Staubkörner II von lady_j (neue Short Stories) ================================================================================ Kapitel 1: A Midsummer Night's Sneeze ------------------------------------- „Falstaff, nein!”, murmelte Kai und umfasste den Bauch des Katers mit beiden Händen, um ihn hochzuheben. Das Tier ließ alle Viere hängen und zuckte nur ein wenig mit dem Schwanz, während sein Herrchen ihn zu seinem Kissen trug, doch sobald seine Pfoten den Boden berührten, wischte er an Kais Beinen vorbei zurück zur Couch. Mit einer Agilität, die man ihm mit seinen fünfzehn Kilogramm nicht zugetraut hätte, sprang er auf das Polster und rollte sich genau dort zusammen, wo er bereits den ganzen Vormittag verschlafen hatte. Yuriy hatte das Schauspiel amüsiert verfolgt. „Der Name passt auf jeden Fall”, urteilte er, während Kai die Arme in die Hüften stützte und seufzend auf den Berg von Kater hinabsah, der tat, als ginge ihn das alles nichts an. „Im Grunde ist es seine Couch”, sagte Kai, „Ich habe nicht oft genug Besuch, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Und die anderen sind viel zu nett zu ihm.” Neulich hatte Rei sogar freiwillig auf dem Katzenkissen gesessen, weil niemand es übers Herz gebracht hatte, den „alten, gebrechlichen” Falstaff von seinem Platz zu vertreiben. Kai winkte ab. „Ich mach Kaffee”, sagte er und ging zurück in die Küche. Yuriy folgte ihm, doch kurz bevor er das Zimmer verließ, fing seine Nase an zu kribbeln und er nieste. „Bud' zdorov!”, rief Kai und er nickte, obwohl der andere es nicht sehen konnte. Das Kribbeln war nicht verschwunden, sondern wanderte in seinen Rachen. Wie unangenehm. „Wie lange bleibst du?”, fragte Kai ihn, während sie darauf warteten, dass das Wasser langsam durch den Handfilter sickerte. „Bis Ende August”, antwortete Yuriy. „Ich hoffe, das reicht, um Manabus Datenmengen zu bewältigen.” „Hm, das sind sechs Wochen. Könnte knapp werden.” Kai goss eine Ladung Wasser nach. „Allerdings bin ich nun doch froh, dass Daitenji dich in dem Gästehaus unterbringen konnte. Anderthalb Monate auf meiner Couch wäre wohl doch etwas unbequem.” „Zumal Falstaff auf mir drauf geschlafen hätte”, ergänzte Yuriy und blickte zu dem Kater hin, der just in diesem Moment um den Türrahmen strich. Wenn er lief, schwankte er leicht hin und her wie ein großes Schiff. Yuriy hatte wirklich noch nie so einen fetten Kater gesehen. Dass Falstaff so aussah, war allerdings nicht Kais Schuld. Da Soichiro ihm mal wieder am ausgestreckten Arm verhungern ließ, hatte Kai zu Beginn der Sommerferien im örtlichen Tierheim gejobbt (natürlich wusste anfangs keiner davon, denn Kai tauchte sowieso bei den Bladebreakers auf und ging wieder, wie es ihm beliebte). Es war ihm zu verdanken, dass alle Neuzugänge dort nun Namen aus Shakespeare-Stücken trugen. Nach einem Monat hatten Hermia und Lysander, King Henry IV und V, Cleopatra und sogar Coriolanus neue Besitzer gefunden und Helena, Imogen und Macbeth hatten gute Chancen, bald in nette Familien zu kommen. Nur der alte, dicke Falstaff war ein Problemkind ... Der Rest ist Geschichte. Falstaff fixierte Yuriy mit seinen gelblichen Lampionaugen, während der versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Das Kribbeln an seinem Gaumen war zurückgekommen und er wölbte die Zunge, um sie an der Stelle zu reiben. Dadurch wurde es nicht besser. Kai stellte die Kaffeetasse vor ihm auf den Tisch, doch er hatte noch nicht einmal die Hand nach ihr ausgestreckt, als er eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnahm. Mit einem Satz sprang Falstaff auf seinen Schoß. Reflexartig presste Yuriy die Knie zusammen, damit der Kater nicht sofort wieder von seinem Oberschenkel rutschte. Die kleinen Pfoten bohrten sich in seine Beine, was er mehr spürte als sah, denn die Sicht wurde verdeckt von Fell und Fett. Der struppige Katzenschwanz peitschte ihm einmal quer übers Gesicht. Falstaffs Nase hingegen reckte sich in Richtung seiner Tasse, die Kai schnell wieder außer Reichweite nahm. „Uch, ty!”, scheuchte er den Kater, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. „Bozhe…”, murmelte Yuriy. Jetzt fingen sogar seine Augen an zu jucken. Er rieb sie kurz mit der Hand, doch das machte es nur schlimmer. Falstaff, der sich von der Hand seines Herrchens nicht beeindrucken lassen hatte, rollte sich auf Yuriys Schoß zusammen, lag dort warm wie ein Kissen. Seine Vorderpfote war irgendwo auf Yuriys rechtem Bein, er spürte, wie die Krallen sich durch seine Jeans bohrten und seine Haut berührten und ihn festhielten, dann wieder locker ließen. Als er sich vorbeugte, um endlich nach seiner Tasse zu greifen, begann Falstaff zu schnurren. „Ich bin wohl seine neue Couch”, stellte Yuriy fest und auch Kai blickte verwundert. „Das hat er noch nie gemacht!” Yuriy hatte nicht das Herz, den Kater zu verscheuchen. Und so fügte er sich und saß ganz still, während sie ihren Kaffee tranken. Irgendwann legte er die Hand auf Falstaffs ausladenden Rücken und spürte mit leichter Faszination sein vibrierendes Schnurren. Seine gereizten Augen jedoch wurden nicht besser, im Gegenteil: Obwohl er sehr oft blinzelte, hielt das Jucken an und bald spürte er, wie sich das Tränenwasser in ihnen sammelte. Unbewusst zog er die Nase hoch, denn auch dort kribbelte es nun. Eigentlich kribbelte es überall. Bei dem Geräusch blickte Kai von seiner Tasse auf. Was er sah, erschreckte ihn: Yuriy saß etwas zusammengesunken auf seinem Stuhl und streichelte gedankenverloren Falstaffs Fell; seine Nasenspitze und die Wangen waren gerötet, ebenso wie seine Augen, in denen er meinte, Tränen glitzern zu sehen. Er erinnerte sich daran, wie sie in der Abtei nie Haustiere halten durften. Boris hatte mal eine verletzte Fledermaus gefunden und sie heimlich unter seinem Bett in einem Schuhkarton gepflegt, das war aber auch schon alles. Auch jetzt wirkten Neo Borg nicht so, als könnten sie überhaupt viel mit Tieren anfangen. Doch von sich selbst wusste Kai, wie beruhigend es sein konnte, wenn sich ein schutzbedürftiges, flauschiges Wesen an einen schmiegte oder wenn es unaufgefordert zu einem kam, weil es spürte, dass es einem nicht gut ging. Nicht umsonst gab es Therapiekatzen, die sich instinktiv zu den Menschen legten, die sie am meisten brauchten. Er konnte sich leider viel zu gut vorstellen, dass in Situationen wie dieser Gefühle hochkamen, die ansonsten tief verborgen blieben. „Hey”, sagte er leise, „Alles klar?” Yuriy blickte zu ihm auf. „Ja, wieso?” In diesem Moment konnten seine Augen das gesammelte Wasser nicht mehr halten und zwei dicke Tränen kullerten über seine Wangen. Kai war darüber ebenso verwirrt wie Yuriy selbst. „Weinst du?” „Nein?!” Der Rothaarige wischte sich über die Wange und betrachtete seine Hand. „Was zur Hölle?” Dann nieste er noch einmal. Dabei zuckte er so heftig zusammen, dass Falstaff erschrak und von seinem Schoß sprang. Er warf Yuriy einen beleidigten Blick zu, bevor er anfing, sich zu putzen. Kai sah von seinem Kater zu Yuriy und wieder zurück. Yuriy fing jetzt richtig an zu schniefen und rieb sich schon wieder die Augen. Und da wurde ihm alles klar. „Yura”, sagte er und streckte die Hand aus, um die des anderen zu tätscheln. „Du musst jetzt ganz stark sein.” Zur Antwort erhielt er nur ein Ächzen. „Ich glaube, du hast eine Katzenhaarallergie”, sagte er. Yuriy hielt inne und blickte ihn aus geschwollenen Augen an. „Och nein, scheiße…” Kam es leise von ihm und so traurig, dass Kai beinahe Mitleid bekam. „Ein Glück, dass du nicht auf meiner Couch pennst”, murmelte er. Dann angelte er aus einer Schublade hinter sich ein Paket Taschentücher und schob es über den Tisch. Yuriy nahm es dankbar an und putzte sich endlich die Nase. Das verfluchte Kribbeln wollte und wollte nicht aufhören. Vielleicht musste er gleich wieder niesen. „Und jetzt?”, fragte er nasan. Kai seufzte und stand auf. „Jetzt mache ich erstmal das Fenster auf.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)