Just you by my side von ChiaraAyumi ================================================================================ Kapitel 1: Just you by my side ------------------------------ „Da drüben, der aschblonde Typ. Der ist das jüngste Mitglied der Kronenwache in der Geschichte Katolis.“ „Der? Ist er nicht der Sohn von Viren, dem engsten Berater des Königs?“ „Genau der.“ „Dann ist ja klar, warum der so schnell der Kronenwache beitreten konnte.“ „Ich wünschte ich hätte auch einen Papi, der mir eine so hohe Stellung besorgen kann. Ich werde wohl für den Rest meines Lebens ein armer Soldat bleiben.“ „Die richtigen Beziehungen zu haben, macht dir das Leben schon leichter. Dann muss man sich nicht einmal anstrengen.“ „Und eine hübsche Schwester hat er auch noch. Sie ist ein bisschen merkwürdig, aber voll die Schönheit. Der Typ hat so ein Glück. Da wird man glatt neidisch.“ „Pscht, er schaut rüber.“ „Meinst du, er hat uns gehört?“ „Ist doch egal. Arbeite einfach weiter.“ „Aber was ist, wenn er es seinem Vater oder dem König sagt?“ „Pscht!“ „Aber ...“ „Pscht!“ Soren warf einen schnellen Blick zu den tuschelnden Soldaten herüber, die sofort verstummten und sich wieder eifrig ihrer Arbeit zu wandten. Er blickte an sich herunter und betrachtete seine Rüstung und den Mantel mit den Insignien der Kronenwache. Er war unendlich stolz darauf, dass er das jüngste Mitglied der Kronenwache in der Geschichte Katolis war. Er wusste, dass es an seinem Talent lag und nicht an seinen Beziehungen. Dennoch schmerzte es ihn immer wieder das Geflüster zu hören und die neidischen Blicke auf sich zu spüren. Er wollte sich umso mehr beweisen, um so mehr zeigen, dass er seinen Platz verdient hatte. Soren setzte sein breitestes Grinsen auf und kam zu den anderen Soldaten herüber geschlendert. „Hallo Kameraden, wer will mit mir tauschen, um dem lausigen Stiefprinz Schwertkampf beizubringen?“ Er strahlte alle der Reihe nach an. „Na? Irgendwer? Kommt schon. Es gibt nichts Witzigeres als den Stiefprinzen über sein eigenes Schwert stolpern zu sehen.“ Er unterstrich seine Worte, indem er das komische Gehampel von Prinz Callum nachahmte. Ein paar Soldaten lachten leise, aber die meisten blieben stumm und wandten sich wieder dem Polieren ihrer Schwerter zu oder machten sich auf den Weg das Schloss zu patrouillieren. „Keiner?“, fragte Soren noch einmal in die Runde, doch niemand antwortete ihm oder sah zu ihm auf. Wie immer mieden sie seinen Blick. Er konnte es ihnen nicht verübeln. Im Gegensatz zu ihnen hatte er fast sein ganzes Leben im Schloss verbracht und war dort aufgewachsen. Deswegen sahen sie in ihm keiner der ihren. Aber so leicht gab er sich nicht geschlagen. Er würde es immer wieder versuchen und irgendwann würde er mit ihnen zusammen sitzen. Dann würden sie gemeinsam lachen und er würde ihnen seine besten Geschichten präsentieren. Schließlich hatte es schon mal funktioniert. Er hatte schon einmal einen Freund gefunden. ~~~ Mit zwölf Jahren hatte Soren im Training alle anderen seiner Altersgruppe längst überflügelt. Er langweilte sich schrecklich, da ihm keiner im Zweikampf mehr Paroli bieten konnte. Die anderen wollten nicht mehr mit ihm trainieren, weil er sie immer besiegte und sie ihm zahlreiche blaue Flecken verdankten. So wurde er immer mehr ausgegrenzt und die Erwachsenen waren ratlos, was sie mit diesem Wunderkind anfangen sollten. Also wurde entschieden, dass er mit den Älteren trainieren durfte, auch wenn sein Vater Sorge hatte, dass er sich übernehmen würde und Einwände dagegen hatte. Soren wollte aber seinen Vater auf jeden Fall stolz machen, daher bestand er darauf mit den jungen Rekruten trainieren zu wollen. Doch als er plötzlich ganz alleine unter den Siebzehn- und Achtzehnjährigen war, war er sich mehr so sicher, ob er mit ihnen mithalten konnte. Sie kamen ihm riesengroß vor und das, obwohl er der Größte in seiner Altersgruppe war. Ihre Arme waren so viel länger als seine und wenn sie das Schwert schwangen, war ihr Radius viel größer als seiner jemals sein konnte. Trotz seines ganzen Trainings – seiner Workouts am frühen Morgen; den Turmtreppen, die er immer rauf und runter lief; den Gewichten, die er bei jeder Gelegenheit stemmte – war er viel schwächer und langsamer als selbst der Schlechteste unter den Rekruten. Sein Vater hatte Recht behalten. Soren hatte sich völlig übernommen. Als Trainingspartner wurde ihm Gren zugeteilt. Der Rothaarigen mit den lustigen Flecken im Gesicht – Sommersprossen wie ihm sein Vater mit mahnendem Ton erklärte – war eher einer der ruhigen Sorte, der kaum sprach und sich immer im Hintergrund aufhielt. Soren konnte ihn am Anfang nicht leiden. Egal was für Witze er machte oder was für Unsinn er trieb, Gren lachte nicht wirklich darüber und ermahnte ihn nicht zu sehr aus der Reihe zu tanzen. Es war ihm sichtlich unangenehm als Sorens Trainingspartner in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt zu werden und sich dumme Kommentare von den anderen Rekruten anhören zu müssen. „Na musst du wieder mit dem Kleinen trainieren?“ „Pass auf, dass der Kleine sich nicht aus Versehen in die Windel macht!“ „Oh, da kommt Gren, der Babysitter.“ Soren verstand gar nicht, warum sich der Rothaarige so klein machte. Er war ein brillanter Schwertkämpfer, der im Gegensatz zu ihm, sogar die Ruhe und den strategischen Blick hatte, um es einmal in der Armee weit zu bringen. Doch Gren ließ immer anderen den Vortritt und fiel so den Ausbildern gar nicht auf, die ihn immer übergingen, wenn es um größere Aufgaben ging. Das wurmte Soren, der begann von Tag zu Tag den Älteren immer mehr zu bewundern. Die Art, wie er ihm geduldig alles erklärte, wie er immer freundlich und positiv blieb und alle mit einbezog, wenn sie Taktiken besprachen, beeindruckte ihn sehr, denn so jemand war ihm noch nicht begegnet. Auch wenn sie ihn ärgerte und aufzogen, mochte alle Rekruten Gren. Und manchmal ganz selten zeigte Gren seine etwas verrückte Seite, die Soren glauben ließ, dass er in dem älteren Kameraden eine Art Seelenverwandte gefunden hatte, der dieselbe Art Humor wie er hatte. Darum wollte er für ihn da sein und ihn unterstützen. „Sag mal Gren, warum bist du eigentlich immer so ruhig?“, konfrontierte ihn Soren einmal nach dem Training. „Sag doch auch mal was! Weil du weißt schon, du hast doch das Talent. Willst du denn gar nicht mal ein Kommandant oder General werden?“ Gren blickte ihn überrascht an. Nervös fuhr er sich durch das Haar. „Ähm, ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass ich das gut könnte.“ „Aber warum nicht?“ „Ich kann nicht so gut mit Worten“, gab Gren an, hielt kurz inne, als überlege er, ob er mehr preisgeben sollte, schwieg dann aber doch. Soren schüttelte den Kopf. Er konnte selbst auch nicht so gut mit Worten. Er war nicht wie sein Vater oder Claudia. Die zwei hatten Köpfchen und waren sowohl charmant als auch einnehmend. Bei ihm kam dagegen nur unverständlicher Blödsinn heraus. „Du kannst viel besser mit Worten als ich“, schlussfolgerte Soren. „Also weil du klingst so erwachsen und vernünftig. Genau wie mein Vater.“ Zum ersten Mal lachte Gren laut auf und wuschelte ihm durchs Haar. „Soren, ich bin ja auch erwachsen. Du kannst bestimmt auch besser mit Worten, wenn du in meinem Alter bist. Und du wirst sicher ein sehr guter Kommandant.“ „Wirklich? Meinst du ich kann ein Mitglied der Kronenwache werden?“ „Sicher so talentiert wie du bist. Du wirst sicher das jüngste Mitglied der Kronenwache in der Geschichte von Katolis!“ Soren strahlte vor Freude. „Und du trittst der Kronenwache auch bei oder? Dann können wir immer zusammen trainieren und ich hätte einen Freund im Schloss. Wir sind Freunde oder?“ Gren nickte. Soren hatte außer seiner Schwester noch nie wirklich einen Freund gehabt, aber in dem Augenblick, wo er beschlossen hatte, dass Gren sein erster richtiger Freund sein würde, hing er dauernd an ihm. In seiner kindlichen Vorstellung malte er sich die Zukunft aus und stellte sich vor, wie er gemeinsam mit Gren den König vor allerlei Gefahren beschützen würde. Sie würde nur zu zweit eine ganze Armee von Drachen besiegen oder sich mit Mondschatten-Assassinen ein Duell liefern. Gren lachte über seine übertriebenen Darbietung dieser Ereignisse und bestärkte ihn, indem er applaudierte und hin und wieder sogar mitmachte. Doch nichts davon trat ein. Eines Morgens kam Gren ihm auf den Trainingsplatz ganz aufgeregt entgegen. So voller Freude und mit einem so großen Strahlen hatte Soren ihn noch nie gesehen. Bevor er überhaupt dazu kam danach zu fragen, platzte Gren mit seiner Botschaft heraus. „Ich trete morgen dem Stehenden Bataillon bei! Ich hab es geschafft. Ich bin jetzt ein richtiger Soldat.“ „Aber … aber wer trainiert dann mit mir?“ Soren war entsetzt. Wollte Gren denn gar nicht mehr der Kronenwache beitreten? Er war doch gut genug dafür. Er hatte es ihm doch versprochen. Gren wollte ihm durchs Haar wuscheln, doch Soren wich ihm beleidigt aus und verschränkte die Arme. Er verstand die Welt nicht mehr. Zum ersten Mal hatte er jemand gefunden, der mit ihm lachte und der ihm ebenbürtig im Schwertkampf war. Die letzten Monate waren wie im Flug vergangen und Soren war nicht mehr so froh gewesen, seit seine Mutter die Familie verlassen hatte. Er merkte wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Nein, er durfte jetzt nicht weinen. „Hey, ehe du dich versiehst bist du das jüngste Mitglied der Kronenwache. Du musst verstehen, dass ich bei General Amaya eine Chance haben mehr als ein Soldat zu sein. Sie hat mich extra angefragt, als ihr Übersetzer. Ich weiß nicht, ob ich es dir erzählt habe, aber meine Eltern sind beide von Geburt an gehörlos und ich war immer für sie da zum Dolmetschen. Ich hab mich immer am glücklichsten gefühlt, wenn ich ihre Brücke zur Welt sein konnte und ihnen damit helfen konnte. Und nun kann ich dasselbe für General Amaya tun. Ist das nicht großartig?“ Soren verzog schmollend den Mund. Nein, das war alles andere als großartig. Obwohl er Amaya immer gemocht hatte, spürte er plötzlich einen Stich in seinem Herzen, als er daran dachte, dass Gren nun an ihrer Seite sein würde. Warum war Amaya nicht in der Kronenwache? Er wollte seinen Freund nicht teilen oder ihn ganz verlieren. „Ach komm schon. Freu dich doch ein wenig für mich“, bat Gren ihn lächelnd. „Du wirst jemand anderes finden, der mit dir trainiert. Versprich mir, dass du dich anstrengst und dir deinen Traum erfüllst, ja?“ Doch Soren wollte nichts versprechen. „Blöder Gren“, dachte er. „Blöde Amaya. Sollen sie doch in den Lavafluss fallen.“ Er streckte Gren die Zunge heraus und eilte eingeschnappt davon, ohne sich noch einmal zu verabschieden. ~~~ „Sorbär. Sorbär! Ey, Soren!“ Die genervte Stimme seiner Schwester schreckte Soren aus seinen Gedanken auf. Sie stand in der Tür zu seinem Zimmer und sah ungehalten aus, da sie kurz davor war, ihm ihr Magiebuch an den Kopf zu werfen. Scheinbar versuchte sie schon eine Weile seine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Was ist Clauds?“, fragte er. Die Erinnerung an Gren verschwand schneller als ihm lieb war und er war wieder ganz in der Gegenwart. „Ah gut. Du bist wieder unter den Lebenden. Ich hatte gerade überlegt in was ich dich verwandeln könnte. Vielleicht einen Hasen? Die haben zumindest größere Ohren.“ Soren grinste. „Dann wäre ich aber nicht mehr Sorbär, sondern Sorhas? Oder Sorsen?“ „Du wärst immer noch derselbe schräge Vogel, der du jetzt schon bist.“ Claudia lachte. „Also kein Bär, kein Hase, sondern ein Vogel? Ich hoffe ich bin wenigstens ein cooler Vogel. Ein Adler, oder oh, ein Falke.“ Er flatterte mit seinen Armen herum. „Hm eher ein ständig plappernder Papagei“, schlug Claudia vor, die sich eine Träne vor lauter Lachen aus den Augen streichen musste, bevor sie wieder ernst wurde. „Vater will dich sehen. Er hat eine Aufgabe für dich. Du sollst dich im Hof einfinden.“ Sein Vater fing Soren kurz vor dem Hof ab und erklärte ihm schnell, was er von seinen Sohn erwartete, bevor sie im Hof auf General Amaya trafen, die sich bereit machte zur Bresche zurückzukehren. Bei ihr war auch Gren. Soren hatte gewusst, dass der Rothaarige zusammen mit Amaya in die Stadt zurückgekehrt war, war ihm aber bis jetzt aus dem Weg gegangen. Wahrscheinlich hatte er deswegen heute an ihn denken müssen, obwohl er versucht hatte, ihn aus seinen Gedanken zu verdrängen. Kaum, dass Amaya durch das Tor war, blieb Soren aber nichts anderes übrig, als sich an Gren zu wenden. „Oh Gren. Es gibt leider eine Planänderung.“ „Was meinst du? Was meint er?“ Gren sah überrascht und ein wenig wütend aus. „Du wirst von der Mission abgezogen. Soren wird sie leiten“, erklärte sein Vater. Soren schwoll vor Stolz die Brust an. Wie sehr hatte er sich darüber gefreut, dass sein Vater ihm die volle Verantwortung für diese Mission übertragen hatte. Es tat ihm zwar Leid für seinen ehemaligen Freund, aber sein Vater hatte ihm genau erklärt, warum er Gren für nicht so geeignet hielt die Mission zu leiten. Soweit hatte er seinen Vater verstanden, aber was er nicht verstand war, warum Gren gar nicht mit auf die Mission durfte. So ein schlechter Soldat war nun auch nicht. „Was?“, erboste sich Gren. „General Amaya sagte, dass ich sie anführen soll.“ „Da war wohl ein Missverständnis“, sein Vater lächelte Gren an, „Soren, arrangiere ein Treffen für Gren und mich, um seine Bedenken zu erörtern. An einem ruhigen Ort. So gegen neun Uhr?“ Gren wollte sich darüber aufregen, besann sich aber eines anderen. „Ja gut. Neun Uhr passt mir.“ Soren sah Gren von der Seite an. Er hatte ihn sicher seit einem oder zwei Jahren nicht mehr gesehen. Er war stets bei General Amaya an der Bresche und diese war schon länger nicht mehr in der Stadt gewesen. Gren sah gut aus. Immer noch voller Sommersprossen. Er wirkte in seiner Rüstung männlicher und ernster. Ob Soren so auch auf andere Leute wirkte? Er hoffte doch sehr. Auch sechs Jahre später überragte Gren ihn immer noch um ein Stückchen, auch wenn es jetzt nur noch wenige Zentimeter waren, und dennoch fühlte sich Soren immer noch klein gegen ihn. „Jüngstes Mitglied der Kronenwache in der Geschichte Katolis?“, sagte da plötzlich Gren zu ihm. „Du hast dir also deinen Traum erfüllt. Glückwunsch.“ Soren errötet. Irgendwie hatte er gar nicht damit gerechnet, dass Gren sich noch daran erinnern würde. Es war so lange her und sie hatten schon vor langer Zeit andere Wege eingeschlagen. Als er zum Mitglied der Kronenwache ernannt worden war, hatte er fast gehofft, dass Gren extra dafür in die Stadt kommen würde, um ihn zu sehen, doch woher hätte Gren schon davon wissen sollen. Sie hatte sich nicht geschrieben und keinen Kontakt mehr gehalten seit Gren dem Stehenden Bataillon beigetreten war. „Und du bist Leutnant von General Amaya“, gab Soren ungelenk zurück. Gren war schon seit Jahren der Übersetzer von General Amaya, das war also nichts Neues. „Also immer noch … ähm ...“ „Ja ich bin dankbar, dass ich an ihrer Seite sein kann und mich auf diese Weise nützlich machen kann. Ich glaube ich bin damit glücklicher, als ständig irgendwo patrouillieren zu müssen und in Kämpfe verwickelt zu werden. Nicht, dass ich nicht kämpfen würde. Ich finde es nur schöner, wenn ich es nicht muss, verstehst du?.“ „Ähm ...das ist schön“, Soren wusste nicht wirklich, was er dazu sagen sollte und wechselte das Thema. „Äh lass mich dir zeigen, wo Vater dich treffen möchte.“ Er zeigte in Richtung des Schlosses. Er durfte sich jetzt nicht in ein Gespräch mit Gren verwickeln lassen. Sein Vater hatte ihm einen klaren Auftrag mitgeteilt und er durfte sich jetzt nicht ablenken lassen. „Warum will Lord Viren nicht, dass ich die Mission leite?“, fragte ihn Gren und sah ihm direkt in die Augen. „General Amaya hatte mir persönlich die Mission übertragen und sie hatte klare Gründe dafür. Ich vertraue ihr voll und ganz. Deswegen finde ich es nicht in Ordnung, wenn Lord Viren sich so gegen ihre Befehle stellt.“ Soren spürte wieder diesen Stich in seinem Herzen, wenn Gren voller Leidenschaft von General Amaya sprach. Er hatte gesehen, wie die zwei sich zum Abschied umarmt hatten und wie Gren ihr nachgesehen hatte, als sie aus dem Tor geritten war. Warum verärgerte ihn das bloß so? Gren und er waren schon lange keine Freunde mehr und doch konnte er nicht anders, als wohlwollend von ihm zu denken. Er war ihm immer noch zugetan und sah immer noch zu ihm auf. Irgendwie konnte er sich Gren nicht ganz entziehen und hatte nicht nur heute, sondern oft an ihn und ihre kurze Freundschaft gedacht. Plötzlich plagte ihn das schlechte Gewissen in Bezug auf den Auftrag seines Vaters. Übertrieb sein Vater die Sache nicht etwas? Vielleicht sollte er noch einmal mit ihm reden und ihn davon überzeugen. Andererseits wollte er seinen Vater nicht in Frage stellen. Endlich hatte er ihm seine erste eigene Mission übertragen. Er wollte ihn nicht verärgern, sondern ihn vielmehr stolz machen. Egal wie gern er Gren hatte, seine Familie würde immer an erster Stelle stellen. „Das wird er dir gleich erklären“, wich Soren der Frage aus. „Hier lang.“ „Aber das ist doch ein Sack...“, protestierte Gren, als sie um die Ecke bogen, doch Soren schlug ihm von hinten mit seinem Schwertknauf auf den Kopf, bevor er den Satz beenden konnte. Als Gren bewusstlos vor ihm auf den Boden lag, überkamen Soren erneut Gewissensbisse und er kaute auf seiner Lippe herum. Jetzt wo er Gren niedergeschlagen hatte, hatte er keine andere Wahl, als ihn in den geheimen Kerkerraum seines Vaters zu bringen, aber war das wirklich in Ordnung, fragte er sich. Sein Vater hatte gesagt, er wolle Gren nur kurz dort festhalten, damit er keinen Aufstand machte und General Amaya nicht direkt informieren würde, die dann überreagieren und ihre Pflicht bei der Verteidigung der Bresche vernachlässigen würde. Am Ende befolgte Soren den Befehl seines Vaters, doch als er Gren in Ketten legte, fühlte er sich, als hätte er mehr als nur einen Freund verraten. Gren würde ihn sicher nicht mehr mögen, wenn er aufwachte. Jetzt hatte er seinen Freund endgültig verraten und das fühlte sich grauenvoll an. ~~~ Soren stand seit mehreren Minuten unschlüssig am Eingang der Drachenhöhle. Er hatte Gren schon auf dem Schlachtfeld entdeckt gehabt, doch hatte sich bis jetzt keine Zeit gefunden, um sich zu entschuldigen. Er hatte sich in den letzten Stunden schon bei so vielen Leuten entschuldigt, doch bei Gren war er so nervös, wie bei keinem anderen. Alle feierten in der Höhle den Sieg und das Erwachen der Drachenkönigin, doch Soren hatte gesehen, wie Gren kurz nach draußen gegangen war und war ihm gefolgt, doch dann hatte ihn der Mut wieder verlassen und er war am Eingang stehengeblieben. Er war sich sicher, dass Gren ihm sein Verhalten nicht verzeihen würde. Er hatte ihn hinterhältig niedergeschlagen und ihn an eine Wand gekettet. Und auch schon früher hatte er in seinem engstirnigen Verhalten sich überhaupt nicht für Gren gefreut und ihn zum Teufel gewünscht, nur weil er nicht seinen Traum geteilt hatte. Die letzten Wochen hatte ihm die Augen geöffnet und er war – hoffte er zumindest – über sich hinaus gewachsen und vielleicht ein besserer Mensch geworden. Seit er sich endlich eingestanden hatte, dass sein Vater der Bösewicht war und er sich von ihm gelöst hatte, fühlte er sich viel befreiter. Während er noch seinen Gedanken nachhing, kam Gren von draußen zurück und fand ihn im Schatten des Eingangs vor. „Soren, was treibst du denn hier alleine? Alle feiern doch.“ „Ähm...“, stotterte Soren und kam ins Strudeln. „Also weißt du, ich wollte mich entschuldigen. Weil ich dich niedergeschlagen habe. Ich wollte das gar nicht, aber ich wollte, dass mein Vater stolz auf mich ist und ich sehe jetzt, dass das falsch war. Ich meine, ich wusste schon, dass es falsch war, aber ich hab es trotzdem gemacht, obwohl ich ja wusste, dass es falsch war, weil es mir richtig vorkam, also obwohl es falsch war. Wenn du das verstehst...“ Gren lächelte nachsichtig. „Natürlich verstehe ich das. Mach dir keine Vorwürfe. Jeder von uns hat jemanden zu dem er aufsieht und den er beeindrucken will.“ „Und es tut mir leid, dass ich mich nicht für dich gefreut habe, als du von General Amaya als ihr Übersetzer ausgewählt wurdest. Ich war so schrecklich eifersüchtig. Du warst mein einziger Freund und ich wollte für immer mit dir zusammen sein! Weil du einfach mega cool bist. Du bist der Größte! Dass du Gebärdensprache kannst, das ist echt großartig. Dazu bist du immer wohlüberlegt, höflich und immer gut drauf. Ich wünschte ich wäre wie du. Aber ich verstehe jetzt total, was du an Amaya findest. Ich hab an ihrer Seite bei der Schlacht gekämpft und sie war wirklich unglaublich! Sie ist hundertmal cooler als ich. Kein Wunder, dass du sie magst. Ihr seid ein tolles Paar! Ich wünsche dir natürlich alles Glück auf der Welt! Das hab ich immer und das werde ich immer!“ Grens Gesicht hatte sich mit jedem Wort tiefer rot gefärbt, sodass man sich nicht einmal mehr seine Sommersprossen sehen konnte. Soren bemerkte von der Verlegenheit zunächst nichts, da er noch länger ausführte, wie toll er Gren fand und wie sehr er ihn bewunderte und wie sehr er ihn mochte. Erst als er seinen Redeschwall irgendwann doch stoppte, um Luft zu holen, weil das alles wie ein wildes Pferd aus ihm heraus geprescht war, sah er wie verlegen er Gren gemacht hatte. „Äh … also danke...ich weiß jetzt gar nicht, was ich dazu sagen soll. Niemand hat mir jemals gesagt, dass er mich toll findet. Da kriegt man glatt Herzklopfen. Und ähm also … ich bin nicht in General Amaya verliebt und wir sind auch kein Paar … sie ist nur eine Freundin...also brauchst du gar nicht eifersüchtig sein...“ Soren konnte sich gar nicht daran erinnern, dass er mit seiner Eifersucht herausgeplatzt war und schämte sich. Was dachte Gren jetzt von ihn? Hoffentlich verstand er das jetzt nicht falsch. Wobei war es so schlimm, wenn er es falsch verstand? Hatte er sich nicht gewünscht für immer an Grens Seite zu sein? Nein, das war jetzt zu viel auf einmal. Er sollte es langsam angehen. Erstmal sich entschuldigen und dann weitersehen. Einige Minuten schwiegen sie beide verlegen, beide blickte sie auf den Boden und man konnte nur im Hintergrund die fröhliche Stimmung in der Höhle hören. Dann trat Gren auf Soren zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Alles vergeben und vergessen. Ich würde mich freuen, wenn wir wieder Freunde sein könnten.“ Soren strahlte vor Freude und schlug begeistert ein. Gren wuschelte ihm wie in alten Zeiten durchs Haar und sie lachten beide herzlich. Gemeinsam gingen sie zurück zu den anderen. Sorens Phantasie ging direkt wieder mit ihm durch und er sah schon eine strahlende Zukunft vor sich, doch dieses Mal kämpften sie nicht gegen Drachen oder Elfen, sondern verbrachten eine friedliche Zeit und halfen dabei den Frieden zu etablieren. Diese Zukunft würde dieses Mal eintreffen, da war sich Soren sicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)