Das war es wert von Goetterspeise (Rise of the bravely tangled dragon) ================================================================================ Kapitel 1: Im verbotenen Wald ----------------------------- Da saßen sie also. Vier Schüler aus vier Häusern mit demselben Problem. Hiccup, der sich für alles verantwortlich fühlte – und wohl auch war – hatte die Hände unter seine Oberschenkel gesteckt und starrte auf den Boden vor sich. Er traute sich nicht, Rapunzel, Merida oder Jack auch nur aus den Augenwinkeln heraus zu beobachten. Die drei saßen schließlich nur wegen ihm hier und warteten darauf, wie ihre Strafe ausfallen würde. Was hatte er sich bei dieser ganzen Sache nur gedacht? Das Rascheln von Stoff, der über den kalten Steinboden glitt, erinnerte ihn daran, dass sie nicht alleine im Klassenzimmer saßen. Professor Gothel, Hauslehrerin der Slytherins und ihre Zaubertrank-Lehrerin, warf jedem von ihnen einen kurzen, aber beinahe tödlichen Blick zu, während sie vor ihnen langsam auf- und niederschritt. „Und jetzt erklärt mir mal, wie es sein kann, dass vier Schüler aus vier Häusern zur selben Zeit am selben, verbotenen Ort sind. Mr. Frost?“ Jack zuckte kaum merklich zusammen und hoffte, die anderen hatten diesen Ausrutscher nicht gesehen. Im Augenwinkel konnte er allerdings erkennen, dass Merida sich, trotz dieser unschönen Situation, ein Kichern verkneifen musste. Blöde Kuh. „Dummer Zufall“, antworte er schließlich mit einem Achselzucken. Ihm ging der Arsch auf Grundeis, aber er würde den Teufel tun und das zugeben. Ein Slytherin fand immer einen Weg aus unschönen Situationen – und das würde auch heute wieder so sein. Gothel würde ihn sicher nicht der Schule verweisen und die Tatsache, dass ihre Rektorin noch nicht hier war, ließ ihn auch daran zweifeln, dass einem der anderen ein solches Schicksal widerfahren sollte. Unglaublich, aber wahr. Er machte sich Gedanken um andere Menschen. „An Ihrer Stelle wäre ich sehr vorsichtig. Ich mag ihre Hauslehrerin sein, aber meine Null-Toleranz für Regelbrecher gilt auch für Slytherins.“ Eiskalt diese Frau. Merida nuschelte etwas unter ihrem imaginären Bart, das verdächtig nach „Glaub ich sofort“ klang. Das brachte ihr die Aufmerksamkeit von Gothel ein, deren wütenden Blick sie trotzig erwiderte. „Möchten Sie uns mitteilen, was geschehen ist, Dunbroch?“ „Wir sind Schlafwandler.“ Es war eine Herausforderung, die mit diesen Worten einherging. Und auf die Gothel normalerweise sofort eingegangen wäre, mit in der Regel drei Wochen Nachsitzen und 50 Punkte Abzug für Gryffindor. Heute entschied sie sich allerdings für eine andere Taktik und beugte sich zu Rapunzel vor, die sich, seit sie hier saßen, kaum gerührt hatte. Rapunzel war eine intelligente Schülerin und ihr kam es normalerweise nicht in den Sinn, irgendetwas zu tun, das die Regeln derart verletzte. Doch in diesem Fall wäre sie sofort wieder dazu bereit und bereute es kein Stück – trotz des riesigen Kloß in ihrem Hals und den schwitzigen Händen. „Es tut mir leid, aber … ich kann mich an nichts erinnern.“ Sie hielt Gothels Blick stand und ging im Kopf die Regeln Hogwarts‘ durch. Solange Gothel nicht erfuhr, warum sie zum Wald gelaufen waren, konnte sie zumindest Hiccup, Merida und ihr nichts tun. Keiner von ihnen hatte eine nennenswerte Vorstrafe und wenn sie jeden, der nachts über die Ländereien streifte, sofort der Schule verwiesen, hätten sie kaum noch Schüler. Bei Jack konnte sie nicht beurteilen, wie schwerwiegend seine vorherigen Regelverstöße waren, aber er war einer der besten Schüler des Abschlussjahrgangs und aus Gothels eigenem Haus. Sie hoffte einfach, es würde reichen, um auch ihn nicht frühzeitig nachhause zu schicken. Wenn nur keiner von ihnen etwas sagte. „Sie wollen mich also hinters Licht führen, ja?“, wollte Gothel wissen und sah noch einmal jeden einzelnen von ihnen eindringlich an. Sie schwiegen. Keine weitere Angriffsfläche bieten. „Gut. Mister Haddock, wie schaut es denn mit Ihnen aus?“ Als Jüngster schien er das schwächste Glied der Kette zu sein, aber Professor Gothel hatte keine Ahnung, dass er es war, der am meisten zu verlieren hatte. „Wollen Sie Ihrem Haus wirklich eine solche Schande bereiten? Soweit ich es im Kopf habe, ist Hufflepuff sowieso Schlusslicht.“ Hiccup gab es nicht gerne zu, aber die Chancen auf den Hauspokal standen auch ohne sein Zutun sehr schlecht. Hufflepuff war kein Haus für große Erfolge. Dafür waren sie aber loyal und seine Loyalität galt seinen Freunden. Zum ersten Mal, seit er hier saß, sah er auf und blickte seine Professorin an. Er hoffte, sie erkannte in seinen Augen, dass sie ihn nicht brechen würde. „Sind Sie sich alle darüber bewusst, was es bedeutet, zu schweigen?“ „Natürlich“, antwortete Merida stellvertretend für ihre Freunde. Aber keiner von ihnen würde wegen ein paar Punkten und Nachsitzen diese Freundschaft riskieren, die sich in den letzten Wochen zwischen ihnen entwickelt hatte. Das Geheimnis, das sie miteinander teilten, war wichtiger als jeder Hauspokal es sein konnte – und außerdem war der Schaden nicht allzu groß, wenn sie alle dieselbe Punktzahl verloren. * Das Rascheln der Bäume war das einzige, was Merida neben ihrem eigenen Atem hören konnte. Ihr Herz klopfte wie wild in ihrer Brust und ihr ganzer Körper war angespannt. Aus einer ersten Reaktion heraus war sie losgerannt, statt sich im Unterholz zu verstecken. Die Bäume des verbotenen Waldes standen eng zusammen und der Boden war von Büschen und Unkraut überwuchert. Niemand hätte sie gesehen, wenn sie sich davongestohlen hätte. Die Panik steckte noch tief in ihren Gliedern. Nach all den Jahren, die sie zuhause mit wegstehlen und verstecken verbracht hatte, war ihr gar nicht mehr bewusst gewesen, wie beklemmend dieses Gefühl sein konnte. Sie war eine Gryffindor, sie war mutig. Und doch spürte sie davon aktuell nicht viel. Zumindest ihr Herzschlag normalisierte sich langsam und sie lehnte sich erleichtert gegen den Baumstamm. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie kalt es hier war, und sie zog ihren Umhang enger um ihren Körper. Das Adrenalin pumpte noch immer durch ihre Adern, aber sie wusste, dass sie nicht länger hierbleiben konnte. Sie atmete tief ein und aus, stellte sich wieder gerade hin und suchte ein paar Augenblicke den Mut, sich wieder zu bewegen. Mit dem Blick fest auf den Boden gerichtet, um keine Wurzeln zu übersehen, verließ sie ihr Versteck und schlich zwischen den hohen Bäumen hindurch Richtung Schloss. Sorge machte sich in ihr breit und sie verfluchte sich für die dumme Idee, einen nächtlichen Spaziergang über die Ländereien vorgeschlagen zu haben. Merida hörte sich selbst, wie sie voller Überzeugung "Das wird toll" sagte. Immer und immer wieder. Mit dieser dummen und verwegenen Idee hatte sie nicht nur sich in Gefahr gebracht, sondern auch … „Woah!“ Erschrocken riss sie bei diesem Schrei die Augen auf. Ihr erster Gedanke war es, doch noch erwischt worden zu sein. Aber es klang nicht nach einem ihrer Lehrer. Vielleicht ein Zentaur? Nein. Das würde nicht zu ihnen passen. Trotz der Panik, die noch immer in ihren Knochen steckte, konnte sie nicht anders, als sich in Richtung des Rufs zu bewegen. Sie war sich sicher, dass er von rechts gekommen war und so änderte sie ihren Weg und schob einige Sträucher zur Seite, kletterte über eine hohe Wurzel und lauschte, ob sie ein erneutes Geräusch vernahm. Sie bildete sich ein, jemanden flüstern zu hören, war sich allerdings nicht sicher. Also setzte sie ihren Weg fort, in der Hoffnung keinem der Professoren zu begegnen. Es war unvorsichtig und es war dumm, aber Meridas Neugier war größer als die Panik, die sie kurz zuvor noch verspürt hatte. Sie umrundete einen Baum und stand schließlich auf einer kleinen Lichtung, die schwach vom Mond beleuchtet wurde. Es dauerte einen Augenblick, bis sie erkannte, dass eine Person auf der anderen Seite stand. Diese war nicht groß und trug einen Umhang wie ihren eigenen, aber von der Entfernung aus konnte sie nicht erkennen, um wen es sich handelte. Ein Lehrer war es definitiv nicht, also beschloss sie, sich weiter zu nähern – und stieg auf einen Ast, der unter ihren Füßen laut knackte. Die Person drehte sich erschrocken um und sie blickte in das Gesicht von einem der Drittklässler aus Hufflepuff. Es dauerte eine Sekunde, bis sie sich an seinen Namen erinnerte. „Hiccup.“ „W-was machst du hier?“, fragte er entsetzt und stellte einige Verrenkungen an, als wolle er etwas hinter seinem Rücken verstecken. „Das könnte ich dich auch fragen.“ Er schwieg und ging langsam einen Schritt zurück. „Ich … ich konnte nicht schlafen.“ Meridas Augenbrauen schossen nach oben und sie verschränkte die Arme vor ihrem Körper. Sie kaufte ihm diese Ausrede keine Sekunde lang ab. Stattdessen ging sie langsam auf ihn zu, er machte erneut ein paar Schritte nach hinten. „Du weißt, dass es Riesenärger gibt, wenn man dich hier findet.“ „Dasselbe gilt für dich.“ Sie grinste. „Wahr.“ In diesem Augenblick kam sie direkt bei ihm an und bevor er reagieren konnte, zog sie ihn zur Seite und starrte auf das, was sich zwischen den Bäumen hinter ihm versteckt hatte. Ihr entglitten die Gesichtszüge, als sie darauf starrte und sie blinzelte fassungslos. Womit auch immer sie gerechnet hatte, damit definitiv nicht. „Das … das ist ein Drache“, stieß sie zwischen den Zähnen hervor und wandte sich an Hiccup. Dieser nickte mit gesenktem Kopf. „Du hast einen Drachen?!“, rief Merida und war sich nicht sicher, ob sie aus Angst oder Begeisterung so laut geworden war. „Pssst. Bitte!“, flehte Hiccup sie an und legte ihr seine Hand auf den Mund. Sie drückte seinen Arm weg und sah ihn einen Augenblick wütend an. „Spinnst du?“ „Ent-entschuldigung. Ich will nur nicht, dass er erwischt wird.“ Merida nickte kurz und begutachtete den Drachen vor sich genauer. Er verschmolz beinahe mit den Schatten der Bäume, aber seine grünen Augen strahlten ihr regelrecht entgegen. Es war atemberaubend. „Darf ich ihn anfassen?“, fragte sie schließlich und war sich nun sicher, dass sie die ganze Zeit über eine noch nie gekannte Begeisterung in sich verspürt hatte. „Ich weiß nicht, ob er dich lässt. Er ist Menschen gegenüber sehr vorsichtig.“ „Verstehe.“ Merida konnte noch immer nicht den Blick von ihm lassen und sie suchte in ihrem Gedächtnis nach den Büchern, die sie als Kind – und zum großen Missfallen ihrer Mutter – über Drachen gelesen hatte. Doch selbst wenn sie sich an die richtige Art erinnern würde, könnte sie es in diesem Licht nicht erkennen. Er konnte von dunkelgrün bis hin zu nachtschwarz alles sein und seine Umrisse ließen keine genauere Einschätzung seines Körperbaus zu. „Welche Art ist er?“, fragte sie schließlich und konnte sich nicht von seinem Anblick losreißen. „Ein Nachtschatten.“ „Willst du mich verarschen?“ Seit mehreren Jahrzehnten hatte niemand mehr einen Nachtschatten gesehen. Sie galten sogar als ausgestorben und dann sollte gerade ein Drittklässler aus Hogwarts einen im verbotenen Wald verstecken? „Es stimmt. Aber ich konnte es auch nicht glauben.“ Der Drache schnaubte kurz und begann anschließend laut zu knurren, als würde er eine Gefahr vor sich erkennen. Merida hob beschwichtigend die Hände und machte einen Schritt zurück, um ihm zu signalisieren, dass sie nichts Böses wollte. „Ruhig, Toothless. Sie tut mir nichts.“ Hiccup ging auf seinen Drachen zu und streichelte ihm sanft über die Nüstern. Dessen grüne Augen funkelten Merida an, bevor sie sich vollends auf den Schüler vor sich konzentrierten. „Guter Junge“, flüsterte Hiccup und strich ihm über seine Wange. „Wir sehen uns morgen.“ Der Drache legte den Kopf schief, als könne er nicht verstehen, was gerade gesagt wurde. „Es tut mir leid, dass ich nicht länger da sein kann. Aber ich verspreche dir, dass wir uns morgen sehen“, wiederholte Hiccup nun eindringlicher. Bei dem Blick, den der vermeintliche Nachtschatten – Toothless – Hiccup zuwarf, zog sich Meridas Herz zusammen. Er wirkte verloren und traurig. „Ich weiß“, sagte Hiccup und strich ihm nochmals über die Nüstern. „Morgen bringe ich dir dafür eine Überraschung mit. Versprochen.“ Das ließ Toothless aufhorchen und er schnaubte begeistert aus. Hiccup musste kurz lachen. Er warf Merida einen Blick zu, die das Szenario aus sicherer Entfernung beobachtet hatte und kam auf sie zu – aber nicht, ohne Toothless noch einmal begutachtet zu haben. „Bitte erzähl keinem davon.“ Merida wäre niemals auf die Idee gekommen, irgendjemanden etwas von dieser nächtlichen Begegnung zu erzählen, aber trotzdem zog sich ihr Inneres zusammen, als sie seinen flehenden Blick sah. „Versprochen.“ Erleichtert atmete Hiccup auf. „Aber ich möchte in Zukunft mitkommen.“ Man hatte schließlich nicht jeden Tag die Möglichkeit, einen Drachen zu sehen, geschweige denn, ihn zu pflegen. „Was?“, fragte Hiccup ungläubig und ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Du hast mich schon verstanden.“ Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Hiccup sah sie zweifelnd an und schien noch nicht überzeugt davon zu sein. „Glaub mir, ich habe nicht vor, irgendjemandem von deinem Drachen zu erzählen. Ich finde diese Geschöpfe selbst viel zu spannend. Du kannst dich drauf verlassen, dass ich nichts tun werde, was ihm oder dir schaden wird. Versprochen.“ Hiccup schwieg noch immer und Meridas Arm wurde langsam schwer. Sie würde ihn allerdings nicht runternehmen, bevor er nicht eingeschlagen hatte. „Ich … bist du dir sicher?“ „Absolut.“ „Aus der Schule schleichen ist verboten.“ „Und doch stehen wir hier.“ „Aber …“ „Hiccup. Komm schon. Ich bin eine Gryffindor. Mir kannst du vertrauen.“ Und damit hatte sie ihn. Zögernd hob er seine Hand und drückte damit ihre. * Merida schickte Hiccup am nächsten Morgen beim Frühstück einen gefalteten Schwan, der unter den Tischen hindurch zu ihm geflogen kam. Sie hatte nur drei Wörter darauf geschrieben – heute; 23 Uhr; Halle – aber er verstand, was sie damit sagen wollte und nickte ihr zu, als er sicher sein konnte, dass niemand anderes hersah. Kurz darauf verließ sie die große Halle und ging mit Elsa, einer Schülerin aus Ravenclaw mit langen, blonden Haaren, in Richtung der ersten Stunde. Hiccup beneidete sie darum, bereits im sechsten Jahr zu sein. Sie konnte sich die Fächer aussuchen, während er seinen Stundenplan dieses Jahr erst einmal hatte erweitern müssen. Er kam kaum mit dem Stoff hinterher und sich nachts aus dem Schloss zu schleichen und sich um einen Drachen zu kümmern, half da nicht unbedingt. Aber er konnte Toothless nicht sich selbst überlassen. Er war sein erster richtiger Freund und Freunde ließ man nicht im Stich. Also erhob er sich, sein Frühstück hatte er kaum angefasst und begab sich allein zu seinem ersten Fach – Verwandlung. Hufflepuffs waren dafür bekannt, immer gemeinsam in einer Gruppe unterwegs zu sein, aber Hiccup fühlte sich bei den anderen nicht wohl und er war sich sogar sicher, dass sie ihn seltsam fanden. Vielleicht war er das sogar. Er kümmerte sich nachts immerhin um einen Drachen, nicht das alltäglichste Hobby für einen Hufflepuff. Der Tag zog an ihm vorbei und das Mittagessen ließ er aus, um den Berg an Hausaufgaben ein wenig zu verkleinern. Das Schuljahr hatte erst vor zwei Wochen angefangen, aber die Professoren hatten sofort Vollgas gegeben. Als er am Abend wieder in den Gemeinschaftsraum kam, beeilte er sich, in das Schlafgemach der Drittklässler zu kommen und legte sich in sein Himmelbett, das mit gelben Vorhängen verkleidet war. Er wollte ein bisschen schlafen, bevor er sich in ein paar Stunden mit Merida traf. Aber in den nächsten drei Stunden bekam er aufgrund seiner Aufregung kein Auge zu. Würde sie wirklich kommen? Hatte sie es doch weitererzählt? Toothless war seit dem Frühjahr sein bestgehütetes Geheimnis und nun musste er es mit jemandem teilen, den er kaum kannte. Er glaubte durchaus an die Eigenschaften, die jedes Haus auszeichneten, aber durch seine Zeit bei den Hufflepuffs hatte er lernen müssen, dass nicht immer jede bei jedem gleichstark ausgeprägt war. Und alles, was er von ihr wusste, war, dass sie aus einer alten, reinblütigen Familie stammte und mit Abstand die beste Treiberin war, die es aktuell in Hogwarts gab. Die Zeiger seiner Armbanduhr schritten unbeirrbar dahin und die anderen Jungs aus seinem Schlafsaal kamen, gingen und kamen noch einmal, während Hiccup so tat als würde er bereits schlafen. Die anderen vier unterhielten sich lange und spielten nebenbei irgendwelche Kartenspiele. Hiccup wurde von Minute zu Minute nervöser und er ließ seine Uhr kaum noch aus den Augen. Es war mittlerweile nach 22 Uhr und wenn die anderen sich nicht bald ins Bett legen würden, war die Chance, dass einer von ihnen noch wach war, wenn er aufstand, zu groß. Er verlor langsam die Hoffnung, hier pünktlich rauszukommen, als er schließlich doch das Rascheln der Decken hörte und mehrere gemurmelte ‚Gute Nacht‘. Hiccup setzte sich langsam auf und spitzte zwischen den Vorhängen seines Himmelbetts hindurch. Die anderen hatten ihre nun geschlossen und er konnte bereits das Schnarchen von Kristoff vernehmen und nach und nach fanden auch die anderen den Weg in ihre Träume. Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante und zog sich seine Schuhe an. Er nahm seinen Zauberstab vom Nachtkästchen und durchquerte auf Zehenspitzen den Schlafsaal. Wie in den meisten Nächten war der Gemeinschaftsraum bereits leer und so konnte er ohne große Verzögerung in den Gang treten. Merida stand bei einer der Ritterrüstungen und pfiff leise, als Hiccup aus dem Loch hinter einem der Gemälde hervorkam. Er lief gebückt und an die Wand gedrückt zu ihr, vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzend, um dem Steinboden keine zu lauten Geräusche zu entlocken. „Du musst nicht so vorsichtig sein, ich hab aus Anna rausbekommen, wie die Route für die nächtlichen Patrouillen sind. Egal wie sie laufen, es kommt frühstens in einer halben Stunde jemand vorbei.“ Dennoch flüsterte sie ihm das ins Ohr, als er bei ihr ankam. Gemeinsam schlichen sie sich aus dem Schloss und stülpten sich ihre Kapuzen über, als sie die Steintreppe zu den Ländereien hinunterliefen. Falls man sie doch beobachtete, mussten sie es ihnen schließlich nicht zu leicht machen. Sie rannten beinahe, bis sie zu den ersten Ausläufern des verbotenen Waldes gelangten. „Es gibt nichts Schöneres als sich aus dem Schloss zu schleichen.“ Merida strahlte Hiccup an. Nun, da die Gefahr geringer war, gesehen zu werden, und der Boden unebener wurde, gingen sie langsamer. „Erzähl mal Hiccup. Wie hast du diesen Nachtschatten gefunden?“ Hiccup schwieg einen Moment und überlegte, wie er am besten beginnen sollte. „Verteidigung gegen die dunklen Künste. Da sitze ich immer am Fenster. Das Fach interessiert mich nicht sonderlich.“ Merida schnappte nach Luft und Hiccup wusste genau, was sie mit dieser Reaktion aussagen wollte. Wie konnte jemand das interessanteste Fach der Schule uninteressant finden? Die Antwort war einfach: er konnte es nicht. „Jedenfalls habe ich dort einen guten Blick auf den Wald und an einem der Tage konnte ich beobachten, wie sich in der Luft zwei Tiere um etwas stritten und eins davon nach unten stürzte. Nachdem ich den Tag über darauf gewartet hatte, dass dieses Ereignis die Runde macht, aber der Flurfunk still blieb, habe ich mich abends aus dem Schloss geschlichen und den Wald abgesucht. Allerdings nichts gefunden. Nachdem weiterhin niemand darüber sprach und es mich nicht losließ, bin ich so lange durch den Wald geirrt, bis ich ihn gehört habe. Toothless hat tagelang versucht, zu fliegen, aber da die linke Flosse seines Schwanzes kaputt ist, kommt er nicht richtig hoch und fällt nach wenigen Metern nach unten. Und diesen Aufprall habe ich gehört.“ „Der Arme“, flüsterte Merida und öffnete gerade den Mund, um weitere Fragen zu stellen, als Hiccup sie hinter einen der Bäume zerrte. Ein paar Meter vor ihnen lief eine Person durch den Wald in Richtung Schloss, die Kapuze über den Kopf gezogen. Hiccup konnte nicht viel erkennen, aber Merida neben ihm schnappte nach Luft. „Sag mal, ist das Jack Frost?“, flüsterte sie schließlich. Jack war ein Slytherin und bereits im letzten Jahr. Einer der egoistischsten und unfreundlichsten Schüler, die diese Schule zu bieten hatte. „Ich weiß nicht.“ Das Licht des Mondes schaffte es kaum durch das Blätterdach hindurch und er konnte gerade so die Umrisse erkennen. „Egal. Er ist weg“, antwortete Merida erleichtert. Sie warteten noch zwei Minuten, um sicher zu gehen, und setzten ihren Weg fort. Bei der Lichtung angekommen hörten sie schwere, schnelle Schritte und ehe sie sich versahen, lag Hiccup am Boden und Toothless über ihm und schmiegte sich gegen sein Gesicht. „Ist ja gut. Ich hab dir versprochen, ich komme heute wieder“, lachte Hiccup und drückte das Gesicht des Drachens von sich. „Er scheint dich wirklich gern zu haben“, stellte Merida fest und ging neben ihm in die Hocke. „Ja. Ich ihn auch. Es war schlimm, ihn während der Ferien zurückzulassen. Ich wusste nur nicht, wie ich ihn mitnehmen sollte.“ Sie nickte und musterte den Nachtschatten – nun, da er in der Mitte der Lichtung stand und direkt vom Mond beschienen wurde, konnte sie seinen Körperbau und die Schuppen deutlich sehen. „Ich hatte Angst, Hagrid würde ihn finden oder irgendjemand anderes. Da Toothless nicht fliegen kann, wusste ich nicht, ob er sich vor Angreifern schützen kann. Aber er ist zäh und clever.“ Merida lachte, als Toothless zur Bestätigung mit seinem Schwanz wedelte. Nur die abgerissene Flosse trübte ihre Begeisterung. Ihr Lachen zog nun auch die Aufmerksamkeit des Drachens auf sie und er legte seinen Kopf schief. Musterte sie. Schnupperte und … knurrte. „Alles gut, Toothless. Sie tut dir nichts Böses. Versprochen“, beschwichtigte Hiccup ihn sofort und nahm Meridas Hand in seine. Er zog daran und sie fiel fast nach vorne über. „Siehst du?“, fragte er Toothless, der ihre Hand zu beschnuppern begann. Vorsichtig, fast schon in Zeitlupe, legte Hiccup ihre Hand auf die Nüstern des Drachens und Merida spürte die warmen Schuppen auf ihrer Haut. Sie waren hart und glatt. Ein seltsames Gefühl. Nie hätte sie damit gerechnet, irgendwann einmal einen Drachen zu berühren. Toothless und sie sahen sich einen langen Augenblick nur an. Sie konnte ihre eigenen Umrisse in seinen grünen Augen sehen. Und dann, ohne Vorwarnung, schleckte er mit seiner rauen Zunge über ihre Hand. „Oh.“ Hiccup lachte und erhob sich. „Das bedeutet, dass ihr jetzt Freunde seid“, erklärte er ihr. Merida wurde warm ums Herz und sie wusste genau, dass sie gerade wie ein Honigkuchenpferd grinste. * Es verging eine gute Woche, in der Merida und Hiccup Toothless gemeinsam besuchten – zu ihrem Glück begegnete ihnen niemand mehr. In einer der Nächte, als ein Spätsommergewitter aufzog und es auf den Ländereien einige Erdrutsche verursachte, mussten sie sich allerdings niedergeschlagen wieder in ihre Betten zurückziehen. Als sie in der folgenden Nacht über den noch aufgeschwemmten Boden liefen und ihre Schuhe bei jedem Anheben ein Sauggeräusch von sich gaben, wussten sie nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, den nächsten Besuch noch eine Nacht zu schieben. Aber ihnen war auch bewusst, dass Toothless auf sie wartete und lieber riskierten sie es, erwischt zu werden, als dass er plötzlich in der Schule stand und ihre Professoren auf den Plan rief. Laut Hiccup war er ein sehr ungeduldiger Drache und Merida hatte in den letzten Tagen einen ganz ähnlichen Eindruck gewonnen. Sie erreichten den Wald zu ihrem Glück ohne erwischt zu werden und Merida hatte einen Spruch im Kopf, der später alle Beweise auf ihren Klamotten verschwinden lassen würde. „Glaubst du, er ist sehr wütend auf uns?“ „Eher eingeschnappt.“ Hiccup erinnerte sich an ihre ersten Treffen nach den Ferien. Toothless hatte ihn drei Tage lang mit Nichtbeachtung gestraft. „Okay.“ „Aber keine Sorge. Dafür habe ich das hier dabei.“ Er zog einen Kuschelbären aus seiner Jackentasche und hielt ihn in die Luft. „Toothless hat einen extremen Verschleiß bei den Dingern, darum habe ich in der Winkelgasse gleich zwei Dutzend davon gekauft. Kam bei meinem Vater nicht sonderlich gut an“, fügte er mit einem verlegenen Grinsen hinzu. Merida nickte. Als sie die Lichtung betraten, war von Toothless weder etwas zu hören, noch zu sehen. Merida wollte in die Richtung seines Unterschlupfs laufen, doch Hiccup hielt sie zurück. „Warte“, flüsterte er. „Schade, dass Toothless heute nicht hier ist. Dabei habe ich ihm eine Überraschung mitgebracht“, sagte er lauter und mit gespielter Enttäuschung in der Stimme. „Vielleicht sollten wir lieber wieder gehen. Was denkst du?“, setzte er an Merida gewandt fort, die seine schlechten Schauspielkünste mit einem Kopfschütteln quittierte, aber sie wusste, was sie zu tun hatte. „Da hast du sicher recht.“ Wie aus dem Nichts stand Toothless plötzlich vor ihnen und schaute sie grimmig an. „Da bist du ja!“ Hiccup versuchte sein Bestes, um überrascht zu wirken, aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Toothless‘ volle Aufmerksamkeit lag auf dem Teddy in seiner Hand. Hiccup warf diesen für ihn nach oben und Toothless fing ihn mit seinem Mund auf. Die beiden lachten und Merida war erstaunt darüber, wie gut Hiccup seinen Drachen lesen konnte. „Ein Drache also“, ertönte hinter ihnen eine kühle Stimme und sie zuckten zusammen. Merida musste sich nicht umdrehen, um zu erfahren, wer gesprochen hatte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und drehte sich mit einem genervten Blick um. „Ja, ein Drache. Neidisch, Frost?“, fragte sie. Hatte er sie vor ein paar Tagen doch bemerkt? Mit eleganten Schritten kam er auf sie zu, blieb aber stehen, als Toothless knurrte. Ein angstvoller Schatten huschte über sein Gesicht, bevor er sich wieder gefangen hatte und er fuhr sich möglichst entspannt durch seine weißen Haare. „Ich hatte mich schon gewundert, wie es zu einem solchen Team kommen konnte.“ Er musterte zuerst Hiccup und dann Merida, die in Lauerstellung lag und langsam ihre Hand näher an ihren Zauberstab führte, der in ihrer Manteltasche lag. „Das würde ich lassen.“ „Was machst du hier?“, fragte Hiccup schockiert. „Ich bin euch gefolgt. Ihr seid nicht unbedingt unauffällig. Du kannst Anna dankbar sein, dass sie die Routen der Vertrauensschüler koordiniert. Ich denke, sie wusste, dass du irgendetwas im Schilde führst, Dunbroch.“ Ein Fakt, den sie nicht leugnen konnte. Es war bisher viel zu glatt verlaufen. „Außerdem weiß ich fast alles, was hier vor sich geht. Dich und diese komische Elsa habe ich auch gesehen. Hätte nicht gedacht, dass sie überhaupt wen an sich ranlässt“, fuhr Jack unbeirrt fort, als wolle er ihnen unbedingt beweisen, was für ein Genie er war. Allerdings beendete er damit nur Meridas Starre. Ihre Wangen wurden rot vor Wut und sie war mit drei Schritten bei ihm. Sie packte ihn am Kragen seines Umhangs und zog ihn zu sich hinunter, den Zauberstab nun in der Hand und gegen seinen Unterkiefer gedrückt. „Du selbstgefälliger Arsch. Pass auf, was du sagst. Ich kenne Flüche, die tun dir Sachen an, von denen hast du nicht einmal was in deinen düstersten Träumen gehört.“ Jack lachte. „Schon gut. Schon gut. Ich komme in friedlicher Absicht.“ „Wirklich?“, fragte Merida angriffslustig und ließ von ihm ab, ging aber keinen Zentimeter zurück und ihr Zauberstab blieb auch da, wo er war. „Natürlich. Mich hat es nur interessiert, wie es sein kann, dass eine stolze Gryffindor, die dazu in einer Beziehung ist, mit einem kleinen Knirps aus Hufflepuff nachts durch die Ländereien streift und im Wald verschwindet.“ Bei der Erwähnung des Knirps ertönte eine aufgebrachtes ‚Hey‘ von Hiccup, gefolgt von einem erneuten Knurren, das eindeutig von Toothless kam. „Wie gesagt, friedliche Absicht.“ „Nur, dass wir dir die nicht abkaufen.“ „Nachvollziehbar.“ Hiccup kam näher zu ihnen, um sich dem Gespräch besser anschließen zu können. Seine größte Sorge galt in diesem Moment eindeutig Toothless und der Angst, ihn zu verlieren. „Wirst du uns verraten?“, fragte er deshalb. Er versuchte selbstbewusst zu klingen und streckte seine Brust heraus. Das brachte ihm allerdings nur hochgezogene Augenbrauen von Merida ein und einen amüsierten Blick von Jack. „Weiß ich noch nicht. Ich liebe es, wenn gute Schüler die Regeln brechen und erwischt werden. Allerdings gäbe es sicher eine Möglichkeit, wie ihr mich vom Gegenteil überzeugen könntet.“ Er legte eine kunstvolle Pause ein, die Hiccup fast verrückt machte. Was besaßen sie schon, was sie ihm geben konnten, um sein Schweigen zu erkaufen? „Lasst mich mitmachen.“ „Willst du uns erpressen?“, fragte Merida. „Was für ein schlimmes Wort. Aber ja. Ja, das hatte ich im Sinn.“ Hiccup unterließ es, Merida daraufhin zuweisen, dass sie in derselben Situation einen ähnlichen Wortlaut verwendet hatte. Er war nur erleichtert, dass Jack kein Gold von ihnen wollte. Jetzt, da er Toothless gesehen hatte, erschien ihm diese Alternative als das geringere Übel. „Können wir dir vertrauen?“, hakte er nach. „Nein. Aber euch wird nichts anderes übrigbleiben.“ Jack grinste noch immer selbstgefällig. Mit dieser Aussage hatte er leider Recht, obwohl sie es sicher nicht gerne zugaben. „Na gut. Morgen Nacht am See. Kurz vor Mitternacht.“ * Merida traute Jack nicht. Genauso wenig wie Toothless es tat. Er schnupperte manchmal an ihm, musterte ihn und wandte sich dann wieder ab. Hiccup gab Jack allerdings einen Vertrauensbonus. Wie sich herausstellte, wusste er auch über Hiccups Unfähigkeit im Fach Verteidigung gegen die dunklen Künste Bescheid und bot ihm Nachhilfe an, während sie im Wald waren. In der Schule sprachen sie allerdings nie miteinander. Es vergingen zwei Wochen, in denen sie zusammen zu Toothless gingen, wobei drei Nächte davon wortwörtlich ins Wasser fielen. Jack bemühte sich sichtlich, dem Drachen zu gefallen. Er brachte ihm Reste aus der Küche mit, spielte mit ihm und versuchte zudem, Merida gegenüber höflicher zu sein. Den selbstgefälligen Ton und den kalten Blick bekam er aber nicht weg. Es war schwer für ihn, so etwas wie eine Freundschaft aufzubauen. Sein ganzes Leben lang war er auf sich allein gestellt gewesen und wäre dieser Drache nicht, würde er den anderen beiden nicht eine Sekunde seiner Zeit schenken – redete er sich zumindest ein. Doch mit den Tagen begann er, sich auf die nächtlichen Ausflüge zu freuen. Nicht nur wegen Toothless und dem Regelbruch, sondern weil er es genoss, dem Knirps etwas beizubringen und sich mit Merida Wortgefechte zu liefern. Er hatte sich in seinen beinahe sieben Jahren in Hogwarts noch nie so zuhause gefühlt, wie in diesen Nächten. Heute hatte er für Toothless einen Hühnerschenkel dabei und zwei Steaks. Er warf ihm den Schenkel zu, sobald sie die Lichtung betreten hatten und Toothless fing ihn gekonnt aus der Luft auf und schluckte ihn im Ganzen hinunter. „Ich dachte, du würdest dieses Festmahl mehr genießen“, tadelte Jack ihn und legte die beiden Steaks auf den Boden. Merida und Hiccup gingen auf Toothless zu und begrüßten ihn wie jede Nacht. Etwas, das Jack nur neidvoll beobachten konnte. Toothless ließ ihn noch immer nicht ganz an sich heran. Zumindest schnupperte er nicht mehr minutenlang an dem Essen, das Jack ihm mitbrachte, bevor er es in den Mund nahm. Es wurde also langsam. Hiccup zog einen Teddybären aus seinem Umhang – den dritten in zwei Wochen – und zeigte ihn Toothless, bevor er ihn hinter seinem Rücken versteckte und schnell rückwärtslief. Der Drache folgte ihm und so begannen sie zu spielen. Jack, der sich vor einigen Tagen Hiccups Buch für Verteidigung gegen die dunklen Künste ausgeliehen hatte, blätterte in diesem herum, während die anderen drei fangen spielten und überlegte sich, was er seinem neuen und einzigen Schüler heute Nacht beibringen konnte. Wenn das so weiter ging, würde er noch einen eigenen Lehrplan für Hiccup aufstellen. Unglaublich, was zwei Wochen und ein Drache ausmachen konnten. Er merkte gar nicht, wie Toothless sich ihm von hinten näherte, bis er dessen warmen Atem in seinem Nacken spürte. Erschrocken drehte er sich um und ließ das Buch auf den feuchten Boden fallen. Toothless legte seinen Kopf schief, musterte Jack wie so oft und kam ihm plötzlich mit seiner Nase entgegen. „Ich glaube“, setzte Hiccup an, „du darfst ihn berühren.“ Jack blinzelte ein paar Mal, sah abwechselnd von Merida und Hiccup zu Toothless und hob langsam seine Hand. Konnte es wirklich …? Durfte er endlich …? Er musste sich zusammenreißen. Herausfinden würde er es sowieso nur, wenn er es versuchte. Seine Hand legte sich vorsichtig auf Toothless‘ Nüstern, der sich gegen sie schmiegte und kurz darauf spürte er die raue Zunge des Drachen auf seiner Handinnenfläche. Ja! Freude durchströmte ihn, als er erkannte, dass er endlich Toothless‘ Vertrauen gewonnen hatte. „Vorsicht!“ Das konnte nicht wahr sein! Wie viele Schüler liefen bitte noch nachts im verbotenen Wald umher? Der Name erklärte sich doch wohl von selbst. Jacks Freude, endlich Toothless‘ Vertrauen gewonnen zu haben, verpuffte und er drehte sich um. „Rapunzel!“, rief Merida, die zuerst ihre Stimme wiedergefunden hatte. Vor ihnen stand ein schmächtiges Mädchen, mit kurzen, braunen Haaren, das fassungslos die Anwesenden anstarrte. „Was machst du hier?“, fragte Hiccup, der sich mittlerweile daran gewöhnte, diese Frage in regelmäßigen Abständen zu stellen. „Ich … ich g-gehe gerne nachts zum See, um die Sterne zu beobachten“, begann sie ohne Punkt und Komma zu erzählen, „und da seid ihr mir eines Tages aufgefallen. Ich wollte euch nicht folgen, aber meine Neugier war stärker, also bin ich auch in den Wald, wo ich euch jedes Mal verloren habe, bis auf ...“ „Heute“, beendete Jack ihren Satz, um sie zum Schweigen zu bringen. „Ja.“ Die drei seufzten unisono. „Willst du dich unserer Gruppe anschließen?“, fragte Merida, um das Gespräch zu verkürzen. Im Gegensatz zu Jack konnte sie sich sicher sein, dass Rapunzel nicht redete. Sie war eine von Annas besten Freundinnen, obwohl sie als Ravenclaw in einem anderen Haus war. Von Elsa wusste sie allerdings auch einiges über Rapunzel und war sich deshalb sehr sicher, worauf es sowieso hinauslaufen würde. „Was? Ähm ...“, überrumpelt von diesem plötzlichen Angebot stotterte Rapunzel unverständliche Wörter zusammen. Sie schloss den Mund, als es ihr auffiel, atmete tief durch und es folgte eine Minute des Schweigens. Dann nickte sie begeistert. „Aber … er beißt nicht, oder?“ „Nein. Wenn er dir über die Hand leckt, heißt das, er vertraut dir“, erklärte Hiccup immer noch ein wenig fassungslos. Er war von der Situation genauso überfahren wie Rapunzel. Wenn das so weiter ging, würde Ende des Jahres die halbe Schülerschaft hier stehen. * In den nächsten Tagen trafen sie sich regelmäßig nachts am See und liefen durch den Wald zur Lichtung, bei der Toothless es sich gemütlich gemacht hatte. Rapunzel hatte von ihrem Lehrer für Pflege magischer Geschöpfte ein paar Buchempfehlungen über Drachen bekommen, nachdem sie ihre Begeisterung darüber geäußert hatte, und Jack hatte eine Bürste für Schuppen geklaut. Rapunzel war zudem die einzige, die Toothless sofort an sich heranließ. Es hatte keine zehn Minuten gedauert, da waren die beiden – zum Erstaunen und Missfallen der anderen drei – die besten Freunde. Das einzige, was ihre nächtlichen Ausflüge einen Dämpfer verpasste, war Toothless fehlende linke Schwanzflosse. Sie wussten, dass er gerne wieder fliegen würde. Jack und Merida, die als einzige von ihnen Zugang zur verbotenen Abteilung in der Bibliothek hatten, wälzten deshalb in jeder freien Minute Bücher, um einen passenden Zauberspruch zu finden, während Hiccup sich an ein paar Muggelmaschinen versuchte, die sie im Unterricht durchgenommen hatten. Rapunzel half ihm dabei so gut es ging, aber keine der Apparaturen hielt auf Toothless‘ Schuppen. Die Zeit verging viel zu schnell und ehe sie sich versahen, war es Ende Oktober und der Herbst hatte endgültig Einzug in Hogwarts gehalten. Merida, die Elsa in den letzten Wochen vernachlässigt hatte, war einige Tage nicht dabei und Rapunzel musste wegen einer heftigen Grippe ein paar Nächte im Bett verbringen. Es war kurz vor Halloween, als sie endlich wieder gemeinsam zu Toothless gehen konnten. Die ersten Kürbisse hingen bereits von den Decken herab und an den Wänden. Zudem flogen überall im Schloss Fledermäuse umher. Auf dem Weg zum Wald blies ihnen ein heftiger, kalter Wind entgegen und die vier schlangen ihre Mäntel so eng es ging um ihre Körper, bis sie die ersten Bäume erreichten. Dort waren sie vor dem Wind in Sicherheit, aber wärmer wurde es dennoch nicht. Als sie schließlich auf der Lichtung ankamen, merkte man sofort, dass Toothless die beiden Mädchen vermisst hatte, da er kaum von ihnen ablassen konnte, während sie da waren. Jack und Hiccup waren plötzlich unwichtig, was den zwei ein wenig gegen den Strich ging. Allerdings freute es sie, wie entspannt und losgelöst Toothless über die Lichtung sprang, also versuchten sie ihren getroffenen Stolz zu ignorieren. Was Hiccup besser gelang als Jack, der während der Nachhilfestunde mit Hiccup immer wieder verstohlene Blicke zu den anderen dreien warf und deshalb ungewöhnlich unkonzentriert agierte. Einmal traf Hiccup ihn sogar und er wurde nach hinten durch die Luft geschleudert. Die anderen mussten lachen, verstummten aber sofort, als sie Jacks genervten Gesichtsausdruck sahen. Er war stolz auf den Knirps, aber das würde er ihm sicher nicht auf die Nase binden. Als sie sich schließlich auf den Rückweg machten, war Jack noch immer nicht ganz darüber hinweg, so von Toothless ignoriert worden zu sein und brummte einige unverständliche Worte vor sich her. Merida und Rapunzel tauschten belustigte Blicke, schwiegen aber ansonsten. Nur Hiccup versuchte seinen Freund zu beruhigen. Immerhin war es ihm genauso ergangen. Sie kamen gerade am Tor zum Schloss an, als sie einen Schatten dort entlanglaufen sahen. „Wen haben wir denn da?“, fragte eine schneidende Stimme und die vier zuckten erwischt zusammen. Ach, wäre es doch nur die halbe Schülerschaft auf der Lichtung gewesen. Vor ihnen stand Professor Gothel mit einem sehr zufriedenen Grinsen. „Mitkommen. Sofort.“ * Gothel versuchte fast eine Stunde, etwas aus ihnen herauszubringen. Aber alles, was sie erreichte, war Schweigen oder spitze Kommentare von Jack und Merida. Man konnte ihr ansehen, wie ihr Geduldsfaden immer weiter riss, doch auch ihr Keifen brachte keinen von ihnen zum Reden. „Gut, ihr habt es nicht anders gewollt. Jeder von euch verliert 150 Punkte und bis zu den Weihnachtsferien dürft ihr drei Mal die Woche zum Nachsitzen in meinen Unterrichtsraum kommen. Die Blutegelgläser und gebrauchten Kessel freuen sich auf euch.“ Wenn sie gehofft hatte, dadurch ein Geständnis aus einem von ihnen herauszubringen, musste sie sich auch mit diesem Trumpf geschlagen geben. Ihr Geheimnis war ihnen viel zu wichtig, als dass sie es wegen ein paar Punkten und Nachsitzen offenbaren würden. Es vergingen nochmals zehn Minuten, in denen sie versuchte, etwas aus ihnen herauszukitzeln, doch nachdem Jack laut gähnte und Rapuzel wirklich die Augen zufielen, musste sie sich geschlagen geben. „Montag geht es los!“, rief sie ihnen hinterher, als die vier nacheinander das Klassenzimmer verließen und zurück in die Eingangshalle gingen. „So eine dumme Kuh“, flüsterte Jack in seinen imaginären Bart und streckte sich. „Liegt sicher daran, weil sie keiner leiden kann“, erwiderte Merida mit einem bösen Grinsen. „Vielen Dank“, flüsterte Hiccup unvermittelt. Er wusste nicht genau, was er sagen sollte. Keiner von ihnen hatte etwas gesagt und lieber die Strafe auf sich genommen. Zu Schuljahresbeginn hätte er so etwas niemals für möglich gehalten. „Nicht dafür“, antwortete Jack und Rapunzel zwinkerte ihm gut gelaunt, wenn auch müde, zu. „Eben. Wir sehen uns beim Nachsitzen, würde ich sagen“, schloss Merida diesen emotionalen Moment ab. „Kommst du Rapunzel?“ Da beide nach oben mussten, konnten sie ein Stück gemeinsam gehen. „Klar. Also bis dann, Jungs. Und Hiccup, mach dir keine Gedanken. Wir machen natürlich weiter.“ Sie strahlte ihn regelrecht an, obwohl sie gerade für Ravenclaw 150 Punkte verloren hatte. Er kicherte nervös und kratze sich am Hinterkopf. Es war schön, das zu hören, da er sich wohl nicht getraut hätte, diese Frage zu stellen. „Also, schlaft gut“, verabschiedete Rapunzel sich und folgte Merida, die bereits auf der ersten Treppenstufe stand und auf sie wartete. Die beiden Mädchen winkten noch einmal und gingen dann eilig nach oben. „Also dann, Knirps.“ Mit dieser Aussage zog Jack Hiccups Aufmerksamkeit auf sich. Er grinste ihn verschmitzt an, während er fortfuhr: „Wer hätte gedacht, dass ein Hufflepuff so mutig sein würde. Hatte schon Sorgen, du würdest einknicken.“ „Natürlich nicht!“ „Schon gut. Nimm es als Kompliment.“ Hiccup wollte noch etwas erwidern, aber er wusste nicht was. Zu viel spukte gerade in seinem Kopf umher. „Bis morgen, Knirps.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich auch Jack und lief entspannt zum Eingang der Kerker. „B-bis morgen!“, rief Hiccup ihm hinterher. Er wusste nicht genau, was er mit dem Verhalten seiner Freunde anfangen sollte. Wäre Wut nicht ein geeigneteres Gefühl gewesen? Aber keiner von ihnen wirkte wütend. Eher im Gegenteil. Sie schienen es alle zu genießen, erwischt worden zu sein. Ungläubig schüttelte Hiccup den Kopf und ging nun ebenfalls endlich in Richtung seines Gemeinschaftsraums. Es machte ihn glücklicher als er sagen konnte, dass sie nicht sauer auf ihn waren – allerdings würden das die Hufflepuffs übernehmen, wenn sie morgen die fehlenden Punkte bemerkten. Aber das war es auf jeden Fall wert. Hiccups grinste vor sich hin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)