Das Geheimnis der Kleeblattinsel von BlueGenie1974 ================================================================================ Kapitel 5: Buch 1 - Kapitel 5 ----------------------------- Buch 1 – Kapitel 5 Aus den Chroniken der Kleeblattinsel: „Der Sand der Zeit hat begonnen gegen uns zu rieseln. 5.000 Monde bleiben uns Zeit um den Feueropal zu finden Gelingt dies nicht… Wird Oamaru für immer den Tiefen des Ozeans versinken.“ 15. August 1712 drei Monate nach dem Raub des großen Feueropals Es war ein schöner, warmer Sommertag. Ein paar kleine Wolken hingen am Himmel. Und ein leichter aber beständiger Wind wehte über das Meer. Am Morgen war eine Fregatte aus Tangaroa mit 48 Kanonen in der nordöstlichen Bucht vor Anker gegangen. Es war die „Elenia“, das jüngste Schiff der Flotte. Sie war, wie auch der Rest von Tangaroas Marine, auf Aoraki, der Insel der Berserker, gebaut worden. König Nordin hatte die Schiffe dem Königspaar von Tangaroa zur Hochzeit geschenkt. Nun waren Keoga und Liasanya auf die Kleeblattinsel gereist. Begleitet wurden sie von Elenia und Tanet. Die Tochter des Leird besaß die seltene Gabe, die Anwesenheit von Menschen mit Hilfe ihrer empathischen Kräfte wahrzunehmen. „Wir werden beobachtet.“, sagte sie zu Liasanya. Die Königin nickte. Das Signal eines Muschelhorns ertönte. Aus den Büschen zu beiden Seiten des Weges erschienen urplötzlich Dutzende von Kriegern. Sie überwältigten Keoga und die anderen und brachten sie in ihr Dorf. Keoga ahnte nicht, dass Tosh Kamar auf einem Berghang gestanden, und alles beobachtet hatte. Der böse Herrscher hatte nämlich auch noch mit ihm eine Rechnung zu begleichen. Tosh Kamar hatte nicht vergessen, dass er seine Verhaftung Keoga zu verdanken hatte. Also sollte der neue Großkönig von Tangaroa sterben. Doch bevor er an der Reihe war, sollte er, an einen Baum gefesselt, mit ansehen, wie seine geliebte Frau im Moor versank. Der Herrscher mit den Mufflonhörnern hatte vor kurzem ein heftiges Unwetter über Oamaru niedergehen lassen, sonst wäre sein Plan zum Scheitern verurteilt gewesen. Denn im Sommer sind Moore derart trocken, dass ein Mensch, der in ein Moorloch gerät, nicht tiefer als bis zu den Hüften einsinkt. Doch bevor er sich mit Liasanya befassen konnte, musste Tosh Kamar sich etwas einfallen lassen, was mit den beiden Frauen passieren sollte, die Keoga und seine Frau begleitet hatten. Der böse Herrscher ahnte, dass von den beiden eine Gefahr ausging. Besonders von der Frau in weiß. Im Dorf angekommen nahm einer der Krieger Tanet ihren Eichenstab weg und brach ihn in der Mitte durch. Die beiden Hälften warf er ins Feuer. Offenbar hatte er gehofft, sie so ihrer magischen Kräfte berauben zu können. Keoga, seine Frau Liasanya, Elenia und Tanet wurden an Pfähle gebunden. Der 71 Medizinmann ging an den Gefangenen vorbei und sah zuerst Keoga ins Gesicht. „VERRÄTER!“, sagte er kalt. Dann ging er weiter zu Liasanya. „VERRÄTERIN!“ Danach stand er vor Elenia. „VERRÄTERIN!“ Als letztes stand er vor Tanet. „VERRÄTERIN!“, schrie er auch ihr ins Gesicht. Doch wenn er gehofft hatte, einen der Gefangenen in irgendeiner Form aus der Reserve locken zu können, dann hatte sich der Medizinmann gründlich geirrt. Als er dies merkte wandte der Medizinmann das Wort an alle vier. „Habt Ihr irgendetwas zu eurer Verteidigung zu sagen?“, fragte er. „Warum soll ich mich für irgendwas rechtfertigen, wenn ich nichts getan habe? Kannst Du mir das mal erklären, Du Schwachkopf?“ „Ich muss doch sehr bitten! Die Anklage lautet auf Hochverrat. Und den Schwachkopf verbitte ich mir.“ „Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“, sagte Keoga. Nebel bildete sich. Und aus diesem Nebel trat Tosh Kamar. „Weißt Du, Keoga, eigentlich müsste ich dir dankbar sein, weil Du die Drecksarbeit für mich erledigt hast. Walbur sollte ohnehin sterben. Aber Du hast mich vor vier Monaten verraten, als Du mich den Soldaten ausgeliefert hast.“, sagte der böse Herrscher. „Selber Schuld. Hättest Du deine Finger von meinen Vorräten gelassen, hätte ich dich vielleicht gerettet.“ „Moment. Nicht so voreilig. Ich bin noch nicht fertig. Die Verhaftung und das damit verbundene Gerichtsverfahren, das zu meiner Verbannung geführt hat, hätte ich ja noch ertragen, wenn ich Liasanyas Gesellschaft hätte genießen dürfen. Aber Du musstest sie ja unbedingt selber heiraten. Weißt Du, wie sehr Du mich damit gekränkt hast, Keoga?“ „Soll ich mal alle deine Verfehlungen aufzählen? Mal sehen, wie Du dich dafür rechtfertigen willst.“ „Ach Papperlapapp! Du hast doch von nichts eine Ahnung. Du bist für Liasanya nicht würdig genug.“, sagte Tosh Kamar. 72 „Was muss man denn tun, um deiner Meinung nach Liasanyas würdig zu sein?“ „Nun es reicht nicht, wenn man wie Du „NUR“ Großkönig ist. Liasanya hat etwas Besseres verdient.“ Nun meldete sich zum ersten Mal Liasanya zu Wort. „Ich hab was Besseres verdient? Besser als jetzt kann ich es doch gar nicht treffen. Ich bin die Großkönigin von Tangaroa.“ „SCHWEIG! DICH HAT KEINER GEFRAGT! Aber da Du schon gesprochen hast, und kund getan hast, dass Du mit dem was Du hast zufrieden bist, dann will ich dir sagen, was Du dir entgehen lässt. Wärest Du meine Frau, würde dir, wenn ich Iduna als oberste Göttin ablöse, der Status einer GÖTTIN zustehen. Du wärest UNSTERBLICH. Und das alles, lässt Du dir entgehen. Nur wegen einem Gefühl, dass Ihr Sterblichen LIEBE nennt.“ „Lieber bin ich sterblich und Großkönigin, als unsterblich und Göttin, wenn der Preis dafür ist mit so einem Ekel wie dir verheiratet zu sein.“, sagte Liasanya entschieden. „Ich wusste, Du würdest so etwas sagen. Deshalb habe ich mir ein Ende für dich ausgesucht, das deiner würdig ist. Du sollst vor den Augen deines Gatten im Moor versinken. Ach ja noch etwas. Nur so nebenbei. Dein Keoga wird selbstverständlich an einen Baum gefesselt. Na, was hältst Du davon?“ „Gar nichts.“ „Eine Frage noch.“, sagte Keoga. „Bitte, ich bin ganz Ohr.“ „Wie ist es möglich, dass Du dein ozeanisches Verlies verlassen konntest?“ „Eine etwas unangenehme Frage, wie ich zugeben muss. Aber da Du sie mir gestellt hast, sollst Du auch eine Antwort erhalten. Es war Golban, der den Zauberspruch zitiert hat, mit dem mir die Flucht geglückt ist.“ „Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, wenn Königin Wioletta das erfährt.“, sagte Liasanya. „Sie weiß es längst. Und sie hat getobt, das kann ich euch sagen. Sie war eine regelrechte Furie. Sie sie ist so hübsch, wenn sie vor Wut kocht. Aber nun zurück zu euch. Du Liasanya wirst, wie schon dargelegt im Moor dein Ende finden. Du Keoga, wirst in das Land der ewigen Schatten verbannt. Was nun aber euch beide angeht.“, wandte Tosh Kamar sich an Elenia und Tanet, „Ich weiß ja nicht mal eure Namen.“ „Elenia.“ 73 „Tanet.“ „Zwei sehr hübsche Namen. Gerade deiner, Elenia. Doch was seid Ihr nur für merkwürdige Personen.“ „Schon mal was von einer Todesfee gehört, Du taube Nuss?“, fragte Tanet. Tosh Kamar fing an mit den Knien zu schlottern. Ausgerechnet eine Todesfee! Das hatte ihm gerade noch gefehlt. „Ich bin eine Banshee.“ Nun wich alle Farbe aus Tosh Kamars Gesicht. Damit hatte er nicht gerechnet. Doch er fing sich schnell wieder. „Nun, für euch beide muss ich mir noch etwas einfallen lassen. Aber vorher muss ich mich um eure Freunde kümmern. Und wenn ich mit euch fertig bin, werde ich warten. Warten, bis der fünftausendste Mond aufgeht. Und dann wird mein Riesenkalmar Oamaru in die Tiefe ziehen.“ „Was macht dich da so sicher?“, fragte Keoga. „Normalerweise würde ich dir diese Frage nicht beantworten. Aber da Du mit diesem Wissen ohnehin nicht viel anfangen kannst, sollst Du es ruhig erfahren. Ich werde verhindern, dass die vier Helden den Opal finden. Ich will meine Rache. Und die werde ich kriegen.“ Tosh Kamar hatte im Angesicht seines bevorstehenden Triumpfes nicht auf die beiden Raben geachtet, die nun von der Nordseite angeflogen kamen. Ihre Herrin Tanet hatte sie jedoch gesehen. „SALMEI! DALMEI! ADOMEI!“, rief sie mit lauter, kräftiger Stimme. Im Nu wurden die Raben wieder mehr. Im Sturzflug kamen sie von oben und griffen Tosh Kamar und die Stammeskrieger an. Die Tiere hackten mit ihren spitzen Schnäbeln auf den Köpfen der Krieger herum und verursachten zum Teil üble Wunden. Auch Tosh Kamar wurde von den Vögeln ziemlich übel zugerichtet. Ein Rabe, es war Frigga, hatte ihm sogar ein Auge ausgehackt. Der böse Herrscher fluchte. Er wollte einen Fluch gegen Tanet wirken, doch ein lauter, langgezogener Schrei, der in einem Kreischen endete, sorgte dafür, dass sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Keoga ahnte, dass Elenia diesen Schrei losgelassen hatte. Jetzt verstand er, warum Demiros damals im Moor wollte, dass er sich die Ohren zuhielt. Der Krieger, der Tanets Eichenstock zerbrochen hatte, wollte fliehen. Doch weit kam er nicht. Denn als er losrennen wollte, versperrte ihm ein fremder Krieger den Weg. Der Mann hatte schulterlange, blonde Haare und einen kinnlangen 74 Schnurrbart. Tanet, die dem Geschehen am nächsten stand, betrachtete den Neuankömmling genauer. Das runde Gesicht und der kräftige, muskulöse Körper waren über und über mit verschiedenen Symbolen bemalt. In den braunen Augen des Mannes brannte pure Mordlust. Tanet fiel auf, dass der blonde Krieger eine Hose aus Schaffell und Stiefel aus demselben Material trug. Doch es war der Ausdruck im Gesicht des Mannes, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Dieser Gesichtsausdruck grenzte an Wahnsinn. Tanet wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Der Fremde war ein Berserker im Blutrausch! Ihr Vater hatte sie oft genug davor gewarnt. „Hüte dich vor den Berserkern, wenn sie sich im Blutrausch befinden. Denn dann sind sie nicht in der Lage zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.“, hatte er gesagt. Der Berserker hob seine schwere Kriegsaxt, die er in den Händen hielt und holte zum Schlag aus. Mit einem lauten Krachen spaltete er seinem Gegner den Schädel. Der Schrei, den der Berserker dann zum Besten gab, ließ sogar Elenia erschauern. Der Berserker riss seine Axt in die Höhe und stieß einen Schlachtruf aus. „GNALI!“, rief er. Wie aus dem Nichts erschienen mehr von seiner Sorte. Die Berserker umzingelten die Krieger des Stammes. Tanet erkannte, dass es Nordins Männer waren. Der Anführer der Berserker tauchte hinter ihr auf. „Halt jetzt still. Nicht, das ich dich verletze, wenn ich dir die Fesseln durchschneide.“, flüsterte er. Dann schnitt er Tanet die Fesseln durch. Danach war Elenia dran. Als nächste Liasanya. Keoga kam ganz am Schluss. Tosh Kamar passte dies gar nicht. Irgendwer musste ihn verraten haben. Golban war es nicht, denn der hatte ihn ja aus seinem Gefängnis befreit. Er stand zwar noch in Wiolettas Diensten, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die dritte Königin Oamarus dahinter kommen würde, dass es ausgerechnet der Hauptmann ihrer Garde war, der Tosh Kamar geholfen hatte. Und der böse Herrscher wusste nur zu gut, was Verrätern blühte, die mit ihm, Tosh Kamar, gemeinsame Sache machten. Sollte Golban als Verräter enttarnt werden, dann würde er Nagoromoto, dem Vulkangott geopfert werden. Außer sich vor Schmerzen, suchte der Böse das Weite. Golban wartete auf ihn am Fuße des Berghangs, auf dem Tosh Kamar gestanden hatte. „Herr! Ihr seid ja verletzt!“, sagte er. „Das war einer von Tanets Raben. Das Mistvieh hat mir ein Auge ausgehackt.“ „Da sind aber noch mehr Wunden in eurem Gesicht, Herr!“ „Tanet, dieses Miststück, hat einen ganzen Schwarm Raben auf 74 uns losgelassen. Und als wäre das noch nicht genug, sind die Berserker Keoga und Liasanya zu Hilfe gekommen. Irgendwer hat den Berserkern unsere Pläne verraten.“ „Da fällt mir nur einer ein, Herr.“ „Wer?“ „Beowulf, mein Herr und Gebieter. Im Palast kursiert das Gerücht, dass er eine Liebesaffäre mit Giselle, Königin Wiolettas Zofe hat.“ „Hast Du ihn befragt?“ „Wir haben sogar seine Kammer in der Kaserne auf den Kopf gestellt. Aber nichts gefunden. Allerdings muss ich ehrlich einräumen, dass Beowulf nicht der Einzige ist, den ich in Verdacht habe.“ „Wen noch?“ „Einen Soldaten mit Namen Batista. Er ist zur Hälfte ein Berserker. Und noch etwas macht ihn zum Hauptverdächtigen.“ „So. Und was, wenn ich fragen darf.“ „Als eure Pläne, Keoga und seine Frau gefangen zu nehmen, entdeckt wurden, ist Batista sofort desertiert und nach Aoraki zurückgekehrt. Wir haben seine Kammer von oben bis unten durchsucht und ein Notizbuch gefunden. In dem sämtliche Wege, und Standorte der Kula-Krieger verzeichnet waren.“ „Hat er Aoraki erreicht?“ „Nein, Herr. Wir konnten ihn abfangen. Aber bevor wir seiner habhaft werden konnten, hat er einige Dokumente in eine Flasche gepackt, und diese ins Wasser geworfen. Und zwar genau an der Stelle, an der eine separate Strömung nach Aoraki abzweigt.“ „Und Du glaubst, dass die Flaschenpost Nordin erreicht haben könnte?“ „Ich bin mir sogar ziemlich sicher, Herr. Denn sonst wären die Berserker nicht so schnell hier gewesen. Sie kamen, noch bevor Keoga und Liasanya auf Oamaru eintrafen.“ „Nun gut. Lass uns verschwinden. Und sieh zu, dass Du nicht auffliegst.“, sagte Tosh Kamar. „Habt keine Furcht, Herr. Ich weiß unser Geheimnis zu hüten.“ „Wie ist Batista eigentlich gestorben?“, fragte der böse Herrscher nach. 75 „Wir haben ihn an die Haie verfüttert.“ „Eine gerechte Strafe für diesen Verrat.“ Im Dorf der Kula hatten deren Krieger die Waffen gestreckt. Denn gegen die überlegenen Berserker war jeder Widerstand zwecklos. Der Schamane des Dorfes, ein loyaler Gefolgsmann Tosh Kamars, war alles andere als zufrieden. Er hätte es lieber gesehen, wenn die Krieger der Kula gekämpft hätten. Doch der Schamane wusste genau, dass die Berserker die Krieger des Dorfes im Handumdrehen aufgerieben hätten. „Seit wann seid ihr hier?“, fragte Keoga Nordin. „Seit vier Tagen.“ Liasanya runzelte die Stirn. „Wieso denn das?“, wollte sie wissen. „Vor einer Woche erreichte mich eine Nachricht per Flaschenpost. Offenbar war der Absender auf dem Weg zu uns, damit wir euch warnen. Aber so wie die Dinge stehen, wurde er gefasst.“ „Deshalb hat er die Dokumente in die Flasche gesteckt und diese dem Meer übergeben.“, sagte Elenia. „So ungefähr. Aber es dürfte euch interessieren, wer den Verfasser der Nachricht abgefangen hat.“ „Lass mich raten: Tosh Kamar?“, sagte Tanet. „Es war zumindest sein Schiff, das meine Spione beobachtet haben. Aber er selbst war nicht an Bord.“ „Wer dann?“ Liasanya hatte diese Frage gestellt. „Meine Spione haben mir berichtet, dass Golban auf dem Achterdeck der „Walbur“ gestanden hat.“ Keoga machte ein überraschtes Gesicht. „Wie sicher ist die Information?“ „Golbans Wuschelkopf ist unverkennbar und seine Gesichtsmatratze auch.“, sagte Nordin. „Mich würde vor allem eines interessieren.“ „Was denn, Liebling?“, fragte Liasanya. „Was in den Dokumenten stand, die Nordin zugespielt wurden.“ „Ganz einfach. Aus den Dokumenten ging hervor, dass Golban Tosh Kamar aus seinem Gefängnis befreit hat. Der unbekannte Informant hat außerdem herausgefunden, dass unser böser Freund, die Kula, so heißt der Stamm, in dessen Dorf wir uns gerade befinden auf seine Seite gezogen hat. Er hat dem Schamanen sogar einen Platz in seinem Kabinett angeboten, wenn er auf der Kleeblattinsel herrscht. Dafür sollten euch die Kula gefangen nehmen.“ „Tosh Kamar war ja auf Rache aus.“, warf Tanet ein. „Das ist richtig. Aber weil Keoga ihm Liasanya vor der Nase weggeschnappt hat, wollte er sich zuerst an ihm rächen. Wenn er Liasanya nicht haben kann, soll sie Keoga auch nicht bekommen.“ Der Schamane der Kula meldete sich zu Wort. „Es ist doch sowieso schon alles verloren. Oamaru wird im Meer versinken. Tosh Kamar wird nicht zulassen, dass der Opal wieder zurück gebracht wird.“, sagte er. „Hat dich jemand nach deiner Meinung gefragt?“ „Nein.“ „Dann halt gefälligst den Mund.“, fuhr ihm Nordin über den Mund. „Golban ist doch der Hauptmann von Königin Wiolettas Garde.“ „Ja. Warum fragst Du, Elenia.“ Tanet hatte die Banshee angesprochen. „Wenn er Tosh Kamar wirklich befreit hat, ist das Verrat. Und laut Tosh Kamars Aussage weiß Königin Wioletta bereits davon. Stellt sich die Frage, warum sie Golban nicht gleich hat verhaften lassen.“, sagte Keoga mit einem Stirnrunzeln. Die Antwort auf seine Frage lieferte der Schamane der Kula. „Weil sie keinen besseren Krieger hat.“, sagte er. „Dich hat keiner gefragt!“ Elenia hatte den Schamanen angeschnauzt. Es war Abend geworden und Keoga, seine Frau Liasanya, seine Beraterin Elenia und Tanet, seine beste Spionin und Späherin, hatten Nordins Einladung, in seinem Lager zu übernachten, angenommen. Der Häuptling der Berserker wollte nach dem Überfall der Kula kein Risiko mehr eingehen. Am nächsten Morgen ging die Reise weiter. Der Weg der Gruppe führte durch das Gebiet eines anderen Stammes. Als Keoga und seine Begleiter eine Schlucht erreichten, standen auf den Felsen die Krieger des Stammes, ihre Speere auf die Fremden gerichtet. Keiner traute sich zu bewegen. Jeder wusste, dass eine unbedachte Bewegung einen Speerhagel der Krieger bedeuten würde, den keiner überleben würde. Der Stammesführer stand auf einem kleinen Hügel am Eingang der Schlucht. Er war ein großgewachsener, muskelbepackter Mann mit dunkler Haut. Keoga sah ihm in sein markantes Gesicht. In seinen Augen konnte der Großkönig von Tangaroa Misstrauen erkennen. Auffällig waren auch der weiße Stern auf der Brust des Häuptlings und die blonden Haare, die der Anführer zu einem Zopf gebunden hatte. Liasanya fiel die breite Nase des Häuptlings auf, über die ein weißer Strich bis zum Nasenbein verlief. Am Haaransatz trug der Stammeshäuptling ein aufgezeichnetes weißes Dreieck. Während seine Krieger barfuß ihre Posten bezogen hatten, trug der Häuptling leichte Ledersandalen. Der Lendenschurz aus Büffelleder war mit dem seiner Krieger identisch. Allerdings waren beim Anführer goldene Ornamente eingenäht und den Seiten Fransen aus Büffelhaar. Tanet fiel der kurz geschnittene, blonde Kinnbart des Häuptlings auf. Schließlich erkannte Keoga, wen er da vor sich hatte. Es war Quina, der Häuptling der Hoda. Er war ihm bei seiner Flucht vor Tanet begegnet. Und offenbar hatte Quina ihn ebenfalls erkannt, denn ein breites Lächeln trat in sein Gesicht. Dann schlug er mit seinem Speer gegen seinen Schild. Ein zweites Mal, wie Afrodita vor zwei Monaten. Und bald hallte das Stakkato der Krieger, die ihre Speere gegen ihre Schilde schlugen von den Wänden der Schlucht wieder. Begleitet von den Hoda setzte die Gruppe ihren Weg fort. Quina ging neben Keoga. „Vor drei Monaten hattest Du noch Angst vor dieser Frau.“, sagte er und deutete mit einem Kopfnicken auf Tanet. „Da wusste ich noch gar nicht, wer sie ist, und was sie für Fähigkeiten hat.“ „Aber jetzt weißt Du es.“ „Allerdings. Tanet ist die beste Spionin und Späherin in diesen Breiten.“ Nun meldete sich Liasanya zu Wort. „Stimmt es eigentlich, dass Königin Wioletta Golban nicht los wird?“, fragte sie. „Bedauerlicherweise ja. Golban weiß, was ihn erwartet, wenn er seinen Posten als Hauptmann der Garde verliert.“ „Nehmen wir mal an Königin Wioletta würde es gelingen, Golban von seinem Post abzuberufen, was würde passieren?“, fragte Liasanya Quina. „Er würde Nagoromoto, dem Vulkangott geopfert.“ „Könntest Du dir vorstellen, Golbans Posten zu übernehmen, wenn man 76 ihn dir anbieten würde?“, fragte Elenia den Anführer der Hoda. „Nein. Aber mein Sohn wäre der ideale Mann für den Posten. Allerdings braucht er noch Nachhilfe in Sachen Schwertkampf. Er weiß zwar, was ein Schwert ist, aber er kennt die Unterschiede zwischen den verschiedenen Schwertarten nicht.“ „Wenn es weiter nichts ist. Ich helfe ihm, wenn er es wünscht.“, sagte Keoga. „Du nimmst mir echt eine Last von der Schulter, Keoga.“ „Habt ihr einen Übungsplatz bei euch im Dorf?“ „Leider nein. Der Platz reicht einfach nicht aus. Aber ich weiß, dass es im Palast von Königin Wioletta einen solchen Platz gibt.“, sagte Quina. „Und dort wird sich Golban aufhalten.“ „Woher weißt du das nur, Schatz?“, fragte Keoga seine Frau. „Golban ist ein Krieger durch und durch. Ich habe ihn beobachtet, als ich bei Iduna zu Gast war. Er hat jede freie Minute damit verbracht um zu trainieren.“ Es war Abend geworden, als man das Dorf der Hoda erreicht hatte. Keoga, Liasanya, Elenia und Tanet bekamen drei Zimmer im oberen Stockwerk des Gästehauses zu gewiesen, während die Berserker auf eigenen Wunsch im unteren Stockwerk untergebracht wurden. In der Kaserne in Wiolettas Palast saß Golban in seinem Quartier. Er wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis seine Herrin einen geeigneten Kandidaten für seinen Posten gefunden hätte. Dann würde sie ihn ohne mit der Wimper zu zucken als Hauptmann abberufen und durch seinen Nachfolger ersetzen. Und danach würde er unverzüglich Nagoromoto geopfert. Bisher hatte Golban dieses Schreckensszenario abwenden können, indem er alle Anwärter im direkten Zweikampf besiegt hatte. Doch der Hauptmann wusste, dass Quinas Sohn durchaus die Fähigkeiten besaß um die Garde seiner Herrin anzuführen. Doch er war ungeübt im Schwertkampf. Hier lag vielleicht seine Chance, Akushi zu schlagen. Außerhalb des Hoda-Dorfes hatte Keoga einen Platz gefunden, an dem er mit Akushi, Quinas Sohn trainieren konnte. Einige der Berserker hatten ihm ihre Schwerter geliehen, damit er seinem Schüler die Unterschiede erklären konnte. Zuerst ließ der Großkönig von Tangaroa Quinas Sohn die Waffen in die Hand nehmen, um herauszufinden, welche vom Gewicht und von der Balance am Besten zu Akushi passte. Ein Schwert mit langer, dünner und gerader klinge und einem Griff aus reinstem Elfenbein passte perfekt. Die Klinge war aus dem flexiblen aber dennoch robusten Damaststahl geschmiedet. Dieses Schwert 77 hatte Keoga in der Waffenkammer seines Palastes gefunden. Einst hatte es Walbur gehört. Sein Nachfolger wollte Walburs Andenken auf ewig auslöschen. Nichts sollte an den verhassten Großkönig erinnern. Und da war es für Keoga naheliegend, auch das alte Schwert seines Vorgängers aus den Händen zu geben, was ihm nicht besonders schwer fiel. Quinas Sohn Akushi war fasziniert von der Waffe. „Willst du es haben?“, fragte ihn Keoga. „Wenn es euch nichts ausmacht.“ „Ich schenke es dir.“, sagte Keoga „Danke, Mylord Keoga.“ „Nichts zu danken, Akushi. Ich trenne mich freiwillig davon.“ Das überraschte den jungen Hoda. „Herr, Ihr schenkt mir… ein so kostbares Schwert. Werdet Ihr es nicht bereuen?“, fragte er verlegen. „Ich würde es bereuen, wenn ich es behalten würde.“ „Verbindet Ihr… schlechte Erinnerungen mit dem Schwert?“, fragte Akushi. „Vielmehr mit seinem Besitzer. Einst war er mein Freund. Zuletzt war er mein Feind.“ „Denkt Ihr, dass ich dieses Schwertes würdig bin?“, fragte Akushi Keoga. Liasanya erschien auf dem Trainingsplatz. Sie hatte Akushis Frage an ihren Gatten mitgehört. „Ich wüsste niemanden, der dieses Schwertes würdiger wäre als du.“, sagte sie. 15. September 1712 vier Monate nach dem Raub des großen Feueropals Keoga und Nordin hatten Quinas Sohn Akushi im Schwertkampf unterwiesen und all ihr Wissen und Können an ihn weitergegeben. Auch Andelka, Mitglied der Schwesternschaft der Jägerinnen von Conacht und Königin Chiara, die Anführerin der Walküren hatten den Häuptlingssohn unterrichtet, sodass er es nun ohne Weiteres mit Golban aufnehmen konnte. Nach der Abfahrt des Flaggschiffs der Walküren, waren Keoga und die anderen aufgebrochen. Quinas Sohn hatte sich ihnen angeschlossen. Der Häuptling der Hoda war traurig, dass sein Sohn das Dorf verließ. Doch Quina war sich bewusst, dass es für Akushi an der Zeit war, seinen eigenen Weg zu gehen und sich weiterzuentwickeln. Der Weg zu Königin Wiolettas Palast führte die Gruppe durch einen dichten Wald. Ab hier hieß es Vorsicht walten zu lassen und die Augen offen zu halten. Denn hier trieben marodierende Schurken ihr Unwesen. Tanet hatte Odin 78 Und Frigga, ihre Raben, aufsteigen lassen. Sobald einer von den beiden zweimal krächzte, war Gefahr im Verzug. Die Gruppe hatte den Wald zur Hälfte durchquert, als Frigga das Signal gab. Keine zwei Minuten später sprangen 86 Schurken aus dem Unterholz. Ihr Anführer trug einen Piratensäbel mit gravierter Klinge, die eine Länge von 72 cm hatte. Der Bandenchef blickte aufmerksam vom einen zum anderen. Elenia und Tanet schenkte er keine Beachtung. Doch ausgerechnet an Liasanya blieb sein Blick haften. Dann zeigte er mit dem Finger auf sie. „Sie! Sie will ich haben! Gebt mir die Frau und ich gewähre euch freien Abzug.“, sagte er mit einer tiefen Reibeisenstimme. Doch Keoga dachte gar nicht daran, auf die Forderung des Schurken einzugehen. Energisch schüttelte er den Kopf. „Ich denke gar nicht daran, dir Tangaroas Großkönigin zu übergeben. Ich Keoga, Großkönig von Tangaroa habe gesprochen!“ „Sieh an! Sieh an! Da verweigert uns jemand den Tribut. Männer! Wir wollen ihm zeigen, was es heißt uns zu verweigern, was uns zusteht!“ Die Schurken zogen ihre Waffen. Doch in dem Augenblick stieß Nordin den Schlachtruf der Berserker aus. „GNALI!“, rief er. Die Berserker machten mit den Schurken kurzen Prozess. Die, die überlebten, suchten schleunigst das Weite. Nur der Anführer blieb zurück. Dieser war in keinster Weise bereit, sich zu ergeben. Er bebte vor Zorn. „Ich ziehe meine Tributansprüche auf deine Frau nicht zurück! Rück sie raus, oder stirb!“, sagte der Schurke. „Das hat schon mal jemand versucht. Und weißt du was? dieser Jemand betrachtet sich die Radieschen von unten.“ Keoga wollte sein Schwert ziehen. Doch Akushi hielt ihn zurück. „Lass stecken. An dem Rotzlutscher brauchst du dir nicht die Finger schmutzig zu machen.“, sagte er. Quinas Sohn zog, das Schwert, das Keoga ihm geschenkt hatte. „Netter Tortensäbel. Wem hast du den denn geklaut?“ „Ich habe ihm die Waffe geschenkt. Sie hat meinem Vorgänger Walbur gehört.“, sagte Keoga. „Ist das der Bursche, den du getötet hast?“ 79 „Ja. Und er war einer wie du. Einer, für den Gesetze gar nichts bedeuten.“ „Schluss mit dem Gequatsche. Jetzt wird gekämpft.“, sagte der Schurke. Dann stürmte er, seinen Säbel über dem Kopf schwingend, mit einem lauten Brüllen auf Akushi zu und somit in sein Verderben. Denn der junge Hoda hatte erkannt, dass sein Gegner ihm eine offene Angriffsfläche bot. Quinas Sohn wirbelte das Schwert ein paar Mal durch die Luft, ehe er einen diagonalen Hieb von rechts nach links auf die Kehle seines Kontrahenten setzte. Dann wiederholte er die Attacke von links nach rechts. Und wieder ein Treffer. Akushi beobachtete, wie sich die Augen des Schurken brachen, ehe er zur Seite stürzte und tot liegen blieb. Die Reise ging weiter. Am Rande des Waldes entdeckte Elenia die Pferde der Räuberbande. „Vielleicht sollten uns die Pferde nehmen, denn dann würden wir schneller voran kommen.“, schlug sie vor. Doch es war Tanet, die einen Einwand vorzubringen hatte. „Ich will deinen Vorschlag nicht schlechtreden. Wir wären in der Tat schneller, wenn wir reiten würden. Allerdings wäre es ratsam, die Tiere vorher noch einmal zu überprüfen. Vielleicht tragen sie ja Brandzeichen.“ Elenia sah sie mit einem Stirnrunzeln an. „Tut mir leid, aber ich kann dir nicht ganz folgen.“ „Tragen die Pferde ein Brandzeichen, dann gehören sie jemandem.“, sagte Tanet. Bei Liasanya fiel der Groschen. „Du meinst, diese Pferde könnten Diebesgut sein?“, fragte sie Tanet. „Möglicherweise. Haben sie ein Brandzeichen, sollten wir die Tiere nur bis zum nächsten militärischen Außenposten mitnehmen und dort dann abgeben.“ „Und wenn sie keins haben?“, fragte Elenia. „Dann haben wir nichts zu befürchten. Immer vorausgesetzt, dass die Zeichen nicht durch einen Zauber vor unseren Augen verborgen sind.“ Nachdem Tanet die Herde genau untersucht, und keine Brandzeichen entdeckt hatte, gab sie Entwarnung. „Die Tiere sind nicht markiert. Wir können sie nehmen.“, sagte sie. Nun ging die Reise zu Pferd weiter. Leirds Tochter hatte wieder ihre Raben aufsteigen lassen. Und dieses Mal war sie im Geist mit den Vögeln verbunden. Der Weg führte über eine weite Graslandschaft. Vereinzelt waren Bäume zu sehen. Gegen Mittag machte die Gruppe an einem Bach Rast. In der Ferne 80 war eine Stadt zu sehen. Odin und Frigga waren dorthin geflogen und beobachteten das Geschehen von verschiedenen Plätzen aus. Durch die Augen ihrer Raben wusste Tanet, dass sich Golban in der Stadt aufhielt. Doch sie erfuhr noch weit mehr als das. Golban traf sich mit einem Fremden auf dem großen Marktplatz. Ohne es zu wissen, bewegten die beiden sich in Friggas Blickfeld. Das Rabenweibchen legte den Kopf schief und hörte aufmerksam zu. Durch ihre geistige Verbindung zu Odin und Frigga konnte Tanet sogar hören, was Golban, der Verräter, und der Fremde miteinander sprachen. „Ihr solltet doch nicht herkommen, mein Herr und Gebieter.“, sagte Golban zum Fremden, der sein Gesicht unter einem beigen Kapuzenmantel verborgen hielt. „Ich weiß Golban. Aber ich habe wichtige Neuigkeiten für dich. Zu wichtig, um einen Boten zu schicken.“ „Was meint ihr, Herr?“ „Ich meine, dass Keoga und Nordin Quinas Sohn Akushi im Schwertkampf unterwiesen haben. Der Junge trägt das ehemalige Schwert von Walbur, dem ersten Großkönig von Tangaroa. Keoga hat es ihm geschenkt.“, sagte der Fremde. „Ich verstehe, Tosh Kamar, mein Herr und Meister.“ „Du sollst mich doch nicht öffentlich mit meinem Namen ansprechen, du Pflaume. Du weißt doch, dass Wiolettas Spione überall lauern.“, sagte Tosh Kamar. „Bitte um Vergebung, Herr.“ „Das Keoga und der Häuptling der Berserker den jungen Hoda im Schwertkampf unterwiesen haben, kann nur eines bedeuten, Golban.“ „Was Herr?“ „Akushi soll dich als Hauptmann von Wiolettas Garde beerben. Denn nur so kann sie dich aus deinem Amt drängen. Und welche Konsequenzen sich für dich daraus ergeben, brauche ich ja nicht extra zu erwähnen, Golban.“ „Was wünscht Ihr, soll ich jetzt tun, Herr?“, fragte Golban. „Ich nehme an, dass Königin Wioletta dich von allen Sitzungen der Garde mit ihr ausgeschlossen hat.“ „So ist es, Herr. Sie lässt mich keine Sekunde mehr aus den Augen. Und jeden Tag fällt es mir schwerer, mich dieser Überwachung zu entziehen.“, sagte Golban. „Das ist ärgerlich. Aber jetzt hör gut zu. Du hältst weiterhin im Palast die 81 Augen offen. Schick mir wie immer einen schriftlichen Bericht.“ „Das wird nicht mehr möglich sein, mein Herr und Gebieter.“, sagte Golban. Tosh Kamar sah ihn erstaunt an. „Wieso nicht?“, fragte er. „Weil Königin Wioletta erst heute Morgen per Erlass angeordnet hat, dass die Schreibstube ab sofort für mich tabu ist. Sie schränkt meine Bewegungsfreiheit im Palast immer weiter ein.“ „Das ist alles andere als erfreulich. Aber jetzt geh zurück, damit die Königin keinen Verdacht schöpft.“ Tanet hatte genug gehört. Doch sie wollte ihre beiden Raben noch nicht zurückbeordern, da sie befürchtete, Tosh Kamar, könnte zumindest Frigga etwas antun, als Rache für das ausgehackte Auge. Sie wartete noch ab, wie der böse Herrscher in einer Wolke aus Nebel verschwand. Denn Golban war schon in der Menschenmenge untergetaucht. Erst als sie sicher sein konnte, dass keine Gefahr mehr für ihre beiden Vögel bestand, rief Tanet Odin und Frigga zurück. Mit ihren magischen Fähigkeiten beschleunigte sie die Rückkehr der beiden. Als Odin und Frigga auf Tanets linkem Arm gelandet waren ging die Reise weiter. Liasanya ritt neben Tanet. „Hast du irgendwas wichtiges erfahren?“, fragte Tangaroas Großkönigin ihre engste Vertraute. „Ich habe ein Gespräch zwischen Tosh Kamar und Golban, diesem Verräter belauschen können. Königin Wioletta misstraut dem Hauptmann ihrer Garde. Seit heute darf Golban die Schreibstube nicht mehr betreten. Wioletta selbst das dies per Erlass angeordnet.“ Elenia meldete sich zu Wort. „Golban war sicher nicht der einzige Verräter.“, sagte sie. „Was macht dich da so sicher?“ „Weil vier Leute notwendig sind, um diesen Bannzauber aufzuheben.“ „Dann dürften die anderen drei Verräter unter den anderen drei Königinnen dienen. Habe ich Recht, Elenia?“, sagte Keoga. „Genau so ist es. Jeder hat den Rang des Hauptmanns der Garde inne.“ „Jetzt wird mir einiges klar. Als Hauptmann der Garde gehören diese Bastarde zum innersten Zirkel der Königinnen.“, sagte Liasanya. „Ob Königin Jelena, Königin Shakira und Königin Eliska wissen, dass 82 ihre engsten Vertrauten Verräter sind?“ „Wenn Tosh Kamar es ihnen gestanden hat, dann ja. Aber wenn er es den verbliebenen drei Königinnen verschwiegen hat, und davon gehe ich aus, dann werden sie im Dunkeln tappen.“, sagte Tanet. Am Abend, die Sonne hatte angefangen am Horizont unterzugehen, erreichten die Reisenden ein Landhaus, das am Rande eines Waldes lag. Tanet schickte dieses Mal jedoch Geisterraben als Späher zu dem Haus. Auch mit ihnen war Liasanyas engste Vertraute im Geist verbunden. Durch die Augen der Geisterraben sah Tanet das Innere des Hauses. Dort war alles in schwarz gehalten. Überall an den Wänden hatte man rote Spinnensymbole aufgemalt. „Loki, flieg nach oben und sieh in den dortigen Gemächern nach. Heimdall, du übernimmst den Keller.“, sagte Tanet. „Wie Ihr befehlt.“ Doch die beiden Geisterraben konnten nichts Verräterisches entdecken, was in irgendeiner Form auf Gefahr hingewiesen hätte. Allerdings waren Loki und Heimdall auch nicht davon überzeugt, dass überhaupt keine Gefahr drohte. Der erste der beiden Geisterraben, Loki, beschloss noch einmal unter dem Dach nachzusehen. Er setzte sich auf einen Dachbalken und begann mit seinem geistigen Auge die Umgebung abzusuchen. Er fand eine geheime Tür. Doch was sich dahinter verbarg, wurde durch einen starken Bannzauber vor seinen Blicken verborgen. Frustriert verließ Loki seinen Beobachtungsposten. Gerade noch rechtzeitig. Denn von unten kletterte eine andalusische Trichternetzspinne nach oben um den Vogel zu stellen. Das Insekt hatte den Vogel fast erreicht, als sich dieser in die Lüfte erhob und durch das Dachfenster entkam. Die Spinne stieß einen lauten Wutschrei aus. „Verdammt! Dieser Vogel ist mir entwischt!“, fluchte sie. Loki und Heimdall waren inzwischen zu Tanet ihrer Herrin zurückgekehrt. „In dem Haus ist irgendwas faul.“, sagte Loki. Heimdall ergänzte: „Überall wurden starke Bannzauber gewirkt. Wer auch immer dort wohnt, hat etwas zu verbergen.“ Tanet verstand die versteckte Warnung und erschuf mit ihren magischen Kräften einen Schutzwall, der das Lager umschloss. Nach dem Abendessen machte sich die Gruppe fertig für die Nacht. Einige der Berserker patrouillierten im Lager, andere waren als Wachtposten eingeteilt. Nordin übernahm die erste Wache und wurde nach Einbruch der Dunkelheit von Elenia abgelöst. Kurz vor Mitternacht löste Tanet die Banshee ab. „Alles soweit ruhig. Zu ruhig für 83 meinen Geschmack.“, sagte Elenia. „Hat sich im Haus nichts gerührt?“ „Die räuspern sich nicht mal. Ehrlich gesagt wärs mir lieber, wenn sie Theater machen würden.“ „Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, Elenia. Dein Wunsch könnte nämlich schneller in Erfüllung gehen, als dir lieb ist.“ Auch Tanets Wache blieb ruhig. Odin und Frigga, ihre beiden Raben, behielten den Wald im Auge, während Loki und Heimdall, die beiden Geisterraben das Haus beobachteten. Als am nächsten Morgen die Sonne aufging und den Boden wärmte wehte eine leichte und warme Brise die Gerüche des Waldes in die Nasen der schlafenden Reisenden. Es duftete nach Ahorn, Pinie, Tanne und Buche. Ein paar Sonnenstrahlen berührten Liasanyas Haut und spendeten Wärme. Die junge Großkönigin erwachte und sah sich aufmerksam um. Sie entdeckte eine Frau, die ebenso in schwarz gekleidet war, wie Tanet. Allerdings hatte sie schwarze Haare, statt braune wie ihre Freundin und engste Vertraute. Rasch weckte sie die anderen. „Los aufwachen! Wir haben Besuch!“, sagte sie leise. Tanet war als erste wach. „Wer beehrt uns denn schon so früh mit seiner Anwesenheit?“ „Eine Frau. Sie ist genauso in schwarz gekleidet wie du. Es sieht aus, als ob sie wartet.“ Schließlich waren auch die anderen wach. „Ihr wartet hier. Ich werde unserer unbekannten Besucherin mal auf den Zahn fühlen.“, sagte Tanet entschieden. Odin und Frigga ihre Raben, sowie Loki und Heimdall ihre Geisterraben, begleiteten sie. „Willkommen in der Heimat, Tochter. Du warst sehr lange weg.“, sagte die unbekannte Besucherin. „Wer bist du?“ „Ich bin Estra, deine Mutter.“ „Und was willst du?“, fragte Tanet distanziert. „Du hast dich verändert. Früher hättest du nicht so mit mir gesprochen.“ 84 „Ich bin älter geworden. Und reifer. Ich habe Dinge gesehen, die kein normal sterblicher je sehen wird. Und ich weiß jetzt was es bedeutet, Freunde zu haben.“ Estra runzelte die Stirn. „Aber hier hattest du doch auch Freunde.“ „Spielgefährten vielleicht. Aber keine Freunde. Liasanya, Keogas Gemahlin und Großkönigin von Tangaroa vertraut mir bedingungslos. Und ich vertraue ihr.“ Tanet wandte sich zum Gehen. „Warte!“, rief Estra ihr nach. Ihre Tochter drehte sich noch einmal um. „Was ist denn noch?“, fragte Tanet. „Ich wollte dich nicht kränken. Du hast deinen Weg gewählt. Und nur du allein weißt, warum.“ „Und ich bereue es nicht, Oamaru verlassen zu haben. Ich habe meinen Platz gefunden.“, sagte Tanet. Estra verstand, was Tanet meinte. Ihr fiel die alte Prophezeiung ein, in der es hieß, dass ihre und Leirds Tochter, dem Weg des Spinnenkultes nicht folgen, sondern ihren eigenen gehen würde. Die Prophezeiung hatte sich erfüllt. Tanet war ihren eigenen Weg gegangen. Und sie war glücklich damit. Doch so einfach wollte sie ihre Tochter Tanet dann doch nicht ihres Weges ziehen lassen. „Was ist mit deinem Eichenstab passiert?“, fragte Estra Tanet. „Ein Krieger der Kula hat ihn zerbrochen und ins Feuer geworfen.“ „Nun denn. Ich sehe, dass du und deine Freunde weiter ziehen wollt. Euer weiterer Weg führt euch durch den Wald. Doch wisse Tanet, dass die Krieger der schwarzen Spinne von jedem eine Prüfung fordern, der ihr Reich durchqueren will.“ Die Reise ging weiter. Die Gruppe hatte gerade den Rand des Waldes erreicht, als eine Patrouille von Spinnenkriegern den Weg versperrte. Der Anführer verneigte sich leicht. „Ich nehme an, dass ihr durch unseren Wald reisen müsst.“, sagte er. „Das hast du sehr richtig erfasst.“ „Ihr seit mit unseren Gesetzen vertraut?“ „Zumindest ich kenne sie.“, beantwortete Tanet die Frage. „Dann weißt du auch, dass wir eine Prüfung einfordern können, Tanet.“ 85 „Sicher. Und ich nehme diese Prüfung auf mich.“ „Nein, Tanet. Wir haben jemand anderen für diese Aufgabe ausgewählt.“, sagte der Soldat. Keoga wurde hellhörig. „Wen?“, fragte er. „Wir haben entschieden, dass die Großkönigin von Tangaroa sich dieser Aufgabe zu unterziehen hat. Sie muss mit bloßen Händen, und ohne den Einsatz magischer Kräfte mit der schwarzen Spinne kämpfen.“ In Keogas Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. „Da steckt doch Tosh Kamar dahinter.“, sagte er. Doch wieder war es Tanet, die das Wort ergriff. „Nicht so hastig. Ein anderes Gesetz besagt, dass einem Reisenden seine Prüfung erlassen wird, wenn er in der Lage ist, der schwarzen Spinne ein Opfer darzubringen.“ „Das ist wahr. Doch wen wollt ihr opfern?“, fragte der Soldat. Keoga wandte sich nun an ihn. „Muss das Opfer denn nun menschlich sein, oder geht auch etwas Tierisches?“ „Die schwarze Spinne akzeptiert nur Menschenopfer.“, beantwortete Tanet seine Frage. Keoga dachte angestrengt nach. Er konnte es unmöglich zulassen, dass Liasanya starb. Das Knacken eines Zweiges riss ihn aus seinen Gedanken. Tangaroas Großkönig wechselte einen Blick mit seiner Ratgeberin. Elenia, die Banshee, nickte. Leise glitt sie von ihrem Pferd und gab Nordin unauffällig ein Zeichen. Der Berserker nickte kurz. Als sich die Zweige eines Busches bewegten war er schnell zur Stelle und zerrte einen der verbliebenen Räuber aus dem Gebüsch. Er drückte den Mann an einen Baum. „Wer hier schmult, wird angenagelt.“, sagte er grob. „Da habt Ihr euer Opfer.“ Der Soldat wollte etwas erwidern, doch Elenia kam ihm mit einer gebieterischen Geste zuvor. „Entweder ihr akzeptiert das Opfer, oder der Zorn Elenias wird euch treffen.“, sagte sie mit Nachdruck. Auf ein Zeichen des Patrouillenführers nahmen zwei Soldaten den Räuber in ihre Mitte. An ihren Gesichtern erkannte Liasanya, dass sie alles andere als begeistert waren. Der Zorn Tosh Kamars würde über diese Männer kommen, 86 weil sein Befehl, Liasanya im Kampf der schwarzen Spinne zu opfern, nicht befolgt worden war. Doch Gesetz blieb nun mal Gesetz. Und auch der böse Herrscher musste diesen Umstand akzeptieren. Die Patrouille verschwand im Wald, während der Anführer zusammen mit zwei weiteren Soldaten die Gruppe auf dem Hauptweg durch den Wald führte, wo sich ihre Wege trennten. Es war Mittag, als Keoga und Liasanya zusammen mit den anderen Königin Wiolettas Palast erreichten. Am Haupttor erwartete sie nicht Golban, wie Keoga eigentlich erwartet hatte, sondern die Königin höchstpersönlich. „Ihr habt aber lange gebraucht. Aber besser ihr kommt spät, als gar nicht.“, sagte sie. „Wir wurden leider ein wenig aufgehalten, Mylady.“ „Ich habe es gehört. Ihr habt richtig entschieden, ausgerechnet Quinas Sohn im Schwertkampf zu unterweisen. Er ist der einzige, der es mit Golban aufnehmen kann.“, sagte Wioletta. „Wo steckt diese miese Kanalratte eigentlich?“ „Auf dem Übungsplatz, wo sonst?“, konterte Tanet mit einer Gegenfrage. „Bitte folgt mir.“ Mit diesen Worten ging Königin Wioletta voran. Keoga, Liasanya, Akushi, Elenia, Tanet und Nordin folgten ihr. Der Rest der Berserker hatte sich bereits auf dem Übungsplatz eingefunden. Golban war nicht sichtlich überrascht, als er Akushi sah. „Also auf Hilfe kann man hier offenbar nicht hoffen.“, sagte er biestig. Der junge Hoda trat ihm gegenüber und zog das Schwert, das Keoga ihm geschenkt hatte. Golban sah ihn geringschätzig an. „Du bist ein Narr, dass du mich herausforderst. Ich werde dich in Scheibchen schneiden und an die Haie verfüttern.“ „Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, du Pappnase.“, hielt Akushi dagegen. Die beiden umkreisten einander, wie zwei rivalisierende Raubtiere, die sich um ein Stück Beute stritten. „Na was ist, Akushi? Greifst du endlich an, oder hast du schon die Hosen voll?“, sagte Golban. Doch wenn er gehofft hatte, Quinas Sohn mit diesem Spruch aus der Reserve zu locken, dann ging seine Rechnung nicht auf. 87 „Wieso sollte ich Angst vor dir haben? Aber so wie ich die Sache sehe, geht dir der Arsch auf Grundeis.“ Der Hauptmann von Wiolettas Garde stürmte nach vorn. Aber er schwang das Schwert nicht über dem Kopf, sondern führte es seitlich. Aber Akushi erkannte die List. Er drehte den Oberkörper leicht nach links und führte sein Schwert in einer vertikalen Aufwärtsbewegung nach oben. Ein lautes Klirren wurde hörbar, als die Klingen der beiden Schwerter aufeinander prallten. Akushi richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Na? Was ist? War das etwa schon alles?“, fragte er spöttisch. „Oh nein! Das war noch lange nicht alles. Solange ich ein Schwert zu führen vermag, wirst du meinen Posten nicht bekommen. Das schwöre ich bei meiner Ehre.“ „Bei deiner Ehre? Hast Du überhaupt noch eine Ehre, die du verteidigen kannst?“ Golban knirschte mit den Zähnen. Erneut war es diesem jungen Hoda gelungen, ihn zu provozieren. Er wusste genau, dass Quinas Sohn ihn so zur Weißglut treiben wollte, dass er einen entscheidenden Fehler machte, der ihm die Niederlage bescheren würde. Also atmete Golban ein paar Mal tief ein und aus. Akushi ärgerte sich darüber. Doch Keoga hatte ihn genau davor gewarnt. „Lass dich durch eine Taktikänderung deines Gegners nie aus der Ruhe bringen. Denn dann weiß er, wo deine Schwachstelle ist. Und dann wird er dort gnadenlos ansetzen.“, hatte Walburs Nachfolger gesagt. Der Kampf dauerte bis zum frühen Abend. Golban verlangte Akushi alles ab. Doch irgendwann war sein innerer Frust größer, als seine Disziplin. „Deine letzten Sekunden sind angebrochen! Gleich ist es aus mit dir!“, schrie er Quinas Sohn ins Gesicht. „Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, du Pappnase!“ Nun verlor der Hauptmann von Wiolettas Garde endgültig die Beherrschung. Er stürmte auf seinen Gegner zu, sein Schwert zum tödlichen Hieb erhoben. Akushi wusste genau, was Golban vorhatte. Er wollte ihm den Schädel spalten. Im letzten Augenblick riss er sein Schwert nach oben. Golbans Klinge zerbrach, als sie auf die Klinge von Walburs altem Schwert aufprallte. Verblüfft schaute er die kläglichen Reste von dem an, was von seinem Schwert noch übrig war. Doch noch ehe sich Golban so richtig von seinem Schock erholt hatte, war Akushi schon da und hielt ihm sein Schwert an die Kehle. „Ich würde sagen, du hast verloren.“, sagte Quinas Sohn. 88 „Nenne mir deinen Namen, junger Hoda.“ „Akushi, Mylady.“ „Kraft meines Amtes, ernenne ich dich, Akushi, Sohn von Quina, zum neuen Hauptmann meiner Garde.“, sagte Wioletta. Golban wusste, dass es vorbei war. Er hatte hoch gepokert, und am Ende stand er vor einem Scherbenhaufen. Auf Befehl der dritten Königin wurden ihm alle Abzeichen von der Uniform gerissen, die ihn als Hauptmann kennzeichneten. Danach wurde er mit Händen und Füßen an einen Bambusstock gebunden. Die zwei stärksten Krieger trugen den Stock, als sich die Prozession, die von Königin Wioletta angeführt wurde, auf den Weg zum Gipfel des Vulkans machte. Tosh Kamar, der sich in seinem unterirdischen Reich aufhielt sah dies mit Sorge. Golban war aufgeflogen und wurde nun seiner gerechten Strafe zugeführt. Doch er wusste genau, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Königin den Schamanen der Kula nach den übrigen Verrätern befragen würde. Am Krater des Vulkans angekommen wurde Golban losgebunden. Königin Wioletta trat noch einmal vor ihn und sah dem Verräter ins Gesicht. „Wie konntest du mich nur so hintergehen? Du warst der beste Hauptmann den ich je hatte. Du hättest es bis zum General bringen können. Aber all das hast du weggeworfen.“ Keoga trat vor und spuckte vor Golban auf den Boden. „Grüß Walbur von mir, wenn du ihm in der Hölle begegnest.“, sagte er und rammte dem Verräter mit voller Wucht den Ellenbogen in die Magengrube. Golban taumelte nach hinten und fiel mit einem lauten Schrei in die Tiefe. Nagoromoto war besänftigt. Doch noch war Tosh Kamar am Leben und solange das so blieb, war Oamaru, die Kleeblattinsel in Gefahr. 89 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)