Die Leute mit denen wir uns schon rumschlagen mussten, waren gestandene Soldaten mit Kriegserfahrung.“ „Diese Männer sind gefährlich. Wenn sie mir nicht glauben, fragen sie Youssef.“, sagte der Polizist. „Wissen sie wenigstens die Namen, dieser Bastarde?“ „Sie heißen Abdul und Mahmoud.“, sagte der Polizeibeamte. „Die haben wir schon am Bahnhof von Marrakesch gesehen. Mit denen werden wir locker fertig.“ Nach dem Treffen mit der örtlichen Polizei brachte Youssef die vier Freunde an den Rand des Marktes von Marrakesch. Dort entdeckten sie einen der beiden Männer und eine Frau. Die Frau war eine 1,76 m große Brünette mit braunen Augen. Das Alter der Frau schätzten die Freunde auf Ende 30, Anfang 40. Die vier Auserwählten mussten zugeben, dass die Frau optisch etwas zu bieten hatte. Dann sahen sie sich ihren männlichen Gesprächspartner genauer an. Der Mann war vielleicht 4 Zentimeter größer als die Frau. Allerdings konnte man 240 unschwer erkennen, dass er gutes Essen und auch guten Wein zu schätzen wusste. Denn sein dicker Bauch war nicht zu übersehen. Der männliche Gesprächspartner der Frau hatte einen schwarzen Vollbart und braune Augen. Von seinem linken Mundwinkel zog sich eine Narbe bis zur Augenbraue. Bekleidet war der Mann mit einem weinroten Kaftan, während die Frau ein schwarzes Kleid und einen schwarzen Umhang trug. Jewgeni wandte sich an Youssef. „Wer ist die Kleine?“, fragte er ihn. „Das ist Shermine.“ „Sie ist hübsch.“, sagte Jewgeni. „Sie und ihre Schwester können einem leid tun, Efendi.“ „Warum denn dieses, Youssef?“, wollte der Russe wissen. „Seht ihr dieses Narbengesicht? Das ist Abdul. Er ist ein sehr brutaler Mensch, der keinen Widerspruch und erst recht keinen Widerstand duldet. Wer sich ihm oder Mahmoud widersetzt, wird mit 50 Peitschenhieben bestraft. Und das auch nur, wenn man Glück hat.“ Kaum hatte Youssef zu Ende gesprochen, da packte Abdul Shermine am Handgelenk und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann sagte er etwas auf Arabisch. „Was hat Abdul gesagt, Youssef?“, fragte Jewgeni leise. „Er hat ihr gedroht. Er hat gesagt: „Wenn du nicht tust, was Mahmoud und ich von dir und deiner Schwester verlangen, dann seht ihr euren Bruder nie wieder. Und jetzt geh an die Arbeit. Und keine Widerworte mehr. Hast du verstanden?“ Das ist typisch für Abdul.“ Shermine ging. Doch im Gehen wandte sie sich noch einmal zu den Freunden um, und warf ihnen einen flehenden Blick zu. Dummerweise hatte Abdul dies bemerkt. Er wollte Shermine hinterher eilen, doch Phil Taylor baute sich vor ihm auf. „Geh mir aus dem Weg, Fremder.“, brüllte Abdul den Engländer an. „Du lässt die Kleine in Ruhe, hast du verstanden, du scheiß Typ?“ Abdul zog seinen Säbel, den er immer bei sich trug. Der Besitzer eines benachbarten Standes gab Phil heimlich einen Säbel. Dann ging Abdul auf ihn los. Phil Taylor parierte den ersten Hieb, nur um seinem Gegner dann eine Schelle mit der linken Hand zu verpassen. Abduls zweiten Hieb konnte der Engländer ebenfalls parieren, ehe eine weitere Schelle mit seiner linken 241 Hand setzte. Doch wenn Phil Taylor gehofft hatte, dass er Abdul eine Lektion erteilt hatte, dann war er derbe schief gewickelt. Denn jetzt hatte er den Zorn des Mannes auf sich gezogen. Abdul stürmte mit erhobenem Säbel auf ihn zu. „Jetzt bist du dran! Jetzt bist du dran!“, schrie er. Doch Phil riss ihm den Säbel aus der Hand und verpasste ihm einen Schlag aufs Handgelenk. „Nicht bei mir.“, sagte Phil und zerbrach die Klinge des Säbels in drei Teile. Den kläglichen Rest gab er Abdul zurück. Dieser stieß einen Schrei der Wut aus, ehe er sich umwandte und davon rannte. Im Wegrennen drehte sich Abdul noch einmal um und sagte: „Wir sehen uns wieder, Fremder, das schwöre ich.“ Dann war er verschwunden. Youssef schüttelte den Kopf. „Es war keine gute Idee, sich mit Abdul anzulegen, Efendi.“, sagte er zu Phil Taylor. „So, und warum?“ „Er wird jetzt seine Schergen auf euch und eure Freunde hetzen.“, sagte Youssef. Die vier Freunde gingen weiter. Dirk stellte fest, dass viele der Händler ihnen wohlwollend begegneten. An einem Stand, an dem Lederwaren verkauft wurden blieb er stehen. Der Händler lächelte ihm gütig zu. „Euer Freund ist ja ein ganz schlagfertiger, Efendi.“, sagte er zu Dirk. „Darf ich nach dem „Warum“ fragen?“ „Keiner hat es bisher gewagt, Abdul die Stirn zu bieten. Aber ab jetzt lebt ihr gefährlich. Abdul hat überall seine Killer. Seid ab sofort doppelt wachsam.“, riet der Händler. „Danke, für den Tipp, mein Freund.“ „Immer wieder gern, Efendi.“, sagte der Händler. Als die vier an einer Häuserecke vorbeikamen, tauchte aus dem Schatten Shermine auf. Und der erste Eindruck, den Dirk Hemmler und die anderen beim ersten Aufeinandertreffen gewonnen hatten, bestätigte sich nun. Shermine war wirklich eine Augenweide. Ihre brünetten Haare trug sie offen, sodass sie ihr ovales Gesicht eleganter erscheinen ließen. „Ich danke euch, Fremder.“, sagte sie zu Phil Taylor. „Nichts zu danken.“ 242 „Ihr habt mich gegen Abdul, dieses Scheusal verteidigt. Keiner hat sich das bisher getraut.“, sagte Shermine. „Warum denn dieses?“ „Weil Abdul den ganzen Markt terrorisiert. Jedem der für mich oder meine Schwester eintritt, zündet er den Stand über dem Kopf an.“, sagte Shermine. Phil Taylor legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Keine Bange. Abdul und Mahmoud kriegen noch ihre gerechte Strafe.“ „Ich wünschte, ich könnte euch glauben, Fremder. Aber gewährt mir eine Bitte.“, sagte Shermine. „Welche?“ „Wenn ihr abreist, nehmt mich und meine Schwester mit.“, sagte sie. Phil Taylor sah die anderen fragend an, und bekam ein einstimmiges Nicken als Antwort. „In Ordnung. Deine Bitte ist gewährt.“ „Danke, Fremder. Möge Allah über euch und eure Freunde wachen.“, sagte Shermine und ging wieder zurück. Es war am späten Nachmittag, als die Freunde, begleitet von Youssef, noch einmal über den Markt schlenderten. Als sie auf die Hauptstraße kamen, sahen sie eine Frau, die schnellen Schrittes an ihnen vorbeihuschte. Allerdings konnten sich die vier Auserwählten ein genaues Bild von ihr machen. Sie war 1,75 m groß und hatte hellbraune, weit über die Schulter fallende Haare. Ihren schlanken Körper hatte sie unter einem schwarzen Kleid mit goldenen Stickereien verborgen. Ihre braunen Augen blickten wachsam drein. Genau wie Shermine besaß die Frau ein ovales Gesicht, war aber vom Teint her etwas blasser, als ihre Schwester. Es bestand kein Zweifel. Diese Frau musste Mandara sein. Youssef bestätigte mit einem Nicken eine entsprechende Frage. Die Freunde folgten Mandara in einem Abstand, in dem sie sie noch sehen konnten. An einer Straßenecke sahen sie, wie Mandara einem Mann einen Beutel übergab. Der Mann trug ein rotes Kopftuch und eine braune Kutte. Die Wege der beiden trennten sich, allerdings hatten die vier Überlebenden beschlossen, sich an die Fersen des Unbekannten zu heften. Sie folgten dem Mann durch einige Straßen bis sie an einem Laden ankamen, der im Keller eines Hauses lag. Sie folgten dem Mann. Doch auf dem Treppenabsatz blieben Jewgeni, Dirk und Lars Eric stehen, während ihr englischer Freund in den Verkaufsraum weiterging. Dort angekommen ertönte eine Männerstimme. 243 „Efendi!“, sagte die Stimme. Phil Taylor drehte sich um, sah aber nichts. „Efendi!“, sagte die Stimme erneut. Phil suchte weiter den Raum ab, ohne den Ursprung der Stimme ausfindig machen zu können. „Efendi! Hier hinter ihnen.“, sagte die Stimme ein drittes Mal. Phil Taylor drehte sich um und stand einem kleinen Mann von 1,35 m Körpergröße gegenüber. „Herzlich Willkommen in mein Geschäft. Ich bin Maguere. Wollen sie kaufen Teppich? Habe ich chinesisch Teppich, persisch, turkistanisch und auch welche von Samerikand, alles was sie wollen.“, sagte Maguere. „Was ich will, will ich selbst bearbeiten, einen Teppich draus machen.“ „Ich verstehen, Efendi. Wollen sie kaufen Dschirad, Bukara, Fabrikation indisch, Fabrikation Persisch. Was sie wollen. Hier alles finden. Maguere alles liefern.“ , sagte der Kleinwüchsige. „ Was ich suche ist unten braun und oben rot.“ „Ah. Unten braun und oben rot. Efendi machen sich lustig über kleinen Maguere.“, sagte Maguere. „Nein. Sowas würde mir nicht im Traum einfallen.“ Allerdings war Phil Taylor entgangen, dass sich der Mann zwischen den Teppichen verborgen hatte, den er und die anderen verflogt hatten. Dieser tauchte nun aus seinem Versteck auf, in der Hand einen Dolch. „Efendi böser Mensch.“, sagte Maguere. Doch in diesem Augenblick drehte sich Phil Taylor um und fing den Dolchstoß ab. Ein Schlag aufs Handgelenk folgte. Dann packte Phil Taylor den Mann und zog ihn in den Verkaufsraum. „Ah! Mein farbig gewebter.“, sagte Phil und verpasste dem gedungenen Mörder einen Schlag ins Gesicht, sodass dieser nach hinten taumelte und in einem Korb mit Fellen landete. Maguere hatte sich inzwischen ein Seil geschnappt und schwang damit durch den Raum, ehe er durch das Fenster entkam. „Gibt der seinen Laden auf, ist denn der zu retten?“, fragte sich Phil Taylor. 244 „Hey Phil.“ „Was ist Jewgeni?“, fragte Phil Taylor den Russen. „Was ist wenn die Type wieder aufwacht?“ „Das werden wir gleich feststellen. Mal sehen ob der noch Strom hat.“, sagte Phil. Der Engländer trat dem Unbekannten auf den rechten Fuß. Abduls Scherge stieß einen lauten Schmerzensschrei aus. „Na! Na sieh mal an auch kleine Impulse wecken Lebensgeister. So Kasperle nu erzähl mal. Wer hat dich angeheuert? Antworte sonst mach ich nen Wandteppich aus dir.“, sagte Phil zu dem Mann. Danach warf er ihn durch den Raum, dass er auf einem Stapel Teppiche landete. Als Phil sich den Mann wieder greifen wollte hob dieser abwehrend die Hände. „Nicht drauflegen.“, sagte er flehend. „Na sieh mal, du kannst ja auch sprechen. Wetten, dass du mir gleich antwortest? Sonst pflüg ich in die Botanik, dass man dich für ne abgeknickte Tulpe hält. Hast du mich verstanden? Ich hab dich was gefragt. Auf ne höfliche Frage ne höfliche Antwort. Also erste Frage: Halten Abdul und Mahmoud den kleinen Bruder von Shermine und Mandara gefangen?“, polterte Phil Taylor los. „Ja, Efendi.“ „Sieh mal an, und wo?“, fragte der Engländer weiter. „In einer Villa draußen am Stadtrand. Ich selbst bin noch nie dort gewesen. Ich bisher noch keinen Menschen kennengelernt, der von dort lebend zurück gekehrt ist.“ „Eine Villa ja? Na schön dann kommen wir mal zur nächsten Frage. Wer sind die Auftraggeber der beiden? Nu hör mal, mit deinem roten Putzlappen an der Knolle siehst du zwar aus wie ne bildschöne Marktfrau, aber: Ich behandele dich anders. Na, was hör ich jetzt, also fang an zu singen.“, sagte Phil und schubste den gedungenen Mörder wieder durch die Gegend. „Ich weiß nicht wer den beiden die Aufträge gibt. Es könnte… AAAHHH!“ Maguere hatte durch das Fenster, durch das entkommen war, mit einem Blasrohr einen Giftpfeil auf den Schergen abgeschossen. Als Phil Taylor nach dem Mann sah, sagte dieser: „Das ist Curare. Das Gift wirkt sofort tödlich.“, sagte der Mann. 245 „Lass mal sehen.“ Während Phil Taylor dem Mann das Gift aussaugte sprach dieser mit sich selbst. „Allah gibt das Leben, und Allah nimmt das Leben. Allah ist groß. Geht nicht in euer Hotel zurück, Efendi, sonst werdet ihr bei Sonnenaufgang tote Männer sein.“, sagte er. „Ich hab mit Allah gesprochen. Er hat mir gesagt, er will dich noch nicht haben.“ Marrakesch, 30. September 1916, 9:30 Uhr Ortszeit Die vier Auserwählten hatten gerade das Frühstück beendet, als Jewgeni den Mann mit der braunen Kutte und dem roten Kopftuch entdeckte. Er wandte sich an Phil Taylor. „Ist das nicht der Typ, der uns gestern in Magueres Laden in die Arme gelaufen ist?“, fragte er ihn. Der Engländer nickte. „Was will der von uns?“, fragte Dirk Hemmler. „Finden wir es heraus.“ Die Freunde folgten dem Mann in einen anderen Raum des Hotels. Es war der Rauchsalon. Der Fremde wartete in einer Nische. „Was gibt’s?“, fragte ihn Phil Taylor. „Du hast mir das Leben gerettet. Von diesem Moment an ist Safir dein Sklave geworden.“ „Genug Vanille, weiter.“, sagte Phil. „Safir zeigte auf ein rotes Brokatband, das von der Decke hing. „Das ist das Band, das das Leben zum Tode befördert. Da drüben der Sessel.“ Er zog daran. Sofort sprangen aus der Armlehne des Sessels drei Messer. „Hey! Da liegen ja die Nieren frei.“, sagte Phil. „Die haben vor, euch umzubringen seit ihr hier seid. Der große Allah möge euch beschützen. Der Gefangene wurde in ein neues Versteck gebracht. Sucht ihn in der alten Festung am Alten Markt.“ Begleitet von Youssef, ihrem Guide, gingen die vier Freunde erst einmal zur Polizei und erneuerten ihr Angebot. Der Polizeichef war jedoch weiterhin skeptisch. Doch schließlich siegte das Herz über den Verstand. „Also schön. 246 Shermine und Mandara gehen straffrei aus. Allerdings müssten sie das Land verlassen und würden mit einem lebenslangen Einreiseverbot belegt.“, sagte er dann.“ „Warum denn dieses?“ „Nun, es gibt einige sehr einflussreiche Leute in Marrakesch, die gegen Mandara Anzeige erstattet haben. Diese Leute wären nur dann bereit auf ihr Recht zu verzichten, wenn Shermines Schwester sich zum einen freiwillig stellt, und zum anderen umfassend aussagt.“, sagte der Polizist. „Wir würden die beiden Schwestern mitnehmen. Ich hätte nichts gegen die Hilfe der beiden einzuwenden.“ Dirk Hemmler hatte diese Worte ausgesprochen. „Wenn das so ist, warum nicht? Allerdings möchte ich noch einmal darauf aufmerksam machen, dass sie schon ziemlich gute Argumente haben müssen, damit die Herrschaften, die Anzeige gegen Mandara gestellt haben, der Amnestie überhaupt zustimmen.“, sagte der Polizeipräsident. Kaum hatte er seinen Satz beendet, da betraten mehrere Männer den Raum, die ihrem Aussehen nach sehr wohlhabende Händler sein mussten. Einer der Männer trat vor. Lars Eric Holm und Jewgeni Moskrovnovitch musterten ihn aufmerksam. Der Mann trug einen schwarzen Kaftan und einen weißen Turban. Seine braunen Augen schienen den Polizeipräsidenten regelrecht zu durchbohren. „Wie lange sollen wir noch warten? Mandara läuft immer noch frei herum. Wir geben ihnen und ihren Leuten noch drei Tage, um sie zu fassen. Danach nehmen wir die Sache selbst in die Hand.“, sagte der Mann. Lars Eric Holm stand auf und ging auf ihn zu. „Ich kann verstehen, dass sie und ihre, ich sag jetzt mal „Mitstreiter“, alles andere als erfreut sind, dass es nicht so läuft, wie sie sich das wünschen. Aber ich bin sicher, dass wir uns irgendwie einig werden können.“, sagte er. „Sehen wir so aus, als ob wir mit uns feilschen lassen?“ „Den Eindruck habe ich nicht. Aber ich denke, dass sie und auch ihre Freunde, vernünftige Menschen sind, die bereit sind, sich auch Alternativvorschläge anzuhören.“, sagte Lars Eric. Der Mann dachte nach. Dann wandte er sich zu den anderen um. Ein einstimmiges Nicken war zu beobachten. „Also schön. Was haben sie anzubieten?“, fragte der Mann den Schweden. 247 „Meine Freunde und ich werden Marrakesch in Kürze verlassen. Wir würden Shermine und Mandara mitnehmen. Immer vorausgesetzt, sie und ihre Freunde sind einverstanden.“ Der Mann drehte sich erneut zu den anderen um. Doch einige schüttelten den Kopf. „Sieht so aus, als ob einige meiner „Mitstreiter“, wie sie uns vorhin so nett genannt haben, mit ihrem Vorschlag nicht ganz einverstanden sind. Was haben sie sonst noch vorzubringen?“, sagte der Marokkaner zu Lars Eric. „Wären sie und ihre Freunde bereit, Mandara gehen zu lassen, wenn sie umfassend aussagt und die Hintermänner ans Messer liefert?“ Der Schwede beobachtete die anderen Männer der Gruppe genau. Sie nickten erneut. „Wir sind einverstanden. Aber es bleibt bei unserer Frist von drei Tagen.“, sagte der Mann. „Dann ist das abgemacht.“ Youssef brachte die vier Freunde mit seinem Taxi zum Marktplatz. Dort trafen sie auf Shermine. Lars Eric Holm entging der traurige Ausdruck in ihrem Gesicht nicht. „Was ist passiert?“, fragte er Shermine. Mandaras ältere Schwester schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. „Sie haben unseren Bruder getötet.“, sagte sie dann. „Wer?“ „Abdul und Mahmoud. Mahmoud war heute Morgen da und hat Mandara und mir ein Ultimatum gestellt.“, sagte Shermine. „Was hat er gesagt?“ „Er hat gesagt, wenn es mir und Mandara nicht bis 8:45 Uhr gelingt 85.000 Dirham aufzutreiben, dann würde er Said dem Tod überantworten.“, sagte sie. Lars Eric legte Shermine eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß, meine Worte sind im Moment ein schwacher Trost. Aber du und deine Schwester werdet bald frei sein. Die Polizei gewährt euch beiden Straffreiheit. Und auch einige Leute mit Einfluss sind bereit, ihre Anzeigen gegen 249 deine Schwester zurückzuziehen. Allerdings müsste Mandara umfassend aussagen und die Hintermänner ans Messer liefern.“, sagte er. „Verstehe. Dennoch Danke für eure Hilfe.“ Die vier Freunde und ihr Guide gingen weiter. An einem der vielen Stände entdeckten sie einen Mann, der sich mit dessen Betreiber stritt. „Heute Abend bei Marktschluss komme ich wieder. Wenn du nicht bis dahin die 16.000 Dirham beisammen hast, zünden wir dein Haus an.“, sagte er. Doch als er an den Freunden vorbei ging, packte ihn Dirk Hemmler am Kragen und drückte ihn gegen eine Hauswand. „Du und deine Freunde zündet niemandem mehr das Haus über dem Kopf an. Eure Terrorherrschaft ist zu Ende.“, sagte der Deutsche. „Du und deine Freunde, wisst nicht, mit wem ihr euch hier anlegt. Noch ehe die Sonne aufgeht, seid ihr tote Männer.“ Lars Eric Hol riss der Geduldsfaden. „Håll käften! Oder ich brech dir sämtliche Knochen. So und jetzt sieh zu, dass du Land gewinnst, bevor ich Ernst mache.”, sagte er. Der Mann verschwand. „Folgen wir ihm. Ich bin sicher, er geht zu Abdul und Mahmoud.“, sagte Jewgeni. „Gehen wir.“ Zusammen mit Youssef folgten die Freunde dem Mann, bis er an einem Haus anhielt. Aus sicherer Entfernung beobachteten die vier Überlebenden wie sich die Tür öffnete. Sie erkannten Abdul, der auf die Straße trat. Sie schlichen näher heran, um die Unterhaltung mithören zu können. „Was gibt es, Khalid?“, fragte Abdul. „Die Fremden haben mitbekommen wie ich Hamza, dem Stoffhändler, gedroht habe.“ „Ist das alles?“, fragte Abdul. „Schön wärs. Dieser Deutsche, Dirk Hemmler, hat mich am Kragen gepackt und an die Hauswand vom Haus gegenüber gedrückt. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass unsere Terrorherrschaft hier auf dem Markt vorbei ist.“ „Hast du ihm gesagt, dass wir ihn und seine Freunde umbringen, wenn sie sich nicht aus unseren Angelegenheiten raushalten?“, fragte Mahmouds Partner. 250 „Hab ich. Aber dann ist mir dieser Schwede, Lars Eric Holm, über den Mund gefahren. Ich sage dir Abdul, diese Männer sind Feinde auf Augenhöhe.“ „Hör zu, Khalid. Du gehst jetzt zur alten Festung und warnst Mahmoud. Aber pass auf, dass diese Fremden dir nicht folgen. Hast du mich verstanden?“, sagte Abdul. „Sicher.“ „Dann geh, und danke, dass du mich gewarnt hast.“, sagte Abdul. Khalid wandte sich gerade zum Gehen, da nahmen ihn Jewgeni und Dirk in die Zange, während Lars Eric und Phil Abdul in die Mangel nahmen. „Halt Abdul. Hier ist Endstation für dich.“, sagte Phil mit seiner tiefen Bassstimme. „Das wirst du noch bereuen, Fremder.“ „Knulla din mamma. Du bist nichts weiter, als eine miese kleine Kanalratte. Das sowas wie du überhaupt frei rumlaufen darf, ist ein Skandal.”, sagte Lars Eric Holm. „Wartet nur, ihr Ungläubigen. Mein Freund und Partner Mahmoud wird euch in Stücke reißen.“ Als Antwort rammte ihm der Schwede den Ellenbogen in die Magengrube. „Skogsfen på rumpan. Deinen Freund kriegen wir auch noch. Verlass dich drauf.”, sagte Lars Eric. „Ich will ja nichts gesagt haben, Briderchen. Aber da vorne kommt eine Polizeistreife.“ In diesem Moment sahen es auch die anderen. Vier Polizeibeamte waren auf dem Platz erschienen. Abdul und Khalid versuchten sich loszureißen, um zu fliehen, doch gegen die vereinten Kräfte ihre Gegner konnten sie nicht viel ausrichten. Die Beamten nahmen die beiden mit. Die Auserwählten machten sich auf den Weg zur alten Festung, die auf einem Hügel über dem alten Marktplatz thronte. Youssef öffnete leise die Tür und bedeutete den Freunden ihm zu folgen. Sie waren noch nicht weit gegangen, da hörten sie zwei Stimmen. Die eine war die einer Frau. Jewgeni erkannte sofort die Stimme von Shermine. Die andere war eine männliche. „Hör zu Shermine. Deine Schwester hat noch gerade einmal zwei Tage, bis Freitagabend um diese Zeit, zusätzlich zu den von uns verlangten 85.000 Dirham noch einmal 200.000 Dirham aufzutreiben. Sollte sie bis zum Ablauf der Frist das Geld nicht beisammen haben, dann stirbst du als nächste.“, sagte 251 der Mann. Shermine schrie lautstark um Hilfe, wurde aber von ihrem Peiniger mit einem Schlag mit dem Handrücken ins Gesicht zum Schweigen gebracht. „Hör auf, um Hilfe zu rufen. Hier hört dich sowieso kein Mensch.“, sagte der Mann erneut. Dann stopfte er Shermine einen Knebel in den Mund. „Damit du endlich den Mund hältst.“, sagte er. Dann ging er lachend davon. Rasch eilten die Freunde zu Shermine und befreiten sie aus ihrer misslichen Lage. „So und jetzt nehmen wir uns mal diese Käsemilbe da mal vor.“, sagte Lars Eric. „Wäre auch mein Vorschlag gewesen. Hat jemand von euch gesehen, wo er hin ist?“ „Er ist die Treppe da rauf.“, sagte Youssef. „Wohin führt sie?“ „Auf den Wehrgang. Dort sind auch die Kanonen aufgestellt. 10 Stück auf jeder Seite.“, sagte Shermine, ehe sie in Ohnmacht fiel. Youssef hob Shermine auf seine Arme und brachte sie an die frische Luft, während die anderen die Treppe zum Wehrgang hinauf stiegen. Oben angekommen, wartete bereits ein Wachposten. Doch dieser wurde durch einen Schlag ins Gesicht von Phil Taylor zu Boden gestreckt. Aus dem Nichts tauchte ein zweiter Wachposten auf und hieb mit seinem Säbel nach Jewgeni. Doch der Russe duckte sich weg. Dann tippte er ihm auf die Schulter. „Duhu.“, sagte er. Der Soldat drehte sich um. „Schelle links“, sagte Jewgeni und verpasste dem Posten eine Schelle auf die linke Seite. „Schelle rechts.“, eine Schelle auf die rechte Seite folgte. Der Soldat blieb am Boden liegen, als ein zweiter Wachsoldat auftauchte. Lars Eric Holm nahm diesen in Empfang. Er verdrehte ihm den Arm auf den Rücken und verpasste ihm einen Schlag in die Magengrube. Dann wurde er vom Schweden unsanft zur Seite geschoben. „Stell dich dahin du Lümmel.“, sagte Lars Eric Holm. 252 Der erste Soldat, den Phil Taylor niedergeschlagen hatte, kam wieder zu sich. Doch der Engländer war schon zur Stelle und zog ihn am Ohr nach oben. „Lümmel dich hier nicht so auf Fußboden rum.“, sagte Phil. Dann baute sich Dirk Hemmler vor dem Wachposten auf. „Wo ist Mahmoud?“, fragte er ihn. „Weiß ich nicht.“ „Sicher weißt du es. Und je schneller du uns sagst, wo wir ihn finden, umso weniger musst du leiden.“, sagte Dirk. „Ich weiß nichts.“ „Hör zu, Freundchen. Wenn ich eins nicht leiden kann, dann ist das, wenn man versucht mich zu verarschen. Also spuck endlich aus.“, sagte der Deutsche. „Ich weiß es aber doch nicht.“ Nun riss dem ehemaligen Heizer der Goeben der Geduldsfaden. Er packte den Wachsoldat am Halsschutz seiner Rüstung. „Willst du sprechen Mann, oder ich lass dich vor eine Kanone binden!“, sagte Dirk streng. „AUFHÖREN!“ Eine Frauenstimme war aus dem Nichts ertönt. Dirk fuhr herum, ließ den Soldaten aber nicht los. Vor ihnen stand Mandara. Mystisch und Geheimnis umwittert zugleich. „Ich weiß, wo sich Mahmoud versteckt hält. Ich werde euch hinbringen. Und ich bin auch bereit umfassend auszusagen.“, sagte sie. Es war Mittag, als die Auserwählten das Haus erreichten, in dem sich Mahmoud versteckt hielt. „Wir sind da.“, sagte Mandara. Das Haus, vor dem die Auserwählten standen, war aus allerfeinstem Marmor errichtet, mit goldenen Fenstern und goldenen Türen. Dazu kamen noch vier Minarette mit goldenen Dächern und goldenen Zinnen. „Was für ein Protzbunker.“, sagte Jewgeni. „Mahmoud ist der reichste Mann der Stadt, wenn mal von Abdul absieht.“ „Ist der Haupteingang bewacht, Mandara?“, fragte Lars Eric Holm. 253 „Ist er. Zwei Wachen auf der Außenseite, zwei hinter der Tür. Aber es gibt einen Seiteneingang, den nur sehr wenige kennen. Kommt.“ Mandara führte die Gefährten zu einer Seitentür auf der rechten Seite, die im Schatten des Nachbarhauses lag, und vom Dach des Marmorhauses nicht zu sehen war. Leise öffnete Shermines Schwester die Tür und spähte hinein. Es war nichts zu sehen. „Kommt, die Luft ist rein.“, sagte Mandara. Sie führte die Freunde einen langen Flur entlang, ehe sie an einer Tür anhielt. „Dahinter ist Mahmouds Arbeitszimmer. Aber um diese Zeit ist er meistens im großen Saal.“, sagte Mandara. „Wo befindet sich der Saal?“ „Im ersten Stock. Aber um dort hinzukommen, müssen wir durch das Arbeitszimmer. Und der hinter der Tür stehen zwei Wachposten.“, sagte Mandara leise. Phil Taylor öffnete die Tür, die sich mit einem lauten Knarren öffnen ließ. Die Wachposten stürmten los, doch der Engländer schlug ihnen die Tür ins Gesicht und sie fielen um. Mahmouds Büro war schnell durchquert. Doch bevor Phil Taylor die Tür auf der gegenüberliegenden Seite öffnen konnte, waren die Wachen wieder zu sich gekommen. Sie stürmten mit gezogenen Säbeln auf den Engländer zu. Dem ersten wich Phil aus und verpasste ihm einen Schlag ins Gesicht. Den zweiten nahm er auch in Empfang. „Komm her, dir werde ich auch einen vorn Ständer kleistern.“, sagte Phil Taylor und schlug auch diesen Wachposten nieder. Hinter dem Büro führte eine Treppe aus schwarzem Marmor in den ersten Stock. Mandara drehte sich zu den Freunden um. „Nur noch diese Treppe, dann sind wir da.“, sagte sie. Die Freunde folgten Shermines Schwester nach oben. Zuerst erreichten sie einen langen Flur, an dessen Wänden auf beiden Seiten Portraits hingen. „Das dürften wohl Mahmouds Vorfahren sein.“, sagte Jewgeni. Mandara ging voraus und blieb vor einer großen, goldenen Doppeltür stehen, die von zwei Wachposten bewacht wurde. Lars Eric Holm fackelte nicht lange und schlug die beiden mit den Köpfen aneinander. Die beiden verloren sofort das Bewusstsein. Danach stieß der Schwede die Tür auf und die vier Freunde betraten, von Mandara begleitet, den Raum. Mahmoud saß auf einem Thron der auf einer Empore stand. Der Ausdruck in seinem Gesicht ließ keinen 254 Zweifel daran aufkommen, dass er es hasste, wenn man ihm in die Suppe spuckte. Dennoch machte Mahmoud gute Miene zum bösen Spiel, als er sprach. „Sie haben mir allerhand böse Überraschungen präsentiert, Gentlemen. Da dachte ich mir, warum soll ich sie nicht auch mal überraschen. Nun was halten sie vom alten Mahmoud in mitten seines antiken Palastes?“, sagte er. Phil Taylor in seiner raubeinigen Art polterte gleich los. „Nicht mal wenn ich ne Braut wär, könnten sie mir mit diesem Nobelschuppen im Messinglook imponieren.“ Mahmoud kochte innerlich vor Zorn. Denn der Engländer hatte ihn beleidigt, indem er sich abfällig über sein Zuhause geäußert hatte. Für ihn war das ein Frevel. Am liebsten hätte er Phil Taylor persönlich den Hals umgedreht. Doch Mahmoud konnte seine Wut gerade so im Zaum halten. Er wusste, dass die vier Freunde nicht zögern würden, und ihn den Behörden übergeben würden, wenn er sich verplapperte. „Sie sind ein außergewöhnlicher Mann, Mr. Taylor. Machen sie und ihre Freunde mir die Freude und trinken sie einen Kaffee mit mir.“, sagte er und wandte sich dann an einen kleinwüchsigen Mann, den Dirk Hemmler der Deutsche, und Jewgeni der Russe als Maguere identifiziert hatten, und sagte: „Maguere.“ „Kaffee! Gut Kaffee! Schön süß!“ Maguere goss etwas Mokka in eine goldene Tasse, Doch Phil Taylor war noch nicht fertig mit seinen Nadelstichen. „Ich hab viel Sinn für Mummenschanz. Aber wem wollen sie eigentlich mit diesem Schwachsinn imponieren. Und ihr Kaffee dürfte so schmecken wie es hier aussieht.“, sagte er kalt. Jetzt riss Mahmoud endgültig der Geduldsfaden. „Sie haben nicht nur meinen Langmut missbraucht, sie haben auch mein Haus beleidigt.“, fauchte er. Dann gab er den Wachen im Saal ein Zeichen. Sofort stürmten mehrere Soldaten mit gezückten Säbeln auf die Freunde zu. Jewgeni wich einem Hieb aus und schlug dem Soldaten dann ins Gesicht, sodass dieser seinen Säbel verlor. Der Russe nahm die Waffe selber auf und lieferte sich mit einem anderen Gardisten eine kleine Fechteinlage, ehe er seinem Gegner dessen Säbel aus der Hand schlug und ihm einen Schlag ins Gesicht verpasste. Der Soldat taumelte nach hinten stürzte und fiel mit Kopf in einen Pranger, dessen oberes Ende sofort zufiel, und den Mann fixierte. 255 „Herein mit dir in die Birnenschleuse.“, sagte Jewgeni. Mandara hatte inzwischen eine Vase gepackt, die sie dem eingeklemmten Soldaten über den Kopf zog. Lars Eric Holm hatte unterdessen einen anderen Wachsoldaten mit ein paar Schlägen bearbeitet, ehe er ihn am Rücken seiner Uniformjacke packte und ihn vorwärts gegen einen riesigen Gong schleuderte, der im Raum hing. Mahmoud sah dies mit wenig Begeisterung. Er deutete auf den Schweden und rief: „FESSELN! Nehmt ihn fest und fesselt ihn! Fesselt ihn!“ Maguere hatte eine große Vase geworfen. „Hier ist nichts mit fesseln!“, sagte Lars und fälschte die Flugbahn der Vase so ab, dass sie den Herrn des Hauses am Kopf traf, und ihn ins Reich der Träume beförderte. Dirk Hemmler hatte sich unterdessen eine Schmiedezange geschnappt, mit der er einem Wächter die Klinge von dessen Säbel kürzte um ihm dann einen Schlag ins Gesicht zu verpassen. Im Eifer des Gefechts hatte niemand bemerkt, wie ein paar Wachen den Engländer umzingelt hatten. „Na, was ist? Was soll das werden?“, fragte Phil Taylor. Mandara hatte hinter einem mit einem Tuch verdeckten Stuhl ein Versteck gefunden, als sich ihre Schwester zu ihr gesellte. „Lass du dir doch auch mal was einfallen, Mandara.“, sagte Shermine. „Moment. Vielleicht funktioniert das.“ Mandara zog an einer goldenen Borte. Sofort löste sich der Stoffbaldachin über dem Engländer und den Wachen. Sofort entbrannte eine wilde Schlägerei. Der Hauptmann der Garde versuchte zu entkommen, doch als er an den Wachen, die unter dem Baldachin verborgen waren, vorbeikam, zerriss der Engländer den Stoff und schnappte ihn sich. „Komm her! Du hast einen Kopf wie ein Hauklotz, also muss man draufhauen.“, sagte er und drückte ihn an einen Pfeiler und schlug auf ihn ein. Und während der Engländer den Anführer von Mahmouds Wachen mit Schlägen traktierte hatten der Schwede und der Russe Mahmoud in die Zange genommen. Dieser sah angsterfüllt von einem zum anderen. „Ihr denkt doch wohl nicht, dass die Sache damit erledigt ist?“, fragte er. „Oh nein.“ „Nein.“, sagte Jewgeni. Dann verpassten beide dem Marokkaner eine doppelte Kieferquetsche, 256 die ihn komplett außer Gefecht setzte. In der Zwischenzeit hatte Phil Taylor den Chefgardisten weiter bearbeitet. „Dir spitz ich den Spargel an, bis man dich fürn Pfirsich hält! Komm her!“ Danach wurde der Oberst unsanft vom Engländer nach draußen auf den Balkon befördert. „Jetzt geht’s ein bisschen an die frische Luft! Komm her!“, sagte Phil Taylor und verpasste dem Mann einen Schlag in die Magengrube. Dann schleifte er ihn an eine der Zinnen und begann, ihn weiter mit Schlägen zu bearbeiten. „Die Fresse werde ich dir nicht einschlagen! Sonst muss ich dich in Gips nachformen lasse, damit man dich im Gericht erkennt! Steh auf! Komm her!“ Da zerriss Shermines wütende Stimme die Luft. „Überlass mir diesen Wurm! Sein Tod soll langsam und qualvoll sein, damit unser Bruder Said gerächt wird.“, sagte sie. „Tut mir leid, aber die Made gehört mir.“ Shermine ging auf den Gardisten zu und hielt ihm einen Dolch unter die Nase. „Warum soll er im Gefängnis weiterleben, wenn die Wüste für seine Bestattung sorgen kann? Überlassen wir ihn doch lieber den Geiern.“, zischte sie. Phil Taylor drückte sanft ihre Hand nach unten. „Das geht nicht, da werden die lieben Tierchen vergiftet.“ Shermine sah Phil Taylor in die Augen. Zorn flackerte in ihren Augen. Dann seufzte sie. „Ich werde dein Gesetz leider nie verstehen.“, sagte Shermine. Auf dem Polizeirevier löste Mandara ihr Versprechen ein, und plauderte aus dem Nähkästchen. So berichtete sie, wie Mahmoud und Abdul sie und ihre Schwester sowie ihre Mutter Aysan und ihren Bruder Said von zu Hause fortgeholt und ihren Vater eiskalt ermordet hatten. Wie die beiden ihre Mutter an einen reichen Scheich für dessen Harem verkauft hatten. Sie berichtete von den seelischen Leiden, die sie und Shermine jahrelang erdulden mussten. Mandara berichtete sogar von den Gräueltaten der beiden Männer. Vor allem erzählte sie von einem gedungenen Meuchelmörder, der Said den Atem genommen hatte. Keiner der Umstehenden sagte ein Wort. Doch Abdul und Mahmoud bedachten Mandara und Shermine mit einem tödlichen Blick. „Euer Bruder hätte schon lange tot sein sollen. Es sollte eine Warnung an euch sein, damit ihr tut, was wir euch befehlen.“, sagte Abdul. Shermine wollte zu einer Erwiderung ansetzen, als die Tür der Polizeistation aufging und ein älterer Mann eintrat, der Rachid, dem Antiquitätenhändler, wie ein Ei dem anderen glich. Mahmoud und Abdul wurden kreidebleich, als sich der Mann als Ismail vorstellte. „Ich möchte gerne aussagen.“, sagte Ismail. Der diensthabende Beamte nickte. Und so erzählte Ismail, was er wusste. „Und sie irren sich bestimmt nicht, Ismail?“, fragte der Polizist. „Allah soll mein Zeuge sein! Denn der gedungene Meuchelmörder war ich selbst.“ „Du verräterischer Hund!“, brüllte Mahmoud. „Wollen wir beide ein Gespräch über niedere Hunde führen, du Mörder der Unschuldigen?“ 257 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)