Drabbles von holywaterproof ================================================================================ Kapitel 1: Empörung ------------------- Ich bin empört, man hat mich erhängt. Wie ein Geist, der in seinem Körper einfach vergessen und nicht abgeholt wurde, sehe ich an mir herunter. Meine einst glatte Haut wirft furchtbare Falten, mein Haar ist durcheinander. Vor noch nicht allzu langer Zeit hielt ich mich für makellos. Für perfekt. Aus der Masse an Gleichaltrigen stach ich glänzend hervor. Nun glänzt nur noch die komische Flüssigkeit unter mir. Vermutlich war ich einfach zu egoistisch, als dass ein anderes Schicksal für mich ausgewählt worden wäre. Ein letzter Blick, eine letzte Empörung. Mein Geist schwindet. Ich bin ein Handtuch, man hat mich erhängt. Kapitel 2: Ein Bewerber ----------------------- Ich habe es satt. Schule, Studium, Nebenjob, Vollzeitstelle. Im Idealfall. Ein Lebenslauf ohne Lücken, gute Noten und überall Referenzen. Und wenn ich all das nicht habe? Praktika, die ich nicht vorweißen kann, viel soziales Engagement, auf das ich nie Lust hatte. Ein schlechter, zukünftiger Arbeitnehmer. Wer würde mich einstellen? Als was genau solle ich mich bewerben? Womit meinen Unterhalt verdienen? Bei welcher Stellenanzeige anfangen? Und schließlich das ganze Bewerbungsverfahren durchlaufen. Immer und immer wieder. Schriftlich und mündlich mein Versagen eingestehen. Ich habe das alles satt. All das, was ich vorweißen kann, bin ich selbst. Hiermit bewerbe ich mich als Mensch! Kapitel 3: Das, was Ihnen heute den Tag vermiesen wird ------------------------------------------------------ Das, was Ihnen heute den Tag vermiesen wird, bin ich. Ich bringe die Themen auf den Tisch, die Sie von allen am Meisten verachten und einfach ignorieren. Wissen Sie, was ich meine? Vermutlich nicht. Dann denken Sie doch einmal an Katzenbabys. Jeder mag Katzenbabys, nicht wahr? So niedlich. So klein. Und jetzt stellen sie sich eine junge Katzenmama vor, deren miauende Kinder in einen Gully gefallen sind. Und nicht mehr herauskommen, niemand hilft. Schlimm, nicht wahr? Stellen Sie sich die Verzweiflung einmal vor, die Hilflosigkeit. Und jetzt? Haben Sie eigentlich eine feste Arbeitsstelle oder werden Sie bald gekündigt? Gern geschehen. Kapitel 4: Der schlechte Mensch ------------------------------- Es gibt viele schlechte Menschen, und ich bin einer davon. Nicht etwa, weil ich so etwas wie ein Verbrecher wäre, oder Illegales tue – schlimmer. Mein Lächeln ist eine Lüge. Meine Freundschaft ist eine Lüge. Ich lebe zu meinem eigenen Vorteil, ohne Gewissen, das habe ich abgelegt. Und vieles ist mir auch einfach zu egal. Ich spiele gerne etwas vor, mir bedeutet das Meiste einfach nichts. Magst du mich, ist das toll, ich muss dich aber nicht mögen. Aber eine Lüge wird mich immer schmerzen: Mit dem Blick in die Augen meiner Mutter und „Es ist wirklich alles gut bei mir.“ Kapitel 5: Es passiert ---------------------- Georg spielte seit 32 Jahren jeden Donnerstag Lotto. Es war schon lange nicht mehr die Hoffnung auf den großen Gewinn, die ihn spielen ließ, sondern lediglich die Gewohnheit. Seit er alleine und für sein Alter sehr modern wohnte, ging er nicht mehr bei Wind und Wetter zum Kiosk für einen Schein, sondern fuhr seinen Laptop hoch. Er tippte seine Zahlen online bei einem Internet-Anbieter und wurde per Mail über mögliche Gewinne benachrichtigt. Einmal hatte er 500 Mark gewonnen und sich geschworen, mit dem Spielen aufzuhören. Heute klickte er müde und ausversehen bei der Nachricht „Herzlichen Glückwünsch, Sie haben…“ auf Löschen. Kapitel 6: Die entscheidende Tat -------------------------------- Matt stand vor einer verdammt schweren Entscheidung. Nicht zu wissen, ob man lieber dies oder das tun sollte war ein irritierendes und neues Gefühl für ihn. Er liebte die Kontrolle und das Wissen über den nächsten Schritt. Stets einen kühlen Kopf zu wahren war eine seiner besten Fähigkeiten, die ihn nicht nur in seinem Beruf soweit gebracht hatten. Auch im zwischenmenschlichen Umgang versuchte er, sich stets mehr von Rationalität als von Emotion leiten zu lassen. Nur in letzter Zeit waren seine Wangen irgendwie immer öfter so komisch rot. Und dann tat er es: Matt versendete das erste Herzchen-Emoticon seines Lebens! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)