Krieg der Götter von Clio1208 (Verlorene Krieger) ================================================================================ Prolog: Ein Göttergeschlecht ward geboren ----------------------------------------- „Check“, murmelte Akamaru und betrachtete mit einem zufriedenen Grinsen den Bildschirm seines Laptops. Dort war ein Ladebalken zu sehen, der sich Minute für Minute mehr ausfüllen würde. Wenn er voll und die Installation zu hundert Prozent abgeschlossen war, hatte er sein vorerstes Ziel erreicht. Er stieß ein euphorisches Lachen aus und sprang von seinem Bürostuhl auf. Seine Kollegen, ebenfalls allesamt vor ihren Laptops, sahen ihn verdutzt an. „Meine Freunde, es ist soweit“, verkündete Akamaru und blickte feierlich von einem zum anderen. „Du hast es geschafft?“, hakte Naoto ungläubig nach und rückte seine Brille zurecht. „Ja, habe ich“, meinte er, was mindestens zu fünfzig Prozent eine Lüge war. Sie alle hatten mitgeholfen, insbesondere dieses Miststück. Ohne deren Vorarbeit und Lösungswege hätte er Yggdrasil nicht hochfahren können, doch das brauchten seine Rekruten nicht zu wissen. Die Tatsache war für ihn ärgerlich genug, denn er wollte den Platz als Kopf der Bande behalten, bestenfalls berechtigt. So musste auch er die besten Leistungen erbringen, um sich den Respekt der anderen zu sichern. Dahingehend hatte ihm das Miststück einen Strich durch die Rechnung gezogen und er war dankbar für ihre Abwesenheit. Sie würde ihn auf ewig daran erinnern, dass sie ihm mindestens ebenwürdig war. „Prima, dann kann die Party ja steigen“, meinte Raku grinsend und verschränkte entspannt seine Arme hinter dem Kopf. „Was hat er geschafft?“, kam es von Nomi, welche als einzige nicht vor einem Bildschirm saß, sondern in der hinteren Ecke des Raumes. Gelangweilt drehte sie ihren Stuhl hin und her und begutachtete dabei ihre Nägel. Erst, als ihr niemand antwortete, schaute sie zu den Männern auf. „Was hat er geschafft?“, wiederholte sie sich lauter und letztendlich erbarmte sich ihr Bruder zu einer Antwort. „Er hat Yggdrasil wieder hochgefahren.“ „Aha und was bedeutet das?“ In Akamaru regte sich der Wunsch, das verblödete Mädchen als ein solches zu titulieren. Wie lang war sie nun mit ihnen hier? Vier Wochen? Und da hatte sie immer noch keinen blassen Schimmer, woran sie Tag und Nacht arbeiten? Nicht zu glauben, wie dumm ein Mensch sein konnte. Doch seinen Ärger würgte er herunter und schwieg. Zusammen mit dem Miststück, was Gott sei Dank fehlte, war Naoto das wertvollste Mitglied seiner Gruppe und er wollte seine Loyalität und sein Engagement nicht trüben, indem er seine bescheuerte Schwester beleidigte. Später, wenn sich sein Traum verwirklicht und er uneingeschränkte Macht hatte, konnte er das immer noch tun. Pff, beleidigen. Ich werde diese Nervensäge aus der neuen Welt entfernen, dachte Akamaru bei sich, immer noch darum bemüht, sich jeden hasserfüllten Blick zu verkneifen. „Schätzchen, davon verstehst du nichts. Mach dir lieber ein paar Zöpfe oder so“, kam es letztendlich von Raku, woraufhin sie ungehalten schnauzte: „Rede nicht so mit mir! Arschloch!“ Niemand schenkte ihr Gehör, auch nicht ihr Bruder. Alle waren zu sehr von der großen Neuigkeit gebannt. Dass die zweite Hürde nun bewältigt war, löste in allen ein Gefühl der Zuversicht aus. Insbesondere in Raku und Teruki, die sich in Sachen Ungeduld und Gereiztheit nicht viel schenkten. Die erste Hürde hatten sie schon vor Wochen hinter sich gebracht, indem sie sich in die Digiwelt gehackt und niedergelassen hatten. Geschützt wurde ihr Hauptquartier durch eine bombensichere Firewall, die Naoto errichtet hatte. „Wir sollten anstoßen“, bemerkte Raku und grinste in die Runde. Akamaru hätte ihm liebend gerne gesagt, dass er nach Nomi am allerwenigsten zu ihrem Erfolg beigetragen hatte und er ihm beinahe den Hals für seine ewigen Nörgeleien herumgedreht hätte, doch auch das schluckte er herunter. Er brauchte den Kerl noch, auch wenn er faul und undiszipliniert war. Akamaru hätte ihn nicht rekrutiert, wenn er in dem jungen Mann kein Potential gesehen hätte. Ein brillanter Hacker war er allemal. „Ja, das sollten wir“, grinste Akamaru also und von dem grimmigen Teruki kam ein zustimmendes Brummen. „Wenn ich noch länger auf diesen Bildschirm starre, trocknen mir die Augen aus.“ So erhoben sich die Hacker, streckten sich ausgiebig und schlurften dann zu der Wohnlandschaft, die neben dem langgezogenen Schreibtisch, an dem sie arbeiteten, den mit Akten und Büchern vollgestopften Regalen und einem wärmenden Kamin das einzige Mobiliar dieses Raumes war. Eine Küche und Schlafräume gab es ein Stockwerk über ihnen. Teruki, Naoto, Nomi und Akaramu setzen sich auf die bequeme, rote Couch. Raku lief die Wendeltreppe hinauf und kam wenig später mit einem Kasten Bier zurück, welchen er bei ihrem letzten, kurzen Ausflug in die ihnen verhasste, reale Welt gekauft hatte. Er reichte jedem ein Bier, Nomi allerdings erst, nachdem sie quengelte und nahm dann neben Teruki Platz. Die fünf stießen an. „Auf Yggdrasil“, meinte Naoto, doch Akamaru schüttelte seinen Kopf. „Nein, auf uns. Yggdrasil wird hier schon bald keine Rolle mehr spielen.“ Sein finsteres Grinsen wurde von den anderen Männern gleichermaßen erwidert. Nomi war nach wie vor ahnungslos, doch hatte augenscheinlich schon ihr Interesse an dem Thema verloren. Mit einem stumpfen Blick trank sie aus ihrer Bierflasche, in Gedanken wahrscheinlich schon bei der nächsten Pille, die sie sich bald einwerfen würde. „In unseren Reihen fehlt eigentlich noch dieses Mädchen“, bemerkte Teruki und traf damit einen Nerv von Akamaru. Es kostete ihn Mühe, sein glorreiches Lächeln beizubehalten. „Stimmt. Die war ja auch ganz gut. Schien mir aber nicht, als ob sie gerne mit uns abhängt“, meinte Raku und sein Kumpel zuckte mit den Schultern. „Ich häng auch nicht gerne mit euch ab und trink jetzt mit euch ein Bier. Wir sollten sie herholen.“ „Nein“, entwich es Akamaru etwas zu schnell und verdutzte Blicke trafen ihnen. Der von Teruki war regelrecht misstrauisch. Rasch ergänzte der selbsternannte Anführer: „Sie meinte, dass sie in der realen Welt zu tun hätte.“ „Na schön. Schreib ihr aber wenigstens, dass Yggdrasil wieder aktiviert ist“, meinte Teruki, nachdem er seinen Gegenüber für einen Augenblick bloß skeptisch gemustert hatte. In Akamaru regte sich Nervosität und eine tiefgehende Antipathie für den scharfsinnigen, skeptischen Burschen. Sein Instinkt sagte ihm, dass es mit ihm noch Probleme geben würde. Sowie sein ehemaliger Chef in der IT-Firma schon mit ihm und seinem aufsässigen, rebellischen Charakter Probleme gehabt hatte. Dabei hatte Akamaru nicht einmal damit gelogen, dass das Miststück sich abgemeldet hatte. Die Übernahme der digitalen Welt hatten sie nicht gerade mit Eifer, Stolz und Freude erfüllt. Es schien, als würde sie es eher als recht passable Freizeitaktivität ansehen. Auch das hatte Akamaru an ihr verabscheut – es schien, als würde sie ihn und seine Ziele nicht ernst nehmen. Wie er es hasste, nicht ernst genommen zu werden! „Leute, ich finde, wer solche Heldentaten vollbringt, verdient einen anständigen Namen“, riss ihn der eingebildet grinsende Raku schließlich aus seinen finsteren Gedanken und sah in die Runde. „Na klar, die fünf heldenhaften Teletubbies“, schnaubte Teruki spöttisch, woraufhin von Nomi ein geknurrtes: „Sechs.“ kam. Wieder wurde sie ignoriert. Raku holte gerade Luft, um seinen missmutigen Freund anzublaffen, da sagte Akaramu: „Er hat Recht. Wir brauchen einen Namen. Einen Namen, bei dessen Klang jeder das Bedürfnis hat, sich zu verneigen.“ Es folgte ein grüblerisches Schweigen, während dem Akamaru verstohlen die drei nachdenklichen Männer betrachtete. Seine Rekruten, allesamt geächtete, schwarze Schafe der Japanischen Gesellschaft. Genau wie er selbst. „Wie wäre es mit ‚die Asen‘?“, meinte schließlich Naoto. „Die Asen?“, wiederholte Raku seinen Kollegen mit zusammen gezogenen Brauen und dieser zuckte mit den Schultern. „Der Begriff Yggdrasil entspringt immerhin auch der nordischen Mythologie. Es ist der Lebensbaum.“ „Nordische was? Was für Asen?“, fragte Nomi und ehe sie aufgrund ihrer mangelnden Bildung wieder mit einem spöttischen Kommentar bedacht wurde, sprach ihr Bruder: „Die Asen sind ein Göttergeschlecht der nordischen Mythologie.“ „Ah ja“, brummte sie und kassierte mehr als einen finsteren Blick. Das bemerkte sie jedoch nicht, denn ihre Aufmerksamkeit lag schon wieder auf ihren Fingernägeln. Die Augen der Männer wanderten allmählich zu Akamaru. „Du bist der Boss. Du hast uns alle zusammen getrommelt. Du hast Yggdrasil wiederbelebt. Du entscheidest“, meinte Raku, woraufhin der sogenannte Boss mit falscher Bescheidenheit den Kopf schüttelte. „Wir sind ein Team. Wer ist für die Asen?“ Raku und Naoto gaben zustimmende Laute von sich und nach einem Seufzer kam auch von Teruki ein: „Na schön, warum nicht?“ Auch wenn das Miststück anwesend wäre und zusammen mit ihm gegen den Namen gestimmt hätte, wären sie in der Unterzahl gewesen. Nomis Meinung zählte in der Hackergruppe nicht. Akamaru grinste und hob erneut seine Bierflasche. „Na dann, auf die Asen.“ Die anderen prosteten ihm zu, in ihren Gesichtern glühender Stolz auf die sogenannten Heldentaten. Heldentaten, die schon bald die gesamte Digiwelt verändern würden. Selbst Terukis finsterer Blick hatte sich etwas aufgehellt. Akamaru gab ihm das, was er in der ausbeuterischen IT-Firma, in der er zuvor angestellt war, nicht gehabt hatte – ein höheres Ziel, einen Wert und Gleichgesinnte. Alles lief nach Plan, seine Lakaien waren augenscheinlich zufrieden. Und schon bald würde er auch Yggdrasil für sich und seine Ideen gewonnen haben. „Wollen wir uns auch Usernames geben?“, schlug der sichtlich begeisterte Raku vor. Er war so gut gelaunt, wie er noch wenige Minuten zuvor schlecht gelaunt über ihre mangelnden Fortschritte war. Akamaru kam eine Idee, die er sich nicht verkneifen konnte. „Wenn ich euer Anführer sein soll, dann heiße ich Odin und ihr Geri, Freki, Hugin und Munin.“ „Einverstanden“, kommentierte Raku und Naoto nickte. Nur Teruki zögerte, denn es widerstrebte ihm, den Namen eines Haustiers zu tragen. „Ich dachte, wir sind ein Team“, murrte er, seinen prüfenden Blick auf Akamaru gerichtet. Dieser verbarg seine Verärgerung hinter einem diplomatischen Lächeln. „Natürlich. Es ist doch nur ein Name.“ „Am besten nennen wir dich den Erbsenzähler“, meinte Raku an Teruki gewandt und grinste breit, als dieser ein übellauniges Knurren von sich gab. „Dann bin ich aber einer der Wölfe. Freki“, gab er sich letztendlich geschlagen. „Und ich Geri“, sagte Ruki prompt. „Ich bin der Rabe Hugin und für das Mädchen bleibt dann noch Munin“, stellte Naoto fest. Die jungen Männer sahen sich untereinander an und nickten einverstanden. „Wer bin ich?“, kam es von Nomi. Das nichtsnutzige Dummchen, brannte es Akamaru auf der Zunge, doch Raku übernahm die Antwort: „Freya, würde ich sagen.“ „Wer ist Freya?“ „Die nordische Göttin der Liebe.“ Er zwinkerte ihr anzüglich zu, woraufhin sich ihre Rosa geschminkten Lippen gefällig verzogen. Naoto senkte seinen Blick, damit niemand die Finsternis auf seinem Gesicht sehen konnte. Es war rührend, wie sehr er sich um seine missratene Schwester sorgte. So rührend, dass Akamaru beinahe übel wurde. Er ignorierte die Gefühlsduseleien der drei und verkündete: „Ein Göttergeschlecht ward geboren. Ein Göttergeschlecht, dem schon bald die Digiwelt gehören wird.“ Kapitel 1: Ausflug in eine andere Welt -------------------------------------- Müde schleppte sich Suri die schier endlosen Stufen des kargen Treppenhauses hinauf. Ihre Wange pochte unangenehm und sie wusste, was sie sehen würde, wenn sie morgen in den Spiegel blickte. „Au“, jammerte sie vor sich hin, erklomm nach einer gefühlten Ewigkeit das vierte Stockwerk und schlurfte zu der Wohnungstür. Träge kramte sie ihre Schlüssel aus ihrer Trainingstasche, in Gedanken schon bei den Schulaufgaben, die sie noch zu erledigen hatte. „Taidama“, stöhnte sie leidig zur Begrüßung, während sie in dem winzigen Flur ihre Straßenschuhe gegen Pantoffeln eintauschte. „Okaeri nasai!“, hallte die heitere Stimme ihrer Mutter zurück. Suri trottete in die Küche, angezogen von dem Geruch nach Essen. Ihr Magen knurrte vernehmlich, denn nach dem Unterricht respektive kurz bevor sie sich im Karateclub ihrer Schule herumgeprügelt hatte, hatte sie bloß einen kleinen Snack zu sich genommen. Mit einem Putzlappen in der Hand wendete sich ihre Mutter von der Küchenzeile ab und ihrer Tochter zu. Bei ihrem Anblick erschrak sie für einen kurzen Augenblick, verzog ihr Gesicht aber rasch zu einem mitleidigen Lächeln. „Na? War das Training heute nicht so gut?“, fragte sie zu allem Überfluss. „Also wenn man davon ausgeht, im Karateclub vermöbelt zu werden, war das Training ganz gut“, brummte Suri und dachte mit finsterer Miene an Taro Kobayashi, einem angeberischen, sadistischen Mistkerl ein Jahrgang über ihr. Der gesamte Karateclub hielt angespannt den Atem an, sobald der Sensei die Sparringpartner einteilte. Niemand hatte Lust, mit diesem Freak zu kämpfen, der den Club mit Sicherheit nur besuchte, um sich ungehindert und legitim prügeln zu können. Diesmal hatte es Suri getroffen und Resultat waren viele blauen Flecken, darunter einer direkt unter ihrem linken Auge und Schmerzen in ihrem gesamten Körper. Nicht nur Suri war erleichtert, dass er die Oberschule nach diesem Schuljahr verlassen würde. Ihre dunkelgrünen Augen wanderten von ihrer Mutter zum gedeckten Küchentisch und begannen zu glitzern. „Ich hab dir dein Lieblingsessen gemacht“, verkündete ihre Mutter stolz. „Takoyaki Bällchen“, murmelte Suri schwärmerisch und setzte sich rasch auf einen der vier Stühle. Getrieben von Hunger lud sie sich auf und verschlang die Oktopusbällchen im Teigmantel. Die Kochkünste ihrer Mutter versetzten sie wie immer in Hochgenuss. Mit Suris Geburt war ihre Mutter zur Hausfrau geworden und hatte sich so ziemlich alle Kniffe angeeignet, die man als eine solche brauchte. Suris Vater, ihr kleiner Bruder und sie konnten sich jedenfalls stets darauf verlassen, dass daheim alles in geregelten Bahnen verlief und es gutes Essen gab. „Kommt Kaida uns heute besuchen?“, fragte ihre Mutter beiläufig, während sie Wasser für den Abwasch einließ. „Weiß ich nicht. Verabredet haben wir uns jedenfalls nicht.“ „Habt ihr Streit?“ „Nein, eigentlich nicht. Sie hat gerade einfach viel zu tun, hat sie mir gesagt“, meinte Suri zwischen zwei Bissen. Die Rede war von ihrer Nachbarin, ihrer besten Freundin seit Kindheitstagen und ihrer Klassenkameradin. „So?“ Ihre Mutter warf ihr über die Schulter hinweg einen überraschten Blick zu. „Hat sie vielleicht einen Freund?“ Suri schnaubte. „Der Junge, der Kaidas Ansprüchen genügen würde, muss erst noch im Reagenzglas gezüchtet werden.“ Ihre Mutter kicherte belustigt, auch über ihre eigene sehr unwahrscheinliche These. Sie wusste, was Suri mit Ansprüchen meinte. Nicht etwa ein gutes Aussehen, Sportlichkeit oder gute Noten. Nein, der Fokus von Kaidas Ansprüchen würde wohl auf der Intelligenz des jungen Mannes liegen. Und dass sie sich überhaupt schon nennenswerte Gedanken zum anderen Geschlecht gemacht hatte, mochte Suris Mama bezweifeln. Kaida war wohl das klügste Mädchen auf der Schule, brauchte nach dem Unterricht nicht zu lernen und die mathematische Gleichung, die Kaida nicht lösen konnte, musste erst noch erschaffen werden. Dennoch war ihre Kernkompetenz immer noch die Arbeit mit Computern. Auch die Eltern der beiden Mädchen waren befreundet und wie oft hatte Kaidas Mutter darüber geklagt, dass ihre Tochter so eigensinnig war. Erzieherische Maßnahmen konnte sie sich schenken bei einem Mädchen, das ihren eigenen, noch dazu brillanten Kopf hatte. Und bevor sie sie einmal schminken, shoppen oder ein Kino besuchen sehen würden, wäre an Weihnachten Kirschblütenfest. Stattdessen saß sie vor ihrem Computer, arbeitete an Projekten, die der herkömmliche Japaner nicht verstand und interessierte sich nicht für zwischenmenschliche Kontakte. Nicht aus sozialer Unsicherheit oder Schüchternheit, sondern einfach, weil ihr intellektuell niemand das Wasser reichen konnte und sie das sehr schnell langweilen würde. Bloß Suri war ihre Freundin und das vermutlich auch nur, weil sie wie Schwestern miteinander aufgewachsen waren. Eigentlich müsste sie das Traumkind jeder japanischen Familie sein, doch der Umgang mit ihr war sehr schwierig und nur Suri schien mit dem sarkastischen Humor, dem barschen Tonfall und ihren ganzen anderen Eigenarten klar zu kommen. Suri war da anders. Sie ging gerne aus, insbesondere auf Konzerte irgendwelcher Rockbands, war zwar nicht modeaffin, machte sich allerdings schon hin und wieder Gedanken um ihr Erscheinungsbild und musste sich Mühe geben, um den schulischen Anforderungen gerecht zu werden. Sie war durchweg ein normaler Teenager, wenn auch nicht ganz das typische Mädchen. Auch mit ihrem losen Mundwerk, ihrem leicht burschikosen Auftreten und ihrer Unbedarftheit kam nicht jeder klar, doch sie hatte sich einen kleinen Freundeskreis aufgebaut, auch wenn dieser hauptsächlich aus Jungs bestand. Suris Mutter wusste nicht, was sie bevorzugen würde – einen normalen Teenager mit durchschnittlichen Noten und alltäglichen Sorgen oder ein Genie, nach dem sich in naher Zukunft zweifelsohne einige hochangesehene Firmen die Finger lecken würden, doch was eigensinniger nicht sein konnte. Es spielte ohnehin keine Rolle, denn ein Kind konnte man sich nicht backen und lieben würde sie Suri sowieso, egal wie sie nun war. Sie seufzte gedankenverloren und wusch weiter ab. Gerade, als sich Suri das letzte Oktopusbällchen einverleibte, schlurfte ihr Bruder in die Küche. Akeno sah sie gleichgültig an, erblickte die anschwellende Blessur auf ihrer Wange und grinste schadenfroh. „Na, Schwesterchen? Hast du wieder ein paar auf die Lampe gekriegt?“, fragte er, ging zum Kühlschrank und kramte in ihm herum. Ihre Mutter setzte gerade zu einer Maßregelung an, als Suri sagte: „Pass auf, dass ich dir keins auf die Lampe gebe. Warum bist du so früh daheim? Gibt es heute kein Mädchen, mit dem du ausgehen kannst?“ Sie beäugte das Scheusal, was eineinhalb Jahre jünger als sie war und ihr unähnlicher nicht sein könnte. Für den geltungssüchtigen, prahlerischen Akeno zählte nur das Ansehen unter seinen Mitschülern. Er genoss es, von seinen Freunden bewundert, den Mädchen umschwärmt und seinen Fußballkontrahenten gefürchtet zu sein. Dafür trainierte er auch schon mal wie ein Blöder, verbrachte mehr Stunden vorm Spiegel als Suris Klassenkameradinnen zusammen und verpulverte sein Taschengeld für zahlreiche Markenklamotten. Wäre er nicht so unausstehlich, hätte Suri über ihn lachen können. „Neidisch, weil sich nur die Loser für dich interessieren?“, kam es zurück. „Das interessiert mich nicht die Bohne. Mein Universum dreht sich nicht nur um die Frage, ob ich auch ja cool genug bin.“ Akeno lachte spöttisch auf. „Ne, ganz sicher nicht. Du bist ein Freak, das sagen auch die anderen.“ „Akeno!“, kam es drohend von ihrer Mutter, doch diese wurde geflissentlich ignoriert. Auf Suris Gesicht erschien ein Grinsen. „Ach ja? Soll ich dir sagen, was man über dich so erzählt?“, meinte sie und sofort schnellte sein Blick zu ihr herum. Sie beugte sich zu ihm vor, zwinkerte verschwörerisch und sagte: „Dass du ganz schön zugelegt hast.“ Die Gesichtszüge des selbsternannten Schönlings entgleisten. „Was? Stimmt doch gar nicht.“ Seine Schwester sah abschätzig an ihm herab. „Naja, ein bisschen schon oder? Du warst jedenfalls schon mal besser in Form.“ „Suri, lass das. Er hat nicht zuge…“, tadelte ihre Mutter, doch wurde von dem lautstarken Zuschlagen des Kühlschranks unterbrochen. Wütend marschierte Akeno davon, begleitet von Suris gehässigem Gelächter. Ihre Mutter seufzte resigniert. „Toll gemacht. Jetzt lässt er sich überhaupt nicht mehr blicken, weil er jede freie Minute mit Sport verbringt.“ „Das ist der Plan“, sagte ihre Tochter, stand auf und räumte den Tisch ab. Danach schnappte sie sich ihre Schultasche und ging in ihr kleines, chaotisches Zimmer. Missmutig kramte sie ihr Schulzeug hervor und breitete es auf ihrem Schreibtisch aus. Zuerst nahm sie sich ihre Hausaufgaben in Mathematik vor. Es gab keine Worte, die ausdrücken konnten, wie wenig Lust sie hatte, doch es half ja alles nichts. Der Unterricht wurde immer schwerer und nächstes Jahr würde sie bereits in der Abschlussklasse sein. Wenn sie Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben wollte, musste sie die Zähne aufeinander beißen und das letzte bisschen Freizeit ins Lernen investieren. Ihre Gedanken wanderten zu dem Konzert, das sie am kommenden Samstag besuchen würde und das hellte ihre Laune etwas auf. Doch nur kurz, denn wieder einmal musste sie einsehen, dass sie über die Hälfte der mathematischen Formeln immer noch nicht verinnerlicht hatte und stöhnte entnervt auf. „Wo ist Kaida, wenn man sie mal braucht?“, murmelte sie und untertrieb mit ihrer Formulierung maßlos. Suri brauchte ihre clevere Freundin ziemlich oft. Wenn diese nicht bald wieder Zeit für sie hatte, musste sie nach dem Karateclub noch in die Paukschule. Dann könnte sie sich auch noch von dem letzten Rest ihrer knapp bemessenen Freizeit verabschieden. Doch im Anbetracht dessen, dass Suri sie und ihre gemeinsamen Abenden ziemlich vermisste, waren ihre Sorgen um die ungelösten Matheaufgaben eher zweitrangig. Nach kurzem Zögern griff sie nach ihrem Smartphone und schickte ihr eine Nachricht. 'Was machst du nochmal, dass du keine Zeit mehr mit mir verbringen kannst?', lautete sie und zu ihrer Überraschung folgte Kaidas Antwort recht schnell. 'Dinge, die du nie verstehen wirst.' Suri schnaubte belustigt. Da hatte ihre Freundin wohl Recht. Nicht mal ihre Lehrer verstanden so richtig, was in dem Hochleistungscomputer in ihrem Kopf vor sich ging. 'Magst du mich nicht besuchen kommen?', tippte sie. 'Lass mich raten – Mathematik besorgt’s dir mal wieder so richtig.' 'Wow, kommen bei dir jetzt noch hellseherische Fähigkeiten hinzu?' 'Nein, eher eine gute Menschenkenntnis', las Suri und lachte trocken auf. Wenn jemand auf diesem Erdboden sozial inkompetent war und demnach auch keine guten Menschenkenntnisse hatte, dann wohl Kaida. 'Das halte ich für ein Gerücht. Na los, komm schon rüber!', schrieb sie ungeduldig, doch erhielt diesmal keine Antwort. „Oh Mann, Kaida. Warum hast du mich verlassen?“, murmelte sie und bettete ihren dröhnenden Kopf auf ihrem Schulbuch. Wenig später öffnete sich hinter ihr die Zimmertür. „Was ist?“, nuschelte sie in die Seiten ihres Buchs. „Was machst du da?“ Bei dem Klang von Kaidas Stimme, fuhr Suri hoch und wendete sich strahlend um. Anstatt das fröhliche Lächeln ihrer Freundin zu erwidern, zog Kaida lediglich beide Brauen hoch. Die Augenblicke, in denen Kaida grinste oder gar lachte, hielten sich in Grenzen und wenn sie es dann doch mal tat, dann meistens, wenn andere nicht verstanden, was gerade so amüsant war. Daran war Suri schon gewöhnt, daher wunderte sie sich auch nicht über ihren unbewegten Gesichtsausdruck. „Kaida! Mensch, hast du dich verändert. Lang nicht mehr gesehen“, witzelte Suri. „Zuletzt vor ein paar Stunden im Klassenraum, was?“, kam es trocken zurück. „Das ist ja wohl nicht das Gleiche. In der Schule ist jeder gestresst und will eigentlich nur Heim.“ „Gestresst?“, hakte sie nach und machte damit klar, dass sie so etwas wie Schulstress nicht kannte. „Aber Heim willst du auch“, konterte Suri und Kaida nickte. „Da ist was dran. Sag mal, hast du wieder auf die Fresse bekommen?“ Demonstrativ tippte sich Kaida an ihre linke Wange und erhielt ein entnervtes Stöhnen. „Frag nicht. Ich musste gegen Taro Kobayashi kämpfen.“ Kaida zuckte mit einer unbarmherzigen Gleichgültigkeit die Schultern. „Tja, wenn du zu feige bist, aus dem Club auszutreten, dann musst du dich wohl weiter vermöbeln lassen.“ Suri verdrehte die Augen. „Mein Vater bringt mich um, wenn ich das tue.“ Ihr Vater war zu Schulzeiten und noch lange danach selbst in einem Karateverein gewesen und besaß mittlerweile den schwarzen Gürtel. Ihm war es wichtig, dass wenigstens eins seiner Kinder diese Tradition fortführte und letztendlich hatte sich Suri dazu breitschlagen lassen. Dass sie den Sport nicht mochte, war dabei zweitrangig. „Er will, dass ich mich im Ernstfall verteidigen kann“, ergänzte Suri und Kaida schnaubte. „Nein, er will mit dir vor seinen Kollegen angeben. Außerdem ist Japan das neuntfriedlichste Land dieser Welt. Gegen was sollst du dich denn verteidigen?“ „Gegen Klugscheißer wie dich.“ „Oder gegen Flachschippe wie dich.“ Suri seufzte geschlagen. „Hilfst du mir bei den Hausaufgaben?“ „Deshalb bin ich hier.“ So setzten sich die beiden Mädchen zusammen und brüteten gemeinsam über den Schulbüchern. Wie immer wirkten die Aufgaben so leicht, wenn Kaida sie löste und Suri seufzte stumm. Zwar verstand sie die Lösungswege nach den Erklärungen ihrer besten Freundin und versuchte, sich diese einzuprägen, doch es wäre schön, wenn sie nicht so oft ihre Hilfe brauchen würde. Sie wollte nicht, dass Kaida dachte, sie wäre in Suris Augen bloß ihre Nachhilfelehrerin. Vielleicht hatte sie das Gefühl ja und distanzierte sich aus dem Grund vor ihr? Dieser Gedanke bekümmerte sie und nachdem sie ihre Paukerei beendet hatten, fragte sie: „Was machst du nun eigentlich die ganze Zeit nach der Schule?“ „Ich hab dir doch gesagt, dass du es nicht verstehen würdest“, entgegnete Kaida, ohne die Miene zu verziehen. „Vielleicht ja doch? Sag’s mir, ich bin neugierig. Außerdem vermisse ich dich“, gestand sie und ihre Freundin zwinkerte ein paar Mal perplex. Es wäre auch verwunderlich gewesen, hätte sie diese Worte der Zuneigung erwidert. Zwar erfasste sie Suris Worte, verstehen tat sie sie deshalb noch lange nicht. „Na schön, ich habe dabei geholfen, eine Realitätsebene umzuschreiben“, antwortete sie. Suri runzelte verständnislos ihre Stirn. „Was?“ „Na guck, du verstehst es nicht.“ „Nein, tu ich nicht“, stöhnte Suri niedergeschlagen und rieb sich frustriert über ihr Gesicht. Als sie dabei die Blessur auf ihrer schmerzenden Wange berührte, zuckte sie heftig zusammen und gab im Anschluss einen jämmerlichen Klagelaut von sich. „Weißt du was? Ich zeig es dir. Komm mit“, forderte Kaida sie auf und ging zur Tür, ohne auf Suris Antwort zu warten. „Was zeigst du mir?“ „Heilige Scheiße, worüber haben wir denn gerade geredet? Wirst du langsam dement?“ „Ich komm ja schon“, brummte Suri etwas beleidigt und eilte hinter ihrer Freundin her. Mit ihrem zielstrebigen Gang rannte Kaida in der Küche beinahe Akeno über den Haufen. „Pass doch auf!“, fauchte er seine sonderbare Nachbarin an. So eng wie Suri und Kaida miteinander aufgewachsen waren, so wenig mochte Akeno das Superhirn. „Aus dem Weg, Fettbacke“, lautete ihr simpler Kommentar und Suris Bruder stieß einen entsetzten, unnatürlich hohen Laut aus und verschwand in seinem Zimmer. Zwei Mal am Tag gesagt zu bekommen, dass er dick sei, verkraftete er nicht und es löste in dem eitlen Schnösel mit Sicherheit eine Welle der Panik aus. Suri blickte ihm kurz nach und sah dann verdutzt zu Kaida. Ohne langsamer zu werden, erklärte sie: „Er hat eben seine Ische gefragt, ob er zugelegt hat.“ „Woher weißt du das?“ „Ich habe mich in sein Smartphone gehackt. Wenn mir langweilig ist, mache ich das manchmal.“ In Bezug auf Kaida wunderte Suri gar nichts mehr, daher hielt sich ihre Überraschung in Grenzen. Sie sagte bloß: „Ich hoffe, dass machst du nicht auch bei mir.“ Die beiden gelangten in dem Hausflur an und tauschten ihre Pantoffeln gegen Straßenschuhe. „Vor ein paar Monaten schon, aber das einzige, was du im Word Wide Web so treibst, ist Musik hören und dich mit irgendwelchen Leuten über irgendwelche Bands und Konzerte unterhalten. Das war mir auf die Dauer zu langweilig, deshalb hab ich es gelassen.“ „Wie beruhigend“, murmelte Suri sarkastisch. Sie erreichten Kaidas Wohnung, wechselten auch dort nochmal die Schuhe und liefen dann in Kaidas Zimmer. Suris Verbeugung in Richtung Herr und Frau Nakamaru und ihre Begrüßung fielen sehr knapp aus, denn Kaida zog sie an der Hand ungeduldig hinter sich her. Hinter sich schloss sie die Tür, schnappte sich ihren Rucksack und befüllte ihn in Windeseile mit allerlei Zeug, darunter auch ihrem iPad. Verwirrt verfolgte Suri das rege Treiben ihrer Freundin, welche sich im Anschluss an ihren Laptop setzte. Ihre schmalen Finger glitten blitzschnell über die Tastatur, sie öffnete und schloss ein paar Fenster und letztendlich blickte sie über ihre Schulter zu Suri. „Komm her“, meinte sie und zögerlich tat Suri, was sie sagte. Sie wusste nicht, was Kaida ihr zeigen würde, doch befürchtete, dass sie es ohnehin nicht verstand. Aber eigentlich müsste das Genie das doch wissen. Warum holte sie sie dennoch zu sich und deutete mit einem Nicken zu ihrem Computerbildschirm. „Bist du bereit?“, fragte sie. „Für was?“ „Für das Betreten einer anderen Welt.“ „Wie bitte? Ich…“ „Ich schätze, du bist bereit“, würgte Kaida sie ungeniert ab, fuhr mit dem PC-Pfeil zu dem Button eines geöffneten Fensters, in dem lediglich eine unverständliche Zahlenfolge stand und klickte ihn an. Prompt wurde Suri von den Füßen gerissen und stieß einen erschrockenen Laut aus. Hilflos blickte sie sich um, doch während sie durch eine Art Schlauch gezogen wurde, immer tiefer ins Nichts hinein, konnte sie Kaida nicht finden. Panik stieg in ihr auf. Ihre Umgebung sah so aus, wie sie sich das Weltall vorstellte, nur dass keine Planeten oder Sterne in der Dunkelheit funkelten, sondern leuchtende, kleine Vierecke, die sie an Pixel erinnerten. Suri wusste nicht, wie lange ihr rasanter Flug (oder Sturz) andauerte. Sekunden? Minuten? Jedenfalls erspähte sie irgendwann am Ende des Schlauchs eine kreisförmige Öffnung, aus der Licht drang. Ob sie erleichtert sein sollte, endlich dem Sog zu entkommen, würde sie erst erfahren, wenn sie ihn verlassen hatte. Was würde sie erwarten? Suri hatte nicht den Hauch einer Ahnung. Sie wusste nur, dass sich Kaida auf einen Anschiss von ihr freuen durfte. Es war nicht das erste Mal, dass sie als Versuchskaninchen herhalten durfte und erst im Anschluss davon erfuhr. Unaufhaltsam flog sie auf die mannsgroße Öffnung zu, wurde aus ihr herausgeschleudert und kam mit einem Ächzen auf dem Bauch auf. Die Landung war weniger hart, als befürchtet. Sie spürte Gras unter ihren Händen und rappelte sich mühsam auf. Als sie sich umsah, fand sie sich auf einer Lichtung wieder, umringt von den farbenfrohsten Gewächsen, die sie je gesehen hatte. Sie sah zum Himmel auf, suchte ihn nach der Öffnung ab, durch die sie eben katapultiert wurden war, doch fand keine. Er war tiefblau und nur hier und dort von kleinen Wolken getrübt. Ein sachter, tropisch duftender Wind umspielte ihr Haar. „Hallo?“, rief Suri ängstlich und drehte sich um ihre eigene Achse. Plötzlich erschien links neben ihr eine weitere, kreisförmige Öffnung, welche sich weitete, bis Kaida aus ihr heraussprang. Sie landete weitaus eleganter auf beiden Füßen und grinste Suri im Anschluss stolz an. „Wo sind wir?“, fragte diese und erhielt die Antwort: „In der Digiwelt.“ „In der… Digiwelt? Da, wo die Digimon herkommen?“, hakte Suri mit wachsender Angst nach. „Jepp.“ Kapitel 2: Der kleine, lilafarbene Retter ----------------------------------------- Ein Schreck durchfuhr Suris gesamten Körper und wie vom Donner gerührt stand sie bloß da, starrte mit offenem Mund ihre Freundin an und war außer Stande zu sprechen. Erinnerungen an eine furchtbare Zeit vor vier Jahren fluteten ihr Hirn. Damals, als in regelmäßigen Abständen Digimon in der realen Welt erschienen, um sie dem Erdboden gleichzumachen. Chaos und Zerstörung auf den Straßen, überall miteinander kämpfende Monster, bewaffnete Männer und Fahrzeuge vom Militär an jeder Ecke, eingestürzte Gebäude und tagtägliche Hiobsbotschaften in den Nachrichten, solange bis der Strom in Tokyo ausfiel und keine mehr gesendet werden konnten. Zwar hatten Suri und ihre Familie die Katastrophe unbeschadet überlebt, doch sie konnte sich immer noch gut an die Angst erinnern, die sie während der Zeit geplagt hatte. „Bist du verrückt?! Willst du uns umbringen?! Wir müssen sofort hier weg, bevor diese Monster hier aufkreuzen!“, fuhr sie Kaida haltlos an. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie ihre beste Freundin anschrie. Sonst war sie eine sehr geduldige und gelassene Natur, was ihre Mitmenschen betraf. Doch mit ihrem Trip in die gefährliche Digiwelt hatte sie definitiv den Bogen überspannt. Panisch sah Suri sich um, vermutete hinter jedem der blühenden Büsche eine bösartige Kreatur, die nach ihrem Leben trachtete und richtete ihren Blick wieder zornig auf Kaida. Es war einer der wenigen Momente, in dem sie einmal etwas verdutzt wirkte. Diese Anfuhr war nicht nur für Suri das erste Mal. „Entspann dich. Ich war schon ein paar Mal hier und kein Digimon hat mich angegriffen“, sagte sie schließlich. „Wie viele hast du denn gesehen?“ „Naja, eins. Aus der Ferne.“ „Du bist schrecklich.“ „Und du benimmst dich wie ein feiges, hysterisches Würstchen. Du könntest mir ruhig ein bisschen Anerkennung zollen. Sowas wie – Was? Du hast es allen Ernstes geschafft, dich in die Digiwelt zu hacken? Respekt, Kaida und danke, dass du mich mitnimmst.“ „Hier ist es gefährlich! Hättest du mir vorher gesagt, wo wir hingehen, dann wäre ich nicht mitgekommen. Deine Hackerleistungen in allen Ehren“, erwiderte Suri, ihre Fäuste streng in die Hüften gestemmt. „Was hast du denn gedacht, wo wir hingehen? Ich hab dir gesagt, wir gehen in eine andere Welt. Welche gibt es denn noch außer der Digiwelt?“ „Weiß ich doch nicht. Du bist von uns beiden das Superhirn.“ Kaida schnaubte grimmig. „Na schön. Dann gehen wir eben wieder, damit du dir deine vollgeschissenen Windeln wechseln kannst." „Schön.“ Vor sich hin brummelnd begann Kaida, in ihrem Rucksack herumzuwühlen, bis sie ihr iPad herausholte. Suri sah sich derweilen immer wieder hektisch um, prüfte ihre Umgebung auf die gefährlichen Bestien, die einst Tokyo in Schutt und Asche gelegt hatten. Sie sah nicht, wie sich Kaidas Stirn in Falten legte, während sie über ihrem Tablet brütete. „Error“, murmelte sie und schüttelte verständnislos ihren Kopf. „Ist was?“, hakte Suri nach, ihren Blick immer noch auf dem dichten Gestrüpp. Als Antwort gab sie mal wieder irgendwelches Fachchinesisch von sich, das Suri nicht verstand. „Was bedeutet das für den normalen Menschen?“, hakte sie genervt nach und kassierte von Kaida einen milde angewiderten Blick. „Weißt du, es täte dir echt gut, mal ein bisschen Computersprache zu lernen. Das bedeutet, dass wir hier nicht mehr rauskommen. Irgendwer oder irgendwas sperrt die URL zur realen Welt.“ Suri traute ihren Ohren nicht. Für sie war ganz logisch, dass ein Problem, das Kaida nicht bewältigen konnte, eins war, das niemand bewältigen konnte. Programmieren, Hacken und ähnliches Zeug waren ihr Fachgebiet, auf dem sie jeden auf ihrer Schule – auch die hiesigen Informatik-Lehrer – geschlagen hatte. Suri konnte sich noch an Kaidas siegreiches Grinsen und den offenkundigen Ärger der anderen Programmier-Wettbewerbsteilnehmer erinnern, als das Superhirn ihnen einen virtuellen Arschtritt verpasst hatte. Das war letztes Jahr auf dem Schulfest. Wie viel sie seitdem noch dazu gelernt hatte, wusste Suri nicht und dennoch tippte Kaida emsig auf ihrem Tablet herum ohne das gewünschte Resultat. „Oh Mann, was ist, wenn…“, murrte Suri, doch wurde von einem energischen „Pssst!“ unterbrochen. Tatsächlich verstummte sie, denn die Miene ihrer besten Freundin hatte sich wütend verzogen. Misserfolg auf ihrer Königsdisziplin kannte und duldete sie nicht und wahrscheinlich war es gefährlich, sie jetzt zu stören. Noch dazu würde es auch nichts bringen. Suri unterdrückte ein verzweifeltes Haare raufen und zog ihr Smartphone hervor. Vielleicht konnte sie jemanden aus der realen Welt anrufen, der ihnen aus ihren Schwierigkeiten half? Doch wie befürchtet hatte sie keinen Empfang. Das unheilvolle Rascheln eines Buschs lenkte sie schließlich ab, ihr Blick schnellte nach links. „Kaida“, flüsterte sie beiher verängstigt, um ihre Freundin, die ganz und gar in ihr Treiben vertieft war, zu alarmieren. Doch sie reagierte nicht, tippte einfach weiter und schien sie genauso wenig gehört zu haben, wie das Knacken des Geästs. Während Suri das Gebüsch anstarrte, hämmerte ihr Herz vor Angst in ihrer Brust. Wenig später betrat eine Art grüner Oger mit spitzen Hörnern und Zähnen und einer massiv aussehenden Holzkeule die Lichtung und funkelte aus seinen bösartigen Augen zu ihnen herüber. „Wer wagt es, das Revier von Ogremon zu betreten?“, knurrte die Kreatur mit tiefer Stimme. Erst jetzt sah Kaida von ihrem iPad auf und für einen Augenblick starrten sich die drei bloß gegenseitig an. „Du redest“, raunte Kaida ihrer Freundin zu, welche sie entsetzt ansah. „Ich? Warum ich?“ „Weil du hier die Softskills hast.“ „Ich glaube nicht, dass uns das weiterhilft“, meinte Suri und begutachtete ängstlich die schwere Keule der etwa mannshohen Kreatur. „Dann musst du ihn töten. Du kannst doch Karate.“ „Da hab ich aber nicht töten gelernt, du Witzbold.“ Kaida seufzte. „Kein Wunder, dass du da nicht gerne hingehst.“ Suri warf ihr einen verdatterten Blick zu, ehe das Wesen weitersprach und sie von ihrer im höchsten Maße merkwürdigen Freundin ablenkte. „Niemand betritt ungeschoren Ogremons Revier!“, brüllte es wütend. Die beiden Mädchen zuckten zusammen und Suri fragte sich, ob das Monster in der dritten Person von sich sprach oder es irgendwo noch ein übleres Vieh von der Sorte gab. Sie erschauderte innerlich, setzte ein unsicheres Grinsen auf und antwortete: „Wir wusste nicht, dass wir uns auf einem Privatgrundstück aufhalten. Danke für den Hinweis, wir werden sofort gehen.“ „Das kann Ogremon nicht zulassen. Ogremon wird euch mit seiner Keule zerschmettern!“ Das Vieh hob seine schwere Keule über den Kopf und rannte auf sie zu. Reflexartig fasste Suri Kaida bei der Hand, wirbelte mit ihr herum und rannte ein paar Schritte Richtung Wald. Doch der schmerzerfüllte Laut ihres Angreifers ließ sie innehalten und über ihre Schultern sehen. Der Oger taumelte nach hinten und fiel auf sein Gesäß. Ein erheblich kleineres Wesen versperrten ihm den Weg. Ein Wesen, das nach einer Art mutiertes Meerschweinchen mit lilafarbenem Fell aussah. „Das hilft uns“, stellte Suri verwundert fest und Kaida brummte: „Wer weiß, wie lange noch. Wenn dieses grüne Scheißvieh wieder auf den Beinen ist, macht es aus ihm eine Pfütze. Lass uns abhauen.“ Sie drehte sich wieder herum, wollte weiter ins Gehölz vordringen, doch wurde von ihrer Freundin an ihrer Hand zurückgehalten. „Wir können es doch nicht einfach seinem Schicksal überlassen“, sagte Suri und blickte mitfühlend zu dem kleinen Wesen, das sich sichtlich verausgabte, damit sie und Kaida nicht einem Oger zum Opfer fielen. „Warum? Es hat doch beschlossen, zu kämpfen“, fragte Kaida völlig verständnislos und kassierte ein Augenrollen. So anstrengend wie Suris mangelndes Fachwissen manchmal für sie war, so anstrengend war Kaidas mangelnde Empathie für Suri. „Wir bleiben. Vielleicht braucht es irgendwann unsere Hilfe und zu dritt werden wir es schon irgendwie gegen das Ding schaffen“, bestimmte sie und nun verdrehte Kaida die Augen. Beiher gab sie zahlreiche, gewichtige Argumente für eine Flucht von sich, die Suri allesamt geflissentlich ignorierte. Mit gestrafften Schultern ging sie wieder auf die Lichtung, mit höchstem Widerwillen und finsterer Miene folgte ihre Freundin. Wie Kaida es vorhergesehen hatte, kämpfte sich der Oger wieder auf seine Beine und schlug mit seiner Keule nach dem kleinen Tierchen. Nur seiner geringen Körpergröße und der damit einhergehenden Flinkheit verschaffte ihm einen Vorteil. Doch vor lauter Ausweichen war es nicht mehr in der Lage anzugreifen. Suri blickte sich hektisch um, sah einen faustgroßen Stein zu ihren Füßen und hob ihn rasch auf. Mit aller Kraft warf sie ihn nach dem grünen Scheißvieh, wie Kaida es soeben getauft hatte und landete einen Treffer an seiner Schulter. Es stieß einen zornigen Laut aus, war für kurze Zeit abgelenkt, sodass das kleine Wesen wieder mit Seifenblasen um sich spucken konnte. Leider brachte das nicht mehr viel. Der Überraschungsmoment war vorbei und der wütende Oger ließ sich nicht mehr überrumpeln. „Ihr müsst in Deckung gehen!“, rief das lilafarbene Meerschweinchen und warf ihnen aus seinen goldenen Augen einen besorgten Blick zu. „Du schaffst das aber nicht“, entgegnete Suri, die bereits den nächsten Stein aufhob. Kaida fluchte verärgert und tat es ihr letztendlich nach. Gemeinsam attackierten sie das vor Wut schäumende und schreiende Vieh solange, bis es das kleine Digimon zu fassen bekam und es gegen den nächsten Baum schleuderte. Danach trampelte er auf Suri und Kaida zu. „Ogremon wird euch töten! Und danach wird er euch fressen!“, war sein Kampfschrei, der Suri einen eiskalten Schauder den Rücken herab jagte. Für eine Flucht war es zu spät. Sie warf sich gegen Kaida, sodass beide zu Boden fielen und nur knapp der zuschlagenden Keule auswichen. „Kaida!“, rief das Meerschweinchen und taumelte sichtlich lädiert auf seinen kurzen Beinchen über die Wiese. Seine goldenen Augen waren besorgt, doch auch erschöpft auf Kaida gerichtet. „Nein, bring dich in Sicherheit!“, erwiderte Suri laut und wich beiher dem nächsten Keulenschlag mit einer Seitwärtsrolle aus. Besorgt sah sie zu Kaida, die in etwa die Sportlichkeit eines Schokoladenkuchens besaß. Obwohl sie für ihr Leben gerne aß, war sie alles andere als dick, doch sportlich ebenso wenig. Im Anbetracht ihrer Lebensgefahr betete Suri, dass sich ihre Freundin heute geschickter anstellte als im Sportunterricht. Diese schien jedoch von ihrem Handy abgelenkt zu sein, auf welches sie mit gerunzelter Stirn starrte. ‚Ich fass es nicht. Selbst jetzt kann sie ihre Gerätschaften nicht aus der Hand legen‘, dachte sich Suri und wollte Kaida gerade zurechtweisen, als plötzlich ihr kleiner, lilafarbener Retter laut rief: „Dorimon digitiert zu…“ Das Digimon hatte sich zu drehen begonnen und sein kleiner Körper wurde von leuchtenden Zahlen umringt. Ein gleißendes Licht ging plötzlich von ihm aus, welches seine Schemen komplett verbarg. Als das Strahlen eine Sekunde später wieder versiegte und das Digimon wieder zu erkennen war, stellte Suri verblüfft fest, dass es sein Äußeres verändert hatte. Es war nun ein lilafarbener, kindshoher Dinosaurier mit kleinen Flügeln und einem rotfunkelnden Stein auf der Stirn. Seine goldenen Augen waren entschlossen auf den Oger gerichtet. „… Dorumon!“, schloss es seine Verwandlung ab und die Zahlen verschwanden. „Wow“, meinte Suri, während sie Dorumon mit großen Augen betrachtete und dabei ihre Deckung vernachlässigte. Ein grüner, hässlicher Fuß hielt auf sie zu und wollte sie zerstampfen. „Metallkanone!“, kam es lautstark von dem Dinosaurier und eine Salve aus Metallbrocken rettete sie in der letzten Sekunde vor ihrem sicheren Tod. Der Angriff ließ den Oger zur Seite kippen. Suri nutzte die Chance, sprang auf und half ihrer Freundin auf die Füße. „Würdest du vielleicht mal dein Handy wegstecken und wieder im Hier und Jetzt ankommen?“, fragte sie sie gereizt, doch Kaida machte keine Anstalten, das Smartphone wieder in ihre Hosentasche zu tun. „Ich hab hier eine merkwürdige App auf meinem Handy. Ich glaube, sie hängt mit diesem Drachen da zusammen“, murmelte sie beiläufig. „Scheiß auf die App! Wir müssen Dorumon helfen!“ Mit diesen Worten klaubte Suri wieder Steine zusammen und warf sie so präzise und wuchtig wie sie konnte nach Ogremon. Kaida löste sich endlich von ihrem Smartphone und schloss sich Suri an. Letztendlich konnten die beiden in Zusammenarbeit mit Dorumon den Oger bezwingen. Das grüne Vieh stieß einen letzten, markerschütternden Schrei aus, zersetzte sich dann in winzige Datenpartikel und verschwand. Schwer atmend und erschöpft standen die siegreichen Helden auf der Wiese und sahen sich gegenseitig an. Dorumon wurde wieder zu dem lilafarbenen Meerschweinchen, was es einmal war und trottete auf sie zu. „Geht‘s dir gut?“, fragte es primär Kaida und erhielt einen Blick, der an Trockenheit kaum zu überbieten war. „Wie sieht es denn aus?“ Nach ihrer barschen Erwiderung entfernte sie sich ein paar Schritte, ließ sich an einem Baum nieder und holte wieder in Tablet hervor, auf dem sie mit konzentrierter Miene herumtippte. Das Meerschweinchen blickte ihr hinterher und murmelte: „Habe ich etwas falsch gemacht?“ Suri tätschelte ihm beruhigend den Kopf. „Nein. Sprich einfach später nochmal mit ihr, gerade ist sie in einer Schaffenskrise.“ „Eine Schaffenskrise?“ Das Digimon sah sie aus seinen großen, goldenen Augen verwirrt an. Seufzend nahm Suri im Schneidersitz auf dem satten Gras Platz. „Sozusagen. Sie versucht einen Weg zu finden, aus der Digiwelt herauszukommen. Aber bisher ist es ihr noch nicht gelungen.“ „Wie bitte? Sie ist doch gerade erst gekommen. Ich habe ewig lang auf sie gewartet und sie will wieder verschwinden?“, empörte sich das kleine Digimon und Suri schaute verwirrt drein. „Ewig auf sie gewartet?“, wiederholte sie fragend. Dorimon überlegte kurz und präzisierte: „Naja, ganze vier Tage.“ Suri konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Naja, ganz so ewig ist das aber nicht.“ „Kam mir aber so vor.“ „Aber warum auf sie gewartet?“, fuhr Suri mit ihrer Befragung fort. Sie war neugierig, was in ihrer Situation wohl so ziemlich jeder wäre. Immerhin hatte sie es noch nie mit der Digiwelt und ihren Bewohnern zu tun gehabt. Ihr Gesprächsthema, Kaida, war eher mit sich selbst und dem Datengewirr auf ihrem Tablet beschäftigt. Etwas anderes hätte Suri allerdings auch gewundert. „Na, sie ist meine Partnerin“, erklärte Dorimon mit einem Seitenblick auf das Superhirn und zu Suris ohnehin schon zahlreichen Fragen kamen neue hinzu. Die beiden gravierendsten pickte sie sich heraus und stellte sie: „Wie meinst du das – deine Partnerin? Und warum weiß Kaida nichts davon?“ „Das weiß ich auch nicht so genau. Auf jeden Fall werde ich sie beschützen“, meinte Dorimon mit einem zu alles entschlossenem Blick und Suri schenkte ihm ein anerkennendes Lächeln. Innerlich empfand sie Mitleid mit dem Meerschweinchen, denn Kaida war keine Person, der solche Gefälligkeiten auffielen und das Wort ‚Danke‘ aus ihrem Mund war auch eher eine Seltenheit. Hoffentlich hatte das Digimon stählerne Nerven und eine gehörige Portion Geduld. „Und wer hat beschlossen, dass ihr Partner seid? Du?“, hakte Suri weiter nach, doch seiner Miene war zu entnehmen, dass es ziemlich ratlos und noch dazu überfordert war. Scheinbar war es ebenso redensfaul wie seine sogenannte Partnerin. Das war schon mal ein Vorteil, so würde es jedenfalls nicht an Kaidas Wortkargheit zugrunde gehen. Es warf dem Superhirn einen etwas sehnsüchtigen Blick zu. „Weiß ich nicht genau. Aber sie freut sich nicht besonders, mich zu sehen“, mutmaßte es und mit all ihrer Überzeugungskraft winkte Suri gelassen ab. „Wie gesagt – sie ist gerade bloß beschäftigt. Bestimmt werdet ihr bald Freunde.“ „Ja, bestimmt.“ Zögerlich spähte es herüber, hopste schließlich über das Gras und hielt dabei auf Kaida zu. „Schlechte Idee“, murmelte Suri und blickte dem Kleinen besorgt hinterher. Doch das Digimon kannte Kaida immerhin schon so gut, dass es sie nicht ansprach, sondern sich bloß neben sie legte und mit einem bitterernsten Blick nach möglichen Gefahren umsah. Kaida nahm keine Notiz von Dorimon, fuhr ohne aufzuschauen fort. Während Suri die beiden so betrachtete, gingen ihr viele Gedanken durch den Kopf. Der erste Gedanke war eine Feststellung – es gab nicht bloß zerstörerische, bösartige Digimon. Das kleine, lilafarbene Meerschweinchen hatte sich zu einem Dinosaurier digitiert und sich schützend vor die beiden Oberschülerinnen geworfen. Es bot dabei den vollendeten Kontrast zu den Digimon, die Suri aus dem Fernsehen kannte. Eine Liveübertragung vor vier Jahren hatte sie glauben lassen, auf der Erde sei die Hölle ausgebrochen und Digimon wären allesamt bösartige Dämonen. Dorimon war aber alles andere als bösartig und ein Dämon wohl auch nicht. Der zweite Gedanke drehte sich um ihren Abschied. So wie Suri Kaida kannte, würde es nicht lange dauern, bis sie eine Lösung für ihr Problem finden würde. Schon bald würden sie die Digiwelt inklusive Dorimon verlassen. Der Fokus des kleinen, lilafarbenen Meerschweinchens war so unverwandt auf Kaida gerichtet, dass ihm das wohl das Herz brechen würde. Wer auch immer das Superhirn und das Digimon zu Partnern ernannt hatte, Dorimon nahm seinen Job verdammt ernst. Außerdem gingen ihr noch zahlreiche Fragen durch den Kopf, welche damit begannen, wie, in Teufels Namen, Kaida einen Weg in die Digiwelt finden konnte und damit aufhörten, was es mit dieser Partnerschaft auf sich hatte. Letztendlich drängte sich ihr jedoch der Sonnenuntergang ins Bewusstsein und ließ sie alle anderen Gedanken vergessen. Wenn Kaida es nicht bald aus der Digiwelt schaffte, würden sie die Nacht in der Digiwelt verbringen müssen. Suri erhob sich, klopfte sich Gras von ihren Shorts und schritt allmählich zu ihrer Freundin. „Wie läuft’s?“, fragte sie vorsichtig und sah, wie das Superhirn ihre Lippen aufeinander presste. So etwas wie Zuversicht oder Triumphgefühl zeichnete sich nicht auf ihrem hübschen Gesicht ab, eher unterschwellige Wut über ihre bisherige Erfolglosigkeit. Der Augenblick könnte nicht ungünstiger sein, sie anzusprechen, doch es musste sich allmählich um ein Nachtlager gekümmert werden, wenn sie nicht in völliger Finsternis den Wald nach Feuerholz absuchen wollten. Zwar glaubte Suri immer noch daran, dass Kaida bald des Rätsels Lösung parat hatte, doch sicher war sicher. „Ich weiß nicht, welches Arschloch die Pforten zur realen Welt geschlossen hat, aber es muss ein verdammt gutes Arschloch sein“, knurrte sie, nahm ihren düsteren Blick von ihrem Tablet und schaute zu ihrer Freundin auf. „Für den Fall, dass du es heute nicht noch schaffen solltest, würde ich Vorbereitungen für die Nacht treffen.“ „Was für Vorbereitungen? Einen Sektempfang für die fremden Digimon, die uns auflauern werden?“ Suri seufzte über den altbekannten Sarkasmus ihrer Freundin, der noch bissiger wurde, wenn sie schlechte Laune hatte. „Feuerholz, Blätter für einen weicheren Untergrund, sowas halt“, entgegnete sie, ohne auf ihre pampige Antwort zu achten und Kaida sprach den Satz, vor dem Suri schon gegraut hatte: „Ich hab Kohldampf.“ So leidenschaftlich gerne Kaida speiste, so biestig wurde sie, wenn sie Hunger hatte. Suri kannte ihre Freundin lang genug, um zu wissen, wie unleidig und barsch sie werden konnte, wenn sie nichts zu essen hatte und sie bezweifelte, dass es hier irgendwo einen Snackautomaten gab. Etwas beunruhigt beäugte sie ihre beste Freundin und überlegte fieberhaft, wie sie dieses Problem beheben sollte. Um sie milde zu stimmen, sagte sie: „Ich besorg auch was zu essen.“ „Prima, hier um die Ecke soll es ein gutes Restaurant geben“, bemerkte ihre Freundin zynisch. „Sushi krieg ich hier wohl nicht, aber irgendwo wird es schon was Essbares geben“, erwiderte Suri, ein Augenrollen unterdrückend und fügte hinzu: „Mach du hier weiter und ich kümmer mich um den Rest.“ Ihre Reaktion bestand aus einem einfachen Nicken und schon lag ihre Aufmerksamkeit wieder auf dem Display ihres Tablets. Suris Blick wanderte zu Dorimon und sie fragte: „Du passt auf sie auf?“ Nach kurzem Überlegen hatte Suri beschlossen, ihren Beschützer bei Kaida zu lassen. Suri konnte notfalls noch auf ihre Sportlichkeit zurückgreifen, zumindest hoffte sie das. Und ein Instinkt sagte ihr, dass Dorimon ohnehin lieber bei seiner sogenannten Partnerin wäre. „Natürlich“, versprach das kleine Digimon mit einem entschlossenen Blick und Kaida ließ ein spöttisches Schnauben vernehmen. „Ich brauch keinen Aufpasser“, brummelte sie. Dorimons Miene verzog sich und bekümmert senkte es den Kopf. In Suri regte sich Verärgerung und ihr Mitleid verstärkte sich. Es war eine Sache, wenn sie ihren Frust an Suri ausließ. Sie hatte damit schon Erfahrung gesammelt und konnte damit umgehen. Doch das kleine Wesen kannte ihre hungerbedingte Übellaunigkeit noch nicht und nahm sie gewiss persönlich. „Hab ich dir schon gesagt, dass du unausstehlich bist, wenn du Hunger hast?“, hakte Suri säuerlich nach. „Mehr als einmal. Wenn du es ändern willst, dann besorg mir was zu essen, verdammt“, war ihre schroffe Antwort, auf die sich Suri verärgert herumdrehte und davon stapfte. Im spärlichen Dämmerlicht kämpfte sie sich durch den tropischen Wald, auf der Suche nach Früchten, Nüssen oder Pilzen und Feuerholz. Bei einem hochgewachsenen Baum mit breitflächiger Krone wurde sie nach etwa einer halben Stunde fündig. Orange-rote Früchte, etwas größer als der standardgemäße Apfel, baumelten von den Ästen. Auch in ihr regte sich allmählich der Hunger, was die fremdländischen Früchte noch schmackhafter aussehen ließen. Sie fragte sich, ob sie auch genießbar oder gar giftig waren, doch ihr Zögern fand ein rasches Ende. Bald würde es komplett dunkel sein und dann würde sie ohnehin nichts mehr zu Essen finden. Dorimon würde schon wissen, ob man die Dinger essen konnte und wenn nicht, hatten Suri und Kaida halt Pech gehabt. Der grimmige Gedanke, dass Kaida selbst daran Schuld war, rauschte durch ihren Kopf, doch gleich darauf tadelte sie sich selbst. Kaida tat immerhin alles dafür, sie irgendwie hier rauszubringen und wenn Suri mit ihr stritt, würde das ihre Situation auch nicht besser machen. Sie seufzte, kletterte dann flink den Baum hoch und pflückte die apfelähnlichen Früchte. Für mehr Fassvermögen wandelte sie ihre Trainingsjacke kurzerhand in einen Beutel um. Nachdem sie noch etwas Feuerholz gesammelt und unter ihre Arme geklemmt hatte, machte sie sich auf den Rückweg. „Dorimon! Kann man die essen?“, rief Suri schon von Weitem und präsentierte ihm ihr Sammelgut. Das kleine Digimon, welches Kaida nicht von der Seite gewichen war, hob seinen Kopf. Sein frustrierter Blick hellte sich auf und es erwiderte: „Ja, die schmecken sogar richtig gut.“ Nun schaute auch Kaida auf und glättete prompt ihre gestresste Miene bei dem Anblick der üppigen Ausbeute. Suri schenkte ihr ein freundschaftliches Lächeln und hoffte, dass sich ihre Laune bessern würde. Eine halbe Stunde später hatten sie tatsächlich ein Lagerfeuer errichten können, über dem sie die köstlichen Früchte rösteten. Eine Stunde später errichteten sie aus Palmenblättern einen weichen Untergrund, auf dem sie schlafen konnten. Eineinhalb Stunden später hatte sich Dorimon zum Schlaf gebettet. Suri griff neben sich, zum kleinen Holzstapel und legte ein paar Äste auf das knisternde Feuer. Gegenüber von ihr saß Kaida im Schneidersitz und betrachtete grüblerisch die züngelnden Flammen. Zweifelsohne arbeitete ihr Hirn immer noch an einer Lösung für ihre missliche Lage. „Dorimon hat mir ein paar Dinge erzählt“, riss Suri sie aus ihren Gedanken und tätschelte beiläufig den Rücken des schlummernden Digimons. Dann berichtete sie ihrer Freundin von der sogenannten Partnerschaft, über die Dorimon allerdings nicht mehr gewusst hatte. Am Ende ihrer Ausführung, fragte sie Kaida: „Weißt du etwas darüber?“ „Nein. Vielleicht hat es sich bei einer Partnerschaftsbörse angemeldet?“ Suri musste grinsen. „Ach ja? Bei welcher kann man dich denn finden?“ „Leckt-meine-Eier.com.“ „Deine Sprüche werden auch immer origineller.“ „Ich tu mein Bestes. Und wie mach ich dem Vieh begreiflich, dass ich sowas wie eine Partnerschaft nicht will?“ Suri zuckte mit den Schultern. „Schonend. Oder besser noch - gar nicht. So ein kleiner Kumpel wird dir gut tun.“ „Vergiss es. Ich brauche kein Haustier.“ Suri dachte an ein Ereignis in ihrer Kindheit zurück. Damals hatte Kaidas Mutter ihrer unsensiblen Tochter einen Hund kaufen wollen. Sie hatte gedacht, dass Kaida in ihrem tiefsten Inneren furchtbar einsam wäre und sich mit einem Lebewesen so etwas wie Sozialkompetenz antrainieren konnte. Kaidas Kommentar darauf hatte sie allerdings von der Idee abgebracht. ‚Wenn du das Tier ins Haus holst, wirst du dich darum kümmern. Ansonsten verhungert es.‘ Suri schob die Erinnerung von sich und meinte: „Nun ja, ich glaube nicht, dass du Dorimon als Haustier sehen kannst.“ „Was ist es denn sonst? Es läuft mir hinterher, macht, was ich sage und ist abhängig von mir, weil es ohne mich scheinbar nicht digitieren kann.“ „Digitieren? Was ist das denn schon wieder?“ Kaida erklärte: „Na, diese Verwandlung. Kurz vor der Verwandlung hat sich auf meinem Handy eine App geöffnet, die ich niemals installiert habe. Ich glaube, das hat was mit Dorimon zu tun.“ „Also bist du jetzt wohl doch bei einer Partnerschaftsbörse angemeldet. Und woher weißt du, dass das digitieren heißt?“ „Das hat es doch vorhin gerufen – ‚Dorimon digitiert zu…‘ Es ist unglaublich, wie zerstreut du in deinem Alter schon bist“, lautete ihr simpler Kommentar, über den Suri dezent die Augen rollte. Sie ließ das Thema auf sich beruhen und meinte: „Wäre vielleicht trotzdem keine schlechte Idee, ein wenig freundlicher zu Dorimon zu sein.“ Daraufhin schwieg Kaida. Wenig später lagen die beiden Mädchen auf ihren rudimentären Blätterbetten und verbrachten ihre erste Nacht mit unruhigem Schlaf und wirren Träumen in der Digiwelt. Kapitel 3: Wieso, weshalb, warum -------------------------------- Mit Block und Stift in den Händen saß Inspektor Suzuki auf dem bequemen, großen Ecksofa der Familie Nakamaru, gegenüber von ihm die Wohnungsbesitzer und Familie Ito. Seine Miene war konzentriert, die der anderen besorgt. Mal ausgenommen die des Rotzbengels, der der Bruder von einer Vermissten war. Er lümmelte auf dem Polster und schaute sich eher teilnahmslos in der Wohnung seiner Nachbarn um. „Nochmal zu den beiden Mädchen. Sie sind beide 18 Jahre alt, Klassenkameradinnen und gehen auf die Hibiya High School?“ „Ja. Außerdem sind sie beste Freundinnen“, bestätigte Frau Ito mit leicht zittriger Stimme. Ihr Ehemann legte ihr beruhigend einen Arm um die Schulter, wirkte aber selbst nicht viel gelassener. „Wäre es nicht möglich, dass die beiden einfach mal ausgerissen sind? Die Oberschule ist hart und vielleicht haben sie beschlossen, sich eine kurze Auszeit zu nehmen.“ Von den vier Erwachsenen kam ein einheitliches, inbrünstiges Kopfschütteln. „Niemals. Suri ist ein diszipliniertes, verantwortungsbewusstes Mädchen. Sie würde niemals das Karatetraining verpassen“, meinte Herr Ito und kassierte von den Umsitzenden einen trockenen Blick. „Wahrscheinlich ist sie deshalb abgehauen“, brummte der Rotzbengel. „Was soll das heißen?“, hakte der Inspektor sofort nach. „Ja, was soll das heißen?“, wiederholte sein Vater die Frage und starrte seinen Sohn verdattert an. „Dass sie es nicht besonders geliebt hat, in dem Club zu sein.“ „Vollkommener Unsinn. Suri hat für Karate gebrannt. Es war praktisch der Sinn ihres Lebens.“ Der Rotzbengel schnaubte spöttisch und wollte etwas erwidern, doch Inspektor Suzuki kam ihm zuvor. „Hatte sie Probleme in dem Karateclub? Feinde? Wurde sie gemobbt?“ „Hin und wieder wurde sie verprügelt, aber das ist wohl die normale Härte“, antwortete ihr Bruder schulterzuckend und sofort ergänzte Herr Ito: „Hauptsächlich hat sie aber die Leute verprügelt, ja?“ „Klar.“ Der Rotzbengel verschränkte die Arme vor seiner Brust und schaute wieder so desinteressiert drein, als ginge ihn die ganze Angelegenheit nichts an. Der Inspektor beäugte die beiden Streithähne missbilligend und wendete sich dann dem Ehepaar Nakamaru zu. „Was ist mit Ihrer Tochter? Ist sie denn schon mal weggelaufen? Ist sie unternehmungslustig?“ Trotz der unpässlichen Situation lachte Frau Nakamaru auf. „Wenn sie mit Unternehmungen stundenlanges Sitzen vorm Computer meinen, dann ja.“ „Manchmal unterfordert sie die Schule, aber sie hat nie geäußert, dass sie es dort unerträglich findet“, fügte Herr Nakamaru hinzu und der Inspektor runzelte verwirrt die Stirn. Er hatte noch nie gehört, dass die Oberschule einen Schüler unterfordert hätte. Wenn er an seine eigene Schulzeit zurückdachte und an den Stress, der ihn während der Oberschule begleitet hatte, brach ihm heute noch der Schweiß aus. „Unterfordert?“, hakte er nach, um auszuschließen, dass er sich womöglich bloß verhört hatte. „Ja, sie ist sehr intelligent“, wurde ihm erklärt, gefolgt von dem bekräftigenden Nicken der Familie Ito. „Gruselig“, murmelte Suri Itos Bruder und schnitt eine Grimasse. „Du gehst auf dieselbe Schule wie deine Schwester und Kaida, richtig?“, fragte der Inspektor und der Bengel nickte. „Hatten die beiden Probleme mit ihren Mitschülern? Ich meine, so ein Genie wird viele Neider haben, die nicht so gut mit dem Schulstoff klar kommen.“ „Nein, man hat sie in Ruhe gelassen. Am Anfang gab es schon ein paar Schüler, die Kaida gehänselt haben. Aber das wurde ihnen zu langweilig, weil das Kaida völlig egal war. Und für Suri interessieren sich auch nur die Langweiler. Gleich und gleich gesellt sich gerne, verstehen Sie?“ „Akeno, würdest du vielleicht mal einen freundlicheren Ton anschlagen?“, zischte Frau Ito ihrem Sohn zu, welcher beleidigt dreinschaute. „Soll ich nun die Wahrheit sagen oder nicht? Die beiden wurden gemieden, weil sie Freaks waren, okay? Es gab keine Schüler, die sie gemobbt haben, dazu waren sie einfach zu uninteressant. Oder eben gruselig.“ Frau Ito verdrehte verärgert die Augen, Herr Ito und das Ehepaar Nakamaru warfen dem Teenager einen grimmigen Blick zu, Inspektor Suzuki seufzte stumm. ‚Laut Bruder keine Opfer von Mobbing. Keine typischen Ausreißer‘, schrieb er sich in sein Notizblock und setzte seine Befragung dann fort: „Wie haben sich die beiden Mädchen denn an dem Abend ihres Verschwindens benommen? Ist lhnen da etwas aufgefallen?“ „Nein. Suri ist vom Karatetraining nach Hause gekommen, Kaida kam irgendwann zu Besuch, die beiden haben ihre Hausaufgaben gemacht und sind dann zu den Nakamarus rüber gegangen“, meinte Frau Ito nachdenklich. Der Blick des Inspektors wanderte zu Frau Nakamaru. „Hier sind sie ziemlich eilig in Kaidas Zimmer gegangen“, sagte diese, senkte ihren besorgten, trübseligen Blick und murmelte: „Das ist das letzte Mal, dass wir sie gesehen haben.“ „Sind sie nicht nochmal aus dem Zimmer rausgekommen? Wann ist Ihnen denn aufgefallen, dass sie nicht mehr da waren?“ „Nein, das ist ja das merkwürdige – sie sind ins Zimmer und danach nicht nochmal rausgekommen. Um 22 Uhr habe ich an ihrer Tür geklopft. Als niemand geantwortet hat, bin ich reingegangen und da waren sie schon nicht mehr da.“ Der Inspektor machte sich ein paar weitere Notizen und fragte: „Ist es möglich, dass sie an Ihnen vorbeigeschlichen sind?“ „Dann müssten sie schon wahre Ninjas sein. Auf dem Weg nach draußen geht man durch das Wohnzimmer und die Küche und in beiden Räumen hat sich jemand aufgehalten.“ „Aber…“, setzte der Inspektor verwirrt an, doch wurde von seinem Kollegen unterbrochen, der seinen Kopf in das Wohnzimmer streckte. „Inspektor Suzuki? Können Sie mal eben kommen?“ Der rundliche Inspektor erhob sich von dem Sofa, warf den beiden Familien einen entschuldigenden Blick zu und folgte dem jungen Polizisten in Kaidas Zimmer. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, wendete er sich planlos zu seinem Chef um. „Ich habe mir den Laptop des Opfers angesehen und es ist mir ein Rätsel.“ „Was ist mit ihm?“ „Sehen Sie selbst“, meinte der Polizist und machte eine auffordernde Geste zu dem Gerät, welches aufgeklappt auf dem Schreibtisch der Oberschülerin stand. Der Inspektor trat näher an ihn heran und betrachtete mit verwirrt gerunzelter Stirn den Bildschirm. Er wurde abwechselnd blau und schwarz, diverse Fenster öffneten und schlossen sich eigenständig und ein Gewirr aus Einsen und Nullen breitete sich im Hintergrund aus. „Ist das vielleicht ein… wie heißt das noch gleich? Eine Abfolge von Bildern?“, fragte der Inspektor. „Sie meinen, ein Bildschirmschoner. Das habe ich schon geprüft, aber der Laptop führt keinen meiner Befehle aus.“ Der Inspektor gestattete sich ein entnervtes Seufzen. Wenn er von einem keine Ahnung hatte, dann waren es Computer. Noch heute schrieb er seine Berichte von Hand und Recherchen im Internet ließ er geflissentlich seine Untergebenen erledigen. „Es ist wirklich merkwürdig“, bekräftigte sich der Polizist, um seinem technikmuffeligen Chef die Schwere begreiflich zu machen. Der Inspektor beschloss, dass seine Mitarbeiter der Sache auf den Grund gehen sollten. Die Mädchen waren seit dem gestrigen Abend verschollen und laut den forensischen Statistiken blieb ihnen nicht viel Zeit, sie zu retten. Waren sie länger als 24 Stunden weg, so bestand die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie tot waren. Er musste den Eltern noch einige Fragen stellen. Vielleicht hatten diese ja Feinde und es ging gar nicht wirklich um die Mädchen? Vielleicht bekamen sie auch noch einen Anruf von einem möglichen Entführer, der Lösegeld verlangte? Obwohl er bezweifelte, dass bei den beiden durchschnittlichen Arbeiterfamilien viel zu holen war. „Na schön. Dann geht er in die KTU“, meinte er schließlich und der Polizist machte sich mit seinen behandschuhten Händen daran, den Laptop zu konfiszieren. *** „Guten Tag, meine Name ist Izzy Izumi und ich habe einen Termin bei Inspektor Suzuki“, begrüßte Izzy die uniformierten Frau hinter dem Tresen des Anmeldebereichs. Mit einem höflichen Lächeln griff sie zum Telefonhörer und erwiderte: „Einen Augenblick bitte. Ich werde Sie bei Inspektor Suzuki anmelden.“ „Danke“, meinte der Student mit einer angedeuteten Verbeugung und nutzte die kurze Wartezeit damit, sich in dem modernen, eindrucksvollen Foyer des Tokyo Metropolitan Police Departments umzusehen. Uniformierte passierten ihn, die einen gemächlich und plaudernd, die anderen zügig und mit entschlossenen Mienen. Hinter Izzy standen noch zwei Zivilisten, darauf wartend, ihr Anliegen vortragen zu können. Sein Blick blieb schließlich an einem Plakat hängen, auf dem etwas über Kindesentführung stand und seine Miene verzog sich ernst. „Herr Izumi?“, riss die Polizistin ihn aus seinen Gedanken. Er wendete sich zu ihr um und schaute wieder in ihr höfliches Lächeln. „Der Inspektor erwartet Sie. Gehen Sie bitte in den vierten Stock und melden sich bei Zimmer 423. Hier, Ihr Besucherausweiß.“ „Vielen Dank“, wiederholte Izzy, nahm den Besucherausweiß entgegen und hängte ihn sich um den Hals. Dann durchquerte er das Foyer und hielt dabei auf die Lifts zu. Eine Fahrt mit dem Aufzug und zwei Gänge weiter hatte er das angegebene Zimmer erreicht. ‚Inspektor Taiki Suzuki, Inspektor Pan Amori‘, wies ein Schild das Büro der Kommissare aus. Izzy klopfte an der Tür und öffnete sie, als ein gedämpftes „Herein.“ zu ihm durchdrang. Zwei längliche Schreibtische standen gegenüber voneinander in der Raummitte. Einer war unbesetzt, an dem anderen saß ein rundlicher, scharfsinnig dreinschauender Mann im mittleren Alter. Ansonsten gab es in dem kleinen, etwas muffigen Zimmer bloß Regale, Schränke und ein Whiteboard. „Guten Tag, ich bin Herr Izumi“, stellte der Student sich vor und der Beamte erhob sich. „Inspektor Taiki Suzuki. Es ist erfreulich, dass Sie kommen konnten. Nehmen Sie doch bitte neben mir Platz.“ Izzy schnappte sich den Stuhl, der etwas verlassen und staubig in einer Zimmerecke stand und tat, wie ihm gesagt wurde. „Sie haben mich hergebeten, weil zwei Oberschülerinnen verschwunden sind. Ich frage mich, wie ich Ihnen helfen kann“, meinte er. Der Inspektor seufzte. „Leider haben wir keinerlei Anhaltspunkte, wo die beiden Mädchen stecken könnten. Die KTU hat versucht, auf dem Laptop von einem der Mädchen nach Hinweisen zu suchen, doch der spielt sozusagen verrückt und niemand kann die Störung beheben. Verzeihen Sie mir meine laienhafte Ausdrucksweise, aber ich habe nicht gerade einen Sinn für Computer. Eigentlich wollte ich, dass ein Mitarbeiter aus der KTU bei unserem Gespräch zugegen ist, aber die sind alle vollends ausgelastet.“ „Und meine Aufgabe ist es, den Laptop wieder zum Laufen zu bringen?“ „Korrekt“, sagte Inspektor Suzuki. „Man hat Sie als Experten empfohlen.“ Der Mann musterte ihn prüfend, so als würde er noch nicht so recht glauben, dass ein Student in angewandter Informatik mehr Ahnung hatte als die kriminaltechnische Untersuchung der Tokyoter Polizei. Auch Izzy war sich da noch nicht so ganz sicher, doch bei der knappen Schilderung des Inspektors hatte sich in ihm ein kleiner Verdacht geregt. „Ich gebe mein Bestes. Haben Sie den Laptop hier?“, fragte er. „Selbstverständlich“, sagte der beleibte Kommissar und bückte sich leise ächzend nach der Laptoptasche neben seinem Schreibtisch. Izzy nahm sie ihm ab und baute das Gerät mit zackigen, routinierten Bewegungen auf. Schweigend sah ihm der Inspektor dabei zu, erfasste die Konzentration und den Scharfsinn in dem Blick des Studenten und hoffte inständig, dass er seinem Ruf gerecht wurde. Die Mädchen waren seit 65 Stunden verschwunden und die Polizei hatte keinen einzigen Hinweis, wo sie sein konnten und wie sie überhaupt verschwunden waren. Die Spurensicherung hatte keine Einbruchspuren gefunden, die Überwachungskameras des Wohnblocks hatte auch nichts Verdächtiges aufgezeichnet und auf dem Laptop von Suri Ito war nichts, was auf einen geplanten Ausriss hingedeutet hätte. Überall und rund um die Uhr suchten Beamte nach den Oberschülerinnen, doch Ergebnisse gab es nicht. Es war, als wären sie vom Erdboden verschluckt wurden. Um 20 Uhr waren sie zu den Nakamarus rüber gegangen, hatten sich in Kaidas Zimmer zurückgezogen und zwei Stunden später waren sie einfach weg, spurlos verschwunden. Es war ein Mysterium und die allerletzte Hoffnung der Polizei war der Laptop von Kaida Nakamaru. Vielleicht enthielt sein Datenpool des Rätsels Lösung. Als der Student das Gerät einschaltete, zeichnete sich auf dem Bildschirm das gleiche rege Treiben ab, wie auch schon an dem Tag, als die Polizei ihn konfisziert hatte. Nichts hatte sich geändert, die KTU war keinen Schritt weiter gekommen. Er seufzte innerlich und fokussierte sich wieder auf den jungen Mann, ihre letzte Hoffnung. Allmählich ertrug er die Anrufe der besorgten, verzweifelten Eltern nicht mehr, wollte ihnen nicht jedes Mal sagen, dass es keine Fortschritte gab. „Haben Sie eine Ahnung, was das für eine Störung ist?“, fragte der Inspektor nach ein paar Minuten. Der junge Mann sah nur flüchtig zu ihm auf und hatte etwas in seinem Blick, das den Polizisten wachsam werden ließ. „Nein, leider nicht. Ich müsste den Laptop vielleicht mit in mein Büro nehmen, wenn das möglich wäre“, sagte er und vermied dabei den forschenden Blick des erfahrenen Beamten, hielt seinen stets auf den Bildschirm des Geräts gerichtet. Als ihm eine ganze Zeit nicht geantwortet wurde, fügte er hinzu: „Vielleicht habe ich aber einen Verdacht.“ „Und der wäre?“, fragte der Inspektor sofort und Herr Izumi presste kurz seine Lippen aufeinander, ehe er antwortete. „Ich möchte ihn ungern äußern. Erst, wenn ich mir sicher bin, dass es so ist. Kann ich den Laptop mitnehmen?“ Der Inspektor war mit seiner Reaktion alles andere als zufrieden, doch wie es schien, war er nun mal von ihm abhängig. Der Bildschirm hatte sich verändert, er arbeitete nicht mehr selbstständig und zeigte keine wirre Zahlenfolge. Das, was die KTU seit Stunden versucht und nicht bewältigt hatte, hatte der angehende Diplom-Informatiker in wenigen Minuten bewerkstelligt. Finster betrachtete er Herrn Kazumi, der immer noch seinen Blick mied und seine Finger in einer unglaublichen Geschwindigkeit über die Tastatur gleiten ließ. „Ich muss das erst beim Staatsanwalt beantragen“, brummte der resignierte Polizist schließlich und zog sein Handy. Nach einem kurzen Telefonat bekam er die Einwilligung zur Freigabe des Laptops an eine dritte Person. Außerdem wurde ihm nochmal verdeutlicht, dass es gut für ihn, seine Karriere und sein gesamtes Team wäre, wenn er den Fall bald lösen würde. Die Medien beobachteten sie und schlachteten ihre Misserfolge genüsslich aus. Das ließ den Inspektor schließlich auch noch die letzten Bedenken über Bord werfen, die er im Hinblick auf den verschwiegenen Studenten hatte. Sollte er ihn doch ein wenig entlasten, solange das Ergebnis stimmte. „Sie dürfen den Laptop mitnehmen. Kann ich Ihnen im Gegenzug noch einen Gefallen tun?“, fragte er und Herr Izumi grinste schief. „Ich hätte gerne noch ein Glas Wasser.“ Kaum verwunderlich bei der sommerlichen Hitze. Es war Ende Juni und in zwei Wochen würde die Sommerferienzeit in Japan anbrechen. Hoffentlich konnten auch Suri Ito und Kaida Nakamaru sie genießen. „Natürlich“, meinte er und führte den jungen Mann zum Wasserspender auf dem Gang. Nach einem Becher kühler Soda verbeugten sich die beiden voreinander und der junge Mann machte sich auf dem Weg zu den Aufzügen. Kurz bevor er in den nächsten Gang verschwand, hielt der Kommissar ihn jedoch noch einmal auf. „Herr Izumi, ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Halten Sie mich auf dem Laufenden, es ist sehr wichtig. Ich weiß, dass Sie bereits Hinweise haben, die sie vor mir nicht äußern wollen. Ich bin zwar nicht gerade technikaffin, aber kein Dummkopf. Aber in erster Linie geht es mir darum, die Mädchen wieder bei ihren Familien zu wissen.“ Der Student schaute ertappt drein, öffnete seinen Mund zu einer Erwiderung, um ihn prompt wieder zu schließen und nickte letztendlich lediglich, ehe er seinen Weg zügig fortsetzte. Einen Moment stand Inspektor Suzuki noch im Gang und grübelte vor sich hin. Letztendlich nahm er auch einen Becher voll Wasser und ging zurück in sein Büro. Es war 16 Uhr und in drei Stunden würde seine Schicht offiziell enden. Doch der Fall würde ihn mindestens bis 22 Uhr in Beschlag nehmen und wenn er dann seinen Feierabend antrat und nach Hause zu seiner Frau ging , würde er sich auch dort noch weiter den Kopf zerbrechen. Das war das harte Los seines Jobs. Kaum hatte Izzy das Department mit dem fremden Laptop verlassen und befand sich in der Tokyoter Sommerhitze, kramte er auch schon sein Handy hervor und wählte eine Nummer, die er mittlerweile schon auswendig kannte. „Izzy, altes Haus, wie geht’s?“, ertönte Tais Stimme nach zweimaligem Tuten am anderen Ende der Leitung. „Hey Tai. Alles gut bei mir und wie geht es dir?“, fragte das Genie den Geographie-Studenten der höflichkeitshalber, obwohl es in ihm brannte, ihm sein Anliegen vorzutragen. „Ja, alles gut. Du hast Glück, ich bin gerade auf dem Weg zum Fußballtraining. Ein wenig später und du hättest mich nicht erreicht. Was gibt’s?“ „Wir müssen uns unbedingt treffen. Es geht um die Digiwelt oder eher um zwei Mädchen, die höchstwahrscheinlich in der Digiwelt verschwunden sind, wie auch immer sie das angestellt haben“, antwortete Izzy, nachdem er sich angespannt nach unerwünschten Zuhörern umgesehen und keine gefunden hatte. Sein langjähriger Freund und ehemaliger Anführer ihrer Gruppe gab einen verblüfften Laut von sich. „Wie bitte? Hast du nicht gesagt, dass du eine bombensichere Firewall errichtet hast?“ „Eigentlich schon. Nur das Militär und der Japanische Geheimdienst wissen, wie man sie umgeht. Deshalb ist es ja so merkwürdig“, erwiderte er, seufzte und fügte hinzu: „Wir werden in die Digiwelt gehen müssen, um die Mädchen zurückzuholen. Und sag bloß niemandem etwas. Der Polizei habe ich auch nichts verraten, damit die nicht durchdrehen. Sie halten Digimon ja immer noch für das größte Übel der Welt.“ „Natürlich. Sind es die Mädchen, über die ständig was in den Nachrichten läuft?“ „Ja. Suri Ito und Kaida Nakamaru. Ich werde jetzt noch die anderen informieren. Wann ist dein Training zu Ende?“, fragte Izzy und Tai antwortete: „So um 19 Uhr.“ „Dann schlage ich vor, treffen wir uns um 20 Uhr bei mir im Büro. Bring ein bisschen Gepäck mit. Ich weiß nicht, ob ich die beiden per GPS finden kann. Wenn nicht, dauert die Suche womöglich länger.“ „Einverstanden. Bis dann!“ „Bis dann!“, verabschiedete sich Izzy und legte auf. Dann ging er die Kontaktliste seines Handys durch und rief auch noch die anderen Digiritter an. Letztendlich wurde ihm von Mimi, Joe und Matt zugesagt, weniger als gedacht. Kari und T.K. hatten als Abgänger der Oberschule üblen Prüfungsstress und Sora war für ihre Modedesignausbildung vorübergehend in Europa. Aber die Tatsache, dass es wahrscheinlich nur um eine Suche ging, tröstete Izzy über ihr Fehlen hinweg. Außerdem hatten sie immer noch ihre Digimon und mit denen würden sie es wohl schaffen. Er steckte sein Handy wieder ein, atmete tief durch und fädelte sich dann in das rege Treiben der Großstadt ein, um sich auf den Weg zur U-Bahn zu machen. Endlich in seiner kleinen Wohnung angekommen, vertrieb er sich die Zeit bis zum Zusammentreffen der Digiritter mit dem Laptop des Mädchens. Er selbst hatte dafür gesorgt, dass ein Zutritt zur Digiwelt beinahe unmöglich war. Was hatte den Laptop also dazu bewegt, das Portal zur Digiwelt für die Oberschülerinnen zu öffnen? „Hast du schon etwas rausgefunden?“, hörte er Tentomon fragen, welches sich gerade damit beschäftigte, die vernachlässigte Ordnung seines Wohnzimmers wiederherzustellen. Unter emsigem Gebrumm sammelte das Digimon herumliegende Kleidungsstücke auf und schmiss sie in seinen Wäschekorb. Wäre Izzy nicht so fixiert auf den Laptop, so hätte ihn das wohl verlegen gemacht. Immerhin war Tentomon sein Partner und nicht sein Bediensteter. „Nein, noch nicht. Aber ich komme des Rätsels Lösung näher. Glaube ich zumindest“, brummelte er also lediglich und vertiefte sich weiter in seine Arbeit. „Merkwürdig. Eigentlich hat man ja nur über dein Büro Zugang zur Digiwelt. Und Zugriff auf uns“, meinte Tentomon und Izzy entgegnete: „Das stimmt nur bedingt. Wenn ich euch auf meinen Laptop transferiere, hat man auch außerhalb meines Büros auf euch Zugriff. Und Sora habe ich vor ihrer Abreise erklärt, was sie machen muss, um ihr Digimon zu sich holen zu können.“ 'Allerdings weiß ich nicht, ob sie mich wirklich verstanden hat', dachte er bei sich. Er hatte sich damit abgefunden, dass er das Computergenie der Digiritterrunde war. Ohne Überheblichkeit oder Frustration war ihm bewusst, dass er das funktionierende Bindeglied zwischen der Digiwelt und seinen Freunden war. Das machte ihn zwar zu einem unverzichtbaren Mitglied, aber nicht zum Anführer. Tai war dafür zuständig, die Gruppe zusammen zu halten und zu führen. Sora wiederum behielt das Mitgefühl der anderen im Auge und T.K. war der Hoffnungsträger und machte Mut, wenn alle bereits ihre Köpfe in den Sand gesteckt hatten. Jeder von ihnen hatte seine Aufgabe und war zu seinen Teilen für das Wohlergehen der Gruppe verantwortlich. Und Izzy war nun mal der, der das meiste Wissen hatte und damit die anderen unterstützte. Doch gerade fühlte er sich von seinem Wissen im Stich gelassen und murmelte säuerlich: „Was ist denn nur mit diesem Laptop los? Warum sind sämtliche Daten verschlüsselt?“ Seine Finger schlugen unablässig auf die Tasten ein, Fenster wurden geöffnet und frustriert wieder geschlossen und der Student holte alles an Fachwissen raus, was er sich in seinem Leben angeeignet hatte. Erst nach einer Stunde konzentriertem Tüfteln konnte er die Verschlüsselungen aufheben – und klappte prompt seinen Mund vor Ungläubigkeit auf, als sich plötzlich eine Warnmeldung auf dem Bildschirm öffnete: ‚Fick dich und drücke in den nächsten zehn Sekunden F5 oder alle Daten werden gelöscht und überschrieben.‘ „Verdammt“, fluchte er, mehr erschrocken als alles andere und drückte rasch die F5-Taste. Alle Verschlüsselungen bauten sich wieder auf und fassungslos starrte der Student auf den Bildschirm. Die Erkenntnis, dass nicht der Laptop, sondern seine Besitzerin für die ganzen Sicherungen und Verschlüsselungen verantwortlich war, wog schwer und ließ ihn vorerst verharren. Warum er das nicht eher in Erwägung gezogen hatte, war ihm schleierhaft, denn ein Computer machte bekanntlich nur das, was man ihm auftrug. Vielleicht war er ja doch überheblicher als gedacht? Zumindest hatte er die Oberschülerin gewaltig unterschätzt. „Wer ist dieses Mädchen?“, murmelte er kopfschüttelnd. Seine Motivation, sie zu finden, veränderte sich schlagartig. Er wollte sie nun nicht mehr bloß in die reale Welt zurückholen, sondern sie vor allen Dingen kennenlernen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)