Wenn die Praiosscheibe wandert von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 1: Ein Plan ------------------- Im Dunkelwald rührte sich nichts. Weder Mensch noch Tier traute sich heraus, im Angesicht jener Streitmacht, die an der Grenze zum Forst lagerte. Krieger, schwer gepanzert und gehüllt in weiße Wappenröcke, auf denen die Praiosscheibe prangte, liefen im Lager umher. Rotgekleidete Priester spendeten Segen oder bereiteten Messen vor. Die Praoiten waren auf Anordnung Großinquisitors Amando Laconda da Vanyas gekommen, um dem schändlichen Treiben der Hexen endgültig ein Ende zu bereiten. Zu lange waren sie ihm schon ein Dorn im Auge. Ihr lästerliches Treiben, die wilden Rituale und das Ablehnen Praios´, als obersten Gott und Richter, konnte nicht länger geduldet werden. Niemand durfte dem Fürsten der Götter freveln, niemand. Dieser Armee stand ein Zirkel aus vier Frauen gegenüber: Josmene, Morla, Saphira und Alwene. Jede von ihnen war eine Tochter Satuarias, durch und durch. Es sah nicht gut aus. Vier Frauen gegen die geballte Macht des Sonnenzugs. Aussichtslos. Nun, so ganz stimmte das nicht. „Da habt ihr mir ja wieder Etwas eingebrockt“, murmelte der junge Mann am Fuße der Anhöhe, von der aus die vier Hexen und er das Praoitenlager beobachteten. Er war von durchschnittlicher Größe, dunkelhaarig, breitschultrig und hübsch, wäre da nicht die lange Narbe gewesen, die längs über sein linkes Auge verlief. Sie störte und verzerrte das Bild eines ansehnlichen Mannes, Mitte seiner 20er. „Warum bist du überhaupt gekommen?“, zischte Josmene. Die Frau mit den gelockten, roten Haaren warf ihrem Mitstreiter einen finsteren Blick zu. „Das frage ich mich auch“, schnappte er leise zurück und strich sich nachdenklich über das rasierte Kinn. Es war tatsächlich so, wie die Frauen beschrieben hatten: Der Großinquisitor war gekommen, um den Zirkel zu vernichten, nicht nur, um dessen Feierlichkeit zu stören. Einer solchen Streitmacht konnte man unmöglich mit konventionellen Mitteln beikommen. „Dann scher dich doch…“, begann Josmene, wurde aber sogleich von ihrer Zirkelschwester, Alwene durch einen Finger auf ihrer Lippe, zum Schweigen gebracht. „Sei still, sonst hören sie uns noch.“ „Seien wir lieber froh, dass Brin unserem Ruf gefolgt ist“, pflichtete Saphira ihrer Kollegin bei. Der Mann, genannt Brin, rutschte zurück und atmete tief durch. Er war bereits einmal dem Sonnenzug entgegengetreten, doch damals hatte sich der Großinquisitor als Abkömmling einer uralten Rasse von Menschen und Drachen herausgestellt. Der Name des Echsenwesens hatte Seldrakon gelautet. Er selbst hatte den Mantra'ke erschlagen, nebst dessen Anhängern. Wenn es sich dieses Mal um den echten da Vanya handelte, hatten sie schlechte Karten. Brin hmpfte leise. Die Bannstrahler waren nicht gerade für ihre Gnade bekannt. Warum hatten sie es erneut auf die Hexen im Dunkelwald abgesehen? Die Ruine an der Bergspitze war uninteressant – das Buch der Schlange lag wieder im Hesindetempel, wo es hingehörte. Auch war der Großteil der Leute im Dorf des Forsts gut auf die Hexen gut zu sprechen. Einen Sonnenzug auszurufen erschien reichlich übertrieben. „Und, hast du schon eine Idee?“, wollte Josmene ungeduldig wissen. „Ich bin gut, aber nicht so gut, meine Damen. Nicht einmal ich kann es mit einem ganzen Lager von Bannstrahlern aufnehmen.“ „Hach, ist der nutzlos“, knurrte die Rothaarige und schob die Unterlippe vor. „So wie beim letzten Mal, hm?“, bohrte der Schwarzhaarige spöttisch in einer offenen Wunde. Es war ihm zu verdanken, dass die Praioten damals mehr oder weniger friedlich abgezogen waren. Viele Möglichkeiten blieben ihnen tatsächlich nicht. Sich ergeben kam nicht in Frage, und auch Brins Ruf als Streiter der Drachenqueste konnte die Frauen vor dem Zorn des Großinquisitors nicht beschützen. Sie würden also kämpfen müssen. Die Frage war nur wie. „Nun, ich denke, wir haben nur die Option, Eure älteste Zirkelschwester zu rufen, sofern sie noch lebt“, sagte Brin nach einer Weile des Schweigens. „Wenn wir das Feuer entzünden, werden sie doch sofort auf uns aufmerksam“, murmelte Morla und strich sich dabei einige ihrer schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Das führt die Praioten direkt zu uns.“ „Natürlich, genau das will ich auch.“ Die vier Frauen sahen ihren Mitstreiter entgeistert an. War er denn völlig von Sinnen? Vor nicht wenigen Minuten meinte er noch, die Praioten nicht aufhalten zu können, jetzt wollte er sie direkt zu den Hexen führen. „Der Weg zu eurem Tanzplatz hinauf ist äußerst schmal. Ihre Truppenstärke ist damit fast nutzlos. Der Engpass knapp über dem Felsbogen existiert noch?“ Nun dämmerte es den Frauen allmählich. „Aber selbst, wenn das klappen sollte, wir werden eine Weile brauchen um Heidruna herbeizurufen“, warf Alwene ein. „Ich weiß. Ich verschaffe euch die nötige Zeit. Hoffentlich fällt ihr etwas ein“, antwortete Brin und rieb sich dabei den Nacken. Er setzte alles auf eine Karte. Wenn der weisen Heidruna nichts einfiel, waren sie alle verloren. Zeit für einen anderen Plan hatten sie aber nicht; Zeit war überhaupt ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnten. Langsam robbte der Streiter der Drachenqueste außer Sichtweite, mit seinen Begleiterinnen im Schlepptau. Als es sicher war, stand er auf und klopfte seinen Wappenrock, den ein weißer Hirsch zierte, ab. „Du lebst äußerst gefährlich, weißt du das eigentlich“, plapperte Josmene, während sie sich auf dem Weg zu Saphiras Labor befanden. „Erzähle mir etwas, das ich noch nicht weiß“, murmelte Brin gedankenverloren und schob einen Ast beiseite, der ihm im Weg war. „Eines Tages wird dich der Zorn des Praios treffen“, fuhr die Rothaarige fort. Sie schwafelte, wenn sie nervös war. „Dann hoffe ich, dass Satuaria und Rondra mir beistehen.“ Auch wenn Hexen durchaus für die Taten verantwortlich waren, die man ihnen in ganz Aventurien anlastete, so war es bar jeder Gerechtigkeit, sie einfach dahinzumetzeln oder auf einen Scheiterhaufen zu werfen. Es gab genügend unter ihnen, die viel Gutes taten, sei es Heilkunst, das Aufnehmen von Waisen oder die Pflege der Natur. Außerdem waren einige von ihnen verboten hübsch. Genau das machte sie aber oft zur Zielscheibe von rachsüchtigen Männern, die gleich mit dem Zorn des Fürsten der Götter und der ewigen Verdammnis drohten, weil sie sich nicht beugen wollten. „Satuaria hat aber selten etwas für Männer übrig“, kicherte Morla. „Dann habe ich wohl eine falsche Entscheidung getroffen damals, hm?“, grinste Brin schief und brachte seine weibliche Eskorte zum Verstummen. Er verstand es natürlich, dass sie alle nervös waren, doch auf ihm herumzuhacken half auch nicht. Außerdem war er sowieso mehr Rondra, der Göttin des ehrlichen Kampfes zugetan, denn dem Götterfürsten. Als Streiter der Hesinde mochte diese auch auf ihn achten. Zwei göttliche Fürsprecher und dazu noch Satuaria mussten wohl reichen, um ihn vor dem Zorn des Praios zu schützen. Außerdem war nichts Gerechtes daran, Frauen in einer solchen Überzahl, mochten sie auch Hexen sein, dahinzuschlachten. Am Labor angekommen, machten sich die Frauen daran, die Utensilien für das Beschwören der obersten Hexe zusammenzusuchen und Brin schlüpfte in seine Rüstung. Die Feuerrüstung des Pal'Na'Thar hatte ihm gute Dienste geleistet. Ganz in Gold stand er da, Flammensang am Gürtel und das Schild des Fendral am Rücken. Ihm entging dabei nicht die Ironie, dass sich Satuaria auch nichts aus Rüstungen machte. Ihr war auch nicht diese Farbe zugeordnet, viel mehr dem Götterfürsten. „Letztes Mal hattest du diesen schicken Fummel aber noch nicht“, pfiff Josmene beeindruckt. „Letztes Mal war es auch nicht so aussichtslos“, erwiderte Brin nüchtern. Hoffentlich funktionierte der Plan. Er war simpel aber gerade deswegen erfolgversprechend. „Hätte ich nicht bereits ein Auge auf Danos im Gut geworfen“, kicherte Alwene und betrachtete den goldgepanzerten Krieger, wie er sich verlegen am Kinn kratzte. „Die alte Leier schon wieder? Spricht er denn noch mit dir? Letztes Mal passte er in meinen Rucksack und quakte laut vor sich hin…“ „Natürlich. Wer kann mir schon wiederstehen?“, grinste die Hübscheste und auch Jüngste der Hexenschwestern. „Wenn so einfach ist, dann versuche mal den Großinquisitor um den Finger zu wickeln“, fauchte Saphira, was das Grinsen auf den Zügen der anderen Hexe zum Erlöschen brachte. „Ganz ruhig, wir bekommen das schon hin“, beschwichtige Brin die alte Frau und schulterte seinen Rucksack. Es war ein weiter Weg und er musste sich noch die bestmögliche Position suchen, um den Bannstrahlern Einhalt zu gebieten. So zogen sie los, in Richtung Tanzplatz der Hexen, dort wo das Frühjahrsfeuer brennen, und Heidruna erscheinen würde. Kapitel 2: Die Macht des Frühlingsfeuers ---------------------------------------- Der Tanzplatz der Hexen war ein großes, kreisrundes Plateau, gut versteckt zwischen Bäumen und Sträuchern. Der heilige Hain wucherte nur so vor sich hin. Die großen Findlinge, auf denen die Eulenschädel platziert werden musste, um Heidruna zu rufen, genauso wie der Platz, auf dem der Haufen für das Feuer aufgeschichtet wurde, waren aber frei von jeglicher Vegetation. Brin war schon einmal hier gewesen. Er wusste sogar von dem Ritual. Letztes Mal war er es gewesen, der Heidruna beschworen hatte. Die oberste Hexe bezeichnete sich selbst als alte Vettel, und das traf auch zu. Dicke Warzen zierten ihr Gesicht, die Augen waren schon milchig weiß, ihr Haar ergraut und schmutzig, wie eine Bettlerin in Ferdok, nur hässlicher. Hinter der Fassade einer alten, gebrechlichen Frau steckte aber eine Hexe mit ungeheuren Kräften. Seldrakon selbst fürchtete sie, oder hatte sie gefürchtet. „Du wirkst angespannt“, riss ihn Alwene aus seinen Gedanken. Brin lehnte mit dem Rücken am meterhohen Felsen, der den Pfad hinaufbegleitete. Vor ihm lag ein Abgrund, aus dem herauf ein reißender Bach zu hören war. Er mochte das Tosen der Stromschnellen, genauso wie auch das Zwitschern der Vögel. In Ferdok gab es so etwas nicht. Dort wurde er jeden Morgen von der schreienden Krämerin geweckt, die ihre Seife feilbot, oder dem Gezeter einer wütenden Hausfrau, weil ihr Gatte wieder einmal betrunken aus dem Silberkrug heimwankte. Hier war es so ruhig, und doch lebendig. „Bist du das nicht?“, fragte der Schwarzhaarige und lächelte dabei aufmunternd. „Natürlich“, antwortete sie und lächelte dabei ebenfalls. „Brauchen die anderen dich nicht?“ „Nein“, schüttelte Alwene den Kopf. „Ich bin sowieso nur im Weg. Außerdem hat Saphira das Kommando an sich gerissen.“ Saphira war die älteste und erfahrenste der vier Hexen. Brin erinnerte sich noch an das Mutelixier, das sie ihm gebraut hatte. Vor seinem Kampf gegen Malgorra auf dem Berg Drakensang war das Fläschchen geköpft worden. Die Unruhe und Angst, die sich in seinen Knochen breitgemacht hatte, war danach verschwunden. Ob er sie nach einem solchen Trank fragen sollte? „Brin?“, schmunzelte die Hexe und klopfte gegen dessen Stirn. „Du bist schon wieder mit den Gedanken woanders.“ „Bin ich das?“ Verwirrt schüttelte er das Haupt. Er schweifte in letzter Zeit öfter mit den Gedanken ab. Sie drifteten zu seinem verstorbenen Freund Ardo. Ob er sich auch für die Hexen eingesetzt hätte? „Bist du“, bekräftigte Alwene nickend. „Liegt es an einem Mädchen?“ Ihre Augen blitzten verschwörerisch bei der Frage. „Nein“, antwortete Brin. „An einem Jungen?“, bohrte sie nach. „Auch nicht“ Der Krieger hob hilflos die Schultern. „Ich weiß nicht. Ich bin einfach gerade ein wenig neben mir.“ „Möchtest du darüber sprechen?“ Dass Alwene so einfühlsam sein konnte, hatte Brin gar nicht mehr in Erinnerung. Er wusste nur von dem Liebhaber, der sie verschmähte, und zur Strafe in eine Kröte verwandelt worden war. Der arme Danos hatte drei Tage lang sein Dasein als Tier fristen müssen. „Später vielleicht. Ich muss mich konzentrieren“, wiegelte der Schwarzhaarige ab. „Ist gut“, nickte Alwene. Beide sahen nach oben, als ein Falke lautstark kreischte. Das war das Zeichen gewesen. „Los, verschwinde, und beeilt euch“, scheuchte er sie wieder den Pfad hinauf und griff an den Helm an seinem Gürtel. Einen letzten Blick auf Alwene werfend, wandte er sich um. Der aufsteigende Rauch des Feuers würde die Praioten zu ihnen locken. „Rondra, steh mir bei“, murmelte er und zog das goldene Schwert aus der Scheide. Routiniert befestigte er den dazu passenden Schild am Arm. Durch den Helm war sein Sichtfeld eingeschränkt. Er konnte nur mehr wenig erkennen, genauer genommen nur das, was vor ihm lag. Der Preis für einen nahezu undurchdringlichen Schutz. Zyklopisches Schmiedewerk musste eben auch einen Nachteil haben. Hinter ihm hörte er lauten Singsang. Sie begannen mit der Beschwörung. Das war gut. Nun zählte jede Sekunde. Wenn die alte Heidruna wirklich so mächtig war, dass selbst die Dämonen in den Niederhöllen ob ihres bloßen Namens erzitterten, dann würde ein Sonnenzug wohl kein Problem für die alte Frau sein. Die Minuten verstrichen zäh. Angespannt wartete Brin auf das Eintreffen der ersten Bannstrahler. Er betete inständig, dass da Vanya selbst nicht den Zug anführte. Ein paar Bannstrahler niederzumachen war eine Sache, den Großinquisitor selbst zu töten eine ganz andere. Ihm wurde außerdem zusehends heiß in der Rüstung. Auch wenn sie ihn nahezu unempfindlich gegen Feuer machte, so konnte er die Hitze dennoch spüren, die vom Tanzplatz der Hexen ausging. „Da vorne sind sie!“, rief jemand. Endlich hatte das Warten ein Ende. Brin sollte auch nicht enttäuscht werden. Ein Dutzend Bannstrahler, alle schwer gerüstet, mit der Sonnenscheibe auf der Brust, bahnten sich ihren Weg den Pfad hinauf zu ihm. Als sie ihn bemerkten, stutzte der Haufen ein wenig. „Wer seid Ihr?“, wollte ein junger Mann, jünger als er selbst, wissen. Seine Stimme war herrisch und überheblich. „Nach was sieht es denn aus? Der Hofnarr des Kaisers?“, spottete Brin. „ „Egal wer Ihr seid, tretet beiseite“, fuhr ihn der Kerl grob an. „Wir sind auf einer heiligen Mission.“ „Ich weiß“, antwortete Brin ruhig und machte keine Anstalten beiseitezutreten. „Was ist denn los?“, zeterte eine Frauenstimme im Hintergrund. Die Gruppe wurde von einer blondhaarigen Dame mit zornigem Blick auseinandergetrieben. Sie trug eine rot-weiße Robe, ebenfalls mit der Praiosscheibe auf der Brust. An ihrem Gürtel baumelte ein Rabenschnabel. „Aus dem Weg“, blaffte sie Brin an. „Nein“, sagte dieser ruhig und fest. „Ich sage es nicht noch einmal“, zischte die Frau. „Ich auch nicht.“ „Wenn Ihr nicht sofort beiseitetretet, sehen wir Euch als Freund der Hexen an.“ „Das bin ich dann wohl.“ Brins Stimme begleitete eine Spur von Bedauern. Er wusste, was folgen würde. „Schafft den Ketzer aus dem Weg“, kreischte die Blonde, was die Männer rund um sie herum dazu bewog, zu den Waffen zu greifen. Brin drehte Flammensang mehrmals aus dem Handgelenk heraus und hob entschlossen den Schild an. Er hatte nicht vor, dem Wunsch der Schwester nachzukommen. Mochte Rondra mit ihm sein, genauso wie Hesinde und Satuaria. Der erste Streithammer donnerte auf den Schild des Fendral, geführt von dem vorlauten Mann. Die Wucht des Hammerschlags konnte Brin in seinem Schildarm spüren. Mit dieser plumpen Waffe behinderte er aber seinen Mitstreiter, der einen Zweihänder führte. Die Praioten hatten bis heute nicht gelernt, sich nicht nur auf ihren eifrigen Glauben zu verlassen. Zu blind war ihr Hass auf alles Magische, allen voran den Hexen. Brin drückte den Hammerträger mit seinem Schild zurück und holte mit dem Schwertknauf aus. Dieser sauste in das Gesicht des Gegners. Blut benetzte die goldenen Handschuhe, während der Kopf des Praioten in den Nacken flog. Stöhnend ließ dieser die Waffe fallen und hielt sich die gebrochene Nase. Benommen taumelte er zurück, in die Reihen seiner Kameraden. Dem Bannstrahler mit dem Zweihänder trat Brin einfach die Beine unter den Füßen weg. Keuchend entglitt ihm die Waffe. Der goldene Streiter trat erneut nach und beförderte ihn den Abhang hinab. Das waren zwei, blieben noch gefühlt tausend. „Na los!“, brüllte die Praiotin in der Robe und trat einen Schritt zurück, als die nächsten Gegner heranstürmten. In blindem Eifer rannten sie auf Brin zu. Den Schwerthieb des Ersten fing er mit dem Schild ab, den Axthieb des Zweiten mit Flammensang, welches sich in dem Hohlraum zwischen Stiel und Blatt der Waffe verkeilte. Mit einem Ruck wurde die Axt aus der Hand ihres Besitzers gerissen und verschwand im reißenden Bach zu ihren Füßen. Ein Hieb mit der Kante des Schildes, auf den Brustkorb des Schwertträgers, ließ diesen nach Luft ringen. Brin packte beide an den Helmen und schlug sie zusammen, was ein lautes Klirren nach sich zog. Benommen wurden sie den Abhang hinuntergeschubst, und rissen dabei einige ihrer Gefährten zu Boden. Stumm wehrte Brin Gegner um Gegner ab. Gebrochene Nasen, Arme und Beine waren die Folge. Er achtete darauf, keinen der Praioten dauerhaft zu verstümmeln oder gar zu töten. Noch konnte er sich das leisten, noch fürchteten sie ihn. Bald jedoch würde der blinde Eifer jegliche Angst vor dem Streiter der Hesinde wegbrennen. Warum dauerte es so lange, Heidruna zu beschwören? Brin bemerkte jetzt schon die körperliche Anstrengung, die hinter ihm lag. „Dann mache ich es eben selbst, ihr unfähiges Pack“, schnaubte die Schwester und drängte sich nach vorne. Bisher hatte sich ihr Dasein darauf beschränkt, dass sie den Männern Befehle zubrüllte. Wütend riss sie den Rabenschnabel vom Gürtel. „Zeit, dass Ihr im Licht des Praios vergeht, Hexenfreund“, zischte sie und spuckte abfällig vor Brins Stiefel. Brin drehte Flammensang erneut und bewegte sich langsam nach hinten. Die Haltung der Frau, breitbeinig, leicht die Knie gebeugt, zeugte von einer zumindest rudimentären Ausbildung als Kriegerin. Dazu das gefährliche Feuer des blinden Wahnsinns, der Hingabe ihrem Gott gegenüber, welches in ihren Augen brannte. Wie ein Wolf, der sich gleich auf ein Schaf stürzte. „Warina?“, fragte Brin erstaunt, seine Stimme durch den Helm blechern verzogen. Diesen einen Moment der Ablenkung nutzte die Geweihte schamlos aus. Der Rabenschnabel donnerte gegen seinen Knieschutz, was seinen stechenden Schmerz zur Folge hatte. Die spitze Seite der Waffe bohrte sich genau in jene Stelle, an der die Rüstung etwas Haut preisgeben musste, um beweglich zu sein. Brin schrie auf, als die Blondhaarige den Hammer herumdrehte. Sein Bein gab nach und er fiel nach hinten. Wahnsinnig lachend zog die Praiotin den Hammer aus seinem Fleisch und holte erneut aus. Hesindes Streiter riss den Schild des Fendral in die Höhe. Der spitze Waffenkopf ragte über den Schildrand. Seine Kontrahentin nutzte ihr gesamtes Körpergewicht und lehnte sich auf ihn. Nur mit der linken Hand konnte er sie nicht tragen. Langsam aber beständig näherte sich der Wiederhaken dem Sehschlitz, und damit einer der wenigen verwundbaren Stellen in seiner Rüstung. Brin versuchte die Schwerthand unter den Schild zu bringen, als diese am Boden festgenagelt wurde. Der Stiefel der Geweihten drückte ihn nieder und knickte dabei Grashalme um. Nur noch wenige Zentimeter war der Rabenschnabel von seinem rechten Auge entfernt. Ihm musste etwas einfallen, und zwar schnell. „Büßt für das, was Ihr meiner Schwester angetan habt“, schrie die Frau so laut, dass es von der Felswand und er Schlucht widerhallte. Also hatte sich Brin nicht getäuscht. Die Ähnlichkeit zu Warina war kein Zufall gewesen. „Ich habe Warina nicht getötet, das war sie selbst“, presste der Krieger zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Lügen!“, kreischte die Geweihte. Brin suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser misslichen Lage. Sein Leben geblendet fortzuführen, was noch eher gnädig war, im Vergleich zu dem, was ihm in der Obhut der Praioten blühte, war nicht sonderlich appetitlich. Sein Bein schmerzte höllisch. Das Gras darunter war bereits blutverschmiert. Dabei kam ihm eine Idee. Wenn er den Abstand richtig schätzte, mehr als die Rabenschnabelspitze konnte Brin nämlich nicht erkennen, dann stand die Praiotin so, dass ihr freies Bein zwischen seinen eigenen positioniert sein musste. Es war einen Versuch wert. Innerlich zählte der Streiter der Hesinde bis drei, bevor er mit einer großen Kraftanstrengung die Knie anhob. Der Schmerz raubte ihm fast die Sinne. Wahrscheinlich hatte der Rabenschnabel eine Arterie verletzt. Er hatte aber nur einen Versuch. Mit aller Macht versuchte Brin den Schmerz auszublenden. Die Augen geschlossen, schlug er beide Knie gegeneinander. Ihm wurde übel, als das verletzte Bein auf Widerstand traf. Seine Aktion brachte aber den gewünschten Erfolg. Schlagartig ließ der Druck auf den Schild nach. Das war seine Chance! Der Gepanzerte riss seinen Schwertarm unter dem Stiefel der Kontrahentin hervor und brachte sie endgültig zu Fall. Mühsam rappelte er sich auf, sorgsam darauf achtend, dass er das angeschlagene Bein nicht zu sehr belastete. Die Praiotin lag vor ihm, das rechte Bein seltsam verdreht. Es war wohl gebrochen. Der Rabenschnabel lag neben ihr, in Griffweite. Ihre Augen wurden immer größer, als Brin auf sie zu humpelte. „Los, tötet ihn!“ Tatsächlich folgten die nächsten Bannstrahler ihrem Befehl. Bevor er auch nur in die Nähe der Geweihten kam, wurde Brin schon wieder zurückgedrängt. Das Parieren fiel ihm sichtlich schwer, zumal seine Gegner vorwiegend auf das verwundete Knie zielten. Der Schweiß tropfte ihm von der Stirn, rann über Augen und Nase, vernebelte ihm die Sicht. Für jeden Gegner, den er zurückschlug, standen zwei Neue bereit. Dazu die Schwester Warinas, die die Meute noch aufstachelte. Er verlor an Boden, und es war nur mehr eine Frage der Zeit, bis sie ihn niederringen würden. Wo blieb Heidruna? Mittlerweile hatten drei Kämpfer nebeneinander Platz. Alle drei waren Hünen, bewaffnet mit Streithammer, Streitaxt und Anderthalber. Alle drei ließen ihre Waffen auf Brins Schild niedersausen. Mit einem hässlichen Knacken gab das verletzte Knie nach, und Brin fiel schreiend zu Boden. „Zeit zu sterben, du Hund“, grinste der Hammerträger und riss seine Waffe über den Kopf. „In der Tat“, tönte eine Stimme, lauter als das Tosen des Baches, lauter als das Gekreische der Praiotin, selbst lauter als das Treiben der Gauklerschar vor dem Hesindetempel in Ferdok. Verdutzt ließ der Bannstrahler seine Waffe sinken. „Ihr lästerlichen Frevler betretet zum zweiten Mal den geweihten Boden Satuarias. Zum zweiten Mal macht ihr Jagd auf ihre Töchter. Zum zweiten Mal rückt der Sonnenzug aus. Zum zweiten Mal unter einem falschen Anführer.“ Die Stimme war kalt, voller Abscheu und ohne jegliches Mitgefühl. Brin kannte diese Stimme. Es war lange her, dass er sie das letzte Mal gehört hatte. „Du versuchst es also wieder, Heidruna.“ Auch diese Stimme kannte der junge Krieger. Der Sonnenzug rückte auseinander, stand Spalier für einen Mann, hochgewachsen, mit mächtigem Bart, weißhaarig und gekleidet in eine Kluft, wie es sie nur einmal in Aventurien gab. „Ehre dem Großinquisitor“, riefen die Männer einstimmig und reckten die Waffen in die Höhe, während Amando Laconda da Vanya langsam und bedächtig auf Brin zukam. Sein faltiges Gesicht wirkte streng. Er hatte die Hände hinter dem Rücken zusammengelegt. „Ihr solltet Euch schämen, Streiter der Hesinde. Ein Hexenpack zu beschützen.“ Der Großinquistor starrte enttäuscht auf den goldgepanzerten Kämpfer hinab. „Hättet Ihr nur eine solche Hingabe für Praios gezeigt, mein Kind, Euch wäre eine glorreiche Zukunft beschieden gewesen.“ Da Vanya klang bedauernd. Mit einem Handzeichen bedeutete er den Männern ihre Waffen erneut zu heben, was sie auch taten. Brin schloss die Augen und legte den Kopf zur Seite. „Genug!“, rief die Stimme und augenblicklich wurden die drei Henker, einschließlich des Großinquisitors, von Ranken, welche aus dem Boden schnellten, umschlungen. Panisch zerrten die Männer an den Gewächsen, die sich dabei aber nur umso fester um sie schlangen. Einzig da Vanya wirkte nicht verunsichert, im Gegenteil: Er lachte höhnisch. „Ist das alles was du zu bieten hast, Heidruna?“, feixte er. Brin wagte es die Augen zu öffnen und konnte die alte Frau erblicken, die über ihm stand. Gebeugt vom Alter, hässlich, warzig, schmutzig. Ihre Kleidung war dunkel, die trüben Augen auf den Großinquisitor gerichtet. Mit einer einzigen Bewegung der knorrigen, dürren Hand, schlangen sich die Ranken noch enger um die Praioten. Vom Fuße des Abhangs war ein Tosen zu hören, genauso wie lautes Knarzen, Wolfsgeheul und Bärengebrüll. „Dieses Mal bin ich vorbereitet, Seldrakon“, krächzte die Alte und legte die Hände ineinander. Seldrakon? Brin reckte den Kopf ein wenig in die Höhe und konnte erkennen, was Heidruna meinte. Anstelle des Großinquisitors und der Bannstrahler standen da ein riesiger, humanoider Echsenmensch und geschminkte, kahle Fanatiker, knapp bekleidet mit einer grünen Toga. Wortlos formte der Mantra’ke den Zauber in seiner rechten Pranke. Gleißend ergoss sich der der Fulminictus Donnerkeil über Heidruna, prallte aber an einer unsichtbaren Barriere ab, die die alte Frau umgab. „Nun bin ich wohl dran“, kicherte die Vettel und hob ihrerseits die Hände gen Himmel. Brin dachte zuerst, dass es Feuer regnete, aber bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass es sich dabei um die Äste des Scheiterhaufens vom Frühjahrsfeuer handeln musste. Nur, dass diese Äste mit jeder Sekunde größer wurden, bis sie die Ausmaße von Baumstämmen angenommen hatten. Krachend pflügten sie eine Schneise in die Reihe der Praioten, die entsetzt das Weite suchten. „Unmöglich!“, pfauchte der Mantra'ke und formte den nächsten Zauber. Dazu kam er aber nicht mehr, denn ein Baum landete zielgenau auf dem Punkt, an dem er gefesselt war. Fast schon wie ein Donnerschlag bohrte sich das brennende Holz in die Erde und begrub das Echsenwesen darunter. „Alter schlägt wohl Torheit“, kicherte Heidruna amüsiert. Mit einer weiteren Handbewegung, dieses Mal aber deutlich sanfter, wurde Brin magisch in die Höhe gehoben und schwebte hinter ihr her. Das Letzte was er sah, bevor ihm schwarz vor Augen wurde, war der Haufen des Frühjahrsfeuers, der sich langsam aber sicher wieder zusammensetzte. Kapitel 3: Gedanken zum Schluss ------------------------------- Brin fühlte etwas Kaltes an seinem Bein. War es kalt? Nein, es war nicht nur kalt, sondern auch weich. Er mochte das Gefühl, linderte es doch den pochenden Schmerz, der von seinem Knie ausging. Wo war er? Das Letzte, woran sich der Schwarzhaarige erinnerte, waren die Praioten, der Kampf mit ihnen und Heidruna, die ihn gerettet hatte. „Er kommt zu sich!“ Vorsichtig öffnete Brin die Augen und blickt in Alwenes Gesicht, die ihm sogleich um den Hals fiel. „Womit habe ich denn das verdient?“, schmunzelte der junge Mann und versuchte sich vorsichtig aufzusetzen, was aber, nebst dem schmerzenden Bein, von Alwenes Gewicht zu verhindern gewusst wurde. „Du hast uns alle gerettet“, lächelte sie und langsam dämmerte ihm, wo er war: Saphiras Hütte. Er lag auf einem weichen Federbett, das Bein geschient, in seinem Gambeson, der langen Stoffhose und ohne Stiefel. Hatte er das? Die Tatsache, dass Alwene, und damit wohl auch der Rest, lebte, bestätigten ihre Aussage. „Na, so ganz stimmt das nicht. Heidruna hat uns gerettet“, nuschelte er verlegen und rieb sich den Nacken, nachdem er endlich aus der Umklammerung entlassen wurde. „Ohne dich hätten wir sie nie rechtzeitig rufen können“, meldete sich Morla zu Wort, die aus dem Schatten trat. Zu ihr gesellten sich Josmene und Saphira, alle drei mit einem erleichterten Gesichtsausdruck. „Wo ist sie denn?“, wollte Brin wissen. „Oh, sie kümmert sich um die Praioten, sei unbesorgt“, grinste Josmene. Hesindes Streiter ließ sich wieder ins Bett sinken und seufzte erleichtert. Das war bisher eine seiner schwersten Prüfungen gewesen. Ob der Götterfürst ihm zürnte? „Selbst wenn, junger Mann, dann hast du einige göttliche Fürsprecher.“ Heidrunas Stimme ließ das Quartett zur Tür starren, in der sie stand. Die alte Oberhexe lächelte, und entblößte dabei ein lückenhaftes Gebiss. „Habe ich das?“ „Du hast Satuarias Töchtern erneut gut gedient, Brin. Sei dir ihres Wohlwollens gewiss.“ Auf dem Rückweg nach Ferdok starrte Brin auf die Ohren seines rotbraunen Hengstes und dachte nach. Er hatte nun schon zum zweiten Mal den Hexenzirkel gerettet. Er war alleine und wurde auch nicht jünger, obwohl das ein wenig weit hergeholt war. Mit fünfundzwanzig Wintern war man noch davon entfernt, alt zu sein. Er mochte Alwene, sehr sogar. Sie gefiel ihm. Das feuerrote Haar, die grazile Statur, und der strenge Blick. Ob sie sich jemals in Ferdok einleben würde? Wahrscheinlich nicht. Damit verwarf er den Gedanken auch wieder. Außerdem musste nicht er auch noch Danos das Herz brechen. Brin hatte ganz vergessen zu fragen, ob sie mit dem Burschen wieder zusammen war. „Ich habe sowieso keine Zeit für so etwas. Das nächste Abenteuer wartet sicher irgendwo auf mich“, murmelte der junge Krieger zu sich selbst und jagte sein Ross den staubigen Weg entlang, in Richtung Ferdok. Seine Freunde warteten auf ihn. Für den Traviabund war noch genügend Zeit. Als Erstes würde er Graf Growin Bericht erstatten, und danach einige Tage ausschlafen. Das nächste Immanspiel stand bevor. Eines wusste er jedenfalls: Von Frühlingsfeuern hatte er, zumindest für dieses Jahr, genug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)