Unkompliziert von Lyndis ================================================================================ Kapitel 2: Loa -------------- Sie nannten es perfekte Führungsqualitäten. Diese Idioten. Sie nannten es geborene Führungsperson. Pff. Kaum jemand auf dieser Welt nahm sich fünf Minuten Zeit, um einmal hinter die Kulissen zu sehen. Loa tat das. Immer. Denn wer die ganze Wahrheit nicht kannte, hatte keine Kontrolle darüber. Leider gab es nie eine vollkommene Wahrheit. So musste er sich mit seiner persönlichen Wahrheit zufrieden geben. Die Wahrheit war, dass Menschen nur den Bruchteil einer Sekunde brauchten, um sich eine Meinung über etwas zu bilden. Ob das nun Personen, Situationen oder allgemeine Themen waren. Manche schafften es darüber hinaus, sich mit etwas näher zu befassen. Aber nicht mit allem. Nur damit, was sie wirklich interessierte. Loa konnte nichts und niemandem vertrauen, dessen Wahrheit er nicht kannte. Er verstand nicht, wie andere Menschen das schafften. Sie liefen einfach ignorant durch die Welt, den Kopf allein in ihrer eigenen Realität. Er bedauerte sie. Denn sie sahen nicht, wie Farbenfroh und Abwechslungsreich die Welt war. Und sie sahen auch nicht, dass er alles andere als die perfekte Führungskraft war. Niemand sollte die Führung haben, der anderen nicht vertrauen konnte. Dennoch war er viel zu weit oben in der Hierarchie. Leider war er nicht in der Lage, darauf zu vertrauen, dass jemand anderes den Job besser machte, als er, weshalb er keine Beförderung bisher ablehnen konnte. Was ihn hierher gebracht hatte, war seine hohe Kompetenz und sein Geschick mit Menschen. Auf der Suche nach der Wahrheit fand er auch immer den besten Weg, von einer Person zu bekommen, was er wollte. Sich einhunderprozent jemandem anzupassen, war ein Kinderspiel für ihn. Meistens zumindest, auch er hatte seine Grenzen. Er wusste auch meistens, wem er was anvertrauen konnte. Nicht nur Informationen, auch Aufgaben. Aber in einer Firma gab es niemanden, der perfekt arbeitete. Selbst wenn er gute Mitarbeiter hatte, hieß nicht automatisch, dass die konstant gute Arbeit leisteten. Das hieß nicht, dass sie sich immer an alle Regeln und vorgaben hielten, dass sie niemals etwas vergaßen und niemals über das Ziel hinaus schossen. Und dennoch musste er Tag ein, Tag aus darauf vertrauen, dass sie es taten. Niemand konnte die Arbeit einer ganzen Firma allein erledigen, das war unmöglich und das wusste er. Das hieß aber nicht, dass ihn diese Tatsache nicht stresste. Er konnte unmöglich alles im Auge behalten, konnte unmöglich jeden Schritt mitverfolgen, jedem genaustens auf die Finger schauen. So funktionierte gemeinsames Arbeiten nicht und er konnte sich schlecht vierteilen. Er stürzte sich stattdessen selbst in so viel Arbeit, dass er keine Zeit hatte, über die der anderen groß nachzudenken. Er kontrollierte nur so viel, wie unbedingt sein musste und es funktionierte. Hauptsächlich für alle anderen, aber es funktionierte. „Hier ist der Bericht, den Sie haben wollten.“ Sein Sekretär brachte die Mappe herein und Loas Magen verkrampfte sich schon. Hoffentlich hatten seine Leute das ordentlich gemacht. Er musste am Ende der Woche seiner Vorgesetzten Rede und Antwort zu dem Thema stehen, ihr den aktuellen Stand näher bringen und eine Prognose über die nächsten Wochen liefern. Wenn seine Mitarbeiter keinen Mist gebaut hatten, wäre das ohne Probleme möglich, wenn doch, würde bis Freitag viel Arbeit auf ihn zukommen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass noch fünf Stunden bis Feierabend übrig waren. Er würde keine Minute länger bleiben, denn Lajalu würde kein Abendessen haben, wenn er nicht rechtzeitig zu Hause war. Für zwei Minuten starrte er auf die Uhr und ging durch, was er heute noch unbedingt schaffen musste und was er im Notfall auf morgen verschieben konnte. Er Kategorisierte jede Aufgabe nach Umfang und Dringlichkeit, nach dem Zeitaufwand den er betreiben musste, bis er sie beendet hatte und welche Aufgaben spontan hinzu kommen könnten. Dann teilte er den Bericht in verschiedene Katastrophenstufen ein. Was konnte schief gelaufen sein? Wie schlimm waren diese Fehler? Wie viel Zeit würde er brauchen um welchen Fehler auszubügeln? Welcher Mitarbeiter stünde ihm zur Verfügung um dabei zu helfen? Wer von denen hatte gerade genug Freiraum um sich darum zu kümmern? Nach zwei Minuten war alles notwendige durchkalkuliert. Es würde für ihn keine Überraschungen geben. Er atmete auf, als sich das unsichtbare Gewicht auf seiner Brust wieder löste. Egal wie schlimm es würde, er könnte damit umgehen. Er dann setzte er sich daran, den Bericht zu lesen. Eine Stunde später drückte er auf den Knopf des Freisprechgeräts, das mit dem auf dem Tisch seines Sekretärs verbunden war: „Bringen Sie Johnson und Strauss doch bitte in mein Büro.“ Die Wartezeit nutzte er für eine Verschnaufpause. Er holte sich einen Kaffee und biss kurz in eines der Sandwiches, die er sich zum Essen außerhalb der Mittagspause immer mitnahm. Nebenbei legte er sich eine Strategie für das kommende Gespräch zurecht. Myriam Johnson war eine angenehm sachliche Person. Neigte dafür aber zu massiven Überstunden, weil sie niemals nein zu zusätzlicher Arbeit sagte. Das war allgemein schlecht für die Gesundheit und war deshalb zu vermeiden. Alfred Strauss nahm Kritik dafür ziemlich persönlich und wurde ineffektiv, wenn er das Gefühl hatte, etwas falsch gemacht zu haben. Psychischer Druck machten ihn krank, weshalb er aus anderen Abteilungen immer wieder versetzt wurde. Vollidioten. Strauss war ein hervorragender Mitarbeiter, sehr genau und ordentlich. Er konnte nichts dafür, dass er ein sanftes, etwas sensibles Gemüt hatte. Und statt sich die Mühe zu machen, eine anständige Methode zu finden, ihn ordentlich zu integrieren, hatte man ihm ständig gesagt, sich ein dickeres Fell zulegen zu müssen, wenn er es mal zu etwas bringen wollte. Zugegeben, in der Gesellschaft, in der sie aktuell lebten, würde er keine Führungsposition bekommen, aber das hieß nicht, dass man ihn als Mitarbeiter nicht schätzen konnte. Loa nutzte ihn gerne, um Fehler auszubügeln, die Strauss selbst nicht begangen hatte. Gab man ihm eine Arbeitsumgebung mit konstruktivem Umgang und zeigte man ihm, dass niemand je perfekt arbeitete und die meisten Menschen nicht wirklich eine Ahnung hatten, was sie taten, wenn sie sich neu in einen Bereich einarbeiteten, war Strauss schnell einer der besten Mitarbeiter. Jetzt wunderte sich die komplette Firma, dass Alfred fast keine Krankentage mehr hatte. Komisch. Als die Tür aufging, stellte er seine leere Kaffeetasse ab und verstaute das Sandwich wieder in seinem Rucksack. Er zeigte Mitarbeitern gerne, dass er auch nicht immer voll am Arbeiten war. Niemand sollte Probleme damit haben, zwischendurch mal fünf Minuten Pause zu machen oder sich kurz privat mit einem Kollegen zu unterhalten. Ihm war egal, was seine Mitarbeiter zwischendurch machten, solange die Arbeit erledigt wurde. Strauss sah nervös aus, deshalb schenkte er ihm ein beruhigendes Lächeln und wies beide mit einer freundlichen Geste an, sich zu setzen. „Kaffee? Tee?“, fragte er. Strauss zögerte, bat dann aber um einen Tee. Er nickte Sebastian, seinem Sekretär, kurz zu, als auch Myriam ihren Wunsch nach Kaffee geäußert hatte. Solange sie auf die Getränke warteten, hielt er ein wenig Smalltalk mit den beiden. Er kannte so viel wie möglich, über das Privatleben seiner Mitarbeiter, weshalb er mit ein paar unverfänglichen Fragen nach diesem, dafür sorgen konnte, dass Alfred sich wohl fühlte. Erst nachdem jeder bereits an seinem getränk genippt hatte, schob er den Bericht leicht vor. „Sie beide haben an dem Projekt mitgearbeitet und haben den Bericht sicherlich wenigstens grob überflogen. Ich bräuchte noch ein paar Ergänzungen, ansonsten bin ich sehr zufrieden.“ Er log nicht. Der Bericht war grundlegend gut, bis auf wenige Lücken, die er aber dringend gefüllt brauchte. „Es wird Sie hoffentlich nicht zu viel Ihrer Zeit kosten, ich weiß, dass alle gerade sehr beschäftigt sind.“ Myriam griff nach dem Dokument und schlug es auf. Er hatte eine Liste mit möglichst genauen Anweisungen angefügt, die beide jetzt überflogen. „Das tut mir sehr leid, Herr Kane“, warf Strauss zwischendurch ein. Loa winkte nur ab: „Machen Sie sich keine Sorgen. Es sind nur ein paar Details, die ich brauche.“ Er ließ beiden noch einige Augenblicke Zeit, um alles in Ruhe durchzugehen, widmete sich selbst einem Dokument, um ihnen nicht das Gefühl zu geben, beobachtet zu werden. Danach klärten sie noch Fragen, besprachen eine passende Deadline und dann war er wieder allein in seinem Büro. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er noch immer perfekt im Zeitplan war. Als er zu Hause ankam, war es still im Haus. Lajalu war also nicht unerwartet früher von der Uni gekommen. Das waren gute Nachrichten, denn das bedeutete, dass er auf keine oder nur wenige Probleme getroffen war. Er hatte seine Nerven behalten und den Tag durchgezogen. Diese Tage wurden immer häufiger, seit sie zusammen wohnten, was Loa in dem Glauben unterstützte, alles richtig zu machen und die Situation unter Kontrolle zu haben. Lajalu hatte extreme Probleme im Alltag, weil sein Kopf anders funktionierte, als der, der meisten Menschen. Sein Hirn schien immer im Overdrive zu arbeiten und deshalb durcheinander zu kommen. Zudem hatte sein Freund schon vor langer Zeit lernen müssen, dass ihre Gesellschaft nicht besonders tolerant gegenüber Menschen war, die nicht ‚normal‘ funktionierten. Man hatte ihm ständig das Gefühl gegeben – und er sich auch selbst – dass er schon bei den einfachsten Dingen versagte. Als sie sich kennengelernt hatten, hatte er kaum ein Wort raus bekommen und hatte unglaublich gestottert. ‚Nimm dir Zeit‘, hatte er ihm damals gesagt. ‚Ich laufe nicht weg und warte, bis du mir gesagt hast, was du sagen möchtest.‘ Es war eine so einfache Geste gewesen, aber als Lajalu ihn daraufhin aus diesen großen, verwunderten Augen angesehen hatte, da hatte er sich in ihn verliebt. Um Lajalu zu helfen, hatte er viel ausprobiert. Zuerst hatte er versucht, ihn aufzuregen, damit er aus sich heraus kam, sich verteidigte. Aber Lajalu war nur sehr schwer zu Wut fähig und war eher in Traurigkeit versunken. Es hatte lange gedauert, bis er herausgefunden hatte, dass Lajalu jemanden brauchte, der ihm klar sagte, was Sache war. Der ihm einen Leitfaden gab. Der es schaffte, so zu sprechen, dass keine oder nur kaum Missverständnisse möglich waren. Er erinnerte sich noch gut an ihre erste Zeit gemeinsam. Lajalu hatte sich unglaublich schwer mit Sex getan. Sie hatten ihr gemeinsames erstes Mal sehr oft nach hinten verschoben, weil Lajalu zu nervös und überfordert gewesen war. Es war nur eine Eingebung gewesen, die zur Lösung geführt hatte. ‚Vertraust du mir?‘, hatte er gefragt. Lajalu hatte nicht gezögert und genickt. ‚Sag mir sofort, wenn du dich unwohl fühlst.‘ Er hatte sich damals schon angewöhnt gehabt, keine Fragen mehr zu stellen, sondern Anweisungen zu geben. Er hatte dann eins ihrer ausgezogenen Oberteile genommen, und hatte Lajalus Arme nach oben geführt. ‚Ich werde deine Hände am Bett festbinden‘, hatte er ihn informiert. ‚Damit du dir keine Gedanken darum machen musst, was du tun sollst. Dann kannst du einfach nur auf deine Gefühle achten und dich auf mich konzentrieren.‘ ‚Ja, Loa.‘ Ihm war damals schon immer ein warmer Schauer über den Rücken gelaufen, wenn Lajalu diese Worte in diesem leicht unterwürfigen Tonfall ausgesprochen hatte. Danach war alles bestens gelaufen. Das anfängliche Unwohlsein auf Lajalus Seite war schnell Erregung gewichen. Er hatte sich unter seinen Händen gewunden und hatte es irgendwann geschafft, das Denken einzustellen. Mit diesem Anfang, hatte Loa weitere Dinge ausprobiert und irgendwann hatten sie zusammen herausgefunden, dass Lajalu Stress durch Schmerzen im sexuellen Kontext abbauen konnte. Loa genoss diese Art der Kontrolle über seinen Lebenspartner. Lajalu übergab ihm automatisch nach und nach die Kontrolle über sein Leben und ohne, dass sie es selbst bemerkten, waren sie in dieses Spiel gerutscht, dass sie noch immer spielten. Er kontrollierte alles in Lajalus Leben und der entspannte sich dafür, ließ sich für Dinge spaßhaft bestrafen. Es nahm ihnen beiden den Stress. Obwohl sie vollkommen unterschiedliche Probleme hatten, waren sie perfekt füreinander. Als die Tür aufging, sah er überrascht auf die Uhr. Nun, es war ein wenig zu früh, der Bus musste sich beeilt haben. Als sein Partner in die Küche trat, sah er bereits in seinen Augen, dass wohl nicht alles gut gelaufen war. Er vermutete, woran das lag. Er hatte nicht wirklich geglaubt, das der schon heute die Meldung bei ihrem Internetprovider liefern konnte. Aber Lajalu sah nicht schuldbewusst, sondern bittend zu ihm. Das war gut. Die Anspannung des Tages fiel endlich von Loas Schultern. Hier hatte er alles unter Kontrolle, denn mit Lajalu war alles unkompliziert. 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