Eine Frage der Anziehung von Platypusaurus ================================================================================ Von Sorgenfalten und anderen Signalstörungen -------------------------------------------- „Und? Denkst du, du kriegst das hin?“, fragte Sam, während er sein Spiegelbild einer letzten Musterung unterzog. Dean hatte sofort die Gunst der Stunde und Sams Besessenheit mit der eigenen Frisur ausgenutzt, um sich auf dem Kaffeetisch vor dem Sofa die schweren Lederboots zuzuschnüren. Natürlich traf ihn trotzdem ein tadelnder Blick aus dem Spiegel neben der Haustür, bevor er auch nur beim zweiten Schuh angekommen war.   „Ich hab‘s kapiert, dein neuer Kumpel ist schwul und nein, ich hab kein Problem damit“, sagte Dean gelassen und ignorierte den stummen Rüffel über Straßenschuhe auf dem Tisch. Schließlich war er derjenige, der die Miete zahlte, während sein kleiner Bruder für die Dauer seines Studiums kostenlos bei ihm unterkam. Überdeutlich konnte Dean im Spiegel das nachdenkliche Stirnrunzeln sehen, das diese kleinen Falten über Sams Nasenwurzel entstehen ließ, die ihn insgeheim immer an das Wi-Fi Symbol erinnerten. Die Ursache dafür, ob nun seine Manieren oder die Befürchtung diskriminierenden Verhaltens in Gegenwart von diesem Castiel, interessierte ihn bloß nicht genug, um sein Auftauchen zu hinterfragen.   Sam und sein Spiegelbild nickten grimmig, offensichtlich zufrieden mit der eigenen Erscheinung, während die misstrauisch erhobenen Brauen mehr unausgesprochene Kritik transportierten, als Dean in diesem Moment ertragen konnte. Er verdrehte also die Augen, sobald er sich sicher war, dass Sam es auch sehen konnte.   „Chill, Mann! Ich werd mich benehmen!“   Sam sagte eine ganze Weile nichts mehr, schlüpfte stumm in seine Chelsea Boots und griff nach seiner Jacke, während Dean den verkniffenen Zug um den Mund seines Bruders ignorierte und seinerseits die abgetragene Lederjacke ihres Vaters überstreifte. Erst, als er den Schlüsselbund von der Kommode klaubte, und sich zum Gehen umwandte, hielt Sam ihn zurück.   „Ich mein‘s ernst, Dean! Gabes Cousin macht gerade eine schwere Zeit durch und das letzte, was er jetzt brauchen kann, ist, dass man sich über ihn lustig macht!“   Dean seufzte tief. Er hatte mehr als genug von den Vorträgen darüber, wie sehr er mit seinen derben Sprüchen und dem, was Charlie naserümpfend als ‚hochsensible, toxische Maskulinität‘ bezeichnete, angeblich aneckte. Eigentlich fühlte er sich im gemeinsamen Freundeskreis von Sam und ihm ganz wohl, aber in der letzten Zeit bekam er immer öfter eins auf den Deckel für Witze und Bemerkungen, die früher noch in Ordnung gewesen zu sein schienen. Im Gegenteil, sogar – früher einmal hatten sie mit ihm gelacht, anstatt über ihn den Kopf zu schütteln.   „Komm schon, Sammy. Wir sind die Diversity Gang, wie soll ich mich da daneben benehmen?“, fragte er mit halbem Lachen und schon im Begriff, die Tür zu öffnen. „Charlie steht nur auf Bräute und deine Freundin ist tau- ich meine gehörlos. Ash hat ‘ne Vollmeise, Kev ist quasi Rain Man, nur ohne den Sockenschuss, Gabe ist … na ja, Gabe – nur du, Jo und ich sorgen für den Normalo-Ausgleich. Was uns noch fehlt, ist der Quoten-Schwule! Also, ich hisse gleich solidarisch die Regenbogen-Flagge für diesen Cas- Castiel? Und dann ist alles in Butter.“ Dean entging nicht, wie Sam das Gesicht verzog, so als litte er unter heftigen Zahnschmerzen, als Dean seine Freundin, Eileen, beinahe als ‚taub‘ bezeichnet hätte. Dean schenkte seinem Bruder ein zumindest ehrlich zerknirschtes Lächeln über seinen Fauxpas, bevor er sich an ihm vorbei durch die Haustür und ins Freie quetschte, ohne darauf zu achten, ob die Tür Sam vor der Nase zuschlug. Was sie natürlich tat. Der Herbstwind war schon seit Tagen ein Miststück.   Die fünfzehn Minuten Fahrt bis zum Roadhouse verliefen in Schweigen, das Dean damit füllte, gut gelaunt zu Fortunate Son von Credence Clearwater Revival aufs Lenkrad zu trommeln. Sams strafenden Blick von der Seite ignorierte er ebenso gekonnt wie dessen hektisches Kaugummikauen, das er sich im letzten Studienjahr angewöhnt hatte, um Stress in Situationen zu kompensieren, in denen er nicht augenblicklich in seine Laufschuhe springen konnte. Was sollte eigentlich die ganze Aufregung? Dean fühlte sich der Aufgabe, nett zu einem deprimierten Homosexuellen zu sein, durchaus gewachsen.   Er klopfte sich insgeheim selbst auf die Schulter für das geschmeidige Einparken vor dem Laden und war schon aus dem Impala gesprungen, bevor Sam auch nur Anstalten gemacht hatte, die Beifahrertür zu öffnen. Seine gute Laune hielt an, als er seine Ziehmutter Ellen lauthals und quer durch den Schankraum begrüßte, nur um zielsicher auf den Stammtisch in der Ecke zuzusteuern, an dem sich all seine Freunde jeden ersten Samstag im Monat trafen. Auch hier gab es ein großes Hallo, bestehend aus einer Runde kräftigen Schulterklopfens und kurzen, aber innigen Umarmens für Deans beste Freundin Charlie, seine und Sams Ziehschwester Jo, sowie Sams Freunde Kevin und Ash (bei denen Dean sich immer noch fragte, wie sein Bruder an die beiden geraten war). Eileen hatte, zu Sams großer Enttäuschung, für den Abend abgesagt, da sie an irgendeiner überfälligen Hausarbeit zu schreiben hatte.   „Wann kommt Gabe?“, hörte Dean Sam in dem Moment fragen, als er selbst in der Begrüßungsrunde unauffällig die Nase in Charlies Rotschopf vergrub, der nach dem Rosenshampoo roch, das er insgeheim so mochte. Wenn er es sich zugestanden hätte, hätte er nichts dagegen gehabt, hin und wieder mehr von dieser freundschaftlichen Nähe mit seiner besten Freundin zu teilen, bei der er sich immer so wohl, um nicht zu sagen … geborgen fühlte. Aber er wollte auf keinen Fall, dass sie auf die Idee kam, er würde versuchen, bei ihr zu landen – denn schließlich war das der einzige Grund, solche Arten von Körperkontakt überhaupt auch nur zuzulassen. Und da Charlie, in der Dean, ähnlich wie in Jo, nichts weiter als eine kleine Schwester sah, bekannterweise zu einhundert Prozent lesbisch war, würde sie ihm unter Garantie auf der Stelle die Freundschaft kündigen, sollte sie den Eindruck haben, er würde ihr an die Wäsche wollen. Zumindest war Dean felsenfest davon überzeugt und so achtete er darauf, Charlie schnell wieder aus seiner Umarmung zu entlassen.   „Müsste jeden Moment hier sein“, hörte Dean Ash gedehnt antworten und er wusste sofort, dass der Kerl mal wieder bis hinter beide Ohren stoned war. Als Dean nah genug dran war, um Ash mit Handschlag begrüßen zu können, roch er die offenkundige Bestätigung für seinen Verdacht.   „Pass auf, dass meine Mutter nicht mitkriegt, dass du gekifft hast“, zischte Jo wenig begeistert, die gerade in der Eckbank um den Tisch herum neben Charlie Platz nahm und offenbar ebenfalls eine gute Nase voll Ash erwischt hatte. Jo war fast im selben Moment wie Sam und Dean zu ihren Freunden gestoßen. Sie war Ellens Tochter, Bobbys Stieftochter, und arbeitete an den Wochenenden fast immer im Roadhouse. Wovon sie als Gruppe durchaus profitierten, denn meistens sorgte Ellen an ihren gemeinsamen Samstagen dafür, dass Jos Schicht kurz vor ihrem Treffen endete, so dass sie sie direkt mit Getränken versorgen konnte, bevor sie mit ihren Freunden zusammen ihren Feierabend beging. Zu Deans Überraschung war es nicht nur Ash, der auf Jos Drohung hin abwesend kicherte. Auch Sam entfuhr ein belustigtes Glucksen, und auf den irritierten Blick, den Dean ihm dafür schenkte, zuckte er nur die Achseln und murmelte etwas wie: „Dinge, die man im College mal gemacht haben muss!“.   „Bist ja doch nicht so uncool, wie ich gedacht hab“, stichelte Dean und winkte sogleich ab, als er sah, dass Sam entrüstet den Mund öffnete, um sich zu verteidigen. Vermutlich wäre sowieso nur wieder irgendein typisches ‚mein-Ego-dein-Ego‘-Blabla herausgekommen und auf das konnte er an diesem Abend gut verzichten. Vielleicht war es nur Einbildung, aber Dean hatte ohnehin schon das Gefühl, dass ihn seine Freunde seit seinem Eintreffen entweder mit Argusaugen beobachteten oder unruhig zur Eingangstür starrten, so als erwarteten sie in der nächsten Zeit einen Überfall auf das Roadhouse. Er vergaß das merkwürdige Gefühl wieder, sobald Gabe und besagter trauriger, schwuler Castiel auf der Bildfläche erschienen, vor dem Dean für diesen Abend also gefälligst zu kuschen hatte.   Gabe sah eigentlich aus wie immer: Er trug viel zu enge lilafarbene Jeans, eine dunkle Lederjacke und darunter ein dunkles Hemd mit hellrotem Muster, das Dean als Bienen-Aufdruck erkannte, als Gabe sich dem Tisch näherte. Sein honigblondes Haar war windzerzaust; offenbar waren er und sein Cousin zu Fuß zum Roadhouse gekommen. Gabe war ein sehr kleiner Mann, aber er besaß grundsätzlich mehr Präsenz im Raum, als jeder andere Mensch, den Dean kannte, was vor allem an seiner exzentrischen, überdrehten Art liegen mochte. Und vielleicht war das Aufmerksamkeit heischende Auftreten eine Familiensache, denn dieser Castiel zog mit seinem Erscheinen so viel von Deans Konzentration auf sich, dass er kaum mitbekam, wie Gabe die anderen mit Handschlag (Ash, Jo) und Umarmungen (Charlie, Sam, Kevin) begrüßte, bevor er seine Begleitung und die Runde vorstellte.   Das für Dean Frustrierendste an Castiels Erscheinung war, dass auf den ersten Blick absolut nichts Besonderes an ihm auszumachen war: Er sah einfach aus wie der typische, verschrobene Nerd von nebenan, auf seine Art nicht weniger exzentrisch als Gabriel, dabei jedoch etwas dezenter, leiser, fast zurückhaltend. Er trug eine dieser klischeehaften Brillen mit eckigen Gläsern und dickem, schwarzem Gestell und einen beigefarbenen Trenchcoat, der bei dem Herbstwind vor der Tür unmöglich die richtige Wahl gewesen sein konnte, ganz abgesehen davon, dass er damit wie ein ziemlich mieser Columbo-Verschnitt aussah. Das hellblaue Hemd und die dunkle Hose mit Bügelfalten, die er unter dem Mantel anhatte, ließen ihn wiederum viel zu overdressed für einen rustikalen Laden wie das Roadhouse auftreten, was Dean aus ihm unerklärlichen Gründen irgendwie gegen den Strich ging. Castiels dunkle Haare waren ebenfalls windzerzaust, allerdings sah es bei ihm, im Vergleich zu Gabriel, vielmehr aus, als sei er in einen heftigen Sturm geraten, was in Dean kurz den unbestimmten Drang weckte, ihm die Frisur zu richten. Interessanterweise erschien Dean dieser Castiel weder so gebrochen zu sein, wie Sam es ihm hatte verkaufen wollen, noch strahlte er nach außen hin etwas aus, das Dean ausgerechnet sofort an einen schwulen Mann hätte denken lassen.   „Du musst Sams Bruder sein. Hallo, Dean“, hörte er plötzlich eine angenehm tiefe Stimme sagen, und da sich Castiels außergewöhnliche breite Lippen zeitgleich bewegt hatten, musste Dean annehmen, dass er derjenige war, der zu ihm gesprochen hatte.   Dean räusperte sich, wobei er sich fast am eigenen Atem verschluckte, da ihn im selben Moment ein heftiger Schlag von Gabe auf den Rücken traf.   „Jupp, das ist Dean-o. Gut erkannt, Cassiekins. Leute – Dean, das ist mein Cousin Castiel und ich möchte, dass du heute brav zu ihm bist. Er hat einen netten Abend verdient, also rückt mal zusammen und gebt dem Mann ein Bier!“   Dean murmelte halblaut die verspätete Begrüßung, die Gabes Schlag ihn hatte verschlucken lassen, und rutschte gehorsam weiter in die Kurve der Eckbank hinein, so dass er schließlich zwischen Sam und Castiel saß, nachdem auch die Neuankömmlinge ihre Jacken abgelegt hatten. Ein Tritt traf ihn unter dem Tisch von links gegen die Wade und er hörte seinen Bruder gepresst flüstern: „Reiß dich zusammen, Mann!“   Wieso eigentlich? Dean war sich keiner Schuld bewusst und als die Gespräche rund um den Tisch wieder in Gang gekommen waren, war es nicht Gabriel, zu Castiels Rechten, der ihm die Speisekarte hinschob, sondern er, Dean, selbst.   „Hier, falls du‘n Blick riskieren willst?“, sagte er und schenkte Castiel von der Seite her eines seiner charmantesten schiefen Lächeln. Sie trafen sich nun seit Jahren im Roadhouse, jeder von ihnen hatte seine eingeschworenen Lieblingsessen, und keiner von ihnen schenkte den Menükarten in der Mitte des rechteckigen Tisches noch groß Beachtung. So mangelte es Dean nicht an Empfehlungen, auch wenn er neugierig darauf war, für was sich dieser verschrobene Kerl am Ende entscheiden würde.   „Sammy schwört auf Ellens Süßkartoffelpommes und falls du auf Grünfutter stehst, soll der Chefsalat wirklich gut sein. Aber“, Dean machte in seiner Einführung in Ellens Küche eine kleine Kunstpause und schnalzte, statt eines Trommelwirbels, mit der Zunge, „wenn Burger dein Ding sind, dann solltest du dem Roadhouse definitiv ‘ne Chance geben. Die abgefahrendsten Burger der Stadt, ungelogen!“   Castiel hatte sich, die aufgeschlagene Speisekarte vor sich auf dem Tisch liegend, auf seinem Platz zu Dean umgewandt und sah ihm offen ins Gesicht. In seinen beeindruckend sturmblauen Augen funkelte es belustigt und Dean konnte sich des Eindrucks nicht gänzlich erwehren, dass sich dieser … dieser Nerd über ihn lustig machte.   „Aha“, meinte er nämlich, und, entgegen des Ansatzes eines winzigen Lächelns in seinen faszinierenden Augen, klang sein Tonfall überraschend unbeeindruckt. „Der beste Burger der Stadt hat den gleichen Namen wie das Etablissement, in dem er serviert wird? Einfallsreich.“ Dean runzelte die Stirn. Castiel hatte nicht halb so überheblich geklungen, wie eine derart trockene Feststellung es vermuten lassen würde und er begann sich zu fragen, ob der Kerl ihn nicht wirklich nach Strich und Faden verarschte – oder ob er tatsächlich ehrlich meinte, was er sagte. Er warf einen unsicheren Blick den Tisch entlang und stellte fest, dass niemand das Gespräch verfolgt hatte. Abgesehen von Charlie, die fast drohend mit dem Kopf in Castiels Richtung ruckte, als wollte sie ihm wortlos zu verstehen geben: „Gib dir mehr Mühe!“   Warum eigentlich ich?, dachte Dean und funkelte kurz zurück, bevor er sich mit einem erneuten Grinsen wieder Castiel zuwandte. Es war schließlich nicht so, als wäre es seine persönliche Aufgabe, den ach, so traurigen Castiel an diesem Abend aufzumuntern!   „Ja, ehm. Kann sein“, sagte er nur, aber glücklicherweise schien das Thema für Castiel damit erledigt, denn er nickte und widmete sich dann wieder in stummer Konzentration der Speisekarte. Sam, Kevin, Charlie und der Teil von Ash, der noch zusammenhängende Sätze formulieren konnte, waren inzwischen in eine Diskussion über das beste Betriebssystem für Privatcomputer vertieft, wobei Dean nicht einmal ansatzweise mitreden konnte. Gabe hatte sich umgehend in Richtung Bar verzogen, was selten etwas Gutes und bestenfalls viel Alkohol für alle am Tisch bedeutete, und so kam sich Dean mit Castiel und Jo plötzlich merkwürdig allein gelassen vor. Zum Glück eilte Jo zur Hilfe, die Castiel gegenüber und neben Charlie saß, und unterbrach das ungemütliche Schweigen, das sich an ihrer Seite des Tisches ankündigen wollte.   „Und, Castiel? Wohnst du in der Gegend? Ich habe dich noch nie hier gesehen und wenn man bedenkt, wie oft Gabe hier ist, ist das eigentlich ein Wunder!“   Castiels schlanke Finger schlossen die Speisekarte und schoben sie ein Stück von sich. Dabei fiel Dean auf, dass seine Fingernägel außergewöhnlich gepflegt waren, was ihn dazu veranlasste, die eigenen Hände vom Tisch zu nehmen und sie unter der Tischplatte auf den Knien zu verbergen. Nicht, dass er sich selbst für verwahrlost oder dreckig hielt – im Gegenteil, er legte sogar besonders viel Wert auf die eigene Körperhygiene. Meistens, zumindest. Aber die Arbeit in Bobbys Werkstatt zog nicht völlig spurlos an ihm vorüber und mit dem schwarz angelaufenen Bluterguss unter dem rechten Daumennagel oder den ganzen Schwielen aus Hornhaut an den Fingern kam er sich neben jemandem, der zudem noch so gut roch wie Castiel, plötzlich wie ein ungehobelter Klotz vor.   Castiel und Jo schienen nichts von seiner spontanen, albernen Unsicherheit zu bemerken, denn Castiel antwortet Jo ohne Umschweife: „Nein, ich wohne erst seit ein paar Tagen hier. Normalerweise unternehmen Gabriel und ich nicht besonders viel miteinander. Aber er hat mich freundlicherweise bei sich aufgenommen, als meine Eltern mir die weitere finanzielle Unterstützung für mein Studium versagt haben. Ich konnte mir meine bisherige Unterkunft nicht mehr leisten.“   „Warum wollen deine Eltern dich nicht mehr unterstützen?“, fragte Dean frei heraus und riskierte damit den zweiten Tritt unter dem Tisch für diesen Abend. Diesmal kam er, wohl aller Wahrscheinlichkeit nach, von Jo, die nicht nur günstig saß, sondern auch als einzige seiner Freunde gerade nicht dabei war, über Microsoft herzuziehen.   Castiel schien Dean die Frage jedoch weitaus weniger übel zu nehmen, als Jo befürchtet hatte, denn er wandte sich erneut auf seinem Platz zu Dean um, so dass er ihm direkt antworten konnte: „Sie haben herausgefunden, dass ich einen Artikel für die studentische LGBTQ+ Zeitschrift geschrieben habe. Sie wussten bislang nichts von meiner Sexualität. Aus gutem Grund, wie man sieht.“   Mit diesen Worten verfinsterten sich Castiels Züge zum ersten Mal ein wenig und Dean stellte fest, dass er tatsächlich traurig aussah. Verständlich, dass Sam, der offenbar mehr als Jo und Dean von Castiel gewusst hatte, davor gewarnt hatte, sich versehentlich diskriminierend vor ihrem Neuzuwachs zu äußern.   „Manchmal sind Kinder besser als ihre Eltern“, hörte Dean sich sagen und zog reflexartig die Füße unter dem Tisch zurück. „Manche Eltern haben ihre Kinder gar nicht verdient.“   Der erwartete Tritt blieb aus und dem erstaunten Blicken von Jo und Castiel nach zu urteilen, hatte er möglicherweise einmal etwas Gutes, vielleicht sogar wirklich das Richtige gesagt.   „Vielen Dank, Dean“, sagte Castiel und neigte den Kopf. Sein düsterer Ausdruck war etwas Sanfterem gewichen, das Deans Magen nervös flattern ließ. Vermutlich war ihm nur vor lauter Hunger etwas flau.   „Ich weiß es zu schätzen, dass du versuchst, mich aufzumuntern.“   „Sam und Dean Winchester!“, unterbrach eine laute Stimme die kleine Runde in diesem Moment Ein Gericht bei Tisch --------------------- „Wie könnt ihr es wagen, euch mit einem ‚Hallo‘ an mir vorbei zu schleichen, anstatt mich richtig zu begrüßen? Dass ihr euch nicht schämt!“   Ellen baute sich vor ihrem Tisch auf und Dean tat, als wäre er nicht vor ihrem plötzlichen Erscheinen zusammengezuckt, weil er zu abgelenkt von Castiel gewesen war. Er und Sam mussten aufstehen und sich von Ellen mit einer Mischung aus roher Gewalt und mütterliche Liebe in zwei Luft abdrückende, aber erfreulich kurze Umarmungen ziehen lassen. Castiel hatte dafür ebenfalls von seinem Platz aufstehen müssen, um Sam und Dean durchzulassen, und erst als Ellen mit ihrer schon annähernd strafenden Begrüßung fertig war, schenkte sie ihm Beachtung.   „Ein neues Gesicht! Willkommen im Roadhouse. Hör nicht auf Dean, was das Essen betrifft, das Gemüse enthält, aber halt dich ansonsten an meine Jungs.“ In ihrer Stimme schwang unverhohlener Stolz mit und sie ignorierte das künstliche Hüsteln Jos im Hintergrund.   „Ich bin Ellen“, sagte sie stattdessen und hielt Castiel die Hand hin. Dean verzog an seiner Stelle das Gesicht – Ellens fester Händedruck war weithin gefürchtet, doch als Castiel nach kurzem Zögern und mit zur Seite geneigtem Kopf die Hand ergriff, war seinem ernsten Gesichtsausdruck nicht anzumerken, dass Ellen ihm gerade die Finger zerquetschte.   „Mein Name ist Castiel Novak. Ich bin Gabriels Cousin“, entgegnete er mit seiner ruhigen, trockenen Art und an Ellens anerkennender Mine konnte Dean festmachen, dass sie mit der Erwiderung ihres Händedrucks durchaus zufrieden war. ‚Daran erkennt man Rückgrat! Ich kann es nicht leiden, wenn man zur Begrüßung ein schlaffes Händchen wie einen toten Fisch hingehalten bekommt‘, sagte Ellen immer und Dean hatte dem nichts entgegen zu setzen. Vielleicht war er nur eine Winzigkeit überrascht, dass dieser … gepflegte Nerd, der obendrein auch noch schwul sein sollte, die Kraft und den Mumm besaß, sich auf Ellens stillschweigende Herausforderung einzulassen. Im Hintergrund wurde Jos Hüsteln lauter.   „Joanna Beth Harvelle, nimm die Hand vor den Mund und huste nicht quer über den Tisch – wo bleiben deine Manieren?“, schnauzte Ellen gutmütig. Jo zuckte nicht einmal mit der Wimper.   „Ach, übrigens, Castiel, Ellen hat neben ihren zwei reizenden Jungs auch noch eine Tochter, und die arbeitet sogar hier -“   „Jo!“, sagte Ellen wieder und gab ihrer Tochter einen warnenden, aber durchaus liebevollen Klaps auf die Schulter. Sie wartete, bis sich Sam, Dean und Castiel wieder auf ihre Plätze um die Eckbank herum geschoben hatten, bevor sie sich erstmalig an die Runde wandte: „Womit kann ich euch heute Abend versorgen?“   Der Reihe nach gaben sie ihre Bestellungen auf. Zu Deans größter Genugtuung hielt sich Castiel an seine Empfehlung und bestellte den Roadhouse Burger, allerdings als Beilage auch die von Sam so angepriesenen Süßkartoffelpommes. Gabriel kam bald darauf zu ihnen an den Tisch zurück und anstatt nur des Alkohols, den Dean sich insgeheim von seiner Rückkehr erhofft hatte, hatte er auch Kali dabei. Kali war Gabes durchaus scharfe immer-mal-wieder-Freundin, und demnach zu urteilen, wie er auf ihrem Schoß saß, damit sie alle genug Platz um den Tisch herum hatten, gab es keinen Zweifel daran, in welchem Status sich ihre Beziehung derzeit befand. Dean versuchte grundsätzlich, Kali zu ignorieren, nachdem sie ihn vor Jahren einmal ziemlich unangenehm hatte abblitzen lassen. Außerdem hatte er schon vor sehr langer Zeit damit aufgehört, Dinge zu hinterfragen, die Gabe betrafen und so wunderte er sich kaum darüber, warum Gabe es war, der auf Kalis Schoß saß und sich mit Pommes füttern ließ – und nicht umgekehrt. Gab es für so etwas nicht feste Regeln oder zumindest eine Art Anstandskodex? Dean versuchte also, sich auch darüber nicht den Kopf zu zerbrechen, während er zufrieden seinen Burger verschlang und mit halbem Ohr Castiel lauschte, der sich während des Essens mit Jo und Charlie über gemeinsame Freunde unterhielt, die sie, wie sich zufällig herausstellte, anscheinend hatten. Aus dem Gespräch ging hervor, dass Castiel Landschaftsgärtnerei an derselben Uni wie Sam (Jura), Eileen (Rechtsmedizin), Kevin (Politikwissenschaften) und Ash (Informatik) studierte, was durchaus erklärte, warum keiner von ihnen Castiel zuvor schon einmal bewusst begegnet war. Gemeinsame Kurse waren quasi ausgeschlossen.   „Entschuldige dieses wilde Tier hier neben dir“, sagte Charlie auf einmal zu Castiel, als Dean gerade dabei war, sich das letzte Viertel seines Burgers als einzigen, gigantischen Bissen in den Mund zu schieben. Dean gab ein fragendes Grunzen von sich, nicht in der Lage, noch verständliche Worte an seinem halb zerkauten Essen vorbei zu quetschen. „Er arbeitet hart und wenn es Essen gibt, kennt er kein Pardon. Abends ist er immer völlig ausgehungert“, mischte sich an dieser Stelle auch Jo ein.   Dean ließ sich nicht beirren und kaute gelassen und mit demonstrativ offenem Mund weiter, um seinen Freundinnen die wohlverdiente Quittung für das Vorführen seiner Person zu servieren. Das tat er zumindest so lange, bis ihm auffiel, dass sich Castiel wieder einmal neben ihm umgedreht hatte, um ihn unverwandt anzusehen. Dean dämmerte plötzlich, dass er nun auch Castiel einen hervorragenden Blick auf den zerkauten Burger lieferte und spürte, wie seine Ohren aus heiterem Himmel zu brennen anfingen. Er versuchte hektisch, den Mund um das Volumen von drei Bissen herum zu schließen, was ihm nicht gelang. Schließlich ließ er den Blick bedröppelt auf seinen leeren Teller sinken.   Charlie und Jo lachten amüsiert über seine nicht vorhandenen Tischmanieren und vermutlich vor allem über seine roten Ohren, doch es war das gutmütige, sonore Glucksen zu seiner Rechten, das ihm eine regelrechte Gänsehaut bescherte und ihm die Röte erst so richtig in die Wangen trieb. Es war das erste Mal, dass er Castiel hatte lachen hören, und Dean beschloss, dass er nichts dagegen hatte, dieses Geräusch noch öfter von ihm zu vernehmen. Nichtsdestotrotz war er äußerst dankbar, als die drei von ihm abließen, bis er den Rest Burger in seinem Mund endlich bezwungen hatte.   Alles in allem wurde es ein gemütlicher, erstaunlich unkomplizierter Abend. Castiel war viel weniger Wrack, als ihm Sam und Gabe hatten weismachen wollen, und stellte sich als überraschend angenehme Gesellschaft heraus. Deans Beine wurden weitestgehend von heimlichen Tritten unter dem Tisch verschont und nur ein einziges weiteres Mal trafen ihn drei Füße gleichzeitig (von Sam, Charlie und Jo), und zwar, als er das Auftauchen eines weiblichen Gastes mit einem anerkennenden Pfeifen kommentierte. Charlie setzte zu einem Vortrag über Respektlosigkeit, Grenzüberschreitung und Sexismus an, den Dean erfolgreich ausblendete, während er in aller Ruhe sein Bier leerte und versuchte, nicht in Castiels Richtung zu sehen. Im Laufe des Abends war ihm nämlich aufgefallen, dass sich Castiels Bein von rechts gegen das seine presste. Erst hatte Dean es nur auf den beengten Raum geschoben, den sie sich immerhin zu neunt um den rechteckigen Tisch herum teilten. Doch je mehr Zeit verstrich und umso mehr Alkohol geflossen war, desto mehr hatte er das Gefühl, dass hinter der so unschuldig anmutenden Berührung ein leichter Gegendruck zaghaft auf Deans Bestätigung wartete. Er war sich ziemlich sicher, dass das auch unter schwulen Männern als unauffällige Annäherung galt, aber Dean war kein schwuler Mann. Anstatt sich also direkt die Blamage zu geben und Castiel frei heraus zu sagen, dass er auf Frauen stand, versuchte Dean es mit der überaus (wie er fand) geschickten Alternative und bekundete mit seinem üblichen Machogehabe vages Interesse an der erstbesten Unbekannten, die das Pech hatte, das Roadhouse zu betreten. Vielleicht war es nur Einbildung, aber ab diesem Punkt hatte Dean das Gefühl, dass Castiel nicht mehr das Knie gegen seines drückte und die fehlende Körperwärme ließ sein rechtes Bein in beinahe unbehaglichem Frösteln zurück. Aber wenigstens hatte er wohl sein Ziel erreicht und Castiel von der Idee abgebracht, sich ihm auf diese Weise anzunähern.   Gabriel und Kali waren die ersten, die sich verabschiedeten und keinen schien es großartig zu wundern, dass sie den Heimweg gemeinsam antreten wollten. Kali war mit dem Auto da und da Gabe einiges getrunken hatte, schien es keinerlei Diskussion zu erfordern, wer bei wem unterkam.   „Was ist dann mit Castiel?“, fragte Dean, ohne, dass er näher darüber nachgedacht hatte. „Ich dachte, er wohnt jetzt bei dir, Gabe.“   Gabriel schnipste mit den Fingern, um die Geste in nahezu fließender Eleganz in einer Fingerpistole enden zu lassen, die er auf Dean richtete. „Gut mitgedacht!“, sagte er anerkennend, bevor er Castiel ohne Umschweife einen Schlüssel in die Hand drückte. „Hier, Cassiekins. Sei so gut und lass dich selbst rein. Ich komme heute Nacht garantiert nicht mehr nach Hause. Also, Leute, benehmt euch!“ Er zwinkerte äußerst unanständig und verabschiedete sich mit einem Winken in die Runde.   Castiel musterte den Schlüssel in seiner Hand, an dessen Ring ein hässliches, plüschiges Einhorn baumelte, als hätte er noch nie zuvor einen Schlüssel gesehen.   „Ich kann dich fahren“, mischte sich Sam plötzlich an Dean vorbei und an Castiel gerichtet ein. Dean riss empört den Mund auf, schließlich hatten sie noch kein Sterbenswörtchen darüber verloren, dass er Sam heute oder überhaupt in der nächsten Zeit hinters Steuer seines geliebten Babys ließ. Doch Sam hob beschwichtigend die Hand, und sprach einfach weiter, ohne Dean auch nur anzusehen: „Dean hat schon zu viel getrunken, ich wollte ihn sowieso nach Hause bringen und danach weiter zu meiner Freundin fahren. Ich kann dich auf dem Weg einfach mitnehmen?“   Der dankbare Blick, den Castiel Sam schenkte, ließ erneut etwas in Deans Magengegend hüpfen, und da er es nicht länger auf ein Hungergefühl schieben konnte, beschloss er, es nicht weiter zu beachten. Es fühlte sich schließlich nicht allzu schlecht an. Das einzige, das ihn an diesem Blick von Castiel etwas wurmte, war höchstens, dass er nicht ihm selbst galt.   Bei der darauf folgenden Abschiedsrunde konnte Dean wieder einmal nicht anders, als Charlie vielleicht ein oder zwei Sekunden länger an sich zu drücken und eine Prise Trost aus der Umarmung zu ziehen, von der er gar nicht gewusst hatte, dass er sie brauchte. Als er sich schließlich von seiner besten Freundin löste, schenkte sie ihm einen eigentümlich wissenden Blick, der es ihm ganz seltsam zumute werden ließ.   „Bis dann, meine Königin“, sagte Dean scherzhaft, um sich auf andere Gedanken zu bringen, und in Anspielung auf ihr gemeinsames LARP, und deutete mit dem Kopf eine Verbeugung an, doch Charlie griff nach seiner Hand und drückte sie auf diese seltsam ermutigende Art, bis er sich schließlich zu fragen begann, ob er etwas verpasst hatte oder schlicht und ergreifend nicht verstand.   „Pass auf dich auf, Bitch! Und bleib anständig“ erwiderte sie und ließ ihn erst wieder los, um sich von Sam und Castiel zu verabschieden.   Pflichtschuldig gingen sie diesmal alle drei auf direktem Wege zu Ellen, was dazu führte, dass sie sich weigerte, Geld für sämtliche Speisen und Getränke des Abends anzunehmen. Dean und Sam fügten sich ihrem drohenden Blick schon nach kürzester Zeit und versprachen ihr hoch und heilig, sich bald wieder bei ihr und Bobby blicken zu lassen („Nicht nur zur Arbeit, Dean!“ Und: „Er vermisst euch beide, auch wenn er das nie sagen würde!“). Zu Castiel sagte sie in eigentümlich wissendem Ton: „Es hat mich sehr gefreut. Vermutlich sehen wir uns bald wieder.“ Woraufhin er ihr eines seiner, wie Dean aufgefallen war, überaus seltenen Lächeln schenkte, die in den undurchschaubaren Tiefen der sturmblauen Augen begannen und sich fast nie bis auf seine Mundwinkel erstreckten. Vielleicht wäre es eine spannende Herausforderung, das eines Tages einmal zu erreichen? Dean schob den Gedanken hastig beiseite, dass er eine Menge dafür geben würde, selbst einmal Adressat eines solchen Lächelns zu sein und genoss Castiels Lob über den Roadhouse Burger, fast so, als hätte er ihn eigenhändig zubereitet.   Das Schweigen im Auto war ein gänzlich anderes als das auf der Hinfahrt. Dean hatte klein beigegeben und Sam tatsächlich ans Steuer gelassen, wobei er selbst – Höflichkeit hin oder her – auf den Beifahrersitz bestanden hatte, weshalb Castiel auf der Rückbank hatte Platz nehmen müssen. Die Wohnung der Winchesters lag am weitesten entfernt, während Eileen mit Abstand am nächsten am Roadhouse wohnte. Castiel schlug also sinnigerweise auf halber Strecke vor, sie könnten Sam bei seiner Freundin absetzen, um dann Dean bis nach Hause zu fahren, damit Castiel von dort aus zu Gabriel lief. Sam brach augenblicklich in lautes Prusten aus, während Dean das Gesicht verzog und Sam nur keinen Seitenhieb verpasste, damit er Baby nicht gegen den nächstbesten Laternenpfahl setzte. Er konnte den fragenden Blick Castiels aber nahezu im Nacken spüren, weshalb er sich zusammenriss, und sich zu einer Erklärung herabließ: „Niemand fährt Baby. Sam ist die absolute und einzige Ausnahme und er darf heute auch nur, weil ich ein, zwei Bier zu viel hatte. Sorry, Kumpel!“   „Außerdem ist das Wetter zu mies, um dich da heute noch raus zu jagen“, pflichtete Sam bei, als er sich endlich wieder von seinem Lachanfall beruhigt hatte. Er hatte damit nicht ganz unrecht. Aus dem Herbstwind waren unberechenbare Böen geworden, die in der Dunkelheit nasses Laub wie gespenstische Fetzen durch die Gegend peitschten. Die Scheibenwischer des Impalas kamen kaum damit hinterher, der Schlieren auf der Windschutzscheibe Herr zu werden, die der soeben einsetzende Regen gegen das Glas drückte.   „Ach, da wir gerade drüber sprechen: Musst du bis morgen Mittag irgendwohin, Dean? Ich wollte heute nicht mehr nach Hause kommen und bringe das Auto erst morgen wieder zurück.“   „Ich dachte, Eileen muss lernen“, frotzelte Dean bissig, obwohl er eigentlich nichts gegen die Aussicht hatte, die Nacht in Unterwäsche und mit einem großen Teller Nachos auf dem Sofa vor dem Fernseher zu verbringen, wenn niemand zu Hause war, um sich darüber zu beschweren. Einzig die Vorstellung von Baby, die die Nacht über nicht wohlbehütet in seiner Einfahrt parken sollte, störte ihn ein wenig.   „Eine Hausarbeit schreiben, Dean, und auch davon braucht man mal ‘ne Pause. Außerdem wollte ich für sie kochen. Na gut, mit ihr.“   Mit Genugtuung stellte Dean fest, dass Sam auf dem Fahrersitz rot angelaufen war und angestrengt den Blick auf die Straße gerichtet hielt.   „Awww, Sammy!“, setzte Dean an und holte gerade Luft, um zu sticheln, dass Sam eine Katastrophe in der Küche und ein romantischer Idiot war, als sich Castiel plötzlich meldete: „Wie rücksichtsvoll von dir, Sam! Ich bin sicher, mit einem Partner wie dir fällt einem das Studium erheblich leichter.“   Dean schloss den Mund wieder, nachdem ihm aufgefallen war, dass er ihm immer noch unverrichteter Dinge und äußerst dümmlich offen stand. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich nun auf seinen eigenen Wangen eine gewisse Röte einstellte, als er sich zu fragen begann, ob Castiel soeben mit seinem Bruder geflirtet hatte. Aber das kam nicht infrage, oder? Castiel wusste, dass Sam vergeben war und vor allem – nun ja, er wusste, dass Sam nicht … nicht so tickte.   „Vielen Dank, Castiel“, sagte Sam und besaß tatsächlich noch die Dreistigkeit, geschmeichelt zu klingen. „Nett von dir, das zu sagen. Siehst du, Dean, es ist keine Schande, fürsorglich zu sein und dazu zu stehen!“   Dean brummelte halblaut etwas von wegen, er wäre ein viel besser Koch als Sam, vor sich hin, was sowohl sein Bruder als auch Castiel mit einem leisen Lachen zur Kenntnis nahmen.   „Ich bin mir sicher, dass auch du ein aufmerksamer und liebevoller Partner für jemanden sein könntest, Dean!“, sagte Castiel mit dem offensichtlichen Versuch einer Beschwichtigung und Dean rutschte vor Scham etwas weiter den Sitz hinunter. Sams schadenfrohes Lachen ließ ihm die Ohren klingeln, bis sie Gabriels Wohnung erreichten. Er tröstete sich ein wenig mit dem Gedanken, dass es ihm an diesem Abend wenigstens doch noch einmal gelungen war, auch Castiel ein Lachen zu entlocken. Abgefahrene Missverständnisse ----------------------------- Es dauerte zwei Tage, bis Dean das nächste Mal etwas von Castiel hörte. Es war Montag, der mit Abstand scheußlichste Tag der ganzen Woche, aber wenn das Wetter etwas besser gewesen wäre, hätte Dean der Wochenstart, abgesehen vom frühen Aufstehen, gar nicht mal allzu viel ausgemacht. Er liebte die Arbeit bei Bobby, und da dessen Werkstatt über die Jahre immer mehr zum Geheimtipp für Kenner und Liebhaber geworden war, kam Dean immer öfter in den Genuss, mit echten Schmuckstücken zu arbeiten. Ein wahres Highlight in seinem Job, selbst wenn die Wagen nur eine simple Wartung benötigten. An besagtem Montag steckte Dean bis zur Hüfte unter einem vergleichsweise ramponierten Bentley, als plötzlich sein Handy klingelte.   Während der Arbeit hatte Dean das Handy wie üblich in seiner Werkzeugkiste abgelegt, was das Vibrieren mit einem metallischen Scheppern untermauerte, als sei die eintreffende Nachricht von ganz besonderer Priorität. In der Erwartung, eine SMS von einem Stammkunden erhalten zu haben (schließlich wussten all seine Freunde, dass er gerade bei der Arbeit war), rollte Dean auf dem Brett unter der Karosserie hervor und rappelte sich auf, um sich die Öl verschmierten Finger an einem alten Lappen abzuwischen, bevor er nach seinem Telefon angelte. Als er das Display aktivierte, sah er, dass der Lärm einer Nachricht mit unbekannter Nummer zu verdanken gewesen war.   [10:31 AM, 10-07-19] Unbekannt: Hallo, Dean! Vielen Dank für den netten Abend neulich. Ich hoffe, wir können das einmal wiederholen. Dean stutzte. Die Nachricht war definitiv privater Natur, aber er konnte sich beim besten Willen nicht an das letzte Mal erinnern, als er einer Verabredung seine Nummer gegeben hatte. Insbesondere der Tonfall ließ ihn darauf schließen, dass er mit der geheimnisvollen Unbekannten mehr genossen hatte, als nur ein paar Drinks, doch wenn er ehrlich sein sollte, lag sein letzter One-Night-Stand schon wieder so lange zurück, so dass er sich nur noch dunkel daran erinnern konnte. Aber vielleicht hatte die Person hinter der Nachricht einfach nur eine Weile gebraucht, um an seine Nummer zu kommen? Achselzuckend beschloss Dean, die Nachricht fürs erste zu ignorieren. Früher oder später verlor so noch jedes lästige Anhängsel seine unbegründete Hoffnung, und er machte Anstalten, das Handy zurück in den Werkzeugkasten zu legen, um sich wieder seiner Arbeit zu widmen. Doch die nächste Nachricht trudelte ein, noch während er das Smartphone in der Hand hielt und er konnte nicht umhin, sie direkt zu lesen: [10:34 AM, 10-07-19] Unbekannt: Hier ist übrigens Castiel. Gabriel hat mir deine Nummer gegeben. Ich hoffe, ich störe nicht! Und ich hoffe, die Nummer stimmt. Bei meinem Cousin weiß man nie so genau. Dean seufzte mitleidig, wohl wissend, dass Castiels Zweifel berechtigt waren. Mit Gabe verwandt zu sein, kam einem unter Garantie manchmal wie ein schlechter Scherz vor. Also fasste Dean sich ein Herz und schrieb zurück: [10:36 AM, 10-07-19] DW: Kein Problem. Nummer stimmt! Bin arbeiten, aber hab heute Abend Zeit. Dean Da Dean sich kurz Zeit nahm, um Castiels Nummer einzuspeichern (unter ‚Cas‘, da ihm der vollständige Name zu umständlich zu tippen war), traf auch die nächste Antwort noch ein, bevor er das Telefon aus der Hand gelegt hatte. [10:38 AM, 10-07-19] Cas: Dann freue ich mich auf heute Abend! Ist dir 6 Uhr recht? In diesem Moment kam Bobby um die Ecke, weshalb es Dean nur gelang, ein knappes ‚Ok‘ zurück zu senden, ohne weiter darüber nachzudenken. Der alte Griesgram war selten davon begeistert, wenn man während der Arbeitszeit herum trödelte und Dean sah zu, dass er wieder unter den Bentley kam. Der kurze Austausch mit Castiel war bald darauf vergessen.   Es war halb sechs, als Dean Baby endlich auf dem Parkplatz vor dem Haus abstellte. Ein Blick in den Rückspiegel verriet ihm, dass er Öl in den Haaren hatte und allmählich konnte er sich selbst nicht mehr riechen. Außerdem war ihm inzwischen eiskalt; er sehnte sich nach nichts mehr als nach einer heißen Dusche, seit er während der Arbeit in einen leichten Nieselregen geraten war, als er ein paar Teile vom Schrottplatz hinter Bobbys Werkstatt hatte holen wollen. Er ließ sich selbst in seine Wohnung und trat sich hastig die nur zur Hälfte aufgeschnürten Arbeitsschuhe von den Füßen, um so schnell wie möglich aus seiner regenfeuchten und durchgeschwitzten Kleidung zu kommen. Doch plötzlich hielt er inne: Aus der Küche schlug ihm ein absolut köstlicher Duft entgegen, der ihm das Wasser im Mund zusammen laufen und seinen viel zu leeren Magen knurren ließ.   Manchmal war Sammy doch fast so was wie ein Engel, dachte er, als er sich auf, zugegeben, deutlich unappetitlicher müffelnden Socken durch den Flur pirschte, um einen Blick in die Küche zu werfen. Ein wenig wunderte es ihn schon, dass es in der Wohnung nach einer richtigen Mahlzeit roch, die nicht nur aus überbackenemToast oder Fertigfraß bestand. Sam war nicht gerade ein Held in der Küche. Die Erklärung wartete hinter der angelehnten Küchentür auf ihn: Dean fand seinen Bruder und Eileen eng umschlungen vor dem Herd vor; sie rührte in einem der Töpfe, aus denen es so verführerisch duftete, während er sie von hinten an sich drückte. Er strich ihr in diesem Moment das Haar zurück, um ihr den Hals zu küssen. „Hallo, Dean!“, sagte Eileen aus heiterem Himmel und löste damit aus, dass Sam so heftig zusammenzuckte, dass er ihr beinahe den Kochlöffel aus der Hand geschlagen hätte. Dean war wieder einmal sprachlos. Es war ihm noch nicht ein einziges Mal gelungen, sich unbemerkt an Eileen heranzuschleichen und er fragte sich jedes Mal aufs Neue, wie sie es schaffte, ihn, trotz ihrer Gehörlosigkeit, noch vor Sam zu erwischen.   „Hey, Eileen!“, sagte und gebärdete er, als sie sich zu ihm umgedreht hatte. Sam sah auch endlich wieder so aus, als habe er sich von seinem Schock erholt, denn er begann damit, Soßenspritzer von der Wand und dem Kochfeld zu wischen. „Heya, Sammy. Das riecht echt abgefahren!“ „Du aber nicht“, kam es prompt von Sam. „Ab unter die Dusche, damit wir essen können. Bist sowieso ganz schön spät dran!“ Dean zog fragend eine Braue hoch. „Wieso spät? Ich wusste nicht, dass wir zusammen essen? Danke dafür, übrigens.“ Eileen und Sam wechselten einen Blick und Eileen sagte etwas in Gebärdensprache, das Dean nicht verstand.   „Du hast doch die Uhrzeit mit Castiel ausgemacht“, sagte Sam schließlich, wofür er von Dean ein verständnisloses Kopfschütteln erntete. „Er hat mir heute Vormittag geschrieben, stimmt … Unmenschliche Zeit, übrigens! Kriegt wohl nur'n Student hin, während normale Leute arbeiten! Aber er wollte nur wissen, ob meine Nummer stimmt? Und, ob ich heute Abend Zeit- oh." Dean fischte das Smartphone aus der Tasche seines verschmierten Blaumanns, der nach dem heutigen Tag wirklich dringend eine Wäsche vertragen konnte. Er rief den kurzen Nachrichtenverlauf mit Castiel auf und stellte fest, dass nach seinem hastigen ‚Ok‘ noch eine weitere Nachricht eingegangen war.   [10:40 AM, 10-07-19] Cas: Normalerweise bin ich am Anfang nicht so direkt, aber ich habe gerade Sam beim Einkaufen getroffen und er hat mich für heute Abend zum Essen eingeladen, als ich ihm erzählt habe, dass wir uns sowieso um 6 Uhr treffen wollen. Ich hoffe, es ist dir recht! Dean ließ das Handy sinken und schlug sich stöhnend die freie Hand vors Gesicht. Verfluchte Studenten! Er war davon ausgegangen, dass Castiel sich am Abend wieder melden wollte – aber dass er sich direkt mit ihm verabredet hatte, war ihm am Vormittag überhaupt nicht klar gewesen. Konnte man wirklich so sehr aneinander vorbei reden? Castiel war mit Sicherheit einer der schusseligsten Menschen, die ihm je begegnet waren, machte sogar Ash und dessen Verpeiltheit ernsthafte Konkurrenz. „Dean? Erde an Dean!“ „Was?!“, fauchte Dean gereizt zurück und nahm die Hand vom Gesicht. „Du hast noch zehn Minuten. Gabe sagt, Castiel ist normalerweise super pünktlich!“ Dean sorgte wieder einmal dafür, die Augen vor Sam besonders theatralisch in den Höhlen rollen zu lassen, woraufhin Eileen ein Giggeln entfuhr, das sie hastig als Husten zu tarnen versuchte. Den gespielt beleidigten Blick, den Sam ihr schenkte, sah Dean nur noch aus den Augenwinkeln, denn er machte auf dem Absatz seiner stinkenden Socken kehrt und peste auf dem schnellsten Wege Richtung Badezimmer. Nicht, dass er sich für Castiel übertrieben Mühe geben wollte, aber ganz verstören wollte er das neuste Mitglied in ihrem Freundeskreis dann doch auch nicht.   Zehn Minuten waren utopisch, um sich vom Dreck des Arbeitstages zu befreien. Erst recht, wenn man sich danach noch anziehen und seine Haare in vorzeigbarem Zustand präsentieren wollte. Besonders, wenn der Gast, den man, ohne es zu wissen, eingeladen hatte, zwei Minuten vor sechs Uhr an der Tür klingelte. Glücklicherweise war Eileen nicht nur hübsch und klug, sondern auch noch äußerst charmant und durchsetzungsfähig und sie hatte es geschafft, Sam und Castiel aufs Sofa zu verbannen, während sie selbst den Tisch deckte. Vielleicht sollte Dean es besorgniserregend finden, wie tief Sam in dieser Beziehung steckte, wenn sich seine Freundin derart problemlos in der Küche seines Bruders, in Deans Küche, zurechtfand. Andererseits hatte er am Wochenende im Auto auch nicht gelogen: Er war wirklich besser in der Küche als Sam und Dean war es deutlich wohler ums Herz, wenn Eileen so viel wie möglich übernahm, was das Kochen, aber auch das Drumherum in seinem Heiligtum betraf. So geschickt Sam auch in vielen Dingen war und so sehr er seinem Bruder in allen anderen Lebenslagen vertraute – in der Küche war er manchmal wirklich ein Elch.   Als Dean mit feuchten, aber wenigstens halbwegs gekonnt zerzausten Haaren, vollkommen sauber und in frischen Jeans und sauberem Led Zeppelin Shirt zu seinen Gästen und seinem Bruder stieß, zog er für einen winzigen Moment in Erwägung, Castiel einfach frei heraus zu sagen, dass ihr Treffen eigentlich auf einem Missverständnis beruhte. Aber als Castiel bei seinem Erscheinen sofort auf die Füße sprang, überlegte er es sich doch wieder anders. Um nicht zu sagen: Er vergaß sein ursprüngliches Vorhaben vollkommen. Castiel stand nämlich mit einem Mal viel zu nahe vor ihm, das Gesicht kaum eine Hand breit von seinem eigenen entfernt, und schaute ihm aus unmittelbarer Nähe so tief in die Augen, als warte er auf irgendetwas. Dean konnte sich keinen rechten Reim darauf machen, unterdrückte den Drang, unsicher von einem Bein aufs andere zu treten. Merkwürdigerweise konnte er aber seine Zungenspitze, mit der er sich nervös über die Lippen leckte, nicht im Zaum halten. Auf die geringe Distanz waren Castiels Augen wirklich ganz besonders außergewöhnlich; er hatte noch nie einen vergleichbaren Blauton bei jemandem gesehen. Mit wachsender Unsicherheit registrierte er, dass Castiels Blick auf seine Lippen fiel, er Deans Minenspiel kopierte und sich ebenfalls mit der Zunge über die rauen Lippen fuhr. Wäre Castiel eine Frau gewesen, hätte für Dean spätestens jetzt alles darauf hingewiesen, dass sie sich gerade in der Situation unmittelbar vor einem Kuss befanden. Aber das war schließlich ausgeschlossen. Dean war hetero und Castiel ein Mann. Doch halt – andersherum kam Dean als Partner für einen Kuss aus Castiels Sicht sehr wohl infrage, immerhin war Castiel schwul. Ganz im Gegensatz zu Dean, natürlich! Er räusperte sich unbehaglich.   „Uhm, persönlicher Freiraum, Cas?“, brummte er halblaut und benutzte damit unbewusst den Spitznamen, den er Castiel auch in seinem digitalen Adressbuch gegeben hatte.   Castiel – Cas – wirkte überrascht, aber ob es an seinem neuen Spitznamen lag oder an der eigenen Selbstvergessenheit, mit der er Dean anstatt einer tatsächlichen Begrüßung gegenüber getreten war, konnte er nicht mit Sicherheit sagen.   Aus den Augenwinkeln bemerkte Dean eine synchrone Bewegung von Sam und Eileen und er hörte ein leises Klatschen, doch als er zu ihnen herübersah, erwiderten sie seinen Blick nur äußerst verdächtig.   Cas zog sich ein paar Schritte zurück und machte Anstalten, wieder auf dem Sofa Platz zu nehmen, doch in diesem Moment schaltete sich Sam ein: „Wir können sofort essen, da es Dean ja jetzt auch endlich zu uns geschafft hat!“   Ihm entging der tadelnde Tonfall seines Bruders nicht, beschloss aber, ihn zu ignorieren und folgte den drei anderen ergeben in seine eigene Küche und an den Esstisch.   Entgegen der merkwürdigen Umstände des gemeinsamen Abends und des weitaus merkwürdigeren Startes, wurde das Essen nahezu noch entspannter als der Samstagabend im Roadhouse. Sam und Eileen hatten Nudeln mit Gemüsesoße und Fleischbällchen gekocht und Dean begrub seine erste Portion glückselig unter einem Berg geriebenen Grana Padanos, bevor er sich das erste Knäuel in den Mund schaufelte. Er seufzte zufrieden um die Nudeln herum und als er die Augen, die er genießerisch geschlossen hatte, wieder öffnete, bemerkte er gleich dreierlei Blicke, die amüsiert (Eileen), missbilligend (Sam) und in eigentümlicher Faszination (Cas) auf ihm ruhten. Er schluckte den Bissen hinunter, um schließlich endlich an Eileen gewandt sagen zu können (denn ihr gebührte zweifellos das meiste Lob): „Schmeckt großartig, Eileen, echt abgefahren!“   Eileen, die seine Worte gesehen hatte, lächelte geschmeichelt und schenkte ihm eine Kusshand über den Tisch, die Dean mit einem Zwinkern auffing.   Castiel neigte in einer Art stummen Frage kritisch den Kopf und bemerkte trocken: „Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so oft das Wort ‚abgefahren‘ benutzt.“   Sam lachte laut. „Glaub mir, da bist du nicht der einzige!“   Statt zu antworten, stopfte Dean sich den Mund ein weiteres Mal so voll, dass er für eine ganze Weile kein Wort mehr herausbrachte, und vielleicht war das vor Cas und Eileen auch besser so. Und der Abend wurde noch besser: Wie Dean während seiner Dusche entgangen war, hatte Cas zum Nachtisch eine Apfelpastete mitgebracht, mit ‚vielen Grüßen von Gabriel‘, wie er mit leicht gequältem Gesichtsausdruck sagte. Dean quittierte Cas‘ Gastgeschenk mit einem begeisterten „Abgefahren!“ und ignorierte demonstrativ das Kopfschütteln von Sam, nicht aber das gutmütige Lächeln von Castiel, das ihm wieder dieses irritierende Flattern in der Magengegend bescherte, so dass er sich zu fragen begann, ob er es nicht bei einem Stück Pastete hätte belassen sollen. Als hätte er seinem Lieblingsdessert jemals widerstehen können!   „Warum hast du Gabe nicht direkt mitgebracht?“, fragte Dean zwischen zwei Bissen seiner zweiten Portion.   Cas neigte wieder einmal auf diese überaus liebenswerte Art und Weise den Kopf, als habe Dean soeben eine reichlich bescheuerte Frage gestellt.   „Aber ich habe mich doch mit dir verabredet, Dean“, sagte er ernst und so, als sei das die logische Erklärung für Gabriels Abwesenheit. Dean überging die Tatsache, dass ihre Verabredung immer noch auf einem Missverständnis beruhte, und nickte kauend, auch wenn er nicht unbedingt verstand, warum Castiels Erklärung einen weiteren Gast zum Essen ausschloss. Schließlich hatten auch Sam und Eileen mit ihnen den Abend verbracht und eine Person mehr oder weniger machte kaum einen großen Unterschied – gut, sie sprachen immerhin von Gabe, aber auch er war ihr Freund und, nicht zuletzt wegen der abgefahrenen Qualität der Apfelpastete, ein ziemlich guter, sogar.   „Vielleicht können wir die Woche ja noch mal was mit Gabe machen. Und mit den anderen“, schlug Dean darum vor und schielte mit einem Auge schon wieder nach der bereits zur Hälfte leer gekratzten Pasteten-Form. Es stimmte schon, das merkwürdige Gefühl in seinem Magen sollte ihm vielleicht eine Warnung mit dem Essen sein, aber andererseits war ihm auch nicht im Geringsten unwohl zumute. Im Gegenteil: So zufrieden wie an diesem Abend und in diesem Moment hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Der Nachtisch schien dabei nur noch die Krönung zu sein.   Sam, ihm gegenüber, runzelte auf seinen Vorschlag jedoch wieder einmal die Stirn und seltsamerweise hatte Dean das Bedürfnis, unter dem Tisch die Füße einzuziehen, so als müsste er, wie am vergangenen Samstag, jeden Moment mit einem warnenden Tritt rechnen.   „Was?“, fragte er deshalb, und streckte demonstrativ die Zunge heraus, nur, um anschließend seine Kuchengabel, gleichermaßen genüsslich wie provokant, von beiden Seiten abzulecken. Aus den Augenwinkeln hatte er das Gefühl, dass Cas ihn mit offenem Mund anstarrte, doch als er sich zu ihm umdrehte, sah dieser nur angestrengt auf seinen Teller.   Sam räusperte sich. „Na ja. Castiel ist ja noch neu in der Gegend. Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn … jemand ihm zeigt, was man bei uns so alles unternehmen kann.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause, in der er offenbar auf eine Antwort von Dean zu warten schien. Als Dean seinerseits nur die Stirn runzelte und dabei die Kuchengabel aus seinem Mund heraushängen ließ, seufzte Sam schwer und setzte nach: „Ohne, dass direkt der ganze Pulk mit trabt.“   Dean nahm sich Zeit, die Gabel aus seinem Mund zu ziehen und sie achtlos und sehr geräuschvoll auf seinen Teller fallen zu lassen. Er mochte Cas, sehr sogar, und allmählich wurde ihm dieses Spielchen von Sam und seinen Freunden zu bunt. Ja, er hatte sich ein paar Mal in der Wortwahl vergriffen, ja, vielleicht war er manchmal von Leuten wie Gabriel verunsichert, die ein gänzlich anderes Verständnis von Männlichkeit zu leben schienen. Aber das machte ihn noch lange nicht zum homophoben Arschloch und es war eine Unverschämtheit von Sam, ihn allein mit Cas losschicken zu wollen, um seine vermeintliche ‚Schwulenfeindlichkeit‘ zu kurieren!   Dean schenkte Sam das gekonnteste, strafendste Bitch-Face, zu dem er fähig war, bevor er sich mit einem ehrlichen Lächeln erneut zu Castiel umdrehte.   „Stehst du auf Filme? Wir haben hier in der Nähe ein Kino, das am Wochenende immer die größten Klassiker zeigen. Ist meistens ziemlich abgefahren und lohnt sich immer!“   Cas neigte fragend den Kopf; weshalb genau diesmal, konnte Dean nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht lag es daran, dass er Deans Frage nicht automatisch als Einladung verstand. Vielleicht musste er vor Castiel einfach deutlicher werden, damit es nicht zu weiteren Missverständnissen kam. Die immerhin zu diesem durchaus schönen Abend geführt hatten, aber trotzdem!   „Also, kommst du mit?“, fragte er, um zu betonen, dass er dazu bereit war, auch ohne die schützende Begleitung seiner Freunde etwas mit Cas zu unternehmen. „Vor ein paar Wochen haben sie Die Unbestechlichen gezeigt und davor einen Star Wars Marathon. Natürlich nur die Originale!“   Und Cas ließ sich doch noch von Deans Begeisterung anstecken, denn auf seinem Gesicht zeichnete sich schließlich ein Lächeln ab, eines, das in den sturmblauen Tiefen seiner Augen begann, die Haut in seinen Augenwinkeln in bezaubernden Fältchen kräuselte und diesmal sogar selbst seine Lippen erreichte. Es war das zweite Mal, dass Dean in Cas‘ Nähe das Gefühl hatte, nicht nur etwas gut, sondern etwas richtig gemacht zu haben, besonders, als Cas endlich sagte: „Ich würde sehr gern mit dir ins Kino gehen, Dean.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)