Apfelblüte von Morgi (Inu no Taishō / Izayoi) ================================================================================ Kapitel 1: Jungfernrebe ----------------------- Apfelblüte - Jungfernrebe - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Die Geschichte wird durch meine Rückkehr auf Animexx erneut hochgeladen, wobei ich ältere Passagen aus der Entstehungszeit ab 2011 direkt überarbeitet und in den Details den späteren Kapiteln angeglichen habe. Das erste ist unverändert gewidmet! Vorwort: Herzlich Willkommen zu einer Reise durch die Kamakura-Zeit, in der Intrigen, Fehden und ein steifes Hofprotokoll die schlimmsten Feinde sind. Der mächtigste Hundedämon des Westens wird viele Wege beschreiten müssen, um das Herz Izayois zu gewinnen ... - - - - - - - Mittlere Dekade des März, Japan, 1296 1 Sanft tanzten die Schatten in den Wipfeln des Kirschbaumes, und hinterließen hier und dort einige Flecken auf den hellen Blüten. Hätte man eine der älteren Frauen gefragt, so wären sie sich alle darin einig gewesen, dass dieser Frühling nicht anders werden würde, als seine Vorgänger. Die Tage wurden rasch wärmer, das Gras spross in dunklem Grün und selbst die Fische im Teich suchten die vom Sonnenlicht gewärmte Oberfläche. Es war ein hübscher Anblick, sobald eine Flosse das Wasser durchschnitt. So sehr die Tiere auch auf die Pflege der Menschen angewiesen sein mochten, der eigentliche Tag gehörte ihnen. Niemand befahl ihnen, nach links oder rechts zu schwimmen. Sie taten es gerade so, wie es ihnen in den Sinn kam. Ob man dabei nun eine Seerose oder einen Stein umkreiste – es war die eigene Wahl, nicht wahr? Welch angenehmes Leben das sein musste. Lächelnd neigte die Frau ihren Kopf, nur um dann mit spitzen Fingern die Säume ihres mehrlagigen, mit Pflaumenzweigen bestickten Kimonos zu richten. Die Geste war ihr seit Jahren ins Blut übergegangen, aber dennoch wurde sie immer wieder von den Dienerinnen daran erinnert. Eine Fürstentochter durfte sich nicht die Blöße geben und in faltiger Kleidung im Garten knien: Nicht einmal dann, wenn sie einige Augenblicke ganz für sich sein konnte. Je mehr Winter ihre helle Haut kommen und gehen sah, desto strenger flüsterte man ihr zu, auf der Tatamimatte auszuharren und nur noch andächtig dem Summen der Insekten zu lauschen, statt sie munter zu benennen. Nahte erst die Mittagsstunde, wurde sie rasch in das Innere der Residenz geführt, um sich in den Pflichten einer baldigen Gattin zu üben. Gelegenheiten wie diese, die nach Freiheit schmeckten, waren selten und teuer geworden. Wie lange würden sie ihr wohl erhalten bleiben? Tage, Wochen? Wehmütig dachte sie daran, wie die Hofdame Reika davon geflüstert hatte, es gehe unter fremden Daimyos ungnädiger zu. Töchter, Ehefrauen und angeheiratete Verwandte waren dort wie Reiskörner – sie blieben niemals allein. Man steckte die Füße der ungehorsamen Frauen in eisige Quellen, bis sie Blasen warfen, und schlug ihnen mit der flachen Handkante auf die Zehen, bis jede Einzelne gelernt hatte zu gehorchen. Ihre ältere Schwester, die vor wenigen Jahren im Hochzeitskimono in den Nordwesten gereist war, berichtete davon jedoch nichts. Ihre Zeilen erweckten nur Pflichten zum Leben oder erwähnten, wie tapfer die Soldaten ihres Gatten durch verschneite Pässe zum Feind marschierten, während sie mit der Schwiegermutter zurückblieb und zähen Wintern trotzte. Herrje. Die verwaiste Tatamimatte neben ihr hätte dort für Entsetzen gesorgt. Sie musste es auskosten, diese mit aufgeregt schlagendem Herzen verlassen zu haben, solange die Hofdamen und ihre Amme ihrem Wunsch entsprachen: Wenn die Frühlingssonne wieder hinter den Wolken hervorkommt, dürft ihr aufhören, mir den Rücken zuzukehren! Ohne ihren höheren Rang wäre die seltsame Bitte kaum befolgt worden. Izayoi-sama, erinnerte sie sich an die Worte ihrer längst ergrauten Amme Mashiko, die stocksteif zwischen den prächtig aussehenden und duftenden Seidenstoffen der anderen Frauen kniete, vergesst nur nicht die Männer Eures Großvaters! Ach, wie hätte sie das gekonnt? Sie standen mit den hartgesottenen Mienen und ihren schweren Samurai-Rüstungen überall, liefen wie die Ameisen zwischen den Zedern des Gartens ihre Patrouillen und starrten finstere Löcher in jede Astgabel. Tagein, tagaus suchten sie bei Wind und Wetter jede Blattnarbe nach Feinden ab. Doch jetzt waren sie so ernst in das Zeremoniell des Wachwechsels vertieft, als lauerte der Fürst persönlich in ihrem Nacken. Izayoi atmete aus, ehe sie ihre flache Hand ausstreckte und zaghaft das Lächeln vertiefte. Ihr Großvater behielt wohl Recht: Waren die einen zu beschäftigt und die anderen durch ein Wort verwirrt, konnte man wagemutig werden. Diese Weisheit mochte auf einem Schlachtfeld geboren sein, aber sie erschien ihr so zustimmend wie das Flüstern des Windes. Ah. Die fedrigen Halme fühlten sich wunderbar unter ihren Fingerkuppen an; ein ganz anderes Gefühl als die harten Saiten des Shamisens, welches sie viele Stunden am Tag spielen musste. Entzückt richtete die Fürstentochter ihren Blick auf die über ihrem Kopf schwankenden Zweige, ehe ihr ein Fiepen an die Ohren drang. Irritiert verzog Izayoi den Mund, aber da erklang es bereits wieder, bis das Geräusch zu einem Tschilpen und Krächzen wurde. Selbst wenn sie es hätte ignorieren wollen: Das Rascheln tat sein Übriges, um ihre Neugierde zu schüren. Aufmerksam streckte sie sich im knöchelhohen Gras und suchte die vom Morgentau feuchten Halme ab. Es dauerte einen Moment, bis Izayoi es entdeckte: Dort, kaum zehn Schritte entfernt! Heftiger Flügelschlag war alles, was der am Boden hockende Singvogel zu Stande brachte. Einige Blütenblätter tanzten in der Luft, je energischer er zappelte. Gerührt sah sie der Meise dabei zu, wie sie trotz der dicken Daunen im Federkleid um jeden Fingerbreit an Höhe kämpfte und wie ein Stein zurück auf die Gräser fiel. "Oh", hauchte Izayoi betroffen. Sie drehte sich zu ihren Hofdamen und Mashiko um, doch ehe ihr ein Satz über die mit Färberdistelpaste betupften Lippen kommen konnte, verwarf sie den Gedanken an ihr Vorhaben wieder. Es ziemte sich als zweite Enkeltochter des Daimyos nicht, darum zu bitten, ein Tier zu retten. Nun, vielleicht konnte sie selbst ... nein. Oder doch? Der Einfall reifte auf ihrer Zunge, aufregend und verboten süß. Man würde sie schelten und verärgert wie ein Bienenschwarm umgeben, bis der Sommer vorüber wäre. Und welchen Grund konnte sie schon anbieten, diesen Fehltritt ihrem Großvater zu verschweigen? Niemand belog einen Daimyo. Fieberhaft dachte Izayoi nach. Dann dämmerte es ihr: Sie musste nur schnell genug sein! Es war verrückt und aufsäßig, doch das war bereits das Verlassen der Bambusmatte gewesen. Rasch sah sie zu den Wolken hinauf, welche die Frühlingssonne verbargen, ehe sie die zuvor achtlos gerundeten Schultern straffte und sich Mut zusprach. Jetzt oder nie! Dank der schweren, sechslagigen Seidenstoffe kam sie jedoch nur schwankend und mit zusammengebissenen Zähnen auf die Füße. Ihre Zehen pochten in den Getas, aber sie vernachlässigte das Gefühl ebenso wie das Gewicht der ellenlangen, schwarzen Haare, die man ihr im Morgengrauen stundenlang mit Sandelholzkämmen entwirrt hatte. Ein letzter Blick zurück auf die Älteren, dann galt es. Die wattierten Säume raschelten prompt, als diese über die Halme rutschten und ihre kleinen Schritte begleiteten. Izayoi versuchte es zu vermeiden, aber Gräser ließen sich nicht wie sorgsam gezimmerte Holzbretter und Stufen austricksen. Ihre Hofdamen hörten sie und flüsterten bereits, ob sie sich gegen den Befehl ihrer Fürstentochter stellen und sich vor der Zeit umdrehen sollten. Schnell, schnell! Der Vogel vor ihr tschilpte panisch auf und versuchte unter den Schatten ihrer Hände fortzukommen, aber da senkten sie sich bereits herab. Kaum, dass die Fingerspitzen das weiche Federkleid umschlossen hatten, kämpfte die Meise nur umso herzzerreißender gegen den vermeintlichen Feind. "Keine Angst", flüsterte Izayoi. "Ich setze dich nicht in einen Käfig." Ungeachtet der sich in ihrer Hand hebenden Vogelbrust, begann sie nach dem Zweig zu suchen, auf den das Tier gehören mochte. Sekunden später wich ihr das Blut aus den Wangen. Die einzigen Äste, aus denen ähnliche Geräusche wie das ihres aufgeplusterten Freundes drangen, lagen wenige Fuß über dem Erdboden. Nicht unerreichbar, aber doch ... Entschlossen kniff Izayoi die Lippen zusammen, ehe sie den untersten Saum ihres Kimonos raffte und den Geta auf eine borkige Aushöhlung setzte. Gut! Nun der nächste Schritt. Behände hielt sie die Meise, während ihre rechte Hand die Seiden losließ und nach dem niedrigsten Ast griff. Kaum war es ihr gelungen, sich den ersten waghalsigen Meter emporzuziehen, erklang auch schon das heftige Scheppern einer Rüstung in ihrem Rücken. „Izayoi-sama! Um Himmels Willen!“ Die dunklen Augen des Mannes weiteten sich so abrupt, als ob sie ihm Sekunden später bereits den Dienst versagen wollten. Keinen Herzschlag später war er heran und begann die Frau zu stützen, die unter seinem Ausruf das Gleichgewicht verloren hatte. Selbstredend, dass Setsuna no Takemaru das eine mit dem anderen nicht in Verbindung brachte und die Hofdamen wie eine Schar Gänse über sie herfielen. 2 "Herr." Schwer lastete das Schwert an der Hüfte des Generals, der in das Gesicht seines Fürsten blickte. Bewaffnet in dieser Körperhaltung vor ihm zu sitzen und die Hände auf die Oberschenkel betten zu dürfen, war ein Privileg im Empfangszimmer, um das jeder einzelne Muskel in Setsuna no Takemaru wusste – und diese Ehre unterschied ihn deutlich von allen anderen Anwesenden im Raum. Sogar der kleingewachsene, runzelige Schreiber musste in großem Abstand an seinem Lacktischchen mit dem versiegelten Papier ausharren und die Stirn dicht über die Bambusmatten gesenkt halten, während ihrer aller Herr über die Ereignisse des Morgens nachdachte. Die Zeit verstrich dabei in langen Atemzügen. Kühn besah sich der Fürst die Schultern von sieben Dienerinnen, ebenso vieler Hofdamen und der Amme, ehe er helle Ärmelschleppen musterte und durch nichts zu erkennen gab, was in ihm vor sich ging. Takemaru war jedoch nicht Narr genug, um das von tiefen Falten gezeichnete Gesicht vor sich aus den Augen zu lassen. Es hatte genug respektlose Banditenanführer gegeben, die dem Antlitz des Hausherrn mit Spott begegnet waren: Der Daimyo der südwestlichen Gefilde ist in wenigen Wintern schneeweiß und milde geworden, nachdem man ihm den einzigen Sohn erschlagen hat. Seht nur! Was für ein Mann! Das nachgeäffte Gelächter dieser Gockel brachte bis heute sein Blut in Wallung, wenn seine treue Soldaten den Schmähungen wieder Leben einhauchten - und sich bei einem Schlückchen Sake gegenseitig darin übertrafen, was ihnen zufällig außerhalb der Residenz an die Ohren gedrungen war. Manchmal hatte auch ein fremder Diener für drei Handvoll deftig gebratenen Reis und einige Streifen Rindfleisch zu viel mit ihnen über die Gedanken ihrer Herrschaften geredet: Habt ihr es nicht vernommen? Eure Reisfelder sind vermutlich besser bestellt als die eigenen Klingen geölt werden! Was wussten sie schon?! Nichts. Von diesen Bastarden atmete niemand mehr, um auf Bambusmatten zu knien und die Tablette mit den Tabakklumpen neben dem Daimyo zu sehen. Fehden waren stets ein kurzes, heftiges Vergnügen gewesen, solange Takemaru denken konnte. Der Sieger blieb immer der gleiche Mann: Sein Fürst, dessen Stickereien und Seidengewänder üppig im dunklen Glanz schimmerten. Takemaru selbst beabsichtigte nicht, ehrlos dahinzuplappern und diese Schande mit seinem Leben reinzuwaschen. Sein Platz war ein anderer an diesem Ort, den er sich hart erarbeitet hatte. Es beschämte ihn nun, in der anhaltenden Stille vor seinem Herrn einen Fehltritt eingestanden zu haben. Dunkel und kräftig schlug sein Herz hinter den Stoffen und Rüstplatten. Sogar der geölte Haarknoten fühlte sich wie eine Last auf seinen Schultern an. Wie hatte es soweit kommen können? Die Geschichte des geretteten Singvogels und der Fürstentochter, welche nahe des Teiches Bäume bezwang, mochte mit den Beleidigungen von alten Männern kaum zu vergleichen sein, doch Izayoi-samas Hofdamen hatten sich übertölpeln lassen. Bedauerlicherweise gehörte es zu seiner Pflicht, das Versagen aller so lückenlos wie Ojimeperlen auf einer Schnur aufzureihen. Er hatte jeden einzelnen Namen in seiner Erzählung einmal scharf über die Lippen gebracht und sich selbst dreimal für das Verhalten seiner eigenen Männer vor dem Fürsten verantwortlich gemacht. Genügte das? Als General spielte es keine Rolle, wem er die Aufsicht vor den Mittagsstunden übertrug, um sich auf die Ausführung von Strafen an anderer Stelle zu konzentrieren: Er stand stets zuerst in der Verantwortung. Eine Gefahr außerhalb der Mauern zu vereiteln, bedeutete nicht, ein Unheil innerhalb der Gärten hinnehmen zu dürfen – und sollte dieses von einer winzigen, haarigen Seidenraupe ausgehen, hatte man der vorher den Kopf abzuschlagen! Nein, heute zählten nicht die endlosen Morgenstunden, in denen man seinem Befehl eisern gefolgt war, sondern eine unbemerkt verlassene Bambusmatte. Izayoi-sama hatte dank ihrer Gutmütigkeit und eines Nestlings auch ihn bloßgestellt, seine Weitsicht, jeden Atemzug. Sie war unverletzt geblieben, jedoch ... Setsuna no Takemaru unterdrückte den Gedanken daran mit einem entschlossenen Heben seines Kinns. Dann schmälerte er die dunklen Augen und leerte mit einer Heftigkeit seinen Geist, die ihm sonst nur ein eiskalter Wasserfall im Nacken und stundenlange Meditation bescherten: Seine Gedanken brachten ihm nichts. Er war General, kein Fürst und Großvater. Ein Urteil stand ihm nicht zu und blieb in jeder Hinsicht anmaßend, sowie tollkühn. Nur so konnte er weiter verdrängen, dass die Fürstentochter drei Armeslängen von ihm entfernt kniete und mit Befürchtungen rang, die seinen Schutz mehr als gerechtfertigt hätten. Er musste sie wie Luft behandeln und schweigen, ehe es ihnen beiden schlecht zu Gesicht stand. "Ihr könnt gehen, Takemaru", erhob sich die Stimme des Greises, die rau wie eine ausgeklopfte und spröde gewordene Tabakpfeife klang. "Weist Eure Männer später zurecht." Dann sah der Fürst zur Überraschung aller von seinem General fort und widmete sich einem buntbemalten Schälchen mit Reiswein, welches man vor ihn abgestellt hatte. Es war hübsch wie das Rot der aufgehenden Sonne, doch seine Aufmerksamkeit wanderte weiter zu den bepinselten Rollbildern, die an den Wänden des Empfangszimmers Geschichten aus Bergen und Tälern seiner Ländereien erzählten. Er wartete geduldig ab, bis sich der General mit einer tiefen Verbeugung aus dem Raum zurückgezogen hatte und Mashiko, die Amme, wie ein Geist über die Schwelle huschte und auf die Knie fiel. Die Dienerin schob die Papierwand hinter ihm zu, ehe sie wie vom Windhauch getroffen die Fingerspitzen auf die Bambusmatten legte und tat, als sei sie mit dem letzten Atemzug taub und blind geworden. Mit keinem Wimpernschlag hätte sie es gewagt, ihre Neugierde auf etwas anderes als die Seidenstückchen zwischen den Tatami zu richten. Ach, dachte der Daimyo. Sie war so bemüht ... Angestrengt zog er die Stirn in Falten, ehe er den verbliebenen Mann im Raum - seinen Schreiber - weiter warten ließ und die junge Frau ansprach: "Izayoi." Natürlich: Ein Zucken in ihrer Haltung, gerade genug, um es mit den erfahrenen Augen eines Großvaters ausmachen zu können. Der Frühling mochte jedes Jahr von Neuem in die Lande ziehen, aber manche Dinge änderten sich wohl nie. Die Tatsache, dass sie die Stirn noch fester gegen den Boden drückte, unterband er jedoch mit einem nachlässigen Räuspern. „Ich wünsche nicht, dass du erneut versuchst, die Bäume unseres Gartens zu erklimmen. Es schickt sich nicht für dich.“ Er neigte sein Haupt, doch sein Blick blieb unerwidert. Nun, sie fürchtete zurecht sein scharfes Wort, obgleich ihm seit etlichen Mondumläufen nicht mehr der Sinn danach stand, zu lange zu sprechen. Seine Kehle brannte und auch seine Knie schmerzten häufig, als bohrten sich Steinsplitter hinein. Die Strenge, mit der er die Strähnen im Nacken zu einem öligen Knoten gebunden hatte, hielt der Daimyo bewusst aus den wässrigen Augen fern, als Izayoi vorsichtig hinaufblinzelte. Ihr Anblick schenkte ihm Frieden, aber es mangelte seiner Enkelin an Erfahrung, um dies zu erkennen oder gegen ihn zu verwenden. "Vergiss nicht, mein Kind: Meine Anweisung gilt auch, falls ein zartes Lebewesen dadurch seinem Nest fernbleiben muss. Warte auf eine helfende Hand. Man hat dir bereits schlichtere Bitten als diese erfüllen wollen, nicht wahr?" "J-ja." Schuldbewusst atmete Izayoi ein. Wäre ihr jemand nahe genug gekommen, hätte man die flüchtige Röte auf den Wangen mühelos erkannt. Sie beeilte sich, die Finger auf der Matte zu spreizen und sich tief zu verbeugen. "Verzeiht meine Unvorsicht." "So sei es." Träge nickte der Greis, bevor er Mashiko heranwinkte. Die Amme fuhr prompt auf wie die Gischt, die sich an der Uferböschung brach, dann kroch sie auf allen Vieren näher und half der Fürstentochter, sich in Würde zu erheben. Ein mühsames Tagewerk, das seiner armen Izayoi auferlegt war ... Sollte sie nur gehen und die Hofdamen mit sich nehmen: Er wusste, wer im Gang auf sie wartete und nicht eher ruhen würde, bevor die Nachtigallböden der Frauentrakte den letzten Ton gesungen hätten und Papiertüren zuglitten. Takemaru war ein guter Mann, allzeit besorgt und seiner jüngsten Enkeltochter ein aufmerksamer Beschützer, aber hier in diesen Mauern gab es wohl kaum etwas, das der jungen Izayoi zum Verhängnis werden konnte. Sie schuf sich die Gefahren selbst, ohne zu ahnen, dass ihrem Daimyo ein Vogel besser gefiel als ein Wakizashi an ihrem Hals. Ernst zeichnete sich in seinem Gesicht ab, während Izayoi und ihre Bediensteten das Empfangszimmer verließen. Die Papierwand wurde geschlossen und ließ ihn mit den jüngsten Vorkommnissen allein zurück. Dann erfüllte ihn Sorge. An den Grenzen seines Landes nährten sich Gerüchte über ein Dutzend verbrannter Dörfer und Leichen, die der schmelzende Schnee freigegeben haben sollte. Zuverlässige Garn- und Tuchhändler blieben Lieferungen schuldig, deren Umfang sonst viele Ochsen und Diener beschäftigte. Vor Wochen waren bereits zerborstene Speere und Palankine von Mönchen auf einem Pfad entdeckt worden, der zu einem Tempel tief in den Wäldern führte. Andere hatten Holzkohlestücke neben Seetang gefunden. Als Fürst erkannte er die Handschrift von Überfällen. Diese ergaben jedoch keinen Sinn. Der angrenzende Süden war seit jeher streitsüchtig, doch bei Verstand. Sie feilschten um eine Heirat, weil sie ihm mit Waffengewalt nicht beikommen konnten. Schon aus diesem Grund war es notwendig, ihn über Izayois Verfehlungen im eigenen Garten zu informieren – eines Tages würde sie immerhin eine Ehefrau und Mutter sein müssen. Wer konnte schon sagen, dass ihr Gatte derlei duldete? Nun, allein dieser Gedanke brachte ihn auf das bevorstehende Thema zurück. Er, als Oberhaupt seiner Familie, lehnte den Süden mit seinen unruhigen Nachbarn zur Ehe ab. Stattliche, erste Söhne gab es an vielen Orten. Von den frühen Verlobungen in Kindertagen hielt er wenig – und er wusste, was man in anderen Familien deshalb über ihn dachte. Die geschwätzigen Boten fremder Daimyos hatten seinen Laufburschen unter Reiswein genug Ansichten entgegengelallt, ohne sich im Morgendunst mit ihren fleckigen Wangen und nach Schweiß riechenden Kleidern daran erinnern zu können. Diejenigen, die es vermochten, schwiegen peinlich berührt und mit einer Verbissenheit, als hinge ihr nächster Atemzug davon ab. Er ließ sie in dem Glauben, dafür jederzeit sterben zu können. Furcht war ein mächtiger Verbündeter in der Seele von Männern. Erheiternd blieb es. Man beschrieb ihn als eigensinnig und wankelmütig, doch die Versuche, ihm giftige Schlangen vorzusetzen oder das Herz auf dem Schlachtfeld zu durchbohren, waren allesamt gescheitert. Da ihm weder Listen noch ein Unglück das Leben zu rauben schienen, hoffte man auf sein Interesse an einem Sohn, der Izayoi heiraten und als Erbe in den Haushalt aufgenommen werden würde. Nur der alte Okihiro im Osten versprach ihr ein angenehmes Heim und forderte dafür kaum mehr, als ihre Gegenwart. Von ihm war nicht zu erwarten, dass er Izayoi schlecht behandeln mochte – aber es erschien ihm, als hätte die Wahl noch einige Monde Aufschub verdient. Kinder wurden so rasch erwachsen und Pflichten lauerten hinter jeder Tür. Sollte Izayoi ihren letzten Frühling genießen, ehe die Ehe sie erfüllte. Ihr ehrbarer Charakter würde ihm die Großzügigkeit schon verdenken. 3 Salbungsvoll schritt die Hundedämonin als Erste über die Bambusmatten aus. Die Spinnenseide ihres Überkimonos wogte wie Wasser darüber hinweg, bis sie bei einer Vase mit getrockneten Chrysanthemenholz und einem Kästchen innehielt, auf dem ein Tuscheriegel und Pinsel bereit lagen. Trotz der erdrückenden Schwere ihrer Stoffe sank sie leichthin in die Knie und strich die Schmetterlingsstickereien glatt, bis sie sich ohne Eile ihren Pelzen widmete, die ihr wie Honig um die Schultern flossen. Sie erinnerte sich gut an den Tag, an dem sie der Hausherr im Westen das erste Mal darum gebeten hatte, neben ihm Platz zu nehmen. Ihr Schwiegervater war ein grausamer, furchteinflößender Daiyoukai gewesen, dem sie auch noch Jahrhunderte nach seinem Tod zugetan blieb. Mütter und Fürstinnen ihres Schlags prahlten jedoch nicht mit Zuneigung. Eine solche Äußerung lud Welpen dazu ein, sie für gefühlsduselig zu halten. Diesen Fehler durfte ihr Sohn in einigen Jahrhunderten selbst begehen – umso gnädiger hob die mächtigste Dämonin des Westens ihre Hand und tat, als bemerke sie erst jetzt, dass sie den Halbwüchsigen bei den geschlossenen Papierschiebetüren zurückgelassen hatte. Ach, wie beherrscht er doch die Kiefer aufeinander pressen konnte, während er sich ihrem Willen beugte! Die letzten Winter hatten ihn großzügig wie Bambus wachsen lassen, doch er war zu jung, um in ihrem Dunstkreis frei handeln zu dürfen. Da mochte er sie überragen, wie er wollte. In ihren Räumlichkeiten gab es für ihn Grenzen. Noch war es ihm verboten, über den weißen Seidenbahnen eine Rüstung zu tragen. Der in gelb und violett leuchtende Brokatobi blieb das einzige Zugeständnis an seine hohe Geburt, denn alles andere musste er sich in den nächsten Jahrhunderten unter ihren Augen erst verdienen. Wenigstens stellte er ihre Gutmütigkeit kein drittes Mal auf die Probe, indem er sein wallendes Schulterfell mit Blättern und Ästen darin präsentierte, nachdem er seinem Schwertmeister oder gar dem Fürsten – seinem verehrten Vater, ihrem Gatten – in die Klinge gesprungen war. "Sesshoumaru." "Mutter?" Der Angesprochene löste sich aus seiner Position und nahm die Mühe auf sich, in einem komplizierten Geflecht an Bewegungen umständlich vor ihr niederzuknien. Inzwischen hatte Sesshoumaru verstanden, dass sie ihm dadurch die Zeit schenkte, ihrer Stimmung auf den Fangzahn zu fühlen, doch er hielt es für eine Zumutung. Es lagen mehrere Bambusmatten zwischen ihnen. Seine goldenen Augen funkelten bei dem Gedanken daran, dass er wie ein unartiger Welpe am anderen Ende des Zimmers hockte. "Ich habe mich jüngst gefragt, ob mein teurer Sohn etwas zu berichten weiß?", säuselte sie harmlos. Ein Bericht? Kurz stutzte der junge Hundedämon, aber noch ehe der Ausdruck seine Miene befallen hatte, verscheuchte er ihn. Lächerlich. Seine Mutter würde ihn kaum als Berater benutzen, denn er war niemand, dem Youkai bereitwillig ein Geheimnis anvertrauten oder beim Plaudern übersahen. Dafür gab es Myouga, den Flohgeist. "Nun, Sesshoumaru?" "Es gibt nichts, was einer Erwähnung würdig wäre." "Das dachte ich mir", entgegnete sie bedauernd. "Dieses Mal werde ich dir deine Unachtsamkeit verzeihen, denn es würde mich betrüben, dir eine Lektion vorzuenthalten: Achte auf deinen Vater. Ein ruheloser Daiyoukai verkörpert immer etwas Interessantes." Undurchdringlich neigte sie ihren Kopf, dann winkte sie ihn fort. Sesshoumaru gehorchte, doch aus einem konnte er sich keinen Reim machen: Wann war sein Vater je ruhelos gewesen? - - - - - - - Eine gute Frage. Die Antwort bahnt sich ab Kapitel #2, "Brunnenkresse", an. Kapitel 2: Brunnenkresse ------------------------ Apfelblüte - Brunnenkresse - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 4 Zischend tauchte das Metall im Wasserbottich ein, ohne dass er sich davon beeindrucken ließ. Es war stickig in der Schmiede, die Luft verhangen von den weißen Rauchwolken und beißendem Geruch der Kohlenstücke. Hätte diese kleine, nervige Plage von einem Flohgeist nicht gerade wieder mit seinem Geplapper angefangen, Toutousai wäre überaus glücklich gewesen, mit seinem Sud aus Eisen allein zu bleiben. Wie großmütig, ausgerechnet heute seine Ruhe zu stören. Als ob es nicht noch einhundert andere Jahre gab, die dafür in Frage kamen, aber nein, mit ihm konnte man es ja machen! Warum war er nur vor auf die Idee gekommen, sich in diesem vermaledeiten, dämonischen Fischskelett niederzulassen? Hatte er sich nicht eingebildet, die tief in den Vulkan eingedrungenen Gräten und das weitaufgerissene, verknöcherte Maul würden ihm Frieden bescheren? Pah! Statt eines Nickerchens zwischen Hammer und Lederlappen winkte ihm das Krächzen des Flohgeists an diesem Morgen. 'Toutousai, mein bester Freund und Toutousai, du versierter Künstler, du Magnat der Langeweile, du musst...' - Nein, solch ein Unfug! Er wollte seine Ruhe und nur, weil er Schmied war, hieß das noch lange nicht, dass er Lust darauf hatte, eine Klinge neu auszuhärten und später mit Nelkenöl zu behandeln! Hmpf! Bockig rümpfte er die Nase, bevor er das Feuereisen im gluckernden Eimer ließ und sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn fuhr. Erst dann machte er sich die Mühe zurückzusehen und dem zweiten Gast zuzunicken, der dutzende Meter entfernt auf dem aschebedeckten Erdboden saß - kein hoheitliches Damastkissen, denn so etwas Lächerliches hatte er hier nicht. Obwohl, für ihn wäre es natürlich genau das Richtige. Aber für alte Freunde, die ihn seit dem Morgengrauen auf den Beinen hielten? Papperlapapp, Materialverschwendung. "Noch was?", brachte Toutoutsai barsch hervor, aber entweder schien der Daiyoukai ihn nicht hören zu wollen oder aber das seichte Lächeln auf seinen Lippen war festgefroren. Ihm einerlei, solange er bald wieder verschwand. Mit diesen Hundedämonen war es doch immer das Gleiche: Der eine kam an die Macht und zack, hatte er ihn am Hals. Der Inu no Taishou mochte zwar höflicher sein als sein Vater, aber das war noch lange kein Grund dafür, ihm die blankpolierte Brustrüstung zu küssen. Hoffentlich wurde ihm von dieser Geruchskulisse beizeiten schlecht. Angekokeltes Leder, Pflanzenöle, Eisensand: Empfindliche Nasen hatten in einer schwelenden Schmiede nichts zu suchen. Hätte er bloß nicht mit eigenen Augen gesehen, wie rasch man es mit dem Leben bezahlte, dem Herrn der Hunde mit einem Schwertstreich Glut in die Felle des Nackens zu fegen, ooh ... "Ich schätze deinen Einfallsreichtum über die Maßen, Toutousai. Niemand sonst hätte versucht, diese Klinge wieder in Ordnung zu bringen", erwiderte der Herr des Westens endlich. "Ich bin dir wie so oft zu Dank verpflichtet." Entspannt lehnte er sich vorwärts, um die Ellenbogen auf die Oberschenkel zu stützen und dem Windhauch ein Schnippchen zu schlagen: Die Frischluft nahe des Eingangs war Fluch und Segen zugleich, solange sie wie ein Strudel in der Schmiede verwirbelte und alles zu ihm trug. "Meister!", mischte sich da die Stimme Myougas übereifrig ein. "Ihr wollt doch nicht allen Ernstes warten, bis er mit seiner Arbeit fertig ist?" "Doch, doch", lächelte der Hundedämon zurück. "Genau das hatte ich vor." Milde glitt sein Blick zur eigenen Schulter hinab, auf welcher der Flohgeist soeben aufgeregt mit den vier dünnen Ärmchen zu wedeln begann. "Aber das kann Tage, wenn nicht sogar Monde dauern!" Widerwillig schnaubend zückte er ein Tuch, um sich die Schweißperlen wegzutupfen, die ob der Hitze auf seiner Saugrüsselspitze entstanden. "Dessen bin ich mir vollkommen bewusst, Myouga. Sagtest du nicht selbst, dass ich mich häufiger ausruhen sollte, statt unruhig in der Gegend zu wandeln?" Ein kurzes, betroffenes Keuchen, bevor sich der kleinere Dämon in ein Hüsteln rettete. "Mit Verlaub, Meister, aber an diesen Ratschlag habt Ihr Euch noch nie gehalten. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass Ihr in diesem Punkt Vernunft annehmt." Das leise Lachen seines Herrn irritierte ihn, aber einen Augenblick später war es bereits wieder verblasst. "Wie wahr", gab der Inu no Taishou dann zu, "jedoch erfordert es die momentane Situation, und das weißt du genau so gut wie ich." Seufzend stimmte ihm der Flohyoukai zu. "Es ist wirklich grässlich, dass sich Ryukotsusei ausgerechnet jetzt auflehnen muss und unsere Grenzen rückhaltlos attackiert. Erst gestern haben die Drachen wieder Felder und Dörfer der Menschen verwüstet!" "Pah!", geiferte Toutousai entschieden dazwischen. "Solange sie mich und meine Schmiede in Ruhe lassen, sollen sie nur machen!" Grund genug für Myouga, von seinem Platz zu springen und stattdessen auf die dunkle Spitze eines Blasebalgs zu hüpfen. "Wie kannst du nur so etwas sagen?!", schimpfte er laut. "Die Menschen haben nichts mit den Belangen der Dämonen zu tun!" "Ich kann sagen, was mir passt, du nerviges Insekt!" "Von wegen Insekt, du seniler Torfkopf!", zeterte Myouga zurück, ehe der Schmied den Griff des Blasebalgs hinunter drückte und den kleinen Flohgeist in einem hübschen Luftstoß davon fegte. Noch während dieser zu Boden purzelte, begann der Hundedämon seufzend den Kopf zu schütteln. "Ihr lernt es nie", versetzte der Inu no Taishou, in dessen goldenen Augen es verstohlen funkelte. "Es ist stets dasselbe alte Lied." "Natürlich ist es das", murrte der greise Schmied bockig, um dann zu der Steinplatte zu schlurfen, auf der er Rochenhäute bis zum Bersten gespannt hatte. "Ein Youkai sollte wissen, wann er zu schweigen hat. Beleidigungen haben noch nie ein gutes Ende genommen." "Wer hat mich denn zuerst Insekt genannt, hä?", krächzte es vom Boden aus, bevor sich Myouga die Fingerspitzen befeuchtete und ein rauchendes Haar erstickte. Keinen Moment später formten seine Lippen leise Flüche, von denen er jedoch klug genug war, sie für sich zu behalten. Aber wäre der Herr der Hunde woanders gewesen, oh, er hätte geschworen, dass dieser dämliche, alte- "Myouga?" Schnaubend unterbrach der Floh die Verwünschung, um in wenigen Sätzen gehorsam auf die Schulterpelze seines Meisters zurückzuspringen. Dieser nickte zufrieden, ehe er Toutousai seinen Gruß entbot und trotz dessen mäßig beeindruckter Miene darum wusste, dass er keine halbherzige Arbeit abliefern würde. Der Schmied mochte ein grantiger Einsiedler sein, aber es sollte ihn wundern, wenn er dies an einem Schwert ausließ. Nun, die Zwischenzeit ließ sich dennoch besser nutzen und so verschwand der Hundeyoukai zuversichtlich aus dem Inneren des Vulkans, hinaus in die schroffe Felslandschaft, die nach eintausend Fuß in fruchtbare und üppige Vegetation überging. Zuerst passierte er Schildampfer, dann Dornenpflanzen und Ginster, bis er wenige Sprünge danach in Birkenwälder eintauchte. Noch während er die ersten Baumkronen hinter sich ließ und unter tief hängenden Zweigen hindurchtauchte, flammte Interesse bei seinem Begleiter auf. "Wolltet Ihr nicht nahe der Schmiede auf Euren Sohn warten, Meister?" Ihm antworte ein kaum sichtbares Lächeln: "Wenn es Sesshoumarus Wille ist, mit mir die Klingen zu kreuzen, spielt die Entfernung keine Rolle. Im Gegenteil, es hält ihn bei Gesundheit und schult seine Fähigkeiten." Nun, das war natürlich richtig. Jedoch konnte Myouga sich kaum vorstellen, dass der junge Hundedämon besonders froh darüber sein würde, sobald er erkannte, dass sein Vater einmal mehr Verstecken zu spielen gedachte ... 5 Rasch kniete sich die alte Frau mit den streng im Nacken zusammengefassten Haaren auf den Boden, um mit gesenktem Blick die Schiebetür zu berühren. Fast lautlos schob sie das Papier mit beiden Händen beiseite, um dann wiederum aufzustehen. Sie hatte diese Bewegung schon so häufig ausgeführt, dass sie nicht einmal mehr zu sagen vermochte, wie oft sie es täglich tat. Aber spielte das auch eine Rolle? Wohl kaum, denn sie war in Eile. Sobald sie die Schwelle übertreten hatte, glitt sie wieder in die Hocke und wiederholte die Handlung, damit niemand ein Gespräch belauschen konnte. Die Hofdamen warteten allesamt auf der anderen Seite, aufgereiht wie Hühner auf einer Holzstange: Keine hatte es gewagt, das Wort an sie zu richten. Die Jüngeren verbargen die von Gertenschlägen aufgeplatzten Fingerkuppen im Seidenkrepp der Ärmel und die Älteren waren dankbar darum, die Strafe für Izayois Fehltritt abgewälzt zu haben. Akribisch prüfte Mashiko, ob die aus Muscheln geschnitzten Griffe die Papierschiebetüren geschlossen hielten. Es schickte sich nicht, dem Befehl des Daimyos zu widersprechen: Blicke in die Gemächer der Fürstentochter zu werfen und Izayoi durch ein munteres Flüstern aufzuheitern, war für viele Tage untersagt worden. Seine Enkelin durfte sich frei bewegen, doch außer einem Tadel stand ihr nun kein Gespräch zu. Sie hatte jedoch einen guten Grund, um zu ihr dürfen. Rasch drehte sich die Dienerin noch auf den Holzdielen um und neigte den Kopf hinab zum Boden. "Izayoi-sama." Die Tochter des Daimyo hielt erleichtert inne, der Shamisen einige Laute zu entlocken. Es war ein schönes Instrument, sauber gearbeitet und mit gar lieblichen Klängen, doch es war eine müßige Übung. Wohlwollend nickte sie ihrer Vertrauten zu, die seit Stunden ihre erste Besucherin war. "Komm her, Mashiko. Bitte verbeug dich nicht vor mir. Wir sind allein." "Ja, Herrin." Die zierliche Amme tat, als verstünde sie diesen Einwand, doch sie wussten beide, dass sich nichts verändern würde. Die Räumlichkeiten mochten schlichter als in anderen Residenzen eingerichtet sein - mit Rollbildern, auf denen Pfingstrosen und Seidenreiher glänzten, Truhen und Lacktischchen -, aber draußen wartete ein Teil des fürstlichen Haushalts. Niemandem half es, wenn sich die Dienerschaft allzu fahrlässig verhielt - am wenigsten ihrer Herrin, die ihr aus dunklen, warmen Augen entgegenblickte. Zügig rutschte Mashiko auf Knien näher an sie heran. "Unser geneigter Fürst schickt mich, Izayoi-sama", erklärte sie eifrig den Tatamimatten unter ihrem Gesicht. "Ein Bote Eures Schwagers, des Daimyos der nordwestlichen Gefilde, erreichte ihn heute Morgen. Eure Schwester ist vor Kurzem mit einem Erben niedergekommen und hofft auf einen baldigen Besuch ihrer Familie, so dass ihre Gesundheit rasch wiederhergestellt würde. Da unser Herr jedoch noch mit den Kontrollen der hiesigen Saatbestände aufgehalten wird, sollt Ihr voraus reisen." Das freudige Lachen ließ sie verblüfft aufsehen, aber da hatten sich auch schon die Arme der jungen Frau um ihren Hals geschlungen. "Das sind ja wunderbare Nachrichten!", entfuhr es Izayoi, die sich wenig um das schockierte Einatmen Mashikos scherte und sie stattdessen auf die Beine zog. "Eine Reise, wie herrlich! Wann wird es losgehen? Es gibt so vieles einzupacken - oh, du musst mich dir zur Hand gehen lassen. Glaubst du, wir dürfen das Kind bereits bei unserer Ankunft ansehen? Sie hat solange auf einen Erben gewartet, nicht wahr? Wird Takemaru uns begleiten?" Die restliche Flut an Fragen kam viel zu schnell, um der Dienerin auch nur die Chance zu lassen, eine von ihnen entrüstet von sich zu weisen. Eine Fürstentochter, die eine Truhe füllte? Die informelle Bezeichnung des Generals? Stattdessen stolperte sie sämtlicher Etiketten zum Trotz hinter ihrer Herrin her, glücklicherweise weit weg von den wartenden Hofdamen und tiefer hinein in den verschlungenen Teil der Residenz, der einst für die Gattin des Daimyos und deren Töchter erbaut worden war. Mashiko keuchte erleichtert, als sich Izayoi nach den ersten Schiebetüren, zwei Gängen und einer Biegung dort niederkniete, wo ihre Kimonos und Unterkleider aufbewahrt wurden. Herrje. An Tagen wie diesen fragte sie sich ernsthaft, welcher Mann es schaffen sollte, dieses Herz in der Ehe zu bändigen. 6 Prüfend hob der Hundeyoukai die Nase in den Wind, während seine Finger auf der Fährte ruhten, die sich in den Erdboden gedrückt hatte. Nur einige Schachtelhalme waren umgeknickt, gerade genug, um einem aufmerksamen Beobachter zu verraten, dass hier jemand vorbeigekommen war. Dennoch, die Spur war erkaltet und er zu langsam gewesen. Letztlich erhob sich Sesshoumaru mit verdrossener Miene, um den Sitz seines Schwertes zu kontrollieren und das stille Klingen der Scheide als Zustimmung zu werten. Natürlich war er sich darüber bewusst, dass diese Geste keine Notwendigkeit besaß: An dem Tag, an dem er unfähig wäre, eine Waffe sorgsam an ihrem Platz zu verwahren, wäre er nicht mehr Herr seiner Sinne. Bedauerlicherweise schien sein Vater diese noch immer anzuzweifeln, so dass er, Sesshoumaru, einmal mehr den vereinbarten Treffpunkt verlassen vorgefunden hatte. Ob seine Mutter darunter Ruhelosigkeit verstand? Wohl kaum. Es musste einen tieferen Grund geben. Etwas, was sich als neu und wissenswert offenbarte. Warum sonst hätte sie sich die Mühe machen sollen, ihn darauf aufmerksam zu machen? Sie würde es nicht wagen, ihn trotz der Abwesenheit ihres Fürsten zum Narren zu halten oder wie ein possierliches Tierchen über die Klippe zu stoßen. Ein leises Knurren folgte, ehe sich der hochgewachsene Hundedämon vom Boden abdrückte und in den Untiefen des Waldes verschwand. Wenn sein Vater glaubte, er würde an einer solchen Lächerlichkeit scheitern, unterschätzte er seinen Sohn gewaltig. Die Sucherei mochte seine Nerven strapazieren, aber bisher hatte es noch kein Versteck gegeben, das er nicht ausfindig gemacht hatte. Alles war nur eine Frage der Zeit. 7 Ihre Lippen verzogen sich so marginal, dass es einer unaufmerksameren Dienerin nicht aufgefallen wäre, so jedoch senkte die Untergebene ihren Kopf noch tiefer zum Boden hinab. Fast hätten ihre Fingerspitzen gezittert, aber ein trockenes Schlucken und sie beherrschte sich, kniff stattdessen die Augen zusammen. „Was du nicht sagst“, hauchte die Fürstin des Westens lauernd. „Ich hoffe, dir ist bewusst, welche Folgen es hat, sollte ich herausfinden, dass auch nur eine einzige Silbe dessen gelogen war.“ Angespanntes Schweigen stach ihr entgegen, so empfindlich und gleichzeitig wohltuend, dass Sesshoumarus Mutter ihren Blick zu dem winzigen, viereckigen Fensterrahmen aus Bambus neben sich lenkte. Nicht weit entfernt erstreckte sich ein wahres Sammelsurium aus Pflanzen, Zederngehölz und Bächen, das den Innenhof und die halbmondförmigen Tore mit seiner Farbenpracht in den Schatten stellte. Ihr Garten stand in voller Blüte, doch wenn sie sich vorstellte, dass... Sie wandte sich ab, ehe sie auf die Idee kommen konnte, auch das letzte Unkraut darin zu verkohlen. Einen Atemzug später hatte sie eine Falte ihres Kimonos wie einen lästigen Käfer ausgemerzt. Makellos stand sie schließlich in ihrem Kimono aus feinster Spinnenseide da, das Rückgrat so perfekt durchgedrückt, dass kein Windstoß auch nur eine Kopfneigung hätte anregen können. „Ich will dieses Mädchen nicht mehr unter meinen Augen sehen. Unterweise eine andere in ihren Pflichten, aber sorge dafür, dass es der Fürst nicht erfährt.“ Die buckelige Dienerin rang nach Luft, ehe ihr der Leichtsinn dieser Geste aufging und sie unter der aufflammenden, dämonischen Energie sofort um Vergebung bat. Das eifrige Murmeln, fast ein Wort zu viel und so kroch sie so rasch als möglich außerhalb der Sichtweite ihrer Herrin. Noch bevor die Schiebetür zurück in ihre Verankerung geglitten war, hatte sich die Hundedämonin zu ihrem Spiegel begeben und musterte stillschweigend ihre eigene, verkniffene Miene. Sie war umgeben von duftigen Seiden und Brokat, Tiegeln und Kämmen. Man hatte ihr wunderschöne Kalligrafien, Pinsel und Maulbeerpergamente geschenkt, doch die Schönheit dieser Dinge fand keinen Platz in ihrem Herzen. Nach all den Jahrtausenden, die sie sich Gefährten nannten, wagte er es also in den wenigen Wochen seiner Anwesenheit noch immer freundlich zu diesen unschuldigen und liebreizenden Dingern zu sein. Er half ihnen auf, nachdem sie eine Tonschüssel Wasser verschütteten! Nun, wenn das der Dank dieses Mädchens für den Großmut war, dann sollte sie den ihren zu spüren bekommen! Zornig fegte die Weißhaarige die Dosen von der Kommode, ohne sich um die tausenden Scherben zu kümmern, die quer über den Boden stoben. Der scharfe Atemzug war alles, was ihre Gedanken ausspie: Niemand trat ihren Stolz mit Füßen, absolut niemand! Und bei allen Göttern, er war besser darin beraten, es genauso wenig zu versuchen! - - - - - - - Wie gut, dass sie noch nicht weiß, wer sich im nächsten Kapitel, "Edelweiß", trifft. Kapitel 3: Edelweiß ------------------- Apfelblüte - Edelweiß - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 8 Drohend verengten sich die schlangenhaften Pupillen, bevor eine Rauchwolke aus den Nüstern emporstieg. Sie sollte nicht einmal die Zeit finden völlig aufzugehen, da neigte der gewaltige Drachenyoukai bereits den Kopf. "Du willst mir also erzählen, dass dieser Hundedämon es noch immer wagt, uns zu widerstehen?" "Verzeiht!", brach es aus dem Niederen hervor, der sich augenblicklich zu Boden warf. Wimmernd hielt er den Atem an, während von einer Schneewehe eine eiskalte Brise herüberwirbelte - und ihm schmerzhaft bewusst wurde, aus welchem Grund eine Verbeugung inmitten unwirtlicher Berghänge grausamer sein konnte, als den Zorn Ryukotsuseis zu spüren. "Ich ... wir wussten nicht, dass er seinen Sohn schicken würde." "Seinen Sohn?!", donnerte es in die Tiefen der Schlucht. "Ihr habt euch von einem Welpen abhalten lassen?" "Kein gewöhnlicher Welpe!", fiepte es hastig und das Paar Ohren legte sich ängstlich an das dichte Schuppenkleid. "Er riss nur die Unfähigen aus dem Leben, ich schwöre es Euch!" Grollend verebbte ein Geräusch, das ihm kalten Schweiß ausbrechen ließ. Selbst die Luft schien in seinen warmen Lungen gefrieren zu können, aber das war es nicht, was ihn zutiefst verstörte. Vielmehr war es die einkehrende Totenstille, während die lodernden, roten Augen des Drachen auf ihm ruhten. Er hatte sich nie unwohler gefühlt. Ausgeschlossen. Dennoch, was konnte er dafür? War es etwa seine Schuld gewesen, dass man sie in den üblichen Sechsergruppen los schickte, direkt in das Gebiet der Hunde? Natürlich mussten sie irgendwann auf Widerstand treffen und überhaupt- "Wage es nicht, deiner toten Brüder und Schwestern zu gedenken, Davonlaufender!", fauchte es messerscharf, bevor ob des nach links schwingenden Echsenschwanzes eine Formation Findlinge in den Abgrund stürzte. Krachend brach das Gestein an den eisbeschichteten Wänden auseinander und entlockte ihm ein klägliches Schlucken. "Ich-" "Schweig still!" Jäh biss er sich auf die Zunge, bevor er schuldbewusst den Blick senkte und minutenlang in der gleichen, erniedrigenden Position ausharrte. Die Fingerspitzen mit den langen, grünen Krallen waren die letzten, die er nicht mehr zu spüren vermochte, aber das würde sein geringstes Problem werden, sobald er auch nur einen Mundwinkel bewegte. Ryukotsusei war der mächtigste Drachendämon unter ihnen und konnte sich damit rühmen, steinharte Schuppen wie Seide am Leib zu tragen. Nur die Brutmutter überflügelte ihn noch im Blutdurst, doch auf deren Gnade brauchte niemand zu hoffen. Ihr Ältester richtete, wann und wie es ihm gefiel. Seine dichte, graue Mähne besaß angeblich das Talent, sich um Hälse zu schlingen und- "Geh", zischte es da rau. "Geh und bereinige die Schuld, die auf deinen Schultern ruht, Kakesa. Fort mit dir in die Gefilde der Menschen. Weide fernab der Straßen meine Brut und kehr nicht eher zurück, bis dieser lächerliche Herr der Hunde sein Revier verwüstet vorfindet!" Rasch presste der Büttling die Stirn in das Meer der weißen Kristalle, dann drückte er sich von dem kargen Untergrund ab und fädelte sich im Gleitflug an Felsvorsprüngen und Schiefergestein entlang, um über die Klippen hinabzustürzen. Der Wind toste unbarmherzig, doch trotz des Pfeifens scheiterte die Naturgewalt daran, den Lindwurm am Gestein des Hangs zu zerschmettern. Die ledrigen Schwingen waren kaum außer Sichtweite geraten, da öffnete Ryukotsusei das gewaltige Maul und spie ein Zischen aus. "Wir werden sehen, wer den längeren Atem besitzt, Inu no Taishou. Wir werden sehen." 9 "Izayoi-sama." Ernst musterte Takemaru die Frau, die ihn ihrerseits mit Sanftmut bedachte. Der Morgen war kaum angebrochen und kroch im roten Dämmerlicht über den Horizont, doch das war nichts verglichen zu der Pracht ihres wattierten Überkimonos, wie er fand. Zart schoben sich Pflaumenzweige als Stickereien über die Säume und boten Kontrast zu den Rüstungen der anwesenden Männer. Vier Dutzend Krieger standen hinter ihm und reckten stolz das Kinn. Sie waren der handverlesene Kern, an dem sich Banditen und niederes Dämonenpack die Zähne ausbeißen würden - drei Tagesmärsche lang, so lautete der Befehl des Daimyos der südwestlichen Gefilde. Der Fürst gab nichts auf die aufwendigen Prozessionen, mit denen Töchter und Enkelinnen sonst länger zu reisen pflegten: Männer in Waffen waren nützlicher als plaudernde Hofdamen. Ein schnellerer Schritt und kurze Rasten erstickten viele Gefahren. Setsuna no Takemaru erfüllte es mit Stolz, diese Weitsicht in die Tat umzusetzen. Er hatte jedem Einzelnen harte Strafen angedroht, sollte auch nur ein Stäbchen an der falschen Stelle zu Boden fallen. Einzig das Gefährt blieb ihm ein Dorn im Auge: Die Palankin zeigte die Holzarbeit aus Kiefern und Zedern, welche mit Lack überpinselt glänzten. Bambusjalousien waren zu beiden Seiten der Schiebetüren befestigt und im Innern gab es Seidenpapiere, die verschiedene Blumen und Reiher schmückten. Die Eleganz rührte ihn jedoch wenig. Es waren die sich nach oben öffnenden Dachpaneele und die passend lackierte Tragestange, die ihn beschäftigten. Ein Feind würde die Schwachstellen erkennen. Still bedauerte Setsuna, dass ihn die Pflichten der Frühjahrssaat noch zwei Tage an die Residenz banden, aber das frohe Gemüt der Enkeltochter des Daimyos erweichte den in ihm brodelnden Unmut. Sie lächelte ihn an. Hätte er nach einem Unterschied zwischen Tag und Nacht gesucht, wäre ihm kein besserer in den Sinn gekommen. Sogar der dunkelgrüne Kimono der Amme Mashiko, die klein wie ein Ahornblatt neben Izayoi wartete, verblasste neben der Fürstentochter. "Reist wohl und sicher." "Wie ungewohnt, Euch zurückzulassen, Takemaru." "Ich bin entbehrlich", behauptete er eisern, doch sein Herz tat einen Schlag, der dem Klang ihrer Stimme und den kunstvoll aufgeschlagenen Haarschlaufen galt. Erst dann reichte sie ihm die zierliche Hand und ließ sich über einen verzierten Tritt aus Holz in den Palankin helfen. Geduldig wartete Takemaru, bis Izayoi auch die letzte, winzige Falte ihres Kimonos in das Innere gezogen hatte und ihre Amme folgte, dann schob er die Tür zu. Ein scharfer Pfiff und die zugeteilten Männer nahmen ihre Plätze ein, um die Tragestange auf die Schultern zu hieven. Sie trugen nicht nur Verantwortung, sondern als Einzige gefütterte Baumwolljäckchen und Beinkleider. Die übrigen Krieger führten schnaubende Rösser herbei oder widmeten sich ihren mit Leinen umwickelten Strohsandalen. Es hätte ein beruhigender Anblick sein sollen, als sein drahtiger, hünenhafter Stellvertreter den Kopf vor ihm neigte, doch aus irgendeinem Grund verpuffte die Wirkung wieder. "General Takemaru." "Haltet Euch von den Wäldern fern", rief er barsch in Erinnerung. "Die Reisfelder der Bauern säumen den besten Weg. Nun geht!" Es war, als ob er ein Stück seines Schicksals preisgab - als würde er die Fürstentochter verleugnen, indem er von ihrer Seite wich. Freilich war das lächerlich. Er hatte lediglich vergessen, wie es gewesen war, als er dergleichen in seiner ungestümen Jugend tat. Der Schutz Izayoi-samas nahm einen Teil seines Lebens in Anspruch, den er mit Inbrunst erfüllte und so sah er wortlos seinem Untergebenen nach, der den Traber an die Spitze des Trosses lenkte. Es schien Setsuna no Takemaru eine blanke Ewigkeit her zu sein, als sein alter Lehrmeister ihn noch ob des seligen Lächelns seiner Lippen gerügt hatte. Als Schüler war das ein undenkbares Vergehen, das er mit harter Arbeit und etlichen Stockschlägen hatte büßen müssen. Aber jeder einzelne davon hatte sein Ziel getroffen, seinen Geist gestählt. Mochte die Sonnengöttin ein Auge auf Izayoi haben und ihren Weg bescheinen, solange er nicht zugegen war. Grimmig verfestigte sich der Griff Takemarus auf der Schwertscheide, dann wandte er sich ab und ging mit der ihm eigenen Eleganz über den weiten Hof. 10 Schweigend sah der Herr der Hunde auf die Ebenen hinab, die er im letzten Sommer noch in ungeahnter Pracht und Blüte vorgefunden hatte. Kein einziger Meter war damals sichtbar gewesen, der nicht von den Früchten der menschlichen Arbeit strotzte, ja, nicht einmal ein einziges Gesicht war ihm aufgefallen, das den Winter fürchtete. Und nun lagen eben jene weitläufigen Reisfelder in Asche und schwarzem Sud begraben, lamentierten noch immer wimmernde Gestalten in den Wirren des Morgens. Er hätte dichter gehen können, aber das Ausmaß dieser Schneise erschloss sich ihm bereits durch die blutgetränkte Witterung, die in der Luft wie ein Nebel hing. "Meister!", wisperte Myouga heiser vor Entsetzen, doch das leise Knurren warnte ihn davor, seinen Satz zu beenden. "Ich weiß. Es kann kaum eine Stunde her sein", grollte der Inu no Taishou beherrscht, bevor ihn die weiß hervortretenden Fingerknöchel doch verrieten. "Sollen sie darum beten, dass ihr Vorsprung ihnen die Hälse rettet." Die Augen des Flohs weiteten sich erschrocken, ehe er nach Luft schnappte. Im nächsten Moment musste er auch schon die vier Hände in das Schulterfell bohren, um nicht den Halt zu verlieren. Der protestierende Aufschrei des winzigen Youkais ging jedoch im Knurren seines Meisters unter, als dieser wüst über eine knorrige Wurzel setzte und etliche Grashalme später dem noch weit entfernten Lachen der Drachendämonen folgte. Die sechsköpfige Schar hatte sich auf einer Lichtung zusammengerottet, die von Farn und Fächerahorn umrahmt wurde. Ihre Schuppenleiber glänzten in den Farben der Dämmerung, aber ihre gebleckten Fänge verrieten die Mordlust hinter der Schönheit. "Wie schwach diese Geschöpfe doch sind", höhnte der Kleinste, während ein Ast unter dem Gewicht der Windschlange zerbrach. "Wir sollten die gesamte Provinz Musashis auslöschen." "Zu leicht", raunte die Stimme Kakesas, der den Himmel über sich musterte. Die friedlich dahinziehenden Wolken spotteten des Grauens, das sie noch vor kurzer Zeit über die Dörfler gebracht hatten, aber es genügte nicht, um ihn zu befriedigen. Ryukotsusei hatte ihm einen unwiderruflichen Befehl gegeben und diesen halbherzig auszuführen, stand außer Frage. Er konnte von Glück reden, dass er überhaupt noch die würzige Luft atmen durfte! Finster blickte der Drachendämon auf seine Gefährten zurück, von denen sich eine mit einer Schar Blätter bewarf und diesen fasziniert bei ihren trudelnden Bewegungen zusah. "Ligosh!", donnerte der Anführer barsch. "Was auch immer du da treibst; du bist eine Youkai!" Die Gestalt zuckte zusammen, ehe sie nervös zur Seite linste. "Aber ... es ist so langweilig", gab sie zu bedenken, bevor die lange, rote Zunge über das Maul schleckte und somit die letzten getrockneten Blutstropfen entfernte. "Was sollte ich sonst tun?" Drohend glitzerten die Augen Kakesas, ehe ihn ein Wiehern am Horizont aufhorchen ließ. Augenblicklich kehrte Stille in seine Bewegungen ein, ja, weiteten sich die Nüstern unter dem herben Geruch einiger Traber. "Mir scheint, als ob ich etwas Besseres wüsste", gurrte der Dämon. 11 Seufzend zupften ihre Fingerspitzen an dem schweren Überkimono. Obwohl die Seidenlagen ihr Gesäß hätten dämpfen müssen, fühlte Izayoi nach den ersten Stunden der Reise nur dumpfen Schmerz in ihrem Rücken. Es war, als ob sie auf glatter Watte säße. Ach, was hätte sie doch darum gegeben, in den schlichteren Gewändern ihrer Amme zu reisen. "Fühlt ihr Euch nicht gut, Izayoi-sama?" Fragend hob die alte Frau ihren Blick, während sie die Stickerei in ihren Händen sinken ließ. Es sah hübsch aus, wie sie die rote Seide in den berahmten Stoff zu ziehen vermochte und die junge Frau war auch nach Stunden nicht müde geworden, ihr dann und wann bewundernd zuzusehen. Wie konnte sie nur trotz jeden spürbaren Steins und aller Holperei vermeiden, sich in den Finger zu stechen? Sie selbst hatte diese Beschäftigung wenige Minuten nach ihrer Abreise fallen gelassen. "Was meinst du, wann wir wieder pausieren werden?" Ein mildes Lächeln streifte die Lippen ihrer Dienerin, bevor sie sich besann. Rasch sah sie auf die Hüften ihrer Herrin hinab. Trotz des engen Raumes gab es keinen Grund, die Etikette fallen zu lassen. "Solltet Ihr es wünschen, werden die Männer gewiss anhalten." "Mir wäre es lieber, wir wären schon da", gab Izayoi seufzend zu verstehen. "Ich möchte sie nur ungern von ihren Pflichten abhalten, Mashiko. Es ist bestimmt nicht leicht, die ganze Zeit auf dem Pferd zu sitzen oder neben uns herzulaufen. Sie sind so bemüht, die Umgebung auf jegliche Gefahr hin im Auge zu behalten." Die Dienerin nickte verständnisvoll, auch wenn sie sich davor hütete, die Bewegungsfreiheit der Männer zu beurteilen. "Ihr wart als kleines Mädchen ungeduldiger, Izayoi-sama. Ich bin mir sicher, dass wir bald an blühenden Wiesen vorbeikommen, von denen Ihr Eurer Schwester erzählen werden wollt." Ruhig sah die Alte dabei zu, wie sich ihre Herrin daraufhin zum Bambusfenster hinüberlehnte, dessen Rahmen mit dunklem Holz verstärkt worden war. Regentropfen würden darauf einen wundersamen Klang spielen, doch die am Himmel wandernde Sonne gefiel ihr ebenso gut. Der Tag war friedlich. Draußen erklangen die Verse der Männer, die sich gegenseitig an Siege erinnerten. Ihre Stimmen waren tief und stolz, während sie prahlten wie es nur kriegserfahrene Seelen konnten. Der Weg der Palankine wurde von zwei tiefen Gräben und Steinen gesäumt, an denen Schachtelhalmgras und fedriges Buschwerk gedieh. Unter einem feinen Kopfschütteln wandte sich Mashiko wieder ihrer Arbeit zu. In der zugigen, aber doch angenehm ausstaffierten Palankine zu reisen, war ein Augenschmaus - aber ihre Knochen blieben unruhig. Sie war es nicht mehr gewohnt, solange stillzusitzen. In ihrer Position hatte sie immer zu tun, erledigte dieses und jenes. Jahr um Jahr lief sie hinter ihrer Herrin her, trichterte ihr Regeln ein, die sie manchmal selbst nicht verstand. Wenn sie ihr Tagewerk jedoch mit dem der Dienerinnen fremder Herrschaften verglich, musste sie es gut getroffen haben. Flink stach die Nadel durch das Gaze des Stoffes, um einer Apfelblüte eine Dolde zu verleihen, dann erklang draußen ein abruptes, panisches Wiehern. Auf dem ausgetretenen Pfad schlugen Hufe ins Nichts; wurde ein Ross unter der herrischen Hand zurückgerissen. Ein markerschütternder Ruf erstickte die Ruhe: "Zu den Waffen! Zu den-" Mashiko schaffte es gerade noch, zu ihrem Bambusfenster zu sehen und den Reiter auf ihrer Seite zu entdecken, als sie bereits erbleichte. Der Ausruf erstarb in einem blutigen Gurgeln, bevor sich die Krallen eines Ungeheuers aus dem empfindlichen Hals lösten. Die Amme schrie auf, und presste sich genauso überstürzt die Hände auf den Mund, sodass ihre Stickerei herunterfiel, während das gewaltige Schuppentier gierig das Ende des Trosses fixierte. Ein Drache, dachte Mashiko fahrig. Ein Drache! Übertüncht wurde ihre Erkenntnis von einem ohrenbetäubenden Brüllen, ehe die geflügelte Echse aus ihrem Sichtfeld sprang. "Komm her, Menschlein!" Der Samurai fand kaum die Zeit auch nur die Klinge aus der Verankerung zu zerren, da stürzte sich die Dämonin schon auf ihr Opfer. Das Krachen des Metalls, das von dem erhitzten Pferdeleib aus zu Boden gerissen wurde, tränkte sich in dem geifernden Speichel Ligoshs, dann fuhr ihr Körper gegen die lächerliche Tragestange des Palankin. Die Männer gaben ihr Bestes, die Wucht mit ihren Schultern abzufangen, doch zu spät. Holz splitterte unter den Schreien der Eskorte, dann fiel der Palankin wie ein Papierschirm auf die Seite und rutschte in den nahen Graben. Steine schossen ins Innere, Gräser knickten ab, als ob sie nicht mehr als müßiges Beiwerk wären. Das Knacken der Dachbalken war kaum ertönt, da versuchte Mashiko auch schon sich von dem brennenden Schmerz hinter ihren Rippen loszusagen. "Herrin!", drang ihre Stimme durch den Innenraum, ehe ihre Hand grob eine zerrissene Seidenpapiertapete fortzuschieben versuchte. "Izayoi-sama!" Das erklingende Stöhnen kam ihr wie eine Offenbarung vor, aber sie sollte keine Zeit finden, ihre Fingerspitzen nach dem durcheinander gewirbelten Kimono auszustrecken. Im gleichen Augenblick wurde die ohnehin nur noch schief in den Angeln hängende Schiebetür fortgerissen. Rotglühende Augen brandeten auf. "Bei allen Göttern", hauchte die Dienerin, ehe die grünen Krallen eines zweiten Drachen ins Innere schossen und unter einem Schrei in ihren Leib fuhren. Der Schmerz brachte sie fast an den Rand der Ohnmacht. Dann ging ein Ruck durch ihre Gestalt und löste blankes Entsetzen bei der nach Luft schnappenden Fürstentochter aus. "V-vergebt mir", keuchte Mashiko, ehe ihr Körper von dem Dämon unter triumphierenden Gebrüll herausgerissen wurde und Izayoi die Szenerie mit einem lauten Gellen vergalt. Das Dröhnen eines überlauten Pferdewieherns tränkte den Boden jenseits des Grabens. Der Drache belohnte beides mit einem irrwitzigen Auflachen. "Tötet sie! Tötet sie alle!", befahl Kakesa dann, bevor er die Amme in seiner Klaue gegen den nächsten Findling schleuderte und mit inbrünstiger Befriedigung ein Knacken vernahm. Danach widmete er sich wieder dem lächerlichen Gefährt, in dem noch immer ein kleines Menschlein schrie, was die Seele hergab. Lächerlich, wie das Weib den verhakten Seidenstoff unter der Lacktruhe zu befreien versuchte. Absolut lächerlich! Einen Moment ging der Drachenyoukai vollkommen darin auf, unter dem Geräusch der anderen, mit dem Tode ringenden Wachen ihren armseligen Versuch zu beobachten. Doch kaum, dass die erste Lage des Überkimonos nachgab und in einem hässlichen Reißen Freiheit versprach, verging ihm die stille Faszination und sein Kopf preschte jäh vor. Einen Herzschlag später erzitterte sein Leib und Izayois langer, spitzer Schrei mündete in einem wimmernden Keuchen. Wie in Trance sah sie, dass das Augenlid des Dämons zu zucken begann und die Pupillen sich weiteten. Dann war es die Kreatur, die unsagbar laut aufheulte, während Blut in alle Richtungen spritzte. Es sollten keine zwei Atemzüge vergehen, ehe der Lindwurm von ihr abließ und fiebrig vor Zorn einem weißen Schatten nachjagte, der zu schnell war, um Izayois Augen irgendetwas erkennen zu lassen. Was bei allen-? Die Frau fuhr unter dem winzigen, schwarzen Punkt zusammen, der sich auf ihrer Schulter räusperte: "Seid Ihr unversehrt?" Ihr erneuter Aufschrei war das Erste, was Myouga in den Ohren klingelte, bevor ihre Hand Millimeter vor seinem Gesicht ins Leere schlug. Hatte er bis dato vorgehabt, sich um das Mädchen zu sorgen, wich dieses Vorhaben einem heiseren: "Bist du noch ganz bei Trost?!", ehe er sich vor dem nächsten Schlag mit einem knappen Hechtsprung rettete. Wenn ihn die Finger getroffen hätten, wäre er noch mehr Matsch gewesen, als all die Leichen, die draußen den Pfad säumten. Dennoch schien diese Aussicht nichts daran zu ändern, dass die Frau wie eine Wahnsinnige an dem verbliebenen Rest ihres Kimonos zu zerren begann und es in einer schier unmenschlichen Körperkraft vermochte, die letzten Lagen aus der Falle zu reißen. Ihr Verstand kreischte ob dieser anzunehmenden Dummheit, aber alles schien besser, als in diesem Gefährt zu bleiben. Den Floh ignorierend, gruben sich die Fingernägel der jungen Frau in den Rahmen des umgestürzten Palankin, um sich unter etlicher Anstrengung hochzuziehen. Fast wäre sie dank des steilen Winkels wieder zurück ins Innere gestolpert, aber irgendwie gelang es ihr hinauszukriechen - ins aufgewühlte Gras zu fallen. Die Strähnen ihres langen, schwarzen Haares hatten sich längst aus den gewachsten Schlingen und Knoten gelöst, hingen ihr wirr ins Gesicht. Izayoi wusste es nicht, aber sie sah schlimmer aus als in den Stunden, in denen sie als kleines Mädchen von einem Baum gefallen war, hinein in das Dickicht eines Haselnussstrauchs. Wahrscheinlich hätte sie das jedoch genauso wenig gekümmert wie das warnende Jappsen Myougas: "Nicht! Deckung!" Oh, wenn diese Menschen doch nur einmal neben der nackten Panik ihren Verstand benutzen würden! Wütend schnaubte der kleine Floh auf, dann glitt er mit einem galanten Sprung hinaus zu den ihn weit überragenden Gräser und Steinen – und schrie nicht minder entsetzt auf, als vor ihm das Fauchen einer Drachendämonin erklang. Waren die denn überall? Sein Meister hatte doch gerade erst einen- "Weg!", quiekte er, aber Izayois Tugenden bestanden nicht aus denen einer Kämpferin. Mit Müh und Not gelang es ihr dem ersten Vorstoß der messerscharfen Zähne zu entkommen und auch das nur, weil sich die im Blutrausch befindliche Echse weder um Winkel, noch um Entfernung scherte. Fauchend fuhr Ligoshs Maul wieder in die Höhe, dann wurde die Youkai taub gegenüber dem Klirren, das von Schwertern und Rüstungen irgendwo in ihrer Nähe kündete. Die Rufe der Verbliebenen waren längst einem Taumel von Eisen und Metallen gewichen, doch all das interessierte sie nicht. Stattdessen sah die gewaltige Dämonin auf die Frau hinab, deren zerfetzte Kleiderschichten bereits mit dem Staub und Schmutz des Bodens besudelt waren. Izayoi wusste um ihre Chancenlosigkeit, noch bevor sie auf die Beine gestolpert war und nach einem abgesplitterten Holzstück griff. Sie war keine Kriegerin, ja, sie wusste nicht einmal wie sie es halten sollte. Allein der Versuch die Drachenyoukai anzufunkeln, war so bizarr, dass es diese in lautes Gelächter ausbrechen ließ. "Du wagst es, Mensch?", höhnte diese. "Du wagst es allen Ernstes?" Drohend bleckte sie die spitzen Zähne, während die junge Frau nach Atem rang und zitternd das Holz entgegnete. Es wurde ihr so rasch entrissen, dass sie nicht einmal schaffte aufzuschreien, bevor die gewaltigen Kiefer die Überreste ins Gras spien. "Närrin", entkam es der Dämonin schlicht, ehe sie unter einer in ihrem Rücken aufbrandenden Welle Youki zusammenzuckte. Diese Energie! "Willst du dir nicht jemanden in deiner Größenordnung suchen, Wurm?" - - - - - - - Uh, aufregend, aufregend. Wie es weitergeht, erfahrt ihr in Kapitel #4, "Dahlienschimmer". [Februar 2020: Die Originalszene fand 2009 noch in einer Kutsche statt, welche nun umgeschrieben wurde. Um der Gewohnheit Willen blieb nur 'Ligosh' erhalten, obwohl das kein klassisch-japanischer Vorname ist.] Kapitel 4: Dahlienschimmer -------------------------- Apfelblüte - Dahlienschimmer - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 12 Das Prickeln in ihrem beschuppten Nacken wich einem heißen, feurigen Ziepen. Gereizt neigte die Drachendämonin ihr Haupt, bevor sie den Kopf schleichend wie der Tod zur Seite drehte und den Kiefer zu einem Lächeln aushakte. "Sieh an." Da stand er, der weiße Schatten. Sein stolz vorgerecktes Kinn und die gezackten Streifen auf den Wangenknochen, ja, all das hätte ihn bereits verraten. Dennoch beeindruckte er durch die Schulterrüstung, den Brustpanzer und die feingewobene Kimonoseide unter den Armschützern, als wäre das Gewicht auf seinen Knochen keiner Rede wert. Die Bänder hielten sein Haar straff im Pferdeschwanz - und doch weigerte sie sich, seinen Namen zu flüstern. Diese Ehre verdiente er nicht! Der Inu no Taishou war ein Narr, wenn er sich mit ihr messen wollte. Ein Fürst unter Fürsten vielleicht, aber Narr blieb Narr. Schlangengleich glitt ihr Leib in die Höhe und es erfüllte die Dämonin mit Schadenfreude, ihren Kontrahenten um etliche Manneslängen zu überragen. Wäre die Luft nicht bereits durch den Geruch des Blutes besudelt gewesen - spätestens jetzt wäre die Ahnung einer unvermeidbaren Auseinandersetzung wie ein Fieber über den Erdboden gekrochen. "Welch reizende Aufwartung", raunte Ligosh süffisant. "Ein kleiner Welpe, der sich offenkundig verlaufen hat." "Spar dir die Floskeln", knurrte der Weißhaarige ungerührt, bevor er seine Klinge in die Waagerechte zog und damit das unheilvolle Grollen des Lindwurms heraufbeschwor. "Du wagst es?", zischte Ligosh scharf. "Du, der mir nicht einmal bis zur Brust reicht? Dummkopf!" Pfeilschnell schoss ihr Körper vorwärts, aber da wo ihr gewaltiger Rachen niederstieß, brach nur Gestein in die Höhe. Elender Welpe! Als ob ihm dieser lächerliche Fluchtversuch sein mickriges Leben verlängern würde! Ungezähmt spie sie die Gräser und Kieselsteine aus, um noch im gleichen Atemzug nach links auszubrechen und um wenige Handbreit sein helles Schulterfell zu verfehlen. Im Gegenzug fuhr die Schwertschneide haarscharf an ihren Augen vorbei; eine Dreistigkeit, die ihr ein donnerndes Fauchen entlockte. Noch während der Boden unter ihrem gewaltigen Leib erzitterte, raffte an ganz anderer Stelle Izayoi entsetzt die zerrissenen Lagen ihres Kimonos. Es wäre irrsinnig gewesen zu behaupten, dass sie mehr als einen weißen Blitz sehen konnte: Ha, als ob! Der Gegner dieses abscheulichen Wesens war viel zu schnell für ihre geschundenen Sinne. Aber wer immer es auch war, sie hoffte, dass ihm nichts geschehen würde. Haltlos stolperte die Fürstentochter schließlich auf die Füße, nahm die ersten Schritte mehr schlecht als recht und ließ die Senke hinter sich. In ihren Ohren rauschte das Blut, bevor sie einen ausblutenden Leichnam ihrer Leibwache erkannte. Sie durfte ihn nur nicht ansehen, sie durfte … Der scharfe Atemzug, den ihre Lungenflügel über sich ergehen ließen, ging in ein Würgen über. Sie hatte sich als kleines Mädchen oft davor gefürchtet, dass irgendjemand aus der Dienerschaft vor ihren Augen sterben würde, aber das hier ... das war ein lebendig gewordener Albtraum. Jäh presste sie die Fingerknöchel gegen die Lippen und versuchte krampfhaft nicht den Verstand zu verlieren. Der ganze, ausgetretene Weg war übersät von staubbedeckten Rüstungen, verdrehten Hälsen und vier dampfenden Drachenleibern, dazu das Ächzen ... bei allen Göttern! Im nächsten Moment schrie sie jedoch auf, da sie irgendetwas an der Hüfte packte und unweigerlich mit sich fortriss. Die hinter ihr explodierenden Gesteine drangen kaum zu ihr hindurch, sodass Ligoshs wutschnaubendes Brüllen das einzige Geräusch war, das ihr Herz panisch zusammenpresste. "Bleib stehen, du Feigling!", keifte die Dämonin, um zornig den Drachenschwanz auf einen Toten niederfahren zu lassen. Wie ein Pfirsich platzte der unter ihrem Gewicht auf, während ihre Stimme umso schriller erklang: "Das ist meine Beute!" Donnernd fuhr der massige Leib hinterher, aber der Herr der Hunde hatte dafür nur ein knappes Lächeln übrig, während er mühelos über ein panisch aufwieherndes Pferd setzte. Die Drachenyoukai war in ihrem Blutdurst nicht halb so gefährlich wie die wild um sich schlagende Frau, die durch ihr Kreischen fast sein Trommelfell zum Platzen brachte. Fast dankbar setzte er sie ein Dutzend Meter weiter vor einer Kiefer wieder ab, um sich noch im gleichen Moment mahnend vorzubeugen: "Was immer Ihr tut, wartet hier!" Das Wimmern wertete er als Zustimmung, bevor er zurück ins Gefecht sprang und den Drachen mit einer ausufernden Wolke aus Staub und Youki in Empfang nahm. Eine funkensprühende Klinge, das lauthalse Brüllen des Lindwurms - die Fürstentochter war längst unfähig geworden, das eine Bild mit dem anderen in Verbindung zu bringen. Alles was in ihrem Kopf gerade aufblitzte, war ein goldenes Augenpaar. Gold! Wie irrsinnig! Es gab keine goldenen Augen unter Menschen, das wusste doch jedes Kind. Fahrig strich sie eine Strähne beiseite, schnitt sich noch an einer scharfen und abgeplatzten Haarnadel, bevor sie abermals nach Atem rang. Ein Traum. Genau! Das alles hier war ein Traum, sie hatte es vorhin doch schon geahnt. Sie musste nur aufwachen. Nur die Augen aufschlagen. Wo war Mashiko, wenn man sie einmal brauchte? Die alte Dienerin wurde es doch sonst nicht müde, sie in den frühen Morgenstunden zu wecken, um ihr das Ankleiden anzukündigen. Kaum, dass sich Izayoi dazu entschieden hatte, in dieser absolut lächerlichen und vollkommen unmöglichen Welt nach ihrer Amme zu suchen, fuhr vor ihr ein Schatten nieder. Ihr entsetzter Aufschrei wölbte ihre Brust, aber sie hatte nicht den Kopf dafür, sich die Angst auszureden, die in ihren Knochen lauerte. "Geht weg!", verlangte sie stattdessen. "Geht einfach nur weg!" Heiser schnappte sie nach Luft, doch das Holz des Kiefernbaumstamms in ihrem Rücken machte es Izayoi unmöglich, noch mehr Abstand zwischen sich und den weißhaarigen Mann zu bringen. Der bloße Versuch, nach hinten zu greifen und sich an der von Pilzen überwucherten Rinde entlang zu tasten, kostete sie das Gleichgewicht und brachte sie ungelenk auf die Knie. Der Herr der Hunde hatte unterdessen überrascht die Augenbrauen gehoben, bevor er sich in einem Lächeln versuchte. Da die Luft noch immer von dem gärenden Gestank der getöteten Drachenbrut erfüllt war, dankten ihm seine Sinne das nicht im Geringsten – aber die zutiefst verängstigte Miene der Frau schien es erforderlich werden zu lassen. „Seid Ihr-?“ „Nein.“ „Nein?“ Sie antwortete, obwohl er noch nicht einmal die Frage beendet hatte? Erstaunt musterte er die blassen Züge, aber ihre Lippen blieben nunmehr geschlossen. Je länger er ihr schmales Gesicht betrachtete, desto ratloser wurde er selbst. Trotz des Staubs an ihr sah er deutlich, dass die schwarzen Haare noch vor Kurzem aufwendig gekämmt und gesteckt, die Seidenlagen parfümiert und unberührt gewesen waren. Er konnte ja nicht ahnen, wie sehr die Enkeltochter des Daimyos gerade damit rang, nicht einfach aufs Geratewohl fortzulaufen. Wäre die scharfe, blutverschmierte Schneide in seiner Hand nicht gewesen, oh, wahrscheinlich hätte sie den Plan längst umgesetzt. „Habt Ihr einen Namen, Menschenkind?“ Schockiert weiteten sich Izayois Pupillen, aber wenn der Hundeyoukai eine Antwort erhofft hatte, wurde er durch ihre Miene enttäuscht. Nun, offenbar war sie behütet genug aufgewachsen, um die letzten Geschehnisse nicht allzu leichtfertig wegzustecken. Seufzend strich er die Klinge an einem nahen Farnbüschel ab, dann schob er sie zurück in die Hülle aus doppelt verstärktem Leder, bevor er an Ort und Stelle in die Hocke sank. "Ihr braucht Euch nicht vor mir zu fürchten, Mädchen. Ich werde Euch nichts tun, darauf gebe ich Euch mein Wort." Die Augenbrauen der Schwarzhaarigen zuckten ungläubig, während ihre Fingerspitzen etwas von ihrer Anspannung verloren. Er gab ihr sein Wort? Hoffte er womöglich auf ihre Unaufmerksamkeit, um sich ähnlich wie die Streuner in Takemarus Erzählungen dann auf sie zu stürzen? Hart schluckend nahm sie letztlich ihren Mut zusammen und versuchte ein zaghaftes Nicken. Worauf sich das bezog, wusste sie selbst nicht so recht, aber es erschien ihr klüger, diesen Mann nicht zu verärgern. Sie bemerkte wohl, dass er sich die Zeit nahm, ihren Überkimono zu mustern, der an den Säumen zerrissen war. Die Bambusschößlinge waren blutbespritzt und dreckverkrustet, und um ihre feinen Söckchen war es nicht besser bestellt. "Wollt Ihr nicht wenigstens aufstehen, wenn Ihr schon Euren Namen für Euch behaltet?" Der Herr der Hunde neigte so langsam wie möglich seinen Kopf, damit sie nicht erneut zu schreien begann. Ihr die Hand zu reichen, hätte wohl den Regeln des dämonischen Anstands entsprochen, aber allein das abrupte Krächzen neben seinem linken Ohr ließ das Vorhaben fallen. "Meister! Wie konntet Ihr nur so unverantwortlich sein! Ihr hättet sterben können!", ereiferte sich dort die wohlbekannte Stimme seines Beraters. "Hätte das Euer Vater gesehen, dann-" "Myouga", unterbrach der Daiyoukai ihn ruhig, "selbst Sesshoumaru hätte nicht anders gehandelt." Der winzige Flohgeist biss sich auf die Lippen, um nicht minder skeptisch zu seinem Herrn zu spähen. Wollte er damit sagen, dass sich der einzige Sohn des Inu no Taishou dazu bewogen gefühlt hätte, einen Tross Menschen zu retten? Abrupt musste er husten, um nicht etwas Unflätiges von sich zu geben. Wohl kaum! Sesshoumaru unterschied sich darin um keinen Fingernagel von seiner Mutter. Ehe er für jemanden einstand, mussten schon die jährlichen Regenfälle Blümchen zur Erde schicken. "Ihr ... ihr seid ein Dämon", erklang es da schwach und wie auf Befehl richteten die beiden Youkai ihre Blicke auf die Frau. Eingeschüchtert zog Izayoi die Schultern empor, weil sie nicht wusste, ob sie den hüpfenden, schwarzen Punkt ebenfalls fürchten sollte. Sie fühlte sich ohnehin einfältig und blind: Die goldenen Augen, die schweren Rüstungsteile am Körper und weißes Haar, obwohl er offensichtlich in der Blüte seiner Jugend stand. Das ließ kaum einen anderen Schluss zu. Kein Mensch hätte einen Drachen besiegen können, und so nahm sie das Nicken des Mannes fast mit Erleichterung wahr. Ein Dämon also ... nein, zwei. Was für ein seltsames Gespann. Aber wer war sie, darüber zu urteilen? Sie kannte nur die handbemalten Rollbilder ihres Großvaters, auf denen sich Oni und mächtigere Geschöpfe an die Kehlen sprangen, ehe Pfeile sie durchbohrten. Dazu gab es viele Geschichten um raubende und mordende Gestalten, die bei Nacht und Nebel in schlechtbewachte Herrenhäuser eindrangen. Wenn Gefahren einen Namen erhielten, konnte man sich die Furcht vor ihnen besser einteilen. Takemarus Männer hatten davon gesprochen, als sie klein war. Seine treuen Männer hatten ... hatten ... Die Bilder ihrer Leichen sprangen sie vor ihrem geistigen Auge so unwirsch an, als könnte ihnen jemand neues Leben einhauchen. Die Gedärme, das dampfende Blut! Angst griff nach ihr. Wie sollte sie darüber jemals sprechen, wenn ihr Großvater danach verlangte? Sie wusste nicht einmal, welcher Pfad heim und welcher zu ihrer Schwester führte. Hierzubleiben, nein, niemals. Gab es ein Dorf in der Nähe, in dem sie um Schutz und Geleit bitten könnte? Doch halt: Die Drachendämonin hatte von 'Beute' gesprochen, als der Fremde sie ihrem gewaltigen Maul entriss. Vielleicht ließ er sie nie wieder gehen? Izayoi kannte den Wert einer Frau unter Menschen und wusste, wie man über Bäuerinnen und Hofdamen dachte, doch nicht unter seinesgleichen. Die Kälte, die sich unverhofft über ihren Unterarm schob, ging in ein grausames Frösteln über. Rasch zog sie an dem Seidenkrepp in ihren Ärmelschleppen, um sich davon nicht überwältigen zu lassen. Dann schöpfte sie schaudernd Atem. Himmel! Sie hatte genug von diesen Ereignissen. Wirklich genug. "Meister, was habt Ihr nun vor?" "Ich warte", erwiderte der Inu no Taishou mit einem langen Blick auf die junge Frau, die sich wie ein Aal an ihrem Platz wandte. Er kannte diesen Ausdruck, immerhin ähnelte er dem von gefangenen Wildvögeln, bevor man ihnen die Flügel ausriss. Der dümmliche Ausdruck Myougas entging ihm dabei freilich. "Worauf-?" 13 Schweigend sah Sesshoumaru auf die sanft im Wind wiegenden Blätter und Äste, durch die sich das Sonnenlicht auf die Erde schob. Die Witterung stand so schwach in der Luft, dass es ihm unnütz schien, sich ihrer überhaupt zu bemühen. Nun, er hatte es kaum anders erwartet. Sein Vater wäre nicht der Mann, als den er ihn schätzte, wenn er hier sang- und klanglos gestanden oder ihm gar zugewunken hätte. Die Sinne seiner Familie hatte er nie auf herkömmlichem Wege schulen wollen, immer war eine Überraschung oder eine Finte dabei gewesen. Jahrhundertelang das gleiche Muster, immer und immer wieder. Eine Schnitzeljagd für Arme. Ausdruckslos senkte der junge Dämon den Blick, um den mit Rochenhaut bespannten Griff seines Schwertes zu berühren und auf die verbliebenen Umgebungsgeräusche zu lauschen. Es lag auf der Hand, dass der Inu no Taishou viele seiner Einfälle von den Spielen der Menschenkinder entlehnt hatte, aber auch dieser Umstand würde Sesshoumaru nicht den Erfolg nehmen, ihn aufzuspüren. Enttäuschungen waren etwas für zweitgeborene Söhne. Doch wohin hatte sich der Herr der Hunde gewandt? Sesshoumaru zweifelte nicht daran, dass sein verehrter Herr Vater ebenfalls die Rauchschwaden und niedergebrannten Hütten entdeckt hatte. Derlei anzurichten, lag ihm fern: Eisige Zugluft preschte an Steinmauern vorbei, denen Brocken fehlten, als wollten sie Zahnlücken entblößen. Dazwischen kauerten Gestalten und suchten in den Ruinen mit bloßen, fieberhaft grabenden Händen nach ihresgleichen. Manche schleppten Leiber wie Reissäcke. Sesshoumaru hob das Kinn und entließ ein verächtliches Schnauben. Tze. In diesem Menschendorf war nichts unversehrt geblieben - außer einem knorrigen Kirschblütenbaum. Augenblicke später wurden er auf einen abgeknickten Grashalm neben seinen Füßen aufmerksam, an dessen Blattunterseite ein zertretenes Insekt klebte. Ein Fühler flatterte träge und zeigte nach Norden. So viel zum Thema des versteckten Hinweises. Interessant. 14 Das konnte doch nicht wahr sein. Er musste sich den Kopf gestoßen haben, eindeutig! Mürrisch nagte Myouga auf seiner Unterlippe, die gewiss schon die ein oder andere Scharte für die Ewigkeit davon getragen hatte. Es wurmte ihn, sichtbar sogar! Wie konnte man nur derart verbohrt und stur sein? Noch dazu gerade wegen eines Menschenmädchens, das schneller starb, als er selbst blinzeln würde. Wie frustrierend! Er hatte ja schon immer geglaubt, dass sich der Inu no Taishou viel zu sehr für die Belange der schwächeren Rasse interessierte, aber diese Verzögerung entbehrte jedweder Vernunft. Die Drachen lagen erschlagen im Staub. Welchen Grund gab es noch zu warten? Wenn seine Gefährtin hiervon erfuhr, würde sie zu Recht ungehalten darüber sein. So weit man in der Residenz des Westens tuschelte, erzürnte sie das weichherzige Auftretens ihres Mannes gegenüber der Dienerschaft von Jahrhundert zu Jahrhundert mehr. Er duldete Menschen dort. Welcher Fürst tat das? Manchmal ließ er sich sogar von ihnen berichten, was ihre Herzen schwer werden und ihre Münder zaudern ließ. Die Grenzen des Standes verschwammen in ihren Augen wohl zu leicht – und in denen Myougas war es eine seltsame Beschäftigung, um sich von der Vergangenheit abzulenken. Natürlich hatte er noch die Erklärung seines Herrn im Kopf: 'Nur wer sich nach allen Seiten umsieht und dazulernt, kann bessere Entscheidungen treffen. Ich führe nicht jeden Kampf mit dem Schwert, Myouga.' Nein, manchen sprang er auch aus dem Weg, um an der nächsten Schwierigkeit zu feilen, doch solche Hinweise überhörte er. Hmpf! Wenn er die Spuren der Flucht an der Frau ignorierte, erkannte Myouga dichtgewebte Stoffe, die am Halskragen von einem dunklen Pflaumenton in gelb, orange und rot übergingen. Unter Menschen musste sie einen hohen Rang bekleiden. Wahrscheinlich war sie die Tochter eines Fürsten oder aber dessen verehrte Schwester. Wenn er an den Tross dachte und die Gefallenen, erschien es ihm trotzdem unklug, in ihrer Nähe zu verweilen. Wo waren die vielen Hofdamen, die Dienerinnen und allerlei Zierrat, welcher sonst einflussreichen Familienmitgliedern auf dem Fuße folgte? Drachen trugen ihre Beute nicht fort wie es Falkendämonen bevorzugten. Zudem hatte er aus seinem Versteck, direkt hinter einer umgestürzten Lacktruhe am Bambusfenster des Palankin, genau beobachten können, wie ein einzelner Reiter in Waffen während des Angriffs davongestürmt war. Wenn man das Menschenkind nicht bald suchen kam, würden ihnen andere Dämonen und Aasfresser Scherereien machen. Seufzend rieb sich Myouga mit seinen vier Händen die Schläfen und zupfte danach an seinen Bartenden, um schließlich einen Blick auf den Herrn der westlichen Länder zu werfen, der sich lächelnd zu ihr ins Gras gesetzt hatte. Wo sollte das nur enden? 15 Scharf fuhr die Schneide nieder, ehe sie in die Waagerechte gerissen wurde und der Mann einen Ausfallschritt zur Seite probte. Für Setsuna no Takemaru war es keine ungewöhnliche Art, den Ärger der Ernte auf diese Weise zu vergessen. Die Kraft, die allein in dieser Geste lag, brachte seine Atmung in eine grimmige Bredouille, aber er hatte Besseres zu tun, als auf solch eine Nebensächlichkeit zu achten. Der nächste Hieb ließ eine Fontäne aus Sand und Kies im Hof emporfliegen, sodass sich etliche Körner in seinem kurzen, geölten Haar verfingen, das er aus dem Gesicht gebunden trug. Diese Bauern! Im letzten Jahr war ihnen der Fleiß in die sonnengegerbten Gesichter gebrannt gewesen und nun ließ man ihn einen ganzen Morgen auf die Saatlisten warten, als hätten sich die Götter selbst gegen sein Vorhaben verschworen. War er zu anmaßend? Zu entschlossen, den Tross und Izayoi-sama noch vor der Dämmerung des dritten Abends einzuholen, um seinen Stellvertreter abzulösen? Das ungute Gefühl in seinem Magen gärte wie Reiswein, dem das Tageslicht und die Frischluft verwehrt wurden. Er vertraute dem drahtigen Mann, denn dieser war wie ein Blätterreigen um ihre gemeinsamen Feinde getanzt und hatte sie vernichtend schlagen können. In den hohen Bergen jenseits der Ebene Musashis marschierten sie einst gemeinsam durch Schneewehen, entkamen Hinterhalten und kämpften sich zurück zum Daimyo der südwestlichen Gefilde - ihrem Fürsten. Dennoch zweifelte sein Verstand an, dass es einen anderen Mann geben konnte, der bereitwilliger als er für Izayoi-sama in die nächste Welt einkehren würde. Das Training bot da einen mehr als ehrhaften Zeitvertreib, der die Geschicklichkeit schulte und seine Nerven stählte. Nein, mehr noch: Es würde ihn für jede Auseinandersetzung formen, die in der Zukunft auf ihn lauern konnte. Nachlässig zu werden oder gar einen freien Tag damit zu verbringen, nichtsnutzig in seinen Räumen zu knien, war keine Option. Eine einzige Stunde mochte einst darüber entscheiden, ob er das Leben der jungen Herrin schützen könnte. Allein diese Aufgabe forderte alles von ihm! Entschlossen setzte er den rechten Fuß nach, hob ein zweites Mal die Klinge empor und ließ sie in raschen Schwüngen und Kehrtwenden durch die Luft fahren. Das Rauschen der Schneide, das Brennen seiner Muskeln: Nichts konnte gut genug sein, um sich weiter zu entwickeln. 16 Federweich schlugen die Grashalme gegen den Stoff seiner Hosen, tanzten an der Seite der Schwerter und vermittelten dem Herrn der Hunde eine beinahe trügerische Ruhe. Hätte man sich einzig und allein auf die Geräusche der Natur besonnen, so wäre ihm mühelos der vorangegangene Kampf entfallen. Dass Myouga sich unter einer Ausrede zurückgezogen hatte, war nicht weiter überraschend gewesen. Nein, was ihn vielmehr erstaunte, war die Tatsache, dass sich die junge Frau auch nach etlichen Minuten des Schweigens nicht dazu berufen fühlte, ihren Platz zu verlassen. Eigenartig. Bisher hatte er nur Menschen gesehen, die sich wie wild geworden gebärdeten, weinten und schrien oder aber auch ganz andere, dumme Dinge taten. Offensichtlich schien sie sich davon jedoch abzugrenzen, denn bis auf einige, kurze Blicke, die dem Weg hinter ihm galten, blieb sie erstaunlich in sich gekehrt. Wahrscheinlich sah sie in diesem Flecken Erde eine Sicherheit, die anderswo nur Schall und Rauch sein konnte. Es gab schlechtere Gesellschaft als das Harz am Kieferstamm. "Ihr werdet Euch verkühlen, wenn Ihr bis zum Einbruch der Nacht hier sitzen bleiben wollt", merkte er an, und konnte sich prompt ihrer Aufmerksamkeit sicher sein. Ihre braunen Augen fuhren nervös die Linie seines Kinns ab, bis sie bei den Streifen auf seinen Wangenknochen innehielt. Dann erinnerte sich Izayoi daran, dass man dergleichen bei einem Fremden nicht tat. Nie! War sie denn so durcheinander? Vielleicht durfte sie es als Frau bei Dämonen wagen, aber sie wollte ihr Glück nicht strapazieren. "Ihr ... Ihr müsst Euch nicht um mich sorgen, hoher Herr", flüsterte sie in einer Tonlage, die rauer als unpoliertes Eisen klang. Fast wollte sie die Hand vor die Lippen schlagen, weil sie sich vor ihrer vom Schreien heiser gewordenen Stimme erschrak, aber da war der Satz bereits vernommen worden. "Hoher Herr?" Sie wusste, wer er war? Das überraschte ihn. Menschenkinder jenseits der Residenz bevorzugten andere Anreden - und auch das nur, wenn er sie zuvor selbst ansprach. Gedankenversunken neigte er den Kopf, sodass die zusammengebundenen, schneeweißen Haare träge von der Schulter glitten. Die Spannung, die er bis dato in seine Haltung gelegt hatte, wich einem durch und durch nachdenklichen Gesichtsausdruck, ehe der Daiyoukai das Kinn auf die Handfläche stützte. Izayoi, die aufgrund des Knirschens der Rüstung verstohlen den Blick gehoben hatte, musste mit Schrecken erkennen, dass er dadurch viel harmloser aussah. Ein Dämon und harmlos! Oh, hoffentlich konnte er keine Gedanken lesen. "Seid Ihr immer so schweigsam, Menschenkind?" "Ich ... verzeiht", flüsterte sie zurück, ehe sie die zusammengepressten Fingerknöchel in die Ärmelschleppen zurückzog, weil diese einem weißen Schimmer anheimfielen. Unglücklicherweise blieb es nicht bei der Stille zwischen ihnen, da er leise seufzte. Sollte sie etwas erwidern? Doch was? "Hoher Herr?" Der Herr der westlichen Länder hob flugs eine Augenbraue, bevor er ein Lächeln auf die Lippen bettete, von dem er hoffte, es würde sie nicht gleich wieder verängstigen. "Wollt Ihr mir sagen, wohin Eure Reise gehen sollte?" "Zu ... zu meiner Schwester", erwiderte die Fürstentochter stockend. "Sie hat vor zwei Monden einen Sohn geboren und nach mir geschickt." Der Inu no Taishou nickte ihr warmherzig zu. "Eine freudige Nachricht." "Ja, hoher Herr." Ob er sich damit zufrieden geben würde? Sie hoffte es inständig. Obwohl man sie in vielen mühseligen Stunden in den Grundregeln der Konversation unterrichtet hatte, beschränkten sich ihre Aufgaben auf das Spielen des Shamisen und der Zubereitung des Tees in geselliger Runde. Wurden Gäste empfangen, ließ man sie niemals allein mit ihnen zurück. Etwas, dass sie nun jedoch vor die Frage stellte, worüber sie sich mit einem Mann - ja, mit einem Dämon - unterhalten sollte. Er schien neugierig zu sein, ohne dass seinem Tonfall Ärger anhaftete. Bevorzugten es Wesen wie er überhaupt zu sprechen? Vielleicht waren sie geübter im Schweigen oder erwarteten, dass man ihnen nur zuhörte. Angestrengt versuchte sie sich an die alten Geschichten zu erinnern, die ihr Mashi- Mashiko! Ihr Gesicht verlor mit einem Mal an Farbe, bis sie so blass wie eine Totenmaske ins Nichts starrte. Izayoi glaubte erneut zu sehen, wie die alte Dienerin aus dem Palankin gerissen und unter einem markerschütternden Schrei davongeschleudert wurde. Dazu ihr eigener, vergeblicher Versuch, sie zu finden, bevor der Dämon sie an der Hüfte gepackt und fortgerissen hatte. Bei allen Göttern! Sie hatte sich nur ein einziges Mal gefragt, was aus ihrer Amme geworden war. Hastig sah sie auf, vorbei an der Schulterrüstung des Daiyoukais, der sie lediglich still musterte. Der Geruch, der bis dahin von ihr ausgegangen war, hatte eine Note angenommen, den Menschen mit dem scharfen Meerrettich verglichen hätten. Sie war in Aufruhr, ja. Aber weswegen? - - - - - - - Tja, das wird unser Inu no Taishou wohl erst in Kapitel #5, "Jasminsilber", erfahren. Es sei denn, es kommt noch irgendetwas Niederträchtiges dazwischen ... Kapitel 5: Jasminsilber ----------------------- Apfelblüte - Jasminsilber - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 17 Angespannt biss sich Izayoi auf die Unterlippe, während sie spürte, wie ihr Herz wuchtig gegen die eigenen Rippen schlug. Diese Unruhe, dieser Druck. Sie musste es wagen und sich Gewissheit verschaffen, wie es um ihre Freiheit im Angesicht des Dämons bestellt war. Ihre Fingerspitzen fuhren von den zerschlissenen Lagen des Kimonos fort, hinein ins Gras. Dann verbeugte sie sich tiefer denn je. "G-gestattet Ihr mir aufzustehen, hoher Herr?" Überrascht weiteten sich die Pupillen des Inu no Taishou, ehe er mit einer Handgeste sein Nicken unterstrich und die Halme, Gesteinsbrocken und Baumpilze mit einschloss. "Ihr seid nicht meine Gefangene, Menschenkind. Geht, wohin Ihr auch immer gehen wollt." "Ich danke Euch", murmelte die junge Frau ergeben, beugte das Haupt bis zum Erdboden hinab und stützte sich dann trotz der erdrückend schweren Stofflagen in die Höhe. Wie der Fächerahorn im Wind schwankte sie, doch sie wagte es keinen Augenblick lang, den Blick von seinen Zügen zu nehmen, ehe sie nicht an ihm vorbei war. Ihre Furcht rührte ihn. Offenbar zweifelte sie an seinen guten Absichten, so wie es alle Menschenkinder taten, die den Schrecken des Todes beigewohnt hatten und fortan Dämonen mieden. Vielleicht ahnte sie sogar, dass er keine Schwerter benötigte, um seiner Natur zu folgen. Wenn er gewollt hätte, wäre ihr Rücken ein einladendes Ziel gewesen, um sie noch im Lauf zu erschlagen - sogar seine Instinkte, so gut beherrscht sie auch in der Brust ruhten, regten sich bei einer flüchtenden Beute. Freilich hatte er als Herr der Hunde Besseres zu tun, als sich solchen Gefühlen hinzugeben, und so hob er lediglich den Kopf, als ihm seine Sinne das Geräusch von über Stein kratzenden Stoffen zutrugen. Einen Moment schien die Schwarzhaarige im Schritt zu stocken und zu taumeln, ehe sie wie ein Kronenkranich auf die Knie sank. Ah. Natürlich, zwischen den Findlingen musste einer ihrer Gefolgsmänner liegen. Der herbe Geruch des Todes tränkte noch immer das Schlachtfeld, aber er war längst nicht mehr so frisch wie zu jenem Zeitpunkt, an dem die Knochen auseinandergesplittert oder die Kiesel mit dunklem Blut gespeist worden waren. Gefasst erhob sich der Daiyoukai von seinem Platz, um unter dem Klappern seiner Schwertscheiden zu ihr zu gehen. Je dichter er kam, desto mehr verwunderte ihn die Geräuschkulisse. Dieses Menschenkind ... weinte? War das tatsächlich möglich? Augenscheinlich ja. Seine Ohren waren frei von jeglichem Summen, das ihn manchmal durch das Klirren der Waffen wie einen Geist verfolgte. Es war die einzige Erklärung dafür, weshalb sie die Hände gegen ihren Mund presste und sich wie ein verlassener Welpe im eigenen Kummer vor- und zurückwog. Sie trauerte, als ob sie einen Angehörigen verloren hätte. Ein Kind, einen Mann. Gleich wen, aber er hatte dergleichen zu oft in den Mauern seiner Residenz gehört, um nicht die Lippen zu einer schmalen Linie zusammenzupressen. Am Ende glitt die Hand des Inu no Taishou zum Griff seines zweiten Schwertes, um dieses in einer geschmeidigen Bewegung aus der Scheide zu ziehen. "Tretet zurück", forderte er bestimmt und das Gras wich unter seinem schweren Schritt wie Schatten vor dem Sonnenlicht. Wäre die Spiegelung nicht gewesen, welche die Klinge über sein Gesicht huschen ließ, Izayoi hätte ihn kaum inmitten des Tränenschleiers erkannt. Statt jedoch augenblicklich zu gehorchen, hob sich ihr Brustkorb unter einem weiteren Laut des Elends. Ihre Hand fuhr über die Wange, als hielte sie alle Grausamkeit des Tages dahinter gefangen. Aber musste es nicht so sein? Konnte ihre Hofdame, ihre teure Mashiko, tatsächlich so seltsam verdreht zu ihren Knien liegen, sodass sie ihren Körper kaum zu berühren wagte? "Ich bitte Euch", wiederholte der Daiyoukai unter dem leisen Timbre des Schwertes. "Tretet zurück." 18 "Was sagst du da?!" Der General war mit einem Schlag so bleich, dass die Fassungslosigkeit in seinen Mundwinkeln schlimmer aufzulodern schien, als jegliche Unbeherrschtheit, die er einst in Jugendtagen sein Eigen genannt hatte. Die Worte des Laufburschen, das Wissen in seinem Training zwischen Schweiß und heiseren Atemzügen gestört worden zu sein: Takemarus Unmut verblasste so rasch, dass er nicht einmal merkte, wie er die Klinge fallen ließ. Das Schwert schaffte es kaum auf dem sandigen Innenhof aufzuschlagen, da war der hagere Jüngling bereits an den Schultern gepackt und mit einem zornigen Schnauben bedacht worden. Einen Augenblick standen sie wie ungleiche Statuen da, dann brach dem Untergebenen der Schweiß auf der Stirn aus. Seine pausbäckigen Züge, die sich sonst der Ruhe der Koikarpfen in den Teichen anpassten, liefen in einem fleckigen Rot an und die Strohsandalen klapperten gegen seine Fersen, als er unter sich vergeblich Erdboden suchte. Takemaru hätte der Versuch kaum kälter lassen können. Alles was ihn interessierte, alles was er wissen musste, war eine Sache: "Wo ist sie? Wo ist Izayoi-sama? Sprich!" Der Griff um den Kragen des fremden Yukata verfestigte sich, doch es war mehr als Furcht, die dem Anderen die Kehle zuschnürte. "Ich bitte Euch, Herr! Er ... er kehrte allein zurück und brach vor den halbmondförmigen Toren-" "Wo?!", bellte Takemaru in das Gestammel dazwischen und kaum, dass die verhängnisvollen Worte von der Zunge sprudelten und sich überschlugen, verlor sein Gesicht den letzten, mühsam an sich gerafften Zug der Beherrschung. Den dürren Laufburschen ließ er so erstarrt los, als hätte er einem Gespenst in die Augen geblickt. "Unmöglich", raunte Setsuna fassungslos, nur um dem Schluckenden im nächsten Moment erneut harsch und unversöhnlich das Gesicht zuzuwenden. "Bereite mir mein Pferd vor, Akeno! Auf der Stelle, oder ich werde dafür sorgen, dass dich deine Ahnen heute Nacht in Häppchen zu Gesicht bekommen!" 19 Bei allem, was ihr heilig war! Der Atemzug, der jäh durch den Körper schnitt, hob sogar den Brustkorb vom aufgewühlten Erdboden empor – dann hatte Mashiko ihre Augen aufgerissen und unter einem heiseren Krächzen das Leben zurück. Die blauschimmernde Klinge, die kurz darauf neben ihr zu Boden sank und gegen einen Stein schlug, wurde begleitet von einem ausdruckslosen, aber dennoch zufriedenen Gesicht des Herrn der westlichen Länder. Hätte der Inu no Taishou Wert darauf gelegt, dann hätte er es der Schwarzhaarigen oder ihrer Dienerin erklärt. Aber in diesem Augenblick scherte er sich mehr um das eigentümliche Kribbeln in seinen Fingerspitzen, das ihn Tensaiga wegstecken und die Hand kurz darauf dehnen ließ. Anschließend nickte er der Fürstentochter zu, die noch immer wie betäubt auf die Szenerie starrte, als ob sie soeben in einem äußerst unglaubwürdigen Traum verstrickt wäre. "Was habt Ihr-?" Wie? "Achtet nicht auf mich. Es wird noch einen Augenblick dauern, bis sie sich gefangen hat", unterbrach der Hundedämon nachsichtig. "Ihr Blut muss erst lernen, wieder zu fließen." Still widmete er sich seinem beanspruchten Handgelenk, um es zu umgreifen und ein unangenehmes Knacken hervorzurufen. Hässlich, ja. Aber dennoch unvermeidbar, wenn er nicht mit dem Belastungsschmerz auskommen wollte. Dafür, dass ihm der Schmied eine solch hervorragende Arbeit unter Mosern und Zetern ausgehändigt hatte, schien es ihm noch immer, als ob Tensaiga einen eigenen Willen besäße. Gewundert hätte es ihn selbstverständlich nicht. Jeder Zauber, jede Magie – ja, selbst jedes Youki – unterlief einer Macht, die sich erschöpfen konnte. Scheiterte der Geist und gute Wille, rieselte Stärke wie Sand durch die Finger. Geerdet betrachtete sich der Inu no Taishou seine Klauen, dann warf er einen Blick zur Seite. Es dauerte nicht lang, dann stahl sich ein Lächeln auf seine Züge, das weich wie das Fell auf seinen Schultern gedieh. Offenbar war es ein guter Entschluss gewesen, wenn er nun zu sehen bekam, wie wenig die Etikette bei dieser Umarmung beachtet wurde: Dass die Amme überrascht unter dem Gewicht ihrer Herrin aufkeuchte, ließ ihn am Ende nur zufrieden fortschreiten. Was zählte schon der Stand, wenn es nur darum ging, etwas Herzlichkeit auf der Zunge zu tragen? Warum sollte die Geburt oder das Alter darüber entscheiden, welchen Umgang man miteinander pflegte? "Das ist doch nicht Euer Ernst, Meister!", schalt es da nahe seines rechten Ohrs und tatsächlich dämpfte er augenblicklich seinen Schritt. "Ah, Myouga. Du bist zurück." "Ihr könnt doch kein Menschenkind mit dem mächtigen Tensaiga zurückholen!", schimpfte der Flohyoukai unter einem hochroten Saugrüssel, bevor er wegen eines aufblitzenden Fangzahns und Lächelns zusammenfuhr. "Wofür sollte ich es sonst verwenden?" "Das ... das ist doch keine angemessene Frage", hielt der schmächtige Dämon entgegen. "Ihr kennt diese Menschenkinder nicht einmal. Wenn Eure Gefährtin von Eurer Großzügigkeit erfährt, wird sie gewiss erbost sein!" Der Herr der Hunde hob die Mundwinkel an, die sich so seicht wie Seide in seinen Zügen ausnahmen. "Das würde voraussetzen, sie hätte hier einen Beobachter, der zum Plaudern neigt, und außer uns ist niemand vor Ort, Myouga." "Oh." Das betretene Schweigen, das folgte, versackte wie Blei in den Gliedern des Beraters. Dann zückte er umso verlegener ein Tuch aus seinem grünen, schlichten Gewand und betupfte sich die feuchte Stirn, als habe das Gras unter seinen Füßen Tau nach ihm gespuckt. "Ich ... ich wollte es lediglich bemerkt haben." "Selbstverständlich. Ich weiß deine Mühen wie immer zu schätzen, alter Freund." Die Miene des Hundedämons weichte auf, ehe er einen Sekundenbruchteil später zur Seite sprang – und mit dem entsetzten Aufschrei des Flohyoukais ein weitaus schlimmeres Schicksal erlitt, als durch die in den Boden fahrende Klinge. Die Rauchwolke, die sich neben den Erdbrocken verflüchtigte, änderte jedoch nichts daran, dass er ein kurzes Schnauben hörte. "Vater." "Fast", erwiderte dieser mit einem provokanten Blitzen in den Augen. "Der Wind hat eine Sekunde zu früh gewendet, um den Überraschungsmoment ganz auf deiner Seite zu wissen." "In der Tat." Falls es Sesshoumaru erzürnte, sein Ziel verfehlt zu haben, ließ er es durch nichts erkennbar werden. Wortlos steckte er das Schwert zurück in die Scheide, um einen Blick auf das nahe Umfeld zu werfen. Die nächste Böe trieb sein langes Haar scharf gegen den Kieferknochen, doch als Sohn des mächtigsten Dämons im Westen sah er seine Pflicht bereits erfüllt, indem er die tanzenden Strähnen, den Brokatobi und die Hakama-Hosen mit Nichtachtung strafte. Der Geruch der bereits verwesenden Gestalten beleidigte seine Sinne. "Ein eigenartiger Ort, den Ihr erwählt habt." "Du irrst dich, Sohn. Nicht ich habe ihn gewählt, sondern diese Frauen." "Menschen." "Frauen", wiederholte der Herr der Hunde bestimmt. "Ich werde sie begleiten." Knisternd fuhr der Wind durch die Kieselsteine und Gräser am Boden, bevor er einen vereinzelten Halm abriss und durch die Luft davonflattern ließ. Vor der Nase des jüngeren Hundedämons beschrieb er einen Kreisel, dann wandte sich dieser ab. 20 Es durfte nicht sein. Allein der Gedanke schnürte seine Lungenflügel zusammen, bis er nicht zu sagen vermochte, ob es an den Entbehrungen des Trainings lag, dass er nach Luft ringen musste oder an der Vorahnung. Aber gleich, was es war, er würde es verhindern. Er, Setsuna no Takemaru, würde noch rechtzeitig eintreffen und die Enkelin seines Herrn, Izayoi, schützen! „He!“, spornte er donnernd an, um die Zügel enger zu fassen und das Tier über den Pfad preschen zu lassen. Die Steine, die in alle Richtungen davon flogen, die Gräser: Es hätte ihn nicht weniger interessieren können. Selbst die Bauern, die sich in der Abenddämmerung von ihren Feldern aus heimwärts schoben, sprangen ihm so behände aus dem Weg, als ob es kein Morgen gäbe. Dem grimmig aussehenden Mann einen Fluch hinterherzuwerfen, der in schwerer Rüstung und mit den leuchtenden Farben des Daimyos gezeichnet war? Oh, bei der Sonnengöttin! Man war nicht dumm genug, einen solchen Herrn zu erzürnen und was immer ihn in diesem verheerenden Tempo auch über Wurzeln und Büsche jagen ließ, er schien keinen Kopf für Anderes zu haben. Sollte er tun, was immer er tun wollte! Von ihnen konnte schließlich keiner ahnen, dass selbst das Ross mit sämtlichem Schaum vor den Nüstern bereit war, an die Grenzen zu gehen. Das Wort Dämon hing dabei wie ein Damoklesschwert über dem Nacken des Generals, erzürnte seine Seele wie ein triefend rotes Meer aus Blut. Wie hatte es dieser einfältige Narr nur wagen können, ihn erst Minuten nach dem Eintreffen vor den Toren benachrichtigen zu lassen? Ihn? Hätte er nicht bereits einem Blutegel gleich im Staub gelegen, während sich Wachen um ihn scharten und der erste Heiler die Stufen hinabeilte, Setsuna selbst hätte sich dafür verbürgt, ihm diese Knochenbrüche beikommen zu lassen. Seinem Befehl hatte er sich widersetzt! Statt für das Wohlergehen Izayoi-samas zu sterben, war er auf einem zu Schande gerittenen Pferd zurückgekehrt – nur um ihm mitzuteilen, dass sie allesamt in einen Hinterhalt geraten waren! Der Zorn, der allein bei dem Gedanken an diese Schilderung in seinen Venen entlang tobte, ließ Setsuna nur umso heftiger die Fersen in die Flanken des Pferdes treiben. Der Sprung, den das Tier wiehernd zurücklegte, täuschte jedoch nicht darüber, dass die Ehre dieses Mannes verloren war. Er selbst würde eher Seppuku begehen, als mit der Gewissheit zu leben, der Fürstentochter nicht wie einst geschworen beiseitestehen zu können. Ihr Leben war das seine, ihre Gesundheit sein Elixier. Sollte der Fürst ihn später dafür richten, ohne sein Urteil und Segen die Residenz verlassen zu haben. Gewiss hätte er ihm hundert Männer mitgegeben, doch jeder tatenlose Atemzug wäre bis zum Aufbruch sein Untergang geworden. Bis jedes Ross gesattelt, jede Sehne gewachst und bespannt, ja, jeder Mönch Entschlossenheit in seine Gebetsperlen gelegt hätte, mochte das Schicksal über sie hereingebrochen sein. Nichts und niemand würde ihn davon abhalten, diesen Dämon in tausend Stücke zu zerreißen, wenn er es gewagt hatte, seiner Herrin Izayoi auch nur ein Haar zu krümmen! - - - - - - - Hm, das ist jetzt aber sehr tapfer von unserem lieben General. Ob er sich da nicht etwas übernimmt? Kapitel #6, "Eisenhut", wird es zeigen! :-) Kapitel 6: Eisenhut ------------------- Apfelblüte - Eisenhut - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 21 Bebend ließ die Amme ihren Blick ein weiteres Mal über den Pfad streifen, der selbst hier, etliche Meter entfernt auf einer grünen Wiese, noch deutlich herausstach. Die Drachenleiber, das geborstene Holz, die Männer des Generals ... hätte sie sich weniger die Hand vor den Mund gehalten, wäre ihr das zitternde Schluchzen augenblicklich aus der Kehle geschlüpft. Was für ein grauenhafter Tag das nur war! Sie hatte den Tod in ihrem Leben oft mitansehen müssen, doch nie zuvor auf einem Schlachtfeld. Es ängstigte sie, sich daran zu erinnern, wie nass die Wangen der Fürstentochter geglänzt hatten und mit welch Unbeherrschtheit Izayoi sie an sich ziehen musste, als wäre sie ein Geist, der sonst wieder verschwand. Die zarten Finger waren wie im Fieber und trunken vor Erleichterung über ihre Schultern hinab zu den Händen gefahren. Selbst jetzt glaubte sie noch, den Druck spüren zu können. Mashiko sah an sich hinab, um das Gräuel des Sterbens mit ihrem Verstand zu bekämpfen. Die Sehnen überspannten ihre Fingerknöchel, dazu pochte ein dumpfer Schmerz hinter ihren Schläfen und der trockene Geschmack auf der Zunge lud zum Schlechtwerden ein: Fast musste sie sich beeilen, um sowohl den Gedanken daran zu verscheuchen, als auch erneut die zwei Schritte zu ihrer Herrin aufzuschließen. Izayoi schenkte ihr ein zartes Lächeln, doch Mashiko ahnte, dass die Enkeltochter des Daimyos das Geschehene nicht derart leichtfertig verarbeitete. Wie hätte sie das auch gekonnt? Ihr ganzes Leben war darauf ausgerichtet gewesen, sich in den Tugenden einer zukünftigen Mutter und Ehefrau zu üben, und die Erkenntnis beschämte die alte Frau beinahe. Die Enkeltochter eines Daimyos lernte wenig von den Schrecken der Welt, während eine Dienerin wie sie darum bemüht war, ihr nur die hellen und lichten Momente vorherzusagen: Wie erfüllend es sein würde, das Shamisen zu beherrschen oder gar wie stolz ihr Großvater über jede richtige Verbeugung vor einem Gatten wäre. Mit der Wirklichkeit, der harten Arbeit der Bauern oder den grausamen Überfällen der Nachbarn auf die eigenen Ländereien, hatte das wenig zu tun. Fahrig strich sich Mashiko über Bauch und Hüften, ehe sie ihre eigene Furcht zugunsten Izayois bezähmte. Wenn ihnen das Glück hold war, würde dieser eigenartige Fremde auch weiterhin für ihren Schutz Sorge tragen. Noch wollte es ihr nicht in den Kopf, dass sie einem Daiyoukai den Atem in ihren Lungen verdankte. Nie zuvor hatte sie von einer solchen Macht gehört, aber – "Mashiko?", flüsterte es da unverhofft. Die Angesprochene blinzelte, nur um dann zügig den Kopf zu neigen. "Herrin?" "Wir müssen ihm danken, oder nicht?", hakte die Schwarzhaarige unsicher ein, ehe ihre Aufmerksamkeit erneut die glänzende Rüstung des Inu no Taishou streifte. Trotzdem sie fürchtete, er könne sie hören und würde ihre Unwissenheit als Beleidigung auffassen, war es ihr doch zu wichtig, um nicht auf eine Antwort zu drängen. "Weißt du, auf welche Art?" "Izayoi-sama", raunte Mashiko unglücklich. Wie sollte sie ihr das erklären? "Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt etwas gibt, was ihm ausreichender Lohn wäre ... er ist ein Dämon." Die junge Frau runzelte betroffen die Stirn, ohne dass sie die wahre Befürchtung ihrer Dienerin erriet. Im Gegensatz zu ihr kannte sie nur jene Geschichten, in denen sich Youkai als Ratgeber ausgaben und gutherzige Menschen in ihr Unglück stießen – nicht jene, in denen sie für ihre Dienste Gaben in Empfang nahmen, die eine ehrbare, unverheiratete Frau nicht hergeben wollte. "Verzeih meine Unwissenheit", flüsterte sie dennoch gehorsam und ein Teil ihres Gesichts spiegelte die Sorge wieder, die ihre Überlegungen mit sich brachten. Bedauerlicherweise sollte Izayoi durch die Beteuerungen ihrer Dienerin, die eine solche Entschuldigung kaum gelten lassen durfte, zu abgelenkt sein, um das sanfte Lächeln des weißhaarigen Mannes zu bemerken. 22 Schweigend stand der junge Hundedämon inmitten einer Wiese, deren Gräser sich mit jedem neuen Windzug in einem stetigen, lautlosen Tanz bewegten. Einst, vor langen Jahren, war er als Welpe über diesen Teil der westlichen Ländereien mit seinem Vater getobt - ein Bild, welches Sesshoumaru umso grotesker erschien, je länger er das Geschehen am Horizont verfolgte. Für Menschen zeichneten sich dort gewiss nicht mehr als die Silhouetten einiger Felsen und Bäume ab: Bizarre Strünke, die einer ihrer Maler nicht recht getroffen hatte. Für die Sinne eines Hundedämons hingegen war das Bild so scharf, als ob ihn keine Armeslänge davon trennte. Ironisch, nicht wahr? Offenbar war er der Einzige, der sich der Unterschiede zwischen den Rassen noch bewusst war, denn sein verehrter Vater schien diese mit jeder weiteren, vergehenden Minute etwas mehr zu vergessen. Wäre er, Sesshoumaru, unbedarfter gewesen, so hätte er sich kaum für zwei Menschen versetzen lassen: So jedoch bedeutete es nur einen weiteren Tag des Wartens, um seine Fähigkeiten gegen die des Herrn der Hunde in die Waagschale zu werfen. Stunden, die ihm nichts bedeuteten. Es würde sich zeigen. Wortlos flog seine Aufmerksamkeit fort von der Szenerie, um dem umschwenkenden Wind nachzuspüren, der an seinem Schulterfell zog. 23 "Schneller!", peitschte die Stimme des Mannes barsch über das schweißgetränkte Fell hinweg. "Du musst schneller sein!" Koste es, was es wolle! Mit voller Wucht trafen die Hufe auf die Erde, während das Tier unter dem groben Schenkeldruck über Stock und Stein preschte, als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Emporstiebende Kiesel, Erdpartikel: Es gab nichts, was für das Pferd von Bedeutung sein konnte, während es seine Reserven angriff und mit schäumendem Maul nach der nötigen Luft rang. Heute gab es kein Erbarmen, keine wohlverdiente Rast. Setsuna no Takemaru war blind für die Bedürfnisse des Tieres, denn noch immer gärte in seinem Inneren ein namenloser Zorn, der sein Gesicht zu einer Maske der Wut verhärmt hatte. Unter dem großen, verzierten Helm mit seinen zwei gewundenen Hörnern erschien er wie ein Dämon, vor dem seine Männer bei anderen Gelegenheiten zu Recht in Ehrfurcht erstarrten. Er selbst sollte verdammt sein, wenn es ihm nicht gelang, jede Bedrohung in Häppchen zu schneiden! Jäh griff er in die Zügel, um das Leder erneut niederfahren zu lassen, doch die Genugtuung um die neue Geschwindigkeit hielt sich keinen einzigen Atemzug in seinen Lungen. Dieser Feigling war aus dem Kampf geflohen und hatte Stunden bis zur Gebirgsburg des Daimyos zurück benötigt. Nun lag es an ihm, den Weg zu bewältigen. Wozu sollten das Pferd und die schwere Rüstung an seinem Leib dienen, wenn ihn das Schicksal derart strafte? Izayoi-sama, dachte er eisern und kniff entschlossen die Lippen zusammen. Ich werde Euch retten! Und das Schwert an seiner Seite würde dabei jedem ein Haar krümmen, der es auch nur gewagt hatte, seine Herrin anzusehen! 24 Ungerührt ließ sich der Herr der Hunde auf einem Findling nieder, um mit seinen Sinnen ein weiteres Mal die Luft zu prüfen und dem Rauschen der Gräser um sich herum zu folgen. Für einen Daiyoukai war es keine Herausforderung, ein Tier oder gar niederen Dämon auszumachen, der sich im Schutz der fast hüfthohen Halme anzuschleichen vermochte. Jedoch, das Terrain war unauffällig. Zeit genug also, sich während ihrer Rast um die Miene seines alten Freundes zu kümmern, der auf seiner Schulter hockte und ihn mit einem überaus skeptischen Blick musterte. Der Flohgeist hatte sich zäh wie Baumharz dazu bewegen lassen, mithilfe der Beschreibungen der Dienerin Mashiko die im Nordwesten gelegene Residenz zu erraten: Er war ein kluger Kopf, der Gegenden selten vergaß. Dennoch führte sie der Weg nun querfeldein durch Wald und Wiesen. Der befestigte, langgewundene Pfad der Menschen wäre an Reisfeldern und Dörfern vorbeigeglitten, ehe er über einen niedrigen Berghang kletterte und von kühlen Winden umspielt wurde. Der Herr der Hunde bevorzugte jedoch den Geruch von frisch sprießenden Farnspitzen und Halmen. Es gab keinen Grund, den beiden Damen die schwelenden Brände an den Orten zuzumuten, welche die Drachendämonen zuerst heimgesucht hatten. Ein kurzes Leben verdiente Glück, kein Elend. Myouga schnaufte über die Ruhe. Zugegeben, er war nicht erst seit gestern der treue Berater der Hundeyoukai, doch auf die Sprünge half ihm diese Tatsache deswegen noch lange nicht. Was übersah er nur? Es musste doch eine Erklärung dafür geben, dass sich die Mundwinkel seines Meisters weitaus weicher hoben, als das bei einem gewöhnlichen Treffen mit Menschen der Fall war. Lag das an der Atmosphäre? Für gewöhnlich waren die viel schwächeren Gestalten von Angst oder Hass erfüllt, sobald sie einen Dämon trafen: Gefühle, die in der Brust eines tapferen Kämpfers so manches Unglück auslösen konnten. Sollte es so viel ändern, dass ihnen die beiden ohne ein Wort der Klage folgten? "Ich frage mich", begann der Floh daher bedächtig, "was in Eurem Kopf vorgeht, Meister. Ihr bietet Menschen eine Eskorte." "So?" Das klang amüsiert. "Ich dachte, es wäre als Fürst meine Aufgabe das Leben Unschuldiger zu beschützen, Myouga?" "Natürlich", stimmte dieser zu, "aber Ihr seid bereits seit Wochen, nein, vielen Monden, unterwegs! Ihr solltet Euch endlich schonen, Meister und statt Euren Besuchen beim Schmied Eure Gefährtin wiedersehen! Selbst Euer Sohn verbringt im Jahr mehr Zeit an ihrer Seite, als –" "Sesshoumaru schätzt die Weisheiten seiner Mutter", unterbrach ihn der Inu no Taishou unberührt. "Es wäre ein Jammer, wenn dem nicht so wäre und ihm deshalb die Weitsicht in seinen Vorhaben fehlte." "Hmpf." Das war nicht das, was er hatte hören wollen. Seufzend zog der Flohgeist die Schultern empor, während er die Arme umso widerwilliger vor dem dichtgewebten, hellbraunen Yukata verschränkte. "Ist das alles?", verlangte er dann zu wissen. "Oder steckt noch mehr dahinter?" "Myouga." Ein Kopfschütteln, ehe der Herr der Hunde den Satz vergaß, den er hatte sagen wollen: "Wir bekommen Gesellschaft." "Eh?" Was bekamen sie? Verwirrt musterte der winzige Youkai die Züge des Weißhaarigen, doch eine Gefahr lag darin nicht. Dann ertönte ein Flüstern und der Berater begriff, noch ehe er sich zu der Frau umgewandt hatte. 25 "H-hoher Herr?" Izayoi hätte es kaum gewagt, den Daiyoukai mit festerer Stimme anzusprechen, sodass sie sich weitaus wohler dabei fühlte, ihren Kopf noch tiefer in die Mulde aus Halmen und Klettwurzeln zu beugen. Sie kniete so sittsam vor ihm wie sie es vor ihrem Großvater, dem Fürsten, getan hätte. Wohlwahr, er hatte ihr sein Wort gegeben, sie nicht zu verletzen: Aber was war das Wort eines Dämons wert? "Steht auf", erklang es entspannt. "Ihr seid keine Dienerin und ich unterhalte mich nicht gern mit den Gräsern vor Eurem Gesicht." "V-verzeiht, hoher Herr!" Das Rascheln von Stoff erstickte ihre Furcht, dann hatte sie sich wieder aufgerichtet. Zumindest besaß sie die Geistesgegenwart dabei ihren Blick gesenkt zu halten. Izayoi hätte ohnehin nicht gewusst, wohin sie diesen bei einem hochrangigen Dämon setzen durfte. "Ich wollte Euch nicht kränken." "Das tut Ihr nicht", erwiderte der Herr der Hunde, während in seinen Augen ein Ausdruck der Neugierde aufglomm. Er hatte viele Menschen getroffen in seinem Leben, in allen Größen, mit jedem nur vorstellbaren Gemüt und doch erfüllte ihn diese junge Frau mit Erstaunen. Sie war eine der Wenigen, die von sich aus seine Gegenwart aufsuchte und dennoch zu zögern schien, sobald sie in Hörreichweite gelangte. Konnte ihre Furcht tatsächlich so tief verwurzelt sein? Nachdenklich bettete er das Kinn auf die Handfläche, eine Geste, die er oft nutzte, wenn er über etwas sinnierte. Er konnte sich gut daran erinnern, wann er zuletzt mit einer Youkai gesprochen hatte, doch die Wortwechsel mit den Verwandten der Daimyos lagen weitaus länger zurück. Meist verboten die Männer den Frauen den Zutritt, beseelt von der Angst, ein Dämon könnte ihnen vor lauter Gier das Herz aus der Brust reißen. Die menschlichen Dienerinnen seiner Residenz waren da aus einem anderen Holz geschnitzt, doch sie wuchsen meist in den Mauern auf oder waren in den umliegenden Dörfern geboren worden. Erst wenn man diese hinter sich ließ, wurden die Mienen misstrauischer und vorsichtiger. Es gab die abenteuerlichsten Geschichten um seine Art und nicht selten nahm er das ein oder andere Ammenmärchen mit aufrichtiger Belustigung hin, fügte selbst ein Detail an. Derlei vertrieb die Langeweile der Regeln und Etikette, aber es feite den Herrn der Hunde nicht davor, sich ihr immer wieder stellen zu müssen. Nun, zumindest Myouga schien des Wartens Leid zu sein. "Meister", mischte er sich tuschelnd ein. "Vielleicht solltet Ihr sie darauf hinweisen, dass sie sprechen darf? Die Menschen änderten ihre Gewohnheiten vor einigen Jahrhunderten." Der Herr der westlichen Länder hob überrascht eine Augenbraue, ehe es ihm dämmerte: Daran hatte er gar nicht gedacht. Eine hochrangige Dämonin durfte das Wort in einem Gespräch unter vier Augen an sich reißen, aber kein Menschenmädchen. War das nicht sogar eine der Tatsachen gewesen, die ihn zu Anfang stets in neue Verwirrung gestoßen hatte? Wie auch immer. Er dämpfte seine Stimme, um mit einer langen Geste ein Haar vom Kragen seines Kimonos zu streichen, das sich aus seinem Zopf gelöst haben musste. "Ihr habt die Worte meines Beraters gehört", bestätigte er behutsam. "Ihr müsst nicht schweigen." Ein kurzes Zögern, dann fühlte er erneut ihre Aufmerksamkeit über sich ziehen. Etwas an ihrer Haltung wollte die Anspannung verlieren, doch sie ließ es nicht zu und flüchtete sich in die Zurückhaltung. Eigenartigerweise fühlte sich der Herr der westlichen Länder dabei an seinen eigenen Sohn, Sesshoumaru, erinnert. Der Vergleich mochte seltsam wirken, wenn er ihn mit dem heutigen Bild seines Jungen verglich, doch in einem Alter, da ihm kaum die ersten Milchfänge gewachsen waren, hatte es für den Welpen nichts Schrecklicheres gegeben, als die Hofdamen seiner Mutter anzusehen. Die Erinnerung wärmte sein Herz, sodass sich der Inu no Taishou nach einem langen Moment der Stille nach einem Grashalm streckte, um diesen mit den Klauen zu brechen und dann bedächtig vor sein Gesicht zu heben. "Seht Ihr das?" Unsicher hob Izayoi das Kinn ein wenig höher, fuhr die Fingerspitzen des Daiyoukais so scheu ab, als ob ihr der bloße Anblick eine Schelte einbringen konnte. Was sollte sie von dem im Sonnenlicht schimmernden Halm halten? Machte er sich lustig über sie? Nervös knetete sie die Fingerknöchel, die auf der zerschlissenen Seide ihres Kimonos auflagen, dann bestätigte sie. Der Inu no Taishou neigte lächelnd seinen Kopf. "Wisst Ihr –", hob er dann ruhig an, um mit der freien Hand ein Stück des Grases abzuzupfen, "– ich kann diesen Halm noch so sehr zerlegen, aber es wird nichts daran ändern, dass er ein Grashalm ist. Ebenso können wir Stunden voreinander sitzen und schweigen, aber Ihr werdet nicht weniger Furcht verspüren, solltet Ihr erst dann das Wort ergreifen." Gedankenvoll drehten die Klauen das zarte Grün um die eigene Achse, ehe er es mit einem sanften Lächeln auf den Lippen fallen ließ. "Mögt Ihr mir nun Euer Anliegen verraten?" "Ich –", flüsterte sie so leise, dass es ihr ein Schlucken abrang, nicht einfach wieder sein Gesicht zu meiden. "Ich wollte Euch danken, hoher Herr. Ihr habt uns das Leben gerettet." "Gern", erwiderte er schlicht, denn das war die Wahrheit. Tatsächlich verriet die Miene des Inu no Taishou jedoch mit keinem Wimpernzucken, dass dies der Moment war, indem er das erste Mal am Horizont das überwältigende Schnauben eines Pferdes hörte, welches kurz vor dem Zusammenbruch stand. - - - - - - - Ob Takemaru glücklich darüber sein wird, Izayoi bei dem Herrn der Hunde vorzufinden? Ihr erfahrt es in Kapitel #7, "Seidelbastkraut". Kapitel 7: Seidelbastkraut -------------------------- Apfelblüte - Seidelbastkraut - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Anmerkung: Dieses Kapitel war damals gewidmet! ;) - - - - - - - 26 Was ... was für ein Schlachtfeld! Die Augen des Generals waren weit aufgerissen, während der Atem in seinen Lungen tobte und jeder einzelne Muskel in ihm um eine Beherrschung feilschte, die sich ihm wie Wasser entzog. Es war, als ob man allein für ihn eine Kulisse gebaut hätte, die an Grausamkeit nicht mehr zu überbieten schien. Der Pfad, einst von Menschenhand ins fruchtbare Land getrieben, lag brach vor ihm, beseelt von einem Gestank, der aus jedem einzelnen, teils bis zur Unkenntlichkeit zerrissenen Kadaver kroch. So viel er auch auf den Feldzügen des Daimyos oder unter dem Einfall marodierender Banden auf den Äckern bereits an Unmenschlichkeit gesehen hatte, auf diesen Anblick hatte ihn nichts und niemand vorbereiten können. Selbst das Pferd unter ihm schien vor Übelkeit zurückweichen zu wollen, doch er, Setsuna no Takemaru, hatte nicht vor, es an dieser Stelle noch gewähren zu lassen. Wenn es Überlebende gab, dann würde er sie finden. Hier und jetzt! Grimmig biss sich der Mann auf die Lippen, die binnen Sekunden schlohweiß vor Zorn erglühten. Dann riss er unter einem jähen Aufschrei die Zügel an sich und trieb das Tier unerbittlich hinein in ein Meer aus zerborstenen Holzsplittern, verlorenen Helmen und Befürchtungen, die sich schlimmer als alle Dämonen der Welt über ihm zusammen brauten. Drachenbrut. Der Botenjunge hatte nicht übertrieben, als er die Angreifer mit gewaltigen Klauen, Schuppen und Fangzähnen beschrieb und ihnen eine Größe bis zur mächtigen Krone der Schwarzkiefer nachsagte - haargenau so, wie es der Geflohene auf Knien beteuert haben sollte, während ihm Sand und Blut als Kruste von den Augenbrauen stach. Doch Takemaru fand keine Zeit, sich über den unerwartet tiefen und glatten Stich zu wundern, der dem ersten, gescheckten Lindwurm das Leben gekostet hatte. Wo war seine Herrin? Izayoi-sama! Allein dieser Gedanke, diese alles erstickende Sorge im Angesicht des Feindes, trieb ihn noch vorwärts, als die Gegenwart seiner abgeschlachteten Männer längst unerträglich geworden war und er begriff, dass man sie woanders hingebracht haben musste. Entschlossen wie ein Papierschiffchen den reißenden Fluß in die Knie zwang, lenkte er das Pferd im Kreis, um verbissen nach Hinweisen zu suchen, die ihm die Richtung verrieten. 27 Die Witterung schlug so abrupt um, dass es seine Sinne beleidigte, doch noch ehe der junge Hundedämon dem aufkeimenden Argwohn in seinem Herzen nachspüren konnte, verschwand der jähe Impuls der Bedrohung. Dieser Geruch, der in seine Nase drang ... nein, das war nichts, was ein Dämon zu fürchten hatte. Schweigend wandte Sesshoumaru den Blick in Richtung des ausgetretenen Pfades, den er selbst vor mehr als einer Stunde genommen hatte, dann schmälerte er die Brauen. Es sollte ihn nicht viel kosten, seinen Platz nahe eines uralten, mächtigen Baumes zu verlassen, der seine Krone hoch in den Himmel streckte und junge, grüne Triebe neben Nadelbündeln nährte. Die Borke des Stammes ähnelte den überlagernden Armschienenplatten seines Vaters, zu dem er ohne Eile schritt. Zeit besaßen sie genug, daher scherte er sich nicht um die vielen Meter zwischen ihnen, doch es machte die Gegenwart der lästigen Menschenkinder kaum erträglicher. Wie die Hühner knieten die Frauen nebeneinander, die Ältere distanziert und bemüht um Schlichtheit, die Jüngere gebannt und still. Das sein Vater als Einziger ein leises Lachen erklingen ließ und sogar Myouga das Amüsement mit einem Hüsteln erstickte, war eine Zumutung, welche den Fingerknöcheln Sesshoumarus zu unwiderruflicher Anspannung verhalf. Besser, er unterdrückte den Wunsch allzu harsche Worte zu nutzen, denn Kritik stand ihm nicht zu. Stolz näherte er sich entgegen der Windrichtung, so wie man es ihn gelehrt hatte, und würdigte die schwachen Kreaturen keines weiteren Blickes. "Vater?" "Ah, Sesshoumaru." Der weißhaarige Dämon löste sich aus dem Gespräch, ohne dass er Willens schien, die vergnügte Miene gegen notwendigen Ernst einzutauschen. "Setz dich doch." "Wir bekommen Besuch." "Gewiss", erwiderte der Daiyoukai mit einem schlichten Lächeln, "aber das ändert nichts an meiner Bitte, mein Sohn." Auffordernd deutete der Inu no Taishou auf ein Fleckchen Erde, auf dem die Grashalme unter einer sanften Brise erzitterten, doch in diesem Moment war es ihm offenbar nicht vergönnt, mit sofortigem Gehorsam belohnt zu werden. Das Funkeln in Sesshoumarus goldenen Augen verriet mehr von dessen Widerstreben und Abscheu, als diesem bewusst sein konnte. Es erinnerte ihn als Vater mühsam daran, wie viel Einfluß er auf die Erziehung seines Sohnes wirklich hatte: In Sachen Gastfreundschaft schlug sein Welpe mehr nach der Mutter, als ihnen allen lieb sein konnte. Dennoch, für Groll hatte der Inu no Taishou wenig übrig und so wartete er, bis Sesshoumaru seiner Aufforderung nachkam. Die weißen Hakama-Hosen erschienen so steif wie dessen Rückgrat, während er schräg hinter ihm Platz nahm und den höflichen Abstand ausreizte, der ihren Rang voneinander unterschied. Dann übte sich sein Junge in Schweigen und der Herr der Hunde in Zerstreuung: "Myouga, sag, wo waren wir stehen geblieben?" "Ihr ... nun ja", hob der Flohyoukai zögernd an und wischte sich mit den Fingerspitzen einen Schweißtropfen von der Stirn, weil ihm der Welpe sprichwörtlich im Nacken saß. Klammheimlich kletterte er von einer Schulterfellseite zur anderen, bevor er zur Tarnung nach Norden deutete. "Ihr habt soeben von den Streitigkeiten mit den Drachendämonen Ryukotsuseis und deren Ursprüngen berichtet, Meister." Unaufgefordert, ergänzte er für sich, als wären die aufgewühlten Gemüter der beiden Frauen dadurch zu beruhigen. "Ah, natürlich!" Der weißhaarige Daiyoukai nickte, beseelt von einem frisch erblühenden Lächeln und ungeachtet sämtlicher Unsicherheiten, die in der Zwischenzeit zwischen den Menschenkindern hin- und hergeflogen waren. 28 Bei allem! Izayoi hatte viele Männer in den Gemächern ihres Großvaters gesehen, die von einer verhärmten und hartherzigen Stimmung geleitet worden waren, während man in Stillschweigen und Ernsthaftigkeit beieinander saß und winzige, mit Reiswein befüllte Tassen in den narbenübersäten Händen barg. Als junges Mädchen war ihr diese Atmosphäre jedesmal unheimlich erschienen und selbst heute, da sie wusste, dass es doch so manches Lächeln zwischen dem alten Daimyo und seinen Nachbarn auszutauschen gab, vermied sie es, allzu viel Zeit in deren Nähe zu verbringen. Ihre Hofdamen hatten darüber getuschelt, dass es fremde Fürsten gab, die ihrem Großvater den Tod wünschten, um sein Land an sich zu reißen. Doch das, was der ihr unbekannte, silberhaarige Dämon an den Tag legte - Sesshoumaru -, bescherte ihr ein Frösteln, das bis weit unter die zerschlissenen Lagen ihres Kimonos drang: Nur allzu hastig hatte sie unter seinem feindseligen Seitenblick den Kopf geneigt; es nicht einmal mehr gewagt, Mashiko noch aus den Augenwinkeln zu mustern. Wie albern wog dieser Gemütswechsel doch auf, wenn sie an das vorherige Gespräch dachte! Die Unbeschwertheit, selbst der feine Sinn für Humor, den ihr eigentlicher Retter besaß, konnte mit einem Umstand jedoch nicht mithalten, der sich in ihrer Kehle wie ein Kloß festgesetzt hatte. Der zweite Dämon war der Sohn des hohen Herrn! Aber wie konnte das sein? Hatten sie einander bereits auf eine derart vertraute Weise begrüßt? Sie konnte sich nicht erinnern, denn die Bilder vor ihrem geistigen Auge wechselten sich zu hastig ab, um darin eine solche Feinheit festzumachen. Erst war das eigenartig schimmernde Schwert gewesen, dann hatte sie die wieder lebendige Mashiko in die Arme geschlossen. Das nächste Mal, da sie, Izayoi, zu dem weißhaarigen Dämon geblickt hatte, erfüllt von einer namenlosen Freude, die sie fast zu einer unbedachten Äußerung hingerissen hätte, war der Andere bereits dagewesen - wie aus dem Nichts erschienen. Nun ragte er hinter seinem Vater wie der stille Tod auf. Die stachelbewehrte Schulterrüstung und sein Brustschutz glänzten in der Sonne, und das Fell war ebenso auffällig wie der vorn gebundene Obi. Vermutlich tat sie gut daran, diesen vollblütigen Dämon nicht gegen sich aufzubringen. Ja, das klang weise. Die Anspannung in ihren Fingerspitzen wollte jedoch nicht einmal weichen, als der Floh stockte. Oh, gewiss! Es war wohltuend zu hören, dass sogar ein kleiner Dämon mit Gefühlen der Unsicherheit zu kämpfen hatte, aber dennoch brachte sie es nicht fertig, den Blick vom Erdboden zu nehmen. Stattdessen lauschte Izayoi der wieder einsetzenden Geschichte des weißhaarigen Mannes, der von Drachen und Gebirgsschluchten berichtete, die tiefer und gefährlicher waren, als alles was sie sich jemals hatte vorstellen können. Die Halme unter ihren Fingerkuppen vermischten sich beinahe ungewollt mit ihrer Fantasie und wurden bald zu von Schnee und Eis überzogenen Felshügeln, in denen launische Geschöpfe nisteten und um die Vorherrschaft rangen, doch noch während die Enkeltochter des Daimyos mit ihrer Furcht und der aufkeimenden Neugierde rang, unterbrach sich der Inu no Taishou mitten im Satz. Sekundenbruchteile später durchriss das schrille Wiehern eines Pferdes die Szenerie, das schweißnass und unter einem jähen Zug seiner Lederzügel in die Luft stieg, bevor es mit umso heftigeren Hufschlag die Erde unter sich zerdrückte. Die Spuren des langen und erbarmungslosen Rittes zeichneten sich in jeder zitternden Muskelfaser ab, doch die grimmige Erschöpfung war nichts gegen den Blick des Reiters, der keine zwanzig Meter entfernt den Griff seiner Klinge umfasste, als ob es bereits um sein Leben ginge. "Gebt sie frei", forderte der hochgewachsene Mann unter glühenden Augen. "Gebt die Enkeltochter meines Herrn frei oder sterbt den elenden Tod, den Ihr verdient, Dämon!" - - - - - - - Ob Takemaru den richtigen Knochen ins Spiel wirft, erfahrt ihr in Kapitel #8, "Kornblume"! Kapitel 8: Kornblume -------------------- Apfelblüte - Kornblume - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Anmerkung: Dieses Kapitel war damals gewidmet! ;) - - - - - - - 29 Setsuna no Takemarus Augen glühten vor fiebriger Entschlossenheit, als sein Herzschlag grimmig gegen seinen Brustkorb drängte und jeder Atemzug eine Qual der Erwartung wurde. Er konnte es trotz der Dutzend Meter Entfernung sehen - sehen, wie sich der Pfad vor ihm absenkte, um von Gräsern und bunte Wiesenkräutern überwuchert zu werden, bis Steine im Rücken Izayoi-samas jede Flucht vereitelten. Sie am Leben zu wissen, erfüllte ihn mit Erleichterung, ehe ihn der Zorn vergiftete, weil er sich ihrer langen, ungekämmt auf den Überkimono herabfallenden Haare bewusst wurde. Was hatte man ihr angetan? Sie kniete gemeinsam mit ihrer Dienerin vor den Dämonen, die in ihren Rüstungen vielleicht drei Armeslängen Abstand hielten. Nie zuvor hatte Takemaru davon gehört, dass Drachen Felle über ihren Schultern trugen, aber er weigerte sich, dem zunehmenden, unangenehmen Ziehen in seinem Nacken und der Hitze in der Luft mehr als ein Funkeln zu gönnen. Dann versackte das Gefühl der Bedrohung in seinen Leisten, während sich der rechts vom Weißhaarigen sitzende Bastard aus dem Gras schälte, als ob ihm allein die Vorzüge tödlicher Eleganz in die Wiege gelegt worden wären. Die Verachtung, die sich Sekundenbruchteile später in den aufeinandertreffenden Blicken der Männer maß, brachte das Ross unter ihm endgültig zum Erzittern. Was für ein Jammer, dass derlei nicht genügte, um seinen eigenen Willen zu brechen! Sekundenbruchteile später jagte er die Fersen in die Flanken des Tieres und spürte wie sich die Muskeln wie Pfeilsehnen anspannten. Unter dem nun erschallenden Schrei seines Herrn stob es wie der blanke Tod voran. Stock und Stein flogen empor und Grasnarben wurden jäh vom Hufschlag zerfetzt, während der Zorn des Generals wie ein Damoklesschwert nach Rache kreischte und ein letztes Blitzen die Szenerie durchschnitt. 30 Der Schmerz, der in seinen Schultern explodierte, als er unter dem Scheppern von Metall quer über den mit Halmen übersäten Erdboden schlitterte, trieb ihm noch den letzten, unverhofften Atemzug aus den Lungen. Einen unendlich langen Augenblick glaubte Takemaru unter dem Feuer auf seiner Haut zu ersticken, doch noch während er würgend die Orientierung zurückgewann und begriff, dass das Wiehern des Pferdes am Rande seiner Wahrnehmung ein Todesschrei war, den das blutüberströmt zur Seite brechende Tier ausstieß, senkte sich bereits eiskaltes Metall auf seine Kehle. Die nächsten, stocksteifen Sekunden wurden überwuchert von dem Glanz überheblicher, bernsteinfarbener Augen, die ihn endgültig wissen ließen, dass er verloren hatte. Er ... er hatte verloren! Versagt wie ein blutiger Anfänger, der in seinem ganzen Leben noch keinen einzigen Schwertgriff sein Eigen genannt hatte! Der lodernde Hass auf seinen Widersacher wurde ausgestochen von der Wut auf sich selbst, die seine mit Blut und Schmutz verkrusteten, aufgeschürften Fingerknöchel zusammenballte. Sein Handschutz war dank eines Schnitts ruiniert und seine Samurai-Klinge lag unerreichbar zwischen Klettenwurzeln. Ihm blieb nichts, außer zu dem Bastard hinaufzustarren, der es wagte, einen verschwenderisch bestickten Obi und Kimono unter den Rüstplatten zu tragen - nichts, was ein General tat. "Worauf wartet Ihr noch, Dämon?", zischte Takemaru hinter dem Mundschutz des gehörnten Helms. "Bringt es zu Ende, wenn Ihr einen Funken Ehre im Leib habt!" "Sesshoumaru, das genügt." Die Häme, die für einen winzigen Herzschlag in Sesshoumarus Augen getanzt hatte, verebbte so schnell wie sie gekommen war. Stattdessen warf er einen knappen Blick zur Seite, ganz so, als ob er sich des Befehls des Herrn der westlichen Länder, seines Vaters, ein weiteres Mal versichern müsste. Für Setsuna no Takemaru erschien es unterdessen wie Hohn: Ein Gegner, der sich überlegen genug fühlte, um sich auf nichts Geringeres als den Druck seiner Klinge zu verlassen, statt ihn misstrauisch im Auge zu behalten! Dazu erteilte ihm der andere den Befehl, ihn zu verschonen? Grimmig, wütend und zutiefst im Stolz verletzt, krallten sich Takemarus Finger in den Boden, während das Adrenalin in seinen Adern empor fauchte und ein Plan, so abenteuerlich wie ein auf der Flucht befindlicher Deserteur, in seinem Herzen Gestalt annahm: Zwei Sekunden nur, zwei simple Sekunden, bis er genug Erde und Pflanzenreste zusammengekratzt haben würde, um- "Ich sagte, es genügt, Sesshoumaru. Lass ihn gehen", fiel erneut die dunkle Stimme des anderen Dämons ein, in deren Tonlage die Möglichkeit zum Widerspruch keinen Platz fand. "Wie ... wie Ihr wünscht, Vater." Der aufflackernde Widerwille, der kurz darauf auf den Zügen des menschlichen Schwächlings zerschellte, war alles, was der Hundedämon dazu noch beizutragen hatte. Dann zog er die Klinge so hart zurück, als ob man ihn bald jeden Tag dazu zwingen würde, solch anmaßende Kreaturen zu begnadigen. 31 Bei ihren Ahnen! Die Erleichterung, die sich prompt in den Zügen Izayois ausbreitete, wurde nur von der vorschnellenden Hand ihrer Dienerin vereitelt. Ihr Herz tat einen ernüchterten Schlag, als ihr Überkimono auf Brusthöhe gegen die Finger prallte, doch sie wagte unter dem Kopfschütteln Mashikos nicht, sie beiseite zu schlagen. In den braunen Augen ihrer Amme lag derselbe Ausdruck, der auch ihr unter die staubigen, zerrissenen Seidenschichten geschlüpft war und das brachte ihre Wangen zum Glühen. Es fühlte sich furchtbar an, sich zu fügen, statt zu dem seit Kindheitstagen vertrauten Mann zu eilen. Takemaru war wie ein Stein über den Boden gerutscht, als hätte einer der Botenjungen ihn über die Wellen des Teiches springen lassen wollen. Mashiko hätte sich von Herzen gewünscht, das Aufspringen gestatten zu können, doch Erziehung und Vernunft waren Hürden, die man nicht leichtfertig überging. Weder geziemte es sich für die Enkelin eines Daimyos ihre Gefühle gegenüber einem Rangniederen derart unbeherrscht zur Schau zu stellen, noch durfte sie zulassen, dass sich jemand an zwei hochrangigen und gefährlichen Dämonen vorbeischob. Wie hätte es auch enden können? Eine zukünftige Fürstin musste Geduld beweisen, Zurückhaltung gar, denn Streitlust oder impulsives Verhalten oblag den Männern, die mit den Folgen umzugehen wussten und Weitsicht bewiesen, wo ein von Angst gebeuteltes Frauenherz nur närrische Wege auftat. "Vergesst nicht Eure Herkunft", flüsterte die alte Dienerin daher beschwörend. "Was soll der General sonst von Euch denken und was über Euch sagen?" 32 Eine interessante Frage. Ruhig glitt der Blick des Inu no Taishou über den Mann, der sich mit unverkennbarer Willenskraft auf die Beine gezwungen hatte und ihm entgegenstarrte, als könnte er ihn unter einem Schrei in die Unterwelt stoßen. Die kräftigen, roten Lacktöne auf seiner Rüstung zeigten Kratzer, wie sie Kiesel hinterließen, aber den Schmerz über die tiefe Wunde nahe seines Schulterblatts gab er nicht preis. Seine Witterung verriet ihn dennoch: "Ihr solltet es verbinden lassen, Menschenkind, wenn Ihr dem Fieber nicht erliegen wollt, das bald in Euren Adern gedeiht." "Spart Euch die Barmherzigkeit, elender Dämon", zischte Setsuna no Takemaru knapp. "Ich habe Schlimmeres überstanden als einen einfachen Sturz vom Pferd." Allein, wenn er daran dachte, mit welch brachialer Gewalt er in seiner Jugend durch die Sträucher eines Hanges gerauscht war, an dem er durch pure Unachtsamkeit und Leichtsinn den Halt verloren hatte, erfüllte sich seine Seele mit stolzem Ingrimm. Nur wenige Männer im Dienste des hiesigen Fürsten konnten sich rühmen, Knochenbrüche überlebt zu haben; und auch, wenn ihm der Heiler des Anwesens damals orakelt hatte, womöglich nie genug Kraft aufbringen zu können, um als Erwachsener eine Klinge zu führen, so hatten Eifer, Fleiß und Hartnäckigkeit das eindrucksvolle Gegenteil bewiesen. Aus Schwächlingen wurden keine Generäle, keine großartigen Männer, die zur Bewunderung und als Vorbild taugten. Einem weißhaarigen Dämon nun das Leben zu verdanken, machte ihn unsagbar wütend, denn es widersprach allen verinnerlichten Prinzipien. Er hätte es sich erkämpfen können! Doch stattdessen hatte man ihm ungefragt die Ehre genommen und ihn wie ein wehrloses Kind behandelt: Die Vorstellung, dass Izayoi-sama ihn nun ebenfalls für erbärmlich hielt, ungeeignet um erneut ihren Schutz zu gewährleisten, war ihm unerträglich. "Gebt mir die Enkeltochter meines Herrn zurück", verlangte Takemaru harsch, beseelt von dem dunklen Versprechen, sich lieber ein zweites Mal bewusst in den Tod zu stürzen, als sich mit der Schande arrangieren zu müssen, um ihrer aller Unversehrtheit wie ein Waisenkind zu betteln. "Ich würde Eurem Wunsch gern nachkommen", eröffnete der Inu no Taishou freundlich, "aber sie ist nicht mein Eigentum. Sie muss selbst mit Euch gehen wollen." Neugierig wandte sich der Hundedämon ab, während sein helles Fell wie eine Baumkrone im Wind tanzte. "Ihr kennt diesen Mann hier, der für Euch das Schwert ergriff?" Izayoi, die kaum glauben konnte, dass man sie um ihre Meinung bat, atmete erschrocken ein, bevor sie Mashikos Fingerspitzen überstürzt von sich weichen fühlte und sich deren tiefer Verneigung lieber zu früh, als zu spät anschloß. "J-ja, hoher Herr. Takemaru gehört zu den Männern meines Großvaters", beteuerte Izayoi dann, während ihr staubbedeckter Kimono raschelte und ihr nervös eine Ergänzung entschlüpfte, noch ehe sie sich zu helfen wusste. "Er ... Er wollte Euren Sohn gewiss nicht verletzen." Das kaum hörbare, spöttische Schnauben Sesshoumarus brachte den Daiyoukai zum Lächeln, doch das änderte sich, als er seinen Fokus zurück auf den vor Schmutz und Schweiß triefenden Mann wandte, dem nach solchen Scherzen kaum zu Mute schien. Vielleicht war Ernst die bessere Wahl um sein Temperament zu beruhigen: "Euer Eifer ist bemerkenswert, aber er wird Euch kein gutes Schild gegen die Drachendämonen sein, die Eure Männer dahin schlachteten. Fünf fanden den Tod und der letzte wird andere um sich scharen. Ihrer Art ist der Hunger nach Rache so vertraut wie Euresgleichen die Ehre. Nehmt mein Angebot an, vergesst Euren Groll und lasst uns gemeinsam eine Eskorte für die Enkeltochter Eures Herrn und ihre Vertraute bilden. Was haltet Ihr davon?" 33 Fassungslos fuhr sich Setsuna no Takemaru über die trockenen Lippen, während er seinen gehörnten Helm gegen die Hüfte presste. Das Leder seines Waffengurts interessierte sich nicht für seine Gefühle, während er auf den Leichnam seines Reittieres stierte. Er konnte nicht glauben, dass er sich auf dieses irrwitzige Unterfangen eingelassen hatte, aber ihm war keine bessere Möglichkeit eingefallen. Nur ein Narr hätte darüber nachgedacht, mit einer marodierenden Schar Drachen die Klingen zu kreuzen, nachdem er gegen einen einzelnen Dämon verlor. Er war im Augenblick des Angriffs dazu bereit gewesen, seinen Verstand gegen die unmenschliche Stärke in die Waagschale zu werfen - doch Izayoi-sama hatte diesen als Sohn bezeichnet, als der Ältere sie ansprechen musste. Um wie vieles mächtiger würde der erst sein? Er erteilte Befehle und erwies Gnade. Takemaru war kriegserfahren genug, seinen eigenen Wunsch nach Vergeltung hinter das Wohl seiner Herrschaft anzustellen. Die beiden Fremden waren das einzige, wehrhafte Geleit, welches er Izayoi-sama und ihrer alten, resoluten Dienerin gegen den Feind bieten konnte, bis die Verstärkung des Daimyos der südwestlichen Gefilde eintraf. Und das würde sie! Der Fürst hatte eine Woche lang persönlich nach den sterblichen Überresten seines Sohnes, Izaoyi-samas Vater, gesucht, und den Schutz der Familie stets über alles gestellt. Bis dahin war es an ihm, seinem ersten General, das Überleben der Frauen mit allen Mitteln zu gewährleisten. Zu Fuß, wie es aussah. Gottverdammt. Schicksalsergeben schloss der Mann die Augen, dann löste er sich von dem treuen Tier, das ihm über Jahre hinweg die besten Dienste erwiesen hatte und dem keine Strecke zu weit oder zu uneben erschienen war, um sie nicht mit wehender Mähne zu bewältigen. Sein Widersacher hatte es so kaltblütig wie einen Pfirsich aufgeschnitten; wahrscheinlich war es tot gewesen, noch ehe die Blutlache unter dem zusammenbrechenden Leib die Kuppe eines Daumennagels überschritten hatte. "Seid ... seid Ihr wohlauf, Takemaru?" Izayoi-sama. "Euer Pferd", begann sie verunsichert, aber ihr wollte kein weiteres Wort über die Lippen kommen, als sie die Eingeweide des Rosses hinter der Schulter des Generals wie Würmer am Boden entdeckte. Schwer einatmend rang sie um Fassung. Dann musterte sie besorgt das Profil des hochgewachsenen Mannes, dem sie sich trotz aller eiligst geflüsterten Einwände Mashikos mit hartnäckigen, kleinen Schritten genähert hatte. Selbst jetzt konnte sie noch die bohrenden, um Vernunft bittenden Blicke in ihrem Nacken glühen spüren, doch es erschien ihr falsch einer Regel zu folgen, wo kaum jemand auf sie achten konnte. Die Dämonen waren in ein leises Gespräch vertieft und eine andere Menschenseele nicht einmal in Sichtweite. "Wie habt Ihr uns gefunden?" "Das spielt keine Rolle." Sein Anstand verbot es ihm, auch nur eine Silbe über die Risse in ihrem mehrlagigen Kimono zu verlieren und die Seidenfetzen zu erwähnen, die an den Spitzen junger Farnwedel gehangen hatten. Sie lief auf Tabi-Söckchen! Allein das genügte, um ihn zu einer eisernen Verbeugung zu bringen, die im Gegensatz zu ihrem Tun von Etikettenlosigkeit nichts wissen wollte. "Vergebt mir, Izayoi-sama. Ich hätte Euch besser schützen müssen." "Sagt soetwas nicht. Ihr habt getan, was in Eurer Macht stand", raunte sie matt. "Aber es war zu wenig, um die Toten zu retten." Und das war alles, was er dazu zu sagen wagte, bevor sich die Kehle der jungen Frau unaufhaltsam zuschnürte und bald Erinnerungen zwischen ihnen standen, deren Gräuel er nicht miterlebt hatte. Es sollte das erste Mal in diesen Tagen sein, da sich der General wünschte, dass Izayoi-sama die Bekanntschaft mit Dämonen erspart geblieben wäre. 34 "Wenn Ihr mich fragt, Meister", murmelte Myouga grätig, "dann wird diese Angelegenheit für niemanden ein gutes Ende nehmen." Trotzig fuhr sich der Floh über den Saugrüssel und blieb hartnäckig wie ein Stück Baumrinde auf der windabgewandten Seite der Rüstung sitzen. Bisher hatte ihn der verrückte, menschliche General übersehen. Trotzdem liebäugelte er mit den Grasbüscheln und probte in Gedanken seine Flucht über Stock und Stein, aber das in Bewegung geratene Schulterfell des Herrn der Hunde ließ ihn aufmerken. "Du sorgst dich, alter Freund?" Oh, natürlich tat er das! Jeder Dämon, der seinen Kopf nicht nur zur Zierde trug, sondern hin und wieder benutzte, würde das tun! Erst wurden die Gebiete des Westens von zwei Banden verwüstet, deren Schuppen, Klauen und gewaltige Fangzähne allein im Tageslicht für Albträume sorgen konnten, und nun durfte man auch noch eine Gruppe an Menschenkindern beaufsichtigen, von denen der einzige Mann launenhafter schien als der Welpe des Inu no Taishou. Selbstverständlich behielt Myouga diesen Teil seiner Gedanken für sich, als er zur Erklärung ansetzte. Er hing schließlich an seinem Leben: "Ich möchte nicht wissen, was geschieht, sollte der mächtige Drachendämon Ryukotsusei für die Angriffe die Verantwortung tragen!" "Nun, falls er es war, dann wird weniger Zeit als erhofft vergehen, bis weitere Abkömmlinge seiner Brut unsere Fährte entdecken", erwiderte der Herr der westlichen Länder, bevor er nach Norden sah. "Das hält uns immerhin im Training, nicht wahr, mein Sohn?" Sesshoumaru hob gleichmütig eine Augenbraue, aber er verzichtete darauf, die Fähigkeit dieser Eidechsen stellvertretend für alle Anwesenden zu bewerten. Vielleicht hätte er das getan, wenn es den letzten Lindwürmern, mit denen er selbst zu tun gehabt hatte, wenigstens gelungen wäre, ihre zweite Schmähung ihm gegenüber zu beenden. Alles andere jedoch... Lächerlich. Myouga schien die Sache freilich nicht annähernd so gelassen zu sehen. Ihm brach der Schweiß aus, wenn er nur daran dachte, dass die beiden Hundedämonen seine Befürchtungen in den Wind schlugen. "Ignoriert nur die Gefahr!", empörte er sich hitzköpfig, während Wangen und Augenbrauen gleichermaßen rot anliefen. "Straft sie mit einem Grinsen ab! Wäre ich der Feind, würde ich die Abwesenheit des Inu no Taishou dazu nutzen, mich anderweitig auszutoben oder ... oder noch schlimmer: Das nächste Dutzend meiner Vasallen zu dessen hilfloser, einsamer Gefährtin schicken!" "Hilflos?" "Das bezweifle ich", stimmte Sesshoumaru kühl zu. "Mit einem nutzlosen Schwarm Drachen wird Mutter jederzeit allein fertig." Und das ohne mit der Wimper zu zucken, ergänzte er grimmig, ohne zu ahnen, dass der Inu no Taishou seine Gedanken in erschreckend ähnliche Bahnen lenkte. Umso überraschender geriet der nächste Befehl. "Sesshoumaru? Ich wünsche, dass du gehst und ihr etwas ausrichtest. Noch heute." 35 Fahl und bedrohlich krochen die Rauchwolken über das zu Eis erstarrte Gestein, bevor die scharfen Kanten unter dem Gewicht der Krallen wie Sand zerbröselten und der Leib des Drachenyoukais unter einem Donnergrollen erbebte. "Ist das wahr?! Kakesa unterlag erneut?" "So wahr wie die Farbe Eurer Schuppen grau ist. Fünf fielen dem Herrn der Hunde zum Opfer", wisperte das Lindwurmweibchen listig, auch wenn sie daraufhin einem niederfahrenden Stalaktiten ausweichen musste, der in hunderte und abertausende Splitter zerbrach. Unter anderen Umständen hätte sie ihnen ein belustigtes Funkeln gegönnt, doch das einsetzende, markerschütternde Brüllen warnte sie vor dieser Zeitverschwendung. Stattdessen legte sie alle Sorgfalt, die ihr Eigen war, darin ihre Stimme in ein warmes Flüstern zu verwandeln. "Erlaubt mir an dieser Stelle, Euren Zorn in die Wälder des Hundes zu tragen und ihm eine Lehre zu erteilen." "Dir?!" "Gewiss mir, doch nur Euch zu Ehren", neigte sie den rotbraunen Schuppenkopf, der sich lang und schmal wie ein Gedicht ausnahm. Im Vergleich zu seiner Gestalt mutete sie winzig an: Mit einem Schritt nach vorn hätte er sie mühelos unter den äußersten Klauen begraben können. Nein, sie wirkte nicht gefährlich, nicht einmal wenn ihrer aller Brutmutter sich dafür verbürgt hätte. Dennoch verebbte die Skepsis inmitten der schweren, von Schwefel getränkten Luft unter einem dröhnenden Lachen: "Dann tu, tu was auch immer dir beliebt, Schwester." Wie gnädig. Genau das hatte sie schließlich vor. Ihr Bruder Ryukotsusei kannte nur seine Selbstgefälligkeit und Geltungssucht, daher würde er ihr die Kehle für jede Verfehlung öffnen. Um als Weibchen einen angenehmeren Platz im Schwarm zu ergattern, musste sie raffiniert vorgehen. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, diesem nichtsnutzigen Schuppentier, wusste sie jedoch haargenau, wie sie dem Inu no Taishou einen Schmerz zufügen würde, von dem er sich in dreitausend Jahren nicht mehr erholen mochte. Frauen waren in dieser Welt immerhin das Einzige, vor dem sich ein Daiyoukai hüten musste. - - - - - - - Dem wird Sesshoumarus Mutter in Kapitel #9, "Reisblüte", zustimmen können. Kapitel 9: Reisblüte -------------------- Apfelblüte - Reisblüte - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Anmerkung Das Kapitel war damals gewidmet. - - - - - - - 36 Zornig stieß sich der junge Hundedämon von einer Astgabel ab, tauchte tiefer hinein in das durchwucherte Unterholz, das den Boden des Waldes mit Moosen, Flechten und schier unerträglichen Gerüchen überzog; der eine empfindlich genug, um seine Nase zu reizen, der nächste so stechend scharf wie der Blick seines Vaters, als dieser ihm jedes weitere Widerwort mit einem einzigen Funkeln untersagt hatte. Oh, Sesshoumaru wusste zu gut was Gehorsam bedeutete, auch wenn sich jede Faser seines Verstandes gegen die Vorstellung sträubte, seiner Mutter, der Fürstin der westlichen Länder, unter die Augen zu treten, um ihr mitzuteilen, dass ihr Gefährte die Gesellschaft zweier Menschenkinder der ihren vorzog. Sie würde außer sich sein - und er verabscheute bereits jetzt den Moment, da sich ihr schmeichelndes, honigsüßes Lächeln auf ihn richten würde, als ob er zu unbedarft wäre, seine Worte weiser zu wählen. Worauf hoffte sein Vater also? Dass sie sich dank seiner, Sesshoumarus, Gegenwart mäßigen und die Angelegenheit als gut gelungenen Scherz abtun würde? Lächerlich, denn dafür war der Humor der Fürstin viel zu dünn gesät: Nie würde sie sich ungeschoren auf die unterste Sprosse der Demütigung verbannen lassen und ertragen ihn, ihren Einzigen, zu einem nichtsnutzigen Laufburschen degradiert zu sehen. Falls sein Vater versuchte, ihm damit unauffällig eine Lektion über die Natur einer Dämonin zu erteilen, konnte er darauf verzichten. In manche Früchte musste man nicht erst beißen, um zu wissen, wie ungenießbar sie waren! Zähneknirschend stieß sich der Hundedämon von einer weiteren Wurzel ab, doch für die rabenschwarzen Wolken am Horizont, die sich seit Stunden zu einem düsteren, unheilvollen Sturm auftürmten, hatte er nicht einmal ein Wimpernzucken übrig. 37 Unfassbar. Eine halbe Tagesreise lag hinter ihnen und mit jedem Schritt, den Setsuna no Takemaru inmitten der umgeknickten Grashalme und verworrenen Dornenstrünke setzte, sank seine Laune tiefer, und glich mehr und mehr der blutroten Sonne, die am Himmelszelt mit den Wolken verschmolz. Sein Herr, der Daimyo, würde ihn zweifelsohne für die Unvorsicht seiner Männer und sein eigenmächtiges Handeln bestrafen. Doch der General erstickte nicht an den Bürden seiner Zukunft, sondern an der unglaublichen Arroganz, die der Bastard vor ihm zur Schau stellte. Wie selbstverständlich schritt der Dämon voran und unterhielt sich mal unbefangen, dann wieder scherzend mit dem Wesen, das kaum größer als eine Daumenkuppe war und auf seiner Schulter saß. Setsuna no Takemaru hatte nie zuvor einen Flohgeist gesehen, doch er wusste genug über Youkai, um sie allesamt über einen Kamm scheren zu können. Sollten ihn diese Gestalten nur für zu einfältig halten, um nicht zu bemerken, dass sie bereits den dritten Haken im Gelände schlugen, seine Aufmerksamkeit war unerschütterlich. Die erdrückende Müdigkeit, die er dem scharfen Ritt zu Izayoi-samas Rettung verdankte, war nichts verglichen mit dem Bedürfnis diesem Fremden den Kopf abzuschlagen! Bedauerlicherweise schuldete er ihm das Leben seiner Herrin und sein eigenes. Er konnte nicht mehr tun, als unterkühltes Desinteresse vorzuschieben, als der Weißhaarige unverhofft seinen Schritt verlangsamte und sich auf Augenhöhe zurückfallen ließ. Eine Weile schritten sie schweigend nebeneinander her, jeder für sich mit seinen Absichten ringend, dann brach der Inu no Taishou die Stille. "Der Verlust Eurer Männer muss euch schmerzen", bemerkte er. "Ich sah viele Menschen kämpfen und sterben, doch selten waren sie so unerschrocken und tapfer. Mein Sohn hätte Euer Pferd kaum unverdienter töten können." "Wenn es Euch so sehr betrübt", entgegnete Takemaru, "kehrt zurück und fresst es, Dämon." "Um Euch zu beleidigen, General?" "Um Euch zu stärken", erwiderte der Mann mürrisch. "Meine Gesellschaft wird Euch keine Vorteile einbringen, also bemüht Euch nicht weiter um sie." Überrascht, aber fernab jedweder Überheblichkeit sahen die goldenen Augen auf die Züge des Kriegers, hinter dessen krampfhaft verschlossenen Lippen eine Vielzahl unausgesprochener Gefühle lauerten. Myouga hätte ihm diese leichthin übersetzen können, doch der Flohgeist hatte unlängst Gefallen daran gefunden, sich abzusetzen und in sicherer Entfernung den Frauen zu folgen. Nun, natürlich. Myouga schätzte es nicht, seinen Hals in die Nähe einer scharfen Klinge zu bringen. Es fiel ihm leichter zu beobachten und Schwierigkeiten beim Namen zu nennen. Abgelenkt durch seine Erinnerungen richtete der Inu no Taishou den Blick auf die Enkeltochter des Daimyos, die trotz ihrer Jugend bereits erschöpft und kurzatmig schien. Es kümmerte ihn, dass ihre Lider von schwarzen Schatten umrandet waren, in denen die Albträume einer Überlebenden lauerten. Er hatte gehofft, sie zuversichtlicher zu erblicken, doch sie war keine Dienerin, die tagein, tagaus die Gänge entlang eilte. Ihre Kräfte, dem Tod in allen Farben und Formen zu trotzen, waren mehr als begrenzt. Für einen solchen Gewaltmarsch war sie einfach nicht geschaffen. "Wir sollten ein Lager aufschlagen", entschied er ernst und deutete an der Schulter des Generals vorbei nach Nordosten. "Einen besseren Ort als jene Felsen dort hinten werden wir vor Einbruch der Nacht und dem ersten Regen nicht finden." Takemarus Gesichtszüge erstarrten prompt zu Stein. Felsen? Regen? Er sah nichts dergleichen, auch wenn ihm der dunkle Wolkenzug über seinem Kopf nicht entgangen war und ein Geschmack in der Luft hausieren ging, der dem von längst vergorenem, sumpfigen Brackwasser nicht unähnlich war. Wenn das eine weitere Falle werden sollte ... nun, dann war er mehr als gewappnet. Dieser Dämon hatte nicht grundlos ihren Weg gekreuzt! 38 Fürwahr, fürwahr. Eine entzückende Fügung des Schicksals. Selig streckte das Lindwurmweibchen ihren langen, beschuppten Hals mitsamt des Kopfes auf dem modrigen Boden aus, während ihre kaum fingerdicken Klauen erst das Erdreich zerwühlten und sich dann darin wie ein Parasit festsetzten. Der lange Flug in die Wälder des Inu no Taishou hatte sie erschöpft. Die Gelegenheiten, zu denen ein so niederrangiges Schwarmmitglied wie sie die ledrigen Schwingen ausbreiten konnte, waren rar und der seit zwei Stunden unerbittlich auf sie einschlagende Regen alles andere als einladend. Statt sich jedoch mit ihren körperlichen Schwächen oder dem Wetter zu geißeln, konzentrierte sie sich lieber auf das Gefühl, das sich in ihrem Maul so süß und verlockend wie Honig anfühlte. Was für ein ungeahnter Triumph. Es war so erschreckend einfach gewesen, Ryukotsusei für sich zu gewinnen, dass es beinahe beschämend ausfiel. Viele, die sie für weitaus gerissener gehalten hatte als sich selbst, waren bereits an ihn getreten, trunken und süchtig nach den Privilegien von denen eine Drachendämonin wie sie in zweitausend Jahren kaum zu träumen wagte. Genützt hatten ihnen ihr Geschlecht und Ruhm jedoch nichts, denn einer nach dem anderen war dem Schwert des Hundedämons wie frisch geschnittener Reis zum Opfer gefallen. Sie indes war geduldig gewesen, unauffällig fast. Eine Gabe, die sogar ihrer betörend rachsüchtigen Brutmutter in den ersten Tagen nach der Schlupf aufgefallen war. Neben ihrem Bruder, Ryokotsusei, hatten es kaum fünf Geschwister bis in die Jugend geschafft und wer aus ihrem einst vierzigköpfigen Gelege nicht dem mächtigsten Drachendämon erlegen war, hatte dank ihr, der Unscheinbaren, seinen überaus raschen Tod gefunden. Nun, das Menschenpack mit all seinen Daimyos, Ammen und Kindern spann selbstverständlich andere Geschichten um die edlen Drachenyoukai, die hoch oben an den unwirtlichsten Klippen und Berghängen nisteten. Dort waren sie erhaben, weise und wilderten nur dann in fremden Gebieten, wenn man sie zu erzürnen wusste. Kakesa hatte diese Mythen anmaßend genannt und es verabscheut, auf ein solch liederliches Gefühl wie Zorn zusammengestutzt zu werden. In seinem Tobsuchtsanfall hatte er einst ganze Landstriche verwüstet, doch sie, sein Weibchen - dünn und über die Maßen unattraktiv für ihresgleichen - war dem Kern der Wahrheit dahinter fast augenblicklich erlegen. Entrückt fuhr die blaue Zunge aus ihrem Maul und leckte über die rauen Lider der Drachenaugen, dann bettete sich die Drachendämonin so sanft wie ein frisch geschlüpftes Jungtier. Was für ein Glück, dachte sie noch als der Schlaf sie allmählich überkam, dass der Inu no Taishou ihrer nicht ansichtig geworden war. Ihr wäre der Genuss, verborgen im hohen Gras dabei zuzusehen, wie ihrem eitlen Gelegepartner Kakesa und dessen Brutschwester Ligosh der Kopf abgeschlagen wurde, immerhin als Erste im Halse stecken geblieben. Wahrlich, lächelte sie still, der Herr der Hunde hatte allen Grund dazu die frühlingshaften Tage ruhelos zu durchstreifen und Drachenbrut zu richten, wo auch immer sie ihm begegnete. Die Wunde, die sie ihm selbst vor mehr als dreihundert Jahren durch einen hässlichen Zufall hatte schlagen können, würde er nie vergessen - genauso wenig wie das Gewitter, das anschließend über seine unbekümmerte, weltoffene Seele hereingebrochen war. Ob ihm seine Gefährtin diese verhängnisvolle Nacht je verziehen hatte? 39 Ein Krachen durchfuhr den Horizont, erleuchtete ihn gleißend hell und doch rührte sich nicht einmal ein Mundwinkel in den Zügen der Fürstin, als die Nacht Sekundenbruchteile später wieder über Blätter und Äste hereinbrach und schwarz färbte, was schwarz gehörte. Die menschlichen Bewohner der Residenz schliefen längst, aber sie hatte kein Interesse an solch niederen Bedürfnissen und hing giftigeren Gedanken nach. Wie oft hatte sie hier bereits gestanden? Wie viele Nächte durchwacht in dem Wissen, dass er, ihr Gefährte, nie länger als nötig seiner Heimat fernblieb? Es musste Ewigkeiten her sein. Jede einzelne Stunde hatte inzwischen an der Erinnerung genagt, welche sie in eine dünne, aufwendig verzierte Decke gehüllt an den Bambusfenstern ausharren ließ. Fort war die Sehnsucht, verdorben von einer unstillbaren Eifersucht, die es nicht verwinden konnte, von dem Herrn der Hunde gemieden zu werden, als ob ein ansteckendes, eiterverseuchtes Fieber in ihr ruhte. Sie ahnte, woran sein Desinteresse lag und was aus ihnen werden musste, doch jedes weitere Wort, das zwischen ihnen fiel, entfremdete sie einander noch mehr. In diesen Tagen, so viel gestand sich die Youkai trotz ihres angegriffenen Stolzes ein, musterte sie den bleifarbenen Horizont nur noch, um eine Bewegung ihres Einzigen zu erhaschen. Zwei Stunden später löste sie sich von dem Glas, geerdet von dem Wissen, seine weiße Silhouette inmitten der äußersten Ausläufer des Unwetters erkannt zu haben. Warum auch immer er derart früh heimkehrte, sie wusste das Glück seiner Gesellschaft mehr als zu schätzen. 40 Ein Frösteln glitt ihr unter die Haut, unangenehm und stechend wie die Kälte, welche das fast heruntergebrannte Lagerfeuer nicht länger vertreiben konnte und obwohl sich Izayoi mit inbrünstig zusammengekniffenen Augen gegen das Aufwachen wehrte, schrak sie auf, sobald ein Holzscheit in die Tiefe der Flammen brach und Funkenschauer in der Nacht tanzten. Ängstlich zog sie die Seide des Kimono dichter, doch der Versuch sich zu beruhigen, scheiterte an den Erinnerungen, die längst in allen Schatten lauerten. Strünke und Gräser verschwammen zu den Gesichtern von Takemarus sterbenden Männern, und jedes Knacken des Feuers schien dichter an das höhnische Einatmen der Drachenbrut heranzureichen. Inzwischen fürchtete sie den Schlaf, denn er brachte ihr nichts außer der Gewissheit zu schwach zu sein, um den Grauen der Welt zu trotzen. Verdiente sie es überhaupt am Leben geblieben zu sein? Schwermütig strich sich Izayoi eine wirre, schwarze Strähne fort, während sie ihre steifen Knochen dazu zwang, sich soweit aufzurichten, dass sie inmitten der regennassen Kälte sitzen konnte. Mashiko hätte sie für ihre Haltung gescholten, da es der Tochter eines Fürsten nicht zustand die Schultern zu krümmen, aber ihre Amme bemerkte nichts davon. Sie schlief, und Izayoi war nicht traurig darum, mit ihren Gedanken für einen kostbaren Moment allein gelassen zu werden. Die Regeln, die ihr im Tageslicht das Grübeln erspart hatten, konnten sie nicht für immer vor der Wirklichkeit schützen. Ausgelaugt löste Izayoi ihren Blick von dem vertrauten, faltigen Gesicht, dann blinzelte sie, verwirrt über den goldenen Schimmer, der in ihren Augenwinkeln lauerte. Der ... der weißhaarige Dämon sah sie an! Sie wurde blass, aber er unterband ihren erschrockenen Versuch den Kopf zu neigen mit einem einzigen Handwink. "Ihr müsst Euch nicht verbeugen", raunte der Inu no Taishou. "Es ist niemand wach, der es außer mir bewundern könnte." Ihre Lippen öffneten sich, um zu widersprechen, aber sie brachte es nicht über sich. Ein scheuer Blick verriet Izayoi obendrein, dass in seinen Worten keine Lüge gelegen hatte: Der daumenkuppengroße, schwarze Geist schnarchte hörbar inmitten des weißen, aufgeplusterten Fells auf der Schulter ihres Retters und Takemaru, ihr Vertrauter aus Kindertagen, war weit und breit nicht zu sehen. Un ... unmöglich. "Wo-?" "Dort", erwiderte der Herr des Westens ausgeglichen, als er hinüber zu einer Baumgruppe deutete. Obwohl er sich sicher war, dass die Fürstentochter nicht sehen konnte wie der General am Fuße der Rinde mit verbissener Miene hockte und das aufkeimende Wundfieber in seinen Adern überging, war er beeindruckt von dessen Willenskraft. "Sein Vertrauen in die Sinne eines Dämons sind wohl nicht sonderlich ausgeprägt, wenn es um die Nachtwache geht." "Er ... er scheut nie eine Pflicht", beteuerte Izayoi. "Kaum", stimmte er zu. "Und Ihr?" Ich? Sie erstarrte verblüfft. Was sollte sie darauf auch erwidern? Ihr Leben, das wusste sie, war von Geburt an darauf ausgerichtet ihrer Familie Ehre zu erweisen und sich nach allen Kräften um Gehorsam, Demut und Schönheit zu bemühen. Nur eine Frau vermochte es, einen gesunden Stammhalter zu empfangen und die friedlichen Bande zwischen Nachbarn durch Tugendhaftigkeit in der Ehe zu stärken. Aber wusste er das nicht längst? Unschlüssig senkte Izayoi das Kinn und suchte nach Worten, die ihre Situation vereinfachen konnten. "Ich ... nun, es wäre beschämend und undankbar einer Aufgabe nicht nachzukommen, hoher Herr. Ich kann nur wenige Wünsche erfüllen. Einen Befehl auszuschlagen, steht mir nicht zu." "Ihr gabt nie ein Widerwort?" "Nein!" Ihr Atem stockte entsetzt, auch wenn Izayoi sich außerordentlich gut an die Gelegenheiten erinnern konnte, da sie kaum fünf Sommer erlebt hatte und aufsäßig verlangte den Stockkampf erlernen zu dürfen, die Haare bereits wirr im Staub fliegend. Doch das war lange her und die Hiebe und Schelten färbten noch immer ihre Wangen glühend rot. Die bloße Vorstellung, wie sie heute, an einem lichten Frühlingsmorgen auf einer Bambusmatte kniend ihren Großvater belehrte, war unerträglich! "Ihr könntet es öfter tun", schlug der Inu no Taishou vor, während er interessiert das Kinn auf die Handfläche bettete und den deutlich sichtbaren Zwist in Izayois dunklen Augen verfolgte. "Es ist befreiend, seine Gedanken teilen zu können." "Aber, hoher Herr ..." Sie sah ihn an, ihre unglückliche Miene gefangen im Lichterspiel des Feuerscheins, bevor sie ihren Brustkorb in einem mutigeren Atemzug hob. "Würdet Ihr denn Rücksicht auf die Einwände einer Frau nehmen, sobald sie Euch wütend gegenüber tritt?" "Es ist lange her, dass man mich etwas derartiges gefragt hat, aber ... ja", lächelte der Herr des Westens. Unter dem leisen Knistern züngelte eine Lohe über einen sterbenden Ast. "Ich würde mich glücklich schätzen, wenn sie mit mir spricht, denn es gibt nichts Grausameres als Schweigen zu ertragen und dann dabei zusehen zu müssen, wie Elend und Unglück überhand nehmen, bevor sie alles andere vergiften." Izayoi zögerte. "Denken alle Dämonen so wie Ihr?" "Nein", erwiderte der Weißhaarige ehrlich und in dem Bewusstsein, dass die feinen Atemgeräusche inmitten seines Schulterfells seit einigen Sekunden auffallender Stille gewichen waren. Es kostete ihn ein Lächeln seinem heimlich lauschenden, viel zu neugierigen Berater alle Farbe aus dem Gesicht zu treiben, indem er sich betont vertraulich vorlehnte und flüsterte: "Mein Sohn, Sesshoumaru, hört nur noch seiner Mutter zu. Er ist zu jung, um jemanden außer ihr zu achten und beschützen zu wollen - und zu stolz, um eines davon zuzugeben." "Bekümmert Euch das?" "Keineswegs", versicherte er ernst. "Wird das Herz eines Kriegers durch das Schicksal einer Frau berührt, erwirbt sein Geist eine Treue, die kein Rutenschlag lehrt. Eines Tages wird mein Sohn seinen Schutz auf jemanden ausweiten, der noch nicht zur Familie gehört. Dieser Schritt wird mich mit Stolz erfüllen. Denkt nur an den General, der Euer Leben ohne zu zögern über das seine stellte. Nicht jeder Mensch wäre bereit gewesen, einen solchen Höllenritt in Kauf zu nehmen und an dessen Ende noch einem Dämon gegenüberzutreten." "Er hätte dabei den Tod finden können. Was wäre meine Dankbarkeit und Bewunderung für seinen Mut dann noch wert gewesen?" "Alles", erwiderte der weißhaarige Daiyoukai sanft. "Bedenkt bitte eines. Für einen Mann mag es viele Wege geben zu sterben, aber nicht jeder von uns hat die Möglichkeit, damit ein anderes Leben zu retten. Eure Eskorte gab ihr Leben dafür, Euch einen weiteren Sonnenaufgang zu ermöglichen und das ist eines der kostbarsten Geschenke, das man erhalten kann." "Ja." Auch das war ihr schmerzlich bewusst. Unstet verschränkte die Fürstentochter die Fingerspitzen in ihrem Schoß, ehe sie an den roten, emporfliegenden Funken des Lagerfeuers vorbeisah und die pergamentdünnen Lippen befeuchtete. "Als ich noch ein kleines Mädchen war", verriet sie dann, "verlor ich meine Mutter und meinen Bruder, dessen Hand kaum größer war als mein kleinster Finger. Ich dachte, ich würde nie wieder so viel Angst spüren, bis diese Dämonen uns überfielen. Ohne Euch hätte es ein schlimmes Ende für Mashiko und mich genommen." Der Herr der Hunde öffnete die Lippen, als ob er etwas erwidern wollte, doch im letzten Moment scheute er vor seiner eigenen Frage zurück. "Es ... es war nicht Eure Schuld." "Vielleicht. Aber es ginge mir besser, hätte ich auch nur einem von ihnen helfen können." "Gebt die Hoffnung nicht auf. Eines Tages wird Euch das vergönnt sein und die Vergangenheit dadurch an Schrecken verlieren, glaubt mir." 41 Es war der Flohyoukai, der sich zuerst der eigenartigen Atmosphäre bewusst wurde, die zwischen seinem Meister und dem Menschenkind entstanden war. Oh, wenn er nur gleich den Mund hätte öffnen können, statt sich erst übertrieben laut aus den weißen Flusen und seinem vermeintlichen Schlaf schälen zu müssen! Wachsam schmälerte Myouga dann die Brauen, kratzte sich am Kinn und brachte ein Räuspern an, mit dem er die befremdliche Stille zu brechen gedachte. "Eine sonderbare Nacht", hob der Berater lauernd an. "Ich kann dir kaum widersprechen, alter Freund." Entspannt, ja beinahe beiläufig breitete sich das Lächeln auf den Lippen des Inu no Taishou weiter aus, ehe er seinem Berater den Kopf zuneigte. Für Myougas Begriffe reichlich vorwitzig, aber vielleicht wollte er auch nur Dinge sehen, die gar nicht zutrafen. Abwartend huschten die klugen Augen des Flohs noch hinab zu dem Mädchen, doch Izayoi hatte wie erwartet längst ihren Blick gen Boden gerichtet. Nun, ihn sollte ihre Befangenheit vorerst nicht kümmern. Trotzig sprang Myouga von der Seide des Gewandes, um in wenigen und ausgreifenden Sätzen inmitten der Grasnarben zu verschwinden und sich einen Platz zu suchen, von dem aus er die Geschehnisse besser überblicken konnte. Er fand ihn, als er sich nahe des Generals auf einem klammen Stein niederließ: Und dieses eine Mal konnte der Flohyoukai nichts Schlechtes darin sehen, dass ein Mann wie Setsuna no Takemaru ihn um Haaresbreite mit seinem Schwert erwischte. Menschen und Dämonen hatten zu wenig miteinander zu tun, um es nicht ungewöhnlich zu nennen, wenn ein Lächeln zwischen ihnen Brücken schlagen sollte. 42 Geleitschutz nannte er das? Das Glühen in ihren Augen hätte Lebende ins Grab befördern können, aber schon der fein zuckende Mundwinkel verriet, dass sie inzwischen zu lange in den Wäldern des Westens lebte, um sich leichthin in die Karten schauen zu lassen. Eine Fürstin wie sie spielte nach ihren eigenen Regeln und auch wenn sie der Schmerz darüber gemieden zu werden, marterte, legte sich bald ein besserer Gedanke um ihr Herz. Tief einatmend erhob sie sich von der verflochtenen Bambusmatte und schritt durch den Raum. "Ich hatte es dir prophezeit, Sesshoumaru", eröffnete sie lieblich. "Dein Vater steckt voller Überraschungen, sobald ihn das Schicksal eines hilflosen Menschenkindes berührt. Es ist erstaunlich, mit welchem Eifer er einen Drachen schlachtete, der sich nur an den Schwächsten vergriff, nicht wahr?" Grimmig senkte Sesshoumaru den Kopf. "Seine Motive sind mir fremd, Mutter. Er sprach davon, das Wohlergehen der Menschen zu sichern und die Umgebung abzusuchen, das ist alles." "Natürlich tat er das", lächelte sie dünn, doch ihr Einziger ließ sich kaum täuschen. Keine Dämonin, die jemals seinen Weg gekreuzt hatte, war so arglos wie es ihm die Herrin des Westens vorspielte: "Mein verehrter Sohn, hättest du dich genauso entschieden, wärst du bereits in seine Fußstapfen getreten?" "Menschen bedeuten mir nichts", erwiderte er starrsinnig. "So? Und junge Mädchen?" Der Spott ihrer Stimme war feiner gesponnen als jede Stickerei, doch Sesshoumaru spürte bereits den Faden, der sich um seinen Hals legte; bereit zuzuziehen. Ihr Welpe konnte es nicht wissen, doch vor Jahrhunderten war es eben dieser undurchsichtige Charakterzug gewesen, der seinen Vater, den Inu no Taishou, dazu gebracht hatte, Gespräche mit ihr aufflammen zu lassen, wo die Gelegenheiten rar und unpassend schienen. "Mitleid mit einer Frau zu entwickeln, ist ein Hindernis auf dem Weg zur Unantastbarkeit jedes Dämons, Mutter." "Mitleid? Was für ein großes Wort aus deinem jungen Mund. Bist du dir sicher, dass es nur das ist? Es gibt zahlreiche andere Gefühle, wie du weißt. Neid. Eifersucht oder meinen unverhohlenen Liebling, Zuneigung. Hingabe. Begehren." Die Kehle des Hundedämons würgte einen Laut hervor, der einem angewiderten Knurren nicht unähnlich war. "Vater achtet lediglich auf unsere Grenzen. Eine solche Schwäche ..." Lächerlich. Allein die Vorstellung befremdete und beschämte ihn gleichermaßen. "Wir werden sehen, Sesshoumaru. Kehre in zwei Tagen zu ihm zurück und gedenke meiner Worte: Steter Tropfen höhlt den Stein. Auch das schwächste Wesen kann dich verändern, wenn du ihm nicht rechtzeitig den Atem dazu nimmst." Sie winkte ihn fort, und er gehorchte fast erleichtert. An anderen Tagen hätte sie seine Aufbruchsstimmung auf vielfältigste Weise beleidigt, doch die Fürstin hatte längst Anderes im Sinn. Je eher er ging, desto unbehelligter konnte sie sich sortieren. Kurz vor Sonnenaufgang waren ihre Gemächer verwaist und der schnelle, dumpfe Schritt, der die mächtigste Hundedämonin des Westens an ungeschnittenen Grashalmen, wuchernden Wildblumen und einem Meer an Erinnerungen vorbeiführte, blieb der einzige Zeuge ihres Verschwindens. - - - - - - - Nun, wer an dieser Stelle orakelt, dass der Inu no Taishou noch gar nicht weiß, was ihm in Kapitel #10, "Hortensie", blüht - der behält Recht. Kapitel 10: Hortensie --------------------- Apfelblüte - Hortensie - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 43 Drei Jahrhunderte waren vergangen ... Atemwolken stiegen in die eisige Morgenluft empor, dünn und um die eigene Achse wirbelnd, als ob die Röte in ihren Zügen von der Kälte herrühren könnte. Allein, die Fürstin der westlichen Länder wusste es besser. Nie hatte sie sich weniger um die gefrorenen Böden geschert und weniger auf die kostbaren Stoffe geachtet, die ihren Körper umspielten. Nein, an diesem Ort spielte Zeit für sie keine Rolle mehr. Die Etikette, die sich seit ihrer frühen Jugend in ihren Adern niedergelassen hatte, verlor an Macht und allmählich rundete sie die Schultern in Bitterkeit. Vor ihr ragten von Raureif bedeckte, holzige Jungtriebe auf und Graupel zog sich über die Hortensien. Dann vergaß sie ein weiteres Mal in ihrem Leben allen Stolz. "Es ist lange her", raunte die Dämonin den geschlossenen Blütendolden zu, bevor sie hinabsank und den Frost, der sich bald durch die Lagen ihres mit Pflaumenranken bestickten Kimonos stehlen würde, wie einen alten, teuren Freund begrüßte. Anteilnahme, Bedauern. Beides war ihr unter vielen Umständen fremd, doch hier auf diesem Fleckchen Erde, wo der wildgewachsene Strauch im Halbschatten eines uralten, mächtigen Magnolienbaumes gedieh, gab es nichts Anderes. Sie schmeckte noch immer das Leid der Vergangenheit heraus. Drei Jahrhunderte hatten ihr keinen Frieden gebracht und ihr Fürst hatte aufgehört, um sie zu kämpfen, lange bevor sie bereit gewesen war ihm anzuvertrauen, dass Worte allein nicht genügen konnten, um ihm all das zu verzeihen, was er über sie gebracht hatte: Schmerz, Wut. Elend. Inzwischen übertünchte sie all das mit Distanz und Kalkül, doch ihre Stimme war wieder so weich wie damals, als sie endlich die Kraft fand, den unscheinbaren Erdhügel unter der Hortensie ins Auge zu fassen. In ihrer Erinnerung strich sie noch einmal über eine vom Glucksen gerötete Wange, ehe winzige Youkaiklauen - schmal und weich wie eine Feder - ihr Herz berührten und für immer veränderten. "Mein kleiner Liebling", flüsterte die Hundefürstin. "Du hast mir gefehlt..." 44 Ihm lief ein unangenehmes Kribbeln den Rücken hinab, aber als der Inu no Taishou den Kopf hob und die Umgebung mit der Wachsamkeit eines Kriegers musterte, begriff er, dass es keinen Grund dafür gab. Das Feuer zu seinen Füßen war längst erloschen, die Glut kalt und schwer. Im Dämmerlicht des Morgens wartete nichts auf ihn außer den leisen Atemzügen der Frauen, die sich trotz ihres unterschiedlichen Standes im Schutze eines Felsens wie kleine Kinder aneinandergeschmiegt hatten. Ihr Schlaf würde unruhig werden, sobald die trockene Kälte zu ihnen durchdrang, aber noch bewahrte sie der Schleier aus Erschöpfung davor aufzuwachen. Seltsam, lächelte er still. Es lag Friede in der Luft - rauchig und süß wie glühendes Holz. Der Anblick löste in ihm etwas aus, dass er nur schwer beziffern konnte und je länger sein Blick auf den flatternden Lidern Izayois ruhte, ja, je mehr Zeit er damit verbrachte, ihrem schwarzen Haar in allen Bahnen und mühsam festgesteckten Windungen zu folgen, desto stärker erinnerte er sich an ein Leben, in dem Dämonen weder kämpften, noch Menschen starben. Die Nähe, die durch ihr Gespräch entstanden war, verfolgte ihn noch immer. Nein, mehr noch: Er erkannte ihre Sanftheit, nahm den Duft ihrer Ärmel wahr und sah die dunklen, funkelnden Augen. Izayoi war jung - und dennoch hatte das Mädchen leichthin ein Gefühl in Worte gefasst, für das sein Gemüt seit Jahrhunderten keine zu finden vermochte: Schuld. Der Herr der westlichen Länder hatte zu viele Schlachten geschlagen, um zu wissen, dass kein Unglück den Verstand derartig verwüsten konnte wie der Verlust eines Kindes. Er hätte ihr bessere Erfahrungen im Leben gewünscht, als den kaum geborenen Bruder so früh in Asche vergehen zu sehen. Ein Daiyoukai- "Ho-hoher Herr?" Der Inu no Taishou stutzte, verblüfft darüber angesprochen zu werden und sich solche Gedanken überhaupt in der Gegenwart Dritter zu gestatten. Verlegen strich er sich über das Schulterfell und den Nacken. Izayois Stirnrunzeln sah er dennoch. Ebenso die blasse Hand, mit der sie einen Teil der Lagen ihres Kimonos schlaftrunken über die Knöchel schob und einen langen Augenblick wunderte er sich darüber. Dann fiel es ihm wieder ein. Natürlich. Obwohl ihre Zehen noch von schmalen Tabi beschützt wurden, war der Anblick des blanken Hautstreifens darüber nichts, das einem Fremden wie ihm gebührte. Ein Mensch hätte dies zweifellos als Aufforderung verstanden und ihm ... nun, ihm entlockte es kaum noch ein mattes Lächeln. Er verstand inzwischen mehr von den Gräueln der Politik, als von der Wärme einer Frau. "Stimmt etwas nicht, hoher Herr?" Er lächelte flüchtig. "Ich dachte nur daran, wie schwer und leicht das Leben doch sein kann. Das ist alles." Tat er das? Er sah so elend aus. Izayoi zögerte, dann warf sie einen raschen Blick auf die neben ihr ruhende Vertraute, als ob sie sich davor fürchtete, sie bereits geweckt zu haben. Das Haar ihrer Kinderfrau war grauer als an den Tagen vor ihrer Abreise und nie zuvor war ihr aufgefallen, wie strohig und weiß vereinzelte Strähnen bereits schimmerten. Sogar im Schatten der hohen Kiefern und Eichen erkannte sie die Feinheiten. Mashiko hatte nicht einmal alle Reste der Ähren und Gräser von der Kleidung geklaubt, so wie es bei ihr selbstverständlich gewesen war. Und Takemaru? Nun, sie hatte ihm genug Kummer bereitet, um unter seinen Augen nicht erneut ihren Verstand und die Erziehung preisgeben zu wollen. Die Enkeltochter des Daimyos suchte schuldbewusst die nahen Bäume ab, doch er schien wie vom Erdboden verschluckt. Konnte sie es dennoch wagen? Kurz rang die Fürstentochter mit sich, dann schluckte sie die Beklemmung hinunter und erhob sich steif, fast ungelenk in der Frühjahrskälte. Eine feine Gänsehaut gesellte sich zu ihrer Neugierde. Er hatte ihr in dieser Nacht Mut zugesprochen, Zeit. Dennoch wartete sie wachsam darauf abgewiesen zu werden. Als nichts folgte, nahm sie in der Nähe der verkohlten Zweige und zusammengeschobenen Glut Platz. Ein guter Abstand zu ihm, um die Hände in den Schoß zu ziehen und sich etwas unbeobachteter von ihresgleichen zu fühlen. Die unmittelbare Gegenwart ihrer Dienerin machte sie oft nervös. "Es mag ungehörig sein", flüsterte sie dann, "aber Ihr seht besorgt aus. Ich habe vorhin das Knistern von Zweigen gehört und-" "Haselhühner", unterbrach der weißhaarige Dämon verschmitzt. "Wünscht Ihr Waffenschutz?" Sie errötete. "Nein, es ... es hätten auch Drachendämonen sein können", verteidigte sie ihren Einfall mit glühenden Wangen. "Kaum. Solange Lindwürmer ihren Verstand nicht im Blutdurst verlieren, meiden sie meine Gegenwart. Ihre Heimtücke ist ihnen lieber, als eine offene Konfrontation, denn- ... nun, wie auch immer. Es spielt keine Rolle." Der Herr des Westens neigte ausweichend den Kopf, aber Izayoi war sich bereits sicher, in seinen Augen etwas Anderes als Gleichgültigkeit gesehen zu haben. "Ihr solltet es öfter tun", flüsterte sie. "Bitte?" "Eure Gedanken teilen", fuhr sie fort und deutete behutsam an das Kinn auf die Fingerspitzen zu betten, so wie er es noch vor wenigen Stunden getan hatte. Einen Moment starrte er sie sprachlos an, dann lachte er und das machte ihn für alle Seiten unerwartet menschlich. "Ihr seid eine gute Zuhörerin, Izayoi. Ich sollte mich zügeln." Die Dunkelhaarige hob ihre Brauen, was ihr einen tiefen Ausdruck der Verwunderung verlieh, doch ehe sie ihn fragen konnte, ob er darin etwas Gutes sah, winkte der weißhaarige Dämon ab. Sein Blick wanderte weiter zum Horizont und die schwarzen Umrisse der Berghänge rührten an alten Gedanken. Manche schienen ihn zu schmerzen, viele wehmütig zu stimmen, ehe er sich nach langen, einträchtigen Augenblicken des Schweigens ein weiteres Mal zu ihr neigte. Ein Teil von ihm wollte seine Lippen gegenüber einer Fremden versiegeln, aber er bereute die verpassten Gelegenheiten zu sprechen bereits zu sehr, um ihnen noch eine weitere hinzuzufügen. "Ihr habt einen Bruder verloren", begann er ernst, "ich eine Tochter, als sie drei Monde zählte." "Ein Unglück?" "Schlimmer als das." Der Herr der westlichen Länder zog die Luft tief in die Lungen, aber in dem Atemzug steckte fast zu viel Leben, um es ertragen zu können. Er ballte eine Hand zur Faust, ohne sich dessen wirklich bewusst zu werden. "Ich sollte Euch nicht damit behelligen. Es bringt wenig das eigene Schicksal zu bedauern, solange einem noch ein Sohn geblieben ist." Izayoi nickte, doch auf ihren bleichen Lippen kämpfte der Widerspruch. Sie fühlte sich töricht und ungeheuer mutig, weil sie überhaupt daran dachte, das Gespräch zu lenken. Die Nachbarn ihres Großvaters und die Männer Takemarus behandelten sie zwar freundlich und erzählten bereitwillig von ihren Geschicken, doch Trauer blieb hinter einer Mauer aus Schweigen zurück. Gefühle ziemten sich nicht, für keine Seite. Ihr Magen krümmte sich unter der Last dieses Gebot zu übertreten. "Meine Schwester bot mir stummen Halt", flüstert sie. "aber der Schmerz ... er dauert an, tagein, tagaus. Es vergeht kaum eine Nacht, in der ich nicht daran denke, wie es wäre, in die Augen meines kleinen Bruders zu sehen und ihn ... ich rede Unsinn. Verzeiht, hoher Herr." "Nein, bitte." Er löste die Hand, die seine Anspannung barg. "Bitte, fahrt fort." "Ich..." Ihre Augen wichen ihm verunsichert aus. "Ich hatte oft das Gefühl, es ginge nie um die Menschen, die am Leben bleiben. Nachts schmerzen mich vor allem die Stimmen, die ich nicht mehr hören kann." Izayois Mund bildete eine dünne Linie, in der Wehmut mitschwang. "Das ist verrückt. Mashiko sagte mir oft, ich solle nicht träumen und mich darauf konzentrieren, bald eine gute Ehefrau zu sein. Es gibt so vieles zu tun, so vieles vorzubereiten." "Es ist ein harter Weg." "Liegt nicht auch viel Gutes darin?", flüsterte sie scheu. "Hat nicht alles einen Sinn, obwohl es vielleicht nur von kurzer Dauer sein kann?" Sie hatte viel von Ehen gehört, denen kein Monat vergönnt gewesen war, weil die Männer in Schlachten fielen oder Fehden ausbrachen und einen heftigen Ausgang fanden. Ihre Welt war behütet gewesen, doch ihre Naivität kannte Grenzen. Der weißhaarige Dämon hob jedoch schlicht die Schultern. "Ich nehme es an", erwiderte er ruhig. "Ich würde mich sonst ungern mit Euch darüber unterhalten. Ein Teil von mir erkennt sich in Euren Worten wieder und das ist ein überaus seltsames Gefühl. Ich hielt es für leichter, all das zu vergessen. Ich schob den Schmerz beiseite und übertünchte ihn mit freundlicheren Erinnerungen. Ich sah Berge und Täler, half Eidechsen bei der Schlupf und sah sie einen Wimpernschlag darauf wieder sterben. Aber sie ist noch immer hier drin." Der Herr der Hunde hob seine Hand zur Brust, betäubt von der Kälte seiner Rüstung und einer unsichtbaren Last, die das taubenetzte Schulterfell beschwerte. "Mein Berater sagte einst, ich würde mich daran gewöhnen", lächelte er matt. "Ich fürchte nur, dass ich vorher alt und närrisch geworden bin." 45 Eine kluge Einschätzung. Belustigt blähte die Drachendämonin ihre Nüstern, ehe sie mit der Baumkrone wie ein Schatten verschmolz und dann gemächlich die harzige Rinde hinabkroch. Es war ein umständlicher Rückzug, weil ihre Krallen klebten und der Wind jederzeit drehen konnte, doch der Spott auf ihren Zügen machte die Unannehmlichkeiten wieder wett. Was für ein Dummkopf! Nachdem ihre eigene Rast derart unerfreulich zu Ende gegangen war, tröstete sie das beinahe. Sie war von einem einfältigen Oni geweckt worden, der sie mit einem Appetithäppchen verwechselt hatte. Als sie endlich selbst in die Lüfte steigen konnte, hatte sie eine ganze Stunde verplempert. Ihre Klauen waren blutbesudelt gewesen, die Feuchtigkeit des Tages hing zwischen ihren Schuppen und das Bad im eiskalten Fluß fiel noch abscheulicher aus! Die Krönung all dessen bestand darin, dass ihr nur wenige, verdorbene Gedankenspielchen darauf die Witterung des Herrn der Hunde in die Nase kroch. Geistesgegenwärtig hatte sie sich in die nächste Kuhle geworfen und reglos ausgeharrt. Hunde taten schließlich nie das, was einem Drachen wie ihr vernünftig und weitsichtig erschien. Inzwischen schickte sie ihre albernen Befürchtungen jedoch zur Hölle! Offenbar war ihm längst der Verstand über den Verlust seines dummen Welpen abhanden gekommen, denn er war weder auf der Jagd, noch auf der Hut gewesen. Sein Nichtstun hatte sie noch stärker erzürnt als seine menschliche Gesellschaft. Für einen Lindwurm ihres Schlages war es bereits ein Ärgernis, in den schmutzverkrusteten Gesichtern die Menschen zu erkennen, die ihr letztes Attentat überlebt hatten. Doch der Herr der Hunde beließ es nicht dabei: Er ignorierte jeden naturgegebenen Ekel und unterhielt sich obendrein mit einer von ihnen. War das nicht absurd? Aus der unerfreulichen Tatsache heraus, seine Gefährtin bereits aus nächster Nähe zornig erlebt zu haben, war ihr sein Geschmack bisher durchdacht, ja, sogar nachvollziehbar erschienen. Sich im Morgengrauen nun mit einer derart kurzlebigen Gräte zu beschäftigen, entbehrte jedweder Logik. Was fand er nur an ihr? Menschen waren knochig, schmeckten wie bitteres Moos und blieben häufig zwischen den Zähnen hängen. Nun, der Brutmutter sei Dank war es seine Wahl und nicht ihre. Sobald sie mit diesem Hund fertig wäre, würde er sich sowieso wünschen unter seinesgleichen das Leben ausgehaucht zu haben. In sicherer Entfernung angekommen, spreizte die Drachendämonin nun ihre Schwingen, prüfte die Windrichtung der kühlen Ostböen und schwang sich dann so schwerelos über das nahe Unterholz wie ein Ahornblatt. Ihr Ziel hätte ein gut gehütetes Geheimnis sein können, doch die am Ende der Hügelkuppen gelegene Bergfestung stach wie ein eisiger, unfreundlicher Diamant in die Landschaft. Was für ein perfektes Plätzchen für etwas Chaos ... 46 "Das kann nicht Euer Ernst sein, Meister!", schimpfte der Flohgeist dicht bei seinem Ohr, während die Finger anklagend in alle Richtungen flogen und Konsequenzen androhten, die kein Dichter hätte malerischer aus der Tinte ziehen können. Der Herr der Hunde bewunderte den Einfallsreichtum seines Beraters, doch er gab dem Sammelsurium aus Ratschlägen und Befürchtungen keine neue Nahrung. Er schwieg, so wie er es seit Izayois letzter Erwiderung und Myougas Ausbruch vor wenigen Stunden getan hatte. Seitdem waren sie unterwegs, obwohl er darauf achtete, den drei Menschen Zeit für ihre Bedürfnisse zuzugestehen. Der General versorgte die Frauen mit Pilzen und Beeren, und schirmte sie beinahe eifersüchtig vor seinen Blicken ab. Nun, ihm genügte der von Menschenhand tief in den Wald getriebene Pfad und das zeternde Leben in den Baumkronen. Der Floh blieb der lauteste Teil der Kulisse: "Warum musste es ausgerechnet dieses Menschenmädchen sein, Meister? Habt Ihr sie geweckt? Natürlich habt Ihr das, weil Euch die Steine und Gräser nie gut genug für eine Unterhaltung sind. Euer Verstand ist vom Drachenblut vergiftet und mich schickt Ihr fort, um diesen maulfaulen General zu überwachen. Wundfieber, seltsame Patrouillien, Einfälle, ha, von wegen! Ihr solltet mir Kopfschmerzen bereiten. Eine Fürstentochter derart anzusehen-!" Myouga stand kurz davor von seiner Schulter zu purzeln, doch zu ihrer beider Glück ersparte der Herr der Hunde diese Anwandlung und dämpfte den langen, federnden Schritt, bis er völlig innehielt. "Ich wollte ihre Sorgen zerstreuen", erklärte er entwaffnend. "Sie ist ein Mensch", hielt der fuchsige, schwarze Punkt entgegen. "Menschen vergessen schneller ein Unglück, als ich mich von all Euren Ideen erholen kann!" "Bist du nicht etwas vorschnell, alter Freund?" "Was?" Pikiert beäugte der Floh die vertrauten Gesichtszüge, für die er noch vor Tagen die Hand ins Feuer gelegt hätte. Inzwischen war er sich da nicht mehr so sicher, denn sein Meister hatte seit seiner Geburt eine Affinität zu Dummheiten und die wurden nicht harmloser, je mehr Jahre seine Fänge zählten. Ganz im Gegenteil, er übertraf sich sogar in wiederkehrenden Zyklen! Myouga musste schon heftig die Augen zusammenkneifen, um seinen Vorschlägen nicht vorab auf den Leim zu gehen und aus Versehen seinen Segen auszusprechen. Wie hatte das seine eigene Mutter einmal ausgedrückt? 'Viele Hundedämonen in einem Raum sind schlau und geschickt, doch einen allein solltest du fürchten!' Da war etwas Wahres dran. Er musste verrückt gewesen sein, als er dem Herrn der westlichen Länder schon an dessem ersten Lebenstag sein ganzes Herz mit Inbrunst überreicht hatte - verrückt! Dieser elende, unbekümmerte Welpenblick! Sogar Sesshoumaru hatte ihn als zarter, winziger Welpe völlig bezaubert. Ein Gähnen hatte es damals gebraucht, dann war es um ihn geschehen gewesen, jawohl. Wem sollte er das denn heute noch erzählen?! "Myouga? Stimmt etwas nicht?" Der Floh schnappte nach Luft, ohne zu wissen, was sein Verstand gerade verpasst hatte. Die halb geöffneten Lippen des Daiyoukais verrieten ihm, dass dieser mit einer heftigeren Reaktion gerechnet haben musste. Nun, die konnte er auch bei absoluter Ahnungslosigkeit haben: "Fragt mich das, wenn der Tag vorbei ist! Wir geben diese Menschen bei der Festung ab, verbeugen uns nicht öfter als nötig und dann verschwinden wir, wie es Euch und mir gebührt. Mein Bedarf an Scherereien ist gedeckt." Der Inu no Taishou lächelte still, ohne der Versuchung zu erliegen, den Kopf zu schütteln. Es wäre zu auffällig gewesen. Stattdessen hob er die Nase in die Brise, die sich durch Zweige und Äste schlich und den überwältigenden Geruch von frisch aufbrechenden Blüten, wilden Blumen und schnatternden Gänsen mit sich brachte. Vielleicht war das der Grund, weshalb sich der General in seinem Rücken dazu entschied, trotz der hörbaren Debatte zwischen Floh- und Hundedämon die Führung an sich zu reißen. Nun, er hatte eher mit ihm und seiner verborgenen Wut gerechnet. ------- Takemaru wird handzahm sein im Vergleich zu dem, was in Kapitel #11, "Akelei", alle in Form von Izayois Schwester und Ehemann erwartet. Kapitel 11: Akelei ------------------ Apfelblüte - Akelei - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 47 Einen Moment war es totenstill, dann frischte der Wind auf und drückte sich unbarmherzig in jede Ritze des Torbogens. Die Kälte des Frühlings war sogar für die hartgesottenen Männer des Daimyos schwer zu ertragen, doch die Wachen wagten kaum mehr, als in ihre gewölbten Hände zu hauchen und zur Brüstung zu starren. Dort oben lauerte die einzige Gefahr, die sie mehr fürchteten als erfrorene Fingerglieder: Vier grimmige Adelige in Waffen, die Haare zu schweren, öligen Knoten gebunden. Sie standen ungerührt wie die Sonne am Firmament, während das Holz unter dem Gewicht ihrer Rüstungen leise knarrte. Der Fuchsgesichtige unter ihnen täuschte Fremde am leichtesten, denn seine Zügen waren glatt und erinnerten an die eines trotzigen Kindes. "Keine Zweifel", lispelte er. "Der General Eures Schwiegervaters läuft in erster Reihe auf uns zu, mein Herr. Yuudai, mein Vetter, was hältst du davon?" Die vierschrötige Gestalt am Ende der Kette grunzte. "Offenbar ist Setsuna no Takemaru auf seiner Reise die Eskorte abhanden gekommen. Dieser unfähige Narr!" "Dafür sammelt er inzwischen Kuriositäten", lächelte Fuchsgesicht. Prompt hob er die Mundwinkel wie Lefzen, doch als die breiten Schultern des Daimyos zwischen Yuudai und ihm zuckten, wurde er klein wie ein Schatten. "Er wagt es, einen Dämon zu bringen", knurrte der Herr der nordwestlichen Gefilde nur, dann schnalzte er verärgert mit der Zunge und tat einen einzigen, herrischen Wink. Augenblicklich löste sich ein Junge in dickem, braunen Kimono aus den Schatten des großen Tores und eilte unter fliegenden Sandalen an seine Seite, bereit sich auf den Holzboden zu werfen. Der vor Abscheu verkniffene Blick seines Herrn ließ ihm dafür jedoch keine Zeit: "Hol mir drei Dutzend Männer in Waffen!", bellte der Daimyo scharf, "keinen weniger. Und ich werde deinen Kopf von seinen unnützen Schultern schlagen, sollte auch nur einer meiner Vasallen später hinter mir stehen, als dieses Monstrum in Hörweite kommt. Worauf wartest du? Glaubst du der Reis verdient sich durch Maulaffen feilhalten?!" "N-nein, mein Herr!" Der Knabe sprang kreidebleich auf die Füße, entschuldigte sich hastig - womit, das interessierte den Adeligen schon nicht mehr. Diese Made war des Atems nicht wert, den ein Mann seines Standes auch nur zwischen den Zähnen hervorpresste. Der sechste Sohn eines Wachmannes verdiente nie mehr Aufmerksamkeit als die Tintenfische und Spatzen, die in der Küche über offenem Feuer brieten. Finster wandte der Daimyo das Gesicht zu seinem hageren, schlangengleichen Bruder um. "Tajiro. Ich erwarte, dass du dieses Pack und meine Schwägerin nach ihrer Ankunft zu mir führst", wies er an. "Sollte ihnen dabei ein Unglück widerfahren, wirst du es meiner Ehefrau unverzüglich mit der nötigen Heuchelei berichten." "Uns erwartet kein gewöhnlicher Dämon, Kagetora." "Was?" "Seht nur genauer hin, mein scharfsinniger Bruder", unterstrich Tajiro schmeichelnd seine Worte. "Das Haar des Dämons ist weißer als das unserer ältesten Männer, doch die Schwerter an seiner Hüfte ruhen still. Diese Körperbeherrschung besitzen nur mächtige Krieger. Ich halte ihn für einen Daiyoukai." Yuudai, der Grobschlächtige, knurrte dazwischen und schlug sich gegen den pompös verzierten Waffengurt, der über seiner schwarzlackierten Rüstung hing. "Was redest du da? Wer sagt, dass er nicht Attrappen trägt?" "Du elender Dummkopf!", schalt Tajiro. "Dämonen dieses Schlags verabscheuen Schwäche und Gaukelei weitaus mehr als du den besten Kugelfisch. Ich wette sieben kan", immerhin fünfzehn Kilo Kupfermünzen, "dass die Klingen des Dämons schärfer sind als die unseres besten Schmiedes." Fast hätte man meinen können, Tajiro rieb aus Ärger mit dem Daumen über die Lippen, wie man es bei einem guten Tuscheriegel tat. Doch seine Augen funkelten, weil ihn der Anblick des Fremden nervös stimmte. Er selbst trug einen aufwendig geschmiedeten Brustschutz, aber gegen einen Daiyoukai schützte der nicht. "Ich sage, vermeiden wir ein Unglück. Wir sollten ihn zunächst studieren. Verehrter Bruder?" Der Daimyo verengte seine Augen prompt zu Schlitzen. "Ihr habt bis zum Morgengrauen Zeit ihm den Kopf abzuschlagen." "Ein großzügiger Aufschub", lächelte Tajiro und verneigte sich tief. "Ich werde mit Eurer Erlaubnis sofort nach der Fürstin, Eurer Gattin, schicken lassen." "So sei es." Tajiro verzog zufrieden die Lippen und verbeugte sich abermals, dann entfernte er sich still und leise aus dem Kreis der Adeligen. Im Gegensatz zu seinem Bruder und Fürsten, Kagetora, zürnte er Izayoi, der Enkelin des Daimyos der südwestlichen Gefilde, nicht im Geringsten. Nun, warum auch? Sie war lebendig ausgesprochen nützlich und er hoffte leidenschaftlich, dass sie noch mehr Wasser auf das bereits glühende Kohlebecken gießen würde. 48 Scham und Zorn kribbelten in seinem Nacken, doch Setsuna no Takemaru weigerte sich diese armseligen Gefühle auf seinen Zügen zu erdulden. Vier Jahre war es her, seit er das letzte Mal dem steifen, widerwärtigen Protokoll der nordwestlichen Gefilde seine Zeit geopfert hatte, und als er seine angespannten Finger von der Tatami-Matte zurückzog und auf die aufgesetzten Fersen zurücksank, hätte er es nicht stärker verabscheuen können. Die Gesichter der Älteren sahen ihn umso höhnischer an. Konnten sie etwa seine Gedanken lesen? Spürten sie, dass er in einem schwachen Moment selbst den Gedanken ausgebrütet hatte, vier Dutzend Männer zu schlecht ausgebildet zu haben, um sie gegen Drachendämonen zu feien? Mutmaßten sie seine Sorge um Izayoi, die unverzüglich zur Fürstin gebracht worden war? Belächelten sie ihn gar, weil er kniete und sie wie Geier auf ihren Kissen hockten? "General Takemaru", ergriff der Fuchsgesichtige seidig das Wort, denn die Stille im Empfangszimmer begann ihn zu langweilen. Beiläufig wanderte seine Aufmerksamkeit über den Gast, dem niemand die Zeit gegönnt hatte, die Rüstung an der Schulter auszubeulen oder die Fleischwunde zu verbinden. Dann starrte er auf die stahlblaue Seide des Dämons daneben. "Welch sonderbare Gesellschaft Ihr doch kennt. Wer mag Euer neuer Freund wohl sein?" Setsunas Lippen wurden fast weiß. Er drückte sein Rückgrat wie ein Holzbrett durch, das kurz vor dem Zerbersten stand, doch seine scharfe Antwort wurde durch das Lächeln des Hundedämons ruiniert. "Ich bin bloß ein Weggefährte, kein Freund des Generals", erklärte der Inu no Taishou, während Myouga, verborgen in seinem Schulterfell, einige Schimpfworte über das falsche, aufgesetzte Gehabe der Menschen verlor. Der Raum war vielleicht mit prächtigen Behängen und kunstvollen Rollbildern geschmückt, aber die drei Ratgeber und Kriegsherren glänzten nur durch Gehässigkeit. Der Daiyoukai tat jedoch, als ob seine Sinne davon nichts bemerkten: "Ich traf auf Takemaru, als er allein die Fürstentochter vor nicht weniger als zwei Drachendämonen schützte und drängte ihm meinen Beistand auf. Als Herr der westlichen Länder hatte ich, der Inu no Taishou, meine eigenen Rechnungen zu begleichen." "Der Inu no Taishou? Ich verstehe", lispelte Fuchsgesicht und warf einen scheelen Blick zu Tajiro. "Ich erinnere mich an eine Schrift. Vor zweihundert Jahren hatten wir schon einmal einen solchen Hundedämon zu Gast." "Auch das war ich", unterbrach der Herr der westlichen Länder das beginnende Geplänkel vor seiner Nase. "Ist der derzeitige Daimyo fort?" Ihm war der freie Platz auf den Damastkissen, die mit goldenen und roten Fäden das Bild eines Kranichs zeigten, nicht entgangen. "Der Daimyo ist ein viel beschäftigter Mann", erwiderte Tajiro mit gehobenem Kinn. "Er ist bei seinem Sohn, dem zukünftigen elften Daimyo der nordwestlichen Gefilde." Obwohl Tajiro es nicht offen aussprach, war die Beleidigung deutlich herauszuhören. Sogar der bettlägerigste Befehlshaber würde umgehend zu seinem Gast kriechen und die Ehre des Hauses hochhalten, um Stärke zu demonstrieren. Jemanden warten zu lassen und das auch noch zu Gunsten eines Neugeborenen, bedeutete nicht weniger, als ihm seinen Rang abzuerkennen. Niemand, der von Kagetora gehört hatte, wäre jedoch leichtsinnig genug gewesen in diesem Verhalten Dummheit zu sehen. "Das ist eine erfreuliche Botschaft", überraschte der Herr der Hunde und neigte unbekümmert den Kopf. "Mir wurde die Geburt bereits zugetragen. Vielleicht ist es später möglich meine Glückwünsche auszurichten, obwohl mir kein besserer Grund einfiele, an seiner Stelle fernzubleiben." Die Ratgeber musterten sich verwirrt. Dann lehnte sich Yuudai vor, dessen Leib fast die Stoffe sprengte: "Ihr habt interessante Schwerter, Inu no Taishou", bemerkte er den Affront, die Waffen beim Betreten des Raumes nicht abgelegt zu haben. "Sind sie scharf?" Der Herr der westlichen Länder furchte die Stirn, ehe er misstrauisch die Hand auf den Knauf der Höllenklinge legte. "Sou'unga", erklärte der Inu no Taishou, "ist eine kampferprobte, nützliche Klinge." Myouga schnaubte hinter einer Fluse des Schulterfells etwas, das verdächtig nach: "Ihr habt wahnsinnig vergessen, Meister" klang. "Meine Männer und ich würden sie heute zu gern im Einsatz sehen", schmeichelte Yuudai und versuchte sein feistes Gesicht zu einem unwiderstehlichen Lächeln zu bewegen. "Nein", lehnte der Herr der westlichen Länder ab, "Sou'unga ist kein Holzschwert, das daran scheitert einem Menschen den Arm abzuschlagen und im nächsten Streich das Rückgrat zu zerschmettern. Ich habe nicht vor, in diesen Mauern Blut zu vergießen, daher bittet mich kein zweites Mal um einen Kampf." Yuudais Finger, die in der Tradition eines Kriegers gespreizt auf den Oberschenkeln geruht hatten, zogen sich vor Kränkung und Wut zusammen. "Wo wir bereits von Blut sprechen-", presste er hervor. "Wäre es nicht eine famose Idee", fiel Fuchsgesicht ein, "unserem General und seinem Gast die Möglichkeit zu geben, sich etwas zu erfrischen? Diese Zeremonie ermüdet mich!" Demonstrativ ahmte er ein Gähnen nach: "Tajiro, ich hörte von den Plänen am Abend einen Schmaus abzuhalten, wie ihn noch niemand im ganzen Westen sah!" "In ... in der Tat. Werdet Ihr uns die Ehre erweisen, Inu no Taishou?" "Solange Ihr es wünscht, bleibe ich", erwiderte der Herr der westlichen Länder genügsam. Als er aufstand, geschah das so rasch und unverhofft, dass Setsuna no Takemaru neben ihm fast zurückgezuckt wäre: Zum Glück des Generals bemerkte jedoch niemand etwas davon. Eilig verneigte sich auch Takemaru vor den Ratgebern und Kriegsherren, dann folgte er dem Inu no Taishou in langen, beherrschten Schritten. Als er in Hörweite aufgeschlossen hatte, sah sein Gesicht jedoch alles andere als freundlich aus. "Ich brauche Eure Lügen nicht, Dämon." Der Inu no Taishou lächelte ernst, während er kaum lauter als ein hinabfallendes Ahornblatt antwortete: "Ihr hättet Euer Gesicht verloren, wüssten diese Schakale die Wahrheit." "Spart Euch euren Großmut. Meine Ehre war beschmutzt, als ich vor Euch im Staub landete und Ihr mein Pferd bedauern musstet." "Ich wusste gar nicht, dass Ihr den Worten eines Daiyoukais soviel Macht über Euch gebt, General." 49 "Sollte das ein Scherz sein, Izayoi?" Aufgebracht nahm die Fürstin die Holzkohle zur Hand und hielt das Stück an den winzigen, tönernen Pfeifenkopf, der nach einigen Atemzügen zum Leben erwachte. Die feinen Wolken kringelten sich bereits im Raum, da schüttelte sie noch immer das Haupt. "Wärst du mir nur ähnlicher", seufzte die Frau, die wie alle Ehefrauen ihre Haare mit goldenem Papierband aufgerollt trug und von der Schwere der strengen Knoten und Schleifen unbeeindruckt blieb. "Es wird viel Arbeit nach sich ziehen, deine zerschlissenen Kimonos nicht zum Gesprächsthema unserer Nachbarn werden zu lassen. Oh Izayoi, du hättest um diese Dämonen wirklich einen Bogen schlagen müssen!" Ihre jüngere Schwester biss sich auf die Lippen, dann verneigte sie sich und legte die Stirn auf die gefalteten Hände. "Verzeih mir." "Sei nicht albern", wurde sie gescholten. "Du könntest dich einhundert Mal verbeugen und deine Schuld wäre kaum vergessen." "Ich habe überlebt, Chidori", widersprach die Schwarzhaarige. "Ist das nichts wert? Gute Männer fanden den Tod um meinetwillen, und ich schaffe es kaum ihre Gesichter zu verdrängen, sobald ich die Augen schließe." "Izayoi!", mahnte Chidori entsetzt. "Wo hast du nur diese Angewohnheit her, über deine Befindlichkeiten zu plaudern?!" Rasch sah sie zu der Dienerin, die Mashiko von ihren Pflichten entbunden hatte, um die Amme in neue, saubere Gewänder kleiden zu lassen. Ihre kleine, pummelige Gestalt täuschte nicht über die Wichtigkeit in diesem Haushalt. Sie schnatterte wie eine Gans, trotz ihrer schiefen Zähne. "Ich warne dich, Yumiko. Wag es dir nicht, darüber ein Wort zu verlieren oder du wirst es bereuen! Ein einziges Gerücht nur, dann ist es aus. Hast du mich verstanden?!" Die Alte, deren Haar bereits ergraut war, zog sofort den Kopf zwischen den Schultern ein. "Ich habe nichts vernommen, Herrin." Auf Händen und Knien rutschte sie rasch weiter zu dem Wasserkrug, der auf einem mit Apfelblüten verzierten Tablett stand und zerstreute die unangenehme Stimmung mit der Erfüllung ihrer Pflicht. Obwohl sie die Tatami-Matten unter sich anstarrte, hielt sie doch zielgerichtet eine Trinkschale empor. "Nun, du solltest dich ebenfalls sammeln, Izayoi", beschloss Chidori, als sie das winzige, perlmuttfarbene Gefäß in Empfang nahm. "Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken. Es war die Pflicht dieser Männer in den Tod zu gehen, obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte, wären sie geschickter gewesen und am Leben geblieben. Der Überfall dieser Drachen muss sie vollkommen übertölpelt haben. Warum sonst sollten sie uns solche Scherereien aufhalsen? Und dann diese Gestalt, die du zu uns gebracht hast!" "Er ... er hat einen Namen." "Du hast mit ihm gesprochen? Izayoi!" "Er, nicht ich", beeilte sich die Schwarzhaarige zu sagen, obwohl ihre hochroten Wangen die Lüge ins Straucheln brachten. Aber seit sie die Residenz betreten hatte, waren ihr mehr wütende Blicke begegnet, als an dem Tag, da sie ihren Großvater danach fragen wollte, ob auch ein Mädchen einmal eine Rüstung aus schweren Platten tragen könnte. Sie wollte ihre Situation nicht noch weiter verschlimmern: "Warum sollte ich mit einem mächtigen Dämon reden?" "Das wüsste ich auch nicht. Er wird hoffentlich vor Sonnenuntergang verschwunden sein", stimmte die Fürstin zu, um nach einem Schluck Wasser noch drei weitere Züge aus der Tabakpfeife zu nehmen. "Ich will mir gar nicht vorstellen, was geschieht, sollte so ein Monster mit meinem unschuldigen Sohn Kosuke allein im selben Raum sein." "Darf ich ihn heute sehen, Chidori?" Die verhärteten, verstimmten Gesichtszüge ihrer Schwester entspannten sich etwas. "Später. Zunächst müssen wir dafür sorgen, dass du wieder aussiehst, als ob es für jeden einflussreichen Mann eine Dummheit wäre, dir nicht einen Platz an der Seite des Shogun zu prophezeien." Izayoi nickte. "Ich danke dir." "Das solltest du auch, Kagetora wäre anders mit dir verfahren." Chidori sah zu der papierbespannten Tür, als ob sie ihn dort erwartete, dann atmete sie gereizt ein. "Yumiko, worauf wartest du eigentlich? Fang an! Izayois Haare sind das schlimmste Vogelnest, das ich kenne!" "Natürlich, Herrin." Rasch schlich sie zum anderen Ende des Raumes. Mit geübter, schneller Hand kontrollierte die Dienerin dort die Brennschere, die in einem Kohlebecken lag, und eine Stange Wachs. All das war von herausragender Qualität, aber zuvor galt es mit den Kämmen und der Pomade ein Wunder zu vollbringen. Fünf Wasserschüsseln später hatten sich Schmutz und Staub von der Jüngsten im Raum abwaschen lassen, dann galt es. Als Yumiko den gröbsten Kamm ansetzte, wurde den drei Frauen bewusst, was für eine Arbeit auf sie zu kam: Nach wenigen Minuten standen Izayoi die Tränen in den Augen. "Spar dir das", versetzte Chidori, ehe sie das Schälchen und die Pfeife in ihren Händen gegen aufwendigen Haarschmuck tauschte. "Ich habe nicht einmal Schwäche gezeigt, als ich Kosuke das Leben schenkte und glaube mir, diese Schmerzen hätten es verdient gehabt." "Schriebst du nicht, es war ein freudiges Ereignis?" "Es war die Hölle", kommentierte die Fürstin knapp. "Sei ein wenig gescheiter, Kagetora stand neben mir, als ich die Tusche zerrieb. Eine gute Ehefrau würde nie etwas auf eine Pergamentrolle schreiben, das ihren Gatten in Verruf bringt. Für uns gibt es keine Gnade." "Großvater vermutete bereits, dass es nicht leicht sein würde." Izayoi dachte an die wässrigen Augen des alten Daimyos zurück, doch der auf ihre Kopfhaut einstechende Kamm nahm ihr prompt den Atem. Erst als der Geruch des schmelzenden Wachses die Luft erfüllte, fand sie die Kraft weiterzusprechen. "Gedeiht Kosuke, wie du es wünschst?" "Nein", flüsterte Chidori angegriffen. "Er ist winzig und zerbrechlich. Sein Atem ist schwächer als das Zupfen an einem Shamisen, sobald er schläft. Yugo, die Mutter meines Mannes, lässt keine Gelegenheit bei ihren vielen Besuchen aus, um an seiner Gesundheit etwas auszusetzen." "Wie erträgst du das?" "Indem er jeden Morgen aufwacht und die Welt begrüßt, Izayoi. Heirate und bekomme Söhne, statt deine Zeit mit grauenhaften Dämonen zu vergeuden." "Und wenn er nicht grauenhaft wäre?", wandte Izayoi halblaut ein. "Dann wäre er immer noch nicht gut genug, um mit meiner kleiner Schwester auch nur ein halbes Wort zu wechseln", erwiderte Chidori mit gemischten Blick. Nachdenklich verdrehten ihre Fingerspitzen einen Teil des Papierschmucks, der auf dem Überkimono die bestickten Kranichflügel berührte, dann seufzte sie - und zuckte zusammen, als die Tür zu ihrer Linken aufgerissen wurde. "Herrin, verzeiht!", platzte eine Dienerin mit kalkweißer Miene herein, ehe sie sich fahrig auf die raue Bambusmatte warf. "Die Mutter unseres geschätzten Fürsten kam soeben durch den Torbogen! Sie fragt bereits nach Euch und Eurer Schwester!" Chidori schien wie vor den Kopf gestoßen, dann verfinsterte sich ihr Gesicht schlagartig. "Ich verstehe. Kein einziges Wort zu Yugo", wies sie Izayoi harsch an und schlüpfte mit einer einzigen Geste zurück in die Rolle der Fürstin, deren schlimmster Feind gerade die Burgmauern erklommen hatte. "Sie würde unserem Großvater sofort eine Pergamentrolle überbringen lassen und dein Benehmen tadeln." "Aber-" "Das ist keine Bitte, kleine Schwester." Izayoi verstummte, dann fügte sie sich unter allen Befürchtungen, die auf sie einstürzten und die vorerst unausgesprochen bleiben mussten. Weder sie, noch Chidori hatten eine andere Wahl. Izayoi fühlte sich seltsam unbedarft, weil sie allen Ernstes angenommen hatte, in den Mauern der Residenz eine Zuflucht vor den Drachen und anderen Gefahren zu finden. So einfach war das jedoch nicht ... 50 "Seht, Meister", murrte der Floh angriffslustig in der Baumkrone. "Da kommt der nächste buntgeschmückte Pfau, der uns bei der ersten Gelegenheit die Augen aushacken wird. Wir sollten endlich weiterziehen, ehe die Feindseligkeit an diesem Ort dafür sorgt, dass ich am Ende des Tages einen Pfeil im Rücken ziepen spüre." "Es gibt einen derart winzigen Bolzen, alter Freund?" Myougas Augenlid zuckte prompt, dann beschloss er den gemeinen Scherz nicht gelten zu lassen: "Menschen können äußerst erfinderisch sein, wenn sie dafür mit dem Kopf eines Dämons belohnt werden!" "Nun, diese haben uns stattdessen zum Bankett eingeladen." "Ihr verwechselt das mit einer großzügigen Henkersmahlzeit", widersprach der Flohgeist und zupfte das Schulterfell vor seiner Nase in eine bessere Position, damit er den prächtigen Seidenkimonos am anderen Ende des Hofes folgen konnte. Die Schritte der Frau waren bemerkenswert winzig, denn es fiel sogar ihm als Dämon schwer zu sehen, wie sie den sorgsam von links nach rechts gefegten Sand verschob. Als die Fürstin - denn es gab keinen Zweifel daran, dass ihre Position geringer war - den ersten Schritt auf glattpoliertes Holz setzte, erhaschte Myouga endlich einen Teil von ihrem mit Reispuder bestäubten Gesicht. Kurz darauf wurde ihm eiskalt. Diese Frau zählte vielleicht zu den kleinsten, die er jemals gesehen hatte, doch ihre Nase schien nicht nur den Himmel zu berühren, sondern gehörte zu einer durch und durch bösartigen Totenmaske. "Sie könnte ein Kappa sein", gruselte es Myouga, "um die schlägt man auch besser einen Bogen." "Ich hoffe, das ist eine schlechte Einschätzung", raunte der Inu no Taishou, während er sich tiefer in den Schatten des aufblühenden Apfelbaumes schmiegte und die karge Rinde in seinem Nacken spürte. Er machte keinen Hehl daraus, dass ihm die Räume, die man ihnen mit einigen Wasserkrügen und Schalen zur Verfügung gestellt hatte, keinen inneren Frieden bescherten. Sie waren prunkvoll, doch das waren auch aufwendig ausstaffierte Vogelkäfige. Als Fremder tat er gut daran, sich über die versteckten Botschaften der Residenz Gedanken zu machen: Eine ging dabei unweigerlich von der Dienerschaft aus. Inzwischen hatte er gute drei Dutzend von ihnen gesehen und jeder war fleißig, schnell und flüsternd unterwegs gewesen. Manchen folgte die Nervosität auf dem Fuße, Andere achteten auf den kostbaren Nachtigallböden auf jeden falschen Atemzug. Sie verrieten damit viel über den Hausherren und dessen Regiment: Die Menschen führten offenbar ein äußerst strenges Leben, doch ihre Kleidung war ordentlich und sauber. Sogar die Witterung, die hinter den süßlich duftenden Apfelblüten lag, schien von Krankheiten und Wundfiebern nichts zu verstehen. Sein Instinkt bereitete ihm dennoch Unbehagen. Irgendetwas- "Meister", unterbrach ihn Myouga, "dort unten scheint euch jemand zu suchen." Erstaunt sah der Flohgeist an dem langen Baumstamm hinab und musterte den braunen Kimono mit grünem Halskragen, dann fiel ihm ein, wer die Frau sein musste. Fast hätte er sie nicht erkannt, so sehr war er an die verstaubten Gewänder und das wirre Gesicht bereits gewöhnt gewesen: Mashiko, die forsche Dienerin! "Ich hätte sie in der Nähe Izayois erwartet", stellte der Daiyoukai fest. "Offenbar haben sie keinen Anderen gefunden, der freiwillig mit Euch spricht", bemerkte der Floh ketzerisch. "Ihr habt das junge Ding, das Euch eigentlich zugeteilt wurde, fast zu Tode erschreckt." "Ich habe sie angelächelt." "Das ist doch das gleiche!", schmetterte Myouga ab und deutete mit einem Kopfnicken auf Mashiko. "Nehmt meinen Rat an, und erspart ihr dieses Versteckspiel. Sie ist ein Mensch und es fehlt ihren Augen ohnehin an der nötigen Schärfe, um Euch zu entdecken. Ihr solltet sogar froh sein, dass sie nicht gehört hat, dass Ihr die Fürstentochter beim Namen nennt!" "Das bin ich. Sie würde mir sonst nur dazu raten, ihn sofort wieder zu vergessen und meinen Sohn nachzuahmen, der von Menschen nichts wissen will. Ist das nicht der angenehme Lauf der Dinge, Myouga?" Interessiert sah der Weißhaarige hinab zu seinem Berater, doch ehe Myouga das winzige Tuch aus seinem Ärmel gezogen, glatt geschüttelt und seine Antwort überdacht hatte, krächzte die Stimme der Dienerin dazwischen. "Hoher Herr?" Obwohl weit und breit niemand zu sehen war, kniete sie in steifer Etikette zwischen den saftiggrünen Grashalmen und ignorierte sogar den Marienkäfer, der Millimeter vor ihrer Nasenspitze krabbelte. "Es steht mir nicht zu euren dämonischen Berater zu berichtigen, aber mein Augenlicht ist auch nach vierzig Jahren noch brauchbar und erkennt eine derart ungewöhnliche Rüstung im Schatten eines Apfelbaumes. Erlaubt mir Euch zum Bankett zu geleiten und ... und eine Bitte auszusprechen." - - - - - - - Was kann Mashiko von einem Dämon wollen? Ihr erfahrt es in Kapitel #12, "Mohnblume"! Kapitel 12: Mohnblume --------------------- Apfelblüte - Mohnblume - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Anmerkung: Dieses Kapitel ist seit damals gewidmet. - - - - - - - 51 "Ihr wollt mich um etwas bitten?" Erstaunt sah der Herr der westlichen Länder auf die Dienerin herab, deren Herz unlängst schnelle, angespannte Schläge vollführte, während ihre Fingerspitzen steifer denn je die Gräser niederdrückten. Alles an Mashiko strahlte Loyalität aus, Dienstbeflissenheit und Sorge. Auch ohne seine dämonischen Sinne wurde ihm dadurch die Last bewusst, die Mashiko mit ihren offenen Worten auf sich nahm: Es gab kaum etwas Ungewöhnlicheres als einen Daiyoukai anzusprechen, noch dazu in einer fremden Residenz. Er selbst hatte zwar seine helle Freude daran, mit Menschen einige Worte zu wechseln, doch für ihresgleichen war es ein sicherer Schritt in den Tod. Dämonen neigten dazu Freundlichkeit mit Heimtücke zu vergelten, und die adeligen Herrschaften werteten jede Silbe als Kuppelei oder Verrat. Trotz seines Alters konnte der Inu no Taishou die bisherigen Bündnisse mit Menschen an zwei Händen abzählen: Eine Bitte an ihn hatte sich noch seltener darunter befunden. "Ich höre Euch zu", entschied er ruhig, und noch bevor Myouga entgeistert den Mund öffnen konnte: "Jedoch nur unter einer einzigen Bedingung." "Hoher Herr?" "Seht mich an. Ich sagte bereits Eurer Herrin, dass ich mich ungern mit den Gräsern vor ihrem Gesicht unterhalte und ich werde Euch nicht anders behandeln, als sie es tut." Auf den Zügen des weißhaarigen Dämons breitete sich ein warmes, nachsichtiges Lächeln aus. Dennoch vergingen viele Sekunden bis Mashiko den Mut, ja, sogar den Glauben daran fand, sich nicht verhört zu haben. Konnte es sein-? Die Dienerin wagte es nicht ihren Blick höher zu nehmen, als das dichte Wurzelwerk des Apfelbaumes ragte, aber für den Inu no Taishou war jeder einzelne Zentimeter, der ihre Nasenspitze vom Erdboden trennte, ein Zugeständnis. Mashiko leckte sich über die trockenen, spröden Lippen: "Es ... es würde die Herrschaften dieses Ortes erzürnen, täte ich mehr, hoher Herr." "Jede Welle beginnt mit einem einzelnen Stein, der auf die Oberfläche trifft", entgegnete der Herr der westlichen Länder besonnen. "Und nun sprecht. Ich gebe Euch mein Wort, dass ich über alles nachdenken werde, was Ihr erwähnt." "Ich ... ich danke Euch, hoher Herr." "Meister! Glaubt Ihr wirklich, dass dies eine gute Idee ist?", flüsterte Myouga noch vor der ersten Silbe dazwischen. Seine Fingerspitzen zuckten dabei empört, denn obwohl ihn seine Neugierde schlicht umzubringen drohte und er seine Nase für einen kleinen Hinweis gegeben hätte, sah sein Verstand bereits ein ganzes Sammelsurium an Problemen am Horizont aufglühen. "Ihr habt eine wartende Gefährtin", brachte Myouga an, "Euer Sohn ist verschwunden und Ryukotsusei-" "Alles zu seiner Zeit, teurer Freund", schnitt ihm der Daiyoukai das Wort ab. "Erinnerst du dich noch an den Ratschlag, den du mir vor zweitausend Jahren gabst?" "Nun, ich-", verwirrt rieb sich der Flohgeist über die Wange, "ich gab Euch damals viele nützliche Weisheiten mit auf den Weg. Welche meint Ihr?" Durfte er etwa wider besseren Wissens hoffen, dass die Hundeohren nicht so taub waren, wie er allzu häufig dachte? Bei Sesshoumaru war ein solcher Gedanke verrückt, denn dem saß die störrische Jugend im Nacken, aber sein Fürst und Meister ... Der Inu no Taishou unterbrach ihn vergnügt. "Du sagtest, alter Freund: Nur ein weiser Dämon besitzt die Geduld und das Feingefühl, einem schwächeren Wesen die Hand zu reichen." "Ja, das tat ich", schluckte Myouga, während sein Gesicht in eine Untiefe hinabstürzte, die sogar die schweigende Dienerin als Unbehagen erkannte. Dann wurde Ärger daraus: "Oh, ich hätte wissen müssen, dass Ihr diese Erkenntnis eines Tages gegen mich verwendet! Irgendwann wird Euch die Zuneigung zu den Menschen den Kopf kosten, aber dann fragt bloß nicht, wo ich gewesen bin." Trotzig ließ sich der Flohgeist in das Schulterfell hinein plumpsen und ignorierte dank des ihm eigenen Starrsinns jedweden Spott, der milde über ihn hinweg strich. "Wir sollten diesen Moment nutzen", wandte sich der Herr der westlichen Länder wieder der Dienerin zu. "Sprecht." "Natürlich." Mashiko blinzelte, um nicht zugeben zu müssen, dass die eigenwillige Plänkelei der Dämonen einen Teil ihrer Nervosität mit sich fort gerissen hatte, doch der Ernst der Lage war ihr dennoch bewusst. Augenblicklich senkte sie wieder ihren Kopf und gab unter einem Schlucken preis, was ihr so sehr zu schaffen machte. "Der ... der Bruder des hiesigen Daimyos heißt Tajiro. Er plant, meine Herrin noch in diesem Sommer zu ehelichen. Sollte man ihm den Zuspruch verwehren, beabsichtigt er sie zuvor in eine fürchterliche Lage zu bringen und ... und sogar ein Knabe weiß, was sich dahinter verbirgt. Ich schwöre Euch bei meinem Leben: Ich habe mit eigenen Ohren gehört, dass er sie noch in der ersten, offiziellen Nacht ermorden lassen will, um sich an dem Daimyo der südwestlichen Gefilde, ihrem Großvater, zu rächen. Ich weiß nichts von den Gründen seiner Abscheu, aber ich bitte Euch, hoher Herr." Mashikos Stimme fiel zu einem Flüstern zusammen: "Verhindert es." 52 Als der Nachmittag hereinbrach, war der Himmel dicht und grau geworden. Die Luft trug seit Stunden den Geruch von Regen mit sich und der Wind zog unbarmherzig an den Apfelbäumen, um ihnen die letzten Blütenblätter zu entreißen. Diener eilten stumm von einem Ort zum anderen, schoben schwere Holzriegel beiseite und huschten an den Papierwänden vorbei, hinter denen das boshafte Lachen Yugos den Frieden des Hauses brach. "Was für ein Scherz", ertönte ihre Stimme. "Mein Fürst, Ihr hättet früher auf mich hören sollen und einer anderen Frau den Vorzug geben müssen. Chidori mag Euch das Versprechen gegeben haben, einem starken und unerschütterlichen Knaben das Leben zu schenken, aber ihr Betrug ist offensichtlich. Sie beleidigt Eure Ehre als Kriegsherr. Seht Euch doch das Bündel an!" Yugos schneeweiße Hand glitt wie ein Eissturm über die rauen, faserigen Tatami-Matten, aber nicht einmal Kagetora tat ihre überhebliche Geste als Nichtigkeit ab. Die altehrbare Fürstin, die er um beinahe zwei Köpfe überragte, hatte Kosuke vom ersten Atemzug an verachtet. Es war ihre Idee gewesen das winzige, zerbrechliche Neugeborene nur in dünne Seide eingehüllt auf den Untergrund aus Bambus zu betten. "Ein zukünftiger Daimyo", fuhr sie verächtlich fort, "hätte den Überlebenswillen zu schreien, bis er die Kraft aufbringen und eine Klinge führen kann. Seine Mutter ist den Reis nicht wert, den man ihr zur Verfügung stellt." Yugo schmälerte die Augen, ehe sie sich etwas herausnahm, was keinem anderen Anwesenden im Raum eingefallen wäre: Sie überging die schweigsame, tödliche Miene Kagetoras, ihres Erstgeborenen, und starrte die pausbäckige Dienerin hinter dem Baby an. "Ist das dein Ernst?", herrschte sie das junge Ding an. "Du wagst es, deinen Blick zwei fingerbreit vom Boden zu heben, während ich im gleichen Raum bin?" Noch ehe die Amme des kleinen Kosuke kreidebleich angelaufen war, presste sich ihr Atem gegen das Holz. "Verzeiht", flüsterte sie überstürzt, doch zu ihrem Unglück - und Yugos Bedauern - mischte sich Tajiro ein. Der schlangengleiche, hagere Mann hatte sich einen Platz im Halbschatten der Kohlepfannen gesucht und genoss den Schein der Flammen, der die Hälfte seines Gesichtes wie Spinnenbeine überzog. Ein naives Gemüt hätte er täuschen können, nicht jedoch die Amme. Seine Hilfsbereitschaft würde sie teuer zu stehen kommen: "Ach, Mutter", schmeichelte Tajiro besonnen, "wir sollten meinen scharfsinnigen Bruder, den Fürsten, nicht mit Banalitäten langweilen." "In der Tat." Yugo lächelte dünn. "Los, bring meinen Neffen fort", verkündete Tajiro und die milchige Vorfreude in seinen Zügen sorgte dafür, dass die Hände der Amme ganz klamm wurden. Ihr Wunsch zu gehen und ein Wiedersehen so lange wie irgendmöglich hinauszuzögern, war verrückt, doch er beflügelte ihr Tun: Rasch nahm sie Kosuke an sich, dessen Lippen pergamentig und blau schimmerten, und trug das Bündel hinaus. Hinter ihr schabte die Schiebetür rasch zurück. Yugo spitzte hämisch die Lippen. Diese Spielereien waren der einzige Grund, weshalb sie akzeptierte, nicht innerhalb der Residenz untergebracht worden zu sein, so wie es ihr in vielen anderen einflussreichen Familien zugestanden hätte. Chidori hätte dem Fürsten und ihr, der Schwiegermutter, dienen müssen: Eines Tages würde sie herausfinden, wie es das dumme Kind angestellt hatte, ihre Meinung zu umgehen. Doch ehe Yugos niederträchtige Gedanken einen Weg auf ihr mit Reispuder bestäubte Gesicht finden konnten, glitt ein weiteres Mal eine Papierwand zurück. Sieh an. Wie reizend, dass die Fürstin ihre eigene Schwester zur Schlachtbank führte... 53 Der steife, bestickte Kragen lag seit einer Stunde unangenehm auf ihrer Haut, doch Izayoi wusste, dass die Qualität des Stoffes mit dem beklemmenden Gefühl in ihrer Brust wenig zu tun hatte. Zu einer anderen Gelegenheit hätte sie verstohlene Blicke auf die Wandbehänge und kunstvoll arrangierten Pergamentrollen geworfen, ja, vielleicht sogar die Stofffalten und Bänder an ihrem Kimono zählen können, doch der Bruder ihres Schwagers saß nur wenige Meter von ihr entfernt. Aus den Augenwinkeln sah sie Tajiro soeben entzückt lächeln, obwohl die Ausführungen Kagetoras derzeit nüchterner als ein polierter Stein klangen. Machte er sich etwa über seinen Daimyo lustig? Nein, unmöglich. Er war ein ranghoher Berater, der auch den letzten Muskel auf seine Pflicht und Ehre ausrichtete. Chidori hatte ihr noch vor dem Papierschirm zugeraunt, dass sogar die wunderschön anzusehenden Kronenkraniche spitze Schnäbel besäßen und Finten legten. Tajiros markante Wangenknochen, die hohe Stirn und der wie Lack glänzende Haarknoten erinnerten sie sehr an diese Tiere. Aber was half es ihr? Hätte sie die Anwesenden bloß besser gekannt. Still und leise schlug Izayoi die Lider nieder und verfolgte, wie Kagetora über einen grobknochigen Mann zu spotten begann, der sich auf einem längst vergessenen Schlachtfeld in das falsche Schwert gestürzt hatte. Tajiro lachte als Erster auf, doch in ihrem eigenen Herz rührte sich nur Mitleid für den Toten. Nein, sie konnte es nicht abstreiten. Die Reise in den Nordwesten hatte ihre Ansichten verändert. Ein Kampf bedeutete für Izayoi nicht mehr Ehre und Geschick. Er trennte auch nicht länger die Spreu vom Weizen. Stattdessen erinnerte sie der andauernde Hohn über die Sterbenden an den einzigen, weißhaarigen Mann, der im Blut keinen Frieden fand. Wie verrückt. Das Bild des Inu no Taishous ruhte klar und deutlich vor ihren Augen, aber es erstaunte die junge Frau, wie mühelos sie seine Gesten und das unerschütterliche Lächeln vor sich sah. Sie kannte ihn doch kaum! Dennoch hatte der hohe Herr so aufrichtig um ihre Meinung gebeten, dass ihr das Empfangszimmer und die Anwesenden nun kühler und lebloser denn je erschienen. Sie kniete in einem Käfig - und daran konnte nicht einmal die Gegenwart ihrer verehrten Schwester Chidori etwas ändern. Wo der Daiyoukai wohl sein mochte? War er abgereist? Takemaru war ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt und Izayoi verbrachte lange Minuten damit, über das Schicksal des Generals nachzudenken. Der Hinterhalt der Drachendämonen hatte seinem Ansehen schwer geschadet und ihre zerstörten Kimonos kamen seine Familie teuer zu stehen. Männer waren für weniger Schande aus den Diensten ihres Großvaters entlassen worden und- "Izayoi." Um ein Haar hätte ihr Herz einen Schlag ausgesetzt, doch dann berührte ihre Stirn bereits die Tatami-Matte. Der Sandelholzkamm stach Izayoi noch unangenehmer in das Haar und als sie das Kinn ehrfürchtig neigte, schienen sich die aufgerollten Strähnen, die durch das Wachs klebrig und schwer geworden waren, fast lösen zu können. "Mein Fürst?" Es war kein gutes Zeichen von Kagetora angesprochen zu werden, das war es nie. Zäh fuhr sich der Daimyo über das Kinn und in seinen Augen lag tiefer, unverhohlener Zorn. "Meine Mutter wünscht eine Unterhaltung. Tajiro wird euch begleiten." Seine Hand wischte sie fort, wie man ein unliebsames Insekt verjagte, doch nicht einmal Chidori - die leichenblasse, stolze und wunderschöne Chidori - wagte es der Entscheidung ihres Mannes etwas entgegen zu setzen. Er war der Fürst, der mächtigste Mann im Raum, ihr Herr und Gebieter. Der Erste und der Letzte, der über ihren Atem entschied. Izayoi spürte den Blick, der ihr quer über das Bambus zugeworfen wurde und sie wünschte, Kagetora hätte sie nicht allein in das Spinnennetz gestoßen. Sie ... sie würde den Mund nicht halten können, wenn Tajiro und Yugo das Wort an sie richteten. Wie sollte sie so die Bitte ihrer Schwester erfüllen und schweigen? Aber sie hatte keine Wahl. "Ich danke Euch, mein Fürst", flüsterte sie unglücklich. Eine tiefe Verbeugung später, zog sich Izayoi zurück, erhob sich. Der mehrlagige Kimono drückten ihre Schultern nieder und ihr wurde beinahe schwindelig vom Gewicht des schweren Obis. Unbemerkt und lautlos wie der Tod war Yugo an ihre Seite getreten, lächelte: "Komm, mein liebes Kind. Uns erwarten die ersten Speisen und deine Künste, uns den Tee zuzubereiten. Es gibt nichts, wovor du dich fürchten musst." Der eisige Schauder, der Izayois Nacken hinauf schlich, sagte ihr etwas anderes. 54 Yugo streckte ihr Kinn in einer Selbstgefälligkeit, die erahnen ließ, was für eine bemerkenswerte Schönheit sie einst gewesen sein musste. Ihre Schritte waren noch winziger geworden, seit sie den Korridor betreten hatte und dennoch flossen die Stoffe ihres Kimonos wie Koi-Karpfen und das Wasser des Flusses um ihre Knöchel. Nicht einmal die Nachtigallböden, die dafür berühmt waren, auch den leisesten Tritt mit ihrem Singsang zu begleiten, brachten einen Ton hervor. Dafür stieß sie ein Seufzen aus: "Tajiro, ist dieses Schweigen nicht fürchterlich? Ein Shamisen sollte uns später aufheitern, denn die langen Flure ermüden mich und ich habe eine beschwerliche Reise hinter mir." "Es ist bereits alles vorbereitet, Mutter." "Wirklich?" Yugos Wangen färbten sich mädchenhaft rot, dann wandte sich ihr Gesicht zu Izayoi, die hinter ihr den Flur entlang ging und damit beschäftigt schien, keine Dummheit anzubringen. Nun, diese Mühe hätte sie sich zweifellos sparen können. Yugo hatte ihr Urteil längst gefällt, und das Ergebnis war alles andere als schmeichelhaft. Dennoch flötete sie wie ein Regenpfeifer: "Unser Fürst ist ein großzügiger Mann, nicht wahr? Du bist ein hübsches, junges Kind und diese unsägliche Geschichte ... waren es wirklich Drachen, die sich in den Schatten dräuten und dich in diesem Zustand zurückließen?" "H-herrin-" "Ach! Du musst nichts sagen." Yugo schnalzte mit der Zunge, ehe sie ihre Lippen, die mit Färberdistelpaste geformt worden waren, verzog. "Dämonen bringen niemandem Glück, ob Mann oder Frau. Ist es nicht so, Tajiro?" Der hagere Mann starrte sie aus den Augenwinkeln an, ein feines Lächeln im Gesicht. "Ein gut geschliffenes Schwert ist das beste Mittel, um Recht von Unrecht zu unterscheiden, Mutter. Izayoi hatte unfassbares Glück nicht auf sich allein gestellt zu sein. Nicht auszumalen, was im schlimmsten Fall geschehen wäre." "Mein kluger und weitsichtiger Sohn. Dein Verstand spricht für sich selbst. Niemand möchte einer Gefahr gegenübertreten, die er maßlos unterschätzt. Oder, Izayoi?" "J-ja, Herrin", flüsterte diese und versuchte des flauen Gefühls in ihrer Magengrube Herr zu werden. Die Luft in diesem Teil der Residenz roch dennoch verführerisch, nach Gebratenem, holzigem Reiswein und sogar etwas süßlich. Wenig später fiel ihr auf, dass die Dienerin, die bisher vorangeeilt war und die zahlreichen Papiertüren aufstoßen musste, vor einer weiteren Wand innegehalten hatte. Offenbar waren sie angekommen. Die Dunkelheit, die den restlichen Korridor verschluckte, verschwand hier und machte Lichtflecken und Kerzenschein Platz. Der Anblick erinnerte Izayoi an die Schattenspiele, die Chidori und sie früher mit Fingern und Füßen und lachenden Gesichtern vollführt hatten - Yugo stieß es nur angewidert auf. Tajiro und sie hatten Pläne! Was dauerte da so lang? "Das wurde auch Zeit", presste sie hervor, als der Riegel endlich aus der Verankerung schnappte. Und kaum, dass die Papierwand weit genug zurückgeglitten war, schritt die Mutter des Fürsten finster aus, bereit sich das gesamte Esszimmer auf einmal untertan zu machen. Einen einzigen Atemzug darauf wurde sie so weiß wie der kalkige Reispuder auf ihrer Stirn und Tajiro, zu überrascht von ihrem Innehalten, prallte gegen ihre schmächtige Schulter. Yugo schalt ihn nicht einmal dafür. Sie war viel zu beschäftigt damit die Gestalt anzustarren, die sich in einer Eleganz erhob, die keinem Menschen zu Eigen war. "Ah, Gesellschaft", lobte der Herr der Hunde mit einem undurchsichtigen, fast verächtlichen Lächeln, das sich erst erwärmte, als er Izayoi im Schatten des Beraters und dessen Mutter ausmachte: Vor ihr verneigte er sich zuerst und das war für Hundedämonen eine deutliche Geste. "Eure Dienerin brachte mich hierher, auf Anweisung. Nach ihren Worten hätte ich auch kaum ablehnen können, obwohl ich fürchte, ich bin zu früh erschienen." "Mashiko, hoher Herr?" "Sie ist dort drüben", erwiderte der Inu no Taishou und deutete auf die Gestalt, die in einem dunklen Winkel des Esszimmers mit ihren eigenen Dämonen focht. "Ein vertrautes Gesicht birgt stets Sicherheit, wusstet ihr das?" - - - - - - - Nein, aber Kapitel #13, "Teerose", wird endlich Mashikos Beweggründe offen legen. Kapitel 13: Teerose ------------------- Apfelblüte - Teerose - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Anmerkung: Dieses Kapitel ist TKTsunami gewidmet. :) - - - - - - - 55 Einen Augenblick lang wusste Yugo nicht, wie sie auf den Anblick des Dämons reagieren sollte, der sich wie ein Geist aus den Schatten des Raumes schälte und sie im Schein der Kerzenflammen um ein Vielfaches überragte. Doch dann gewannen ihre Instinkte die Oberhand. Ihr Herz, das sich bereits Sekunden später mit einer Abscheu füllte, die jede Krähe aus dem Schutz der Wälder getrieben hätte, überwand den ekelhaften Schock. Was für ein Jammer, dass dieser weißhaarige Bastard kein Mensch war. Ihr hätten einhundert Wege zur Verfügung gestanden, um ihn für die verhasste Störung zu bestrafen und doch verdarben ihr die Umstände die Genugtuung, in List und Heimtücke unerreicht zu sein. Offenbar hatte Izayoi mehr Glück als Verstand ... Yugo reckte das Kinn, dann formte sie die Lippen zu einem scheinheiligen Lächeln und gab dabei einen Blick auf die durch Sumachblattgalle schwarzgefärbten Zähne frei. Eine Witwe und Fürstenmutter wusste eben, wie man die Regeln des Anstands für sich zu nutzen hatte: Tajiro, der an ihrer Seite versteinert war, verstand die einfache Geste seiner Mutter und verneigte sich prompt vor dem Herrn der westlichen Länder. "Dieser Tag steckt voller Überraschungen", sprach er. "Ich nahm an, mein Bruder und hochverehrter Fürst hätte die Anweisung gegeben, Euch erst später zu uns bringen zu lassen. Ich muss mich verhört haben." Tajiro warf durch die Wimpern hindurch einen Blick auf den Mann, aber der schien weder geschmeichelt, noch sonderlich angetan von seinem Schachzug. Er stand da, so wie es ein Kriegsherr zu tun pflegte, dem man besser keine Lügen auftischte, wenn man an Leib und Leben hing. Dass der Herr der Hunde kaum den Kopf neigte, war ein fatales Omen. Elender Dämon, versetzte der Ratgeber still, dann fiel seine Aufmerksamkeit Izayoi zu und er ergriff einen anderen Strohhalm. "Eure Dienerin muss wahrlich mutig sein", strickte er die nächste Finte. "Erst diese abscheulichen Drachen, dann die beschwerliche Reise und nun legt man es in ihre Verantwortung, in den Gesten eines derart hohen Gastes zu lesen. Als Mann wäre sie dank der Besonnenheit ein Gewinn für jede Truppe." "E-eure Worte ehren mich", hob Izayoi an, doch der Inu no Taishou nahm ihr alle Höflichkeit aus dem Munde, indem er den Raum durchquerte und einen halben Schritt vor sie trat. Verwirrt sah sie an seinem Schulterfell hinauf und erkannte zwischen den Flusen den winzigen Flohgeist, der streng einen Finger auf seine Lippen legte und sie mit einem weiteren Handwink daran erinnerte, rasch den Kopf zu senken. Izayoi gehorchte umgehend, obwohl sich ihre Wangen verräterisch röteten. Natürlich, niemand hatte ihr erlaubt, einem der Anwesenden ins Gesicht zu sehen. Dennoch überraschte sie der neue Tonfall ihres Retters. Er war kühl und fast so schneidend wie die Klinge des Schwertes Sou'unga, das an seiner Seite unhörbar um Tod und Verderben feilschte. "Dieser Raum ist abgelegener als die anderen", stellte der Inu no Taishou fest. "Man könnte meinen, den Dienern wäre der Zutritt untersagt worden und die bisher aufgetragenen, frisch gebratenen Spatzen und Tintenfische hätten nie einen anderen Zweck besessen, als beizeiten auszukühlen. Seltsam, wo sie doch so kostbar zu dieser Jahreszeit sind, nicht wahr?" "Ja, das ist ein berechtigter Einwand. Auch die Bewirtung scheint nachlässig besprochen." Tajiro drückte das Rückgrat durch, um das angespannte, nervöse Prickeln unter seinem eigenen Gewand nicht nach außen dringen zu lassen. "Es lag gewiss nicht in der Absicht des Daimyos, jemanden wie Euch durch Sorglosigkeit zu beleidigen. Eure Anwesenheit kam einfach unverhofft." "Ich störe Euch also gerade", lächelte der Herr der Hunde frei von jedweder Reue. "Beim Fürsten! Wie könntet Ihr?" Tajiro stieß ein Lachen aus, das einem Bellen nicht unähnlich klang. Dann neigte er rasant den Kopf und erwiderte das Funkeln, das wie Gift und Galle durch das Zimmer schoss und die Luft mit einer unausgesprochenen Drohung benetzte. "Ihr gebt uns allen nur einen guten Grund nicht allzu blauäugig zu handeln und vorauszudenken. Wo käme ein Mensch hin, würde er so achtlos mit einem Feind zu Felde ziehen?" "Und wo sollte er enden, wäre sein Plan durchschaut? Möchtet Ihr mich erhellen, Berater?" 56 Mashiko hielt den Atem an, doch all ihre Entschlossenheit konnte nicht verhindern, dass sie sich in dem weitläufigen Raum mit den bestickten Damastkissen und den Kranichrollbildern wie ein dummes Kaninchen fühlte. Ihr Schicksal war besiegelt, daran gab es nichts zu rütteln. Der Blick der Fürstenmutter war bereits über sie hinweg gezogen und jede Dienerin kannte die Gerüchte, was jenen Frauen in der Residenz widerfuhr, die Yugos Zorn über sich brachten. Es war ein offenes Geheimnis, kurz danach unter den eigenartigsten Umständen zu verschwinden: Manch eine Ahnungslose hatte es am helllichten Tage unter Sonnenschein und Vogelgezwitscher in den Tod gerissen. Die Klügeren waren unbehelligt zur Nachtruhe gegangen, jedoch nie wieder erwacht. Die umliegenden Dörfer brachten genügend Mädchen hervor, die für die Chance im fürstlichen Haushalt zu dienen, ihren kleinen Finger gaben. Es war ein harter, aber abgesicherter Alltag. Wann mochte ihr das Ende blühen? Und war es das alles wert gewesen? Mashikos Nasenspitze berührte die Bambusmatte, als sie ihre durcheinander wirbelnden Scham- und Schuldgefühle trocken hinabschluckte und der bangen Vorahnung nachspürte, die sich auf ihre Schultern senkte. Die Last erdrückte sie beinahe: Vielleicht hatte sie einen Fehler begangen. Vielleicht war sie eines Irrtums aufgesessen und in ihrer Verzweiflung naiv genug gewesen, den falschen Weg zu wählen? Doch, halt. Nein! Der kalte Schweiß, der auf ihrem Nacken brannte, erinnerte sie an ihre Intuition. Sie wusste, was sie gehört hatte. Wichtiger noch, ihr war schon im ersten Moment klar geworden, dass nichts davon für die Ohren einer Dienerin bestimmt sein konnte. Die langen Gänge und Nachtigallböden waren völlig verwaist gewesen und hinter den Papierschirmen war kein einziges Kerzenlicht entzündet worden, um sie erahnen zu lassen, wer dahinter heimtückisch flüsterte. Anfangs war sie zu Tode erschrocken, ja, hatte sogar eine Strafe befürchtet, diese verhängnisvolle Abkürzung zu Chidoris Gemächern genommen zu haben. Die Mitglieder der Fürstenfamilie schätzten es nicht, wenn ein Vorhaben belauscht wurde - und bei der Idee, die der Bruder des Daimyos kaltschnäuzig aussprach, war Mashiko vollkommen schwindelig geworden. Unentdeckt davon zu kommen, hatte ihr die Bürde jedoch nicht erleichtert. Wem sollte sie auch davon erzählen? Der General des südwestlichen Daimyos, Setsuna no Takemaru, war ihr zuerst eingefallen. Doch selbst, wenn er sie anhörte und ihr Glauben schenkte, besaß er nicht die Mittel, um Izayoi von diesem Ort unbemerkt fortzubringen. Die Wachen waren in der Überzahl, die Eingangstore nachts verriegelt und mit Metall verstärkt. Es hatte seit vielen Jahren niemanden gegeben, der hinein- oder herauskam. Das kannte sie aus den stolzen Geschichten, die in der Küche herumgingen und den Mut und die Gebietsgewinne des Fürsten Kagetoras priesen. Warum sollte also ausgerechnet Takemaru das Glück einer erfolgreichen Flucht beschert sein? Der hohe Herr dieser Residenz selbst war auch nicht der rechte Mann für Offenheit. Mashiko befürchtete, dass er über das Vorhaben längst unterrichtet worden war und dazu sein Einverständnis gegeben hatte. Ein Mensch müsste schon sehr tollkühn sein, um den Daimyo außen vor zu lassen und darauf zu spekulieren, dass er den Tod eines angeheirateten Familienmitgliedes stillschweigend hinnahm. Dennoch konnte sie als Dienerin nicht einfach um eine Audienz bitten und solche Vorwürfe aussprechen. Sie hatte keinerlei Beweise, keine Zeugen und ihr Wort galt nichts im Vergleich zu dem der Beschuldigten. Nein, wie sie die Sache auch drehte und wendete, es gab keine Hoffnung. Ein Schreiben des alten Daimyos, der Izayoi vor der Zeit heimrief, würde kaum von selbst eintreffen, und umgekehrt kannte sie in diesen Mauern keinen Boten, der rechtschaffen genug erschien, um ihn mit solch einer Bitte zu betrauen. Selbst wenn das gelang, konnten der Bruder des Fürsten und dessen Mutter in der Zwischenzeit zur Tat schreiten. Diese Erkenntnis und ihre hilflose Situation hatten ihr beinahe die Tränen in die Augen getrieben und das Gefühl war ihr wie ein bösartiger, unauslöschlicher Schatten gefolgt - sogar bis zu jenem Moment, da ihr Schritt sie in einen der edelsten Räume der Residenz geführt hatte. Was für ein Hohn, dachte sie mit einem schalen Geschmack im Mund. Sie hatte so viel Grausames erlebt: Gesehen wie Izayois Mutter im Kindsbett den letzten Atemzug nahm, während ihre treuesten Dienerinnen mit blutverschmierten Seidentüchern umher eilten, die Kleider von Schweiß durchtränkt und am Ende aller Kräfte. Die Schreie und Weinkrämpfe der Bediensteten hatten sie nie losgelassen, als der Fürstin Tage darauf auch der langersehnte Stammhalter ins Vergessen folgte - unmöglich konnte sie akzeptieren, Izayoi kampflos herzugeben. Nein, nicht ihre kleine, unschuldige und kluge Izayoi. Ihre Zuneigung zu diesem Mädchen ging weit über ihre Pflichten als Amme hinaus. Dann, so erinnerte Mashiko sich, war ihr der einzige Ausweg in den Sinn gekommen, der ihren ohnehin angegriffenen Gemütszustand auf eine weitere, harte Probe stellte. Es war so lächerlich gewesen, ausgerechnet an den Dämon zu denken! Was bedeutete es schon, sich einmal für das Leben zweier Menschen einzusetzen, die einem eigentlich hätten gleichgültig sein sollen? Sie hatte so sehr mit sich gerungen. So sehr! Die Götter wussten, was es eine alte, erfahrene Dienerin kostete, dergleichen auch nur in Erwägung zu ziehen. Ihr saßen nicht nur die Geschichten über Youkai im Nacken, bei deren besserer Hälfte man hoffen musste, sie wären auch nur ersponnen, um nachts noch in den Schlaf finden zu können - nein. Da war auch dieser keifende Kappa gewesen, der sie als Kind um Haaresbreite mit seinem langen Stock erschlagen hatte, weil sie seinem Teich zu nahe gekommen war. Doch was blieb ihr Anderes übrig? Sie hatte über alle Gerüchte und Risiken hinauswachsen müssen, um Izayois Leben schützen zu können. Die Enkeltochter des Daimyos der südwestlichen Gefilde verdiente das beste Schwert, das jemals geschmiedet und geführt worden war. Sollte der Preis dafür ihr Kopf sein, war das nur ein überaus fairer Handel - vielleicht hatte das Schicksal sie auch deshalb dem Tod entrissen. Solange es ihr gelang, ihrer Herrin vorher einen Hinweis auf die lauernden Gefahren zu geben und dem Dämon einen Lohn anzubieten, den er nicht einfach mit einem Wink seiner Hand abtat, würde sie ihre Angst bezähmen können. Mashiko, deren Lippen trocken wie Pergament schienen, raffte unbemerkt von allen Anwesenden das letzte bisschen Zuversicht an sich und versuchte in der nun einsetzenden, tödlichen Stille zwischen Tajiro und dem sonderbaren Hundeyoukai die Haltung zu bewahren. Die Worte, die ihr der Weißhaarige entgegnet hatte, tanzten noch immer unsichtbar über den glühenden Flammen der Kohlebecken: 'Ich werde Eurer Herrin helfen. Solange ich hier bin, wird niemand die Zeit finden, über sie mehr nachzudenken, als Ihr und ich.' 57 Sein Versprechen hätte weitergehen müssen. Ihr Gefährte war vor drei Jahrhunderten voller Wärme an ihr Bett getreten, doch ihr erschöpfter und nach Schlaf hungernder Geist hatte keinen Schwur vernommen, der das Leben des Herrn der Hunde an das seines neugeborenen Welpen band, und der ihr als Fürstin neben Plänkeleien und zärtlichen Berührungen eine friedliche Zeit ankündigte. Alles, was ihre Erinnerungen zum Leben erweckten, war sein raues Flüstern und das Beteuern die Ländereien des Westens eine Weile sich selbst zu überlassen. Um ihretwillen. Sie beide hätten es besser wissen müssen. Die Drachendämonen des Nordens, die Ryukotsusei unterstanden, hatten kaum drei Monde benötigt, um dieser Nachlässigkeit auf die Schliche zu kommen. Bei der erstbesten Gelegenheit, einem verheerenden Gewitter, waren sie in tiefschwarzer Nacht aus ihren Löchern gekrochen und hatten sich zwischen Regen, Moder und abgekühlter Asche weiter denn je in den Westen vorgewagt. Was hatte sie als Fürstin nur dazu gebracht, ausgerechnet in dieser Sekunde von der Seite ihres winzigen Mädchens zu weichen und die Verantwortung in die Klauen ihres Gefährten und zweier Dienerinnen zu legen? "Wirst du mir meinen Leichtsinn jemals verzeihen?", flüsterte sie wie betäubt. "Wird es jemals aufhören, mich zu zerreißen, mein kleiner Liebling?" Die Augen der Hundefürstin waren so gerötet und leer wie damals, als sie dem Herrn der Hunde alle Verwünschungen der Welt entgegen gespien hatte; doch der Wind, der um ihre Nase strich und dem Hortensienstrauch zu ihren Füßen einen Teil des eisigen Raureifs abluchste, besaß nicht einmal in der Abenddämmerung die Kraft ihren Schmerz zu lindern. Ihr Herz litt weiter, pochte und wölbte sich unter der Macht ihres Youkis und sie verfluchte es an diesem Ort mehr denn je dafür, ihr die Gnade zu verwehren, ein für allemal loslassen zu können. "Ich ... ich habe dir Schreckliches angetan", fuhr sie leise fort, "und nicht nur dir. Erst gestern ist dein Bruder, Sesshoumaru, heimgekehrt. Sein Gesicht hat beinahe all seine Jugend verloren, aber ich sehe deinen Verlust noch immer in seinen Augen schwelen. Er ist mir so ähnlich geworden, weißt du das?" Die Worte verschwammen ungefragt vor ihren Lippen, so tief zog sie die Frühjahrskälte hinab in ihre Lungen. Doch ihre Schuld nahm niemand auf sich, denn Leid und Schwäche gebührten einzig und allein den Menschen auf weiter Flur. Wie sehr sie diese Geschöpfe doch um die Gunst eines frühen Todes und des schnellen Vergessens beneidete ... "Mutter." Nein. Die Fürstin tat einen Atemzug, der heiser genug war, um sogar den unerfahrenen Ohren ihres Erstgeborenen aufzufallen und ihre Klauen griffen scharf in den halb gefrorenen Stoff ihres mit Pflaumenranken bestickten Kimonos. Obwohl sie nur wenige Sekunden benötigte, um das Kinn abweisend fortzudrehen und die Schultern der alten Unnahbarkeit zu unterwerfen, war es zu spät. Das Bedürfnis zu sprechen, war mit dem Funkeln ihrer Augen erloschen. Sesshoumaru, der ihr seit geraumen Minuten zugesehen hatte, neigte schlicht den Kopf und spürte dem Wind nach, der in die Zweige des Magnolienbaumes fuhr und die verschlossenen, erfrorenen Knospen zum Zittern brachte. Dann wandte er sich endlich ab und überließ die Fürstin ihrer selbst. Langsam begann er zu begreifen, dass sein Vater, der mächtige Inu no Taishou, nicht der einzige, ruhelose Dämon in der Nähe war. 58 So jung und doch so klug. Die geschlitzten Augen der Drachendämonin glühten eifrig, dann fuhr sie sich mit der Zunge über das Schuppenmaul und erwog von ihrem sicheren Plätzchen aus, was sie mit dem kleinen, unruhig gewordenen Fleischbrocken und seiner Amme am Ende des Raumes zuerst anfangen sollte. Einst, es war viele Jahrhunderte her, hatte sie nach ihrer Schlupf mit der Fähigkeit gehadert, sich dünn wie ein Marder machen zu können und ihr ausbleibendes Wachstum verflucht, während sich ihre Brüder und Schwestern das Feuer unterwarfen oder wie Ryukotsusei lernten, im Nebel aus Eis und Schnee zu verschwimmen. Inzwischen war sie viel pragmatischer. Die Eitlen hatten den Tod gefunden und sie konnte immer noch von einem Ort zum anderen kriechen, um fast witterungslos Unheil über ihre Widersacher zu bringen. Solange es Dachbalken und Lücken in Felsformationen gab, blieb die Gefahr entdeckt zu werden gering. Die Schatten, die sie sich nun über dem sechseckigen Papierwandschirm ausgewählt hatte, würde sogar ein Hundeyoukai nur auf den zweiten Blick durchdringen können. Wie dumm für das Neugeborene. Listig stellte sie die Schuppen auf, die ihren gesamten rot-grauen Rücken überzogen und wartete die Zeit ab. 59 Ein perlendes Lachen erklang, das sogar Tajiros verhärmte Gesichtszüge aufweichte und alle Blicke überrascht auf sich zog. "Männer!", schalt Yugo und war sich doch keine Sekunde zu schade dafür, die Hand einen selbstgefälligen Atemzug zu spät an die Lippen zu heben. Es betonte ihren Status in der Residenz auf eindrückliche Weise, die kaum ein Berater für sich beanspruchte - und so plapperte sie auch selbstbewusst daher. Für die verwitwete Gattin eines Fürsten war das bemerkenswert, denn Izayois Zurückhaltung unterstrich besser die traditionelle Rolle ihres Geschlechts: "Ich wünschte, ich verstünde etwas von alledem! Bedrohung, Feinde, Pläne! Die Schwester meiner lieben Chidori und ich haben so vieles ausgestanden und nun gönnt uns niemand die Freude einer frisch zubereiteten Tasse Tee, des Shamisen oder ehrbarer Geschichten. Dabei ist es die Einfachheit, die unser Tun ausmacht. Auch ein dämonischer Gast wie Ihr, hoher Herr, wird uns diesen Nachteil verzeihen müssen. Izayoi, Kind!" Yugo wandte sich der Schwarzhaarigen zu, um sie in entschiedener Geste weiterzuwinken. "Seien wir ein Beispiel, setzen uns und passen die beste Gelegenheit ab, das Gespräch in seichtere Gewässer zu lenken." Izayoi gehorchte zögernd, fast ungläubig. Ihre Lippen hatte keine Silbe verlassen, doch das Verhalten der Adeligen hatte viel Eindruck auf sie gemacht. Die Warnungen Chidoris gingen ihr unablässig durch den Kopf. Je länger sie dabei über die gefallenen Sätze nachdachte, desto stärker verdichtete sich der Eindruck, in ein unsichtbares Schlangennest gestolpert zu sein. Yugos Freundlichkeit, Tajiros Zähneknirschen ... Die Anwesenden hatten kaum Platz genommen, jeder für sich den eigenen Gedanken nachhängend, da wurde der Riegel ein zweites Mal grob aufgestoßen, die Schiebetür beiseite gerissen - das triumphierende, jähe Keuchen Yuudais gefror jedoch, als er den runden und von Hautfalten umgebenen Kopf ins Innere des Zimmers schob. Tajiros dämonenhaftes Heben der Mundwinkel kam ihm zuvor: "Ein weiterer Mann, der sich besser mit dem Schwert als Schmeicheleien auskennt! Tretet ein, Yuudai, falls Ihr Euch von den wunderschönen Seidenfäden auf Izayois Kimonos losreißen könnt." Er stimmte ein Gelächter an, in das seine Mutter bescheiden einfiel, doch wären ihrer beider Sinne besser gewesen, hätten sie das abschätzige Schnauben im Raum vernommen. "Dieses dreiste Theater!", geiferte Myouga mit rot angelaufenen Wangen und widerstand der Versuchung, sich auf jeden Einzelnen zu stürzen, um ihm eine Lehre zu erteilen. Sogar Kappas waren schlechter zu durchschauen und bei denen wusste im Vorfeld jedermann, worin ihre Absicht lag. Ach, wäre er doch nur etwas größer und gefährlicher gewesen. "Meister, lasst Euch bloß nicht davon einlullen!" Die Mundwinkel des Daiyoukais verzogen sich gnädig. Dann wandte er sich ungeachtet von Myougas Empfehlungen und Yugos Blicken, die ihn an eine nicht zu unterschätzende Katzendämonin erinnerten, an Izayoi. Sie war ihm mit Abstand die angenehmste, menschliche Gesellschaft und er scheute sich nicht davor, seinen Dunstkreis auf sie auszuweiten. "Ich entsinne mich an ein Gespräch über Pflichten und Stolz, welches ich vor nicht allzu langer Zeit führte", begann er laut. "Ich hätte währenddessen eine alte Legende erwähnen sollen. Sie besagt, dass jemand, der etwas Kostbares verliert, diesen Fehler nicht mehr wiederholen wird und fortan jene schützt, die ihm ein Licht im Schatten waren." Das sanfte Lächeln, das den Herrn der Hunde erfüllte, ebbte ab, als er zurück zu den anderen Menschen sah und einen Ellenbogen auf die Hakama-Hosen stützte. Es war kein Zufall, dass er den Mann fixierte, dessen massiger Leib fast aus der teuren Seide quoll. "Für einen Krieger wie Euch, Yuudai, wird es wohl interessanter sein zu hören, dass dieser jemand den Ruf besaß, sich Gift untertan zu machen. Oder war es sein Nachkomme?" Der Inu no Taishou musterte in sich gekehrt die gedämpften Auberginen und den in Bambusblättern gerollten Reis auf dem Lacktablett, bevor er seinen Blick mit der Unschuld eines Kindes hob. "Nun, wen kümmert es, was Dämonen tun können? Möchtet Ihr den ersten Bissen dieser Platte?" - - - - - - - Wer stimmt in Kapitel #14, "Gänseblümchen", für 'nein'? ;) Kapitel 14: Gänseblümchen ------------------------- Apfelblüte - Gänseblümchen - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 60 Was, Gift? Er? Yuudais fleischige Wangen wurden rot vor Nervosität und unverhohlenem Ärger, als er Platz nahm. Angespannt leckte er sich über die Lippen und starrte auf die in Öl gebackenen Tintenfischringe und hellrosa geäderten Häppchen. Der Geruch saß bereits verführerisch in seiner Nase fest, aber die Worte des Dämons stachen wie eine Klinge in seinen gewaltigen Leib. Schweiß brach ihm aus, drang durch die Poren und durch die kostbare Seide unter seinen Achseln, während er erneut zu dem weißhaarigen Bastard sah. Sollte dieses Ammenmärchen eine Anspielung auf dessen Fähigkeiten sein? Ein Scherz vielleicht? "Darauf gebe ich nichts", knurrte Yuudai unruhig. "Das ist doch bloß eine kleine, hübsche Legende für Schwächlinge und Frauen. Ein Mann mit Ehre im Leib wählt das Schwert, um seine Feinde zu vernichten!" Heftig griff Yuudai nach zwei bereitgelegten Stäbchen, dann hob er ein Stück der Wildgans, die in Frühlingszwiebeln und Meerrettich gebraten worden war, in seinen Mund und begann so unwirsch zu kauen, als ob der Erfolg einer ganzen Schlacht von ihm abhinge. Die Anderen starrten ihn an, Tajiro schüttelte entsetzt den Kopf. Yuudais winzige Augen schwollen vor Entschlossenheit auf die Größe einer Reisschüssel an und seine Finger, dick wie Flusskarpfen, bebten gespreizt auf seinen Oberschenkeln. Unter anderen Umständen hätte er die Höflichkeit längst abgeworfen, doch er war kein Narr. Dieser Hund musste den ursprünglichen Plan Yugos gestört haben, aber sogar sie blieb stumm. Setsuna no Takemaru hatte ihnen wahrlich einen mächtigen Feind in die Residenz geschleppt. Bis seinem schwerfälligen Verstand eingefallen war, wie er dem Dämon am Besten die Klinge in den Rachen trieb, schluckte Yuudai hinunter und wischte sich grob über die Lippen. Die Erleichterung durchströmte ihn wie nie zuvor: "Köstlich!" Der Herr der Hunde lächelte kühl. "Ich hatte nichts Anderes erwartet." "So?", antwortete der Ratgeber des nordwestlichen Daimyos zäh. "Ich hatte das Gefühl, Ihr setzt auf einen Vorkoster und rührt deshalb nichts an. Dabei sind die Speisen des Fürsten makellos!" "Auch das kann ich nicht übersehen, Yuudai." Der aufgedunsene Leib seines Gegenübers kündete von den üppigen Mahlzeiten, welche Reiswein und Jungfische beschert hatten, doch der Kriegsherr war mehr als ein feister, fettleibiger Mann: Unter der Haut gärte ein Berg aus Muskeln und Verschlagenheit. Um Izayois Willen durfte er kein Risiko eingehen. "Ich habe über Euer Angebot nachgedacht. " Yuudai blinzelte verständnislos, dann begriff er. "Euer Schwert? Ihr wollt die Klingen in einem Übungskampf kreuzen?" Was für ein Sinneswandel! Das Funkeln in seinen Augen wurde dunkel vor Gier, denn eine solche Gelegenheit spielte ihm durchaus in die Karten. Wenn er einen seiner besten Männer Verwirrung stiften ließ, um- "Sou'unga gehört Euch, solltet Ihr mir auch nur einen einzigen, blutigen Kratzer zufügen können." Der vierschrötige Mann erstarrte. Er und eine solch mächtige Waffe? Das war fast zu verführerisch, um es abzuschlagen. Dieser Dämon führte doch etwas im Schilde. "Ihr gebt mir Euer Höllenschwert zu einem derart niedrigen Preis?" "Nun, solltet Ihr überlegen sein, verehrter Berater. Unterschätzt niemals die Fähigkeit eines Mannes auszuweichen." "Wohl kaum." Aber ein Kratzer war schnell geschehen, solange ihn der Gegner für behäbig und tumb hielt. "Rechnet Euch nicht all zu viele Chancen aus. Ich spaltete einem niederen Dämon den Kopf, nachdem er mich im letzten Winter aus einer Schneewehe heraus attackierte!" "Ihr habt mein Wort darauf, am Leben zu bleiben." "Ich hatte auch nichts Geringeres vor, Dämon!", knurrte Yuudai verächtlich. Wofür hielt der sich? "Ihr stimmt dem Kampf zu?" "Nur ein Feigling würde Ausflüchte suchen. Morgen früh, bei Sonnenaufgang! Seid besser auf der Hut." Yuudai bleckte die Zähne wie ein Kind, das den ersten Stockhieb auf einen Schwächeren ausführen durfte und dafür den Lohn seines Herrn erwartete. Er kannte etliche Geschichten um die Kräfte der Dämonenschwerter. Kagetora würde auf ihn nicht mehr verzichten können, sobald er eines sein Eigen nannte. Vielleicht würde er sogar selbst zum Fürsten ... Tajiros abfälliges Schnalzen unterbrach ihn. "Mutter", eröffnete er und strich sich mit den Fingerspitzen durch den öligen, schweren Haarknoten. "Die Frauen werden nicht zusehen können, ohne die Erlaubnis des Herrn." "Wie betrüblich, mein Sohn. Wären wir nur ein wenig gescheiter, hätten wir diese Gelegenheit zu unserem Vorteil nutzen können. Meine verehrte Schwiegertochter Chidori wird sich und den zukünftigen Daimyo zu beschäftigen wissen, aber Izayoi und ich-?" Yugo spürte, dass ihr die Aufmerksamkeit des Daiyoukais zu flog und es erfüllte ihr rabenschwarzes Herz mit einer stillen Freude, ihn derart leicht zu treffen. Nun, das würde nicht ihr letzter Erfolg sein: "Ein Spaziergang in den entlegenen, duftenden Apfel- und Pflaumenhainen wäre wohl eine gute Wahl. Der glitzernde Morgentau ist ein solch erhebener Anblick für mich. Izayoi, mein Kind", setzte sie liebreizend wie der Tod nach, "möchtest du nicht mit mir kommen?" "Herrin-" Izayoi kam nicht zu einer Ausflucht. Die Papiertür wurde ein drittes Mal aufgestoßen, und das so heftig und finster, dass der auftauchende Schatten zwischen den bespannten Holzrahmen alle Worte schluckte. Wie der Wind die Wellen gegen die Klippen schleuderte, pressten sich die Gesichter der Menschen augenblicklich gegen das raue Bambus der Tatami-Matten. Den Daimyo der nordwestlichen Gefilde berührte das nicht im Geringsten. Kagetoras Stirn war gerunzelt, als ob ihm der unversehrte Anblick seiner Schwägerin zutiefst missfiele und er etwas anderes erwartet hätte. Erbost sah er zur Seite, dann verstand er. "Der hohe Gast meines Hauses", begrüßte er den Herrn der westlichen Länder schroff. "Ihr seid bereits hier?" "Offenbar keinen Augenblick zu spät", erwiderte der Inu no Taishou lächelnd und tat so, als ob er jedes Recht dazu hatte, dem Blick des Fürsten standzuhalten. Nach einer Weile straffte Kagetora noch schärfer die Schultern und schien furchterregender denn je. "Eile und Neugierde können an diesem Ort schlechte Ratgeber sein. Vergesst das nicht, Dämon." 61 Endlich! Der Amme fielen ein zweites Mal die Augen zu und ihr Kopf sackte schläfrig zur Seite; kreiste fast wie ein miserabel geführtes Schwert, dessen Besitzer keine Gefahr mehr wittern konnte. Die letzten Nächte an Kosukes Seite waren unverschämt kurz gewesen und obwohl sie mit einander sorgsam zugedrehten Füßen am Boden kniete, weckte die Dienerin nicht einmal mehr die unbequeme Haltung. Wenige Augenblicke später durchzog ein flatternder, tiefer Atemzug den Raum und erfreute die Drachenyoukai. Ihr Hindernis hatte sich hartnäckig an die verabscheuungswürdige Wachsamkeit gekrallt. Der Regen schlug bereits prasselnd gegen die Wände, betäubte ihre Sinne und dämpfte die Schritte vorbei eilender Diener, denen die wunderbarsten Essensgerüche auf dem Fuße folgten. Ihr Hunger rumorte erwartungsvoll in den Eingeweiden, doch zunächst lauschte sie auf ein Geräusch, das ihr den guten Plan verderben mochte. Nein, da war nichts. Kein Rüstungsklirren, kein blankpoliertes Höllenschwert, kein Herr der Hunde. Heimtückisch lehnte sich das Lindwurmweibchen vor und bohrte die Klauen in den knirschenden Holzbalken unter sich. Einige Splitter rieselten schwerelos auf den Papierschirm hinab, als sie die ersten Meter überwand, doch das Menschlein kämpfte lieber mit einem Albtraum aus der Vergangenheit, den es murmelnd 'Tajiro' nannte, statt mit ihr. Verächtlich blies sie ihren Atem durch das aufeinandergepresste Maul: Kein Wunder, dass diese Kreaturen so rasch starben. Wer die Gegenwart nicht zu schätzen wusste, hatte das Leben nicht verdient. Aber was scherte es sie? Ihre Zunge glitt ein letztes Mal an die Luft, schmeckte die Kälte des Frühlings, einen Hauch Miso-Suppe und den befremdlichen Geruch des Neugeborenen, der urplötzlich scharf und unangenehm hinter parfümierter Seide gedieh. Wie Mist, nur stechender. Kein Drachenwelpe hätte es gewagt, die Brutmutter derart zu belästigen! Sich schüttelnd stahl sich die Dämonin die Decke entlang, dann ließ sie sich auf eine Reihe Damastkissen fallen, die mit Goldfäden durchzogen waren - der Raum mit seinen vielen Seidenkreppbändern, Kästchen und Rollbildern bot ihren Schwingen keinen Platz und sie durfte keinen Lärm verursachen, indem sie an den Papierwänden herunterrutschte und diese mit ihren Klauen in Fetzen riss. Am Boden wirkte sie klein und schmal wie ein Gedicht, doch als ihr Kopf über den Rand der geschnitzten Wiege lugte, übertünchte ihre dämonische Präsenz alles. Sogar ihre aufgestellten Schuppen begannen vor Erregung wie Libellenflügel zu zittern. "Auf diese Weise weckt man schlafende Hunde", flüsterte das Lindwurmweibchen und zeigte die dolchartigen Fänge, die im Kerzenlicht schimmerten. "Leider wird er auch dieses Mal zu langsam sein! Stirb!" 62 Das Shamisen gab den letzten Ton von sich, dann hallte Gelächter durch den prächtigen Raum und wurde von einer Reihe Flöten ergänzt, die in Sehnsucht vergingen. Das halbe Dutzend Dienerinnen, das dem Fürsten zusammen mit dem Fuchsgesichtigen und Chidori auf dem Fuße gefolgt war, hatte der Stimmung etwas Unbeschwertes verliehen und der Inu no Taishou nutzte den Lärm, um sich Izayoi zuzuwenden. Die Fürstentochter war still geworden, seit Kagetora den ersten Becher Sake verlangt und ihr befohlen hatte, als junge, unverheiratete Frau hinter ihm, dem Daiyoukai, zu knien. Viermal war ihm seitdem nachgeschenkt worden und obwohl er den bitteren, herben Tee nicht mochte, reichte er ihr erneut die Schale. Einen solchen Moment konnte er unmöglich an Reiswein verschwenden. Izayoi fing seinen Blick unter dichten Wimpern auf, aber an diesem Ort wagte sie es kaum das warme, freundliche Lächeln zu erwidern. Einzig ihre zuckenden Mundwinkel verrieten, dass sie seine Geste zu schätzen wusste. Und dann gefror die Zeit. Der Schrei, der an seine Ohren drang, war so hoch, dass der Inu no Taishou ihn in der Nähe eines Teiches für brechendes Schilfrohr gehalten hätte, aber er kippte so rasant wie die Witterung im Raum in Blut und Angst. Nein. Sekunden später zerschellte das kostbare Porzellan auf der Bambusmatte, gefolgt von Schüsseln und Schalen, die der umstürzende Tisch nicht mehr halten konnte. Innerhalb von zwei Sätzen hatte der mächtigste Hundedämon des Westens über Tajiro hinweg gesetzt und eine Papierwand zerissen, lange bevor Izayoi begriff, dass sie den Tee nunmehr ins Leere goss und eine Dienerin entsetzt aufschrie, weil sie das gezückte Schwert des Dämons um Haaresbreite verfehlt hatte. Hinter ihm brach die Hölle los, doch das vergaßen seine Sinne, als Myougas Stimme auf den langen Fluren an seine Ohren peitschte. Der Flohyoukai klammerte sich schier verzweifelt an das Schulterfell und kreischte auf, als eine weitere Wand in alle Himmelsrichtungen explodierte: "Meister, was tut Ihr?" "Drachen." "Was, hier?" "Nicht lange genug, um es zu genießen", knurrte der Herr des Westens, dann spürte er das Youki des rot-grau geschuppten Lindwurmweibchens aufflackern und brach mit einem Zorn in den letzten Raum hinein, der seinesgleichen suchte. - - - - - - - Weshalb Dämonen auch Langsamkeit meiden sollten, erfahrt ihr in Kapitel #15, "Gladiole". Kapitel 15: Gladiole -------------------- Apfelblüte - Gladiole - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 63 "Meister, dort!", hallte Myougas Stimme in seinen Sinnen wieder und die Augen des Herrns der westlichen Länder glühten ohne jedwede Vorwarnung scharlachrot. Durch den Rauch, der aus der zerfetzten Papierwand drang, erblickte er die Schuppen und Klauen, die wie Efeu glänzten und Verderben ankündigten. Doch dann sprang die Drachendämonin wie von Sinnen zur Seite und einen scharfen Atemzug später begriff der Inu no Taishou, dass der Lindwurm nicht vor ihm auf der Flucht war. Der Schwung eines Schwertes versuchte sie niederzumähen, verfolgt von der Stimme eines Menschen, der seiner Feindin nachsetzte und dabei eine vor Angst kreischende Amme im Windschatten zurück ließ: "Teufelsbrut!", donnerte Takemaru heiser, bevor er die Klinge in einer weiteren Welle vorwärts riss und die Echse so knapp verfehlte, dass ihr das Zischen fast in der Kehle stecken blieb. "Du wirst den Sonnenaufgang nicht mehr erleben. Stirb!" Gleich wie schnell das Schwert des Generals hob und hackte, in Geschwindigkeit und Abscheu war er ihr um Jahrhunderte unterlegen. Der einzige Treffer, der noch immer auf ihrer Flanke das Blut in fingerdicken Rinnsalen hervorquellen ließ, hatte ihm die Überraschung beschert - und sie war zu zornig und viel zu entschlossen, einen weiteren Stich in Kauf zu nehmen. "Was glaubst du, was du hier tust, Menschlein?", spie die Drachendämonin aus. "Ich werde beenden, was ich begonne habe!" "Nur über meine Leiche!", rief Setsuna no Takemaru, dann krachte es und er hob einen Teil der mit Kranichen geschmückten Rollbilder von den Wänden, um ihren nächsten Sprung zu vereiteln. Noch im Fall riss ein zweiter Schwung seines Schwertes das Papier in Stücke, aber ihr Gelächter übertraf sogar das. Wie der Wind stob sie an ihm vorbei, schoss über eine Reihe an Damastkissen - und wurde bleich wie der Tod. "Du", flüsterte sie entsetzt, bevor Millimeter vor ihrer Kehle Sou'unga durch die Luft fegte. Ihr Youki explodierte erneut, heftiger und jäher als jemals zuvor. Keinen Atemzug zu früh wich sie dem nächsten Streich aus und erkannte, dass vor ihr der schlimmste Albtraum lauerte, den ein Kind der allmächtigen Brutmutter zu fürchten hatte. "Bleib stehen, du Wurm", verlangte der Herr der Hunde scharf, sobald sie sich mit einem Satz in Sicherheit brachte und kopfüber an der Decke hing, die Krallen tief ins Holz gerammt, "du hast dich lange genug vor mir versteckt!" Sein ganzer Körper schien vor Zorn zu schwanken, aber die Drachendämonin war zu alt, um nicht eins und eins zusammen zählen zu können. Nicht dieser Hund, sondern der Boden geriet in Aufruhr - und ehe sie den nächsten Atemzug genommen hatte, begannen die Tatami-Matten unter den Füßen des Daiyoukais buchstäblich zu kochen. "Du verdammter-" Bastard, hatte sie fluchen wollen, aber das Blitzen in ihren Augenwinkeln ließ sie abrupt den Kopf zurückreißen. Sekundenbruchteile später drang vor ihr eine Klinge in das Holz, bis die Wucht des Wurfes durch das mit Rochenhaut umwickelte Heft gestoppt wurde. Unfassbar, dass sich nun schon die kümmerlichen Soldaten der Menschenfürsten in ihre Belange einmischten. "Du bist ein nerviges Anhängsel!", donnerte ihre Stimme, während Takemaru einen zweiten Dolch aus der Scheide zog. Als General kannte er einhundert Wege sich zu verteidigen, doch nie zuvor hatte ihn das Schicksal in eine solche Situation gebracht. Gegenüber einem halben Dutzend Drachen hätte er nicht bestehen können, das verstand er nun. Doch gegen diesen besaß er das beste Blatt, das seine Erfahrung zusammenzimmern konnte. Er würde einen Weg finden, um als Erster zuzuschlagen. Grimmig biss er die Zähne aufeinander: "Komm herunter, und wir kehren gemeinsam in die nächste Welt ein, Dämon!" "Das bezweifle ich sehr. Ohne den Schrei dieser Amme hättest du mein Tagewerk doch nicht einmal bemerkt. Dieses Mal wird dir dein jämmerlichen Mundwerk den Hals brechen!" Jäh stieß sie hinab und fiel auf den General wie ein Stein, doch sie fand keine Zeit, sich an dem betäubend scharfen Schmerz in dessen linker Schulter zu erfreuen, die wie ein Kugelfisch unter der Rüstung aufplatzte. Der Hund war in einem Satz hinter ihr und trieb sie mit einem Hieb fort, der ihr in einem einzigen Treffer die Knochen aus dem Leib schälen mochte. Der Schlagabtausch, der dann den Raum in weitere Rauchwolken hüllte, war hart und unfair. Sou'unga kostete sie die Hälfte ihres Schwanzes und ihrer Würde, und zum Dank dafür riss sie ihm die Wange in einer tiefen Fleischwunde auf. Der nächste Angriff endete erst, als es der Drachendämonin gelang ihm ein Tabakkästchen mitsamt Pfeifenkopf entgegen zu schleudern. Sie hatte ihm die feine Nase ruinieren wollen, doch die Inbrunst ihres Zorns fegte nur den Flohgeist von seinen Schultern - und natürlich scherte sich der Hund mehr um seinen Berater, als um ihre Schmach. Nie zuvor hatte sie sich auf solch lächerliche Weise Zeit erkaufen müssen, doch im Kampf war ihr jedes Mittel Recht. "Sieh an", ätzte der Lindwurm und stellte die Schuppen wie Stacheln auf, während ihr Blut schwer und dick zu Boden tropfte. Das Zimmer des Neugeborenen stank längst nach Fäulnis und Wut, aber ihre schleichende Arroganz war erst der Anfang. "Du bist noch immer so langsam wie damals. Hatten wir dieses Spiel nicht bereits vor dreihundert Jahren zu meinen Gunsten entschieden? Oder verteidigst du heute deine neuen Freunde, weil dir keine Welpen mehr geboren werden?" "Spar dir deinen Spott, Kuraiko." "Schweig! Mein Name ist nicht für deine Zunge gemacht, du Hund!" Ihr mit messerscharfen Zähnen gespicktes Maul schoss vorwärts - und seine Schnelligkeit war alles, was ihm das Leben rettete, als er geistesgegenwärtig die Schwertschneide empor riss und die Wucht ihres Angriffs in einen Konter umwandelte. In einem Funkenschauer schlug ihr der Inu no Taishou ein halbes Dutzend Schuppen ab und dann teilte sich ihr Kiefer wie eine überreife Pflaume, bevor er sie und alles, was von ihr übrig war, in einem blauen Gewitter aus Youki ertränkte. Das schrille Heulen, das in den Ohren des Herrns der westlichen Länder wiederklang, wurde nur von Sou'ungas Aufschrei übertroffen. Ja! Tötet sie, tötet sie! "Nicht so einfach", zischte der Hundeyoukai, dann zerriss das Band seines Haarzopfs und befreite einen Zorn, den er seit drei Jahrhunderten nährte. Kuraiko, die kaum noch ein Gurgeln aus ihren Lungen hervorpressen konnte, begriff, was ihr blühte - und dann tat sie das Einzige, was einer von Angst erfüllten Drachendämonin das Überleben sicherte. Sie riss sich im gleichen Moment, da die Knochen des Herrns der westlichen Länder in die seiner dämonischen Form übergingen, eine Schuppe aus und vergiftete sie dank ihres Youkis bis ins Mark. "So nicht", würgte sie - und schleuderte das Stück auf die Amme, die es in all der Zeit nicht vermocht hatte, den Raum zu verlassen. Dummes Ding. Es war das Letzte, was sie mit Kosuke im Arm tun sollte, und Kuraiko fand nichts Schlechtes darin, dass der Inu no Taishou überstürzt von ihresgleichen abließ, um etwas aufzuhalten, was sogar einem Daiyoukai unmöglich war. 64 Nein. Die Amme erstarrte, als ob ihr Lebensfaden ein Halm Reis wäre, auf den das Schnittblatt einer Sense traf. Dann brach das Licht ihrer Augen entzwei und ihre Lippen wurden kalt und schwer, noch bevor sich die vergiftete Schuppe völlig in ihrem Fleisch eingebrannt hatte. Nicht einmal der Arm des Hundedämons, der sich jäh um ihre Hüfte schlang und den Versuch unternahm sie noch von der Gefahr fortzureißen, verhinderte ihren Tod. Die Wucht seines Sprungs brachte ihren sterbenden Leib lediglich ins Straucheln, als ob er noch immer einen eigenen Willen besäße - und dann lockerte sich auch schon der Griff um das in blutige Seidentücher gehüllte Bündel. Kosukes greller Schrei verriet, dass er bislang nur oberflächliche Schnitte davon getragen hatte. Dennoch trieb das Geräusch dem Herrn der westlichen Länder alle Farbe von den Wangen. Der Inu no Taishou erkannte erst jetzt, dass der Tropfen auf der blaustichigen Oberlippe des Neugeborenen kein Schweiß sein konnte, der auf die Zunge des Kindes hinab perlte. "Nein!", rief er schreckensbleich. "Nein!" Aber es war bereits zu spät. Die Augen Kosukes begannen schlagartig im wilden Fieber zu glänzen, als er die Lippen versiegelte und trocken schluckte. Nein, nicht ein zweites Mal! Der Hundedämon riss das Neugeborene an sich, ohne auf den zusammenbrechenden Leichnam der Dienerin oder den Zwist in seinem Rücken zu achten. Sollte der General versuchen die Flucht des Lindwurms zu verhindern: Alles, was für den Inu no Taishou von Belang war, fing in seinen Klauen an zu röcheln und zu würgen. Kosukes Gesicht lief blau an, dann wurde er in Streifen am Hals krebsrot und die dünnen Wangen formten sich wie der Schirm einer Himmelslaterne. Wieder ein Keuchen; und obwohl er das Neugeborene auf den Bauch drehte, hätte er seinen Arm für einen fähigen Heiler gegeben. Die Kehle des zukünftigen elften Daimyos der nordwestlichen Gefilde spannte sich unter dem Druck, den das Dämonengift erzeugte, dann zuckte er ein letztes Mal - und spie ohne Vorwarnung einen Schwall Milch aus, in dem das Grün des Giftes wie Kohle im Wasserbottich zischte. Der Inu no Taishou starrte wie gelähmt auf das Bündel, während sich ein ohrenbetäubend lautes Brüllen an seine Ohren verirrte und eine winzige Faust den Zipfel des eingeschlagenen Seidentuchs zu fassen bekam, um daran zu ziepen. Konnte ... konnte es sein-? Es musste. "Meister", rief Myouga, der sich mit einem zitternden Sprung aus dem Nichts der Rauchwolken befreite und voller Unglauben auf dem Schulterfell landete, "das Menschenkind lebt?" "Ja." Ja. Erst jetzt schaffte es der Herr der westlichen Länder in ein leises, erleichtertes Lachen auszubrechen, das aus den Tiefen seiner Kehle hinauf kam, bevor er das schreiende Kind an sich drückte, das so viel mehr Glück gehabt hatte als sein eigenes. "Ja, das tut es, alter Freund." 65 Die Wucht, mit der die zerfetzten Überrisse der Papierwände und Holzrähmen vom Boden gehoben und beiseite gestoßen wurden, überlagerte nur noch der Wutausbruch des Fürsten Kagetoras persönlich. Seine Augen waren mit Irrsinn gefärbt, und obwohl er die Wegstrecke zum Trakt seines Erben und Sohnes in schier unmenschlicher Eile zurückgelegt hatte, war er viel zu spät, um auch nur noch die letzte Schuppe der Drachendämonin erahnen zu können. Alles, was sich ihm bot, war ein Schlachtfeld. Intarsien waren auseinander gebrochen, Wachskerzen zerborsten und über allem lag der Gestank, den Sterbende hinterließen. Die Luft war so brackig, dass sogar ihm drohte schlecht zu werden und er hatte im Norden mehr Schlachten geschlagen und Eingeweide zerrissen, als er Jahre zählte. Zornig wölbte sich Kagetoras Brust, als in seinem Nacken die pfeilschnellen Schritte seiner besten Kriegsgeneräle erklangen. Die Nachtigallböden sangen das Lied vom Tod, als sie zum Stillstand kamen. Fuchsgesicht, dessen rotstichige Wangen von einem schmalen Schweißfilm überzogen waren, wollte den Daimyo prompt auf die seltsamen Bruchstücke zwischen den Trümmern und Rauchschwaden aufmerksam machen, doch Kagetora fuhr ihm einfach über den Mund. Niemand hatte das Recht seine Residenz in einen Pfad aus Schutt und Asche zu legen. Niemand! "Takemaru, du elender Bastard!", brüllte er, und der General, der sich bereits geistesgegenwärtig verbeugt hatte, musste vor Schmerz die Zähne zusammenbeißen. "Wie kann ein Mann deines Ranges in meiner Gegenwart auch nur eine Sekunde ohne Respekt stehen?! Ich sollte dir den Kopf von den Schultern schlagen, also rede. Wo ist mein Sohn? Ich habe seine Schreie gehört und-" "Er ist hier, Fürst." Kagetoras Miene gefror wie ein todbringender See, über den der Winter eine Eisschicht ausbreitete. Seine Lippen zuckten, weil er glaubte sich verhört zu haben, doch dann blähte er die Nasenflügel und wandte den Kopf fort von Setsuna no Takemaru. Nie zuvor hatte er den Griff seines Schwertes fester gepackt, als in dem Atemzug, da er den verhassten Gast ins Auge fasste. "Ihr wagt es, mein eigen Fleisch und Blut anzufassen, Dämon?" "Der Anblick trügt", erwiderte der Inu no Taishou ungerührt. "Euer Sohn ist bei bester Gesundheit, und erst eingeschlafen. Seht selbst." Der Herr der Hunde hielt Kosuke höher, den er aus den blutdurchtränkten, nassen Tüchern befreit und tief in sein wärmendes Schulterfell gehüllt hatte, doch keiner der Adeligen schickte sich an, die Distanz zu unterschreiten. Nun, warum hätten sie über ihre Schatten springen sollen? Niemand, der bei Verstand war, traute einem Dämon. Einzig das Klappern der Schwerter, die sich aus ihren Hüllen befreiten und messerscharf funkelten, zeugte davon, dass auch Yuudai und Fuchsgesicht mit einem Mörder erbarmungslos ins Gericht gehen würden. Tajiro war der Einzige, der finster das offene, seidige Haar des Daiyoukais musterte und schwieg. Noch. "Ihr habt sein Leben also verschont?", rasselte Kagetoras Stimme, bevor er die Spitze seines Schwertes auf den unübersehbaren Leichnam der Amme richtete. "Ihr seid großzügiger, als ich dachte. Welches Märchen wollt Ihr mir berichten? Starb sie von allein?" Die letzten Worte stieß er fast höhnisch hervor, doch der weißhaarige Bastard schien sich davon nicht provozieren zu lassen. Nun, er war in Übung. Seine Gefährtin gab klügere Schmähungen von sich, sobald sie die Augen aufschlug. "Ein Lindwurm hat sein Glück unter Eurem Dach versucht. Der General verletzte sie schwer und vertrieb sie, daher solltet Ihr ihm und nicht mir danken." "Ich habe weder das eine, noch das andere vor, Dämon. Verwechselt die Pflicht eines Mannes nicht mit seinem Ruhm." "Ich verstehe. Dann ist es wohl Eure Pflicht heute Nacht die Wachen zu verstärken", erwiderte der Herr der Hunde. "Ihr erteilt mir Befehle?!" "Ratschläge", lächelte der Inu no Taishou schlicht, bevor er dem Spuk der Rivalität ein Ende bereitete und auf Kagetora zutrat. Schweigend sahen sich die Männer an, dann musterte der Hundeyoukai die Ratgeber und Kriegsherren an der Seite des Daimyos. Es überraschte ihn nicht, in Tajiros Augen Misstrauen aufglimmen zu sehen, denn der Bruder des Fürsten glich einer Schlange, die sich am Boden einer Grube verbarg und auf die beste Gelegenheit lauerte, den Sieg von dannen zu tragen. Setsuna no Takemaru mochte Dämonen wie ihn mit dem gleichen Ingrimm verabscheuen, doch er war ein Mann der Ehre und hatte sein Leben für Frauen und Kinder eingesetzt. Das war weitaus mehr, als in dieser Gruft anerkannt wurde: "Macht Euch ein eigenes Bild", bot der Inu no Taishou Kagetora an. "Ich werde hier sein, wenn Ihr zu einem Ergebnis gekommen seid." "Tajiro", bellte der Daimyo finster und machte noch im selben Herzschlag kehrt, "achte auf deinen Neffen!" "Ihr wollt gehen, verehrter Bruder?" "Du gibst mir Widerworte? Glaubst du, es spielt für mich eine Rolle, was du denkst? Gehorche! Yuudai, zu mir." Die Adeligen sahen sich einen Moment verblüfft an, dann stoben sie wie die Glühwürmchen auseinander und folgten allen Aufgaben, die der Daimyo der nordwestlichen Gefilde wie ein Stakkato von sich gab. Der Staub und Ruß wirbelte dabei in die Nase des Hundefürsten, doch er weigerte sich seinen Mundwinkel zu verziehen, als sich knapp unter seiner Nasenspitze das Gesicht des schlangengleichen Beraters abzeichnete. "Ein glücklich ausgegangener Kampf", murmelte Tajiro lächelnd und streckte die Hände nach dem Kind aus. "Ihr solltet Euch nach diesen Strapazen ausruhen, Herr. Die Frauen, die wir im großen Speisezimmer zurückließen, weil ihre zarten Seelen und Füße denen der Männer unterlegen sind, würden Euch nur anstarren und auf einen Bericht hoffen." "Nun, das dachte ich mir. Glücklicherweise habe ich meinen eigenen Berater und so werdet Ihr mich zu den Frauen begleiten müssen, solltet Ihr das Kind nicht aus den Augen lassen wollen. Ist das nicht eine erquickende Aussicht?" "G-gewiss", verneigte sich Tajiro tief und schien so angewidert von dem unverhofften Vorschlag, als ob man seinen Kopf soeben in einen eiskalten Quell getunkt hätte. Dieser Bastard! "Ich hatte auf eine solche Gelegenheit gehofft. Werdet Ihr mir in der Zwischenzeit etwas über Euren Ratgeber erzählen? Sprecht Ihr vielleicht von Takemaru?" Der Inu no Taishou lächelte abweisend, denn offenbar war er der Einzige, der den schneidenden Blick des Generals in seinem Nacken richtig zu deuten wusste. Für einen Menschen war Takemaru bemerkenswert: Obgleich er schwer verletzt war, hielt er sich verbissen auf den Beinen und schenkte seiner vor Schmerz gärenden, bereits eiternden Schulter nicht einmal ein Wimpernzucken. Es würde Wochen brauchen, bis er den zweiten Schwertarm wieder belasten konnte. "Nein", erwiderte der Hundeyoukai, "uns eint zu wenig, aber es würde nicht nur ihn betrüben, solltet irgendjemand danach trachten, seiner Herrin zu schaden. Kommen Euch derlei Pläne bekannt vor, Berater?" 66 "Um Himmels Willen", rief Chidori aus, und das heuchlerische Geplapper ihrer Schwiegermutter kam so abrupt zum Stillstand, wie die Ehefrau Kagetoras mit blassen Wangen und einem unbeherrschten Aufschrei alle Etikette von sich warf: "Kosuke!" Die Fürstin raffte die schweren Röcke des Kimonos und eilte auf die Füße, was angesichts des immensen Gewichts der Seidenschichten und der Angst in ihrem Herzen fast ihr Stolpern bedeutete. Der Aufruhr, den ihr erster Schritt nach sich zog, schlug Wellen der Überraschung und des Schocks. Die Dienerinnen, die das Shamisen spielten, starrten die unhandliche und viel zu lange Schleppe ihrer Herrin an; und jene, die mit feinen Besen den Tee schaumig schlugen, konnten kaum glauben, dass eine Frau auf zwei Männer zu hielt - nein, auf einen Mann und einen Dämon. "Tajiro! Was ist geschehen?" Tajiro musterte angewidert den Knoten ihres Brokatobis, als ob dieser ihn persönlich beleidigt hätte. Nie zuvor hatte ihn die Fürstin angesprochen, doch er schätzte die Möglichkeit waidwund zu klingen: "Ein Drache verlangte nach seinem Fleisch, nachdem er offene Türen vorfand, verehrte Fürstin. Einzig der General des Daimyos der südwestlichen Gefilde und unser Gast eilten zur Rettung." "Ist das wahr?" "Nun, so wurde es berichtet", atmete Tajiro beiläufig ein. "Die Wahrheit hat viele Gesichter und unser aller Herr wird sie rascher erkennen, als eine Lüge durch eine am Hals gestraffte Korallenschnur ihren Anfang nimmt. Wer weiß, wodurch die Amme unseres zukünftigen Fürsten starb?" Er erwog, sich am Kinn zu kratzen, aber verwarf den Gedanken schleunigst, als der weißhaarige Bastard einen Schritt auf Kagetoras Ehefrau zutrat. Die Größe des Mannes lehrte ihn wachsam zu sein, und die scharfen Schwertklingen taten ihr Übriges. "Nehmt ihn", forderte der Inu no Taishou die Fürstin auf, bevor über seine Züge Milde strich. "Er hat kräftige Lungen und wird Euch mit Glück erfüllen." Chidori starrte ihn an, dann öffnete sie die Lippen und schloss sie doch wieder ungläubig. Tajiro verzog unbemerkt sein Gesicht, aber er wusste aus leidlicher Erfahrung, dass seiner Schwägerin nicht einmal für dieses Verhalten beizukommen war. Kagetora, der nicht davor zurückschreckte, die Kinder der Ammen bis in die Nacht hinein auf dem Dach singen oder in den kalten Gebirgsbächen baden zu lassen, um sie für einen vorwitzigen Atemzug abzustrafen, entpuppte sich in Chidoris Gegenwart als unerträglich weich. Er erhob die Hand viel zu selten gegen sie, obgleich es sein Recht als Ehemann und Fürst gewesen wäre - und so teilte Tajiro die missbilligende Maske seiner Mutter, deren sorgsam bepinselte Lippen alle Falten hervortrieb. "Man sollte einem Dämon gehorchen", säuselte Yugo in ihrem typischen, hohen Singsang, bevor sie nach einer langstieligen Pfeife griff und diese mit einem Stück Holzkohle entzündete. "Durch Dummheit jagt man die Spatzen von den Dächern und in den Schlund der Katze, Chidori. Ein überaus unschicklicher Tod." Yugos Blick huschte zur Seite, als ob sie prüfen musste, ob auch die vor Erstaunen versteinerte Izayoi verstand, aber die unschuldige Seele bemühte sich dank eines scharfen Atemzugs ihrer Dienerin Mashiko bereits darum, ihrer Rolle gerecht zu werden. Hätte die Fürstenmutter erahnen können, dass sich der Herzschlag des Mädchens aus einem anderen Grunde als Nervosität beschleunigte, wäre es schlecht um sie bestellt gewesen. Yugo hob ihr Gesicht und die wegrasierten Augenbrauen, die mit Kohle neu gezeichnet worden waren, verliehen ihr Gram: "Oh, niemand ist sicher, wenn sogar unserem verehrten, übermenschlichen Gast ein Feind entkommt. Mir raubt es fast die Sinne bei dem Gedanken an die Gegenwart eines Monsters!" "Mutter." "Ach, Tajiro", winkte sie aufgeregt, "meine Söhne haben Schwerter, was bleibt da uns armen Frauen? Wir benötigen jeden Schutz, den man uns gewähren kann." Ihre Wimpern, welche die Grazie von Krähen zeigten, schlugen nieder, während Chidori nur wenige Schritte entfernt ihr eigen Fleisch und Blut aus den Klauen des Dämons erhielt. Es entsetzte Yugo, dass er die Chance nicht nutzte, Kosuke aus Versehen fallen zu lassen, nein, obendrein sah er ihn voller Wärme an. Aber nun gut. Was erwartete sie auch von jemandem, der ihren Plänen Izayoi zu entehren und den Daimyo des Südwestens zu Fall zu bringen, im Wege stand? Die besten Schlingen knüpfte man selbst, bevor man sie mit Blattgold und Perlmutt verzierte. Yugo sah erneut zu der jungen Frau an ihrer Seite: "Wie unersättlich mögen Dämonen sein, Izayoi? Du bist mit einem von ihnen gereist und weißt mehr zu berichten, als jede tugendhafte Tochter innerhalb dieser Mauern-" "Yugo." Die Angesprochene sah gleichgültig von ihrem bezaubernden Plätzchen aus Damast, Brokat und Lügengespinsten auf. "Chidori?" "Meine Schwester wird Euch später Eure Fragen beantworten", verkündete die Fürstin kühl und barg die schmalen, dünnen Finger dicht an dem spärlich bekleideten Leib ihres Neugeborenen. "Bis dahin gibt es keinen Grund daran zu zweifeln, dass unserer Familie Schlimmes erspart blieb, weil tapfere Männer weder zauderten, noch den Weg frei gaben. Wir sollten den Ahnen dankbar sein." "In der Tat. Hoffentlich werden meine Söhne den Dämon noch im Morgengrauen erschlagen", lächelte Yugo seidig. "Dämonin", korrigierte der Herr der westlichen Länder. "Ist das nicht dasselbe?", hakte sie einfältig ein, ehe sie - zum Entsetzen der Menschen um sich - auf einmal die Fingerspitzen in einem entschuldigenden Dreieck auf die Tatami-Matte bettete und das Haupt neigte. "Ich nahm nicht an, dass es einer Frau gelingen kann, einen Mann anzugreifen und es zu überleben, Herr." "Ob Drachendämonin oder Schlange im eigenen Nest", erwiderte Taishou vielsagend, ehe er die goldenen Augen schmälerte, "sie überschätzt ihre List bei Weitem." "Dann sollten wir wohl alle hoffen, dass dieser abscheuliche Kreatur das Glück abhanden kommt. Wäre es nicht grausam frühzeitig zu sterben?" Yugos Lippen wurden dünn und schmal, dann fiel ihr Blick zur Seite. "Izayoi, was denkst du, mein liebes Kind?" 67 Schweigend sah der Herr des Westens dem Regen zu, der dicht und kühl auf den sandigen Boden des Hofes fiel. Allmählich verschwammen die Spuren der Dienerschaft in den Furchen und Körnern, aber deshalb zwang er nicht den Atem zwischen den Zähnen hervor. Es tat ihm leid - das erste Mal seit Jahrhunderten empfand er tiefe Reue darüber, eine weitere Chance vertan zu haben und eines Dämons und eines Menschen nicht habhaft zu werden, um deren Blut zu vergießen. War das seine Vorstellung von Gerechtigkeit? Trug auch er den ruchlosen Stolz eines Hundes in sich, der bereit war sein Verlangen nach Rache über alles andere zu stellen? Sein Vater hatte diesen abscheulichen Weg gewählt, und sein ältester Sohn, Sesshoumaru, fand bereits zu viel Gefallen an ruhmreichen Kämpfen, um sich darin noch mäßigen zu lassen. Diese Feststellung traf ihn von allen am härtesten. Einst war er davon überzeugt gewesen, seinen Welpen die Liebe zu Hilfsbereitschaft und Barmherzigkeit lehren zu können, doch inzwischen nagte der Zweifel an ihm wie ein Ungeheuer. Er hatte selbst nie die Weisheit erlangt, die Finten und Intrigen der Drachendämonen zu belächeln - und nun schwankte er trotz seines Alters erneut wie der rotblättrige Ahorn im Sturm. Der Inu no Taishou zwang einen Mundwinkel empor, der sich nur widerwillig von der unterdrückten Wut in seinem Herzen löste. Dann erinnerte er sich ein letztes Mal an die Brutmutter, die älteste und furchterregendste Dämonin, die er jemals getroffen hatte. Ihre Stimme war wie Yugos gewesen, schön und schneidend wie der wächserne Tod: 'Deine Taten erheitern mich, kleiner Welpe, mehr noch als Ryukotsuseis Streben danach, unser Territorium zu vergrößern. Nimm dein Höllenschwert und geh, ehe dich deine Bitte um Frieden das Leben kostet!' Sie hatte ihm freies Geleit gewährt - Ryukotsusei nicht. Kaum, dass der erste Stalaktit durch die Kehrtwende der Brutmutter hinabgedonnert und Eis und Stein in tausend Scherben zersplittert waren, hatte er ihm den halben Schwarm auf die Fersen gehetzt. Seitdem war kein Jahrhundert vergangen, in dem er sich nicht vergeblich nach Stille und Erholung sehnte. Und nun das. Der Herr der Hunde seufzte, dann streckte er die Klauen unter dem Rande seines Obdachs hervor und spürte dem Regen auf seinen Kuppen nach. Das samtige Gefühl von Tropfen auf der Haut erdete seine überreizten Sinne in dieser Nacht - bis das Klappern der Regentür die Stille durchbrach. Nun, es kam nicht unerwartet. Der Daiyoukai sah zurück, lange bevor die Papierwand jenseits der Tatami-Matten aufgeschoben wurde und das angestrengte, gedämpfte Flüstern zweier Frauen ertönte. Ihre Schatten flackerten unter dem Schein einer abgeschirmten Kerze. "Herrin, ich glaube nicht-" "Ich brauche nur einen Moment, Mashiko. Warte hier auf mich und lösch das Licht." "Izayoi-sama! Das dürft Ihr nicht!" "Ich darf nicht die Wahrheit erfahren?" Ein Schnauben erklang, fein und dünn wie das Geräusch, als die junge Frau auf Händen und Knien über die Schwelle rutschte und entschlossen Atem schöpfte. "Takemaru hätte mir alles sagen können, und er schwieg. Soll ich nun Yugos und Tajiros Behauptungen glauben, statt den hohen Herrn selbst zu befragen, was bei Kosuke vor sich ging?" "Aber", Mashiko neigte sterbenselend ihren Kopf, "er ist doch ein Dämon, Herrin." "Ja, zum Glück. Einen anderen Mann hätten wir beide nicht ansprechen dürfen." Die Enkeltochter des Daimyos der südwestlichen Gefilde lehnte sich seufzend zu der alten Dienerin vor und dämpfte ihre Stimme: "Mashiko, ich weiß deine Sorge zu schätzen und dein Urteil bedeutet mir mehr als der hellste Reis in meiner Schale. Aber du hättest den hohen Herrn nie vor der Zeit in das große Zimmer geführt, wenn er für mich eine Gefahr darstellen würde. Er kann Kosuke nicht bedroht haben. Ich glaube vieles, weil ich jung bin, doch das? Nein. Niemals." "Vertraut Ihr ihm so sehr?", flüsterte Mashiko matt. "Er hat dich von den Toten zurückgeholt", erwiderte Izayoi ernst. "Wie könnte meine Angst vor ihm jemals größer sein, als sein Herz an diesem Tag?" Über das Gesicht ihrer alten Kinderfrau huschte ein Ausdruck, den sie nie zuvor an ihr gesehen hatte, doch Mashiko senkte rasch ihren Kopf, bevor sie ihn deuten konnte: "Herrin ... Bitte, beeilt Euch. Yuudais Männer werden in wenigen Minuten ihren Rundgang beendet haben und Ihr wisst, welche Strafen unverheiratete Frauen bei Nacht und Nebel außerhalb ihrer Räumlichkeiten erwarten. Ich-" Mashiko brach ab, ehe ihr die letzte Bemerkung über die Lippen rutschen konnte. Nein, das war nicht der rechte Ort für diese Mahnung. Sie sah den Dämon im Kegelschein der Kerzenflamme nicht, aber sie wollte ihn mit ihrer Achtlosigkeit nicht auf Ideen bringen. Er hatte feinere Ohren als jeder Mensch. Zitternd griffen ihre Finger nach dem schweren Riegel, bevor sie unter einem heftigen Ruck die Regentür zuzog und verschloss. Das federleichte Schaben von Stoff über glattgeriebenem Holz verriet der Fürstentochter auf der anderen Seite, dass sie sich tatsächlich durchgesetzt hatte. Dieser Umstand erleichterte und überraschte sie zugleich: Vor einer Woche noch hätte Mashiko sie nicht einmal allein in der Nähe einer Wasserschüssel zurückgelassen, und nun? Irgendetwas musste auch sie beschäftigen, um ihr eine solche Freiheit zu gewähren. War es Neugierde? Furcht? Und hing auch das mit dem hohen Herrn zusammen, der Mashiko vor einigen Stunden so seltsam angesehen hatte? Nun, mit etwas Glück würde sie das ebenfalls herausfinden. Entschlossen atmete Izayoi durch, dann wandte sie ihren Kopf und nahm all ihren Mut zusammen. Die Tatami-Matte unter ihren Knien, die mit feinen Goldfäden versehen war, knisterte leise. "Hoher Herr?" Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit und versuchte im Zwielicht, das den weitläufigen Raum dominierte, mehr als die Spuren des Regens auszumachen. Eine Tür auf der anderen Seite war geöffnet, doch der Spalt war bis auf die eindringenden, eisigen Windböen verwaist. Fror er denn nicht bei diesen-? "Ich bin hier." Izayoi fuhr zusammen, dann reagierte sie intuitiv und bettete unter glühenden Wangen die Fingerspitzen und die Stirn auf den Bambus. "V-verzeiht", flüsterte sie rasch, während sie seinen Blick direkt über sich fahren spürte und ein Seufzen vernahm. Nun, kein Wunder: Er saß direkt neben ihr, verborgen in den Schatten. Falls sie mehr als eine Armeslänge voneinander trennte, musste sie sich schon sehr irren. "Ich habe Euch nicht bemerkt. Ich ... ich dachte, Ihr würdet euch noch ausruhen." "Ihr besucht freiwillig einen schlafenden Dämon, Izayoi?", fragte der Inu no Taishou verschmitzt. "N-nein! Ich meine", wich ihm Izayoi aus, "vielleicht doch. Ich hatte gehofft, Ihr würdet mir etwas verraten können." "Was immer Ihr wissen wollt", erwiderte der Herr der Hunde schlicht. "Aber nur, wenn Ihr mir dabei in die Augen seht." "Die Gräser", erinnerte sie sich leise. Er unterhielt sich also noch immer ungern mit abgewandten Gesichtern. "Ich versuche daran zu denken, hoher Herr." Und doch ... wie endlos dumm von ihr, dass sie unlängst begonnen hatte, ausgerechnet an dieser Freiheit Gefallen zu finden. Außer ihm duldete es niemand in ihrer Familie, und das machte sie wehmütig. Behutsam zog Izayoi die Fingerspitzen von dem rauen Untergrund zurück, um sie auf die mit Apfelblüten bestickte Seide des obersten Kimonos zu betten und unter dichten Wimpern zu ihm zu sehen. Eine Weile musterte sie schweigend seine Züge, die hohen Wangenknochen und die dunklen Streifen darauf, deren Bedeutung sie nicht kannte. Ihr entging nicht einmal, dass der Schnitt vom Abend fast verheilt schien, und sie wunderte sich darüber, wer ihn versorgt haben könnte. Als in seinen goldenen Augen ein unergründliches Funkeln einkehrte, jagte Izayoi ein seltsames Kribbeln über die Unterarme. "Warum seid Ihr geblieben, hoher Herr?" "Ich gab ein Versprechen." Die junge Frau runzelte die Stirn und schickte sich an die Lippen zu öffnen, bevor sie zögernd an Takemaru dachte. Er war ihm zu Hilfe geeilt, oder? Dennoch konnte sie sich nicht dran entsinnen, an dem General Freude über diese Tat ausgemacht zu haben. Trog der Schein? Männer verstanden sich oft, obwohl sie sich nichts zu sagen hatten und Versprechen schlugen die eigenartigsten Brücken. "Seid Ihr deshalb zu Kosuke geeilt und später mit ihm zu uns zurück gekehrt, statt ihn Tajiro zu überlassen? Bat man Euch darum, ihn zu schützen?", fragte sie. "Nein", erwiderte der Weißhaarige lächelnd. "Das war nur meine Art, einen Feind zu warnen." "Einen Feind, hoher Herr?" "Haltet Ihr Tajiro für einen guten Menschen?" "Ich ..." Izayoi stutzte, denn es verwirrte sie, dass ihr Verstand und ihr Gefühl zu dieser einfachen Frage zwei verschiedene Antworten kannte. "Vielleicht", entschied sie unsicher. "Ich kenne ihn kaum, aber er gehört zur Familie meiner Schwester und Chidori verlor bisher kein schlechtes Wort über ihn." "Das wundert mich nicht. Eure Schwester ist vollkommen uninteressant für seine Absichten und rührt ihn wenig, doch Euch wird er bereits im Frieden kein Freund sein." "Ihr sorgt Euch um mich?" "Ja", flüsterte er erstaunlich sanft, "das tue ich. Im Gegensatz zu ihm, weiß ich Eure Gesellschaft zu schätzen. Für Euch würde ich derzeit mehr Wagnisse eingehen, als mein alter Freund Myouga jemals gutheißen könnte." Der Herr der Hunde musterte sie abwartend aus den Augenwinkeln, dann konnte er dabei zusehen, wie eine flüchtige Röte von ihren Wangen Besitz ergriff und die Stille ihren Atem flattern ließ. Er öffnete die Lippen, um einen weiteren Satz anzubringen, doch er wusste nicht- "Ich ... ich sollte gehen. Es ist spät", hauchte sie und das leise, entschiedene Rascheln von Stoff erklang, ehe sich seine Hand wie aus dem Nichts auf ihre Fingerspitzen legte. Überrascht hielt Izayoi inne, denn sie erinnerte sich an die letzte Gelegenheit, als er ihr nahe gekommen war. "Bleibt", bat er, während das Prasseln der Regentropfen einen Teil seiner Empfindungen verwischte und er den aufwendigen Papierschmuck und die Seidenblumen in ihrem Haar musterte. "Erzählt mir mehr von Euch." "Das kann ich nicht", flüsterte sie. "Ihr könntet es versuchen." "Und dann?" Izayoi lächelte dünn, während sich in ihren Erinnerungen erneut sein Arm um ihre Hüfte schlang und das Maul eines Drachen ins Leere hob. Die Furcht verfolgte ihren Verstand noch immer, und sie wusste beim besten Willen nicht, ob es klug war, sie durch die beruhigende Wärme seiner Hand zu ersetzen. "Mashiko wartet", hauchte sie leise. "Ich weiß." Izayoi schickte sich an, ihre Hand unter der seinen hervor zu winden, aber dann erklang das vertraute, heftige Geräusch der Regentür. - - - - - - - Wie unromantisch: Besuch? Kapitel #16, "Enzian", lüftet das Gesicht dazu ... Kapitel 16: Enzian ------------------ Apfelblüte - Enzian - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 68 Tajiros Schatten breitete sich wie ein Sturm über der Stufe aus, dann zog er scharf den Atem ein und glaubte an dem Anblick, der sich ihm bot, regelrecht zu ersticken. Gift und Galle saßen ihm in der Kehle, während die Lichtfäden der Kerze die verwaisten Seideneinfassungen der Tatami-Matten beleuchteten. Doch weder links, noch rechts ließ sich der Saum eines Kimonos ausmachen. Es gab nur ein Anzeichen, dass jemand hier gewesen sein musste: Die Regentür war weit aufgestoßen und dahinter prasselten die Tropfen, stoben in einer Windböe hinein ins Innere des Raumes. Dieser dämonische Bastard wollte ihn ernsthaft zum Narren halten. "Wo ist sie?", zischte seine Stimme dünn wie der Tod, bevor sein Kiefer vor Wut fast verkrampfte und sein Blick auf Mashiko fiel. Sie kniete noch immer neben der Papierwand, als hätte man ihr befohlen, das Zimmer eines Daiyoukais zu bewachen. "Bist du taub, nutzloses Weib? Ich habe dir eine Frage gestellt! Wo ist Izayoi?" "I-in ihren Gemächern, Herr." "Glaubst du, ich kann eine Stimme nicht von der anderen unterscheiden, auch wenn sie noch so leise geflüstert ist? Du wagst es, mich zu belügen?" "Herr! Ich-" "Schweig!" Mashiko drückte ihre Stirn so erschrocken auf die Hände, dass ihre Fingerspitzen unter stärkerem Druck wie reife Kürbisse aufgeplatzt wären. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, befeuert von der Sorge um die wie vom Erdboden verschwundene Izayoi und- Sie schrak zusammen, als Tajiro vor ihr auf die Knie brach und sie so rabiat am Kinn packte, dass sich sein Daumen wie durch aufgeweichten Reis grub. Mashiko kniff in Todesangst die Augen zusammen, denn sie wusste, was zornige Herrschaften mit denen taten, die sie direkt anstarrten. Trotz aller Willenskraft konnte sie jedoch nicht verhindern, dass ihr ein schmerzhaftes Stöhnen von den Lippen quoll. Nun, der Bruder des Fürsten nahm es mit klebrig süßer Genugtuung hin: "Du solltest dich davor hüten, allzu loyal gegenüber deiner Herrin zu sein, einfältiges Ding. Ich könnte dir hier sämtliche Pflichten aus den Knochen prügeln, bis der Morgen graut und niemand würde dich schreien hören. Yuudai, mein Vetter, hat seine Männer auf mein Geheiß hin bedauerlicherweise von der Patrouille in diesem Trakt entbunden. Findest du nicht, dass unter diesen Umständen etwas Gehorsam angebrachter wäre? Mir gegenüber?" Tajiro wartete geduldig ab, bis er den Daumen ekelerregend wie ein Spinnenbein über Mashikos äußeren Mundwinkel schob. Dann beugte er sich noch leiser flüsternd vor: "Sag mir einfach, wo sie ist." "I-ich ..." "Sie ist nicht Euer Eigentum, Berater." Kühl starrte der weißhaarige Dämon auf den Mann hinab, der wie vom Blitz getroffen die Hand von Mashikos Kinn riss, so als ob ihm jemand glühende Kohlen gegen die Fingerknöchel gepresst hätte. Drei Herzschläge später war er auf die Beine gestolpert, und starrte zu dem regennassen Schulterfell hinauf, an dem vereinzelte Tropfen hingen. "H-hoher Herr!", keuchte Tajiro entsetzt, ja, fast gelähmt. Wo kam der denn her? "Ich ... ich hatte Euch bereits gesucht und dann sah ich Izayois Dienerin vor Euren Räumen knien. Mir stachen ihre gerissenen Getas ins Auge, so dass ich-" Doch für derlei Heuchelei hatte der Inu no Taishou nichts mehr übrig. Seine goldenen Augen durchzogen sich urplötzlich mit dunkelroten Fäden, während ein Grollen seine Kehle zum Vibrieren brachte, das sogar die Papierwände erzittern ließ. "Ich gebe Euch einen einzigen Rat, Menschenkind." "J-ja?" "Verschwindet, ehe ich meine Geduld verliere." 69 Er ... er gehorchte? Tajiro tat wirklich wie ihm geheißen und verbeugte sich leichenblass, ehe er verschwand? Oh Gott. Es kostete Mashiko jeden Atemzug, dessen sie habhaft werden konnte, um nicht starr vor Angst zur Seite zu sacken. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass es etwas Schlimmeres auf der Welt gab als den Tod, der sich in Form eines blutrünstigen Drachen auf sie stürzte, doch als sie in die Augen dieser Schlange gesehen hatte ... Wie konnte das sein? Sie sollte sich vor Dämonen fürchten, nicht vor Menschen! Die Amme schluckte heiser vor Scham, dann fuhr sie sich mit zitternden, schweißnassen Fingerspitzen über das fest geknotete Haar und versuchte verzweifelt, ihre Lippen unter Kontrolle zu bekommen. Vergebens, denn ihr Verstand weigerte sich, über etwas anderes als die schwindende Gefahr und die feuchte, schwere Luft nachzudenken, die sich nun schlagartig abkühlte. Als der Herr der Hunde neben ihr auf die Knie ging, spürte sie das Brennen von Tränen in ihren Augenwinkeln. Eilig wischte Mashiko diese mit dem Handrücken fort, dann presste sie die Fingerknöchel zu Fäusten zusammen. Es nahm ihr die Last, aber nicht die Hilflosigkeit. "V-verzeiht, hoher Herr", würgte die alte Dienerin hervor. "Ich ... verzeiht, mein Benehmen." Der Inu no Taishou unterbrach sie gutmütig: "Ich hatte nicht vor Euch zu tadeln, Mashiko." Die alte Frau erstarrte bis ins Mark. Er kannte ihren Namen? Woher? Mit glühenden Wangen sah sie zu dem Weißhaarigen hinauf, und ihr wurde bewusst, dass sie nie zuvor gewagt hatte, einen Mann - noch dazu einen Dämon - derart offen anzusehen. Izayoi hätte sie für einen solchen Blick mit freundlichen Worten bedacht, aber er wartete nur weiter ab. Vielleicht war das des Rätsels Lösung: Ihre Herrin musste ihn erwähnt haben, als sie in der Unterwelt- Ihre Fingerspitzen kribbelten zunehmend, fühlten sich an wie Karpfen, die ruhelos durch die Teiche zogen. "Seid Ihr wohlauf, Mashiko?" Ja. Ihre Lippen schienen eine halbe Ewigkeit zu benötigen, um die verdiente Antwort zu hauchen. Ob er sie verstand, vermochte sie nicht zu sagen, doch ihr Gewissen krankte an dem Umstand, dass sich weder ihre Anwesenheit, noch sein Beistand geziemten. Wie konnte sie bloß Dankbarkeit empfinden? Erleichterung? Er hatte sie dem Tod entrissen und Tajiro verscheucht. Nichts davon schien wirklich, am Wenigsten der sanfte Zug um seine Mundwinkel. Sein Gesicht war jung und trotz der dämonischen Streifen ausgeglichen und in sich ruhend. Zu allem Überdruss musterte er sie so, als hätte er längst entschieden, sie tief im Herzen mögen zu wollen. Wie verrückt! Bestürzt neigte Mashiko ihren Kopf. Sie fand Schutz in ihrer üblichen Haltung und neigte die Stirn dichter denn je auf den kühlen Boden. "Ich stehe in Eurer Schuld, hoher Herr", stellte sie flüsternd fest. "Kaum. Ich war nur zufällig in der Nähe", erwiderte der Inu no Taishou lächelnd. Dann lehnte er sich vor, neigte das Kinn: "Kehrt in Eure Gemächer zurück, sobald ich durch die Regentür verschwunden bin. Ich kann Euch kein Geleit anbieten, denn ich fürchte, Izayoi wird ihre Zuflucht nicht allzu lange schätzen. Sie wartet im Apfelbaum." Im Apfel-?! Hätte ein Kind mit der flachen Hand gegen die Riegel der Regentür geschlagen, wäre Mashiko nicht weniger blass geworden. 70 Ihr Herz schlug wild, schien sich schrittweise bis zu ihrer Kehle hinaufzukämpfen, während die Zweige bedrohlich im Wind ächzten. Die undurchdringlichen Schatten des Baumes ragten weit über Izayoi auf und obwohl sie sich darum bemühte, ihren Atem in zuversichtlichen, langen Stößen zwischen den Lippen hervorzubringen, ängstigte sie der schwere Geruch des Regens zu Tode. Sie hörte jedes Knacken, jedes Knirschen in der Rinde. Am Anfang hatte sie befürchtet, die glatte Seide ihres Kimonos würde ihren Sturz beschleunigen, doch der hohe Herr war fort gesprungen, noch bevor die Wärme seiner Hand gänzlich von ihren Fingerspitzen verschwunden war. Was ... was sollte sie bloß von diesem Einfall halten? Izayois Hand klammerte sich zitternd an den gewaltigen Stamm, während sie verzweifelt versuchte, den umher treibenden Blütenblättern nicht bis zum Erdboden zu folgen. Das Gefühl, das unter ihre Haut schlich, während sich die Baumkrone in der nächsten Böe bog, schien schlimmer als jeder Schwindel. Oh bitte ... bitte, kommt zurück. Die Fürstentochter rang nach Atem, dann versuchte sie sich mit allen Mitteln von ihrer Umgebung und Mashikos Schicksal abzulenken. Sie begann zu zählen, so weit wie ihr Verstand reichte. Am Ende angekommen, klopfte ihr Herz noch lauter und sie beeilte sich, ihre Gedanken mit den lackierten Suppenschalen, den auseinander gebrochenen Essstäbchen und den Papierrollen zu beschäftigen, die am Abend gereicht worden waren. Irgendwann sortierte sie im Geiste die Fischflossen und Seeigeleier nach Farben - und dann wogte auf einmal der Apfelbaum, als ob jemand im Schutz der heulenden Windböe versuchte, ihn an den Wurzeln voran aus dem Boden zu reißen. Einen Atemzug darauf senkte sich ein Schatten über Izayoi, angenehm und warm: "Verzeiht", raunte der Inu no Taishou mit funkelnden, goldenen Augen, ehe er das Kunststück vollbrachte, sich keinen Meter vor ihr auf den schwankenden Ast zu setzen. "Seid Ihr unversehrt?" E-erweckte sie diesen Eindruck? Die Schwarzhaarige schöpfte Atem, dünn und flirrend wie ein Insekt. "Mir wäre es nicht Unrecht gewesen, in Eurer Gesellschaft zu bleiben, hoher Herr. Seht Ihr, wie weit der Boden entfernt ist?" Erstaunt hob der Daiyoukai die Augenbrauen, ehe sein Blick an der Rinde hinabwanderte, als ob er nie zuvor über die Frage nachgedacht hätte. Er hatte erwartet, dass sie sich an den scharfen Windböen und Regentropfen stören würde, die prasselnd durch das Blätterdach schlugen - nicht an der Luft, die zwischen ihnen und den dichten, wogenden Gräsern lagen. Sein Welpe wäre nicht einmal in seiner Jugend dadurch abgeschreckt gewesen, aber ein Mensch ... wie nachlässig von ihm. Gedankenverloren musterte er das Fleckchen Erde, während die Witterung an seinem Schulterfell riss, dann sah er zurück zu den goldbestickten Apfelblüten auf Izayois Kimono. Trotz der Dunkelheit konnte er die durchnässten Fäden auf der Seide erkennen und es kostete den Herrn der Hunde wenig, um an ihren Säumen die winzigen Holzsplitter und Rindenstücke zu bemerken. "Ich werde Euren Platz beim nächsten Mal weiser wählen", versicherte er, ohne den Grund für das aufkommende Lächeln in seinen Mundwinkeln zu verraten. "Soll ich Euch zurück bringen?" Izayoi nickte prompt, und die Erleichterung über seine Hilfe sprengte endlich den Knoten in ihrem Hals. Gott sei Dank schlug er das vor! Sie hätte nicht gewusst, was eine Frau ihres Standes ohne seine Worte tun sollte, um den in voller Blüte stehenden Apfelbaum wieder zu verlassen - und spätestens in dieser Sekunde fragte sie sich, wie sie im Garten ihres Großvaters, des Daimyos der südwestlichen Gefilde, nur auf die Idee gekommen sein konnte, eine Meise zurück in ihr Nest setzen zu wollen. Als ihr der Weißhaarige jedoch die Hand hinhielt, schrak sie zusammen. Dann überflutete sie ein Gefühl, das sie wenig später als Hilflosigkeit erkannte, denn man hatte ihr ein Leben lang eingeschärft, solche Gesten zu fürchten - eine Fürstentochter berührte kaum ihre Dienerinnen, geschweige denn ein anderes Familienmitglied. Sie selbst wagte es seit Chidoris Heirat nur noch Mashiko zu umarmen, denn sogar Takemaru, ihr ältester Vertrauter aus Kindheitstagen, wies solche Gesten stocksteif zurück. Nun, natürlich, er war ein Mann und der oberste General der südwestlichen Residenz. Nie wäre Izayoi davon ausgegangen, dass ausgerechnet ein Daiyoukai auf ihre Zustimmung warten sollte. Warum setzte er sich nicht einfach über sie hinweg? Er hatte es doch bereits zweimal getan, um ihr Leben und ihren Ruf zu retten. "Ihr zögert?" "Ich ... ich verstehe das nicht." Izayoi sah ihn scheu an, und sie gab ihr Bestes darin die eiskalten Regentropfen zu übergehen, die sie schaudern ließen. So sehr sie sich die Nähe einer wärmenden Kohlenpfanne und trockene Kleider wünschte; er verunsicherte sie. "Ihr kennt mich erst wenige Tage, und dennoch nehmt Ihr Rücksicht? Ihr seid so-" "-so anders?" "Ein wenig, ja", wich sie ihm flüsternd aus. "Lernt mich besser kennen", bot der Herr der Hunde an und entließ lächelnd die Luft aus seinen Lungen. Dann spürte er dem Kribbeln in seinen Fingerspitzen nach und stützte das Kinn auf die Handfläche. "Ich habe Euch nicht darum gebeten mit mir Zeit zu verbringen, um einen Vorwand zu bekommen, Euch mit meinen eigenen Taten zu ängstigen. Euer Leben bedeutet mir mehr als das." Ihm waren so viele Jahrhunderte lang keine Gründe eingefallen, seine Vergangenheit zu teilen. Wie hätte er Izayoi gegenüber etwas Anderes anbringen können? Sein Berater, Myouga, war so oft darum bemüht gewesen, ihm die Sorgen mit ähnlichen Zugeständnissen zu nehmen, aber der Flohgeist hatte nie sein eigen Fleisch und Blut begraben müssen und focht seit vielen Monden eine Schlacht, dessen Gegner er nicht verstand. Sesshoumarus Weg fiel ungleich bedrückender aus: Er hatte sich früh der Gewohnheit seiner Eltern angepasst, sämtliche Gefühle von seiner Zunge zu verbannen, und suchte sein Heil in heftigen Auseinandersetzungen. "H-hoher Herr?" "Ich sollte Euch zurück bringen", raunte der Weißhaarige gedankenversunken. "Betrübt Euch dieser Umstand?" Der Wind frischte auf, dann vermischte sich das Heulen mit dem Knarzen des Apfelbaums und brachte die Blütenblätter in einem Wirbel aus Regen dazu, zu Hunderten in der Luft zu tanzen. Die Fürstentochter verfolgte ihr Spiel, denn das war einfacher als sich in der Stille darauf zu besinnen, dass ihre Zehen unter den Tabi in der klammen Frühjahrskälte schmerzten. Aus den Augenwinkeln sah Izayoi jedoch noch immer die Kontur seiner Klauen, die von der Nacht in ein dunkles Grau gehüllt wurden. Eigenartig. Sie fürchtete sich unverändert davor, seine Hand zu ergreifen, aber als der Daiyoukai die Mundwinkel hob, fiel es ihr erstaunlich schwer, ihre Ängste mit dem warmen Leuchten seiner goldenen Augen zu vereinbaren. Es war das seltsamste Gefühl, das sich je in ihrem Herzen eingefunden hatte. "Stimmt etwas nicht?", flüsterte Izayoi. "Ich dachte nur an meinen Sohn", erwiderte der Herr der Hunde samtig, bevor er die Fingerspitzen zu ihrer Wange hob und die höfliche Distanz zwischen ihnen überbrückte. Behutsam schob er eine Haarnadel nach der anderen zurück an ihren Platz und musterte die Papierblüten, die fast so laut knisterten wie der Atemzug Izayois. Er benötigte jede einzelne von ihnen, um seine Stimme zu dämpfen: "Es ist lange her, dass ich ihm gewünscht habe, dasselbe zu empfinden wie ich, Izayoi. Ich frage mich ..." Sein Blick glitt an ihren dichten Wimpern entlang, aber dann - dann verwarf er seinen Satz und alle Gedanken, die er mit sich gebracht hätte, so rasch wie sie gekommen waren. "Ihr werdet Euch an diesem Ort erkälten, wenn Ihr noch länger bleibt." - - - - - - - Kapitel #17, "Hibiskus", stellt so Einige auf die (Gedulds-)Probe. Leserfrage: Was hörst du, während du aus der Sicht Inu no Taishōs schreibst? - Youtube: Lee Brice "Hard to love" - Youtube: Inu no Taisho "Light 'em up" - Youtube: Inutaisho "Through Heavens Eyes" Kapitel 17: Hibiskus -------------------- Apfelblüte - Hibiskus - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 71 Auf Izayois gewachsten Haarsträhnen glänzten noch immer die Regentropfen und obwohl sie sich um eine ernste Miene bemühte, glühten ihre Wangen. Jeder Diener, der sie zu dieser späten Stunde erblicken würde, wäre zu Recht entsetzt: Es gehörte sich nicht für eine Fürstentochter nachts über die Seide ihres mehrlagigen Kimonos zu streichen und die Falten ihres Brokatobis glatt zu zupfen, ehe sie vor der Papierwand ihrer Gemächer in die Knie sank. Was war nur in sie gefahren? Sie hatte alle Regeln des Anstands gebrochen und Zeit in der Gesellschaft eines Mannes verbracht, während der Wind in den Ästen des Apfelbaums knisterte und heulte. Als ehrbare, junge Frau wäre es ihre Pflicht gewesen, sich in Schweigen zu hüllen, demütig den Kopf zu neigen und sich allein zur Ruhe zu begeben - stattdessen hatte sie mit klopfendem Herzen geduldet, dass der hohe Herr die Hand über ihren Haarschmuck wandern ließ. Izayoi erinnerte sich gut an einen Tag in ihrer Kindheit zurück, als Takemaru dasselbe getan hatte. Sieben Stockschläge und ein glühend heißer Sommer auf den Reisfeldern waren eine milde Strafe gewesen, denn hätte sie seine weichen Züge erwähnt ... nein, solche Gedanken ziemten sich nicht. Verlegen schmälerte die Schwarzhaarige ihre Lippen, dann berührten ihre Fingerspitzen die handgearbeitete Griffmuschel, die in das Holz der Papierwand eingelassen worden war. Die kalte Luft, die auf einmal durch den Gang zog, hinterließ ein Kribbeln in ihrem Nacken, doch als sie zur Seite sah, konnte sie in den Schatten kaum die Konturen der anderen Räumlichkeiten erkennen. Izayoi ertappte sich bei der Frage, ob der hohe Herr erneut in ihrer Nähe wartete, aber dann schalt sie sich eine Närrin. Auch der Weißhaarige wusste, dass ihm das Betreten dieses Trakts strikt untersagt war. Er ... er hatte es selbst geflüstert, als er sich mit einer schlichten Neigung seines Kopfes von ihr verabschiedet hatte und noch immer wunderte sie sich darüber, weshalb sein Fortgehen und das flüchtige Lächeln auf seinen Lippen, in ihr nachklangen. Seine Gegenwart fühlte sich so vertraut an, doch er behandelte sie eigenartig ... Nun, vielleicht gelang es ihr, Mashiko darüber auszufragen. Ihre alte und liebenswürdige Dienerin war die einzige Frau, die den Männern Takemarus die schalkhaften Gedanken an der Nasenspitze ansehen konnte, lange bevor sie die Lippen öffneten. Mit etwas Glück wusste sie auch das Gebaren ihres seltsamen Gastes zu deuten. Zuvor würde sie sich jedoch dafür entschuldigen müssen, ihrer Amme derzeit solche Sorgen um ihr Wohlergehen aufzubürden. Rasch schob Izayoi die Papierwand auf, schlüpfte mit gesenktem Kopf und einem schweren, seidigen Rascheln ihres Kimonos über die Schwelle und lauschte ein zweites Mal der Holzlatte, die in der Führungsschiene schrammte. Erleichtert darüber, unentdeckt geblieben zu sein, atmete sie den Geruch der Kohlebecken tief ein und drehte sich dem Innern des Raumes zu, um Mashikos Namen zu flüstern. Einen Herzschlag später wurde sie kreidebleich, dann wurde ihre Kehle trocken wie Buchweizennudeln. "Chidori!", keuchte Izayoi erschrocken. "Du warst lange fort", erwiderte die Fürstin der nordwestlichen Gefilde, bevor sie die langstielige Pfeife in ihrer rechten Hand sinken ließ und an die alte Dienerin in ihrem Rücken weiter reichte. Mashikos Gesicht war leichenblass, aber sie gehorchte und gab mit keinem Wimpernzucken zu erkennen, welche unsäglichen Ängste in ihren Eingeweiden tobten. Der Boden, der sich vor Izayoi auftat, schien sie mit einem Mal verschlucken zu können. Sie erkannte die tiefe Falte, die zwischen den Augen ihrer Schwester lag, doch es war Chidoris Stimme, die sie in eine Welt zurück warf, in der Ehre und Pflichten ihr Schicksal bestimmten. "Du beschämst mich, Izayoi", zischte Chidori. "Man hat mir erzählt, wo du gewesen bist. Ist das wahr? Du hast dich fortgestohlen, um diesen Dämon um eine Erklärung zu bitten? Rede, du dummes Kind!" 72 Der Flohgeist hatte die Augenbrauen so missbilligend verzogen, als ob er darüber nachdenken wollte, den Herrn der westlichen Länder bei lebendigem Leib aufzufressen. Ungeheuerlich, was sich vor seinen eigenen Augen abgespielt hatte! Erst bat ihn der Inu no Taishou überraschend darum, jenseits der Regentüren bei Wind und Wetter nach dem Rechten zu sehen, und dann wurde er während seiner Rückkehr auf halbem Wege Zeuge eines solchen Gesprächs? "Ihr werdet Euch erkälten?", wiederholte Myouga erbost. "Ihr werdet Euch erkälten, Meister? War das Euer Ernst? Was in aller Welt habt Ihr Euch dabei gedacht, die Tochter eines Fürsten in einen Apfelbaum zu tragen und ihr solch einen Unsinn zu sagen?!" "Nun, ich hielt es für angemessen", erwiderte der Weißhaarige, ehe er sich von den Spuren löste, die allmählich im Sand des Hofes verschwammen. Einige wenige stammten von ihm, denn auch ein Daiyoukai war nicht mächtig genug, um sich in der Tiefe der Nacht ohne Schwung in gewaltigen Sätzen fortzubewegen. "Hättest du einen besseren Ratschlag gekannt, alter Freund?" "Allerdings", rief der Berater aus. "Ihr hättet sie fortschicken müssen oder schon längst aus dieser Schlangengrube verschwinden können! Aber was rede ich?" Myouga verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich in das weiße Schulterfell hineinfallen. "Ich kenne dieses Lächeln, das auf Euren Lippen ruht." "Wirklich?" "Natürlich, und das wisst Ihr so gut wie ich." Verärgert blähte der Floh die Nasenflügel, um der Versuchung zu widerstehen, auf die Bambusmatten hinabzuspringen und die Fäden einer Seideneinfassung statt des fremden Halses zu malträtieren. Solange auch nur ein Tropfen Blut in seinen Adern schwelgte, würde er den Teufel tun, seinen Stolz als dämonischer Berater derart mit Füßen zu treten. "Die junge Izayoi erinnert Euch an Eure Gefährtin, die Euren aberwitzigen Ideen das erste", und wie er allzu oft dachte, auch beinahe das einzige, "Lächeln geschenkt hat. Wollt Ihr das leugnen?" 73 Schweigend saßen sie da, während Mashiko sich mit abgehackten, fahrigen Bewegungen darum bemühte, einem Kohlenbecken in der Nähe eines eckigen Papierschirms Luft zuzufächeln. Die Stille, die bedrohlich über Tuscheriegel, Pinsel und die mit Kranichen und Bambusschösslingen verzierten Rollbilder an den Wänden kroch, schien unerträglich. Dann - ohne Vorwarnung - lichtete sich Chidoris verhärtete Miene in einem Seufzen. Sie rieb sich erschöpft über die Stirn, als ob sie soeben aus einem fürchterlichen Albtraum erwacht wäre, der ihre Züge alt und grau schimmern ließ. "Du hast Glück", flüsterte sie ihrer kleinen, unbedarften Schwester zu. "Ich werde niemandem verraten, wo du heute Nacht gewesen bist, denn ohne dich wäre dieser grauenhafte Dämon nicht hier gewesen, um das Leben meines Sohnes zu retten. Eines darfst du jedoch niemals vergessen, Izayoi. Sollte jemand deinen Fehltritt bemerkt haben, so ist das dein sicherer Tod. Mein Wort hat in diesen Mauern nicht mehr Gewicht als ein Seerosenblatt und der Fürst verabscheut diese Kreaturen. Du tätest gut daran, seinem Beispiel ab heute zu folgen." Izayoi schien zunächst erleichtert, doch in ihren Augen tanzte ein Ausdruck, der wirr und unstet um eine Form rang, bis sie den Mut fand sich die Lippen zu befeuchten. "Ich ... ich glaube nicht, dass er ein Monster ist", gestand sie ein. "Was erkennst du in ihm?" Chidoris Pupillen weiteten sich, als ob sie einen Geist gesehen hätte. Einen langen Augenblick war sie zu sprachlos, dann drehte sie sich in Windeseile zu Mashiko und schien diese rügen zu wollen. Hatte es nicht zu deren Aufgaben gehört, eine bescheidene, stille und sittsame Ehefrau aus der jüngsten Enkeltochter des Daimyos der südwestlichen Gefilde zu formen? Ja, war ihr Kopf denn in den Wolken gewesen? Hatte sie ihr womöglich etwas verheimlicht?! Izayoi legte rasch die Hand auf Chidoris Fingerknöchel und schüttelte den Kopf. "Bitte", erklärte sie leise. "Es ist nicht ihre Schuld. Mashiko hat mich oft ermahnt." Chidori öffnete den Mund, dann neigte sie verstimmt das Kinn und kämpfte um die Ruhe in ihrer Stimme. "Du spielst ein gefährliches Spiel, Izayoi. Als ich vor vier Jahren fortging und mein Glück in der Ehe fand, hast du dich besser zu benehmen gewusst. Ich hielt es für ein Versehen, als du am Morgen das Wort an mich gerichtet hast, ja, sogar für ein Zeichen deiner ungestümen Wiedersehensfreude und Nervosität. Und nun? Du gleichst einem Vogel, der sich gegen die kostbaren Stäbe seines Käfigs stemmt!" Schuldbewusst wich ihr die Jüngere aus: "Wirst ... wirst du mir dennoch antworten?" "Worauf?", wollte Chidori wissen und ihre hohe, aufgeregte Stimme verriet kaum noch, dass sie im Rang so viel höher stand. Sie fühlte sich wieder wie ein Mädchen, das nichts von der Welt verstand. Dennoch raschelte die Seide, als sie sich entrüstet vorwärts lehnte. "Du unterhältst dich mit einem Dämon, der uns beide mit einem Streich seines Schwertes vernichten könnte. Himmel, was weißt du schon über ihn? Woher stammt er? Wie redet er unter seinesgleichen?" "Aber ... ich habe ihn und seinen Sohn erlebt." "Izayoi!" "Es stimmt!", beharrte die Schwarzhaarige und presste die Fingerknöchel fester gegen die Stoffe, auf denen winzige Ranken gestickt waren. "Er besaß das gleiche Haar, dieselbe stolze Haltung und trug rote Streifen auf seinen Wangen. Seine Augen schimmerten wie kühler Bernstein!" "Und weiter?", sprach Chidori in einem Singsang, der ihre wedelnde Hand unterstrich. "War er ebenso freundlich wie der Gast unseres Hauses?" Ihre Augenbraue glitt vorwurfsvoll in die Höhe, und Izayoi fühlte sich prompt an die Mondsichel erinnert, die auf der Stirn Sesshoumarus geprangt hatte. Dennoch konnte und wollte sie nicht zugeben, was der Sohn des hohen Herrn in ihr auslöste. Nun, ihre Schwester verstand auch so und ihr Ärger verging wie eine Wolke schweren, düsteren Rauchs. Chidoris Züge glätteten sich, wurden weich und nachgiebig wie die einer Frau, die wusste, wann die Macht eines Lächelns angebrachter war als ein Befehl. Ihre Stimme gedieh so zart, dass nicht einmal Mashiko sie flüstern hörte. Dann hob die Fürstin ihre Hand an Izayois Wange: "Versteh doch meine Vorsicht, kleine Schwester. Unsereins hat keine Zeit, um sich mit einem so mächtigen und geheimnisvollen Mann zu unterhalten, dessen Laune uns den Tod bringen könnte. Wir sind zur Ehefrau und Mutter geboren, und es wird dir im Leben nur Unglück bringen, deine Gefühle auf der Zunge zu tragen." Fürsorglich strich Chidori mit ihren kühlen Fingerspitzen über die Haut Izayois, dann schlich ihr Blick wehmütig über die Schönheit, die aus ihr geworden war. Es schmerzte fast, die Zeit auf diese Weise zwischen den Fingern zerrinnen zu sehen. Bald würde die jüngste Enkeltochter des Daimyos der südwestlichen Gefilde eine eigene Ehe führen. Chidori wünschte ihr von Herzen einen Mann, dessen Verstand weise genug war, die Gewalt der Schlachtfelder von ihrem gemeinsamen Lager fernzuhalten. Izayoi war so zierlich, so unschuldig und zerbrechlich. Sie in der Nähe des Gastes zu sehen ... Chidori seufzte. Es hätte die Regentropfen auf ihrem mattschimmernden Haar niemals geben dürfen. Diese andere Welt, in der man offen über seine Befindlichkeiten plauderte und rasch antwortete, war giftig wie Efeu. "Möchtest du noch immer wissen, wie ich über ihn denke?" "Ja", hauchte Izayoi, und auch diese Antwort bereitete der Fürstin einen flüchtigen Stich, direkt ins Herz. "Ich fürchte ihn, seit er mein Heim betrat. Wie könnte ich etwas anderes tun? Ich sah wie er Papierwände zerriss und einen Tisch zur Seite warf, auf dem kostbares Porzellan und schwere Schalen standen. Als er mir Kosuke zurückbrachte, schien diese Zerstörung ein geringer Preis zu sein, doch warum lächelt er ein Kind voller Wärme an, das nicht sein eigen Fleisch und Blut ist? Es gibt an diesem Ort kaum einen alten Mann, der seine Pflicht gegenüber dem zukünftigen elften Daimyo damit gekrönt hätte. Und ... und ich kann nicht vergessen, auf welche Weise er dich musterte, als er den Tee zweimal drehte oder Tajiro in deiner Nähe verweilte. Takemaru, der erste General unseres Großvaters, betrachtet dich mit den gleichen Augen." "Oh." "Bitte, gib Acht auf dich und geh nicht leichtfertig mit ihm um. Am Ende des Tages bleibt auch er nur ein gefährlicher Fremder", riet Chidori, dann drückte sie ernst die schmalen Hände ihrer Schwester und war dankbar um das einsichtige Gesicht. Sie konnte nicht wissen, dass Izayoi längst darüber nachzudenken begann, ob dies der wahre Grund dafür war, weshalb sie seine Gegenwart schätzte. Als die jüngere Fürstentochter ihre Fingerspitzen zurückzog, waren diese kalt und unglücklich wie der nachlassende Regen. 74 Der Morgen dämmerte, und die Windbrise, die über den Hof zog, war erfrischend und kühl wie der Frühling. Der bleigraue Wolkenschleier brach wie ein Pfirsich auf, um zarte Sonnenstrahlen über Pfützen und Strohsandalen tanzen zu lassen. Die Männer der Residenz standen mit feisten, furchtsamen Gesichtern auf dem Sandboden und Aufregung wogte in ihren Reihen wie ein Fieber umher. "Ich hätte es mir nicht besser wünschen können", grunzte Yuudai am Rand zufrieden. In weniger als einer Stunde würde sich das Blut eines Dämons an seiner Schwertklinge finden lassen, und die Vorstellung des Triumphs wölbte seine Brust. Er trug seine beste Rüstung, die schwarzlackiert wie der Tod schimmerte und Oberschenkel wie Baumstämme verbarg. Fuchsgesicht kräuselte neben ihm die Lippen. "Du riskierst deinen Hals, Vetter. Bist du dir-" "Natürlich bin ich das!", blaffte der grobschlächtige Mann. "Hast du die Anweisung unseres Herrn vergessen? Ich werde derjenige sein, der ihm seinen Kopf beibringt, denn dir mangelt es an Entschlossenheit und Stärke." "Was immer du sagst", lispelte Fuchsgesicht, während ein Schatten über seine Züge huschte und seine aalglatten Wangen knochig und harpyienhaft zeichnete. Es fiel ihm schwer, die Abscheu für sich zu behalten, die Yuudai in ihm entfachte, doch er war kein Narr. Sein Verwandter hatte Männer für weniger in zwei Hälften gespalten und lieber sah er ihn im Staub vergehen als sich. Eifrig sorgte er für seichtere Gedanken. "Tajiro verspätet sich? Unser verehrter Fürst gab doch Befehl, sich dieses Schauspiel anzusehen, um das Märchen zu zerstreuen, dieser Dämon wäre mächtiger als jeder tapfere Mann." Yuudai machte eine hochmütige Bewegung mit dem Kinn, dann schnalzte er verächtlich. Bevor er jedoch aussprechen konnte, dass dieser in den Räumlichkeiten seiner Mutter kniete, stahl sich ein Schatten in seine Augenwinkel. Interessant. "Setsuna no Takemaru", begrüßte Yuudai ihn mit einem scharfen Grinsen. "Seid Ihr gekommen, um dem Tod einer Höllenkreatur beizuwohnen?" "Begehrt Ihr dieses Schwert so sehr?" Der oberste General des Daimyos der südwestlichen Gefilde schmälerte die Lippen, als ob er nie von einem lächerlicheren Plan gehört hätte. Noch vor wenigen Augenblicken hatte er sich einen dünnen Schweißfilm von der sonnengegerbten Haut über seiner Lippe gewischt, ehe er in die frostige, distanzierte Hülle eines Mannes geschlüpft war, den der sengende Schmerz seiner Schulter nicht brechen konnte. "Er bot es mir feil", knurrte Yuudai, "und ich nehme ein Angebot an, solange man mich unterschätzt. Seht Ihr diese Klinge?" Auffordernd hob er das rasiermesserscharfe, tödliche Schneidblatt vor seine Augen, und machte keinen Hehl daraus, dass er sich das Siegel eines Meisterschmieds mit Blut, Schweiß und dem Heulen der Sterbenden hundertfach verdient hatte. "Ich kenne seine Schwäche. Könnt Ihr dasselbe behaupten, Takemaru?", protzte der vierschrötige Mann. - - - - - - - Oh! Was weiß Yuudai alles, was wir nicht wissen? Erfahrt es in Kapitel #18, "Margerite". Kapitel 18: Margerite --------------------- Apfelblüte - Margerite - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Anmerkung: Dieser Ausflug ist heute wie damals gewidmet. :) - - - - - - - 75 Das Gescharre und Getuschel der Männer kam schlagartig zum Stillstand, wie die Oberfläche eines Flusses, der überraschend in tieferen Gewässern verschwand. Im Nachhinein hätte niemand von ihnen sagen können, wer zuerst das Knistern bemerkte. Es kam unverhofft, fast schleichend. Der Sand unter ihren Füßen geriet in Bewegung, als ob ein Kind darüber lief - aber kein Knabe hätte dafür sorgen können, dass winzige Steine auf einmal begannen wie tollkühne Fische in die Höhe zu springen. Dann ertönte ein Klappern, ein Knirschen. Nur wenige Herzschläge später waren die harten, sonnengegerbten Gesichter der Männer von nackter Furcht gezeichnet. Setsuna no Takemaru schloss abrupt die Lippen. Er war der Erste, dem bewusst wurde, woher das Schauspiel rührte, aber dennoch begannen seine Fingerspitzen scharf und unangenehm zu kribbeln. Als die Bedrohung unerträglich zu werden schien, ballte er die Hände zu schlohend weißen Fäusten und wandte den Kopf. Yuudais zorniger Blick folgte dem seinen, und obwohl sie sich nie zuvor im Leben einig gewesen waren, trugen sie denselben, finsteren Gedanken auf der Zunge: Am Gast des Daimyos war nichts menschliches. Dieser Dämon mochte unter dem schweren, glänzenden Dach wie einer von ihnen hervor treten, doch Setsuna no Takemaru kannte keinen Mann, dessen Haar so schwerelos im Wind tanzte. Sogar an den wenigen Tagen im Sommer, da es ihm selbst angenehm erschien auf das Öl in den eigenen Knoten zu verzichten, hingen ihm die Strähnen unsagbar schwer über die Schultern. Bei diesem Bastard jedoch sah es aus wie die Seide, welche er am Leib trug - fein und weibisch. Abschätzig verkniff der General des Daimyos der südwestlichen Gefilde das Gesicht, ehe ihm eine unerklärliche Hitze in die Wangen stieg und Schweiß auf der Stirn ausbrach. 76 Verborgen in den Tiefen des weißen, unruhig von links nach rechts wogenden Schulterfells blähte Myouga aufsässig die Wangen auf. Dieser vermaledeite Hundedämon wurde des Spielens wohl nie müde! Ihm als Berater hätte es nun gut zu Gesicht gestanden, den Mund zu halten, doch dummerweise war ihm dieses Talent in den vergangenen Jahrtausenden noch immer nicht in den Schoss gefallen. "Meister, müsst ihr wirklich Euer Youki nutzen?", zischte der Floh griesgrämig. "Wen wollt Ihr damit beeindrucken? Euer Sohn war der Letzte, den ihr damit in helle Aufregung versetzen konntet, und das liegt länger zurück als Euer Stolz jemals zugeben würde!" "Nun, ich wärme mich auf, alter Freund." Wie bitte? "Als ob", erwiderte Myouga patzig, bevor er sich mit einem Finger über den verärgert zuckenden Saugrüssel strich und eine Grimasse schnitt. "Scheinbar habt Ihr vergessen, dass Ihr einen gewöhnlichen Menschen zum Gegner habt, und keinen Drachendämonen wie Ryukotsusei. Ein Schwertstreich wäre mehr als genug, um diesen Schakal zur Räson zu bringen. Warum bietet Ihr ihm überhaupt Euer Schwert für eine Wunde an?" "Kommt dir dieser Einfall nicht bekannt vor?" Die Augen des Flohs weiteten sich überrascht, aber noch ehe er eine Antwort auf die Frage gefunden hatte, gelangte der Herr der westlichen Länder in Hörweite der Soldaten. Einige Männer hatten eingeschüchtert die Schultern gerundet, andere die mit dicken und wulstigen Narben verunstalteten Gesichter in Abscheu zur Seite gedreht. Auch ohne die Sinne eines Daiyoukais wäre dem Inu no Taishou bewusst gewesen, dass ihm das Flüstern der Vasallen Yuudais wie ein summender Bienenstock folgte. Bedauerlicherweise waren ihre Worte wenig schmeichelhaft. Die Luft schien gereizt. Dieser Eindruck ließ sich weder durch den respektvollen Abstand zu den Lanzen zerstreuen, noch schätzte es einer der Wartenden von ihm im Vorbeilaufen gemustert zu werden. Sie starrten ihm hinterher, als ob ihre Feindseligkeit wie ein Strohdach in Flammen gesetzt worden wäre. Nun, der Weißhaarige lächelte dennoch. Der Geruch von Apfelblüten hing in den rauschenden Wipfeln der Bäume fest und das verlieh ihm eine Ruhe, die bereits nach kurzer Zeit Myouga irritierte. Irgendetwas war an dem Gebaren seines Meisters faul, das roch er doch! Für gewöhnlich brachte er bevorstehenden Kämpfen keine schlichte, unterschwellige Freude entgegen, und die Stunden des Trainings, die er Sesshoumaru überhalf, waren ernst und angestrengt. Lag das an der Residenz? An der jungen Fürstentochter vielleicht, die er in den Morgenstunden gesprochen hatte? Aber nein, das war unmöglich. Der Herr der Hunde hatten ihm den Vergleich mit seiner Gefährtin mit heiterem Gelächter vergolten, ja, ihm sogar zur Entschädigung dafür, selten so falsch gelegen zu haben, einen Tropfen Blut angeboten. Pah! Natürlich hatte er abgelehnt. Myougas Stolz ragte weit über die Länge seiner Arme hinaus, und wer einem Hund aus der Hand fraß, dem war sowieso nicht mehr zu helfen. Am Ende wurde er nur wieder unaufmerksam, aber dieses Mal - dieses Mal! - würde ihm seine Gutmütigkeit keine Scherereien einbringen. Mürrisch atmete der Flohyoukai tief in den Brustkorb ein, dann krabbelte er entlang der Gabelung der zwei Schulterfellstücken hinunter und ließ sich auf der Hälfte des Weges zu Boden fallen. Er war sich sicher, dass der Weißhaarige über seine Flucht noch weiter die Mundwinkel hob, denn an den beiden Generälen konnte das nicht liegen. Der Eine, den er bereits hatte beobachten dürfte, stank nach dem gärenden Fleisch seiner Schulter und der Andere umgab sich mit einer Präsenz, die um ein Haar die Arroganz des verstorbenen Hundefürsten überflügelte. Da hat er sich ein schönes Süppchen eingebrockt, dachte Myouga, als er in raschen Sätzen über tiefe Pfützen und die zurecht geharkten Sandkörner setzte. Im nächsten Sprung, der seinen argwöhnisch zusammengekniffenen Augen die Chance gab, die Umgebung zu erfassen, schnappte er jedoch nach Luft: Oh! Kagetora und ... und Izayoi? Hätte sich die Hundefürstin vor Myouga zu einem Wangenkuss herabgelassen, wäre der Anblick nicht weniger verstörend ausgefallen: Der Flohgeist zog das Tempo an, noch bevor er selbst wusste, was er davon halten sollte, eine Frau in der Nähe eines Kampfschauplatzes zu sehen. Warum durfte sie zusehen? War das ein Trick? Und dann - mitten in einem wagemutigen Satz über einen spiegelglatten Kieselstein - wurde Myouga leichenblass und kombinierte das Unmögliche. Sein ... sein Meister hatte nicht ihn angelächelt, sondern- 77 "Sesshoumaru", flüsterte die Fürstin der Hunde, während sein vertrauter Geruch ihre Nase umschmeichelte und dafür sorgte, dass sie die Pinselspitze von dem Papier aus Maulbeerrinde nahm. Der Griff fand erst seinen Platz auf dem kostbar verzierten Holzkästchen an ihrer Seite, dann sah sie auf. Mehr musste sie nicht tun, um ihren Einzigen daran zu erinnern, dass es bislang nur einen einzigen Dämon im weiten Westen gab, der ihr in der Morgendämmerung seine Gesellschaft aufdrängen durfte - und noch war er weit davon entfernt, der Herr der Hunde zu sein. Dass er sich jedoch auf die rauen Bambusmatten kniete, ja, sich sogar vor ihr verneigte, weckte ihr Interesse. So unterwürfig? Für gewöhnlich war ihr Welpe zu stolz, um auch nur den Blick von ihr zu nehmen - nun, derlei verlangte sie auch nicht unter vier Augen. Ob er diese Güte begriff oder nicht, sie behandelte ihn seit Jahrhunderten mit einer unerschütterlichen Nachsicht. Wie sonst hätte er jenen Platz lebend verlassen können, dem der Geruch von Hortensien und klirrender Eiseskälte anhaftete? Nein, unbehelligt gehen zu dürfen, war nicht sein Verdienst gewesen. Jedem anderen Dämon hätte sie für eine Störung das Herz aus der Brust gerissen, und einen Welpen für sein unerwünschtes Auftauchen zu bestrafen, war durchaus üblich. Als Fürstin der Hunde schätzte sie weder Schwäche noch Gerüchte, die sie nicht selbst gestreut hatte. Sollte er die Erinnerung an ihren erbärmlichen Anblick nun dazu benutzen wollen, um sich mit ihr über gemeinsame Befindlichkeiten auszutauschen, würde er sie jedoch auf eine äußerst unschöne Art und Weise kennen lernen. Lauernd musterte sie ihren Sohn unter dichten Wimpern, dann lächelte sie perlend. "Was führt dich hierher, Sesshoumaru? Solltest du nicht den Rat deines Vaters suchen? An diesem Ort sind dein Stolz und deine Fähigkeiten völlig verschwendet, und ich fürchte, ich bin keine Gegnerin für dich." Eine Weile blieb es in ihren Gemächern totenstill, bis sich ihre Sinne auf das leise Knistern einer Kerzenflamme konzentrierten und sie vereinzelte, leise flüsternde Dienerinnen durch die Flure huschen hörte. Sein kräftiger, geduldiger Herzschlag ließ sich allerdings weder von ihr, noch von einem anderen Laut aus der Ruhe bringen. Als er das Schweigen brach, klang seine Stimme vorwurfsvoll. "Haltet Ihr mich für zu jung, um Euch zu entwaffnen, Mutter?" "Bereitet dir das Sorge, Sesshoumaru?" Die Hundefürstin verzog die Mundwinkel, bevor sie den Ärmel ihres Seidenkimonos an die Lippen hob und ein leises Lachen dahinter dämpfte. Es war das seltsamste und beunruhigendste Geräusch, das ihrem Welpen seit Langem zu Ohren gekommen war, doch auch das ertrug er mit Fassung - sie sah es an der Art, wie er ihr offenes, glänzendes Haar in Augenschein nahm. Oh, wie wenig er doch von der Welt einer Frau wusste! Als sie endete, musterte sie in stiller Berechnung seine Hände und die Youkaimale, die sich unter dem Saum der weißen Seide abzeichneten. Es war die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihm, ihr und dem Herrn der Hunde und das hatte sie in ihrer Vergangenheit durchaus zu schätzen gelernt. Für den letzten Funken Mitgefühl, der in seinen Augen begraben lag, hatte sie weniger übrig. Er sollte ihr später nicht nachsagen können, ihn geduldet zu haben. "Möchtest du einmal Vater werden, mein verehrter Sohn?", zwitscherte sie. In Sesshoumarus Gesicht zeichnete sich Verwirrung ab, doch er erstickte diesen Impuls mit abweisender Distanz. Für derlei Diskussionen war er nicht an diesen Ort gekommen, denn ihn bewegte etwas Anderes, aber seiner eigenen Mutter leichtfertig zu antworten ... nein, so viel Mut besaß er nicht. "Wie Ihr wisst, besitze ich keine Gefährtin und ich habe nicht vor, daran etwas zu ändern." "Dein Mund scheint mir schneller zu sein als dein Verstand. Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun, Sesshoumaru", erwiderte sie selbstgefällig. "Nun, es bleibt ein lächerlicher Gedanke", knurrte der junge Hundedämon, während er die Klauen anspannte und sich über ihre Ablenkung ärgerte. "Meine Antwort lautet nein. Ich habe weder Interesse an Welpen, noch an jenen Dämoninnen, die mir begegnen." "So ist das also. Und dennoch maßt du dir an, meine Gemächer zu betreten." "Mutter-" "Du überschätzt meine Geduld an diesem Frühlingsmorgen, Sesshoumaru. Ich weiß, welches Thema du begehrst, doch es gibt nichts, was ich dich über einen Verlust lehren könnte. Darum hüte deine Zunge, bis du das Leben eines Kindes so sehr wie das scharfe Schneidblatt eines Schwertes zu schätzen weißt. Geh, ehe du mich erzürnst!" 78 Was für eine reizende Atmosphäre. Hätte Yugo etwas Hirse als Tierfutter zur Hand gehabt, wäre sie sich kaum dafür zu schade gewesen, diese den versammelten Männern vor die Füße zu werfen. Wie so oft, benahmen sich diese sturen, eitlen und von der Ehre besessenen Dummköpfe kaum besser als die zirpenden Zikaden: Sie veranstalteten einen Höllenlärm im Gegensatz zu den anwesenden Hofdamen, die still die Fächer gegen den Dunst der Dämmerung schwenkten, aber an den dämonischen Bastard wagte sich niemand heran. Wovor fürchteten sie sich? Auch in seinen Adern floss nichts anderes als Blut und das angsteinflößende Schwert, welches an seiner Hüfte ruhte, würde bald in neuen Diensten stehen. Der messerscharfe Verstand des Daiyoukais mochte für Yuudai eine Gefahr darstellen, doch dem ihren war er im Leben nicht gewachsen. Frauen waren in dieser Residenz ein schleichender Tod, und sie hatte Mühe sich den hungrigen Gesichtsausdruck von den Lippen zu wischen. Still überging sie ihre Schar an hohen Damen, die bereits zu den bereitgelegten Damastkissen unter dem Dach schritten, und widmete sich säuselnd ihrem Zweitgeborenen: "Meine Nachricht wurde überbracht, Tajiro?" "Es wird sich alles zu unserer Zufriedenheit fügen. Die Anwesenheit der Hofdamen war erst der Anfang", flüsterte der schlangengleiche Berater in die ersten Sonnenstrahlen hinein. Dann wandte er sich ab und ließ seine Mutter in gebührendem Abstand hinter sich, um in das für Generäle so prägnante Marschtempo zu verfallen. Als Bruder des Daimyos hätte er es genossen, wenn ihm hunderte Paar Strohsandalen gefolgt wären, denn ein solches Echo trieb Unruhe und Nervosität in die Gesichter der Feinde. Doch in diesem Fall hoffte er vergebens. Er überquerte den ausladenden Innenhof allein, um zu Yuudais Soldaten auf der Westseite zu gelangen. Einzig der Inu no Taishou schenkte ihm beim Vorbeigehen ein Lächeln, das so heiter wie ein Jungfisch im dunkelgrünem Tang erschien. Was für ein elender Bastard! Tajiro musste an sich halten, um kriecherisch wie eh und je den Kopf vor dem Fremden zu neigen. Lieber hätte er ihm das eigene Schwert über die Kehle gezogen, doch zu derlei Dummheiten durfte er sich nicht verleiten lassen. Yuudai war der Einzige, der diesem Dämon womöglich das Wasser reichen konnte, denn unter dessen Haut lauerten Muskeln und Bärenkräfte. Der rabiate, skrupellose und vom Sieg Besessene brauchte nur eines: Die Möglichkeit zu einem hervorragenden Stich, der seine Klinge tief in das Herz des Daiyoukais rammen würde - und sollte es ihm nicht im ersten Zug gelingen, gab es noch den zweiten Anlauf mitsamt eines errungenen Höllenschwertes. Was sollte daran schief gehen? Fuchsgesicht und er hatten die letzten Stunden vor Sonnenaufgang zwischen alten, muffigen Papieren und Rollbildern verbracht, um sich keiner bösen Überraschung auszusetzen. Als sie endlich fündig geworden waren, hatte Tajiro jedoch nicht gewusst, ob ihm seine eigene Müdigkeit einen Streich spielte. Er zweifelte nicht im Geringsten daran, dass solche Kreaturen über begnadete Schmieden und furchterregende Fähigkeiten geboten, doch so etwas konnte sich kaum ein nüchterner Schreiber ausgedacht haben. Sou'unga - ein Schwert, das Tote aus deren Knochen zusammensetzte und sich wie ein übler Geist in den Köpfen der Schwachen einnistete? Nein, das war zu abwegig. Wahrscheinlich war das Schneidblatt nur an einer einzigen Seite stumpf statt an zwei, um das Blut hinablaufen zu lassen. Daher wähnte sich der Besitzer rasch übermächtig. Ein unnatürlich scharfes Schwert vergiftete schneller die Gedanken eines Kriegers als jede ehrbare Frau, doch auf welche Weise er sich das mit den Toten erklären sollte ... Tajiro beschloss, vorerst den Kampf abzuwarten und sich bis dahin unauffälliger als treibendes Laichkraut zu verhalten. Während die Stimme seines Bruders, des Fürsten Kagetoras, die Morgenluft durchschnitt, stahl er sich in die Schatten der anderen Männer und begann an seinem eigenen Vorhaben zu feilen. 79 Es war das erste Mal, dass Izayoi das zarte Zwitschern einer Lerche im Hof vernahm und einen Moment schien es ihr, als ob sich der kleine Vogel nur in ihrer Nähe aufhielt, um ihr aus Leibeskräften Mut zuzusprechen. Der Gedanke daran, dass sich jemand des schweren Kloßes in ihrer Kehle bewusst war, tröstete sie. Izayoi fühlte sich müde und ausgelaugt. Sich aufrecht zu halten, während Mashiko und ein weiteres Dutzend Hofdamen in ihrer Nähe warteten, kostete sie fast alle Selbstbeherrschung. Hätte sie sich nicht vor Aufregung die Hand vor die Lippen halten müssen? Wäre es nicht sogar ihre Pflicht gewesen, jede einzelne Strohsandale zu betrachten und die Bartstoppeln der Männer zu bewundern, die sich in dunklen Schatten an ihren Wangen hinauf stahlen? Eine Fürstentochter sah für gewöhnlich nichts von den unerbittlichen Kämpfen, denn ihre Talente ruhten im Shamisen, dem Räucherwerkspiel und ähnlichen Kleinigkeiten, die ihre schmalen Händen herausforderten - nicht ihre Gefühle oder den Hunger nach Wissen. Die Damen in ihren sorgsam bestickten Gewändern würden noch viele Monate von diesem Tag berichten, an dem sich einer der tapfersten Kriegsherrn des Daimyos der nordwestlichen Länder gegen einen Dämon zur Wehr gesetzt hatte. Bereits jetzt summten die Geschichten in ihren Ohren, die sie über das helle Haar des Daiyoukais, seine goldenen Augen und den Zug um seine Mundwinkel spannen. Yumiko, die ihrer älteren Schwester Chidori diente, hatte sogar die Behauptung in die Welt gesetzt, er könne eine jede von ihnen mit einem einzigen Wimpernschlag in Stein verwandeln - was für ein Unsinn! Izayoi sehnte sich danach zu widersprechen, doch sie musste sich beherrschen. Die Frauen beobachteten sie, tagein, tagaus und sie wollte sich nicht ausmalen, welche Folgen ihr blühten, sollte sie ein weiteres Mal die sorgsam geschminkten Lippen öffnen. Mashiko hatte ihr diese mit einer federweichen Pinselspitze bemalt, während sich Yumiko vor den vergoldeten Wandschirm platzierte und die Brennscheren solange erhitzte, bis diese auch die widerspenstigsten Haarsträhnen zum Glänzen bringen konnten. "Izayoi, mein Kind", weckte sie die säuselnde Stimme Yugos aus ihren Gedanken, "du siehst betrübt aus. Möchtest du nicht deine Sorgen mit einer teuren Freundin teilen?" In den Augen der Älteren lag ein eigenartiges Funkeln begraben, als ihr welkes Gesicht direkt neben dem Mädchen auftauchte und falls es Yugo berührte, dass die Gespräche ihrer Hofdamen prompt an Lautstärke verloren, schien sie kein Interesse daran zu haben, diese dafür zurecht zu weisen. Ohren und Münder gab es überall, und doch waren sie nicht die größte Gefahr für die Frauen der Fürstenfamilie. "Ich denke", lächelte Yugo harmlos, "dass es an der Zeit ist, dir Rat zu geben. Ich habe dich lieb gewonnen und ich kann den Gedanken nicht ertragen, dich ohne ihn weiter leben zu lassen." Izayoi nickte, nicht wissend, warum sich Yugos Gegenwart wie eiskalte Spinnenbeine auf der Haut anfühlte. Chidori hatte sie zur Vorsicht gemahnt und ihr Herz dachte klopfend an die Worte des hohen Herrn zurück. "I-ich ..." "Shht. Du musst nichts sagen, meine Liebe. Es ist vollkommen natürlich, Angst in meiner Nähe zu empfinden, auch wenn ich nicht verhehlen möchte, dass man sich in unserem Stand stets bereithalten muss. Das Schweigen sollte eine ebenso liebliche Kunst sein wie die von dir so tadellos ausgeführte Teezeremonie." Yugos Lächeln wurde dünn wie die Sichel des Mondes, während direkt vor ihrer Nase ihr Ältester, Kagetora, die letzten Anweisungen bellte und die Männer mit lautem Gebrüll darauf zu hoffen begannen, dass der stärkste Kriegsherr des Daimyos ihre Ängste in Scherben schlug. Erst als Yuudai sein Schwert mit einem gigantischen Schrei aus der Scheide riss, schloss Yugo geduldig die faltigen Augenlider und seufzte zum Gotterbarmen. "Wie konntest du nur in der vergangenen Nacht außerhalb deiner Gemächer verweilen, Izayoi? Brachte dir denn niemand bei, dass eine ehrbare Tochter des Hauses hochgelegene Orte und fremde Damastdecken zu meiden hätte?" Izayois Unsicherheit gefror zu einer Maske, bevor sie so langsam ihren Kopf drehte, als packte man ihr Kinn und würde sie mit Gewalt dazu zwingen, die Fürstenmutter zu betrachten. Sie ... sie wusste davon? 80 Hämisch zeigte Yuudai die vorstehenden Zähne, während seine buschigen Augenbrauen in die Höhe krochen. Er hielt das Schwert mit beiden Händen umklammert, und obwohl seine Gestalt untersetzt war und gegen die Rüstung drückte, stand er breitbeinig und unerschütterlich auf dem Sandboden. Alles an ihm stank nach Lebensgefahr und das wahnwitzige Glitzern in seinen Augen kündete von einhundert Narren, denen er den Mut aus den Knochen geschlagen hatte. Das Rufen seiner Männer schürte seine Entschlossenheit, doch es war die Aussicht auf die andere Klinge und die Ehre einen Daiyoukai zu besiegen, die ihn anstachelte. Wenn es an diesem Morgen fauler Tricks bedurfte, würde er sie nutzen. "Wünscht Ihr den ersten Schlag, Dämon?" Der Herr der Hunde neigte abweisend das Kinn, ehe sein Blick alarmiert zur Seite huschte und der beunruhigenden Witterung von Zimt folgte. Er sah Izayoi nur aus den Augenwinkeln, doch das liebliche Gesicht Yugos stach ihm wie ein Dorn in die Ferse. Die Frau beugte sich soeben sanft wie der Tod über die Fürstentochter, ja, tätschelte sogar die mit Schwertlilien und wirbelndem Wasser bestickte Seide des Kimonos, bis- "Sterbt!" Yuudai riss sein Schwert in einer Wucht aus der Höhe hinab, die seinen Zorn in einem weiteren Schrei entfesselte, doch dort, wo er das weiße Haar bereits als sicheres Ziel gewähnt hatte, fraß sich seine Klinge nur noch in den Sand. Was zum-?! Steine flogen in die Höhe, als er den Griff in einem Querhieb wieder befreite, aber das nun folgende, dröhnende Scheppern von Metall nahm ihm auch den zweiten, sicher geglaubten Treffer. Die Brust des Ratgebers wölbte sich wie die eines tollwütigen Bären, dann sprang er vorwärts und warf all seine Künste in die Waagschale. Seine Schläge kamen schnell und aus dem Nichts, brachten die umstehenden Männer dazu zu raunen und die Hälse zu recken, doch das helle Klingen einer parierenden Schwertschneide verriet, dass Yuudais Täuschungen und Ausfälle meisterhaft abgefangen wurden. Einen Moment lang füllten sich die Augen des Menschen mit unbändigem Hass, dann gelang es ihm nach zahllosen Hieben durch eine Drehung seiner Hand im Griff Sou'ungas einzuhaken und in einem Satz heranzurücken. Der Geruch von Zitronengras und wilden Gebirgsbächen drang ihm in die Nase, als er nur noch eine halbe Armeslänge entfernt vom Herrn der Hunde um festen Stand feilschte, zäh und wild die Kiefer aufeinander presste. "Ihr seid mächtig", zwang Yuudai zwischen seinen Lippen hervor, bevor seine Stimme zu einem kratzigen, heimtückischen Flüstern verkam, "aber Euer Liebchen hat sich bereits einem Anderen zugewandt. Ihr bemüht Euch umsonst!" Was? Für einen Herzschlag ließ die Spannung in seinen Muskeln nach, und Yuudai sprang darauf an wie zu einer Zeit, da er Eidechsen auf glühende Kohlenstücke gelegt hatte. Ehe der Inu no Taishou das Geräusch der auseinander fahrenden Klingen mit dem stillen Lächeln Izayois in Einklang gebracht hatte, fuhr der Berater in einem Wirbel in die Knie und zog das Schwert in der Waagerechten durch. - - - - - - - Die Fürstenfamilie stellt sich gar nicht so ungeschickt an, was? In Kapitel #19, "Vergissmeinnicht", setzt sie noch eine Schippe oben drauf ... Kapitel 19: Vergissmeinnicht ---------------------------- Apfelblüte - Vergissmeinnicht - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 81 Sein Brüllen durchschnitt die Luft, dann fiel Yuudais Zuversicht wie ein Faltwandschirm in sich zusammen und verwandelte den Triumpf auf seiner Zunge in ein jähes, zorniges Fauchen. Er wich aus? Einfach so? Nicht mit ihm! Erbost riss der Kriegsherr das Katana zurück und zielte auf das Gesicht des Dämons, doch mehr als dessen kühles Funkeln war ihm nicht vergönnt. Ehe das Klingenblatt auf Sehnen und Muskeln traf, um sie wie einen Kürbis zu zerfetzen, klaffte zwischen Mensch und Hund die nächste Lücke - groß genug, um eine ganze Teezeremonie darin abzuhalten. Verfluchter Bastard! Das würde er ihm austreiben, nun, da sich die Schwäche des Weißhaarigen nicht mehr verleugnen ließ. Zu Eifersucht mochte der Dämon nicht neigen, denn die hätte ihn gewiss nicht fortspringen lassen, aber offenbar konnte man ihn mit lächerlichen Unterstellungen aus den Tritt bringen! Das Raunen der Versammelten folgte Yuudai, als er vorwärts sprang und einen weiteren Stich ausführte, doch zu spät. Der Hund löste sich vor seiner Nase in Nichts auf und ließ ihm bloß ein verwaistes Fleckchen Erde übrig, über das er wie ein Kind stolperte. Die Demütigung so einfach überlistet worden zu sein, wischte ihm sämtliche Farbe von den vernarbten Wangen, dann stob unverhofft der Sand zu seiner Linken in die Höhe. Geistesgegenwärtig riss Yuudai seine Klinge empor, und spürte einen Schmerz durch seinen Schwertarm schießen wie nach einer kräftezehrenden Schlacht im Schnee. Un... ungeheuerlich! Keuchend erkannte der Adelige, dass er von dem niederfahrenden Hieb noch nicht einmal verletzt worden war, obwohl er die Wucht nur dadurch beherrschen konnte, indem er auf ein Knie sackte. "Nicht ungeschickt", raunte der Herr der Hunde über ihm, "aber Ihr kämpft mit dem Bauch, nicht mit dem Kopf." "Spart Euch den Atem!", brüllte Yuudai. "Für ein Liebchen, das ich nicht besitze?" Yuudai spie Gift und Galle und unterstrich wie wenig er auf das Wort eines Dämons gab, indem er zurück auf die Beine sprang und kaltblütig die Klinge sprechen ließ. Einundzwanzig Hiebe zählte der Fürst der Hunde, bis sich der beißende Gestank von Yuudais Schweiß in seine Nase verirrte und er das erste Mal einer Ladung feiner Tröpfchen ausweichen musste. Die Soldaten, die seinen überraschenden Satz in ihre Richtung für einen Patzer hielten, begannen umso lauter zu rufen und manch einer tauschte heiser vor Jubel einige Kupfermünzen als Wetteinsatz aus, statt sich darauf zu konzentrieren, genug Abstand zu den Kämpfenden zu wahren. Einen Träumer, der kaum fünfzehn Sommer hatte kommen und gehen sehen, stieß der Inu no Taishou aus dem Weg - gerade rechtzeitig, um die Hiebrichtung des Kriegsherrn nicht mit frischen Eingeweiden zu krönen, die der Schwung mühelos aus dessen Bauchraum herausgerissen hätte. Dummerweise fälschte sein Gegner die Klinge im nächsten Streich so rabiat ab, dass er seinen eigenen Ausfallschritt für alle sichtbar bezahlte: Das Schwert fegte ungebremst durch sein Schulterfell und schnitt die äußersten Haarspitzen wie den Reis der Felder entzwei. 82 Dieser Teufelskerl! Takemarus Pupillen weiteten sich so jäh, dass er glatt vergaß, sich den Schweißfilm von der Oberlippe zu wischen. Die Männer um ihn herum wogten ebenfalls zurück, als wären sie die Welle eines Flusses, deren Gischt das Hindernis beäugen wollte. Dann begriff auch der Letzte: Yuudai hatte getroffen! Fassungslos starrte der General auf den soeben in der Bewegung eingefrorenen Fettleibigen, auf dessen wulstigen Lippen der Wahnsinn glitzerte, dann riss der Wirbel seines Katanas die Strähnen zu Boden. Sand spritzte empor, und ein halbes Dutzend der Hofdamen schrie auf, als handle es sich dabei um Blut. Setsuna no Takemaru hatte mit einem Mal Mühe das aufkeimende Lachen im Zaum zu halten, ja, krankte fast daran, die Haltung wahren zu müssen, denn so sehr er die Männer des Daimyos der nordwestlichen Gefilde auch in ihrer Arroganz verabscheute: Yuudai, der oberste Kriegsherr, hielt die Ehre des Hauses höher als jeder andere. Er hatte unter Beweis gestellt, dass auch einem Daiyoukai beizukommen war, solange man nur zu allen Mitteln griff! "Entzückend, nicht wahr?", lispelte es da unerwartet neben ihm. "Die Aussicht auf das Höllenschwert beflügelt seine Entschlossenheit, aber mein Vetter sollte sich sputen. Seinem Plan läuft die Zeit davon." Fuchsgesicht ließ die Lippen offen stehen, als habe er einen besonders adretten Scherz angebracht, dann entblößte er ein schleichendes, unheilvolles Lächeln. Takemaru starrte zu ihm hinab und rang den Drang nieder, die Hand in einer deutlichen Warnung auf das Heft seines Schwertes zu betten und ihn zu verscheuchen. Nein, derlei konnte er sich nicht erlauben. Solange seine Herrin, Izayoi, in der Residenz verweilte, durfte er sie mit seinem Verhalten nicht noch mehr beschämen. Aber warum sprach der ihn überhaupt an? Fand er keinen anderen Speichellecker, der seinem lieblichen Singsang Anerkennung opferte? Bis eben hatte er abseits von Yuudais Männern und dem Fürsten allein gestanden. "Ein Plan?", hakte er schroff ein. "Gewiss, gewiss, General", flüsterte der Mann mit den spitzen, feinknochigen Zügen prompt. "Haben wir nicht alle einen zur Hand?" 83 Nein, das konnte nicht sein! Izayoi schöpfte so rasch Atem, dass sie um ein Haar der Versuchung erlegen wäre, Yugo für verrückt zu erklären. Aber sie kannte ihren Platz, und wusste, welche Strafen hinter den funkelnden Augen der Fürstenmutter auf sie lauerten. In diesem Punkt konnten sich die Familien kaum unterscheiden: Für Widerworte gab es mit den Rohrbinsen Schläge auf die Fingerknöchel, bis die Kuppen zerplatzten, und bei aufgedeckten Lügen waren die jungen Töchter dazu angehalten, in mit Reif bedeckten Wasserbottichen zu baden. Ihr verehrter Großvater hatte oft versucht sie zu schonen, denn sie erinnerte ihn an seine erste Ehefrau, doch manchmal zwang sie ihn durch ihre Unachtsamkeit zur Strenge. Im letzten Herbst war sie leichtsinnig genug gewesen, Takemaru zur Geburt zweier gesunder Neffen zu gratulieren und ihm dabei eine wohlmeinende Hand auf den Unterarm zu betten. Ihr Lächeln hatte dafür gesorgt, dass sie über Stunden die Stufen zur Residenz auf- und niederlaufen musste, und bis heute wusste Izayoi nicht zu sagen, ob Takemaru ihre aufgescheuerten, mit Blasen übersäten Füße, nicht mehr geschmerzt hatten als sie. Aber das, was ihr hier blühte, war viel schlimmer. "Ich fürchte", hob Izayoi unter einer ehrfürchtigen Neigung ihres Kopfes an, "dass ich nichts dergleichen tat, Herrin. Eine fremde Damastdecke? Wie könnte ich?" Erschüttert röteten sich die Wangen der jungen Frau, weil ihr nicht nur die Blicke der übrigen Hofdamen in Brokat und Seide bewusst wurden, sondern auch, dass sie in den Gemächern des Inu no Taishou gar keine Bettstatt auf den mit Goldfäden verzierten Tatami-Matten hatte liegen sehen. War ihr das entgangen? Es hatte kein Kerzenlicht gebrannt, und die Schatten von lackierten Kästchen, Rollbildern und einem schmalen Tisch taugten selten dazu, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Aber das bedeutete doch nicht- "Izayoi, Kind! Ich wünschte, ich könnte dir glauben", schalt es so süß wie wilder Honig, während Yugo die Hand sanft auf einen Platz zwei fingerbreit unterhalb ihres Schoßes setzte. Kein anderer hätte das gewagt, denn eine solche Geste war Ehemännern vorbehalten. "Versteh nur, wie gut ich es mit dir meine, denn all diese Gerüchte ... oh, ich darf gar nicht daran denken!" "Gerüchte?", flüsterte Izayoi blass. Die Fürstenmutter rutschte auf knisternder Seide näher, spitzte die krähenhaften Lippen. "Weißt du es denn nicht?" Yugo schlug die Wimpern nieder, sichtlich atemlos. Es war so verführerisch, so unverhofft verlockend, einfach in heiteres Gelächter auszubrechen und dem einfältigen Kind die eigene Dummheit um die Ohren zu schlagen! Wenn Izayoi bloß ahnen würde, in welcher Schlangengrube sie hockte: Freundinnen gab es in diesen Mauern nicht, nur Gefälligkeiten und List und Tücke. Und alles fand bei ihr seinen Ursprung ... Die Fürstenmutter musste im nächsten, zitternden Atemzug daran denken, wie zornig sie die Worte ihrer Dienerin des Nachts gemacht hatten, die erst Chidoris und dann Izayois Verlassen der Gemächer erwähnte. Dazu das, was sie im Morgengrauen ihrem zweiten Sohn, Tajiro, über Izayois Stimme im Gemach des Dämons aus der Nase ziehen konnte - und nun lichtete sich der Schleier all ihrer Befürchtungen wie Nebel, der über die Felder getrieben wurde: Chidoris Schwester mochte zwar aus unerfindlichem Grunde die Aufmerksamkeit eines Daiyoukais für sich beanspruchen können, aber es wies nichts darauf hin, dass sie seiner Freundlichkeit vollkommen erlegen war. Nein, das hätte sie als Fürstenmutter durchschaut. Eine Frau, die einmal das Gewicht eines Mannes auf sich gespürt hatte, stammelte nicht mehr - sie schwieg, erdachte sich eine raffinierte Ausrede. Es gab so viele verräterische Gesten, die den Beischlaf dabei verrieten, aber gerötete Wangen zählten gewiss nicht dazu. Izayoi schätzte diesen Dämon bislang lediglich, musterte ihn unter dichten, dunklen Wimpern voller Wärme. Und sie, die beinahe dreißig Jahre nur ein geliehener Bauch gewesen war und der die Kinder eines nach dem anderen unter den Händen starben, bis der alte Daimyo endlich vom Pferd stürzte und sich dabei das Genick brach, duldete kein überschwängliches Glück mehr in ihrer Nähe. Nie wieder. Sanft wie der Tod senkte Yugo die mit Reispuder bestäubten Augenlider und flüsterte: "Damals war ich so jung und unschuldig wie du es heute bist, als es geschah. Eine meiner liebsten Hofdamen gab sich einem Dämon hin, und er vermochte es wohl, sich dabei die ersten Male zu beherrschen. Ach, wie ihre Augen unter dem Geheimnis glänzten! Doch dann ..." Eine bedrohliche, unüberhörbare Pause folgte, die Izayoi mit bangem Blick verfolgte, bis sie den Hals mit einem trockenen Schlucken dehnte. Nie zuvor hatte ihr gegenüber jemand eine Liebschaft erwähnt! Das ziemte sich nicht, obwohl die Mädchen in der Residenz oft hinter vorgehaltener Hand untereinander tuschelten - eine Dienerin hatte sie sogar einmal mit einem von Takemarus Männern überrascht. Die Erinnerung verschärfte prompt die Röte auf ihren Wangen. Es war ein solch ungezügelter, ja, sogar verstörender Moment gewesen, dass sie glaubte, Yugo könne ihr die Gedanken darüber an der Nasenspitze ansehen. Kein Wunder, dass sie lieber ihre Fingerspitzen betrachtete. "Was ... was geschah dann, Herrin?" "Nun, mein liebes Kind", hauchte die Fürstenmutter, während sie sich in dem Wissen aalte, Izayoi beeinflussen zu können, "dieses Monster zerriss sie in der letzten Nacht wie ein Ahornblatt - so wie es alle Dämonen zu tun pflegen, die man für freundlich und beherrscht hält. Sieh dir den Gast unseres hochverehrten Fürsten doch an. Denkst du wirklich, er wäre so menschlich wie du und ich?" - - - - - - - Was würdet ihr darauf antworten? Izayoi wird in Kapitel #20, "Veilchen", eine interessante Antwort geben ... Kapitel 20: Veilchen -------------------- Apfelblüte - Veilchen - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - Denkst du, er wäre so menschlich wie du und ich? 84 Izayoi spürte, wie ihr die Röte bis zu den Ohren hinaufstieg. Dann senkte sie hastig den Blick auf die Seidenröcke der Älteren und versuchte mit Schweigen das Schlimmste von sich zu weisen. Aber sie konnte sich nicht helfen. Je länger die Frage in ihrem Verstand herumspukte, desto heftiger begann ihr Herz gegen den Brustkorb zu schlagen und beschwor Erinnerungen herauf, die ihre Fingerspitzen kribbeln ließen. Sie sah das Lächeln des Weißhaarigen vor sich: So sanft, als habe er es eben erst aufgesetzt und es kostete Izayoi nur einen Atemzug, um daran zu denken, wie er das Kinn auf die Handfläche bettete und um seine Mundwinkeln kleine, vergnügte Fältchen entstanden. Falls es ihn jemals gekümmert hatte, dass er sie in einem zerrissenen Kimono erblicken musste, war nichts davon an die Oberfläche gedrungen. Aber warum hätte er auch darauf achten sollen? Yugo sprach die Wahrheit: Er war ein Dämon, und Wesen wie er vollbrachten Dinge, die den tapfersten Männern versagt blieben. Hatte sie es nicht selbst erlebt? Hatte sie nicht mit eigenen Augen gesehen, wie er allein einer ganzen Schar Drachen gegenübertrat und das Schlachtfeld in einer Staubwolke ertränkte, aus der niemand außer ihm lebend hervorging? Nein, das war nicht richtig. Ihr war es vergönnt gewesen ... und auch Mashiko, die er durch zwei seltsame Schwertschwünge von den Toten zurückgeholt hatte, ohne dass ihn jemand um ein solches Wunder zuvor angefleht hätte. Er besaß ein Herz, irgendwo, tief unter der stahlblauen Kimonoseide und der Rüstung, die in den ersten Sonnenstrahlen schimmerte. Es schlug kräftig wie ihres - und doch anders, denn er wusste, was es hieß, ein Kind in den Armen zu halten und es nur einen Wimpernschlag darauf wieder sterben zu sehen. Warum hätte ein Dämon, der angeblich weder Leid noch Mitgefühl in sich trug, Takemaru beistehen und ihrer Schwester den Sohn zurückbringen sollen? Und wie könnte sie jemals den Ausdruck in seinen Augen vergessen, als er - gehüllt in Staub und übersät von Holzsplittern, die in seinem offenen Haar festhingen - Kosuke lächelnd in seinen Armen barg? Izayois Atem bildete kleine, raue Wölkchen in der Kälte des Morgens. Sie fühlte sich seltsam, verunsichert und ertappte sich dabei, unter dichten Wimpern in den Hof zu blicken. Yuudais Männer hatten den Weißhaarigen wie in einer Mondsichel aus Papierlaternen umringt und stampften tollkühn mit den Strohsandalen, während wilde Entschlossenheit in ihren Gesichtern prangte. Der hohe Herr schien sie kaum zu bemerken, strich sich stattdessen mit zusammengepressten Lippen über das Schulterfell. Er entfernte rasch einige Härchen, die nur Augenblicke später im Sand landeten, aber statt Yuudai im Auge zu behalten, veränderte sich etwas an ihm. Er blinzelte irritiert, dann überstreckte er allmählich seinen Nacken und sah verstohlen zur Seite. Es war nur ein kurzer Moment, in dem sich ihre Blicke trafen, doch er beendete ihn mit einem warmen Lächeln, ehe der Kies um ihn herum in Bewegung geriet. Steinchen sprangen empor, klapperten wie lachende Kinder mit ihren Stöckern - und noch während der Wind an Izayois aufwendig gewachsten und zusammengerollten Haarschlaufen zu zerren begann, kannte sie ihre Antwort. "Ich muss Euch zustimmen. Der hohe Herr ist kein Mensch", flüsterte sie so leise, dass es niemand außer Yugo zu hören vermochte. "Doch obgleich er in diesen Mauern mehr Feinde als wohlmeinende Gesichter zählt, scheint er niemandem Böses zu wünschen und verteidigte den zukünftigen Fürsten. Vergebt mir, Euch darauf hinzuweisen, dass Yuudai längst nicht mehr unter uns wäre, würde er ihm ernsthaft nach dem Leben trachten." "Und dennoch duldest du ihn in deiner Nähe, mein Kind. Ja, fürwahr. Vielleicht sollte sich der Gast unseres Hauses um andere Menschen sorgen als einen General. Ein Unglück ist an jedem Ort schnell geschehen, denn dazu braucht es kaum mehr als einen leichtgläubigen und einen messerscharfen Verstand." Yugo schürzte die Lippen zu einem lieblichen Lächeln, doch das Funkeln ihrer Augen blieb bestehen. Wie zufällig verfestigte sie dann den Griff ihrer dürren Fingerknöchel auf der Seide von Izayois Kimono, rutschte hinab zu der Hand der Jüngeren. "Du bist mutig", hauchte sie kriecherisch, "so nah bei jemandem auszuharren, der sich nichts sehnlicher wünschen könnte, als deinen Hals in kleine Streifen zu schneiden." "Herrin ..." Izayoi fröstelte und es kostete sie alle Beherrschung, dem Blick der Fürstenmutter standzuhalten. In ihrem Nacken standen alle feinen Härchen zu Berge, während ihre Augen gegen den Schrecken ankämpften, ihren Atem auf der Haut zu spüren. "Ich beabsichtige nicht, mit jemandem allein zu sein, der solche Absichten hegt", flüsterte sie dann. "Wir werden sehen, mein Kind, ob dir das gelingt." "Darf ich Euch etwas fragen?" "Was immer dein Herz begehrt. Die Gelegenheiten sind rar dieser Tage, in denen einer Frau ein aufrichtiges Lächeln begegnet." Izayoi nickte, bevor sie ihre Fingerspitzen unter der eiskalten Hand der Älteren hervorzog und sich verborgen von den mehrlagigen Ärmeln über die ziepende, schmerzende Haut rieb. Sie musste unwillkürlich an den Apfelbaum denken, auf dem sie noch vor wenigen Stunden gesessen hatte. Ihr war so eigenartig zumute gewesen, als der hohe Herr sich vorgelehnt und ihre Hand mit der seinen bedeckt hatte, doch das hier ... das fühlte sich an, als krabbelte eine Spinne mit einhundert Beinen über sie. "Verzeiht mir, Euch damit zu belästigen", beteuerte sie rau. "Aber glaubt Ihr, dass es ein Dämon verzeihen kann, wenn man jemandem schadet, den er unter seinen Schutz stellte? Er ist nicht so menschlich wie Ihr und ich es seid." Die Stille, die daraufhin in einem Feuer um sich griff, hätte kaum jäher von dem Brüllen der Männer zerrissen werden können. 85 "Hört auf zu lächeln, Hund!" In kaltblütiger Entschlossenheit zog Yuudai die Klinge in einer schrägen Linie hinab, doch der Schlag endete im Sand und ließ abermals die Körner in die Höhe spritzen. Aber Schwäche oder gar Mäßigung brauchte man bei ihm nicht zu erwarten. Er riss es aus dem Boden und setzte in einem erbarmungslosen Wirbel aus Hieben und Stichen hinterher. Nur einem Narren wäre entgangen, dass der Bastard nach dem ersten Treffen anders vorging: Seine Schrittfolge hatte sich verschnellert und das Höllenschwert kam ihm auf einmal mit einem Schwung entgegen, der in einem brachialen Krachen gegen das seine schlug. Kreischend schabte das Metall übereinander, dann nahm der Druck seines Gegners ohne Vorwarnung zu - und um ein Haar wäre er rückwärts gestürzt. Aber so nicht! Yuudai fälschte die Wucht ab, indem er die Schulter zur Seite drehte und die Kraft ins Leere laufen ließ, doch sein Schachzug den Ellenbogen emporzuziehen, kam zu spät. Ehe er dem Dämon den Kiefer zertrümmern konnte, sprang der einfach über ihn hinweg und landete ein Dutzend Meter weiter im Staub. Unfassbar! "Wohin so eilig?", bellte Yuudai. "Habt Ihr keinen Stolz in Eurer Brust und lauft lieber wie ein Mädchen vor mir davon?" "Ich gönne Euch nur mehr Anlauf, General." "Na wartet!" Einen Moment darauf erzitterte der Hof unter den Rufen seiner Männer, denn trotz des blendenden Sonnenlichts war er in Windeseile wieder heran, landete eine weitere Finte und glaubte sich geschickt und zornig genug, um den weißhaarigen Gast des Daimyos nun mehr mit brutaler Gewalt vor sich herzuscheuchen. Sogar ein Dämon würde sich am Boden wie ein Käfer zertreten lassen, er musste nur einen unaufmerksamen Augenblick abpassen! Schnaufend wie eine Horde Ochsen warf er sich voran, entfesselte einen Schlaghagel und wuchtete sein Gewicht mehrfach über das rechte Standbein hinweg. So sehr es ihn aufstachelte, das Höllenschwert endlich mit Schlägen einzudecken, der Abstand gedieh stets zu seinem Nachteil. Und dann - als er das siebte Mal um die eigene Achse wirbelte und dabei mehr schlecht als recht Kagetoras Mutter erblickte -, fiel es ihm wie Schuppen vor die Augen. Er folgte einem Muster! Yuudai fühlte sich, als sei er wieder jung und begreife das erste Mal die Macht, die darin steckte, jemandem die Fußsohle auf das Gesicht zu setzen, der längst am Boden winselte: Wie absurd! "Das ist es, worauf Ihr achtet?", grunzte er überheblich. "Ihr, ein Dämon?" Um ein Haar hätte er ein Krächzen ausgestoßen, das Hohn und Spott in sich vereinte, doch er nutzte die Kopfneigung des anderen, sprang vorwärts und verkeilte sich mit scharfem Atemzug: Arm an Arm standen sie einander gegenüber, und die Klinge des Höllenschwerts knirschte so dicht vor der Nase, dass er sich einbildete, sie flüstern zu hören. Unsinn! Das vermochte kein Metall, das entsprang seinem eigenen Hunger nach Macht. Aber auch das hielt Yuudai nicht davon ab, sich den Schweißfilm von der Oberlippe zu lecken und das Salz darauf zu belächeln. "Ich habe Euch durchschaut", frohlockte er. "Ihr seid sterblicher, als ich dachte. Wie gerne hättet Ihr sie wohl in diesem Moment unter Euch, Dämon? Eure kleine Izayoi!" Abrupt stemmte sich der Kriegsherr gegen das Schwertheft Sou'ungas, um den Herrn der Hunde mit einem Brüllen und schierer Muskelkraft aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wild und ungezähmt feilschte er um die Oberhand, und der halbe Schritt vorwärts ließ ihn vor Eifer speicheln. Seine Stimme geriet so scharf und dünn, dass sie sich beinahe überschlug. "Ihr solltet sie Euch einreiten lassen, ehe-" Der Schlag ereilte ihn aus dem Nichts und er traf ihn so hart, dass Yuudai seinen eigenen Kiefer knacken hören konnte, bis ihm drei Zähne wie vom Brett gefegte Shōgi-Steine blutig aus dem Mund geschleudert wurden. Der nächste Atemzug trug ihm einen so ungeheuren Schmerz ein, dass er nicht einmal begriff, wie der Dämon ihm mit einer einzigen Bewegung die Füße wegzog. Yuudai schrie - schrie, wie er noch niemals in seinem Leben geschrieen hatte, dann fuhr er krachend in den Sand und spürte wie sich etwas in seine Brust bohrte. Einen Augenblick glaubte er, es müsste die Klinge des Daiyoukais sein, die ihm das Herz zerfetzen wollte, doch dann tauchten rote, glühende Augen über ihm auf. Die Luft erhitzte sich schlagartig, aber bis auf ein Gurgeln und dem Sprudeln seines Blutes- Oh Gott. Er beugte sich zu ihm hinab! "Ich nehme an, ich habe mich nicht klar genug ausgedrückt", presste der Inu no Taishou zwischen seinen Fängen hervor. "Ich bin nicht empfänglich für diese Art der Unterhaltungen und ich beabsichtige nicht", damit verlagerte er das Gewicht seines Knies knurrend auf die Luftröhre des Mannes, "Euch den Versuch ein zweites Mal nachzusehen. Hütet Eure Zunge!" Yuudai würgte Blut hervor, das sich wie in einer Welle über sein verformtes Kinn ergoss, versuchte unter geblähten Nasenflügeln zuzustimmen - und dann war das Gewicht auf einmal fort, und die Schreie seiner Männer und das entsetzte Gemurmel fuhren über seinem Kopf zusammen. 86 Fuchsgesicht stand wie vom Donner gerührt da, barg sich halb im Schatten des größeren Generals der südwestlichen Gefilde und lugte an den schockierten Mienen der anderen Männer vorbei. Viele trugen einen grimmigen, ja, fast zornigen Ausdruck und diejenigen, die blass und entgeistert starrten, konnte er an einer Hand abzählen. Er würde sich ihre Gesichter merken, um sie später für diese erbärmliche Zurschaustellung der Unterlegenheit abzustrafen. Bis dahin neigte er jedoch klammheimlich den Kopf und tippelte in winzigen Schritten an Takemaru heran. Sehr unüblich für einen Mann seines Ranges, aber auf diese Vorgehensweise hielt er große Stücke. "Mein verehrter Vetter hat ihn gereizt", knüpfte er unterwürfig den Gesprächsfaden. "Nun hat er das Gesicht vor unserem Gast verloren." Und nicht nur das, auch Kagetoras Ansehen litt durch die Niederlage eines seiner fähigsten Kämpfer. Nein, in Yuudais Haut wollte er nicht stecken. Der Jähzorn ihres Daimyos war so berüchtigt, wie seine Eigenheit vor Sonnenaufgang in den Hof zu schreiten und in schnellen Schwüngen und Stößen seine Paraden zu vervollkommnen. An diesem Morgen hatte er jedoch darauf verzichtet und Fuchsgesicht fielen weitere Gelegenheiten ein, bei denen sich Kagetora vom üblichen Protokoll entfernt hatte. Noch während er darüber nachdachte, woran das wohl lag, folgte er Takemarus Blicken. 87 Unbemerkt von den Männern und deren scharrenden Strohsandalen, sprang der Floh über den Kies, hin zu dem sichtbar verstimmten Daiyoukai. Myouga hätte schon taube Fingerspitzen besitzen müssen, um nicht das Youki über dem Erdboden flackern zu spüren: Oh, jetzt war guter Rat teuer! Besser er lenkte ihn ab, ehe sich dessen Klauen nicht mehr damit beschäftigen wollten, die Bänder am Oberkopf glattzuziehen. Das diese sich überhaupt gelockert hatten ... Rasch rümpfte der Floh die Nase, dann hüpfte er über die Falten des Obis bis hinauf zur Schulter des Weißhaarigen. Glücklicherweise hatte er seinen Überlebenswillen parat, daher achtete er tunlichst darauf, sich von den abgeschnittenen Spitzen des Fells fernzuhalten. "Das sind glatte, saubere Kanten", bemerkte er. "Die Klinge hat erstaunliche Arbeit geleistet, Meister. Jemand sollte diesem Menschen sagen, dass er sich zu den wenigen zählen kann, die Euch so nahe kamen. Der letzte Panther hätte von einem solchen Treffer nicht inbrünstiger träumen können." Nicht zu vergessen, die Drachendämonin - aber er wollte den Hund nicht gegen sich aufbringen. Hmpf! Hörte der ihm überhaupt zu? Myouga räusperte sich, ehe er nach einer Pause gegen ein dünnes Haarbüschel pustete. Prompt hatte er die Aufmerksamkeit gewonnen, obwohl ihn die schmalen Augen davor warnten, es zu bunt zu treiben. Nun, da funkelte der Richtige. "Euer Rückschlag war ungewöhnlich heftig, wenn ich das bemerken darf. Ihr wolltet ihn verletzen, das sah ich gleich. Gehörte das von Anfang an zu Eurem Plan?" "Nein." "I-Ihr habt Euch hinreißen lassen?", hakte Myouga schockiert ein. Leider kam er nicht dazu, seine zweite Frage zu stellen, denn der Daimyo der Menschen trat ihnen in den Weg. Kagetoras Züge sahen schroff, hart und feindselig aus, und das Nicken fiel kaum erbaulicher aus. "Ein außergewöhnlicher Kampf", sagte er. "Yuudai hat Euch um ein Haar die Niederlage schmecken lassen, doch am Ende entschied sich das Glück für Euch." "Euer General geriet demnach ins Stolpern?", vermutete der Inu no Taishou kühl. "Das ist anzunehmen, obwohl es mir fernliegt, Eure Schwertkünste anders als beachtlich zu nennen. Es gibt an diesem Ort wohl niemanden mehr, der sich mit Euch messen wird, um eine Höllenklinge zu erlangen. Ihr werdet Euch bald langweilen, daher solltet Ihr gehen." Nun, der Rauswurf war eindeutig, doch das Herz des Weißhaarigen zog sich nicht aus Furcht vor den Konsequenzen zusammen. Für gewöhnlich wagte es niemand, ihn zum Verschwinden anzuhalten. Sogar seine Gefährtin besaß den Anstand, eine unangenehme Situation eher auszusitzen, als voller Ingrimm den Blick zu heben und ihm eine der Papiertüren aufzuschieben. "Es wird Euch erfreuen, dass ich Eure menschliche Gastfreundschaft durchaus zu schätzen weiß", erwiderte er. "Da ich Eurer Schwägerin mein Wort gab, sie wohlbehalten zu Ihrem Großvater zurückzubringen, werde ich kaum auf diese Mauern verzichten." "Tatsächlich?" Von diesem Versprechen war ihm nichts berichtet worden, aber so wie der ihn ansah, bestand wohl kein Zweifel. Diese Lücke würde ihm Tajiro später erklären müssen. "Nun, dennoch verzichte ich auf Eure Geduld. Izayoi ist die Enkeltochter eines Fürsten und für Euch ohne Wert. Als Frau steht es ihr nicht zu, Eure Zeit zu beanspruchen und ich besitze genügend Männer, die Euch bei ihrer Rückreise ersetzen werden. " "Nun, wie Ihr wünscht. Versucht Euer Glück." Der Herr der Hunde setzte ein Lächeln auf, bei dem es sogar Sesshoumaru gefröstelt hätte, dann trat er an dem Daimyo der nordwestlichen Gefilde vorbei, bis er sein Ohr streifte. "Aber erwartet nicht, dass ich ohne sie gehe." - - - - - - - Wie ernst meint er das wohl? Erfahrt es in Kapitel 21, "Lilie"! Kapitel 21: Lilie ----------------- Apfelblüte - Lilie - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - Letzte Dekade des März, Japan, 1340 88 Wie ungeschickt von ihr. Angestrengt starrte die Drachendämonin aus ihren geschlitzten Pupillen auf den Sakebecher, der klappernd auf die Tatami-Matte gefallen war und die blutrote Flüssigkeit in einem Schwall verlor, der sie an einen letzten Herzschlag erinnerte. Kuraiko wünschte sich, dass dies der Wahrheit entspräche und den vermaledeiten Hundefürsten betraf, doch darauf durfte sie kaum hoffen. Seit vier Sonnenaufgängen verweilte sie bereits in den Mauern der Residenz, ohne seinen Todesschrei vernommen zu haben - nun, kein Wunder, wenn sie daran dachte, dass sie drei davon untätig bleiben musste. Ihre Heilung hatte sie schier an den Rand ihrer Selbstbeherrschung getrieben, hinzukam die Qual, bis sie auch nur einen einzigen Muskel wieder im Kiefer spüren konnte. Der Anblick, der sie nun in der spiegelnden Oberfläche der Reisweinpfütze ereilte, brachte ihr Blut noch jäher zum Kochen: Ihre Schuppen lagen verschoben auf der Haut und die rasiermesserscharfen Zähne hingen wie Dornenstrünke ineinander fest, um ihr bei jeder Bewegung vorzugaukeln, wieder in eine glühend heiße Esse getunkt zu werden. Die Kraft, die in den Schwertstreichen des Inu no Taishou lag, ließ sie erbärmlich und schwach zurück. Nie hätte sie erwartet, dass es einem Dämon möglich war, sich in drei Jahrhunderten solche Macht anzueignen - aber er war ein Fürst, ein Daiyoukai noch dazu. Denen sagte man die abenteuerlichsten Ammenmärchen nach, und Kuraiko ahnte, dass sich hier mehr Wahrheiten in den Schatten verbargen, als ihrem Hals gut taten. Zu schade, dass sie ihn nicht danach fragen konnte, seit wann er dabei mit solcher Blindheit geschlagen war. Bislang hatte er sie in ihrem Versteck, dem rußbedeckten Dachgebälk der Pferdeställe, nicht entdecken können. Die Brandmale waren dort recht frisch, die Asche noch immer witterbar und obgleich sie den Geschmack von Staub und Kohle an diesem Ort zutiefst verabscheute, unterstrich er ihre Gerissenheit. Niemand außer ihr hätte es gewagt, direkt vor seiner Nase auszuharren. Dummerweise würde sie damit nach ihrer Rückkehr in den hohen Norden nicht prahlen können, denn wer erst nach einem verheerenden Treffer genesen musste, gewann weder Ruhm, noch Ehre unter den eisigen Blicken der Brutmutter. Nein, mit derlei würde sie auf keinen Fall Eindruck schinden können. Es lag nichts Beneidenswertes darin, erst vor einem Widersacher zu fliehen und dann durch einen Flügelschlag die Rösser der Menschen scheu zu machen. Von diesen schwachen, unaufmerksamen Burgbewohnern brauchte sie jedoch keine Entdeckung zu befürchten: Das einfältige Pack hielt das schrille Wiehern, das sie von Zeit zu Zeit provozierte, sobald sie sich auf die Seite wälzte, bloß für Furcht vor dem unerwünschten Gast, dem Inu no Taishou. Narren, allesamt. Sogar sie wusste, dass es nur wenige Gelegenheiten gab, in denen sich ein mächtiger Dämon dazu herabließ, Beute zu reißen: Entweder musste er einen neugeborenen Welpen versorgen, dessen Mutter noch im Kindbett lag, oder das hungrige Maul von Heranwachsenden stopfen. Deren Youki ging schneller zur Neige, als sie mit aufgeplatztem Kiefer das Weite suchen konnte. Nein, für Pferde war sie das gefährlichere Raubtier. Menschliche Nahrung war kostbar für Drachenweibchen, denn sie benötigten alle Fleisch - ganz im Gegensatz zu Ryukotsusei und dem Herrn der Hunde. Diese arroganten... Rachsüchtig stellte die Drachendämonin ihre grau-roten Schuppen am Rücken auf, bevor sie diese seidenweich an den Körper presste und mit spitzen Klauen über die grunzenden und schlafenden Leiber der Männer des hiesigen Daimyos stieg. Was für ein Gelage! Über ihren Mündern lag ein schwerer, süßlicher Geruch, der ihre Sinne strapazierte, aber sie hatte keine Wahl. Ihr Hunger würde sie früher oder später leichtsinnig machen. Noch törichter als jetzt. Behutsam reckte sich ihr Hals über einen Schmerbauch hinweg, der beinahe die Seide sprengte, dann hatte sie eine auf Algen gebettete Forelle mit den Zähnen erwischt. Einige Frühlingszwiebeln prasselten herab, als sie diese zu sich zog und in einem gierigen Wiegen ihres Kopfes hinabschlang. Inzwischen brachte es ihr kaum noch Tränen ein, doch sie konnte das Zischen nicht verhindern, als ihr Kiefer wieder einhakte. Verflucht! Der Leib unter ihrem Maul regte sich prompt, aber sie sprang aus einem anderen Grund in einem Satz kopfüber an die Decke und grub die Klauen in die geschnitzten Balken: Dort! Direkt in einem frischen Windzug glitt die papierbespannte Tür auf. Herein trat die hochgewachsene Gestalt eines Mannes, der trotz der vorangeschrittenen Nacht in voller Rüstung stand. Das Lindwurmweibchen verschloss die Nüstern, als ihr der gärende Gestank in die Sinne stach, der ihn wie ein Schwarm Fliegen umgab - und allein das sorgte dafür, dass sie nicht geifernd nach Atem rang, um sich über das bekannte Gesicht wie der drohende Tod zu freuen: So sah man sich wieder. Dieser Abschaum hatte sie im Gemach des Säuglings mit einer Fleischwunde beehrt. Nachdem er sich mit abschätziger Miene in dem Trakt umsah, der Yuudais Männern für jene Vergnügungen offenstand, die mit einer frisch beschlossenen Ehe einhergingen, durchlief er den Raum. Kuraikos Statur fiel einem finsteren, grünen Schimmer anheim, der ihre Miene voller Boshaftigkeit erblühen ließ. Sie konnte die Schritte zählen, die das Menschlein benötigte, um erstaunlich elegant über Bambusmatten zu laufen, bis sein Schatten unter ihr im Licht der Kohlenpfannen flackerte. Intuitiv spannte sie ihre Muskeln an, hob die Lefzen - und zuckte zusammen, als eine Stimme erklang. "General Takemaru!" Prompt duckte sie sich, schlüpfte hinter einen nahen Balken und musste gegen ihren rasenden Herzschlag ankämpfen. Wie ein Stakkato hämmerte er in ihrer Brust, fürchterlicher als eine Klinge, die sich darin wand. Das hätte schlecht für sie ausgehen können! Offenbar waren ihre Sinne angegriffener als vermutet und so wagte sie es nur verstohlen, den beschuppten Hals zu recken. Kurz darauf war sie so erstaunt, als sei sie eben erst aus ihrem Ei gekrochen. 89 "Meister", schnappte der Floh mit entgeisterter Miene nach Luft. "Ihr meint das Ernst?" Myouga konnte nicht glauben, dass sich seine Ohren einen solchen Scherz erlaubten, doch der Vorschlag war viel zu abenteuerlich, um ihn auf die leichte Schulter zu nehmen. Zur Hölle! Nie zuvor hatte er einen solchen Unsinn aus dem Mund des Herrn der Hunde vernommen. Da half es ihm auch nicht, schnaufend den Blick zu den umliegenden Ästen zu heben und sich mit spitzen Fingern über die Wangen zu reiben. "Das ist verrückt", beharrte er dann. "In der Tat." "Schön! Ich bin dagegen!", begehrte der Flohgeist auf und war froh darum, seine Stimme nicht dämpfen zu müssen. Die Schatten der Nacht drangen durch die Zweige, vermischten sich mit dem Mondlicht - sie waren so allein, wie man es in einem riesigen Apfelbaum sein konnte, dessen einziger Bewohner eine sture, winzige Eule mit struppigem Gefieder war, die ihm in jeder Dämmerung nach dem Leben trachtete. Aber sogar der würde er freiwillig vor den Schnabel springen, wenn sich nicht endlich dieses Lächeln von den Lippen des Daiyoukais vertreiben ließ! "Oh, schaut mich nicht so an, als ob ich Euch gleich beraten würde, Herr! Ich wusste, dass Ihr seit Tagen etwas ausbrütet. Ich habe es gespürt, bis in die Saugrüsselspitze und jeden einzelnen Zeh! Hier, seht Ihr? Dieses Zucken ereilt mich jedesmal, wenn sich eine Eurer Ideen auf Euren Zügen ausbreitet!" Der Weißhaarige musterte mit stiller Belustigung die Gestalt Myougas und wie so oft wunderte er sich darüber, dass der beim Wüten keine Rauchwolken ausspie. "Du wärst ein interessanter Drachendämon geworden, alter Freund." "Das ist nicht witzig!" "In der Tat." "Hört sofort auf mit dieser Erwiderung!", bockte der Floh und geriet fast in Versuchung, auf den Spitzen des Schulterfells herumzuspringen. Leider waren sein Überlebenswille und Trotz überragend, daher beließ er es dabei, auf der stahlblauen Kimonoseide auf die Knie zu fallen und die kleinen Fingerchen aufgeregt in den Stoff zu graben. Falten waren seit Jahrtausenden das Einzige, was er einem so mächtigen Hund zufügen konnte, aber er kannte noch andere Waffen. Das geschah dem Fürsten nur Recht. "Ihr könnt nicht zu Toutousai reisen", erklärte er altklug. "Ihr sagtet dem eitlen Pfau Kagetora nämlich, dass Ihr nicht ohne das Menschenkind verschwinden würdet und ich", damit wölbte sich seine Brust voller Stolz, "bin viel zu schwach, um allein einige Stunden auf sie zu achten." "Auch das ist richtig, Myouga." "Gut, dass Ihr das einseht. Dieser Plan war unausgegoren, sogar für Euren unruhigen Geist. Wie hätte das auch funktionieren sollen? Ihr könnt schlecht zu Izayoi gehen, sie packen und-" Moment. Warum entließ der Inu no Taishou dieses flatternde, amüsierte Geräusch aus seinen Lungen und begann die Schultern anzuspannen, ehe er sich auf dem gewaltigen Ast erhob? Schnell, schnell. Was hatte er gesagt? Genau: Unausgegoren, Geist, Izayoi ... um Himmels Willen! Er würde doch nicht ... er konnte doch nicht-! "Nein!", krächzte der Flohgeist mutiger denn je. "Hört Ihr? Ich sagte, nein! Setzt Euch sofort wieder hin, Meister!" Die Miene des Hundedämons wurde weich und geduldig wie in jenen Tagen, da er vergebens versuchte, seinen schreienden, neugeborenen Welpen zu beruhigen. Über Stunden war er mit Sesshoumaru in den Fellen durch die frisch begrünten Gärten des Westens gewandert, um die Zeit abzuwarten, die seine Gefährtin zur Erholung nach der Niederkunft benötigte - und Myougas Empörung war nichts gegen die Lungen seines Erstgeborenen. Auf diesen Ohren war er längst taub, zumal seine Entscheidung lange vor Einbruch der Dämmerung festgestanden hatte. Dennoch blieb es erheiternd. "Ich bin froh, dass du es erwähnst", erwiderte der Inu no Taishou. "Ich sollte eine Fürstentochter nicht packen, sondern um ihre Zeit bitten und sie auf Händen tragen." "Nein, nein, nein! Genug von diesem romantischen ... Ihr wollt mich nur aufziehen!" Inzwischen waren Myougas Wangen kirschrot und die Lippen fleckig-weiß, weil er gar nicht mehr so heftig auf sie beißen konnte, wie es ihm sein Verstand gebot. Es erschien ihm plötzlich leichter, den Dämonenschmied dazu zu bringen, sich Weib und Welpen zuzulegen, statt hier auch nur einen Meter Boden gut zu machen. "Begreift doch! Die Menschen werden ihr Fehlen rasch bemerken und Ihr kennt die Strafen für ihre Frauen so gut wie ich es tue. Ihr könnt nicht ewig hierbleiben und sie davor bewahren, Meister!" Der Herr der Hunde lächelte still, während der Wind durch das Geäst fuhr und Blütenblätter zum Knistern brachte, die sich zu hunderten von den Knospen zu lösen begannen. Der Geruch umschmeichelte seine Sinne, aber er war nicht bereit, die Wärme zu teilen, die sich durch seine Klauen zog. "Ich habe alles bedacht", raunte er. Alles bis auf eines. "Izayois Dienerin gab mir ihr Wort, nichts zu verraten." "Was?" Die alte Frau, die ihn dank ihres scharfen Augenlichts belehrt hatte, wusste es? Oh, dieser Hund! "Macht es Euch nicht zu einfach: Was soll sie schon ausrichten, wenn diese Krähe die Gemächer betreten will? Oder der Daimyo des Hauses? Und wie steht es um diesen maulfaulen General, der sich jeden Tag erbärmlicher durch die Residenz schleppt?" "Du wirst sie beschäftigt halten." "Ich werde sie beschäftigt halten", wiederholte der Floh, ehe ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich. "Was?" "Niemand außer dir, wäre geschickt genug, alter Freund." "Als ob! Kommt mir nicht so!", herrschte Myouga ihn fuchsteufelswild an, aber da wurde er bereits von spitzen Klauen gegriffen und zart wie ein frisch geschlüpftes Vogelküken auf den nächsten Ast gesetzt. Ehe er den Mund jedoch ein weiteres Mal zeternd aufbekam, streifte ihn ein Blick aus dunklen, goldenen Augen. "Bring mich nicht dazu, es dir befehlen zu müssen, Myouga. Auch meine Geduld kennt ihre Grenzen und du gebärdest dich, als habe ich ihr eine Ehe angetragen, statt einer einfachen Bitte. Wage es dir nicht, einen Narren aus mir zu machen, der das eine nicht vom anderen zu unterscheiden weiß. Ich versprach ihr Schutz, keine Söhne." "Aber-" "Genug davon", beendete der Herr der Hunde das Gespräch, dann wandte er sich ab und ließ sich aus den meterhohen Wipfeln des Apfelbaumes fallen, um federweich den Boden zu berühren und in wenigen Sätzen zur Residenz zu verschwinden. Myouga sah ihm nach, denn für ihn war es kein Hindernis, das helle Fell in der Nacht auszumachen. Die Patrouille, die am anderen Ende des Hofes ihre Runde zog, hörte das Knirschen des Sandes nicht einmal - wie auch? Ihnen saß die lähmende Furcht im Nacken, seit der Inu no Taishou dafür gesorgt hatte, dass sich Yuudai in die Hände von mehr als verzweifelten Heilern begeben musste. Niemand wollte mit einem solchen Monster unter dem gleichen Dach verweilen, auch wenn der Befehl des Daimyos der nordwestlichen Gefilde keinen Widerspruch duldete. Hach! Wie bitter, dachte der Floh. Nun würden sie seinen Meister los - für einige Stunden, denn es war ausgeschlossen, dass eine Fürstentochter mit der Erziehung Izayois eine Bitte abschlug, die ein Mann - noch dazu ein Dämon - aussprach. Seufzend knickte Myouga ein. Keinen Zweifel: Er würde keinen Narren aus seinem Herrn machen müssen. Das konnte der auch ganz allein, und als ältester und einziger Berater ahnte er, dass es kein gutes Zeichen war, sobald sich ein Daiyoukai wie der Inu no Taishou zu einem verstohlenen Lächeln hinreißen ließ. - - - - - - - Darf er, und zwar in Kapitel #22, "Chrysantheme"! Kapitel 22: Chrysantheme ------------------------ Apfelblüte - Chrysantheme - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 90 Lautlos betrat er den Raum, und obwohl es ihm nicht behagte, die Regentür hinter sich zu verriegeln, würden die Wachen nicht unaufmerksamer sein als jener, der schnarchend auf der untersten Stufe gekauert hatte. Der Atem des Mannes war unruhig gewesen, wie frisch in den Schlaf gesunken - ihm blieb nicht viel Zeit, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Flüchtig blickte sich der Weißhaarige um, während er auf den mit Goldfäden verflochtenen Bambusmatten stand und den Geruch einatmete, der in jeder Ecke auf ihn zu warten schien. Hier gab es keine Feindseligkeit, nur angenehme Wärme und schwelende Kohlepfannen. Er sah kunstvoll angeordnete Pflaumenzweige als graue Schatten in einer Ecke, einen sechsteiligen Wandschirm mit kostbaren Beschlägen daneben und nicht allzuweit entfernt sogar Räucherwerk aus Chrysanthemen. Nun, natürlich. Diesen Zweck kannte er, denn der Ständer, auf dem ein Kimono in all seinen prächtigen Lagen ausgebreitet war, verriet ihn: Fürstentöchtern war es stets vergönnt, sich mit blumigen Gerüchen umgeben zu können, aber es erinnerte den Herrn der Hunde auch an etwas anderes. Es ziemte sich nicht, die Gemächer einer unverheirateten Frau zu betreten, und noch weniger das schwarze, glänzende Haar zu betrachten, das sich auf den Tatami ausbreitete und wie Seide zerfloss. Ihre Dienerin musste die Schlaufen gelöst und das Wachs ausgekämmt haben, um es Izayoi mit Anbruch der Morgendämmerung neu einzurollen - und das alles, um ihm weitere Zeit zu erkaufen, denn die Prozedur mit Brennscheren und Papierblüten kostete viele Stunden. Seine Gefährtin hatte sich zu Beginn ihrer Ehe unter geröteten Wangen rascher wieder ordnen können, wenn sie verschmitzt von ihm wich, doch das lag fast in Vergessenheit und hatte wenig damit zu tun, dass er umständlicher denn je auf die Knie sank. Sein Versuch, dabei Lärm zu verursachen, scheiterte dennoch kläglich. Für jemanden wie ihn war es nicht leicht, sich hölzern zu zeigen und er hatte die Rüstung in seinen eigenen Räumlichkeiten zurückgelassen. Das Scheppern wäre seinem Vorhaben nur im Weg gewesen - dachte er. Hier wäre es nützlich, obwohl es sie womöglich verstören würde, sich von einem Dämon tragen zu lassen, der von Stacheln und kaltem Metall umgeben war. Bevor er jedoch in die Verlegenheit kam, über den Kragen seines Kimono zu streichen, brachte er ein tiefes, dunkles Räuspern an. "Izayoi", setzte er rau nach, und tatsächlich, es kam Bewegung in sie - wenn auch anders als erwartet. Erst blinzelte sie trunken, dann erwachte abrupt ihr Verstand. Einen Atemzug darauf hatte sie das Kunststück vollbracht, hochzuschrecken, vor ihm zurückzuweichen und voller Entsetzen die gefütterten Decken an sich zu reißen. Er war bei ihr, bevor sie schreien konnte. Und obwohl er ihr nicht verübeln wollte, ihn auch weiterhin für einen Angreifer zu halten, der ihr den Mund zuhielt, presste er - mit sich selbst unzufrieden - seine Lippen aufeinander. Ihre Augen waren panisch aufgerissen und ihr Herz schien wie erstarrt, ehe es noch hektischer hinter ihren Rippen um sein Leben klopfte und fast verrückt wurde, bis sich die Konturen klärten. "Ich wollte Euch nicht erschrecken", versicherte er ernst. "Bitte, ich dachte nicht daran, dass Ihr mich kaum erkennen würdet. Ihr seid keine Youkai." Gott. Izayoi entspannte unwillkürlich, wenn auch nicht weniger aufgeregt. Er nahm fast im selben Augenblick die Hand von ihren Lippen und sank auf die Fersen zurück, aber es fiel ihr schwer, sich zu sammeln und nicht wie ein Rebhuhn vor dem Jäger zu zittern. "V-verzeiht", flüsterte sie dann, "ich hielt Euch für einen Drachen." "Nicht ganz", erwiderte er, bevor in seinen Mundwinkeln ein Lächeln erwachte. "Mir mangelt es wohl nach all der Zeit an der Übung, eine Frau harmloser zu wecken." Izayoi sah ihn an. Dann begriff sie, dass er versuchte einen Scherz zu machen und sogar den Fehler auf sich nahm. Nun, das war gütig, daher nickte sie dankbar. Aber das Gefühl in ihrer Brust konnte sie kaum leugnen: Er war ihr nahe - so nahe, dass sie das Gold in seinen Augen funkeln sah und die Wärme fühlte, die von seinen Händen ausgegangen war. Es machte sie nervös, denn sie kannte die Tradition: Mashiko durfte ihr die Hand auf die Schulter betten, um sie aus dem Schlaf zu reißen, auch ihre Schwester Chidori und vielleicht sogar ein anderer Diener, sollte die Residenz in einen feindlichen Angriff geraten. Aber er ... "Hoher Herr", flüsterte sie verlegen, ehe sie den Blick vor ihm senkte, "Ihr dürftet nicht hier sein. Die Wachen des Fürsten könnten Euch-" "Ich weiß", unterbrach er sie sanft und ohne der Versuchung zu erliegen, ihren freiliegenden Hals länger ins Auge zu fassen. "Ich bin nicht hier, um Euch Unannehmlichkeiten zu bereiten, aber hört mich an." Izayoi neigte den Kopf, dann sah sie ihn unter dunklen, dichten Wimpern an und bemühte sich, weder an die feinen Knoten zu denken, welche die Nacht in ihre Haare zu wickeln liebte, noch daran, dass sie den Seidenstoff über ihre Schulter ziehen musste. Unauffällig zwar, aber er war aufmerksamer als andere. Gewiss bemerkte er es und verschwieg derlei nur aus Höflichkeit, denn sie hörte deutlich seinen tieferen Atemzug. "Würdet Ihr mit mir kommen?", fragte er leise. "Ich beabsichtigte ein Schwert von einem alten Freund schmieden zu lassen, der meinen Besuch wegen einer anderen Klinge erwartet." "Ich ... Ich verstehe nichts von Schwertern." Erheitert lächelte er. "Das dachte ich mir. Dennoch versprach ich, auf Euch zu achten und das wird mir auf diese Entfernung hin unmöglich sein." "Oh." "Es wird Euch kein Leid widerfahren. Bis zum Morgengrauen seid Ihr zurück." Geduldig fuhr er mit seinem Blick die Linie ihrer Lippen ab, auf die sie sich biss, während sie erst ein Lacktablett mit Schälchen und Bambuslöffeln ansah, und dann wieder ihn. Der Herr der Hunde kam nicht umhin eine Augenbraue zu heben, da sie sichtbar um Mut rang. "Was ist es, was Euch abhält?" "Ich ... ich fürchte, das würde Euch beleidigen, hoher Herr." "Das dürfte Euch schwer fallen", widersprach er ruhig. "Nun", raffte Izayoi die bestickte Seide der Damastdecke zögernd an sich, bevor sie seinem Blick auswich, "es gibt Geschichten, die Takemarus Männer einander erzählten. Als ich jung war, saßen sie oft beieinander und warteten darauf, aufspringen zu können und sich gegen den alten Schwertmeister zu beweisen. Manchmal hörte ich sie reden, während ich an Mashikos Seite durch den Hof schritt und dann berichteten sie einander, wie Frauen in Dörfern von Dämonen fortgelockt wurden. V-verzeiht, ich-" "Es ist wahr." "Wirklich?" "Zu meinem Bedauern. Nicht wenige Youkai sehen in Menschen leichte Beute und pflegen sie zu reißen, nachdem sie ihre widerwärtigen Gelüste an ihnen ausleben konnten. Es ist die Macht über Schwächere, die sie antreibt und ihr Vergnügen." "Wie furchtbar." Ihre Augenbrauen verzogen sich erschüttert, während ihr im Magen ganz flau zumute wurde. "Ihr seid nicht vielen Dämonen begegnet", schlussfolgerte er aus ihrem Blick, und obwohl er längst erraten hatte, welcher Gedanke sie niederdrückte, rührten ihn ihre gerundeten Schultern. Eine Frau sollte nicht auf diese Weise vor ihm ausharren. "Vertraut mir. Ich werde Euch weder rauben, noch überlisten. Ich bitte Euch nur um Eure Gesellschaft, das ist alles." Er hielt ihr seine Hand hin, und obwohl ihr Herz einen verräterischen Schlag tat, vergingen lange Sekunden im Schweigen. Izayoi dachte daran, wie er ihr dieselbe Geste in schwindelerregender Höhe hatte zuteil werden lassen und wie viele Stunden des Tages sie zwischen den Hofdamen bereits damit verbracht hatte sich zu fragen, ob er ihr Zögern jemals als Abscheu wahrnahm. Wäre es angebracht, sich zu erklären? Würde es ihn kümmern? Es gab so vieles, von dem sie nichts verstand und dennoch betrachtete sie die Furchen seiner Hand in dem spärlichen Licht der glühenden Pfannen, als sehe sie diese das erste Mal. Dann schöpfte sie Atem und überwand aus einem Impuls heraus die klamme Unruhe in ihrem Innern - zusammen mit Chidoris Mahnung, ein gefährliches Spiel zu spielen. "Werdet ... werdet Ihr mir auf dieser Reise mehr von Euch erzählen, hoher Herr?" "Isamu", hauchte er. Die junge Frau blinzelte, mehr als verwirrt darüber, ob sie ihn recht verstanden hätte oder durch das Knistern der Seidendecken zu abgelenkt gewesen war. "Isamu?" "Das ist mein Name", flüsterte er warm zurück, während sich ihre Fingerspitzen auf seiner Haut niederließen und er zufrieden die Hand darum schloß. "Ich dachte, es wäre an der Zeit, ihn Euch zu verraten." - - - - - - - Hach. Wie das weitergeht, erfahrt ihr in Kapitel #23, "Glockenblume"! Information: Im Script zu "Swords of an honorable ruler" (2003) war sein Name einmal mit "Tōga-ō" (闘牙王) angegeben, wurde allerdings wieder gestrichen. Daher ist er bei mir seit einigen Jahren unter "Isamu" (Mut, Tapferkeit) geläufig. Kapitel 23: Glockenblume ------------------------ Apfelblüte - Glockenblume - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 91 Die Hitze stieg ihr so vehement ins Gesicht, dass selbst die Glut in den Kohlepfannen wie ein lieblicher Hauch wirkte, aber Izayoi wagte es nicht, sich verlegen über die Wangen zu streichen. Dabei hätte sie das nur allzu gern getan: Ihr Herz schlug aufgeregt, benahm sich wie die vielen, kostbar aufgestickten Schmetterlinge auf den Seiden, die sie als Untergewand trug. Wenn er das sehen kön- Oh. Ihre Pupillen weiteten sich, als ihr bewusst wurde, wie unpassend sie in diesem Moment gekleidet war und das zwischen dem ruhigen, geduldigen Funkeln seiner goldenen Augen und ihrer Haut nur eine einzige Schicht feingesponnener Damast wartete. Himmel! Plötzlich erschien es ihr, als ob ihr nicht nur die Tabi zu locker am Fußgelenk säßen, sondern auch das Band auf ihren Rippen ehrlos kichern konnte. Peinlich berührt schlang Izayoi ihre zweite, freie Hand um die gewebten Stoffe und drückte sie dichter an die Brust, bevor sie nach Fassung rang. "Ich ... ich fürchte, ich kann nicht mit Euch kommen", brachte sie enttäuscht hervor. "Ich benötige Hilfe beim Ankleiden und Mashiko ist nicht hier." Nie zuvor hatte sie ihre Amme so inbrünstig vermisst, doch was sollte sie tun? Ihre Dienerin bat sie selten um etwas und sie hatte ihr flüsternd versprochen, dass sie kaum fünf Sätze mit Takemaru zu wechseln hätte. Aber käme sie nun zurück, würde sie die schlimmsten Vermutungen hegen. Nein, nein, das durfte nicht geschehen. "Versucht es mit einem einfacheren Kimono", unterbrach der Herr der Hunde leise. "Er ist leichter auszurichten und Ihr habt mein Wort, dass ich nicht darauf achten werde, ob er mehr als eine Handbreit von Eurem Nacken absteht." "Wie ... wie könnt Ihr das sagen?", fragte Izayoi unglücklich. "Soetwas ziemt sich nicht für die Enkelin eines Daimyos. Und wir sind nicht verheiratet, hoher Herr." "Isamu. Nennt mich beim Namen, wenn ihn niemand hören kann, denn dafür gab ich ihn preis." Lächelnd stieß der Weißhaarige die Luft zwischen den Zähnen aus, ehe er ein weiteres Mal in die Nacht lauschte. Bewusster denn je, wachsamer. Das Geräusch von klappernden Strohsandalen kam näher, aber dann ertönte ein empörter Laut und die Beschwerde über einen gerissenen Riemen, der im Sand ein Stolpern verursachte. Ah. Menschen und ihr Geschick. Nun, das erkaufte ihm weitere Zeit, die er in eine verschmitzte Kopfneigung einfließen ließ. "Bedenkt, dass ich nicht beabsichtige, Euch bloßzustellen. Weder heute, noch morgen oder an einem anderen Tag Eures Lebens. Eure Gemächer mögen kein Ort für einen Mann wie mich sein, doch sollte es eine Ehe benötigen, um Euch zu meinem alten Freund zu führen, wärt Ihr eine mehr als ungewöhnliche Wahl." Sie sah ihn schwer atmend an und er erkannte erst, als sie den Kopf zur Seite drehte, dass sich das Funkeln in ihren Augen nicht geschmeichelt fühlte. Nein, es ... es war verletzt. Erstaunt hob der Herr der Hunde beide Augenbrauen, bevor er seinen Fehler bemerkte. Ehe sie ihm die Hand entziehen konnte, bettete er jedoch auch die zweite über ihre weiche, warme Haut. "Verzeiht. So habe ich das nicht gemeint." "Es spielt wohl keine Rolle", bot sie flüsternd an. Es fiel Izayoi überraschend schwer, ihn zu mustern, denn sie konnte sich den Stich in ihrem Herzen selbst nicht erklären. Wie albern sie sich benahm! Ihre Schwester Chidori hatte ihr bereits davon berichtet, dass er sie mit den gleichen Augen wie Takemaru betrachtete - und was auch immer der tapfere, erste General ihres verehrten Großvaters in ihr sah, weder der eine, noch der andere Mann konnte sie zur Frau wollen. Natürlich, denn ihr Rang lag jenseits dessen, was sich gehörte: Ein Kriegsherr konnte auf Wunsch eines Fürsten zwar einheiraten, sollte dem Daimyo kein Erbe beschieden sein, doch Setsuna no Takemaru war jung. Blutjung, und verglichen zu Yuudai waren seine Taten spärlich und gering. Loyalität allein würde niemanden rühren, denn ein guter Getreuer kannte seinen Platz in der Residenz. Und ein Dämon? Ein Daiyoukai, der bereits einen Sohn besaß? Kaum. Izayoi schüttelte federleicht den Kopf, bevor sie sich darauf besann, dass sie um diesen Umstand eigentlich dankbar sein sollte. Gefühle, das wusste jedes Kind, konnten sich nur wenige Menschen leisten. Es gab Glück und eine stille Freude über eine gelöste Aufgabe - doch soetwas wie Abscheu, Wut oder die unruhige Liebe, die zwei Herzen miteinander verband, standen niemandem gut zu Gesicht. Einzig jene Zuneigung, die ein neugeborener Sohn weckte, durfte eine Frau beflügeln. Niemand sonst. Dennoch konnte sich Izayoi nicht helfen und sah auf die Hände herab, die ihre umfangen hielten. In ihrer Brust breitete sich erneut eine flüchtige Wärme aus, die in einem unerwarteten Schaudern endete, als er sich unter dem Rascheln von Seide vorlehnte. Schüchtern schlug sie ihre Wimpern nieder, doch sein Atem blieb wie ein Geist auf ihrer Haut. "Ungewöhnlich bedeutet", raunte der Weißhaarige leise, "dass ich nicht viele Frauen sah, die mich über die Ehe sprechen ließen. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten, denn ich halte es für etwas Angenehmes, von Zeit zu Zeit gegen den Strom zu schwimmen. Ungewöhnlich zu sein. Im Leben trennt sich die Spreu vom Weizen, der fette Karpfen vom schlanken Lachs. Lernt mich besser kennen, Izayoi." "Ihr meint diese Bitte ernst", flüsterte sie. Warum sonst hätte er sie wiederholen sollen? Ihr stieg wie damals der vertraute Geruch von Apfelblüten in die Nase, süß und vom Regen durchtränkt, doch noch immer wusste sie nicht, was sie darauf sagen sollte. "Warum ... warum wünscht Ihr derlei?" "Weil Ihr geduldiger mit meinen Schwächen seid als ich." Einen langen Augenblick verharrte er, dann huschte sein Mundwinkel empor und er sank zurück auf die Fersen. 92 Als er die Regentür auf der Holzschiene zurückschob, kam sich Izayoi ungeheuer mutig vor. Mutig und leichtsinnig, denn ihr Verstand hatte sich seit Minuten damit beschäftigen können, welche Strafen ihr bei einer Entdeckung blühen würden. Dreimal hatte sie vor Nervosität das schmale Ende des Obis auf ihrem Rücken neu zurechtrücken müssen und ihr war vor Eile beinahe der Brokat wieder auseinander gesunken, weil sie das Gefühl nicht abschütteln konnte, zu langsam zu sein. Wie schnell mochte ein Dämon in solchen Angelegenheiten sein? Strapazierte sie nicht die Geduld des hohen Herrn, der sich ihr erst wieder höflich zugewandt hatte, als sie nach ihrem grobzinkigen Perlmuttkamm hatte greifen wollen? Vielleicht, auch wenn er sie ohne Kälte in der Stimme darauf hingewiesen hatte, dass ihre Mühe ohnehin vergebens wäre: Sie hatte weder eine klebrige Stange Wachs eingeschmolzen, um ihren Haaren Halt zu geben, noch verziehen Wind und Wetter eine solche Reise. Der bloße Versuch, sich vorher die feinen Knoten aus den Strähnen zu tilgen, würde nach wenigen Sprüngen nicht mehr erkennbar sein. Oh, in diesem Moment war sie sich fürchterlich naiv vorgekommen! Natürlich, er war ein Daiyoukai, noch dazu unmenschlich schnell und in der Lage, Hindernisse wie ein Fisch zu überwinden, der über die Steine im Flussbett setzte. Da nahm er kaum Rücksicht auf Schlaufen und Haarnadeln, zumal ... als Mann. Nun waren ihre Haare so frei wie ihre Lippen - so wie er. Wie ungewohnt, wie rebellisch! Woher Izayoi die Erlaubnis nahm, auf Knien etwas dichter zu rutschen, wusste sie nicht, aber sie teilte das Lächeln auf seinen Zügen, als sie nach seiner dargebotenen Hand griff und sich in die Höhe ziehen ließ. 93 Bei allen Dämonen! Was taten sie nur? Myouga rieb sich über die staubtrockenen Lippen, während die Blätter und Äste um ihn herum wogten und knirschten. Die Nacht war kühl, zerrte an seinen Nerven, doch wer ihn wirklich marterte, sprang gerade in vier mächtigen Sätzen ins Unterholz - fort, verschollen. Dieser alte Haudegen wurde es einfach nicht müde, ihm Kopfschmerzen zu bescheren! Fand er es denn als Einziger sorglos, sich eine Fürstentochter auf die Arme zu laden und vorzugeben, sie nur wegen eines Versprechens mitzunehmen? Das war doch verrückt! Es gab so viele Augenblicke, in denen Izayoi hin und wieder sich selbst überlassen blieb. Mit der Ausrede brauchte er seine Sinne nicht zu verwirren. Ha! Als gewiefter Berater und schlauer Floh kannte er jede einzelne Gelegenheit, daher konnte man nur dankbar in die Hände spucken, dass er sich nicht zum Schlächter berufen sah: Menschen mussten sich zum Beispiel erleichtern, da schätzte man Stille. Und junge Damen wie Izayoi konnten allein zum Befehlshaber einer Residenz gerufen werden. Nicht einmal der mächtige Inu no Taishou hielt sich dann in ihrer Nähe auf. Wobei, dieser Daimyo der nordwestlichen Gefilde hatte bislang darauf verzichtet, seine Schwägerin zu sehen. Myouga hegte den Verdacht, dass der grimmige Mann namens Kagetora keine hohe Meinung über Frauen besaß, doch der gestrige Tag zupfte an seiner Einschätzung: So rabiat der Menschenfürst seine Männer befehligte und eine Welle tödlichen Schweigens vor sich herschob, so geduldig kniete er noch vor dem ersten Sonnenstrahl auf einer Bambusmatte und musterte aus den Augenwinkeln seine Gattin. Myouga rümpfte die Nase. Er war nicht sonderlich erpicht darauf, sich in Erinnerung zu rufen, was danach geschehen war. Nein, das stand ihm nicht zu, denn er wusste, was sich gehörte. Das tat er wirklich! Angestrengt presste er die Lippen aufeinander, doch die Bilder vor seinen Augen verdichteten sich ungebeten, bevor aus einem zu Boden fallenden Katana erst Sou'unga und dann Kimonoseide- "Raaah! Das kann er doch nicht machen!", entfuhr es ihm empört. Aber sein energisches Ärmeschwenken brachte ihm nichts ein, außer fehlender Balance. Prompt plumpste Myouga auf dem breiten Ast des Apfelbaums nach hinten, hinein in etwas Weißes, angenehm Flauschiges. Hach, dachte er in Selbstmitleid versinkend, während er die kleinen Fingerchen hineingrub. Wie soll ich das nur seiner Gefährtin beibringen? Sie wird mich in Streifen schneiden, vielleicht sogar Ryukotsusei zum Fraß vorwerfen! Am besten, sie erfuhr es erst gar nicht. Genau. Sein Herr und Meister hatte bereits deutlich gemacht, dass er keine Plaudereien schätzte und- "Myouga", erklang es da über ihm, und auf einmal schien sich die Luft in winzige, tödliche Eissplitter zu verwandeln, während all seine Gespinste aufeinmal in Rauch aufgingen. Dann strich der Flohgeist noch einmal ehrfürchtig über die feinen Härchen, die unter seinen Kuppen lagen - und er hätte schwören können, dass sein Schlucken wie ein Donnergrollen in seinen Ohren hallte. 94 Die Wolken hingen nachtschwarz über ihm und obwohl der Herr der Hunde in der Ferne die Witterung von Regen wahrnahm, stahl sich ein Lächeln in seine Mundwinkel. Er wusste die Gelegenheit, einer Residenz zu entkommen, schon immer zu schätzen. Aber das allein wärmte nicht sein Herz. Nein, kaum. Gräser und Büsche flogen allmählich unter ihm dahin und kleine Käuze sangen ihr Lied, während er dem Knistern des dick wattierten Saums lauschte. Das dunkle Persimonen-Orange schwankte um Izayois Knöchel wie ein Blatt im Wind, und obwohl sich die Fürstentochter redlich darum bemühte, ihn nur unauffällig zu mustern, verriet sie ihr Atemzug. Hin und wieder streifte er seinen Hals, schlich sich als Vorbote ihrer Neugierde bis zu seinem Gesicht empor. Still fragte sich der Inu no Taishou, wie befremdlich es für einen Menschen sein musste, einem Dämon so nahe zu sein - auf seinen Wangen prangten blitzförmige Zeichnungen, die mit Narben nichts gemein hatten, und das Gold seiner Augen hätte sich kaum leuchtender von ihrem Samtbraun unterscheiden können. Dennoch duldete sie seinen linken Arm um ihre Schultern und den zweiten unter der Seide ihrer Kniekehlen. Sie schien eher aufgeregt als verängstigt zu sein. "Nun", raunte er, während er sich ohne einen weiteren Blick von einem gewaltigen Weidenast abstieß, "würde es Euch etwas ausmachen, wären wir schneller unterwegs?" "S-Schneller?" "Überrascht?", fragte er heiter. "Dies ist die Eile, die ein Welpe an den Tag zu legen vermag, der kaum zwei Jahrhunderte zählt. Unter diesen Umständen werden uns bald einige Oni folgen, die mich geschwächt glauben und sich nach Ruhm und Ehre verzehren. Aber keine Sorge, Euch wird nichts geschehen. Haltet Euch nur gut fest." Izayoi öffnete die Lippen, halb erstaunt, halb erschrocken, doch bereits der nächste Schwung verdarb ihr jeden Einwand. Ihr Magen schien sich zu stauchen, sodass sie erschüttert nach Atem rang und Entsetzen aufkeimen spürte, doch der Laut in ihrer Kehle schien wie festgefroren. Himmel! Dann verschwamm der Boden unter ihr in schwindelerregende Höhe und schon zwei gewaltige Sätze später fuhr ihr der Wind heftiger ins Haar. Ihre Strähnen verwirbelten wie ein Blätternest, peitschten ihr in wilden Wellen ins Gesicht. Aber er zog weiter an, durchbrach dicht hängende Zweige, die sich vor ihren Augen in hunderte Holzsplitter auflösten und- Nein, nein, nein! "I-Isamu!" Zu spät. Izayoi kniff kalkweiß vor Angst die Lider zusammen, während sich ihre Nägel in der Seide seines Kimonos verbissen. Die nächste Erschütterung wartete Dutzende Meter tiefer auf sie, und selbst wenn sie es gewollt hätte, wäre ihre linke Hand ob der Wucht in die Höhe gerissen worden. Ihr Überlebensinstinkt fragte nicht lang und sie griff nach dem Erstbesten, das sie zu fassen bekam: Sein Fell. Herzschläge später verwünschte sie sich atemlos dafür. In seiner Brust erwachte ein Knurren, das gemeinsam mit einer unbändigen Welle an Hitze durch ihre Fingerspitzen schoss und ihr durch Mark und Bein ging, bis sie das Gefühl hatte leibhaftig in Flammen zu stehen. Sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, schrie - dann sahen sie rotglühende Augen an, und Izayoi ahnte, dass sie etwas Fürchterliches getan haben musste. - - - - - - - Die Arme. Aber was hat er denn? Vielleicht erfährt man es in Kapitel #24, "Löwenmaul I" ... Kapitel 24: Löwenmaul I ----------------------- Apfelblüte - Löwenmaul I - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 95 Der Herr der Hunde landete alles andere als elegant auf dem nächsten Ast, prallte mit der freien Schulter voran gegen den Stamm - und es kostete ihn mehr Beherrschung denn je, das dunkle Knurren in seiner Brust wieder niederzuringen, während die Rinde längst gesplittert war. Irgendwo unter ihm krachten die Stücke noch auf tieferhängende Zweige, schälten Laub und Harz vom Baum, aber er konnte sich beim besten Willen nicht darauf konzentrieren. "Macht das nie wieder", flüsterte er, bevor er die Luft in die Lungen zog und sich einen Moment später am liebsten dafür geohrfeigt hätte. Ihre Witterung breitete sich wie Feuer in seinen Sinnen aus, zerrte an seinen Instinkten und brachte das Rot noch kräftiger in seine Augen zum Glühen. Er musste sie absetzen, denn das war das Erste und Beste, was ihm einfiel - nun, fast. Aber alles Andere stand nicht zur Debatte, daher konnte er nur dankbar darüber sein, dass sie ihn bereits wie einen Geist anstarrte. Nicht auszudenken, was- "Verzeiht", flüsterte sie hastig. "I-Ich wusste nicht ..." Ihre Kehle schien sich zuzuschnüren, weil ihr die Worte fehlten. Was sollte sie auch sagen und bereuen? Hatte sie ihn verletzt? Erzürnt gar? Ja, gewiss. Am liebsten hätte sich Izayoi zu Boden geworfen, doch seine Klauen hielten noch immer ihre Schultern fest und der gewaltige Ast schwankte, als würde er jeden Augenblick unter ihnen bersten können. Alles in Izayoi rebellierte aus der nackten Angst heraus, dass er sie nun verärgert von sich stieß. Grundgütiger! Was hatte sie sich nur dabei gedacht, mit ihm zu gehen? Das war doch verrückt! Sie konnte den aufgewühlten, feuchten Boden kaum erahnen und der eisige Wind, der ihr um die Ohren fegte, machte sie fast taub. Unwillkürlich stiegen ihr die Tränen in die Augen, weil die bittere Kälte sich in ihre Wangen biss - und das verstand sie von allem am wenigsten. Während er halsbrecherisch gesprungen war, hatte sie nichts davon zu spüren bekommen. Lag das an seiner dämonischen Natur? Hatten deshalb ihre Fingerspitzen gekribbelt, als hielte sie ihre Hand über eine wärmende, knisternde Kohlepfanne? "Ich bitte Euch", versuchte sie es heiser. "Vergebt mir. Ich wollte mich nur festhalten und-" "Es ist nicht Eure Schuld. Ich ... ich hätte Euch vorwarnen müssen. Ich war ein elender Narr, nicht daran zu denken, wie wenig Ihr von mir wisst", beteuerte er, und tatsächlich hielt sie inne, als er einen tiefen Atemzug nahm und das dunkle Bernstein zurück in seine Augen kehrte. Die letzten, verräterischen roten Fäden übertünchte ein Blinzeln, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Sein Blick flog entschuldigend an ihr hinab, doch es fiel ihm unsagbar schwer, sich wieder aufzurichten. So einfach ließ sich seine Natur nicht überlisten, aber er wollte sie nicht noch weiter verschrecken. "Ihr", begann er sich schluckend zu erklären, "Ihr könnt meine Hand berühren, meinen Arm, sogar meinen Hals. Aber dort ... ist es anders. Ich bin ein Dämon, und unsereins duldet es nur mit wenigen Ausnahmen, dass ihm jemand ins Fell fährt. Welpen können es jederzeit, denn sie sind schwach und unmöglich zu übersehen." "Ich habe Euch überrascht?" "Ein wenig", gestand er unter einem zurückhaltenden Lächeln ein, doch es erschien ihm zu kompliziert, ihr zu erklären, wie unaufmerksam er werden konnte, sobald er die Frau in seinen Armen nicht für bedrohlich hielt, sondern nur für angenehme Gesellschaft. Er bezweifelte, dass er ihr damit einen Gefallen erwies - sie war doch sehr blass und ihr Herz schlug aufgeregt hinter den Seidenlagen des Kimonos. Nein, da führte kein Weg dran vorbei. "Seht es mir nach, wenn Ihr könnt. Es wird kein zweites Mal geschehen, darauf habt Ihr mein Wort." Izayoi nickte, wenn auch fast unsichtbar. Ihre Hand hatte sie schützend an ihre Brust gezogen, und es verwirrte sie, dass sich der nächste Windstoß, der knackend und unbarmherzig durch die Zweige fuhr, wieder der Wärme geschlagen gab. Das Ziepen auf ihren Wangen verebbte, als hätte ihr Mashiko ein Seidentuch darauf gelegt und sie glaubte zu spüren, dass er wieder ruhiger wurde. Ausgeglichener, so als könne ihm nichts auf der Welt mehr etwas anhaben oder aus dem Tritt bringen. Nichts ... außer ihr. Was für ein Gedanke! Izayoi schalt sich dafür, doch ihre Neugierde flatterte wie ein aufmüpfiger Schmetterling in ihrem Bauch und erstickte die Furcht davor, einen weiteren Fehler zu begehen. "Tat ... tat es Euch weh?", fragte sie leise. "Als Ihr-?" Überrascht weiteten sich seine Augen, dann neigte er den Kopf und schnaubte fast belustigt. Dachte sie das? Dass es ihm Schmerzen bereitete? Nun, er hatte es nicht eindeutig erklärt, das musste er zugeben. "Nein, damit hatte es nichts zu tun. Ganz gewiss nicht." "Aber als Yuudai Euch mit seinem Schwert angriff?" "Auch das ist etwas Anderes", erwiderte er und rang um die nötige Ruhe ihr gegenüber. Es war doch ein Unterschied, ob er nur daran dachte, dass er ihre Fingerspitzen noch immer bis ins Unterfell zu spüren glaubte oder ob er es in Worte fassen sollte. Bedauerlicherweise schien er nicht darum herumzukommen, sie zu erhellen. Verrückt. Der Daiyoukai legte die Stirn in Falten, denn ihm war nie zuvor ein Mensch begegnet, der in der Nacht und in schwindelerregender Höhe auf einem Ahornbaum derlei fragte. Schon gar keine Fürstentochter, aber für gewöhnlich neigte er auch nicht dazu, einer jungen, unverheirateten Frau eine Reise zu Toutousai vorzuschlagen und ohne Feind in die Bredouille zu geraten. Himmel. Der grantige Dämonenschmied würde behaupten, er sei in eine Schlucht gestürzt und habe sich den Kopf angeschlagen - was nicht allzu unwahrscheinlich war, wenn er darüber nachdachte. Er sollte sich besser auf das Wesentliche konzentrieren und Izayois Tat als ein Versehen betrachten. Mehr steckte nicht dahinter, das durfte er nicht vergessen. Yuudai hatte es hingegen beabsichtigt, und das färbte seine Stimme mit Ernst. "Ein Schwertstreich ist um ein Vielfaches leichter zu ertragen, obwohl ich nicht behaupten kann, dass er mir dadurch angenehmer wird. Im Kampf rechne ich jedoch mit einer solchen Verletzung und kann mich eine Zeit lang beherrschen", verriet er. "Als ich den Kriegsherrn niederwarf, hatte ich aus einem anderen Grund die Geduld mit ihm verloren." "Ihr wart sehr wütend", flüsterte Izayoi. Sie fühlte sich nicht wohl bei der Erinnerung daran, denn das Knurren und die Wucht seines Hiebs ließen sie wieder daran denken, dass er bei den Drachen kaum freundlicher gewesen war. Sein Mitleid besaß Grenzen, vielleicht sogar schärfere, als sie es sich vorstellen konnte. "Hat Yuudai Euch beleidigt, hoher Herr?" "Nicht 'hoher Herr'. Nennt meinen Namen", korrigierte er leise, obwohl ihn dieses Mal ihre Gewohnheit fast erheitern konnte. Sie kamen wohl beide schlecht aus ihrer Haut heraus, nicht wahr? "Aber Ihr habt recht. Es fielen Worte, die ich in diesem Leben nicht mehr wiederholen werde. Er schmähte jedoch nicht mich, sondern Euch. Ich nehme an, es war ihm eine Lehre und es gibt nun eine Schlange weniger im Nest, die Euch etwas Schlechtes wünscht." Der Herr der Hunde sah deutlich, dass sich ihre Augen entsetzt weiteten, doch sie senkte den Blick, eher er ahnen konnte, ob sie sich dadurch gekränkt fühlte. Eigenartig. Sein Herz hielt wenig davon, dass sie ihm auswich, ja, sogar die Fingerspitzen und Lippen fester zusammenpresste, als wisse sie nicht wohin mit ihren fliehenden Gedanken. Die Stille, die zwischen ihnen entstand, wurde überschattet von dem Geruch nach Regen. Kühl und ruhig setzte er sich in der Luft fest, rang unauffällig um seine Aufmerksamkeit. In der Ferne hörte Isamu bereits ein Donnergrollen, und eine Kopfdrehung später sah er ein helles, unruhiges Flackern am Horizont - weit, weit hinter der schwarz vor sich hinwuchernden Baumkrone, die der uralte Ahorn ausgeprägt hatte. Dennoch nahm es ihn nicht gefangen. Es gab Bedeutsameres als ein Gewitter und einen Kampf mit Yuudai, der vier Tage zurücklag. Schlicht löste der Inu no Taishou seine Hand von ihrer zierlichen Schulter und strich ruhig über die knisternde und faltig gewordene Seide an ihrem Arm. Dann zeigte er ein weiteres, ruhiges Lächeln. "Es beschäftigt Euch noch immer", vermutete er. "Wollt Ihr es einmal versuchen, während ich darauf vorbereitet bin? Ihr werdet sehen, Ihr habt keinen Grund mehr, Euch vor mir zu fürchten. Bitte. Ihr seid kein General, der mir nach dem Halse trachtet oder mein Eigentum begehrt. Euer Vertrauen bedeutet mir etwas ... und ich würde nur ungern weiterziehen, ohne es zuvor zurückgewonnen zu haben." "Euer Fell?", hauchte sie fragend. "Ihr erlaubt mir, es zu berühren?" "Ich bitte Euch sogar darum", erwiderte er gedankenversunken, sodass ihm der Flügelschlag einer vorüberziehenden Motte entging. Dann hielt er ihr die Hand hin, um mit einer Kopfneigung zum Erdboden zu deuten. "Würdet Ihr mir folgen? Ich erinnere mich daran, dass Ihr eine solche Höhe nicht sonderlich schätzt." "Kaum", stimmte Izayoi zu, und selbst wenn sie gewollt hätte, wäre es ihr doch unmöglich gewesen, ihm die Geste abzuschlagen. Sie hatte ihm zugehört, jedes einzelne Wort auf der Zunge gedreht, bis ihr seine guten Absichten endlich wieder einleuchteten. Als Frau hatte sie wenig Übung darin, ihn vorher zu unterbrechen oder gar mit dem zu behelligen, was sich ihr Verstand in den buntesten Farben ausmalte, aber der Zug um seine Mundwinkel erdete auch diese Befürchtungen: Er bedauerte, was geschehen war, sehr sogar. Und er sprach noch immer mit ihr, bemühte sich darum, diese doch sehr unangenehme Erfahrung zu zerstreuen. Wie seltsam. "Ihr interessiert Euch stets für meine Gedanken", murmelte sie, während sie ihm ihre Hand reichte, "aber das müsst Ihr nicht. Ihr seid ein Mann, ein Dämon, und Ihr schuldet mir keine Aufmerksamkeit. Eure Reise wird sich nur verzögern und ich bin nicht sicher, ob ich mir diese Schuld aufladen möchte. Derlei ziemt sich nicht für eine zukünftige Fürstin." "Oh, Ihr seid mehr als das, Izayoi", entgegnete er. Dann zog er sie dichter und einen Herzschlag darauf näherte sich der Erdboden bereits in vier, fünf wohlbemessenen Sätzen. Das knirschende Astwerk über ihnen war kaum zur Ruhe gekommen, als er sie schon wieder auf die Beine gestellt hatte - und es schmeichelte Isamu, dass die junge Frau sich nur eingeschüchtert umsah, nicht augenblicklich versuchte, mehrere Schritt vor ihm zurückzuweichen. Nun, er hatte zweifellos Kriegsherren und mit Ofudas hantierende Mönche gesehen, die weniger Mut in den Knochen nährten. Angenehm berührt, kniete er sich ins Gras und musterte die weiß schimmernden Pilze und grauen Flechten, die sich neben allerlei Moosen über das Wurzelwerk schoben. Die Erde roch feucht, doch solange er Herr seiner selbst blieb, konnte er die Nässe vernachlässigen. Ein Daiyoukai litt erst unter der Witterung, wenn er am Ende seiner Kräfte oder Beherrschung angelangt war - und sogar dann gab es kleine, aber feine Unterschiede. Die Wärme einer Frau zu begrüßen, war einer davon. Glücklicherweise hatte ihn Izayoi nur aus dem Tritt gebracht, nicht weiter in Versuchung geführt. Dieses Mal konnte er die Angelegenheit weit nüchterner angehen, ohne sie aus einem Impuls heraus zu Tode zu erschrecken. "Setzt Euch", bot er an und sie gehorchte ohne Widerwort, eiligst darum bemüht, die einfachen Lagen ihres Kimono so glatt zu streichen wie nur möglich. Einen kurzen Moment schien sie zu erwägen, die Fingerspitzen in die Tiefen ihrer mit silberner Seide bestickten Ärmelschleppen zurückzuziehen, doch dann blieben sie schüchtern auf dem Persimonen-Orange des Stoffes liegen. Izayoi konnte nicht verhehlen, dass es ihr unangenehm war, beinahe den schmalen Streifen ihres Handgelenks bloßzulegen, doch ... nein, das war albern. Er hatte Schlimmeres gesehen: Ihren blanken Knöchel, einen zerrissenen und einst sorgsam wattierten Saum. Von ihren verwüsteten Haaren, deren Schildpatt-Nadeln auseinandergesplittert waren, ganz zu schweigen. Nun, gewissermaßen entbehrte sie auch jetzt jeder Tradition. Die schwarzen Strähnen flossen schwer an ihren Schultern hinab und ihre Wangen zeigten ihre Verlegenheit. "Es wird niemand erfahren, dass ich so dicht bei Euch saß, nicht wahr?" "Nein", entgegnete er, bevor er die Stimme dämpfte. "Aber Ihr könnt es Eurer Dienerin erzählen, sollte Euch einmal der Sinn danach stehen." "Mashiko würde mich fürchterlich dafür schelten." Vielleicht sogar durch den Fürsten bestrafen lassen, obwohl ihre Amme sonst ein Herz besaß, das mit Gold und Ehre allein nicht aufzuwiegen war. Sie hatte stets auf sie geachtet, im Fieber und auch bei schlechten Träumen, war ihr hinterher geeilt, wenn sie lachend durch die Teiche springen wollte oder dickköpfig ein Holzschwert an sich riss. Und Mashiko war bei ihr geblieben, obwohl Chidori ihr das Geleit befahl, da es in der gesamten Residenz ihres Großvaters keine Frau gab, der bloß eine von Dutzenden Gebärenden im Kindbett verstorben war. Izayoi hatte nie erfahren, wie es Mashiko gelungen sein mochte, sich zu widersetzen und das auch noch zu überleben, doch sie wollte ihrer Dienerin keinen neuen Kummer aufbürden. Mashiko hatte sich nach all den Jahren nur eine einzige Nacht für sich ausgebeten und sie dann mit Ungehorsam zu enttäuschen ... wie hätte sie das über sich bringen sollen, indem sie ihr später ein solches Detail beichtete? Nie. Es bedeutete ja auch nichts. Er war ein Dämon ohne Hintergedanken und ohne Absicht sie zu heiraten, das hatte er selbst gesagt. Dennoch tat Izayois Herz einen verräterischen Schlag, als sich der Weißhaarige vorlehnte und ihre Hand mit der seinen bedeckte. Sie sah das Gold in seinen Augen funkeln, hörte einen kleinen Kauz hoch oben in den Zweigen rufen, aber sie schwieg, während er ihre Fingerspitzen allmählich höher zog. Dann verschränkte er sie mit den seinen, ohne Hast, ohne Eile. "Konzentriert Euch auf einen Unterschied", forderte er ruhig. "Wie fühlt sich das an?" "Rau ... und warm. Eure Hand ist warm", sagte sie leise, während Izayoi der Gedanke ereilte, dass sie nie zuvor jemanden so bewusst berührt hatte. Schon gar keinen Mann, auch wenn sie im Affekt oder aus Freude heraus, Takemaru das ein oder andere Mal ... aber nein, das war nicht das gleiche. Der erste General ihres Großvaters hatte eine stille, duldsame Art an sich, die jedesmal in etwas umschlug, das sie nicht verstand: Als Knabe war er stolz und unerschütterlich gewesen, hatte ihr mutig hin und wieder ein Wort zugerufen, von dem sie beide wussten, dass es nicht für eine Fürstentochter bestimmt sein konnte. Und nachdem er zwei volle Sommer auf den Feldern verbringen musste - vom Regen durchnässt, von der Sonne gereizt -, hatte ihn Schweigsamkeit heimgesucht. Takemaru und der hohe Herr unterschieden sich in diesem Punkt wie der Tag und die Nacht voneinander, trotz aller Gemeinsamkeiten: Wenn sie einen Raum betraten, folgten ihnen die Blicke und tapfere Männer verloren ihre Zuversicht, sobald sie das Schwert zogen. Aber hier gab es keinen Kampf, keine Wut. Umgeben von dem Rauschen der Wipfel und den undurchdringlichen Schatten, in denen Äste und Zweige knackten, fühlte sie nur Nervosität und Neugierde. Dann schloss Izayoi die Augen und ließ ihre Fingerkuppen federleicht über die seinen wandern. Ihre Mundwinkel huschten empor, weil es nicht schwer zu erraten war, dass er seine Hände weniger schonte als sie ihre eigenen. "Ihr tragt sehr oft ein Schwert", flüsterte sie, sobald sie behutsam tiefer wanderte, "und Ihr habt zwei Narben, die sich hier wie Mondsicheln entlang ziehen." "Mein Sohn ist nicht ungeschickt", verriet der Herr der Hunde in milder Faszination, während sich ein Kribbeln geisterhaft bis in seinen Unterarm stahl. "Ein Kampf?" "Nein, nur seine Fangzähne, als er noch ein Welpe war." "Oh." Izayoi schlug ihre Wimpern wieder auf, ein wenig beschämt darüber, dass sie an solch einer Erinnerung rührte. Sie hatte Neugeborene gesehen, die herzhaft schrien, doch von solchen, die bissen, war ihr nie etwas zu Ohren gekommen. "Es muss sehr gefährlich sein, wenn man nicht auf sich achtet." Einen Augenblick sah er sie an, dann begann er leise zu lachen. Ein rauer und amüsierter Laut, als könne er etwas vor sich sehen, was ihr verborgen blieb. "Dieser Einwurf würde Sesshoumaru gefallen", mäßigte er sich bald wieder und seufzte vergnügt. "Allerdings sollte ich Euch korrigieren. Eine Mutter braucht ihr eigen Fleisch und Blut nicht zu fürchten, denn ihr Geruch ist einem Welpen wohlvertraut. Der Vater hat in dieser Angelegenheit ein schlechteres Blatt gezogen, doch das hilft ihm wenig. Die ersten zwei Wochen gebühren ihm, da sich die Frau von den Strapazen der Niederkunft erholen muss. Ich achtete allein auf ihn. Meine alten Freunde Myouga und Toutousai, zu dem wir reisen, hatten jedoch allerlei Ratschläge parat." Erstaunt hob Izayoi ihre Augenbrauen. Männer, nein Dämonen, die auf Kinder achteten? "Wie abenteuerlich." "In der Tat. Bedauerlicherweise hielt mein neugeborener Sohn wenig davon, seinen Hunger erst später zu entdecken, so wie es üblich gewesen wäre. Ich verdanke ihm einige Kerben und es würde ihn verärgern, wüsste er, wie leicht er sie mir damals schlagen konnte." Heiter zog er die Luft in die Lungen, dann umfasste er ihre Fingerspitzen wieder mit sanftem Nachdruck. Es erstaunte den Inu no Taishou wie glatt und zierlich sie waren - und wie wenig Unterschiede er zu den Händen einer Dämonin feststellen konnte. "Wenn Ihr einverstanden seid", lächelte er, "versuchen wir es nun mit dem Fell." Izayoi nickte, aber ihre Fingerknöchel spannten sich an, weil sie nicht wusste, ob es ihm recht wäre, sollte sie selbst ... oh. Das beantwortete wohl ihre Frage: Er war derjenige, der ihre Hand zu seiner Schulter führte. Natürlich, was hatte sie auch erwartet? Verlegen neigte sie das Kinn, während die Gräser unter ihren Knien knisterten und sie sich langsam vorlehnte. Die Wärme, die von ihm ausging, schien sich zunehmend auf ihrer Haut zu verdichten, glitt wie ein hauchdünner Schleier über ihren Hals und kribbelnd unter den Seidenkragen. Dann spürte sie die ersten Härchen unter den Kuppen ... und war überrascht. "Es ist viel weicher als vorhin", flüsterte sie und sah gebannt auf das helle Fell, das sich ohne jede Widerwehr berühren ließ. Fast hätte sie geglaubt, dass es sich an ihre Hand schmiegte, doch nein, der Eindruck täuschte. Sobald sie weiterstrich, legte es sich glatt und seidig an, bis der nächste Windhauch es bewegte und sie der unscheinbare Anblick zu einem Lächeln verführte. Die Wipfel über ihnen rauschten geheimnisvoll und dunkel, als sie zu ihm sah. "Ihr hattet recht", gestand sie leise ein. "Ich hätte mich nicht vor Euch fürchten müssen." Sein Mundwinkel huschte empor, doch seine Lippen lösten sich um keinen Fingerbreit voneinander. Nur der leichte Druck, der von seiner Hand aus auf ihre Fingerspitzen überging, verlieh der stillen Zustimmung Gewicht - und er war dankbar darum, dass sie sich nicht länger auf seine Züge konzentrieren wollte. - - - - - - - Sollte sie aber in Kapitel #25, "Löwenmaul II", tun, oder? Kapitel 25: Löwenmaul II ------------------------ Apfelblüte - Löwenmaul II - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 96 Isamu sah zu Boden, um in Gedanken jeden einzelnen Grashalm zu mustern, der federweich gegen einen anderen schlug, doch das Rascheln fand in seinen Sinnen keinen Platz mehr. Alles, was er wahrnahm, war das schimmernde Persimonen-Orange ihres Kimonos - und das verheerende Gefühl unter seiner Haut. Es flüsterte ihm Dummheiten zu, Ideen und Träumereien, die nicht weniger wurden, als er den Glanz ihrer Augen bemerkte. Wie verrückt. Er kannte sie erst wenige Sonnenaufgänge, aber sie schien ihm bereits vertrauter als jede andere, menschliche Fürstentochter. Wenn er ihre dichten Wimpern betrachtete oder die Linien, die sich über ihren Wangenknochen abzeichneten, hätte er sogar seine rechte Hand dafür in eine Kohlenpfanne gelegt, sie blind nachfahren zu können. Doch ihre Jugend würde keine Jahrhunderte anhalten, so wie es die seine getan hatte: Die Zeit grub bereits feine Furchen in ihre Haut, und bald wären ihre Lippen, die nun neugierig aufeinander bissen, dünn und pergamentartig. "Izayoi ..." Ihr Blick flog ihm zu, erst überrascht, dann wieder erfüllt von der alten, liebgewonnenen Schüchternheit. "V-verzeiht", flüsterte sie, auch wenn sich die junge Frau fast töricht dabei vorkam: Er hielt ihre Hand noch immer gefangen, strich sogar mit den Kuppen darüber, als wäre sie so zart wie ein Maulbeerblatt. Nie hätte sie vermutet, dass ein Dämon ... ach, was dachte sie nur? Sogar die silbern bestickte Schleppe ihres Ärmels rutschte dank ihrer Unaufmerksamkeit zurück und gab den Anblick auf einen Streifen Haut frei, doch all das schien an ihm abzuperlen. Nun, natürlich. Sie hatte sein Wort, sie zu achten, und das gab ihr den Mut, sich die Seide nicht augenblicklich wieder an die rechte Stelle zu ziehen. Himmel, wie rebellisch sie doch in seiner Nähe war! Izayois Mund kräuselte sich, ehe sie ein letztes Mal über die dichten Härchen seines Unterfells strich und die von ihr angerichtete, zerzauste Unordnung wieder glättete. "Fühlt es sich auch für Euch anders an? Eure Augen ... sie haben sich gar nicht mehr verändert." "Ich wollte mich nicht hinreißen lassen", gestand er unter einem flüchtigen Lächeln. "Würdet Ihr beschließen, deshalb fortzulaufen, wäre dies kein guter Ort für Euch. Seht Euch um, der Schein trügt." Unstet deutete er mit der freien Hand in die Umgebung, die von grauen Farnen und Wurzeln beherrscht wurde. Hin und wieder fanden sich im Moos modrige, umgestürzte Baumstümpfe, auf denen ganze Teppiche von geisterhaften Schirmkappenpilzen gediehen und jeder einzelne glühte geheimnisvoll in der Nacht. "Bricht die Dämmerung herein, erwachen sie alle zum Leben. Es sind verschlagene, listige Kreaturen mit Füßen wie Eure und meine, die von einer Beute über Monde hinweg zehren können und weder Freund, noch Feind kennen. In meiner Nähe habt Ihr jedoch nichts zu befürchten." "Ihr seid ganz sicher? Es müssen unzählige sein." Seine Miene sprach Bände, doch es lag weder Spott, noch Hohn in seinen Mundwinkeln begraben. Nein, dafür rührte ihn ihr Schaudern zu sehr, und er hatte nicht vor, es zu seinem Vergnügen zu schüren. "Ich bin kein unbedeutender Mann, den sie leicht überwältigen können. Es wäre sogar ihr sicherer Tod, sollten sie auch nur versuchen, Euch meiner Gesellschaft zu entreißen - und das wissen sie." Izayoi zog ihre Augenbrauen zusammen und schickte sich an, ihre Lippen zu einer weiteren Frage zu öffnen, aber dann hielte sie verwirrt inne. Ihre Fingerspitzen begannen kräftiger zu kribbeln, während sich sein Fell bewegte und die Wipfel über ihr auf einmal hörbar knisterten und wogten. Wie ... wie war das möglich? Es wehte kein Wind und dennoch neigten sich die Silhouetten der Bäume wie gekrümmte Spinnenbeine bis zum Horizont. Als kleines Mädchen hatte sie oft versucht, Shōgi-Spielsteine auf diese Weise zu kippen, bis ihr der alte Daimyo lächelnd berichtete, dass ihr Versuch vergebens war. Dann begannen ihre Wangen zu brennen - und innerhalb eines Atemzugs war der Spuk wieder vorbei. Oder? Rasch drückte sie die freien Fingerknöchel gegen ihre Haut, prüfte, ob sie sich das alles eingebildet hatte. Sie ... sie war sich nicht sicher, denn ein Teil der Wärme dauerte an und es gab nicht wenige Blätter in den Haselnussbüschen, die auch weiterhin knisterten. Izayoi konnte es nicht bemerken, doch für einen Daiyoukai und jeden anderen, niederen Dämon blieb ein dünnes, warnendes Flimmern in der Luft. Nur ein Schwarm Glühwürmchen, in deren Mitte eine braungefleckte Motte flatterte, gab nichts auf die Anwesenheit des Herrn der Hunde. "Youki", verriet er leise. "Es birgt viel Verantwortung, damit im Gleichgewicht zu bleiben und würde es versiegen, wäre ich nicht mehr lange auf dieser Welt." Oh. "Als Ihr zu Yuudai gegangen seid ..." "Ja", stimmte er zu, "auch das war es. Ihr müsst wissen, Sandkörner und Kieselsteine sind leicht zu bewegen, wenn ein Dämon meines Alters danach trachtet, ein wenig Eindruck zu schinden. Unter meinesgleichen ist es eine einfache Aufforderung, einem Schwächeren den Rückzug nahezulegen, doch es vermeidet bedauerlicherweise nicht jeden Kampf. Nicht lange, bevor ich Euch traf, gab es östlich von hier etliche marodierende Panther, die sich bereits heimisch wähnten. Ihr Anführer war ein unangenehmer, herrischer Geselle mit treffsicheren Pranken." Izayois Augen weiteten sich schockiert. "Ihr wurdet verletzt?" "Der ein oder andere Kratzer", gab er zwinkernd zu. "Mein Sohn ist im Training kaum zimperlicher, seitdem ertrage ich mein gegerbtes Fell meist mit Fassung. Nun, ich hatte auch siebenhundert Jahre Zeit, mich an Sesshoumarus Eifer zu gewöhnen, nicht wahr?" Isamu sah sie an, dann begann er leise zu lachen und als das Geräusch wenig später verebbte, strich er fast zärtlich über ihren Handrücken. Danach umschloss er ihre Fingerspitzen und zog ihre Hand behutsam aus seinem Schulterfell, doch frei ... nein, frei gab er sie noch immer nicht. Erstaunlich. Obwohl er Izayois Herzschlag flattern hören konnte, ließ sie ihn unter einem scheuen Seitenblick und schmalen Lippen vorerst gewähren. Vielleicht lag es daran, dass sie ihm ohnehin näher war, als es jede Teezeremonie gestattet hätte: Sie kniete im Gras, kaum mehr als eine halbe Armeslänge von ihm entfernt und stellte Fragen, die ihn längst die Zeit vergessen ließen. Nachdenklich schöpfte der Herr der Hunde Atem, ehe er den Kopf neigte. Was war er doch für ein Narr. Wenn er sich weiter auf diese Weise mit ihr unterhielt, kämen sie nie zu Toutousai. "Wir sollten aufbrechen", erinnerte er ruhig, während er die feinen Fältchen am Kragen ihrer Kimonoseide musterte. "Werdet Ihr mir einen zweiten Versuch gestatten, Euch zu tragen?" "Ich ..." "Ihr habt noch etwas auf dem Herzen?" "Ja", hauchte sie, "aber ich möchte nicht unhöflich sein." "Nur Mut." Oh, er hatte leicht reden! Wie sollte sie das denn beginnen? Izayoi geriet in Versuchung ihrer Schultern höher zu ziehen, bevor sich ihr Blick erneut zu seiner Hand verirrte, welche die ihre unverändert umschlossen hielt. Sie fühlte sich warm an, und rau. Sie wollte wissen, was diese Geste unter Dämonen zu bedeuten hatte, doch es konnte nicht allzu viel sein: Er tat es so selbstverständlich, dass ihr die eigene Gänsehaut wie eine fürchterliche Albernheit vorkam. Aber war es das auch? Leise atmete sie aus und versuchte sich zu sortieren. Es gab nicht viele Hände, deren Fingerkuppen je über die ihren gehuscht waren. Mashiko und ihre Dienerinnen berührten sie häufig, wenn sie ihr beim Ankleiden der Kimonoschichten behilflich waren. Doch wenn sie an ihre Schwester Chidori, Großvater oder auch nur einen weiteren Mann dachte ... an Takemaru ... Himmel, die Namen der Menschen, denen keine Strafe dafür blühte, passten auf das Blatt einer Lotusblüte! Eine solche Geste gebührte einem Ehemann, aber die Wärme in seiner Nähe war ein heimtückischer Ratgeber. Ob sie ihn fragen durfte, was er sich dabei dachte? Nein, das brachte sie kaum über die Lippen. Vielleicht ... wenn sie sich herantastete und ihn noch einmal ins Plaudern brachte? Er hatte ihr von seinem Welpen erzählt, der ihr eher wie ein furchterregender, junger Mann erschien. Vielleicht erhielt sie auch einen anderen Hinweis von ihm. Isamu, dem das Warten doch ungewöhnlich lang erschien, hob beide Augenbrauen. "Ist es ein Geheimnis?" "N-Nein!" "Fürchtet Ihr Euch davor, einen dämonischen Schmied zu treffen?" Überrumpelt blinzelte Izayoi: Sie ... sie sollte ihn leibhaftig sehen? Einen Youkai, der Waffen schuf? Aber sie war eine Frau, ein Mensch. Keiner unverheirateten Fürstentochter war es gestattet ... Das brachte sie sichtlich aus dem Konzept und sie fühlte sich schrecklich unbedarft, weil sie daran gar nicht gedacht hatte. Allein wenn sie zu den weißen Schirmkappenpilzen spähte, überkam sie ein Schauder, weil sich der Schmied in ihrem Verstand zu einem klauenschwingenden, rachsüchtigen Monster auftürmte. "Ich", stotterte sie nervös, "ich bin sicher, dass ich dazu keinen Grund habe." "Kaum", erwiderte er verschmitzt, bevor er sich nach einem tiefen, heiteren Atemzug aus dem Gras schälte und sie dabei trotz ihrer Überraschung mit sich zog. Als sie standen, frischte der Wind in einem Heulen auf und fuhr ihm durch die weißen, zusammengebundenen Haarsträhnen. Eine Weile flatterten sie von links nach rechts, doch weder ihr Blick, noch die Art wie sie Luft holte, brachen die Stille. Nun gut. "Ihr könnt es mir auf dem Rückweg verraten", bot der Herr der Hunde an, in dessen Brust sich längst ein angenehmer Frieden ausgebreitet hatte. 97 Er musste von allen guten Geistern verlassen sein. Myouga wurde kreidebleich. Dann riss er überstürzt seine Finger zurück und versuchte fortzuspringen, doch auf dem knorrigen Ast des Apfelbaums kam jede Tat zu spät: Das Fell hinter ihm donnerte mitsamt der Härchen in die Höhe und ehe er auch nur einen Schrei hervorgebracht hatte, fuhr siedendheißes Youki über ihn hinweg. Das Nächste, was der Flohdämon spürte, war ein Gefühl, als ob man ihm die Luft aus den Lungen presste. Sein Krächzen brachte sogar das Blätterrascheln zum Verstummen, dann baumelte er eingewickelt und halb erdrosselt in der Luft. Sein ersticktes Heulen durchdrang nur einen Herzschlag später die Nacht: "Oh bitte, bitte! Es war keine Absicht, verehrt-" Die Entschuldigung blieb Myouga prompt im Halse stecken, weil er noch im gleichen Augenblick herumgeschleudert wurde und in einer Ansammlung aus Baumpilzen landete, die wie Reisig auseinander flogen. Die zerbrochenen Stücke polterten links und rechts von ihm in die Tiefe, ehe sie dort zwischen den Grasnarben mit einem hohlen, knackenden Laut ein weiteres Mal zersprangen - und trotz aller schmerzenden Glieder jappste Myouga vor Erleichterung. Grundgütiger! Das hätte auch er sein können! Dann bemerkte er die rotglühenden Augen über sich, und wurde gleich wieder blass. "Bitte nicht!", quietschte der kleine Flohgeist, aber ehe er auch nur seine Stirn auf die Rinde gelegt und um sein Leben gebettelt hatte, übertünchte ein eisiges Flüstern jeden Laut. "Rühr mich nie wieder an." "Nie wieder, Sesshoumaru-sama!", bestätigte Myouga jammernd, um sich dann klein und unsichtbar wie eine Mücke einzuigeln. Fast hätte er sich dabei an seiner eigenen Spucke verschluckt, während ihm der Schweiß auf der Stirn geschrieben stand. Bei der grätigen Fürstin aber auch! Was hatte er sich bloß gedacht? Der Welpe seines Meisters war in einem empfindlichen Alter, so wie alle Halbwüchsigen vor ihrem neunhundertsten Geburtstag. Sogar der Inu no Taishou pflegte ihn mit einer Warnung zu bedenken, wenn er zu inbrünstig in sein Fell griff. Er konnte darin sitzen, jawohl, manchmal sogar nahe des Halses schlafen, aber soetwas doch nicht! Das durften nur- "Myouga." "J-ja?", fuhr der Flohgeist verängstigt auf. "Ich erwarte eine Erklärung." Huh? ------ Der arme Floh. In Kapitel #26, "Löwenmaul III", erfahrt ihr, warum es manchmal so schwer ist, mit dem Inu no Taishou bekannt zu sein ... Kapitel 26: Löwenmaul III ------------------------- Apfelblüte - Löwenmaul III - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 98 Kühl wie die Nacht starrte Sesshoumaru auf den Flohgeist herab, bevor er die Lippen schmälerte und seine Zeit verschwendet glaubte. Die Streifen auf seinen Wangen sahen dabei genauso tödlich aus wie die Spuren, die er für gewöhnlich an den Hälsen schwächerer Dämonen hinterließ. Myouga schluckte sichtlich nervös. "Ihr meint-?" "Vater", half ihm der junge Hundedämon eisig auf die Sprünge. Oh Gott! Dieser Einwurf war noch schlimmer als jeder andere, der ihm in den Sinn kam. Wieso konnte der Welpe nicht ein wenig einfältiger sein? Harmloser? Warum ging es ihm nicht darum, weshalb ihm die Hofdamen seiner Mutter den ein oder anderen Augenaufschlag gönnten? Myougas Wangen glühten in einem ungesunden, fleckigen Rot, bis er krächzend all seinen Mut zusammen nahm und sich die Stirn mit einem Tüchlein abwischte, das er sonst in seinen Ärmeln verborgen hielt. "D-der mächtige Inu no Taishou, Euer Vater", begann der kleine Dämon angespannt, "scheint sich in den Kopf gesetzt zu haben, mit der menschlichen Fürstentochter zu Toutousais Vulkan zu reisen. Das ist verrückt, nicht wahr?" Und wie! Warum konnte der alte Hund nicht bei ihm bleiben und den Welpen mit einem Blick zum Schweigen bringen, ehe er im Dickicht verschwand?! Das war ungerecht! Heimtückisch! Und ein einziges Knurren darauf wurde es so mucksmäuschenstill in den Wipfeln des Apfelbaums, dass sich Myouga bereits in hunderte Häppchen zerschnitten glaubte. 99 Das Zirpen der Zikaden schwoll an, ehe es abebbte und wieder von Neuem begann. Es war ein Kommen und Gehen wie die Welle eines Flusses, die gegen die Uferböschung schlug, während sich die Baumwipfel allmählich lichteten. Die frisch begrünten Äste verkamen zu knorrigen Zweigen, Steine ersetzten mannsdicke Wurzeln - und dann, nur wenige Sprünge Isamus später, wechselte die Landschaft in ein Meer aus schwarzschimmernden Gräsern bei Nacht. Der Wind brachte einen Schwall stickiger, heißer Luft mit sich und umschmeichelte Pflanzen, die Izayoi nie zuvor gesehen hatte. Da waren dicke Trauben aus Farn und fedrige Halme, die ihr bis zu den Knien reichen mussten, und dazwischen funkelten Hunderte gelber, dämonischer Augenpaare. Die Schatten der Kreaturen schienen bloß faustgroß zu sein, aber der Fürstentochter saßen noch immer die Erzählungen über die geisterhaften Schirmkappenpilze in den Knochen. Hier war alles fremd und eigenartig, bedrohlich und unheilvoll. Sogar die Rohrbinsen, die bald dichte, nebelverhangene Teiche ankündigten, wuchsen höher und breiter, als ob in ihnen die Gefahren eines ganzen Lebens lauerten. Instinktiv barg sie sich dichter an der glänzenden Kimonoseide, während ihre Fingerspitzen neuen Halt suchten und die Falten zusammenpressten. Ihr Atem geriet flatternd und das weckte die Aufmerksamkeit des Herrn der Hunde. Zwischen einem weiteren Satz, der ihn vom Gras aus über einen überwucherten Graben brachte, bedachte er sie mit einem Lächeln. "Seid unbesorgt", sagte der Inu no Taishou. "Hier gedeiht nur der Laich der Froschdämonen. Sie müssten schon sehr mutig sein, um sich an die Fersen eines Daiyoukais zu heften. Euch sollte mehr Sorge bereiten, dass ich vergesse, an welchen Stellen der Boden Wasser führt." "Wie?", fragte sie verblüfft. "Ich bin nicht unfehlbar", erwiderte er voller Schalk. "Auf diesen Ebenen gibt es stets neue, versteckte Bachläufe, und als ich jung war, brachte mir der Übermut das ein oder andere unfreiwillige Bad ein." "Ihr ... Ihr seid gestolpert, hoher Herr?" Das Erstaunen, das sich auf ihren Zügen ausbreitete, ließ sie für einen Moment die Schatten vergessen, die sich in ihren Augenwinkeln zusammenrotteten und die unheimlichsten Geräusche erschufen. Ein Zischen und Zetern, dazwischen das Flüstern von Gräsern, die seidig übereinander kratzten. Aber wie sollte sie sich das auch vorstellen? Seine Schritte erschienen ihr so sicher - und dort, wo sie nur Umrisse sah, schien sich für ihn alles rasiermesserscharf abzuzeichnen. "Ich war ein Welpe, und ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich mich wie einer benahm. Toutousai empfand mich bei meinen ersten Besuchen als wenig beeindruckend, und er erinnert mich gern an diese Momente. Ich nehme an, man behauptet unter Menschen Ähnliches: Es sind die Fehler, die aus unbedarften Kindern gute Männer formen. Man muss nur lernen, sie und sich selbst zu ertragen." "Oh. Es klingt so einfach, wenn Ihr das sagt." "Aber das ist es nicht. Kein Feind verlangte je mehr Geduld von mir als meine eigenen Schwächen." Izayoi spitzte unstet die Lippen, doch ihr erster Gedanke wagte sich nicht auf ihre Zunge. Sie wusste nicht, ob es ihm recht war, wenn sie sich anmaßte, über seine Makel zu reden. "Sieh an", bemerkte er in mildem Erstaunen, "wir haben Glück." Glück? Sie versuchte verwirrt seinem Blick zu folgen, doch er änderte seine Richtung so rasch, dass ihre Sinne kaum mit den verschiedenen Eindrücken zurechtkamen. Nur eines wurde Izayoi klar: Der Erdboden unter ihnen wurde wieder schroffer und die Grasnarben platzten auf, als hätte jemand Steine dazwischen geworfen und wartete darauf, dass sie mit neuen Flechten bedeckt wurden. Es dauerte nicht lang, dann landete er butterweich nahe einer Baumgruppe, um die sich feuchter Nebel und Farn gewickelt hatte. Huh? Die Falten auf ihrer Stirn wurden nicht weniger, als er sie zwischen dem nachtschwarz schimmernden Grün absetzte, doch ehe Izayoi fragend ihre Lippen öffnen konnte, hatte er ihr einen Finger darauf gelegt. Kein Wort, formte sein Mund, bevor es in seinen goldenen Augen heiter blitzte und er mit einer Neigung seines Kopfes auf einen Schemen deutete. Unschlüssig sah sie an seinen breiten Schultern vorbei, dann wurde sie leichenblass. Um ein Haar hätte Izayoi beim Anblick der drei aufgerissenen Kuhaugen einen Laut von sich gegeben, aber es gelang ihr, das Geräusch zu ersticken, bevor es sie in Bredouille brachte. Um ... um Himmels Willen! War das etwa auch ein Dämon? Es musste einer sein. Sie kannte Ochsen, doch dieser hier war schon kniend viel größer als jene der Bauern, die sich zwischen Reisfeldern und Frühlingszwiebelsaaten tummelten. Nie zuvor hatte sie solche Muskelberge gesehen, aber das Tier ließ nur die Quaste durch die Luft wirbeln und kaute - durchaus nervös - auf einem abgerupften Blatt umher. Wollte der hohe Herr ihn essen? Nein, das erschien ihr zu abenteuerlich. Bestimmt wäre das Wesen geflohen, statt sich weiterhin an den Farn am Boden zu drücken und die Hufe unter dem Leib zu halten. Angespannt beobachtete Izayoi, wie Isamu sich von ihr löste und in aller Seelenruhe das Band fester zog, das seine vom Wind zerzausten Strähnen im Zaum hielt. Ein Teil der Wärme ging mit ihm und ließ sie in einem Frösteln zurück, bevor ihre Augen groß wurden. Größer noch als die Teller, von denen sie für gewöhnlich Buchweizennudeln mit ihren Stäbchen pflückte. Erst jetzt erkannte sie, dass hinter dem Wanst des Ochsen, zur Baumseite gelehnt, noch jemand im gestreiften Baumwollkimono lag, und tief und fest im Schlaf grunzte. Der hohe Herr würde doch nicht-? 100 "Du ungezogener Bengel eines Fürsten! Mach das nie wieder. Nie wieder, sage ich!" Empört schnappte der Dämon nach Luft, während seine eingefallenen Wangen unter den Atemzügen bebten und zitterten, bis ihn das amüsierte, raue Gelächter soweit erdete, dass er Gift und Galle auf die Zunge brachte. Unfassbar, wozu sich ein Daiyoukai heutzutage hinreißen ließ. Sah er aus wie ein Geflecht aus Moosen, das man einfach packen konnte? Ja? Ja? Nein, tat er nicht! Innerhalb eines Wimpernschlags wurden seine hageren Gesichtszüge griesgrämig und mürrisch, dann hatte er seine Selbstbeherrschung zurück und sortierte die plattgelegenen Haarbüschel auf einer Schläfenseite. "Sehr unterhaltsam", knurrte er angefressen. "Jetzt hör schon auf zu lachen! Wenn dir das dieser elende Flohgeist eingeflüstert hat, sollte er besser das Weite suchen." "Ich fürchte, Myouga ist nicht hier, alter Freund." "Pah! Wenigstens eine gute Nachricht. Und du? Verschwindest du endlich wieder, nachdem du deine Scherze mit mir getrieben hast?" "Kaum. Aber es ist mir wie immer eine Ehre, dich nach all der Zeit wiederzusehen, Toutousai." "Das habe ich gesehen. Spar dir diese Heuchelei! Du weißt so gut wie ich, dass es kaum fünf Sonnenaufgänge her ist. Hinter deinen Ohren sitzt der Welpenspeck und Schalk fest, das predige ich schon seit Jahrhunderten. Aber unternimmt jemand etwas dagegen?" Trotzig rümpfte der Dämonenschmied die Nase, bevor er sich die letzten Erdbrocken von den grünen Stoffen klopfte und zu seinem Ochsen starrte. Auf den war auch kein Verlass mehr. Moment. Hatte der gerade eines seiner Augen über sein Gehabe verdreht? Eine Unverschämtheit war das! Ihm gebührte Respekt, Ehre - und vor allem ein Hundedämon in der Nähe, der sich erst überaus umständlich niederkniete, ehe er ihn ansprach, statt ihn wie eine Beere aus den Büschen zu rupfen! Toutousai blies erneut seine Wangen auf, dann lunzte er an Blattwerk und Nebelschlieren vorbei und blieb an der leuchtend weißen Seide kleben, die mit dunkleren, stahlblauen Streifen verziert war. Es entzückte den alten Griesgram über die Maße, dass sich der Herr der Hunde wieder zur Seite drehte, weil das seine Hoffnung befeuerte, ihn doch schneller loswerden zu können. Aber ein Blinzeln darauf änderte sich alles. Was zum-?! Ungläubig stierte Toutousai auf die Hand des Inu no Taishou, der gerade unter einem warmen Lächeln die Fingerspitzen eines Menschenkindes umfasste. Die junge Frau hielt den Blick gesenkt, während er sie so bedächtig über einige Wurzeln zog, als fürchtete er, sie wäre eine Tonschale, die sonst zerbrechen musste. Sogar in der Finsternis konnte der Dämonenschmied erkennen, dass ihren Wangen derselbe Schimmer anhaftete, der auf ihren persimonenfarbenen Stoffen lastete. "Oh Gott", faselte der Greis, bevor er den Daiyoukai anstarrte. "Ich habe einen Albtraum." - - - - - - - Es wird noch schlimmer in Kapitel #27, "Heidekraut I". Kapitel 27: Heidekraut I ------------------------ Apfelblüte - Heidekraut I - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 101 Ein ... ein Albtraum? Izayoi war von dem unverblümten Schnaufen überrascht, doch sie wagte erst den Blick zu heben, als sich der hohe Herr von ihr abwandte. Hinter Isamus Schulter und dem dichten Fell verschwand sie fast, aber zu ihrem Glück war sie mehr als geübt darin, innerhalb eines Wimpernschlags einen Eindruck zu erhaschen. Oft blieben ihr in Großvaters Nähe nur wenige Atemzüge, um die Launen der Gäste abzuwägen, bevor sie sich rasch niederknien musste. Aber dieser greise Dämon ... sie hatte ihn sich ganz anders vorgestellt. Er hielt sich krumm wie ein lustloser Schwertmeister. Dazu stand ihm ein Haarbüschel ab und um seine Lippen spielte ein Ausdruck, der an Spott und Besserwisserei kratzte. Ohne die spitzen Ohren, die sich in der Nacht dünn und pergamentartig ausnahmen, hätte sie ihn für einen harmlosen Alten halten können, der seinen Respekt gegen Überheblichkeit und Gnatz getauscht hatte. Oh! Mit dieser Einschätzung tat sie sich bestimmt keinen Gefallen. Was verstand sie schon von den Launen eines Youkais? Am Ende erzürnte sie den Schmied durch einen unbedachten Atemzug oder er nahm es ihr übel, dass sie als Frau und schwacher Mensch überhaupt zu stehen wagte. Sie sollte sich lieber zwischen die Gräser und Halme werfen, auch wenn sie das dicht vor das Maul des Ochsendämons brächte. Aber wie? Ihre Hand lag noch immer in der Isamus. Er hielt sie warm und bestimmt fest, ohne dass er auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden schien, sie freizugeben. Es war ein eigenartiges, vertrautes Gefühl, als er über ihre Fingerknöchel strich - und sie musste sich mit einem Schlucken daran erinnern, dass diese Geste in der Welt eines Dämons nichts bedeuten konnte. Nein, ganz bestimmt nicht. Er hatte ihr sein Wort gegeben, sie auf dieser Reise zu ehren und vor Unheil zu bewahren, nicht in Verlegenheit zu bringen. Ach, wenn er wüsste ... Izayoi blinzelte, dann verwarf sie den Gedanken, sich zu befreien und klein wie ein Efeublatt am Boden zusammenzukauern. Man wünschte sie aufrecht und es war ihre Pflicht zu gehorchen, auch wenn sie nicht wusste, wohin mit ihren Gefühlen. Mit schneller klopfendem Herzen senkte sie den Kopf und betrachtete einen Kieselstein, der von den wulstigen Lippen des Tieres beiseite geschoben wurde, um ein Büschel Farnwerk auszurupfen. Sogar der Ochse sah sie an, als hätte er etwas Belustigendes entdeckt. Ob ... ob er ebenfalls sprechen konnte? Nun, der hohe Herr ließ ihr keine Zeit zu grübeln. Auf seinen Zügen hatte sich die Verblüffung wieder vertreiben lassen, wenn sie seinen Tonfall und das leise, dunkle Lachen, welches ihren Nacken zum Kribbeln brachte, richtig deutete. "Wie immer findest du die blumigsten Vergleiche, alter Freund. Ich hatte gehofft, dass dich der Anblick etwas aus der Fassung bringt, um ehrlich zu sein." "Sie ist ein Mensch", erwiderte Toutousai schroff. "Eine Frau", berichtigte er, "und dessen bin ich mir vollkommen bewusst." "Pah! Daran habe ich meine Zweifel. Dir muss doch der Reiswein nach unserer letzten Zusammenkunft zu Kopfe gestiegen sein." Das Gesicht des Schmieds, auf dem sich nahe des Haarbüschels sogar Altersflecken abzeichneten, verzog sich geringschätzig. Dann begann er zu schmatzen, sah von dem hochgewachsenen Dämon hinab zu dem jungen Ding und wieder zurück - und schnaufte erneut. "Ausgerechnet ein Menschenkind, du Hund? Nach all der Zeit?" "Du missverstehst meine Absichten." Dieses Mal huschte ein Schatten über das Gesicht des Inu no Taishou, während der frische Tau auf den Blattnarben über ihm rascher hinabzuperlen begann und die Zweige leise knackten. "Drachen griffen sie vor wenigen Sonnenumläufen an und man gab mir genügend Gründe, auch weiterhin auf ihr Leben zu achten. Ich wüsste es zu schätzen, wenn du meine Höflichkeit in dieser Nacht als das betrachtest, was sie ist." Unruhig knisterten die Farne, dann beendete er den Spuk mit einem beherrschten Atemzug. "Genug davon. Ich bin hier, um deine Dienste in Anspruch zu nehmen und dich um ein weiteres Schwert zu bitten." "Schwert?!" Das schob Toutousai prompt das spöttische Grinsen von den Lippen, bis er aussah, als würde er sich in einen kleinen, erbosten Pilz verwandeln können. "Ich denke nicht daran! Schlag dir das auf der Stelle aus dem Kopf! Ich habe dir und deinem Welpen in den letzten Jahrhunderten genug Klingen in den Rachen geworfen, die ihr wie Holz zersplittert habt. Euch beiden fische ich nicht einmal mehr einen winzigen Eisenspan aus der Esse, denn dort oben", zischte Toutousai bockig, bevor sein spitzer Fingernagel die Hügelkuppen hinauf deutete, "ruht der beste Beweis dafür, dass ich inzwischen fünf Tage benötige, um alle Scharten und Kerben aus einer Schneide zu tilgen. Blut und Wasser habe ich geschwitzt, und das nur, weil der feine Herr der Hunde seinem naseweisen Berater etwas beweisen musste!" Isamus Mundwinkel zuckte vergnügt, bevor er einen Blick auf die erbleichte, mucksmäuschenstille Izayoi warf und daran dachte, dass sie ein solches Gemüt noch nicht oft getroffen haben konnte. Ihre Art, seine Hand unwillkürlich fester zu halten, verriet ihm mehr über ihre Stimmung als die stocksteife Haltung. Um ihretwillen verzichtete er darauf, Toutousai daran zu erinnern, dass er ihm den Schlangendämon überhaupt erst schmackhaft gemacht hatte. Zugegeben, möglicherweise hatte er als Daiyoukai auch ein wenig darin übertrieben, bei der Jagd über Stock und Stein die Klinge sogar gegen Felsen zu schlagen. "Das Schwert wäre außergewöhnlich, alter Freund." "Oh nein! Nichts da! Komm mir nicht so", blaffte Toutousai patzig, ehe seine Nasenflügel zu beben begannen und er kleine, giftige Löcher in die Kimonoseide starrte. Eine Weile maßen sie sich mit Blicken - der eine mordlüstern und aufgebracht, der andere unerschütterlich und entspannt -, dann kratzte sich der Schmied widerspenstig am Kinn. "Aber außergewöhnlicher als mein letztes Meisterwerk, Tensaiga?" "In der Tat." Dieser gerissene Hund! Köderte ihn einfach, indem er seine Neugierde am langen Arm verhungern ließ. "Das ist unmöglich", behauptete Toutousai, während er seine Augen zu Schlitzen zusammenkniff und damit aussah, als hätte er das Blut des besserwisserischen Flohgeists in den Adern. "Ich habe bereits Monde damit zugebracht, einen Weg zu finden, den Tod zu überlisten. Wünschst du, dass sich deine Feinde fortan in bunte Schmetterlinge verwandeln?" "Nein." Isamu stieß einen amüsierten Laut aus. "Allerdings hätte ein solches Schwert in den Händen meines Welpen die Macht, mich bis an mein Lebensende zu erheitern. Wir sollten diese Idee im Hinterkopf behalten." "Pff." Als ob sie nicht beide wüssten, dass der eitle Bengel es nach dem ersten Schwung verächtlich ins Gras werfen würde. Und sollte er es dann wieder vom Boden klauben, geschähe das nur, um es ihm bis zum Heft in den Rachen zu treiben. Wie witzig! "Hör schon auf, mich schmoren zu lassen. Was soll es anrichten können? Durch das Warten bekomme ich staubtrockene Lippen und dann ergeht es mir bloß wie deiner zarten Gesellschaft!" Huh? War das ein Scherz? Instinktiv wandte sich der Weißhaarige zu der Fürstentochter um, dann schalt er sich trotz der bereits auf seiner Zunge tanzenden Antwort einen Narren. Toutousai sprach die Wahrheit. Izayoi hatte lange nichts getrunken, geschweige denn darum gebeten, dabei war das für ihresgleichen ebenso wichtig wie für einen neugeborenen Welpen. Sogar jetzt bevorzugte sie es, sich so unsichtbar wie ein im Wind schwebendes Ahornblatt zu verhalten, statt um seine Aufmerksamkeit zu feilschen. "Vergebt mir." Ohne auf Toutousai zu achten, der seinen Mund wie ein einfältiger Karpfen auf- und wieder zuschnappen ließ, senkte Isamu den Kopf. "Es ist lange her, dass ich auf derlei achten durfte und ich hätte es besser wissen müssen." "H-hoher Herr?" "Habt noch einen Moment Geduld." Ihr scheuer Anblick zupfte an der Wärme in seinen Augen, dann widmete er sich erneut dem Schmied, der sich überstürzt dazu befleißigt sah, mit einer Klaue in seinem Mund zu pulen und scheinheilig Ährenreste zu suchen. "Hm?", gnatzte er grätig. "Das Schwert, das ich aus deiner Hand wünsche, sollte einen Dämon mit einem Streich überwinden können." "Nur einen? Warum nicht einhundert und dazu ein Haufen Blitze, die so entzückend funkeln wie das Gold deiner Augen, sobald du zu ihr-" Oh. Das sprach er besser nicht zu Ende aus. Er war bloß dreist, nicht des Atmens überdrüssig. "Ich sagte nein, und dabei bleibt es. Du besitzt Fangzähne und Klauen, dazu ein Schwert, das Leben schenkt, und eines, das dem Wahnsinn verfallen ist." Biestig streckte Toutousai den faltigen Hals, bevor er seine Hand an dem grün-schwarz gestreiften Stoff abwischte und die Zähne bleckte. "Warum sollte ich dir ein weiteres schmieden, das ihnen ebenbürtig ist?!" Isamus Miene wurde so ruhig wie die Wolken, die sich jenseits der Baumwipfel zu schwarzen Ungetümen auftürmten und schwere, regenfeuchte Luft mit sich brachten. Es geschah nur allmählich - und ebenso langsam begann er, sein Lächeln zu vertiefen. "Ich werde dir diese Frage beantworten, alter Freund, doch erst wenn ich zurück bin. Bis dahin vertraue ich dir ihr Leben an." "Ich will es aber nicht haben!", brummte Toutousai. "Ich bin ein Dämon. Ein griesgrämiger, alter Einsiedler und ich verzichte auf deinen Welpen, deine Frauen-" "Sie heißt Izayoi", unterbrach ihn der Weißhaarige seidig. "Und es würde mich verärgern, meiner Bitte einen Befehl folgen lassen zu müssen." "Argh! Schon gut, ich habe einen treuen Ochsen. Der kann auf sie Acht geben, also spute dich." "Ich bin froh, dass wir uns so schnell einig werden konnten." Zufrieden strich der Herr der Hunde ein letztes Mal über die Hand der Fürstentochter, dann löste er seine Klauen und musterte den Schwung ihrer Wimpern. Er konnte sehen, dass sie nach Worten suchte und sich aufgewühlt an einen anderen Ort wünschte, aber er nahm ihr die Befürchtungen, ehe sein Youki sacht gegen die Gräser schlug. "Er ist weit umgänglicher, als er erscheint", beteuerte er. "Seid unbekümmert. Ich bleibe in der Nähe und werde zurück sein, ehe Ihr auch nur sieben Worte mit ihm wechseln konntet." - - - - - - - Ist das eine Drohung? Warum er sie nicht mitnimmt und was Izayoi neben dem charmantesten Schmied Japans erlebt, erfahrt ihr in Kapitel #28, "Heidekraut II". Kapitel 28: Heidekraut II ------------------------- Apfelblüte - Heidekraut II - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 102 Sein Atem bildete kleine Wölkchen, ehe Sesshoumaru die Lippen zu einer dünnen Linie schmälerte und auf das Holz der Nachtigallböden sank. Die Papierwände in seinem Rücken knisterten unter seinem Youki, als würde ein Kind mit einem Kescher dagegen klopfen, doch dieses Geräusch war nicht das Einzige, was an seiner Selbstbeherrschung kratzte. Man hatte ihn und seinen Willen oft getestet, aber das hier schien fast unerträglich. Um ein Haar hätte auch der größte Dummkopf sehen können, wie viel es ihn kostete, seine dämonische Präsenz an diesem Ort länger im Zaum zu halten. Seine Knochen schmerzten unter der gewaltigen Energie, die unter seiner Haut brodelte, und der grimmige, feindselige Ausdruck in seinem Gesicht verhieß Mordlust. Dann neigte Sesshoumaru den Kopf und wartete darauf, dass der Berater seines Vaters aufhörte, sich nervös schluckend und kieksend den Schweiß von der Stirn zu wischen. Myouga stand so nah bei dem daumennageldicken Spalt, den die Schiebetüren offen gelassen hatten, dass er in den Schatten dahinter einige Lacktablette, Teedosen und eingewebte Seidenbeutel erkennen konnte. Die Räumlichkeiten waren verwaist, die Glut hing nur noch in einem sanften Schimmer in den Kohlenpfannen fest - und doch wussten sie beide, wessen Witterung in der Luft hing. "E-Euer verehrter Vater", stotterte Myouga, "wird Eure Anwesenheit bei seiner Rückkehr gewiss gutheißen. Ihr nehmt ihm eine große Sorge von den Schultern, wenn ich das erwähnen darf." "Tze." Widerspenstig hob Sesshoumaru den Kopf und sah wieder in die entgegengesetzte Richtung, ohne sich darum zu scheren, dass sein Haar wie der blanke Tod schimmerte und seine Klauen ein unheilvoller, grüner Glanz umgab. Wofür hielt man ihn auch? Für jemanden, der sich darum riss, inmitten der Residenz eines menschlichen Daimyos zu knien? Lieber wollte er auf allen Vieren in windige Schluchten kriechen, um Schlangendämonen aus ihren Schlupflöchern zu treiben. Unter Vaters Augen hätte er sich seine Haltung jedoch kaum leisten können, denn es schickte sich nicht für einen jungen Mann seines Alters, die Schultern zu versteifen. Die Härchen in seinem Fell waren aufgerichtet und schwankten bei jedem tieferen Atemzug. Aber all das blieb Augenwischerei. Wäre er der Herr der Hunde, hätte er ganz andere Dinge getan, als zu gehorchen. "Sonnenaufgang", kündigte Sesshoumaru unter einem leisen Knurren an, "und keinen Moment länger." "N-natürlich! Ich werde ihm Bericht erstatten, ja?" Ja? "Verschwinde." Myouga rang sich noch ein leichenblasses Nicken ab, dann sprang er in Windeseile fort und wäre vor Schreck drei Hüpfer später beinahe in einer Scharte im Holz hängen geblieben. Sein Herz pochte so rasant, als hätte sich der Junge seines Meisters gerade in seine wahre Gestalt verwandelt und würde ihm hinterhersetzen, doch er machte sich nichts vor: Unter diesen Umständen hätte er keine Schrittlänge hinter sich gebracht, ohne vor Panik zu Staub zu zerfallen. Bloß nicht wieder in seiner Nähe blicken lassen! Und nicht vor Erleichterung quietschen! Wenn der Welpe auch nur die Vermutung hegte, dass es gar nicht der Befehl des Inu no Taishous gewesen war, vor den Gemächern Izayois auszuharren, sondern seine Idee ... Aber was sollte er auch tun? Man hatte ihm aufgetragen, jede Krähe und jede Schlange des Schlosses von den Papierwänden fernzuhalten und zu verhindern, dass Izayois Fehlen bemerkt wurde. Er selbst konnte das kaum verschleiern, denn er war kleiner als ein Ohrläppchen und verstand bloß etwas von alten Maulbeerpergamenten oder dem Belauschen eines unvorsichtigen Youkais. Seine Kräfte waren begrenzt. Nicht einmal ein Tröpfchen Sake hätte ihn glauben lassen, dass er jemandem den Zutritt verbieten konnte, der um ein Vielfaches größer wäre als er - Flohdämon hin oder her, diese ausgefuchsten Menschen würden ihn auslachen und zerquetschen! Nein, darauf konnte er verzichten. Bei Sesshoumaru sah das jedoch ganz anders aus. Kein Menschenkind war verrückt genug, einen schlechtgelaunten Dämon zu reizen oder den Versuch zu unternehmen, unbemerkt an ihm vorbeizuschleichen, um auch nur mit der großen Zehe die Bambusmatten zu berühren. Provokationen nahmen sich höchstens weitaus mächtigere Daiyoukai heraus ... und er, der arme Berater. Oh Gott, oh Gott, oh Gott. Was hatte er sich nur dabei gedacht? 103 Izayoi bemühte sich darum, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken, doch ehe sie ihren Einwand auf Herz und Nieren geprüft hatte, wandte sich der hohe Herr schon ab. Die Gräser knisterten, als er unter emporpeitschendem Youki fortsprang - und der Gedanke, seine Hand zu ergreifen, ereilte sie viel zu spät. Dann war er fort. Einfach so. Wie ... wie konnte er? Sie wollte etwas flüstern, vor Empörung nach Luft ringen, doch ihre Kehle erschien wie zugeschnürt, während in ihrem Bauch ein Gefühl tanzte, das sie nicht einzuordnen vermochte. Das war verrückt. Unsinnig! Er ließ sie zurück, mit nichts anderem als der Erinnerung an sein warmes Lächeln, das durch ihren Verstand spukte und all ihren Ängsten zu Leibe rückte, bis ihre Gefühle nicht mehr wussten, ob sie sich mit einem Seufzen oder Schluchzen zur Wehr setzen sollten. Aber als Frau blieb ihr ohnehin nur Gehorsam. Immer. Das war ihr Los, solange sie denken konnte. Am Ende kränkte sie ihren Beschützer, weil sie seinem Urteil nicht vertraute, und das ... das wollte sie noch weniger. Verdammt. Izayois Herz schlug hastiger denn je hinter ihren Rippen, und hätte sie es nicht besser gewusst, wäre sie sich sicher gewesen, dass die Stofflagen des Kimonos während ihres nächsten Atemzugs auf einmal dünn und brüchig wurden. Die Kälte der Nacht schlüpfte unter ihren Kragen und rief eine Gänsehaut hervor, die ihr bald unangenehm in den Nacken stach. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass an den Grasnarben und Farnbüscheln in ihrer Nähe nicht nur Morgentau, sondern auch Raureif haftete - und sie war dankbar darüber, dass sie ihre Fingerspitzen in die silbern bestickten Ärmelschleppen zurückziehen durfte, weil es darin wärmer war und sich alles andere nicht gehörte. Nein, sie würde ihre Hände ganz bestimmt nicht mehr in der Gegenwart des Schmiedes zeigen. Er war ein Fremder, ein Dämon und - Himmel! Er sah sie an?! Eilig tat Izayoi das, was ihr im Blut lag: Sie sank rasch wie ein Ahornblatt zu Boden und neigte die Stirn so tief, dass sie beinahe ihre gefalteten Fingerspitzen berührte. Das grantige Schnaufen bestürzte sie, aber ehe die Stille wie eine Welle über ihrem Kopf zusammenschlagen konnte, erklang das nächste Geräusch: Ein Schmatzen. Huh? "Ich kann es nicht glauben", murrte Toutousai, der ausgiebig mit seinem kleinen Finger zwischen den Zähnen polkte. "Da trampelt der Hund schon seit über zweitausend Jahren auf meinen Nerven herum und übertrifft sich doch immer wieder." Forschend glitt sein Blick über den gefütterten Saum ihres Kimonos und obwohl er sonst wenig für derlei Schnickschnack übrig hatte, stach ihm jede einzelne Falte ins Auge. Nun, so erschrocken wie das Menschenkind vor ihm in die Knie gebrochen war, sollte er wohl von Glück sagen, dass sie die bereits mitgebracht hatte. Nicht auszudenken, was ihm blühen würde, wenn man ihn dafür verantwortlich machte. Ob die Makel in der Seide den Ursprung hatten, den er vermutete? Igitt. Für diese Überzeugung sollte es ihm eigentlich an Reiswein, Verzweiflung und einer Vorliebe für schlechte Scherze mangeln. Aber gut. Da der Inu no Taishou weit und breit nicht mehr zu entdecken war ... Nach einem prüfenden Blick in die Umgebung, verwarf Toutousai seinen Einfall wieder und trottete zurück zu seinem Ochsen. Zwischen den duftenden Gräsern, an denen Raureif und Vulkanasche klebte, fühlte er sich weitaus wohler. Sein altes Kreuz war wohl auch nicht mehr das, was ihm eine Nacht zwischen Kieselsteinchen und Wurzeln verzieh. "Wag es dir bloß nicht, ohnmächtig zu werden, bis der große, bissige Fürst wieder hier ist", brummte er. "Ich erhole mich hier von meinem Schmiedehandwerk. Weißt du, was das ist?" "J-ja, hoher Herr." "Pff." Hoher Herr? Da wurden doch die Flöhe im Fell verrückt! "Ich bin kein hoher Herr", zischte er. "Ich heiße Toutousai, merk dir das." "J-ja, hoher... ja." "Warum stotterst du? Hat der dreiste Hund etwa deshalb Gefallen an dir gefunden? Weil er dadurch für zwei reden kann?" Ha, das sähe dem ähnlich! Wenn irgendetwas furchterregender war als der Schwung seiner Klauen, dann ein Schälchen Tee und die falsche Frage auf der Zunge, die ihn zum Plaudern anhielt. Der redete sogar ihn in Grund und Boden! "Verzeiht, verehrter Schmied." Herrje, wenn sie weiter die Nasenspitze in den Boden drückte, kroch ihr dank der Unterwürfigkeit bald der Nebel ins Gesicht. "Toutousai", wiederholte er missmutig. "W-wie Ihr wünscht." Himmel, war das ihr Ernst? So vornehm hatte ihn seit Jahrhunderten niemand mehr behandelt, und aus dem Munde eines Menschen wollte er solche Höflichkeiten noch weniger hören. Wäre sie ein Welpe gewesen - ach, das hätte ihn butterweich und versöhnlich gestimmt! Bedauerlicherweise hatte der Inu no Taishou bisher nur einen Sohn gezeugt, der ihm schon als Neugeborener in die Hand beißen musste. Griesgrämig kratzte Toutousai über seine Fingerknöchel, auf denen weiße Narben prangten, während ein eiskalter Wind die Blätter über seinem Kopf zum Rascheln brachte. Besser, er kümmerte sich zuerst um das Wesentliche, ehe ihn die nächste Überraschung aus dem Hinterhalt attackierte. "Schätzt du Hanyous?" Was? "H-Hanyous?" "Halbdämonen", half Toutousai aus, aber er verzog sein Gesicht, als hätte man ihn in Eiswasser getunkt. "Hast du vor, einem das Leben zu schenken?" Einen Moment glaubte sie, sich verhört zu haben, aber dann entstieg ihrer Kehle ein Laut, den sie um ein Haar nicht mehr hätte herunterschlucken können. Izayoi erinnerte sich an das, was hinter dem Wort steckte. Hanyou. Takemarus Männer hatten es einmal voller Abscheu ausgespien, während sie in der glühenden Mittagshitze ihre Strohsandalen abwischten. Als Enkeltochter des Daimyos hätte sie kaum einen Blick auf deren schweißgetränkte, gerötete Gesichter werfen dürfen, doch die Geschichten hatten sie im Spätsommer immer wieder in den Bann gezogen: Von Kleinkindern war damals die Rede gewesen, geboren in einsamen Gegenden und abgelegenen Menschendörfern. Manche durften leben, weil es sich niemand mit dem unheilvollen, dämonischen Elternteil zu verscherzen gedachte, doch es war viel klüger, sie zu verstoßen oder zu erschlagen. Ihr war das stets sehr grausam vorgekommen. Zu verrückt erschien ihr die Vorstellung, dass einem Kind lange und krumme Krallen wachsen mochten, ja, hin und wieder sogar gefährliche Reißzähne und Schuppen. Besonders heimtückisches Blut ließ angeblich die Augen in der Finsternis leuchten, bis die Garstigsten von ihnen über Wiegen und wandernde Mönche herfielen. Izayoi konnte sich eines Fröstelns kaum erwehren. Scheu grub sie ihre Fingernägel in die Stoffe und holte Luft. "Ich", flüsterte sie", ich muss verneinen. Ich kenne kaum einen Dämon und hörte nur wenige Gerüchte über Hanyous. Sie erscheinen mir sehr gefährlich." Toutousai schnaufte. "Wer? Die halben Biester? Erzählt ihr Menschen euch etwa immer noch Geschichten, in denen sie sich mit euren Knochen behängen, als seien es Perlen? Lächerlich! Die Handvoll, die es vermag, alt genug zu werden, um ein Schwert zu halten, überschätzt sich meist und am Ende verrotten sie auch nur wie jeder andere Dämon. Was nützt einem Stärke, solange sich der Geist vom Blut der Eltern vernebeln lässt? Hä?" Izayoi zuckte zusammen, doch dieses Mal hatte es nichts mit dem harschen Tonfall des Schmiedes zu tun. Über ihren Handrücken schob sich das weiche, warme Maul des Ochsendämons und das Tier ließ erst von ihr ab, als ihr die Furcht die Brust verengte - und der saftige Klee neben ihren Fingerspitzen ausgerissen war. Oh. Er ... er besaß gar keine spitzen, rasiermesserscharfen Zähne? "Hast du gehofft, dass er dich frisst?", hakte Toutousai spöttisch ein. "Als ob. Mo-Mo schätzt Gräser und Kräuter, und nichts anderes. So einfältig, dir einen Kratzer zu verpassen und sich danach mit dem mächtigsten Daiyoukai des Westens anzulegen, der ihn in seiner wahren Gestalt um ein Vielfaches überragt, wäre der Gute nicht. Ein Biss und seine Knochen splittern wie Stroh! Kracks, sage ich!" Die drei Augen des kauenden Dämons weiteten sich nervös, dann schlug die Quaste gegen einige Farnblätter, die ob der Wucht zu tanzen begannen. Sogar Izayoi glaubte aus den Augenwinkeln zu erkennen, dass die Muskeln über den Schulterblättern erzitterten, aber die Nacht färbte alle Konturen grau und düster. Vielleicht ... vielleicht war es auch nur Einbildung. Aber was sollte das bedeuten? Wahre Gestalt? Toutousai hatte den hohen Herrn bereits als Sohn eines Fürsten bezeichnet, doch wenn sie an den ruppigen Tonfall dachte- "Weiß seine Gefährtin eigentlich, auf welche Weise er dich vorhin angesehen hat, Menschenkind?" - - - - - - - Toutousai ist ein Spielverderber, oder? Weiter geht es in Kapitel #29, "Heidekraut III". Kapitel 29: Heidekraut III -------------------------- Apfelblüte - Heidekraut III - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 104 Der Wind wanderte lautlos durch die Gräser, brachte Halme zum Tanzen und zog am Kragen seines Kimonos, bevor er sich in seinem aufgebauschten Fell verfing. Hätte Isamu nur die Augen geschlossen, wäre ihm jedes einzelne Haar bewusst geworden, doch diesem Gefühl gab er sich nicht hin. Die Wärme, die wie ein Geist auf seiner Hand lag, vereinnahmte seine Sinne bereits genug. Still betrachtete sich der Daiyoukai die Furchen und Narben, ehe er die Klauen zur Seite drehte und sich fragte, wann er zuletzt darauf Acht gegeben hatte. Nein, mehr noch: Wann es ihm zuletzt etwas bedeutet hatte, dass eine Fürstentochter vor ihm den Kopf neigte und ein unerwartetes Lächeln in ihren Mundwinkeln erwachte. Solch ein eigenartiger Gedanke ... fremd und doch so angenehm wie der Nachhall einer wohlgehüteten Erinnerung, die einst von Schlachten und den Schreien tapferer Männer erstickt worden war. Eigenartig, nicht wahr? Nach dem Tod seines zweiten Welpen hatte er sich drei Jahrhunderte lang damit beschäftigt, die Grenzen des Westens auszuweiten und mit eiserner Hand zu verteidigen. Er war marodierenden Youkai über Schluchten und Klippen gefolgt, um ihnen die Kehlen für zuvor geschändete Frauen und Kinder zu zerreißen, aber der aufblühende Wohlstand in den Dörfern hatte ihm keinen Frieden eingebracht. Es glich einem Sakefläschchen ohne Boden. Je mächtiger die Dämonen erschienen, die er zu Fall brachte, desto mehr krochen aus ihren Löchern hervor und überwanden Pfade, die von Menschenhand in die Wälder und Berge getrieben worden waren. Manche wollten sich mit ihm messen, andere gierten mit roher Gewalt nach Beute und fremdem Besitz. Seine Erinnerungen flüsterten von zu vielen Kämpfen, aus denen er als blutverschmierter Sieger hervorging, aber die Überlegenheit rührte ihn nicht. Wenn er nach tagelangen Auseinandersetzungen unter einem Wasserfall stand und sich das durchweichte Haar auswrang, bevor es wieder klatschnass gegen seinen Rücken schlug, verlor der Ruhm jeden Glanz. Griff dann die Ruhe in den Baumwipfeln um sich, kehrte er an den einzigen Ort zurück, an dem die Grabesstille noch unerträglicher war als auf den Schlachtfeldern: Seine eigene Residenz. Schweigend atmete Isamu ein. Was waren es noch für Tage gewesen, an denen er den blutjungen Sesshoumaru zwischen den Fellen seiner Gefährtin hatte betteln sehen, um ihr einen Fangzahn für das erste eigene Schwert abzuluchsen! Die Tradition war inzwischen so alt im Westen, so wunderbar und schwermütig, dass er noch immer Toutousais Flüche in der Luft brummen hörte. Was bin ich? Ein Schmied oder lebensmüde? Ist es etwa meine Schuld, dass sich das erste Youki eines Welpen am leichtesten durch ein Geschenk der Mutter bündeln lässt? Hä? - Sechs Jahrhunderte lag dieser Moment zurück, und die schlechtere Hälfte wurde übertüncht von der versteinerten Miene seiner Gefährtin. Sah er sie an, blickte sie fort. Sprach er mit ihr, hüllte sie sich in hartnäckiges Schweigen. Erkaltete seine Stimme, um ihr ein Knurren zu entlocken, schnürte ihm der stumme Vorwurf in ihren goldenen Augen bald die Kehle zu. Inzwischen einte sie nur noch die Treue zueinander und die Sorge um den einzigen Welpen, den ihnen das Leben gelassen hatte. Seufzend schloss Isamu die Klauen zu einer Faust, ehe er den Kopf hob und in die Nacht lauschte. Alles, was sich an Geräuschen und Gerüchen über dem Teich zusammenbraute, schien vertraut. Da war das Quaken einfacher Frösche und das nervöse Schlucken eines Kappas, der sich hinter einigen Rohrbinsen versteckte - ja, sogar die Karpfen schnappten im stetig wiederkehrenden Rhythmus an der Wasseroberfläche nach Luft, bevor sie hastig wieder in das tiefschwarze Gewässer abtauchten. Man fürchtete ihn und das Youki, das flimmernd über die Seide seines Kimonos strich. Alle taten es an diesem Ort. Alle ... bis auf eine. Ihm spukte ein schüchterner Augenaufschlag im Kopf umher, dicht gefolgt von dem verheerenden Knistern der Ahornzweige, die er durch seinen Fehltritt hinabgerissen hatte. Wenn er an Izayoi dachte, verblasste der Schmerz in seiner Brust und zog sich an einen Platz in seinem Herzen zurück, der Wärme versprach. Wie viele Sommer mochte sie bereits erlebt haben? Waren es zwanzig? Mehr? Wie lange blieben Menschenkinder unverheiratet? Er hatte sie nicht danach gefragt, und doch schien es ihm, als würde sich das flüchtige Rot auf ihren Wangen allmählich verändern - mit Mut vermischen. Inzwischen sprach sie aus eigenen Stücken mit ihm, und sobald sie sich ein verstohlenes Lächeln gestattete, brachte das eine Saite in ihm zum Klingen, die er längst verstummt geglaubt hatte. Izayoi nahm ihn wahr, interessierte sich für seine Welt. Nicht einmal sein alter, gutmütiger Berater Myouga verstand, warum ihn das gefangen nahm. Und Toutousai? Möglicherweise tat er es, obwohl er ihm die falschen Absichten unterstellte und aus unverhoffter, respektvoller Zuneigung etwas zimmerte, das mit Beherrschung wenig zu tun hatte. Dass er sie auf diese Weise anzurühren gedachte, war jedoch verrückt. Er hatte ihr Schutz und Geleit versprochen, keine Gefühle, die aus ihm einen Narren machen würden. Und doch ... mochte er sie. Sehr sogar. Lautlos glitt der Herr der Hunde in die Hocke und spürte unter der ausgestreckten Hand dem Flaum auf der Oberseite der Rohrbinsen nach, während er beschloss, allmählich zurückzukehren. Izayoi würde durstig sein, und wahrscheinlich hatte sie bereits genug von Toutousai gehört. 105 Eine Gefährtin? Das Wort ließ ihr Gesicht noch farbloser werden, während der Wind auffrischte und ihr in die offenen, schweren Haare fuhr. Vereinzelte Strähnen wirbelten empor, um sie an der Wange und den Lippen zu kitzeln, doch Izayoi hätte sich gewünscht, sie in Knoten und Schlaufen gebunden zu sehen. Hinter dem traditionellen Verhalten einer Fürstentochter wusste sie sich besser zu verstecken, als auf die eigenen, mühsam beherrschten Fingerspitzen blicken zu müssen, an denen nasse Erde haftete. Der hohe Herr, er ... er war verheiratet. Das bedeutete es doch, oder? Warum sonst hätte der Schmied einen solchen Vergleich anbringen sollen? Um seine Späße zu treiben? Nun, sie hatte ihm allen Grund dazu gegeben, ihrer zu spotten. Himmel! In Izayois Magen breitete sich ein Gefühl aus, als habe sie zu viele Haselnüsse und Beeren genascht, und es gelang ihr kaum zu schlucken, ehe sie sich noch einfältiger und unaufmerksamer vorkam. Es hatte so viele Anzeichen einer Ehefrau gegeben, und doch war ihr dieser einfache Umstand nie in den Sinn gekommen. Ihr Beschützer bedauerte den Tod einer Tochter, und es hatte sie gerührt und verwirrt, ihn von den ersten Tagen im Leben seines Sohnes berichten zu hören. Der Daiyoukai war ihr so warmherzig erschienen, und doch so in sich gekehrt. Offenbar hatte ihre Schwester Chidori Recht behalten: Was wusste sie schon über ihn? Nicht viel. Fast gar nichts. Aber warum ... warum schmerzte sie trotz allem der Gedanke, dass er ihr dieses Detail nicht längst anvertraut hatte? Gemessen an den Sitten der Menschen, hatte er sich nicht ungewöhnlich verhalten. Unter Großvaters Gästen war nur selten ein Mann gewesen, der sich dazu hinreißen ließ, über seine Gattin zu sprechen. Man erwähnte Söhne oder vorteilhafte Ehen für die Töchter, Schlachten und Fehden. Er schien eben aus demselben Holz geschnitzt zu sein, nicht wahr? Nein. Sie tat ihm Unrecht. Auch er war voller Stolz und Ehrgefühl, aber er verhielt sich nicht wie ein menschlicher Daimyo. Er hatte ihr Zeit gewidmet und sie dazu ermuntert, Bedrückendes mit ihm zu teilen. Er ließ sie reden, so lange und so viel sie wollte, und wenn er leise über ihre schüchternen Fragen lachte, brannten ihre Wangen. Je länger sie bei ihm saß, desto mehr erfuhr sie über eine Welt, in der sich eine Fürstentochter wundern durfte, ja, überdies bemerkt wurde. Es hatte sie verlegen gestimmt, als er ihre Fingerspitzen in das weiche Schulterfell bettete, um ihre Furcht zu zerstreuen - und nun grämte sie sich darüber, dass sie auf diese Geste wider aller Vernunft so viel gegeben hatte. "Ich nehme an", flüsterte Izayoi und bettete die Stirn noch tiefer, "dass seine Gefährtin dieses Missverständnis schneller durchschauen wird, als ich es tue." Missverständnis? Das war mit Abstand das letzte Wort, was Toutousai dazu einfallen wollte. Pah! "Auf ihre Gnade solltest du nicht hoffen, Mädchen. Du kannst ihr noch nicht begegnet sein, solange du diesen Unsinn von dir gibst. Aber was beschwere ich mich? Ich lege keinen Wert darauf, dass sie heute Nacht hier auftaucht und sich mit dir über das Verhalten ihres Fürsten unterhält, während ich noch in der Nähe atme." Wie? "Ich ... ich verstehe nicht." "Streng dich gefälligst an!" Der Schmied blähte seine Wangen auf, sodass er wie jemand aussah, der sich ungeniert eine ganze Schüssel Reis in den Mund geschoben hatte. Dann schnaufte er und krächzte ein Lachen. "Glaubst du, die Herrin aller Hunde lässt es sich gefallen, dass-" "Toutousai." Dem alten Dämon klappte so abrupt der Mund zu, als könne er damit das letzte Wort verschlucken. Bedauerlicherweise biss er sich damit nur auf die Zunge, während eine Hitze unter den Kragen seines schwarz-grüngestreiften Yukatas kroch, die ihm prompt den Schweiß aus den Poren zog. "J-ja?" "Nicht dieses Thema. Ich bitte dich." Flimmernd drückte sich das Youki des Inu no Taishou gegen die raureifbedeckten Gräser, bis Wassertropfen an den Halmen hinabrannen und er sich unter einem bedauernden Kopfschütteln zu Izayoi begab. Seine Ehe. Von allen Dingen, über die der eigensinnige Schmied hätte sprechen können, wählte er sich das einzige aus, das unangenehmer war als jede Anekdote seiner Jugend. Er hätte es ahnen müssen. So viel zu seinem Unterfangen, die beiden sich selbst zu überlassen, um Toutousai zu zeigen, dass auch ein Menschenkind es wert war, von ihm beschützt zu werden. Vor allem sie. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Mit gemischten Gefühlen ging Isamu neben Izayoi in die Knie, ehe er sich sorgsam auf die Fersen setzte und die Schultern sinken ließ. Erst dann reichte er ihr die Wurzeln, die er von Erde befreit und im Teich geschwenkt hatte. "Es ist nicht viel", gestand er ein, und versuchte zu übersehen, auf welche Weise sie am Boden kauerte, "aber die rissige Rinde der Bäume genügte nicht, um Wasser aufzufangen. Ich habe es vergeblich versucht. Nun, Ihr müsst sie zerkauen. Die Mutterpflanze ist recht schmackhaft und dient Welpen dazu, die ersten Milchfangzähne zu erproben." "Habt ... habt Dank, hoher Herr." "Gern." Die Stille, die um sich griff, lag dick und schwer in der Luft. Sie glich dem Wind, der die Ahnung von Gewitterwolken nährte, die fern am Horizont weiße Lichter erzeugten - und es kostete den Inu no Taishou das Lächeln, als sie ihm die Wurzeln mit beiden Händen abnahm, ohne dabei den Kopf zu heben. Während sich seine goldenen Augen weiteten, sah er zurück zu Toutousai, und der alte Schmied unterbrach sich unter einem Räuspern darin, den feuchten Nacken mit der Hand trockenzureiben. "Ich habe es gewusst", murrte er grätig. "Ich hätte bei den Hanyous bleiben sollen!" "Hanyous?" Toutousai kräuselte die Nase, ehe er sich mit dem Fingernagel über seine Zähne kratzte. Nur die emporgezogenen Schultern verrieten, dass seine Aufmüpfigkeit gerade auf seiner Zunge verdorrte und seinem Überlebensinstinkt wich. Es war nie gesund für den eigenen Hals, wenn die Stimme eines Daiyoukais plötzlich wie dunkle, strapazierte Seide klang. "Sie wollte die Antwort hören, nicht ich!", wehrte er sich. "Zufällig, alter Freund?" "Das habe ich nie behauptet! Oh, sieh mich nicht so an! Ich bin Schmied, keine zierliche und kokettierende Hofdame, die gerne plaudert! Es war deine Idee, sie bei mir zu lassen!" "Ja, das ist wahr." Isamus Nasenflügel bebten warnend, aber dann fiel der Groll wieder von ihm ab und machte einem tiefen, mühsam beherrschten Atemzug Platz. Einen Seitenblick später wusste er, dass Izayoi die Wurzeln noch immer unangetastet zwischen ihren blassen Fingerspitzen barg - nichts, was ihm gefiel. Sie hielt sich klein und unscheinbar wie eine Meise, und ihr Atem ging flach, fast bedrückend. Sogar ihr Seidenkimono wirkte in den wallenden Nebelschwaden, die an den Farnen und Blättern entlangschlängelten, trüb und grau. Nun gut. "Toutousai?" "Hm?" "Ich bat dich um ein Schwert, wenn ich mich recht entsinne, und es war dein Begehr zu erfahren, warum mir weder meine Klauen, noch Sou'unga und Tensaiga genug wären. Die Antwort ist leicht." Der Herr der Hunde neigte den Kopf, um sich den Abstand zu betrachten, den ein halbes Dutzend Gräser zwischen ihm und Izayoi formte. "Ich wünsche, sie in den Mauern ihres Schwagers und auf der Heimreise besser beschützen zu können." "Was tust du?!" - - - - - - - Ja, so einfach kann es sein. Aber ob er mit der knappen Antwort durchkommt? Ei, ei, ei! Erfahrt es in Kapitel #30, "Klatschmohn I". Kapitel 30: Klatschmohn I ------------------------- Apfelblüte - Klatschmohn I - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 106 Toutousai schnappte empört nach Luft, bevor er mit der flachen Handkante auf die Moose schlug. Dem treuen Ochsen fiel vor Schreck sogar der halbzermahlene Halm aus dem Maul, doch ehe das Tier diesen hektisch wieder vom Erdboden klauben konnte, hatte sich der Schmied auf beide Oberschenkel gestützt. Auf seiner Stirn wölbte sich eine Ader, die seinem Schnaufen in nichts nachstand. "Ich muss mich verhört haben", knirschte er. "Da war so ein grässliches Summen in meinem Ohr, das behauptete, du willst-" "Du hast richtig verstanden." "Red keinen Unsinn!", blaffte Toutousai grätig. Sie wussten doch beide, dass kein Daiyoukai des Westens dazu neigte, für ein Menschenkind die Schwerter zu kreuzen! Was sollte das werden?! "Ehe ich eine Waffe geschmiedet hätte, die jeden Dämon mit einem Streich vernichtet, läge dieses viel zu höfliche Frauenzimmer bereits auf dem Sterbebett! Ach, was sage ich? Ich täte es!" Toutousais Augen funkelten erbost, aber die einkehrende Stille vermischte sich mit einem weit entfernten Donnergrollen. Oder war das ein Knurren, das diesem verrückten Hund entkam? Bloß nicht! Seine verhärmte Miene weichte kurz auf, ehe ihn die frische, kühle Luft umschmeichelte und davon ablenkte, noch garstiger die Wangen aufzublähen. "Tze", erklärte er dann trotzig und setzte sich ungelenk zurück in den Schneidersitz, "wenn dir das der Floh eingeredet hat, kannst du ihm persönlich ausrichten, dass ich ihn dafür mit der Fingerkuppe zerdrücken werde!" "Es war nicht Myougas Einfall, alter Freund. Er riet mir sogar auf jede erdenkliche Weise von dieser Reise ab." "Ach? Tatsächlich? Hat der kleine Quälgeist etwa nach all den Jahrtausenden seinen Verstand wiederentdeckt? Auf dieses Wunder warte ich, seit mir die Lava das erste Mal die Enden meines Bartes verkohlte, aber schön", zischte der Schmied. "Er hat Recht! Du musst doch deinen Kopf in den Wolken haben, wenn du erwartest, dass ich mich über glühende Esse beuge, um dir eine Klinge für ein popeliges Menschenkind zu erschaffen! Was bist du? In sie verlie-" "Hüte deine Zunge." Isamus Augen verfärbten sich, während er den Blick von Izayoi und der aufsteigenden Feuchtigkeit des Nebels nahm - und dieses Mal konnte er hören, dass sich Toutousai an seiner Spucke verschluckte, bevor er kreidebleich anlief. "Ich bin nicht hierher gekommen, um mich an deinem Spott zu erfreuen." 107 Was für eine Wende in dieser Nacht. In Tajiros Augen lag ein heimtückischer Schimmer, der nichts mehr mit dem vorgeschobenen Mitleid gemein hatte, das ihm sein Vetter bis vor Kurzem noch wert gewesen war. Zwei Armeslängen hinter ihm folgte bereits einer seiner Männer: Ein schlanker Bursche mit eingedrücktem, ernsten Gesicht. Sein Schwert und die Strohsandalen hatte er zwischen seinen schlafenden Kameraden zurückgelassen, ohne zu begreifen, dass er als dummer Hahn gerade seinem Henker folgte. Auch dieser Teil des Plans fußte auf Yuudais Hitzkopf. Inzwischen beflügelte Tajiro die Erinnerung an seinen Vetter auf jede erdenkliche Weise: Ach, hätte er sich doch nur früher die Mühe gemacht, an den Futon dieses Narren zu treten! Dessen vierschrötige Gestalt lag seit Tagen unter Damastdecken begraben, während die Luft seiner Gemächer nach Kräuterpasten und Unmengen hervorquellenden Eiters stank. Sein Gesicht sah wie ein aufgedunsener Kürbis aus, und nicht einmal die Verbände der kundigsten Heiler der Residenz verbargen die zugeschwollenen, schlecht verschorften Lippen. Gelb und grün suppte es auf ihnen, und bei jedem gelispelten Wort war Yuudais Zunge hervorgeschnellt und hatte das Sekret breitgestrichen. Auch daran zeigte sich, dass niemand danach trachten konnte, drei Zähne und einen gesunden Kiefer an einen Dämon zu verlieren. Widerwärtig. Glücklicherweise neigte auch die kleinste Verletzung dazu, einen Mann klüger zu machen. In diesem Fall allerdings nicht den rabiaten, jähzornigen Kriegsherrn, sondern ihn. Es war doch zu interessant gewesen, sich anzuhören, was der Einfaltspinsel dem hohen Gast ihres Fürsten angelastet hatte: Ein Liebchen also. Noch dazu nicht irgendeines, sondern Izayoi - das unauffällige, harmlose und viel zu naive Enkeltöchterchen des Daimyos der südwestlichen Gefilde. Wer hätte das erwartet? Tajiro strich sich über das Kinn, während er über die Nachtigallböden schritt und die mit Holzrauch geschwängerte Luft in die Lungen zwängte. Im ersten Moment hatte er noch geglaubt, dass sein Vetter nicht ganz gescheit sei, ihm soetwas Absurdes weismachen zu wollen, doch das Gurgeln und die Zornesfalten auf Yuudais Stirn waren unmissverständlich gewesen. Kagetoras eitler General war viel zu rachsüchtig aufgefahren, um seine erbärmliche Niederlage mit einer Lüge zu rechtfertigen. Das bewies nur eines: Auch der dümmste Karpfen im Teich besaß das Talent, ihn bei seinen Plänen voranzubringen. Seine eigenen Vermutungen hatten sich - sehr zu seiner Schande! - stets auf andere Umstände konzentriert, um sich das beschützende Verhalten des Daiyoukais zu erklären. Er hatte es für Langeweile gehalten, ja, womöglich auch für Überheblichkeit. Einer Frau wie Izayoi mehr Ehre zuteilwerden zu lassen, als jedem anwesenden Mann, war eine außerordentliche Beleidigung. Doch warum sollte ein Dämon auf diese Weise eine Fehde beginnen? Nein, nein. Tajiro nahm die Hand von seinem Kinn, ehe er den Knauf seiner Klinge tätschelte und sich für die eigene Raffinesse lobte. Ihm war bereits vor Stunden in der warmen Nachmittagssonne der Gedanke gekommen, dass es einen Pakt geben musste. Youkai waren für derlei berüchtigt, nicht wahr? Sie taten es zum Zeitvertreib oder um sich lebendes Futter für ihre Feinde warmzuhalten, aber als Erklärung war es viel zu mager gewesen. Ein derart mächtiger Mann, der ein Höllenschwert besaß, brauchte keine Fürstentochter für seine Zwecke, und es gab nichts, was sie ihm in einem Handel anbieten konnte. Seidenballen, Schmuck - all das dürfte ihm zufallen, sobald er zu Dutzenden die Pferde und die tapferen Untergebenen eines Daimyos wie Reis zerschnitt. Izayois fruchtbarer Schoß war das Einzige von Wert, das einen Kriegsherrn reizen mochte, aber in diesem Fall? Was für ein kümmerlicher Lohn. Das Versprechen, einen erbärmlichen Hanyou zur Welt zu bringen, konnte nicht allzu verlockend sein. Für die übrigen Gelüste gab es rohe Gewalt, doch Yuudais Behauptungen hatten ihm einen vollkommen neuen Blickwinkel beschert. Liebchen. Nicht körperlich, nicht beseelt von einer Mitgift - nein, sie war diesem Bastard ans Herz gewachsen. Was für eine unverhoffte Fügung des Schicksals! Tajiros schmale Lippen spitzten sich, während er an weiteren Papierwänden vorbeiglitt und sich fragte, wie ein derart unbeholfenes, wohlerzogenes Frauenzimmer dazu gekommen sein mochte. Es erklärte jedoch alles: Das dunkle Knurren gegenüber seinem älteren Bruder und Fürsten Kagetora, den Vorstoß nach Yuudais Schmähung ... sogar die Barmherzigkeit, die der neugeborene Kosuke erfahren hatte. Der Weißhaarige hielt nicht nur Unheil von Izayoi fern, sondern auch Trauer. Tajiro wusste, dass er diese Erkenntnis augenblicklich hätte teilen müssen. Seine Verwandtschaft war durchtrieben und nachtragend, dazu besaß jeder von ihnen das Interesse, sich die südwestlichen Gefilde untertan zu machen. Ein Krieg kam jedoch nicht infrage, da Izayois Großvater über zahllose Männer in Waffen verfügte - ein jeder so treu ergeben, als hätte er ihn selbst gezeugt und ihm ein gutes Leben versprochen. Als Daimyo hatte Kagetora abwarten wollen, bis die Zeit ihnen rabiat in die Hände spielte: Der Greis war in den letzten Sommern gebrechlich geworden und besaß seit beinahe zwanzig Jahren keinen direkten Erben mehr. Es wäre nur natürlich gewesen, hätte sich der Alte an den Gatten seiner ältesten Enkelin Chidori gehalten und ihm alles vermacht - dafür war sie immerhin geheiratet worden. Aber in diesem Punkt hatten sie ihn alle unterschätzt. Dieser Narr! Im vorangegangenen Herbst bewies er mit wenigen Zeilen, dass er zwar die lang ersehnte Schwangerschaft begrüßte, doch zugleich darauf hoffte, auch für Izayoi einen Ehemann zu finden. Der Osten sei ein guter Ort und er halte die Adoption von Izayois Gatten für vernünftig, um Kagetora Erbstreitigkeiten zu ersparen und einen wohlgesonnenen Nachbarn zu sichern. Mit Sicherheit sei auch der zu erwartende Urenkel eine treffliche Wahl, aber das Alter, die Vormundschaft, die verpatzte Gelegenheit, zwei Familien in Zukunft in Frieden zu einen ... Wenn Tajiro schon an das Gefasel dachte, wurde ihm speiübel. Frieden konnte man durch Furcht und Blut erkaufen, und er war nicht bereit, sich erst durch Kosukes Geburt in der Erbfolge nach hinten schieben zu lassen, um dann dabei zuzusehen, dass der Südwesten durch Izayois Ehe an einen anderen fiel. Nein, er war nicht zum ewigen Speichellecker bestimmt. Dem alten Kauz hätte er sich bis zu dessen Tod als gehorsamer und gelehriger Sohn empfohlen, doch der hatte jede Verhandlung im Keim erstickt. Dennoch geriet Tajiros Lächeln nun so ölig wie der schwere Haarknoten, der in seinem Nacken lag, als er auf die letzte Ecke des Ganges zusteuerte. Dort, wo sich eine faustdicke Holzstrebe auftürmte und die Papierwände zusammenhielt, flackerte das dünne, zerbrechliche Licht der Kohlepfannen hindurch. Die Schatten ringsherum waren so dicht, dass nur die Augen eines Falken sie hätten durchdringen können - und es war still. Mucksmäuschenstill. Freilich würde sich das gleich ändern. Der Schlaf der jungen Izayoi, die in diesem Trakt nur noch von ihrer Amme bewacht wurde, hatte lange genug angedauert. Yuudais patrouillierende Männer verweilten zu dieser Stunde stets auf der falschen Seite des Hofes, und die übrigen Dienerinnen und Hofdamen jagten ihren wenigen Stunden Ruhe in den abseits gelegenen Räumen nach. Selbstverständlich war er kein Dummkopf, der die größte Gefahr von allen unterschätzte: Eine Störung durch Izayois Wachhund würde er nicht riskieren, dafür liebte er seinen Hals und sein Leben viel zu sehr. Eine List war jedoch schnell erdacht gewesen und der Bursche in seinem Nacken hatte ihm bereits den ersten Dienst erwiesen. Allein war er auf die Männer im Hof zugetreten, um in Erfahrung zu bringen, ob jemand den verhassten Gast gesehen hätte. Nein, niemand - nur eine weithin geöffnete Regentür sei entdeckt worden, doch der wollte sich keiner in pechschwarzer Nacht nähern. Feiglinge, wie zu erwarten. Sein loyaler, ahnungsloser Untergebener hatte nach seiner Rückkehr, dem geflüsterten Bericht und einer saftigen Ohrfeige freiwillig den Weg zur Regentür übernommen - allerdings von der Dienstbotenseite der Residenz her. Tajiro hatte es trotz aller Versuchung nicht gewagt, ihn ein zweites Mal in die Nähe der Patrouille zu schicken oder gar selbst an Yuudais Männern vorbeizuschleichen, um damit den Weg quer über Kies und Sand abzukürzen. Sein Plan sah gewiss nicht vor, sich entdecken zu lassen! Das Ergebnis des kleinen Abstechers war umso erfreulicher ausgefallen. Der weißhaarige Gast schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein, daher hatte er beschlossen, noch in dieser Nacht Nägel mit Köpfen zu machen. Wenn er seine Verwandtschaft vor vollendete Tatsachen stellte, würde die ihm schon nach dem Munde reden. Er sollte nur nicht unvorsichtig werden, daher ... durfte sein kleines Anhängsel noch tapfer weiter atmen. "Vergiss nicht, was ich dir eingeschärft habe", zischte Tajiro, ohne dabei vertrauensseliger zu klingen als eine Schlange, die bereits ihr Gift in den fremden Hals presste. Seine hageren Handknochen wanderten nur drohend am Schwertheft hinab, doch die Geste war überflüssig. Der Bursche trat auf nackten Füßen vorbei und hielt den Kopf gesenkt. Sehr gut. Er hatte die Ehre, als Erster die Ecke hinter sich zu lassen und Izayois Gemächer zu betreten. Entdeckte der Narr Unzucht, weil der Daiyoukai wider Erwarten bei der Fürstentochter verweilte und seinem Herzen auch seinen Samen hinzufügte, wurde der Jüngling gewiss bei lebendigem Leib zerrissen - und er selbst sollte sich beeilen, um das noch weitertragen und Nutzen daraus ziehen zu können. Traf der dumme Hahn jedoch niemanden an, hatte er die Amme als Hindernis aus dem Weg zu räumen, indem er ihr das Genick wie ein Stück Holz brach. Dafür war ihm Land und Reis für die gesamte Familie versprochen worden. Danach gehörte die Fürstentochter ihm - nun, dachte er. In Wahrheit war er bloß die Hirse, die eine falsche Fährte darstellte. Entweder kam der Dämon hinzu oder er, um ihm den Kopf von den Schultern zu schlagen. Bevor Tajiro jedoch mit glühender Vorfreude daran denken konnte, welche Fallstricke er aus jeder einzelnen Möglichkeit zu knüpfen hoffte, geschah etwas völlig Unerwartetes: Sein Untergebener war kaum aus seinem Blickfeld verschwunden, als ein spitzer Schrei ertönte - dicht gefolgt von einem unmenschlichen Knurren. Was zum-? - - - - - - - Vielleicht hat Tajiro nicht bedacht, wer alles vor der Tür sitzen könnte, der Arme. In Kapitel #31, "Klatschmohn II", gibt es wahrscheinlich mehr als einen Hund, den man nicht reizen sollte. Kapitel 31: Klatschmohn II -------------------------- Apfelblüte - Klatschmohn II - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 108 Tajiros hinterlistige Miene brach entzwei, als habe der Sommer ein trockenes Flussbett aufplatzen lassen und all seine Ungeduld an die Oberfläche gezerrt. Für einen Moment war der Kriegsherr zu erbost, um einen klaren Gedanken fassen zu können, doch dann ging alles rasend schnell. Ein zweiter Schrei erklang, dazu das dumpfe Geräusch, das entstand, wenn jemand mit bloßen Händen gegen Metall prallte. Einen Wimpernschlag später flog der Leib des Jünglings zwei Mannslängen über den Boden durch die Luft und schlug krachend in die Papierwand auf der rechten Seite ein. Die Holzstreben splitterten wie Stroh, dann brach das handgeschnitzte Kunstwerk unter unvorstellbarem Getöse zusammen. Das schrille Aufheulen des Burschen ließ Tajiro bis zu den Zehenspitzen erbleichen. Verflucht sollte dieser Bastard sein! Er hatte unvorsichtige Männer Klippen hinabstürzen sehen, ja, auch selbst einige unliebsame Konkurrenten in Schluchten gestoßen, aber er war kein Narr. Seine drahtige, kampferprobte Gestalt kannte Grenzen, und als er zurück zur Ecke sah, entdeckte er hinter der Papierwand und den flackernden Lichtern der Kohlenpfannen einen Schatten, der sich in tödlicher Ruhe vorwärts bewegte. Offenbar hatte er diesen Dämon unterschätzt. Womöglich hatte der ihn gewittert oder die Gemächer seines Liebchens eben erst verlassen. Verflixt! Unter vier Augen schien der weder Geduld, noch Zimperlichkeiten zu kennen. Er hatte dem Burschen ein kurzes, blutiges Ende gewünscht, nicht sich! Harsch glitt Tajiros Hand zu seinem Schwert, dessen Heft mit mehreren Lagen Rochenhaut umwickelt war, dann spannte er seinen Nacken an und spürte, wie sein Herz schneller und rabiater gegen seine Rippen schlug. Eine Flucht wäre ihm lieber gewesen, doch dafür war der Gang zu lang und die Sinne eines Dämons zu scharf. Ohne genügend Vorsprung brauchte er sich nicht einzubilden, unbeschadet davonzukommen. Schön! Als sich der Widerschein der Flammen das nächste Mal verzerrte, gelangte etwas Helles in sein Blickfeld. Fell bauschte sich federweich auf und umfloss einen mit roten Blumen bestickten Seidenärmel. Dann erklang das leise, bedrohliche Scheppern von Metall. Einen Atemzug später erfasste Tajiro, der biestig die Nasenflügel geweitet hatte und sich vorbereitet glaubte, eine Hitze, die ihm durch Mark und Bein ging. Der ganze Boden verschwamm, als habe jemand in der glühenden Sonne einen Eimer Wasser darüber gekippt, um die Tröpfchen verdunsten zu sehen - aber deshalb wurde ihm die Kehle nicht staubtrocken. Unfassbar! Das war nicht der Daiyoukai! Der hier war einen ganzen Kopf kürzer, trug je zwei dunkle Streifen auf den Wangen und eine Laune vor sich her, die jedem Katana mit einem Blick eine tiefe Kerbe schlug. "Wer", schluckte Tajiro, ohne auf das erbärmliche Kreischen des Burschen zu achten, "wer seid Ihr, Dämon?" Ein Verbündeter des anderen? Gleich zwei von denen? Oder sollte das der Drache sein, den man ihnen angekündigt hatte? Nein, an dem schien nur Fell verloren gegangen zu sein, keine Schuppen. "Sprecht!", forderte Tajiro. "Ihr habt kein Recht hier zu sein und im Hause meines Herrn, des Daimyos der nordwestlichen Gefilde, Blut zu vergießen. Gebt Euch zu erkennen!" "Tze." Was für ein lächerlicher, einfältiger Mensch. Was dachte der? Dass er irgendjemandem an diesem Ort eine Antwort schuldig war? Die Luft, die hier herrschte, war bereits beleidigend genug. Sie stank nach Holzrauch und gebratenen Spatzen. Nun gesellte sich auch noch das Gejammer dieser Störenfriede hinzu, das sogar Myougas Litaneien das Wasser abgrub. Vater sollte ihm später dafür danken, dass er ihnen das Leben ließ. "Verschwindet", knurrte Sesshoumaru dunkel. Dann wandte er sich ab, und schritt mit einem Gefühl in der Brust zurück, das ihm bis in die Kehle stieg und sich dort wie ein matschiger Kloß Reis anfühlte. Befehl war Befehl, das wusste er, sehr zu seinem Leidwesen. Wenn sein verehrter Vater darauf bestand, dass er die Bewohner höflich bat, später wiederzukehren, gehorchte er, ohne das Risiko einzugehen, seinen Ärger zu schüren. Dennoch schätzte es Sesshoumaru nicht, wenn man ihm hinterherstarrte, als könnte man nicht glauben, von ihm verschont worden zu sein. Was blühte ihm als Nächstes? Ein kleines Menschenkind, das sich treuherzig an seine Fersen heftete? 109 "Das ist verrückt!", schimpfte Toutousai, bevor er seinen Überlebensinstinkt erneut mit Füßen trat und sich auf den Oberschenkel stützte, um mit einem Finger auf die Fürstentochter zu zeigen. "Du willst sie beschützen?" "In der Tat." "Dich hat doch der Floh gestochen!", hakte der Schmied ein. Verärgert starrte er von der stahlblauen Seide Isamus zum Ochsen, doch der Koloss bevorzugte es, verängstigt auf seinem Grashalm herumzukauen, statt ihm Recht zu geben. Dieses feige Tier! Aber gut, er konnte den alten Hund auch allein mit seinen eigenen Waffen schlagen. "Glaube bloß nicht, dass ich mich von solch einer albernen Idee erweichen lasse", zischte Toutousai grätig. "Du hast den Anführer der Panther mit einem einzigen Hieb deiner Klauen erlegt, und deinem Welpen mehr über die schwertlosen Künste beigebracht, als ich vorher beim Namen nennen konnte. Welche Feinde sollten im Hause eines Menschen lauern, die du nicht mit einem halbherzigen Knurren in alle Winde zerstreuen kannst?" "Hältst du mich für einen Narren, Toutousai?" "Verrat du mir, ob es angebracht wäre!" "Gut." Isamus Augen funkelten in einem kühlen, warnenden Gold, während die aufsteigende Feuchtigkeit des Nebels an den Blättern zupfte. Das Donnergrollen, das die Luft erfüllte, war noch weit entfernt, aber die langsamsten Käfer und Würmer begannen bereits, sich zu verkriechen. Als er die Lippen wieder öffnete, verdunsteten die Tautropfen unter einem Schwall Youki und seinem unerwarteten, stillen Seufzen. "Es spielt keine Rolle, wie viele mich im Westen fürchten. Ich besitze Grenzen und begehe Fehler wie jeder andere. Als ich mich das letzte Mal überschätzte, bezahlte ich dafür mit dem Leben meiner Tochter. Du weißt, was damals geschah." Oh, wieso musste es dieser Grund werden, der ihm prompt die Kehle zusammenschnürte? "Wie könnte ich es vergessen? Ich war dort", murmelte Toutousai und wischte sich zur Überraschung aller ruppig mit dem Handrücken über die Nase. Die Bilder, die vor seinem inneren Auge aufstiegen, konnte er jedoch nicht verscheuchen. Sie zeichneten den kalten Wind und den Regen nach, der nachts über die Sandkörner im Innenhof peitschte. Er hörte den Herrn der Hunde lachen, laut und ungezwungen. Sein weißes Fell hatte grau und verwüstet ausgesehen und die Fingerspitzen waren von winzigen, frisch blutenden Bissspuren übersät gewesen - aber auch das war vor dem Stolz des Daiyoukais verblasst, den jüngsten Welpen endlich in den Schlaf gesungen zu haben. Freimütig hatte der alte Kauknochen darüber geplaudert, dass er die Ohren und Sinne seiner Fürstin bewunderte, die sich von nichts schrecken ließ und jede helfende Hand energisch ihrer Gemächer verwies. Ihre Hofdamen scheuchte sie bei Tagesanbruch umher, die Ammen duldete sie nur mit drei Ellen Abstand - nur das Gebettel seines Erstgeborenen nach einem weiteren Schwert sei noch bemerkenswerter. Ach! Was hatten sie über den umgeschmiedeten Fangzahn des Onis, den er Isamu überreichte, geplänkelt! Er selbst griesgrämig und der Hund amüsiert, bis ein einziger Schrei die Nacht zerriss und das Youki von Drachen wie ein Flammenmeer in jedem Winkel der Residenz aufloderte. Die Wachen, jung und alt, waren als Erste wie die Fliegen gefallen. Was ... was für ein Grauen. Kurz zog Toutousai die Augenbrauen zusammen, als müsse er sich erst sicher sein, dass sich das Brennen hinter seinen Lidern wieder eindämmen ließ, dann musterte er Izayoi. "Warum sprichst du davon in ihrer Nähe?", krächzte er. "Ich habe meine Gründe, alter Freund." "Du hast es ihr bereits erzählt?" "Nein, nicht alles. Das stand mir nicht zu", erwiderte der Inu no Taishou ausweichend, "aber auch sie sah gute Männer sterben, als ihre Eskorte von Drachen überfallen wurde. Einer von ihnen trug den Geruch mit sich, der Ryukotsuseis Brutschwester anhaftete." Toutousai rang nach Luft. "Die Menschen haben dir eine Falle gestellt und sich mit diesem Pack verbündet?!" "Nein." Der Weißhaarige schüttelte den Kopf, bevor er seinen Blick zu der Fürstentochter lenkte und ihr sein Bedauern mit einem Stirnrunzeln versicherte. Er schätzte diese Anschuldigung nicht, doch auch er wusste, dass die Schliche der Menschen die faulsten Früchte hervorbrachten, um überleben zu können. In der Not paktierten manche mit Dämonen und wurden zum Dank mit Haut und Haaren gefressen. Aber Izayoi? Sie hatte von diesem Angriff nichts gewusst, und war ihm seither ein Licht im Dunkeln, ohne etwas dafür zu verlangen. Er hätte es ihr gern zugeflüstert und seine Hand auf die ihre gelegt, doch ihr Blick war so abweisend auf ihre verkrampften Fingerspitzen und die Wurzeln gerichtet, dass er sich lieber an Worten versuchte. "Falls es eine Falle gewesen ist, wurde sie nicht von Menschenhand erdacht. Sie kennt keine schlechten Absichten. Wenn ich könnte, würde ich ihr jeden freundlichen Gedanken, den sie mir bisher anvertraut hat, in Reis aufwiegen. Aber es speist sich schlecht, solange Drachenbrut in ihrer Nähe verweilt." "Deshalb hast du sie hergebracht." "Das ist richtig. Ich bitte dich um ihretwillen um ein neues Schwert. Izayoi gab mir einen Teil meines Friedens zurück, und ich wünsche ihr ein langes und gesundes Leben. Ohne dich wird es mir allerdings schwerfallen, sie vor dem einzigen Unheil zu bewahren, an dem meine Klauen und auch Sou'unga bisher scheiterten. Niemand außer dir könnte eine Klinge schmieden, die mächtig genug ist, einen Dämon mit einem Streich zu fällen." "Einhundert." "Huh?" "Einhundert Dämonen, sagte ich." Unwirsch rieb sich Toutousai mit der Hand über das Gesicht, dann schnaufte er und streckte sich. Die überraschte Miene des Inu no Taishou überging er mit einer Inbrunst, die an Unverschämtheit grenzte. "Außerdem werde ich so viele goldene Blitze erscheinen lassen, dass du den Tag verfluchen wirst, an dem du mich um dieses Schwert gebeten hast", zischte er knatschig. Allein für den Tod des Drachenweibs hätte er sich keifend über das Schmiedefeuer gebeugt, bis ihm der Schweiß in Strömen durch das schüttere Haar floss, aber das musste der Hund nicht sofort wissen. Genauso wenig ging es Isamu etwas an, dass er seit drei Jahrhunderten auf eine Gelegenheit lauerte, ihm sein Schweigen zu vergelten. Hätte der Inu no Taishou seiner Fürstin je verraten, weshalb er den Trakt des Welpen in die Hand seiner erfahrensten Männer und etlicher Hofdamen übergeben hatte, wäre er längst nicht mehr auf dieser Welt. Toutousai musste nur sichergehen, dass die Bitte auch den Wert besaß, den man ihm vorgaukelte. "Es gibt drei Bedingungen, bevor ich beginne", verkündete er barsch. "Drei?" "Selbstverständlich oder glaubst du, ich mache Geschenke? Zuallererst soll mir dein Menschenkind versichern, dass sie auf deinen Schutz besteht. Keine Antwort, keine Klinge. Ich bin ganz Ohr!" ------ Oweh, dabei ist Izayoi derzeit alles andere als gesprächig und hingerissen. In Kapitel #32, "Klatschmohn III", ist das jedoch das kleinste Übel. Kapitel 32: Klatschmohn III --------------------------- Apfelblüte - Klatschmohn III - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 110 Hätte sich der Nebel, der dunstig zwischen den Halmen hing, in ein dunkles Rot verfärbt, wäre Isamus Überraschung kaum größer ausgefallen. Erstaunt hob er beide Brauen an, bevor er sich im Gras streckte und der zuvor entspannten Sitzhaltung ein Stirnrunzeln hinzufügte. Eine solche Bedingung ... nein, darauf wäre er im Lebtag nicht gekommen. Toutousais Worte erschienen ihm fast harmlos, wenn er sie mit jenen verglich, die er vor Tensaigas erstem Eisenspan zu hören bekommen hatte. Dieses Mal hütete er sich jedoch davor, sein Schicksal durch ein Schnauben herauszufordern: Ihm stand wahrlich nicht der Sinn danach, ein zweites Mal in diesem Jahrtausend zwischen Algen, Schlick und Froschlaich nach einer schwarzen Perle zu wühlen, während ihm drei Schlangendämonen im Nacken saßen und sein Schulterfell derart mit Brackwasser vollgesogen war, dass es ihn um ein Haar ertränkt hätte. Und wofür das alles? Toutousai hatte ihm nur auf die Hand versprochen, dass er das Schmuckstück eines Tages weise einsetzen würde - aber für das Schwert Tensaiga, das dem Tod ein Schnippchen schlagen sollte, bräuchte er derlei Schnickschnack selbstverständlich nicht. Ja, manchmal hatte sein alter Freund doch mehr mit einem verschlagenen Fuchsdämon gemein, als ihm lieb sein konnte. Isamu schürzte ein letztes Mal die Lippen, dann sah er zu Izayoi, deren Fingernägel sich inzwischen noch fester in den Wurzeln verbissen hatten. Sie schien so vertieft, so sehr mit sich und ihren Gedanken zu ringen, dass sie nicht einmal auf die Borkensplitter achtete, die sich zwischen einigen Wassertropfen auf der Seide ihres Kimonos tummelten. Im Gegenteil: Ihre rechte Hand nestelte an dem Holzstrunk, als wäre es ihr vergangen, den eigenen Durst zu stillen. "Izayoi ..." "H-hoher Herr?" Die Fürstentochter merkte auf, aber nur einen Wimpernschlag später versteifte sie wieder ihre Schultern und wich dem warmen, aufrichtig besorgten Gold in seinen Augen aus. Was tat sie denn da? Sie sollte es doch besser wissen, statt erleichtert auf ihren Namen aus seinem Mund zu reagieren oder das halbe Dutzend Grasbüschel ins Auge zu fassen, das ihre Knie voneinander trennte. Jeder andere Mann hätte darauf bestanden, dass sie hinter ihm Platz nahm und er, ein Dämon ... Verflixt. Ihr Herz reagierte mit einem kräftigen Schlag auf ihr Seufzen, ehe sie ihre Gefühle hinunterschluckte und die Wurzeln neben sich ins Gras legte. Zwischen den Halmen nahmen die Strünke prompt die Konturen haariger, schwarzer Spinnenbeine an. Es schauderte sie, aber deshalb hatte sie nicht vermieden, sie in den Mund zu nehmen. Wie sollte sie denn etwas zerkauen, solange auf ihrer Zunge so viele Fragen lauerten? Die eine Hälfte ziemte sich nicht und die zweite wagte sie nicht in der Nähe des Schmiedes zu flüstern. Dass der Greis sie kurz nach seinem ruppigen Gespräch mit einer Bedingung in den Mittelpunkt rückte, verschlimmerte ihre Situation ohnehin. Toutousai hielt sie ungeniert zum Reden an - und diese Feststellung schmerzte von allen am meisten. Wenn jeder Dämon in Isamus Nähe sie ansprach und darauf wartete, bis sie ihre Worte sortiert hatte, gab es keinen Grund mehr, sich von dem Verhalten des Hundedämons geschmeichelt zu fühlen. Keinen einzigen. Seine Gesten, sein feines Lächeln, ihre Hand in seinem Fell und sein Versprechen, auf sie zu achten: Welchen Wert besaß das noch? Unter Dämonen zu sprechen, bedeutete wohl nichts. Unglücklich neigte Izayoi ihre Stirn zum Boden, hin zu dem Dreieck, das ihre Fingerspitzen bildeten, und holte zaghaft Luft. "Es steht mir nicht zu", versicherte sie nachdrücklich, "auf den Schutz eines Schwertes zu bestehen. Ein Mann könnte diese Entscheidung treffen und darum bitten, denn er wurde dazu erzogen, Gefahren zu überblicken und einen Schmied zur rechten Zeit aufzusuchen. Doch ich ... ich bin eine Frau. Was verstehe ich schon von der Natur eines Dämons oder eines Feindes?" Und warum machte ihr das eine zu schaffen und das andere nicht? Izayoi schloss zögernd ihren Mund, aber als sie es wagte, ihren Blick hinter den dichten Wimpern schweifen zu lassen, zog sich ihr Mut bis in die Ärmelschleppen zurück und duckte sich hinter den Stickereien. Der dreiäugige Ochse hatte verblüfft aufgehört, seine Quaste über die Gräser tanzen zu lassen, dem Schmied schien ein Geist begegnet zu sein und der hohe Herr atmete tief ein, um das Wort zu ergreifen. "Toutousai." "Bedaure, alter Hund. Ich bin gerade zu schockiert, um zu sprechen. Sie ... sie hat mein gutes Schwert abgelehnt." Er nuschelte den letzten Satz ein weiteres Mal und dann gleich wieder, als könne er nicht fassen, dass es eine Menschenseele im wilden, ungezähmten und gefährlichen Westen gab, die von der Klinge und Gutmütigkeit eines Dämons nichts wissen wollte. Wie war das möglich? "Hat sie unterwegs nicht die Schirmkappenpilze gesehen? Den heimtückischen Froschlaich? Diese kleinen, widerlich haarigen Biester, die wie-" "Toutousai." "Huh?" "Würdest du uns bitte einen Moment allein lassen?" Der Schmied stockte, dann schrumpften seine Augen auf die Größe von Sakeschälchen zusammen, die man aufeinanderstapelte. Prompt verschränkte er die Arme vor seinem gestreiften Kimono und rümpfte die Nase, aber sein Versuch, alle Durchtriebenheit auf einmal zur Schau zu stellen, scheiterte an dem ernsten Ausdruck des Inu no Taishou - und dass dieser lieber die Fürstentochter ansah, statt ihn. "Na schön", entschied Toutousai murrend. "Wie du wünschst. Ich wollte ohnehin austreten und mir ein Plätzchen suchen, das von Zedern und Farn übersät ist, damit ein armer, altersschwacher Dämon wie ich in Ruhe gegen ein Hornissennest schlagen kann. Tze. Mit einer Klinge, die Blitze schleudert und dem Schwarm die hinterhältigen Flügel stutzt, wäre das kein Hindernis, aber-" "Nicht jetzt." "Pah!" Obwohl Toutousais Gelenke knirschten und knackten, erhob er sich widerspenstig und gab vor, dass ihn der angeschmolzene Raureif auf den Stoffen genug störte, um ihn fortwischen zu müssen. Dann starrte er Izayoi an und schnaufte im selben Ton, den sein Ochsendämon von sich gab, als der schwerfällig auf die Beine kam. So eine Spielverderberin! Kein Wunder, dass sein alter Freund sie in seiner Nähe willkommen hieß: Isamu hatte als Welpe keine Blume von der anderen unterscheiden können, aber er hatte jeden in sein Herz geschlossen, der einem anderen Dämon Kopfschmerzen versprach. Kopfschüttelnd klopfte Toutousai seinem treuen Begleiter Mo-Mo gegen die Flanke, dann staksten sie gemeinsam über Wurzeln und Gräser davon, bis der umgestürzte Baumstamm mit den Moosen und zerbröckelten Zunderschwämmchen vollkommen verwaist da lag. Die Wärme, die sich in der Nachtluft staute, brachte die Wipfel zum Knistern - dann seufzte Isamu schwermütig. "Eure Antwort fiel anders aus, als ich es erwartet habe." Schuldbewusst spannte Izayoi ihre Fingerspitzen an, dann wölbte sie ihre Schultern weiter vor und blieb dicht über die Gräser gebeugt. "Ich ... ich wollte Euch nicht kränken, hoher Herr." "Das habt Ihr nicht", entgegnete er ruhig, bevor er seine Mundwinkel bemühte. "Toutousais Gesicht hätte mich sogar amüsieren können, wäre Eure Miene nicht derart verschlossen und abweisend, seit ich zurückgekehrt bin. Liegt es an den Wurzeln? Sie sind bekömmlicher als sie aussehen, aber mit Euren Nägeln werdet Ihr ihnen nicht zu Leibe rücken können." Sogar das hatte er bemerkt? "Ich bin nicht durstig." "Ihr wisst so gut wie ich, dass das nicht stimmt." Geduldig wartete er ab, doch statt eine Antwort zu geben, zog sie ihre Fingerspitzen noch weiter über die Halme zurück, bis nichts mehr von dem übrig war, dass sie lächelnd und von Neugierde beseelt an seiner Seite zeigte. Ihre ganze Willenskraft schien darauf ausgerichtet, etwas mit sich auszumachen - und er hätte ein Narr sein müssen, um sich den Grund dafür nicht zusammenreimen zu können. "Eure Haltung", begann er leise, "hat sich erst verändert, als ich das Wort hinter Euch ergriff. Sollte ich Euch verärgert oder erschreckt haben, bedaure ich es, doch ich kann keinen Fehler korrigieren, ohne ihn zu kennen. Erklärt ihn mir. Ich bitte Euch." "Warum?" Verwirrt öffnete er die Lippen, doch er war sich sicher, sie nicht missverstanden zu haben. "Warum? Weil ich nicht weiß, wie ich Euch sonst Eure Unbekümmertheit zurückgeben könnte. Ihr seid wie eine Schnecke, die sich in ihrem Haus auf einmal sicherer fühlt, nachdem es ihr draußen zu gefährlich geworden ist und zu viele Meisen nach ihr pickten. Ich wünsche Euch nichts Schlechtes." "Ich weiß", flüsterte sie, während in ihrem Hals ein Kloß lauerte, den Reis, gebackene Tintenfischringe und Frühlingszwiebeln nicht zäher hätten schmieden können, "doch das habe ich nicht gemeint." "Werdet Ihr es mir verraten?" Warum ... Es war so leicht, den Satz zu beenden und all ihre Gedanken daran aufzureihen, so wie man es mit Perlen und Holzstückchen tat, die man im Sand des Innenhofes platzierte, bevor die Diener entsetzt die Unordnung mit ihren Besen zerstreuten. Als kleines Mädchen hatte sie Takemaru immer wieder dazu anstacheln können. Seine ernste, stolze Haltung war unter ihrem Zupfen und Flüstern stets wie Bienenwachs aufgeweicht und zu einem Lächeln zerflossen. Doch alles, was man anfing, besaß einen Preis und Izayoi wusste nicht, ob sie bereit war, ihn dieses Mal zu zahlen. Die Wunden, die ein Haselnusszweig auf ihre ausgestreckten Fingerknöchel schlug, mochten verheilen, aber Gefühle ... Ach, wie leicht war ihr das Leben als Kind erschienen! Wehmütig schlug Izayoi die Wimpern nieder, ehe sie aus den Augenwinkeln bemerkte, dass sich unweit von ihren Händen ein Spinnennetz befand. Es hing zwischen taubenetzten, grauschimmernden Blüten und einem Stein, der von Löchern zerfressen war - und darüber, kaum größer als die Spitze ihrer Fingerkuppe, kletterte ein Käfer, an dessen Panzer ein dünner, klebriger Faden klebte. Izayoi erinnerte sich daran, dass Mo-Mo, der Ochse, ein Farnblatt in der Nähe abgerissen hatte. War er deshalb frei gekommen? Ein glücklicher Zufall? Ja, vielleicht. Mutig fächerte das Insekt am höchsten Punkt die Flügel auf, aber dann zog eine Windbrise durch das Gras und riss den Käfer zurück ins Netz, wo er mit hilflos zappelnden Beinchen hängen blieb. Ehe sie jedoch erschüttert ihre Hand ausstrecken konnte, senkte sich eine Klaue behutsam über den chitinbedeckten Bauch - und Izayoi wurde bewusst, dass sie nicht die Einzige war, die erleichtert lächelte, als der Käfer seine Chance ergriff. Ohne Eile hob der Herr der Hunde seine Hand empor und sah dabei zu, wie sich winzige Füße mit Widerhaken über seine Haut stahlen, bevor er die eigenartige Stille brach. "Euer Schweigen ist mir unangenehm", verriet er raunend. "Und ich kann Euch kaum sagen, wie sehr. Es baut keine Brücken, obwohl Ihr meine Beweggründe vielleicht besser verstehen würdet, wenn Ihr mich nur danach fragt. Lasst mich nicht raten, woran es liegt, Izayoi." Sehnsüchtig ließ er den Käfer ziehen, ohne zu ahnen, wie flau der jungen Frau vor ihm geworden war. Er hörte nicht mehr als das Rauschen ihres Blutes und den Herzschlag, der nervös hinter der persimonenfarbenen Kimonoseide zunahm. Dann grub Izayoi ihre Fingernägel in den aufgeweichten, feuchten Boden und gab endlich nach. "Warum", hauchte sie, "warum kümmern Euch meine Ansichten so sehr? Warum habt Ihr mir nicht verraten, wofür dieses Schwert dienen sollte? Ich bin hier und soll auf etwas antworten, von dem ich nichts verstehe, aber das könnte ich verkraften. Möchtet Ihr wissen, was mich beschäftigt? Ich wurde heute geweckt und habe so vieles über Euch erfahren dürfen, das mich berührt und verwirrt, doch Eure Ehefrau ... Ihr habt sie mit keinem Wort erwähnt. Warum kehrt Ihr nicht zu Ihr zurück? Warum wollt Ihr mich schützen und nicht sie, Isamu?" - - - - - - - Was sagt man(n) denn dazu? Erfahrt es in Kapitel #33, "Klatschmohn IV". Kapitel 33: Klatschmohn IV -------------------------- Apfelblüte - Klatschmohn IV - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 111 Einen Moment glaubte Izayoi, die einkehrende Stille würde ihr gut tun und die Brust mit Genugtuung füllen, weil sie endlich ihren widersprüchlichen Gefühlen Luft gemacht hatte, aber dann begriff sie, was ihr gerade über die Lippen gekommen war. Erschrocken weiteten sich ihre Augen, während sie von seiner versteinerten Miene abließ und sich selbst um die Gelegenheit betrog, den aufkeimenden Funken Überraschung in seinen Augen zu erhaschen. Bei allen Göttern! Sie ... sie hatte ihm Vorwürfe gemacht! Sich benommen, als stünde es ihr zu, seine Entscheidung in Zweifel zu ziehen und ihn wie einen unartigen Jungen zu behandeln, der kaum den Gemächern seiner Mutter entschlüpft war! Obwohl er sie zur Offenheit ermuntert hatte, spülte eine Welle der Furcht und Schuld über sie hinweg, die ihren Mut in Stücke schlug. "V-verzeiht", flüsterte sie überstürzt. "Ich habe zu viel gewagt." Das Zittern in ihren Händen bot einen fürchterlichen Kontrast zu der bedächtigen Art, mit der Isamu den Mund verzog und die Augenbrauen in die Höhe schob. Hätte sie sich selbst sehen können, wie sie zwischen Gräsern und Nebel kauerte, wäre ihr vielleicht ein ähnliches, bedrücktes Lächeln in den Sinn gekommen. Eine Weile blieb es still. In den Gedanken des Daiyoukais hallte ein Tropfen wider, der sich von einer Blattader gelöst hatte und zwischen Wurzelwerk aufschlug. Das Knistern der Zweige klang wie das ferne Singen eines Shamisen, nur rauer und unsteter - und er saß da und fühlte, dass ihm weder der erste, noch der zweite Anlauf zu einer Antwort gelingen wollte. Es bestand kein Zweifel daran, dass es außer Myouga niemand gewagt hätte, ihn mit der Nase auf diese Umstände zu stoßen, doch sein Impuls schalt ihn gleichermaßen einen Narren wie es seine Instinkte taten. Wie hätte er aussprechen können, dass ihn der Gedanke an seine eigene Residenz mehr schmerzte als erfreute? Nein, das ziemte sich nicht. Es gab viele Traditionen, die er in seiner Jugend harpuniert hatte, doch die Zuneigung, die ihn mit dem Haus seiner Geburt, seinen Bediensteten und der Familie verband, verbat ihm als Fürst, ein schlechtes Wort über sein Heim zu verlieren. Er mied diesen Ort nicht, weil man ihm die Loyalität versagte oder seiner schmähte - es lag am Unglück, das ihn seit drei Jahrhunderten verfolgte, und an seiner eigenen Unfähigkeit, dieses für alle erträglicher zu machen. Die Falte zwischen den Brauen des Inu no Taishou vertiefte sich, dann verschwand sie unter einem bedauernden Atemzug. "Ihr habt Recht", begann er leise und strich mit einer Klaue über das Fell, das sich unangenehm in seinem Nacken kräuselte. "Es muss äußerst eigenartig wirken, dass ich Euch verbundener erscheine als meiner eigenen Gefährtin. Die Wahrheit ist ..." Huh. Wie sollte er das nur ausdrücken? Sein Blick wanderte nachdenklich in die Ferne, hin zu dem diffus durcheinander gleitenden Schwarm aus Glühwürmchen und einer gefleckten Motte, die sich vergeblich darum bemühte, im Flügelschlag der anderen Insekten unsichtbar zu werden. "Ich vermute, ich erscheine ihr als Fürst wie ein Nagel, der sich nicht mehr in das Brett zurückschlagen lässt. Wir hatten lange, gute Jahrhunderte miteinander, Izayoi, und ich achte sie noch immer. Sie ertrug meine Art, als ich noch ein Welpe war und hütete jedes Geheimnis, das ich ihr anvertraute. Ich gab ihr zu Beginn unserer Ehe keinen Grund, mich zu schätzen, und doch schenkte sie später unserem Sohn das Leben - aus Freude, nicht aus Pflicht." Der Schatten, der in seinen Mundwinkeln lauerte, wurde heller, als er sich daran erinnerte, wie er sich das erste Mal die hauchzarten Klauen Sesshoumarus aus dem Haar zog, nur um sie einen Atemzug später wieder trotzig über die Wange kratzen zu spüren. Er hatte gelacht, sie ihn erbost gescholten, bevor sie den Strapazen der Niederkunft nachgab und zurücksank. "Mein Vater hat sie vergöttert und ich ... nun, ich tat es nicht minder. Aber manchmal ändern sich die Umstände und Wolken ziehen auf." Schweigend sah er zu Izayoi, deren Zähne angespannt in die Unterlippe gefahren waren, als wüsste sie nicht recht, ob sie ihn unterbrechen sollte oder abwarten durfte, was er preisgab. Ihre Haltung war noch immer geduckt, ihr Atem kam schnell und flach. Am Ende neigte er sich vor, gerade weit genug, um mit der Stirn nicht die Halme zu berühren und sie besser mustern zu können, ja, fast zu imitieren. Dass sein weißes Haar auf den Grund fiel, kümmerte ihn nicht. "Ich habe es Euch angedeutet", fuhr er dann fort, "als ich von der Stille sprach, die jemanden martern kann, wenn ein Kind sein Leben lässt. Kein Schwertmeister und kein Berater vermag jemals, diesen Schmerz zu zerstreuen, und ich fürchte, Ihr werdet mir zustimmen, dass auch Eure Amme daran scheiterte, Euer Leid zu lindern. Es ist ... fast pathetisch. Diejenigen, die uns am glücklichsten stimmen konnten, erhalten nach ihrem Tod so wenig Platz in unseren Worten. Damals erntete ich Wut und Zorn im Überfluss. Stellt es Euch vor: Eine Frau, die mir vor den verbliebenen, erschöpften Männern Dinge entgegenspie, die sie leichthin das Leben hätten kosten können. Versteht mich nicht falsch. Ich hatte all das verdient, doch seitdem habe ich den rechten Moment stets verpasst, mehr über ihre Gedanken zu erfahren. Sie schweigt eisern, in fast allen Facetten. Zu Anfang dachte ich, sie würde bloß warten, bis meine üblichen Pflichten mit der Dämmerung erlöschen: Schriftstücke, Tuscheriegel, die Interessen tapferer Gefolgsleute und Zankereien um Erbschaften, aber auch die guten Nachrichten um Geburten, reiche Ernten und die Errungenschaften meiner Verbündeten. Doch wenn wir allein waren, blieb uns nichts außer einiger kümmerlicher Versuche und der Hoffnung, unseren Erstgeborenen alt genug werden zu sehen, um das Getrappel kleiner Füße zu hören, bevor ihm ebenfalls Klauen ins Fell greifen. Welpen sind etwas Wunderbares, Izayoi. Sie können ein Unglück nicht ungeschehen machen, doch sie zeigen, wie wertvoll es ist, sich um Frieden und Harmonie zu bemühen." Er hielt inne, ertappte sich dabei, dass er sie anlächelte und beendete den warmen, gutmütigen Spuk mit einem Atemzug. Dann richtete er sich wieder auf und drückte die Schultern durch. "Deshalb bin ich hier, bei Euch. Ihr redet mit mir und hört mich an, obwohl man Euch so viele Gründe beibrachte, meinesgleichen zu fürchten. Vielleicht lag es nicht in Eurer Absicht, aber ... ich weiß das zu schätzen. Ich habe viele Wege gesucht, um den Verlust und meine Schwächen zu ertragen, und Ihr widmet mir Zeit, sogar Verständnis. Es grämt mich, dass man Euch nach dem Leben trachtet." "Der Drache", flüsterte sie matt. "Ja." So war das also ... Forschend sah ihr der Herr der Hunde dabei zu, wie sie erst den Blick zu Boden richtete und dann ihre Fingerspitzen an Anspannung verloren. Der Nebel umschlang längst ihre Hände, hatte sich dunstig und schwer auf den Seidenfasern ihres Kimonos niedergelassen. Fast schien er unheilvoll genug, um auch ihr Gesicht zurückweichen zu lassen, doch die Natur hatte nichts mit der Handbreit zu tun, die sie zwischen sich und die Gräser brachte. Es war die Gewissheit, eine Antwort erhalten zu haben. Er nahm sie völlig anders als seine Ehefrau wahr. Offenbar beflügelte ihn der Gedanke, dass sie unverblümter reagierte als eine Dämonin. Gewiss war das seine Gattin: Wie sonst hätte er von Jahrhunderten sprechen können? Kein Mensch erlebte so viele Sommer. Dabei hatte sie noch mehr über ihn erfahren: Seine Pflichten passten zu dem, was Toutousai mit dem Titel des Herrn der Hunde und eines Fürstensohns über ihre Vorstellungskraft hatte hereinbrechen lassen - und obwohl der Schmied sie lehren musste, dass nichts Besonderes darin lag, als Dämon zu reden, schien es überaus bemerkenswert zuzuhören und ein Gefühl beim Namen zu nennen. Oh, wie ähnlich sich Menschen und Dämonen doch waren ... "Izayoi." Huh? "Teilt Eure Gedanken", bat Isamu leise. "Ich war wie ein Wasserfall und ich gebe Euch mein Wort, dass es meine Achtung vor Euch nicht schmälern wird, gleich, was Ihr erwidert. Ihr müsst Euch nicht vor mir fürchten." "Ich-" "Ja?" Nun, warum sich länger verstellen? "Ich fürchte mich nicht vor Euch, hoher Herr. Nicht mehr." "Isamu", berichtigte er sanft. "Isamu." Sittsam zog die junge Frau ihre Hände zurück in den Schoß, bevor sie sich mit einer Bürde aufrichtete, die ihren flauen Magen und den trockenen Hals befeuerte. Flüchtig huschte ihre Aufmerksamkeit über die nahen Zunderschwämmchen, Steine und das Spinnennetz, dann schluckte sie und gab ihr Bestes, ihre Unruhe zu vertreiben. Es fühlte sich eigenartig an, wieder mit ihm reden zu wollen. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, ihn und seine Offenheit abzuweisen, nicht wahr? Und nun hatte er sie einfach überrumpelt. "Ihr habt mir sehr viel anvertraut." "Ärgert es Euch?" "Nein." Sie fühlte sich durch seine Worte berührt und geschmeichelt, aber das wollte Izayoi nicht zugeben. Ihr Herz klopfte bereits verräterisch genug, während sie ihre blassen Fingerspitzen knetete und einen anderen Einfall auf der Zunge drehte. "Ihr solltet nicht unglücklich sein", begann sie. "Nicht für so lange Zeit wie bisher." "Das ist sehr freundlich von Euch." Sie lächelte schüchtern, ehe ihre Stimme leiser nachsetzte: "Es ... es steht mir nicht zu, Euch das zu fragen, aber würde es Eurer Gattin etwas bedeuten, wenn Ihr dieses Schwert hättet und den Drachen erschlagt?" "Wollt Ihr deshalb zustimmen? Um ihretwillen?" "Verdient sie nicht denselben Frieden wie Ihr?" "Das tut sie", bestätigte er, bevor er das Kinn auf die Hand stützte und darüber rieb. Kurz darauf huschte sein Youki wärmend durch das Unterholz und schmolz weiter den Raureif, der an Halmen und Farnen hing. "Ihr habt ein gutes Herz, wenn Ihr über das Schicksal einer Dämonin nachdenkt und auf mich achtet, statt die Gefahren für euer Leben zuerst ausmerzen zu wollen. Euer Angebot ehrt Euch, doch dafür brachte ich Euch nicht hierher. Eine Ehe rettet man nicht mit einem neuen Schwert, sondern hier." Sein Atem flatterte still, während er die Hand auf seine Brust bettete und der Kimono kleine Falten schlug. Unter seinen Fingerkuppen spürte er einen ruhigen, ausgeglichenen Schlag, der erst ins Wanken kam, als er ihr Stirnrunzeln bemerkte. Oh. "Ich vergaß, dass Ihr nie verheiratet gewesen seid", entschuldigte er sich. "Nehmt es als Hinweis an." "Ist das üblich unter Dämonen? Eine ... eine Ehe aus Zuneigung?" "Nein", knöpfte er ihr den Gesprächsfaden ab, bevor sie auf den Gedanken kommen konnte, alle Youkai interessierten sich füreinander. Das wäre ein gefährlicher Aberglaube, der neben Intrigen und Heuchelei den schnellsten Tod versprach. "Eine Ehe bietet Schutz für die Nachkommen und legt unerwünschte Fehden bei. Viele verzichten jedoch auf sie, da sie die Klauen im Rücken fürchten. Jene, die heiraten, leisten sich nur selten Gefühle. Denkt an meinen Sohn, Izayoi. Sesshoumaru achtet keine Frau neben seiner Mutter und sollte ihn jemals eine erweichen, müsste sie zunächst über die Maßen stur und hartnäckig sein, um ihn reden zu hören. Ich wünsche ihm solche Zuneigung und aufrichtiges Interesse, doch deshalb würde er nicht beginnen, bunte Papierschiffchen in Flüsse zu setzen oder ihr Blüten in das Haar zu flechten." "Ich ... ich verstehe. Er ist misstrauischer als Ihr es seid?" "In der Tat. So wie alle Dämonen, die nach Stärke suchen und ihre eigenen Schlachten schlagen. Eines möchte ich Euch jedoch versichern." Er hielt inne, dann bedeckte er behutsam ihre Hand mit der seinen und umschloss ihre Fingerspitzen, als hätte er nie etwas Wertvolleres festgehalten. "Unabhängig davon, welche Worte heute Nacht gefallen sind und ob Ihr Toutousai darum bitten werdet, eine Klinge zu schmieden, mit der ich Euch vor Unheil bewahren kann: Vertraut mir. Eure Gegenwart erhellt meine Tage und das möchte ich Euch noch immer vergelten. Solange Blut in meinen Adern fließt, werdet Ihr keine Feinde kennen und keinen Mann annehmen müssen, der Euch ängstigt. Euer Atem verweilt zu kurz auf dieser Welt, um ihn an Sorgen zu verschwenden. Ich überlasse Euch niemandem, dem Ihr weniger am Herzen liegt als mir. Wollt Ihr mir das glauben?" - - - - - - - Ist das romantisch? Hört die Antwort in Kapitel #34, "Flieder". Kapitel 34: Flieder ------------------- Apfelblüte - Flieder - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 112 Erstaunen erfasste sie und vermischte sich mit dem Gefühl, das auf ihrem Handrücken gedieh. Izayoi spürte die rauen Stellen seiner Haut, die auf ihren Fingerknöcheln lagen und doch ... seine Berührung hatte nichts damit zu tun, dass er sie wie ein Schwert an sich reißen wollte. Die Geste war behutsam, sanft und seine goldenen Augen funkelten still, während sich der Zug um seine Lippen ernsthaft und geduldig ausnahm. Als er Atem schöpfte, schlug sie die Wimpern nieder und lächelte. "Ich möchte es glauben", flüsterte Izayoi, während der Geruch der Gräser, und das Zirpen und Flattern der Insekten an Bedeutung verloren, "aber um eines muss ich Euch dennoch bitten. Achtet nicht allzusehr auf mich. Wie könnte ich verlangen, dass Euer Blut um eines Versprechens Willen vergossen wird? Nein, das wäre nicht richtig. Ihr besitzt einen Sohn und ich tue es nicht. Gäbe es ein Unglück, hätte ich ihm den Vater genommen und ich wünsche nicht zu erfahren, auf welche Weise mir Eure Familie mit Groll begegnen würde. Was hätte ich ihnen entgegenzusetzen?" Isamu wusste, von welcher Schwäche sie sprach, doch den Kopf zu schütteln und die freie Hand unter ihr Kinn zu legen, auf dass sie ihn ansah, erschien ihm einfacher als das Grauen heraufzubeschwören, das man über sie bringen mochte. "Mein Sohn", sagte der Inu no Taishou leise, "klagt nicht. Nie. Menschen sind ihm einerlei und er hätte wenig Grund, Euch meinen Tod anzulasten. Seine Trauer würde niemals seinen Verstand vergiften." "Aber sein Herz", hauchte Izayoi vorsichtig, "so er das Eure in sich trägt?" "Vielleicht." Nein, ganz gewiss sogar. Sesshoumaru sehnte sich danach, ihn zu übertreffen. Er sah den Ehrgeiz und die schwelende Wut seit langer Zeit in den Augen seines Welpen glühen und jeder erteilte Ratschlag nagte an seinem Stolz. Trotz der ausgefeilten Technik und des Talents hatte sein Junge noch immer nicht verstanden, dass es nicht die Macht eines Schwertes war, die über Siege entschied. Weisheit fälschte Klingen ab, um sie zwischen Rippen und Muskeln schieben zu können - nicht Schärfe allein. Ein Fürst benötigte beides, um seine Ländereien zu schützen. Als Vater hatte er ihm bereits das Wichtigste in die Klauen gelegt, doch die Frucht reifte kläglich. Zu früh zu sterben, hieße ihn glauben zu lassen, seine Geheimnisse mit ins Grab zu nehmen. Isamus Mund barg ein schlichtes, wehmütiges Lächeln. Er schwieg, gefangen genommen von seinen eigenen Befürchtungen. Erst Izayois Blinzeln und der Anblick ihres Gesichts, der dichten Wimpern und Lippen, die so nah bei seinen Fingerkuppen geschürzt wurden, brachten ihm die Gegenwart zurück. Was hätte er darum gegeben, sie nicht wieder zurückweichen zu sehen, bis ihm nur noch ihre Hand verblieb. Dann zog eine Windbrise auf, die sich schwer wie der Flügelschlag eines Reihers unter den Blättern der Bäume entlang schob. Dürre Schatten stachen hinter den Ästen hervor, ehe sie an Borken und faustdicken Pilzen herabschlichen, um sich zwischen Moosteppichen und Halmen zu verfangen. Als Izayoi ihren Mund wieder öffnete, hatte sie beinahe vergessen, wie lange sie bereits beieinander saßen. Sie hörte Gräser rascheln und bemerkte die feinen, hellen Härchen in seinem Schulterfell trotz pechschwarzer Nacht, doch ihre Gedanken kehrten rasch wieder an andere Ufer zurück. Eines ließ ihr keinen Frieden: Es fühlte sich wie ein Dorn an, der zwischen Blütenblättern und Stängel lauerte, aber die Furcht verlor gegen den Wunsch, sich Gewissheit zu verschaffen. "Darf ... darf ich Euch etwas fragen, hoher Herr?" "Natürlich. Was auch immer Euch auf dem Herzen liegt." Ihr gelang ein Nicken, während sich Verlegenheit in ihre Gesten stahl und sie das Rauschen ihres Blutes wie das Schnattern der Gänse und Klappern von Essstäbchen verdrängte. "Würde ... würde Euer Schmied ... würde Toutousai ebenfalls meine Hand halten?" "Wie?" Ehe der Herr der Hunde sein Erstaunen bezähmen konnte, ertönte ein Schrei, der laut genug gewesen wäre, um den umgestürzten Baumstamm zu ihren Füßen vor Schreck wieder aufzurichten. Zeternd und schnaufend trat der Schmied aus den Schatten der Farne, ohne ein Reiskorn darauf zu geben, sich gegen den Wind an einen Daiyoukai angeschlichen und ihn neugierig belauscht zu haben. Das war kein Talent, sondern ein mittelprächtiger Grund, mit den Zähnen zu knirschen. "Jetzt ist es aber genug! Hört auf mit diesem Unsinn!", wetterte er erbost. Klatschend fuhr Toutousais Hand gegen die Flanke seines Ochsen, ehe er das arme Tier aus den Augenwinkeln anstarrte, als hätte es muhend den Vorschlag unterstützt, ihn mit solch einer albernen Idee zu verärgern. "Ich rühre keine Menschenkinder an", erklärte Toutousai knatschig. "Nie! Soll ich dir das auf ein Maulbeerpergament pinseln, Mädchen? Schon der Gedanke macht mich ganz krank. Solch ein Süßholzgeraspel!" "Toutousai." "Was?", erwiderte der Schmied hitzköpfig. "Hast du nicht stets darauf bestanden, Ehrlichkeit zur rechten Zeit wiege einhundert Schwerter auf? Dann ernte auch, was du gesät hast, alter Freund!" "Ihr gebührt ein besserer Ton." "Warum?" "V-verzeiht", stotterte Izayoi, die nur von dem Druck auf ihrer Hand davon abgehalten wurde, sich in die Gräser zu werfen. Dass der Hundedämon neben ihr ein Grollen ausstieß, stimmte sie umso nervöser. Für einen Streit wollte sie nicht die Verantwortung tragen. Die Luft war mit einem Mal so glühend und stickig, dass ihr die Kehle brannte. "Es ... es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu beleidigen, verehrter Schmied." "Pah!", wiegelte der kratzbürstig ab, während das Youki des Inu no Taishou höher wallte, gefrorene Grashalme abknickte und ihm bedrohlich unter den Baumwollkimono kroch. Schon wieder! Eine liederliche Angewohnheit war das, wenn man dem das Worte aus dem Munde nahm oder so sprach, wie einem der Schnabel gewachsen war. Aber gut, er wollte ihn nicht weiter reizen. Auch der ruhigste Hund konnte beißen und Isamu stand kurz davor, sich zu erheben. "Was ist nun mit meinem schönen Schwert?", lenkte Toutousai daher die Gemüter in ruhigere Gewässer. "Wünscht dein Menschenkind den Schutz des Herrn der Hunde?" Isamu öffnete scharf die Lippen, ehe ihm ein Flüstern zuvorkam, das so dünn wie ein Reiskorn klang, das auf Bambusmatten fiel. "J-ja." Huh? "Wie entzückend!", jubelte der Schmied und weidete sich an dem Umstand, dass ihm die Steine aus dem Weg geräumt wurden, die seiner Handwerkskunst schmähten. Danach bohrte Toutousai in aufgesetzter Gelassenheit mit der Klaue in seinem Ohr und sprach die Frage aus, die Isamu selbst am meisten beschäftigte: "Woher rührt der Sinneswandel?" Izayoi schrumpfte unter flammend roten Wangen noch weiter zusammen. Nun auch noch das! Sie hatte kaum verwunden, dass sie dem hohen Herrn zuvorgekommen war. Als Frau ziemte es sich nicht, das Gespräch an sich zu reißen. Dabei war es nur ein einziges Wort gewesen! Eine kleine, harmlose Silbe - und doch änderte sie alles. Ihr Herz schlug schneller, ihre Fingerspitzen wurden klamm vor Furcht. Der Gatte ihrer lieben Schwester Chidori hätte sie gewiss hart bestraft. Aber wie sollte sie länger in dem Bambuskäfig ihrer Erziehung ausharren, wenn Isamu sie immerzu dazu ermunterte, das Gegenteil zu tun? Auch Tatami-Matten konnten sich ungeachtet ihrer Streben und Damastfäden im Sturm verbiegen: Ließ das Unwetter nach, fanden sie in ihre alte Form zurück und niemand ahnte mehr das Abenteuer. Ja, das erschien ihr eine gute Erklärung für ihr fürchterliches Verhalten. Eine Ausnahme zu gestatten, um die Wogen zwischen den Dämonen nicht aufpeitschen zu lassen, war mutig genug. "Ich hoffe nicht auf Schutz für mich", flüsterte Izayoi, "aber darauf, dass ein Schwert von Eurer Hand jedes Leben verteidigen kann, das einem Fürsten teuer ist. Ganz gleich, ob Mensch oder Dämon oder ... oder Hanyou." "Aha." Hanyou. So so. Toutousai schnalzte trocken mit der Zunge, bevor er mit der Spitze über seinen Gaumen strich, die Zähne überspeichelte und dann in einer Grimasse innehielt, die er für den Herrn der Hunde persönlich aufgespart hatte. "Bring bitte niemanden auf Ideen, Mädchen, ehe ich die zweite und dritte Bedingung ausgesprochen habe." - - - - - - - Ideen? Wer kommt da auf Ideen? Wir in Kapitel #35, "Gerbera"? Kapitel 35: Gerbera ------------------- Apfelblüte - Gerbera - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 113 Ideen? Was konnte er nur meinen? Izayoi öffnete ihre Lippen, aber ihre Frage versandete, bevor sie das erste Wort ersonnen hatte. Das warnende, dunkle Grollen an ihrer Seite ließ sie begreifen, dass der hohe Herr nicht lange darüber gerätselt hatte, wovon der Schmied sprach: Das Gold wich aus Isamus Augen, schneller als ein Fluss, der über eine Klippe hinweg in die Tiefe stürzte. Schlagartig wallte die Hitze wieder auf und drückte die Gräser erbarmungslos zu Boden. Im nächsten Moment wurden Izayois Knie so weich, dass sie dankbar darum war, bereits zu sitzen. Um ... um Himmels Willen! Das Rot, das in seinen Augen zurückblieb, ängstigte sie genug, um ihm geistesgegenwärtig die Hand zu entreißen - und was auch immer der Daiyoukai hatte zischen wollen, fiel einer unübersehbaren Überraschung zum Opfer. Verwirrt starrte er zu seinen Klauen hinab, bevor ihn das Rascheln der Seide und die silbern bestickten Ärmelschleppen Izayois erhellten und Toutousais erleichtertes Schnaufen an Bedeutung verlor. Natürlich. Er ... er musste sie erschreckt haben. Zum zweiten Mal in dieser Nacht, ohne jede Vorwarnung. Was war er doch für ein Narr. Sie konnte schlecht ahnen, dass er seinem alten Freund nur die Unterstellung hatte verleiden wollen, ihn für zu unbeherrscht zu halten. Ihm waren in den letzten Jahrtausenden viele Begehren nachgesagt worden, doch einen Hanyou zu zeugen? Mit ihr? Bedächtig schöpfte der Herr der Hunde Atem, ehe er den Impuls bezwang, Toutousai dafür in den Teich der Froschdämonen zu werfen, bevor er ihn wieder herausfischte und so lange kopfüber von einer Baumkrone baumeln ließ, bis ihm die Entschuldigung aufrichtig genug klang. Es würde ihm kein Glück bringen, geschweige denn Verständnis. "Ich nehme an", raunte er, "dass Euch sein Leben teuer ist?" "Ja", flüsterte sie. "Ich hatte nicht vor, es ihm zu nehmen. Ich finde keinen Gefallen daran, eine Beleidigung mit dem Tod zu vergelten und das weiß er so gut wie ich es tue. Dieser Umstand ermuntert ihn oft genug." "Oh." Isamu musterte sie mit einem nachsichtigen Lächeln, ehe seine Schultern absackten, als streife er den Unmut wie ein zu groß gewordenes Gewand ab. Allmählich kehrte Entspannung in seine Adern zurück und erstickte das Rot in seiner Iris, doch für den Raureif auf den Halmen kam dieser Wandel zu spät. Der geschmolzenen Frost glitt an den Innenseiten der Gräser hinab, ohne sich an den verkohlten Spitzen zu stören, die das Youki versengt hatte. Bedauernd schloss er die Augen. Und dafür war ihm die Wärme ihrer Fingerspitzen abhanden gekommen? "Toutousai." "Hm?" "Ich wünsche, dass du ihr deinen schlechten Scherz erklärst." "Was?!" Der Schmied rang empört nach Luft, während er sich mit der Hand über den verschwitzten Nacken rieb. Er wusste, dass er den Bogen überspannt hatte, aber das machte seinen Starrsinn nicht ungeschehen. "Warum sollte ich? Ich habe ihn überlebt, das genügt mir für den Anfang völlig und ich kann nicht behaupten-" "Das war keine Bitte, alter Freund." Ach! Zum Henker mit diesem Hundedämon! Mürrisch verzog Toutousai das Gesicht, bevor er den ein oder anderen Fluch dachte und darüber brütete, ob das Menschenkind ihn wirklich nicht verstanden hatte. So unbedarft konnte sie kaum sein. Seine kleine Bosheit lag doch auf der Hand, oder? Umso mehr verblüffte es ihn, dass Izayoi ihn mit schüchterner Neugierde betrachtete. Sie kniete stumm da, aber ihre Augen waren geweitet und glichen den Zunderschwämmchen, die in der Borke des umgestürzten Baumes neben ihm leuchteten. Als sie bemerkte, dass sich der Inu no Taishou flüsternd zu ihr lehnte, zupfte jedoch eine Unschuld an ihrem Mundwinkel, die kein Dämon sein Eigen nannte. Tze. Was gab es da überhaupt zu tuscheln? Wollte man sich auf seine Kosten amüsieren? Trotzig starrte Toutousai Löcher in die Kimonoseiden der beiden, um sich nicht wieder zu einer ungesunden Bemerkung hinreißen- Dann traf ihn völlig unverhofft ein Geistesblitz. Ha! Natürlich! Warum war ihm dieser Einfall nicht viel eher gekommen? Das hätte sich doch der kleine Flohgeist nicht besser ausdenken können. Er musste nur angemessen zerknirscht klingen, um seinen ersten Seitenhieb in völlig neue Bahnen zu lenken und den Inu no Taishou mit der Nase darauf zu stoßen, dass es hier nur einen Mann gab, der bereits ein Rudel Hanyouwelpen winseln hörte. Wer dachte dabei eigentlich an ihn? Mit einem grätigen Räuspern holte sich Toutousai die Aufmerksamkeit zurück. "Eigentlich wollte ich darüber kein Wort mehr verlieren", behauptete er, "aber ich dachte, der feine Fürst hätte sowieso vor, dich zu dieser Insel zu bringen, auf der mehr Hanyous leben als ich Finger besitze. Deshalb sagte ich doch, du sollst ihn nicht in Versuchung führen, bevor ich fertig bin!" 114 Es gab eine Insel, auf der Halbdämonen lebten? Tatsächlich? Das Gefühl, das sich in ihrem Magen ausbreitete, schwirrte vor Aufregung, als sei sie zufällig über einen besonders hübschen, glattpolierten Kieselstein gestolpert, den sie heimlich von allen Seiten betrachten wollte. Nie zuvor hatte Izayoi von einem solchen Ort gehört, aber was verstand sie schon von der Welt? Ihr war oft erklärt worden, dass es für eine Fürstentochter weitaus Erstrebenswerteres gab, als sich mit den Gedanken an Wälder und Fremde zu beschäftigen. Sie musste verständig und gehorsam sein, sollte tagein, tagaus üben, wie man sich unbemerkt in die Ecke eines Raumes zurückzog oder die weiche Haut des Handgelenks verbarg, während man dem Shamisen einen Ton entlockte und das Kinn sittsam senkte. Wäre sie erst verheiratet, käme die Pflicht hinzu, ihrem Ehemann einen Sohn zu schenken und der Schwiegermutter wenig Grund zu geben, verärgert die Stirn in Falten zu schlagen, weil sie sich selbst und jede anwesende Hofdame beschämte. Wie mochten die Kinder von Menschen und Dämonen leben? Vielleicht gab es auf der Insel schroffes Gestein oder weite Felder, auf denen Bauern Hirse oder sogar Reis ernteten, den sie mit Handsicheln abschlugen. Die Jungen könnten die Morgenstunden mit aufmüpfigen Stockkämpfen verbringen und die Mädchen sich das Haar kämmen und in Knoten drehen, um ihren Müttern zu ähneln, falls ihnen harte Arbeit erspart blieb. Izayoi dachte über kleine, aus Holz gefertigte Hütten nach, in denen der Rauch frisch gefangenen Fisch umschmeichelte und an den Balken unter dem Strohdach nagte. Takemaru hatte ihr so vieles über das einfache Leben berichtet, als ihre Hüften noch schmal gewesen und ihr Mund neugierig zu flüstern wagte, wann immer man ihn in ihre Nähe befahl. Wie oft hatte sie an seinen Lippen gehangen! Für jede zufriedenstellende Antwort war ihr eine neue Frage in den Sinn gekommen, obwohl sie nie wusste, ob er sich die Geschichten über die kleinen Fische in den Wassergräben oder Schlangendämonen in den Schatten der Residenzmauern nur ausdachte. Doch dann waren die Sommer gekommen, die ihn dank harter Strafen für das unziemliche Verhalten gegenüber ihr, der Fürstentochter, das Schweigen gelehrt hatten. Manchmal überfiel sie Wehmut, wenn sie daran dachte. Es waren kurze, nüchterne Sätze, die er seit seinem fünfzehnten Sommer von sich gab, und sobald sie sich bei ihm bedankte, wich er zurück, als fürchte er sich davor, dem duftenden Seidenkrepp in ihrem Ärmeln näher als zwei Ellen zu kommen. Aber Takemaru besaß ein gutes, tapferes und selbstloses Herz. Er hatte sie sogar einem Hundedämon entreißen wollen... "Izayoi." "Ich ... ich war in Gedanken. Verzeiht." Die junge Frau blickte auf, dann neigte sie verlegen den Kopf und bedachte Isamu mit einem Lächeln, das ihre Mundwinkel nur einen Fingerbreit anhob. Dass er es trotzdem erkannte, verriet sein freundliches Gesicht. Nun gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Im Gegensatz zu ihm durchschaute sie Toutousais Behauptung nicht und hielt die raffinierte Ausflucht für die Wahrheit. Bevor er den Trugschluß korrigierte, wollte er jedoch mehr über ihre Ansichten erfahren. Es rührte ihn, dass sie auf Geschöpfe Rücksicht nahm, die nur wenige Menschen duldeten. "Würde es Euch gefallen, die Insel mit eigenen Augen zu sehen?" "Ich-" "Nicht so vorschnell, Mädchen! Lass dir die Frage ruhig auf der Zunge zergehen. Sie ist nämlich falsch!", warf Toutousai ein, bevor er das Stutzen der beiden zum Anlass nahm, seinem Ochsendämon ein wissendes, schamloses Lächeln zu gönnen wie es sonst nur Myouga zu sehen bekam. "Wart es nur ab, Mo-Mo", rief er dem dreiäugigen Tier zu, das vergeblich versuchte, den Kopf zwischen den Grashalmen verschwinden zu lassen, "gleich wird ihnen einfallen, dass ich noch zwei Bedingungen besitze. Dann wird es amüsant. Präg dir gut ihre Gesichter ein, davon müssen wir das nächste Jahrhundert zehren!" Heimtückisch blickte Toutousai von dem nervös muhenden Youkai zu Izayoi und dem Inu no Taishou zurück, ehe Stille über ihn hinwegschwappte. "Los, fragt mich schon!", forderte der Schmied und klang, als ob er sich im Mondlicht geaalt hätte, wäre die helle Scheibe nicht hinter den aufgetürmten, nachtschwarzen Wolken verschwunden. Das Kratzen und Knarren der Bäume, deren Äste übereinander schabten und sich im Wind bewegten, verschluckte das Seufzen des Herrn der Hunde. "Nun?", gab er sich geschlagen. "Ha!" Das war besser als nichts und er wollte sein Wissen sowieso nicht für sich behalten. "Um ein Schwert zu schmieden, das mächtiger ist als Tensaiga", brach es hoheitlich aus Toutousai hervor, "benötige ich die robuste, ledrige Haut eines gigantischen Rochens. Wie es der Zufall möchte, gibt es nahe der Insel einen Schwarm, der sich leicht anlocken lässt." Jawohl! Scheußliche Biester waren das! Denen näherte man sich nur, wenn einem ein grausamer Tod gefiel, aber das sollte nicht seine Sorge sein. Toutousai grunzte, bevor er den Ärmel seines grün-schwarzgestreiften Kimono packte und dramatisch zurückzog. Hervor kam faltige, schlaffe Haut, die jeden Dummkopf darüber täuschen konnte, mit welcher Kraft er noch den Schmiedehammer zu schwingen vermochte. "Hier! Dieser Arm ist leider viel zu schwach, um sich mit ihnen anzulegen und einen Rochen zu häuten. Und seht nur, dieses Bein-" "Ich denke, wir verstehen dich", unterbrach ihn Isamu freundlich. "Niemand würde dein Leben gefährden wollen." "Das ist eine Entscheidung, die ich nur begrüßen kann. Ich sollte hier warten, bis man mir das Material für das Schwertheft gebracht hat. Das ist am gesündesten für mich." "Natürlich." Mit einem milden Kopfschütteln sah Isamu ihm die Feigheit nach, ehe er sich in schlichter Eleganz aus den Gräsern erhob und die Schultern knacken ließ. Das Kribbeln, das sich prompt in seinen Nacken stahl, war ihm mehr als willkommen. Einem Daiyoukai bekam es nicht, das eigene Youki freizusetzen und es dann nicht zu nutzen. Es verspannte die Muskeln. "Welcher Haken wird dir dieses Mal entfallen sein?" "Wo denkst du hin? Es wird niemand zu schaden kommen." "Tatsächlich?" "Zumindest nicht dauerhaft", plauderte der Schmied weiter, ohne auf das entsetzte Stocken der Fürstentochter zu achten. Also bitte. Woher schöpfte dieses Mädchen nur das ganze Mitleid? Er hätte keine Zeit mehr, sich selbst zu loben, wäre er so oft damit beschäftigt, dem Inu no Taishou und dessen Kratzern hinterherzutrauern. An wem blieben die Scharten in den Schwertern und die zersplitterte Rüstung denn hängen? Nun ja. Andererseits hatte sich Izayoi dafür eingesetzt, ihm eine Strafe zu ersparen, die er ohnehin nicht verdient hätte. Von Myouga konnte er so viel Barmherzigkeit nicht erwarten - aber dessen Hand wollte der Herr der Hunde auch nicht halten. Pah! Er sollte sich sputen, die traute Zweisamkeit loszuwerden, ehe sein Gemüt auch noch weich wie matschiger Reis wurde. Ein Blick hinauf ins Himmelszelt verriet Toutousai ohnehin, dass dort ein Donnergrollen tönte, das unangenehme, kühle Luft vor sich herschob und Regen mit sich brachte. "Erwähnte ich meine dritte Bedingung bereits?", fragte er scheinheilig. Der Inu no Taishou, der Izayoi eine Hand reichen wollte, hielt erstaunt inne. "Du hast es auffallend eilig, alter Freund", stellte er fest. "Papperlapapp, das bildest du dir ein. Hör nur gut zu! Um mein Meisterstück zu schmieden, benötige ich den Fangzahn eines unfassbar starken, wehrhaften und großen Hundedämons, dessen Biss es vermag, Knochen wie Stroh zu zersplittern. So ungefähr: Krack!" Der Ochse neben ihm muhte erschrocken, als Toutousai die Faust in die Handfläche schlug, aber das war nur halb so schön wie das Stirnrunzeln des Inu no Taishous. "Ich hatte befürchtet, dass du diesen Wunsch äußerst." "Wie soll ich sagen? Es hat Tensaiga nicht geschadet, das Gebiss eines Fürsten zu plündern. Opfer müssen von jedem von uns gebracht werden und die Fangzähne wachsen nach, solange man einige Quallen verzehrt." Isamu zwang sich zu einem Lächeln, das über den eingebildeten, bitteren Geschmack auf seiner Zunge täuschte. Ehe er in Versuchung geriet, die grauenhaften Schmerzen in seinem Kiefer wiederauferstehen zu lassen, umfasste er jedoch Izayois Fingerspitzen und zog die junge Frau auf die Füße. Dieses Mal war er besser auf ihre Leichenblässe und Toutousais Schadenfreude vorbereitet: "Die Insel kann warten, Izayoi. Ihr erlaubt? Ich möchte um nichts in der Welt verpassen, wie Toutousai meinen Sohn um einen Fangzahn bittet. Er ist ein unfassbar starker, wehrhafter und großer Hundedämon, nicht wahr?" - - - - - - - Der Schelm! Mit seinen Flausen findet er auch in Kapitel #36, "Ranunkel", einen Grund zum Lachen. Kapitel 36: Ranunkel -------------------- Apfelblüte - Ranunkel - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 116 Toutousais Grinsen gefror, ehe sich sein Adamsapfel verkrampft auf- und abbewegte, als spürte er plötzlich die Hitze eines frisch geschürten Kohlenfeuers in der Kehle. Was hatte der alte Hund gerade gesagt? "Ich soll Sesshoumaru um einen Fangzahn bitten?", krächzte er. "In der Tat", erwiderte der Inu no Taishou heiter, bevor er sich nach der pechschwarzen Wurzel bückte, die Izayoi zwischen den Gräsern und Schachtelhalmschößlingen vergessen haben musste. Unschuldig reichte er den Strunk weiter und sah ihr dabei zu, wie sie ihn schüchtern mit den Fingerspitzen umschloss, dann wanderten seine Mundwinkel noch höher empor. Zwei Atemzüge später brach auf dem Gesicht des Schmiedes schiere Panik aus. Alle Achtung. Er hatte sich länger beherrscht, als erwartet. "Das ist unmöglich! Ausgeschlossen! Nie und nimmer!" "Huh?", formte Isamu mit seinem Mund, ehe er in vorgetäuschter Überraschung beide Augenbrauen hob. "Hältst du meinen Sohn etwa für zu schwach?" "Red keinen Unsinn!" Das Gegenteil war sein Problem! Wenn er diesen übellaunigen Welpen schon aus der Ferne sah, wurde ihm ganz anders. Wie sollte er dem denn verständlich machen, dass er sich verletzen lassen musste - und noch dazu das Schwert in andere Klauen wandern würde? Ohne ihn. Den Vorschlag schlug er besser mit der geballten Kraft seines Verstandes nieder, bevor er ihn das Leben kostete. "Sesshoumaru ist ... ist ..." Ja, genau: "Zu klein! Er ist geradezu winzig in seiner wahren Gestalt und ragt kaum an deine Schulter heran! Wie stellst du dir das vor?", schnappte Toutousai inbrünstig. "Ich könnte aus seinen Fangzähnen nicht einmal einen Zahnstocher schmieden!" "Bist du dir sicher?" "Selbstverständlich bin ich das! Sieht dieser Mund aus, als würde er zu Übertreibungen neigen?!" Isamu, der ein Glucksen niederringen musste, schmälerte todernst die Augen und gönnte sich einen Moment der Stille. Er wusste nicht wann oder wie, aber diese Unterstellung würde er seinem Welpen zukommen lassen. Es gab nichts Amüsanteres, als Sesshoumarus Stolz wie einen Papierwandschirm ineinander fallen zu sehen, bevor er sein Schulterfell sträubte. "Wir sollten ihn gemeinsam um seine Meinung bitten", dachte er laut nach. "Er ist in den letzten einhundert Sommern rank und schlank wie Bambus gewachsen und ich bin davon überzeugt, dass er-" "Nein!", rief Toutousai geistesgegenwärtig dazwischen. "Ich sagte doch, es geht nicht! Es gibt noch einen weiteren Grund. Der ... der Fangzahn muss einem Daiyoukai gehören und dein Junge ist keiner." Nachdrücklich blähte er die Nasenflügel auf, während sich das nächste Donnergrollen hinter den Wolken aufbäumte und seine Haut zum Kribbeln brachte. "Wirklich? Warum sagst du das nicht gleich?", fragte der Herr der Hunde unbekümmert, ehe der nächste Scherz, der ihm auf der Zunge lag, durch die Hand an seinem Unterarm ins Wanken geriet. Neugierig folgte er den zarten Fingern, dann lehnte er sich zu Izayoi hinab und spitzte die Ohren. "Ihr habt etwas auf dem Herzen?" "Ich ... ja, hoher Herr." "Isamu." "Verzeiht." "Ihr werdet Euch schon daran gewöhnen. Nun? Was bewegt Euch?" Izayoi blinzelte eilig, ehe ihr Gesicht zu glühen begann. Mit so viel Entgegenkommen hatte sie nicht gerechnet, daher musste sie erst ihren Mut zusammen nehmen und sicher sein, dass ihr der grätig vor sich hinmurmelnde Schmied die Unterbrechung nicht übel nahm. Da sich Toutousai jedoch seinem Ochsen widmete und zwischen Farn und Moosen von einem drohenden Unheil sprach, fiel es ihr leichter, sich auf das feine Lächeln ihres Gegenübers zu konzentrieren. "Euer Sohn", flüsterte sie behutsam. "Ja?" "Ich sah ihn neben Euch stehen und er erschien mir sehr groß. Ist er nicht längst ein erwachsener Mann?" Oh. Daher rührte ihre Neugierde? Der Inu no Taishou kräuselte die Lippen, als er daran dachte, wie jung ihr Gemüt doch war und wie weise ihre Fragen. Es war eine Mischung, die ihm das Herz gleich eines sanften Frühlingsregens wärmte. "Kein Welpe gilt als erwachsen, ehe er neun Jahrhunderte kommen und gehen sah", erklärte er. "Nicht unter meinesgleichen. Er könnte sich die Achtung erfahrener, uralter Dämonen jedoch früher verdienen, indem er ein mächtiges Schwert unterwirft oder mich im Kampf schlägt. Bisher gelang ihm weder das eine, noch das andere." "Ist es das, was einen Daiyoukai auszeichnet?" "Nein", widersprach er ruhig. "Jedem Welpen liegt es im Blut, seine Eltern in den Schatten stellen zu wollen. Ein Daiyoukai zu sein, bedeutet jedoch weitaus mehr. Es gibt nicht viele von uns im Westen, wenn ich das bemerken darf, denn Weisheit und Stärke ziehen stets Feinde an. Eines eint uns allerdings: Es fällt uns nicht schwer, willentlich in unsere wahre Gestalt zu wechseln oder auf die Früchte der Wälder und des Meeres zu verzichten. Wir ruhen nur noch in der Nähe unserer Neugeborenen und Frauen - das ist alles." "Wirklich?" Izayoi dämmerte prompt, dass er deshalb vor so vielen Tagen die schweren Futons, die Damastdecken und bestickten Kissen nicht angerührt hatte: Er war wach gewesen, als sie an Mashikos Seite vor der Papierwand seiner Gemächer niedersank. Die ganze Zeit! Ihr Herz klopfte umso ahnungsvoller, als sie daran dachte, dass er sich am ersten Abend sogar Tee von ihr hatte reichen lassen. Aber vielleicht war sie zu voreilig. Er hatte von Speisen und Schlaf gesprochen, nicht von handbemalten Schälchen. Unschlüssig senkte die Fürstentochter ihren Blick, dann gewann eine andere Frage die Oberhand. "Werdet Ihr mir verraten, was es mit der wahren Gestalt auf sich hat?" 117 "Nein." Setsuna no Takemaru starrte finster auf die kleinen, bleichen Frauenhände herab, ehe er sich dagegen entschied, eine weitere Erklärung auszusprechen. Als General des Daimyos der südwestlichen Gefilde bestand dazu kein Grund. Er schuldete nur wenigen Menschen Rede und Antwort - und die Dienerin seiner Herrin zählte nicht dazu. Innerlich straffte er sich, dann verschmähte er zum vierten Mal das Gefäß, das sie ihm reichte. Ihm stand nicht der Sinn nach Sake, solange er bloß einen Blick zur Seite werfen musste, um zwischen den Tatami-Matten die grunzenden, schnarchenden Gestalten von Yuudais Männern auszumachen. Sein Herz mochte dem Glückspilz unter ihnen die Ehe und das bereits über mehrere Abende andauernde Beisammensitzen gönnen, aber sein Verstand war nicht halb so großzügig: Niemals hätte er gestattet, dass sich so viele in die Besinnungslosigkeit tranken oder kostbare, grüne Frühlingszwiebeln aus ihrem Algenbett rissen, ja, kreuz und quer vor den Schälchen mit Meerrettich verstreuten. Was für ein Anblick! Wofür hielten sie sich? Dämonen, die zu faul waren, ihre Essstäbchen auseinanderzubrechen, weil sie lieber eine Forelle in einem Stück verschlangen? Solch Gebaren ziemte sich nicht für erwachsene Männer, die in Schlachten über ihre Feinde herfielen und jeden Schnitt so geschickt zu setzen vermochten, als ginge es darum, die Hülse eines Reiskorns zu spalten. Die größte Zumutung war jedoch, dass sich der fuchsgesichtige Kriegsherr nicht unter ihnen befand. Wo steckte er? Er hatte ihn hierher gebeten - unerwünschterweise, denn das schob seinen Rundgang vor Izayoi-samas Gemächern auf. Im schwachen Kerzenlicht furchte Takemaru die Stirn, während seine Augen der Glut in den Kohlepfannen glichen, die in den Ecken des Raumes standen. Nur der stetige, gärende Schmerz in seiner Schulter erinnerte ihn daran, dass auch er Makel besaß - aber die Wunde würde verheilen, solange er den Verband täglich wechselte und zuvor in Kräutersud tränkte. Schlechtes Benehmen blieb. Ohne zu ahnen, dass über ihm Drachenklauen im Gebälk lauerten und Kuraikos rot-graue Schuppen wie ein Fächer aufklappten, als sie den Kopf in ihrem Versteck reckte, schnaubte er warnend. "Ich benötige deine Dienste nicht", erklärte Takemaru harsch. Mashiko nickte, doch ihr alter Rücken war so geduldig wie eine Zeder, als sie den Sake zurückstellte. Dann griff sie hierhin und dorthin, reizte seine Geduld weiter aus und gab vor, sich inmitten der fremden, schlafenden Männer völlig in ihrem Tun vertiefen zu können. Dabei fiel ihr das am schwersten. Überall waren nackte, behaarte Beine und sie brauchte nicht lang, um auch einen entblößten Hintern und ein verrutschtes Lendentuch zu erhaschen. Die übrigen Dienerinnen des Haushalts mussten bei der ersten Gelegenheit geflohen sein, doch sie würde hartnäckig bleiben - den General ablenken. Das hatte sie dem hohen Herrn versprochen. Entschlossen richtete sie die Holzbecher auf dem niedrigen Tisch schöner an, ganz wie es im Südwesten üblich war und dem Daimyo gefallen hätte, dann fegte sie mit der Fingerspitze einige klebrige, dünne Fleischstücke von einem Schneidbrett. "Es ist der Befehl Izayoi-samas, Euch einige Speisen anzubieten", behauptete sie. "Sie wünscht es so. Ihr schickt seit drei Tagen den Heiler fort, der nach Euch sehen soll." "Er rät mir dazu, meine Pflichten wegen einer Fleischwunde ruhen zu lassen." "Ich verstehe, verehrter General. Doch wie könnte ich unserer Herrin widersprechen?" Mashiko verneigte sich tief, dann achtete sie darauf, dass die braunen Ärmel ihres Baumwollkimonos genauso sorgsam an Ort und Stelle blieben wie der grüne Kragen, als sie sich vorlehnte - und schrak zusammen, als er ihr Handgelenk über dem Tisch packte. "Hältst du mich für einfältig?", raunte er ohne Umschweife. Dann schmälerte Setsuna no Takemaru die Augen und stieß die Luft mit solcher Inbrunst aus, dass sogar seine Rüstung drohend klapperte. "Du verbirgst etwas vor mir. Du bewegst dich langsamer als üblich und plauderst, als hätte ich zehn Jahre weniger in den Diensten unseres Herrn gestanden. Was ist es?" Mashiko wurde blass, dann zwang sie sich dazu, trotz ihrer Furcht ruhig einzuatmen. "Wo-wovon redet Ihr? Ich befolge einen Befehl, mehr nicht. Wollt Ihr das Wort einer zukünftigen Fürstin anzweifeln?" "Nein, aber bei deinem bin ich mir nicht sicher." "General! Bei aller Ehre, die Euch gebührt", zischte sie und hoffte, mit ihrem schärferen Ton ebenso viel Eindruck wie bei Izayoi schinden zu können. "Habt Ihr vergessen, dass ich es war, welche Euch ins Leben half, als Eure Mutter eine ganze Nacht und einen ganzen Morgen in den Wehen lag? Und wer bestand damals darauf, nach Euch geschickt und um eine Vorführung gebeten zu haben, als Euch der Daimyo bei seiner Enkeltochter entdeckte und Euch ein Holzschwert schwingen sah?" Dafür hätten sie beide den Kopf verlieren müssen und zu ihrem Glück zeichnete sich dieses Wissen deutlich in seinem Blick ab. Daher setzte sie mutig nach: "Wie kann es sein, dass ich Euren Absichten traue und Ihr an den meinen zweifelt?" "Schweigt!" Mashikos Mund schloss sich jäh, aber dann war ihre Hand auf einmal wieder frei und sie begriff, dass er die Stimme nur erhoben hatte, weil neben ihnen ein Mann schmatzend und murmelnd stöhnte. Dann wuchtete sich der Kerl, dessen Körper krumm wie ein Birkenzweig aussah, auf die andere Seite und schnarchte lauter als ein Bär weiter. "Gut", murmelte Setsuna no Takemaru, den Erleichterung erfasste. Solche Geschichten hatten in den Ohren dieser Residenz nichts verloren. Irgendwann würde jemand erwachen und sie belauschen, weshalb er um Gleichgültigkeit feilschte und den Rücken unnachgiebig durchdrückte. Anschließend betrachtete er Mashikos zierliche Gestalt und verscheuchte das hartnäckige Misstrauen in seinem Verstand. "Ich schätze deine Treue", raunte er, "doch es wird dich das Leben kosten, solltest du das Wohlergehen unserer Herrin aufs Spiel setzen, um mich zu beschäftigen. Ein Dämon lauert unter diesem Dach. Vergiss das nicht." "Das wage ich nicht, General Takemaru." Er nickte, ohne seinen jüngsten Ärger mit einer Silbe zu erwähnen. In seinen sonnengebräunten, kräftigen Händen ruhte seit Tagen eine unbezähmte Wut, deren Quell nicht nur durch Mashikos Verhalten gespeist wurde. Dennoch wagte es niemand, ihn darauf anzusprechen: Dienerinnen und Vasallen mieden ihn, weil er im Rang über ihnen stand, und die Kriegsherren wollten ihm keine Gelegenheit geben, sie erbost zu einem Übungskampf zu fordern. Der Daiyoukai hatte sie bereits mit jeder Faser blamiert - nicht auszudenken, wenn er als jüngster, anwesender General in dieselbe Kerbe schlug. Stattdessen versuchten sie ihn kleinzuhalten und zu beherrschen. Da seine eigenen Männer von Drachen dahingeschlachtet worden waren, hatte man ihm die Entscheidung abgenommen, wer die geeignetsten wären, um Izayoi-sama zu bewachen. Diejenigen, die nun grimmig im Innenhof oder in den Dienstbotengängen Patrouille liefen, erschienen ihm wenig vertrauenserweckend. Sprach er einen von ihnen an, konnte er die Sätze zählen, bis der Name eines anderen, weisungsbefugten Generals fiel - und die Erwähnung, dass man sich nur äußerst ungern dort aufhielt, wo der Daiyoukai nächtigte. Diese Feiglinge! Dachten sie alle, der würde mit dem Südwesten unter einer Decke stecken und der Schutzherr der Fürstentochter sein?! Die Kriegsherrn schienen das Gerücht gern zu befeuern, indem sie behaupteten, die Sitten seien wohl in jeder Residenz verschieden. Sogar der Daimyo, Kagetora, hatte die Stimme erhoben und bewiesen, dass sein Wort an diesem Ort das letzte und einzige war, das unanfechtbar blieb. Vier Nächte lag diese Schmach zurück. Seitdem kannte Setsuna no Takemaru einen Befehl, der ihm die Galle hochkommen ließ: Erster General oder nicht, der Schutz Izayois sei Angelegenheit des hiesigen Fürstenhauses - und er solle tapfere Männer nicht beleidigen, indem er ihnen im Nacken säße. Solange der Dämon in der Nähe wäre, verfüge er doch über genügend Schwerter, oder nicht? Dieser vermaledeite-! Oh, was hätte er darum gegeben, einem Fürsten über den Mund fahren zu können! Es war, als hätte jeder Mann in diesen Mauern ein reges Interesse daran, ihn zu beleidigen, doch das würde er vor Mashiko nicht ausbreiten. Wofür sollte sie ihn halten? Für unbeherrscht und ungehorsam? Grob nahm er der Amme ein Schälchen Tee ab, um das bittere, kalte Gebräu in einem Schluck hinunterzustürzen und sich seinen eigenen, ungemütlichen Gedanken hinzugeben, die finsterer denn je gediehen. Er wusste längst, wem er das alles zu verdanken hatte. Den Tod seiner Männer. Den Spott und Hohn - und jede andere Erniedrigung, die ihn davon abhielt, das einzige Lächeln zu beschützen, das ihm die Gräuel der Schlachten erträglicher machte. Draußen kratzte der Wind an den Regentüren, schwerer und unheilvoller als zuvor. - - - - - - - Ohje. In Kapitel #37, "Schafgarbe", dürfte Izayoi auffallen, was große Generäle und Hundedämonen gemeinsam haben. Kapitel 37: Schafgarbe ---------------------- Apfelblüte - Schafgarbe - Autor: Beta: - - - - - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 118 Die Muster der Papierschiebetüren warfen lange Schatten auf den Gang hinaus, doch Sesshoumaru hatte dafür nichts übrig. Die Striche erschienen ihm ungelenk, als hätte ein törichter, zweihundertjähriger Welpe den Pinsel geschwungen, und das Knistern der Kohlenpfannen zerrte an seiner Geduld. Die Holzscheite gaben ein unangenehmes Knacken von sich, sobald die Flammenzungen an ihnen leckten und die Rinde schlohweiß verfärbten - und jeder Funke, der unweit von ihm in die Höhe stob, hauchte glühend sein Leben aus. Menschen. Es erschien ihm wundersam, dass sie sich nicht längst an ihren eigenartigen Feuerstellen verbrannt hatten. Aber welche Wahl besaßen sie schon? Sie froren leicht, wenn er Vaters Erzählungen glauben konnte, und diese Schwäche gesellte sich zu den zahllosen anderen, die ihn befremdeten, ja, oft genug sogar anwiderten. Abweisend strich Sesshoumaru mit seinen Klauen durch sein Schulterfell, ehe sein Blick hochmütig die Holzrahmen streifte. Er erkannte Kerben und feine Kratzer zu seiner Rechten, dazu war der Boden vor seinen Knien wie glattgeschmirgelt. Nun, kein Wunder. An diesem Platz mussten sich die Dienerinnen niederwerfen, ehe sie die Griffmuscheln packten, die Türen aufschoben und lautlos hineinrutschten. Tze. Lautlos - als ob diese Kreaturen dazu in der Lage wären. Der Narr, der sich ihm genähert hatte, war bereits daran gescheitert, den Atem flach und leise zwischen den Lippen einzuziehen. Die dumpfen, schnellen Schritte hatten ihn lange vorher wissen lassen, dass er barfuß und angespannt auftrat - aber mutig und entschlossen? Kaum. Es sei denn, Menschenkinder fühlten sich tapfer, wenn ihnen der Speichel vor Schreck fast aus dem Mundwinkel tropfte. Dass man es überhaupt wagte, ihm als Hundedämon derart unter die Augen zu treten! Wofür hielten sich die Bewohner dieses Fleckchens Erde? Dachten sie, sein Vater hätte es ihnen durchgehen lassen? Sesshoumarus goldene Augen funkelten, ehe er die Hände forsch auf der gespannten Seide seiner Oberschenkel ablegte. Da er an diesem Ort niemandem außer dem Inu no Taishou Anerkennung entgegenzubringen gedachte, weigerte er sich, steif und aufrecht zu sitzen - seine Schultern konnten nur von einem einfältigen Menschen für starr gehalten werden. Ein Dämon hätte in ihnen eine dreiste, respektlose Haltung erkannt. Dann sah er weiter zur Seite, bis sein Blick an den geborstenen Holzstücken und Papierwänden hängen blieb, die wie bleiche Knochen in die Höhe ragten. Dazwischen fischte der Kriegsherr, der ihn zur Rede hatte stellen wollen, gerade den anderen, vor Schmerz stöhnenden Burschen heraus. Sesshoumaru hätte taub sein müssen, um nicht zu verstehen, wie der augenscheinlich Ranghöhere dabei flüsterte: "Du hast Glück. Ich werde dich fortbringen." Der Tonfall war jedoch so scheinheilig, so unfassbar aalglatt, als sei jeder weitere Atemzug auf den Nachtigallböden fortan gezählt und der Tod bereits nah. Interessant. Eine Schlange, die im eigenen Nest meucheln wollte? Das käme ihm schlecht zu Gesicht, solange Vater laut Myouga darauf bestand, in seiner Nähe nur gehorsame, feige Überlebende vorzufinden. Schweigend schmälerte Sesshoumaru die Lippen. 119 Wäre es Toutousai vergönnt gewesen, ein Tuch zur Hand zu haben, hätte er es über seinen Kopf gezogen und zwischen den Stofffalten hervorgelugt - bemüht darum, das eigene, spöttische Grinsen zu verbergen. "Was für eine Frage", säuselte er scheinheilig zum Fürsten. "Jeder Youkai der westlichen Ländereien wäre dankbar darum, dich nicht in deiner wahren Gestalt zu sehen. Und sie?" Für gewöhnlich hielt sich der Atem in den Lungen nicht lange, wenn es soweit kam. Die Pranken eines Hundedämons waren weder zimperlich noch ungeschickt. Was wusste das Mädchen überhaupt? Er hatte selbst als junger, armer Schmied daneben gestanden, als sich der Inu no Taishou verwandelt, dann mit einem dickbefellten Bärenyoukai angelegt und dem die Brust wie einen Pfirsich gespalten hatte. Das war ein Anblick gewesen! Danach hatte er jedoch zwei Tage gebraucht, um sich den Gestank der Eingeweide aus der Seide zu waschen, weil der dreiste Fürst nicht einmal die Zeit auftat, Blut und Gedärme in die andere Richtung spritzen zu lassen. Wofür verbreitete diese Familie eigentlich das Gerücht in alle Winde, vorausschauend zu handeln? Damit Dummköpfe sich dazu hinreißen ließen, die Wahrheit zu brüllen und dafür einen Kopf kürzer gemacht zu werden? Nun, er hatte nicht vor, das aus erster Hand in Erfahrung zu bringen, solange ihn das Menschenkind scheu musterte. Immerhin eine, die ihn mit Vorsicht betrachtete. Gut so! Ihre geweiteten Pupillen waren Balsam verglichen zu den verkohlten Grashalmen und dem Flimmern des Youkis in der Luft. Toutousai bleckte zufrieden die Zähne. "Wenn du einen Rat willst", erklärte er Izayoi, "verzichte darauf." "Toutousai." Huh? Hatte er schon wieder etwas Lebensmüdes von sich gegeben?! Überstürzt trat der Schmied einen Schritt zurück, um sich tiefer in den spärlichen Schutz einer Zeder zu begeben, aber dann erkannte er auf den Zügen des Daiyoukais Unbekümmertheit statt Schärfe. Bevor Toutousai aufstöhnen konnte, weil ihm dieser Ausdruck stets nur Scherereien eingebracht hatte, ging Isamu bereits auf Abstand. Er tat es so elegant und gutmütig, dass die Fürstentochter verwirrt aufhörte, die Wurzel in ihren Händen zu zerdrücken. Zwei kleine, abgebrochene Rindenstücke fielen prompt zwischen ihnen zu Boden, dann dämpfte er seinen Ton. "Wollt Ihr sie sehen? Gebt mir nur Euer Wort, nicht zu erschrecken." Izayoi zögerte, ehe sie sich verstohlen umblickte. Sie wusste, dass es hier niemanden gab, der ihr die Neugierde austreiben oder gar übelnehmen könnte, doch es klang überaus gefährlich. Von Kappas wusste sie, dass die Haut fahl und grünstichig, manchmal unnatürlich bläulich gefärbt sein sollte, und obwohl sie noch nie jemanden gesehen hatte, der in einem Teich ertrunken war, hatten Takemarus Männer die Geschöpfe stets mit deren aufgedunsenen Lippen und Augen verglichen. "Ich..." "Ja?" Oh, wie gelang es ihm nur, ein einziges Wort so ermutigend klingen zu lassen? Sie spürte, wie sich ihre Fingerspitzen aufmüpfig und glühend vor Wissbegierde strecken wollten. Das Nicken saß ihr bereits in den Knochen, obwohl ihr Verstand sie eindringlich davor warnte, weiter seinem Blick zu begegnen und einen Dämon um seine wahre Gestalt zu bitten: Als Fürstentochter würde sie darüber nie ein Wort verlieren dürfen. Niemals. Keine Hofdame, ja, nicht einmal ihre Amme Mashiko oder ihr geliebter Großvater dürften erfahren, was sich in dieser Nacht ergab. Sie war eine Frau! Die Residenz zu verlassen, um einen Meisterschmied zu treffen und von einer Insel mit Hanyous zu hören, brächte ihr bereits den sicheren Tod. Doch ein Daiyoukai, der ihr dieses Geheimnis anvertraute ... oh weh! Keine Silbe, die ihre Zunge je formen mochte, konnte ein menschliches Ohr dann noch besänftigen. Izayoi begriff, dass diese Gelegenheit ihr Leben für immer verändern würde: Ganz gleich, was sie tat. Die Gefühle in ihrer Brust rangen miteinander, während sie sich vorstellte, wie sie einst in einer Teezeremonie sitzen oder zwischen den roten Herbstblättern schreiten würde. Sie wäre vollkommen in ihrer Tätigkeit versunken, ernst und viele Jahre älter, vielleicht sogar mit der Gegenwart des schweigsamen Takemarus beehrt, der längst einer der gefürchtetsten Feldherrn Japans geworden wäre, bevor sie die Erinnerung an die wahre Gestalt Isamus aus dem Nichts überraschen mochte. Und dennoch ... Sie wollte es nicht anders. Izayoi wünschte sich von Herzen, dass ihr das warme Gold seiner Augen erhalten blieb, bis sie irgendwann die grauen Strähnen zwischen ihren Fingerspitzen verzwirbelte und den letzten Atem auf den Damastkissen aushauchte. Es war so unfassbar törricht, unvernünftig und selbstsüchtig - und es erhellte ihr den Gedanken an ihr vorherbestimmtes Leben. Auf sie wartete tagein und tagaus geziertes Schweigen, und der Gehorsam gegenüber einem Gatten und den Schwiegereltern. Wenn sie nicht einmal über den Tod tapferer Männer oder das Leid ihrer verstorbenen Mutter reden durfte, dann wollte sie auch diese Nacht mit all ihren Wundern verschweigen und mit in ihr Grab nehmen. Dieses Mal straffte Izayoi sehr bewusst ihre Schultern, doch ihre Stimme zitterte vor Aufregung. "Werdet ... werdet Ihr eigenartig aussehen?", fragte sie. "Ich hoffe nicht. Meine Mutter fand mein Fell stets bemerkenswert", lachte Isamu rau, während Toutousai eine Hand vor das Gesicht schlug, aber augenblicklich innehielt zu murmeln, als eine scharfe, heiße Windböe über ihn hinwegfegte. Noch bevor die Baumpilze und Zweige aufgehört hatten zu beben, fuhr sich der Daiyoukai mit einer Hand ins Haar und löste das Band darin. Die Strähnen fielen aus dem hochgebundenen Zopf und flossen über seine Schultern, doch sein Lächeln galt einzig und allein der jungen Frau. Sie steckte voller Überraschungen. "Tretet zurück, meine Liebe." 120 Izayoi gehorchte und starrte zu Boden, während sie von ihm wich und sich darum bemühte, unter seinen Augen nicht zu stolpern. Nur wenige Ellen später wünschte sie sich, dass er ihr mit einem Nicken beschied, innehalten zu dürfen. Die Kälte der Nacht drang wieder unter den wattierten Saum ihres Kimonos und obwohl sie in der Finsternis die Konturen der Pflanzen nur schemenhaft erkennen konnte, hatte sie das Gefühl, der geschmolzene Raureif würde bestens wissen, wo er in ihre Tabisocken sickern konnte. Ihre Zehen wurden nass, kurz darauf eisig und klamm. Dann frischte der Wind auf - stärker, viel stärker und unerbittlicher, als wollte er ihr gegen die blassen Wangen schlagen und sie ängstigen, bis ihr Herz aufhörte, vor Schreck zu klopfen. Sie sah auf, nahm entgeistert die rechte Hand von der Wurzel und hielt ihren Arm über der Stirn. Bei allen Göttern! Ehe Izayoi wusste, was geschah, verloren die weißen, flatternden Haare des hohen Herrn ihre Schönheit. Gleißendes Licht brach durch den Boden, wirbelte Stoffe und Strähnen in die Höhe und aus seinen Augen wich jede Wärme. Das Grollen, das sich aus seiner Kehle löste, erstickte kaum das Knacken seiner Knochen, die wie trockenes Holz auseinanderbrachen - und mit jedem Atemzug, den sie in ihre Lungen zwang, verzerrte sich seine Gestalt, wuchs und wurde noch größer, bis die Äste der Bäume herabfielen. Kleiner als Reiskörner schlugen sie neben ihm auf, manche verfingen sich in dem dichten, wild abstehenden Fell auf seiner Schulter, andere prallten auf die krallenbewehrten Pfoten. Dann begriff Izayoi, dass ihre weichen Knie es schafften, dem Anblick standzuhalten. Vor ihr stand der gewaltigste Hund, den sie jemals in ihrem Leben erblickt hatte - und dass sie ihn nicht aus voller Kehle anschrie, lag nur daran, dass er seinen mächtigen Kopf zur Seite neigte und ihn kurz vor Toutousai über den Gräsern hielt. "Ich weiß, was du vorhast", wetterte der Einsiedler in derselben Sekunde, da er das Blitzen in den roten Augen bemerkte. "Komm mir nicht so! Friss meinen Ochsen, aber wage es dir nicht-!" Zu spät. Die große, raue Zunge erwischte ihn mit einer Hingabe, die aus dem besten Schmied des Landes ein eingespeicheltes Häufchen Elend formte, das gar nicht so aufbrausend zetern konnte, wie es seine Stimme für notwendig befunden hätte. Die Verwünschungen, die sich aneinanderreihten, ließen Izayoi völlig verblüfft zurück. Sie ... sie hatte so vieles erwartet, aber ... er war ja ganz harmlos. Oder? Die Fangzähne, die hinter seinen Lefzen aufblitzten, und der Schweif, der einen Haselnussbusch kahl fegte, schalten sie leichtsinnig und verhöhnten ihr Gemüt. Doch da blieb ein kleines, hartnäckiges Stimmchen in ihrem Verstand, das Isamu Absicht unterstellen wollte. Obgleich seine Augen furchterregend glühten und nur die Pupillen von dem Rot verschont blieben, lag Schalk in der Luft. Dann widmete er sich wieder ihr und Izayois Gedanken zerfielen wie Sand, den die Dürre im Flussbett zurückgelassen hatte und ein Windstoß auseinandertrieb. Beunruhigt schlüpfte sie in die vertraute, unterwürfige Haltung zurück und rundete ehrerbietig ihre Schultern. Als kleines Mädchen hatte sie gelernt, sich stets an den Kimonosäumen ihrer Mutter zu halten und den Blick auf sie zu senken, aber die Hundekrallen, die sich in die Erde gruben, wollte sie nicht betrachten. Ach! Warum hatte sie nur nach dieser geheimnisvollen, wahren Gestalt gefragt? Sie reichte ihm nicht einmal mehr bis zu der Hälfte seiner Vorderläufe, falls sie das so nennen durfte. Wahrscheinlich nahmen Dämonen deshalb Menschen nicht als ebenbürtig wahr: Ihresgleichen musste winzig wie eine Ameise erscheinen, leicht zu zertreten. Oder konnten sich nur manche Youkai wie er verwandeln? "Izayoi ..." Oh. Ihr Herz schlug kräftiger gegen ihre Rippen, während sie angespannt nach oben sah. Sie war hingerissen, dass er trotz seines fremden, beängstigenden Erscheinungsbildes mit ihr sprechen konnte, doch seiner dunklen Stimme haftete etwas Ruhiges, Wohlbekanntes an. Inständig hoffte sie, dass sie sich an diesen Klang ebenso gut erinnern können würde wie an das Gras unter ihnen. "H-hoher Herr?", flüsterte sie kaum lauter als ein knisterndes Blatt. "Seht", brachte er bedächtig hervor. "Ich bin noch immer der Gleiche." Nun, fast. Wenn er sich mit Myouga in dieser Gestalt unterhielt, schrie der Flohgeist oft und bat, langsamer durch Lichtungen und Reisfelder zu stürmen. Auch jetzt konnte Isamu spüren, wie seine Muskeln unter der Energie brannten, die sich unter seinem Fell aufbäumte - der uralte Drang, etwas mit dem Kiefer zerbersten zu lassen und den Wind heulen zu hören, umgab ihn ebenso wie die Geräusche der Nacht. Alles war frischer, unverfälschter. Lauter ... und so wohltuend wie ein Wasserfall, dessen Gischt ihm ins Gesicht wehte. Hier und dort nahm er zirpende Insekten wahr, sogar den Flügelschlag einer Motte, die hektisch von dannen stob. Hinter seiner linken Flanke trat der Ochsendämon mit seinem Huf auf, scharrte über einen porösen Stein. Nichts davon fesselte ihn jedoch so sehr, wie der helle Hals und die Kehle, die Izayoi unwissentlich zeigte, weil sie ihren Kopf in den Nacken legen musste, um ihn zu betrachten. Es erdete jede andere, tödliche Absicht, die ihn die letzten Jahrhunderte verfolgt hatte. Wenn sie wüsste ... Er würde ihr jedoch nicht verraten, dass ihn der Anblick an die Wärme einer Frau erinnerte, die sich ihm hingab. Wie unpassend wäre es? Vor wenigen Tagen war derlei spurlos an ihm vorübergezogen, aber seine Verwandlung schien ihn empfindlicher zu stimmen. Auch das sollte ihn nicht verwundern, denn die wahre Gestalt eines Dämons diente nicht der Mäßigung. Das tat sie nie - und manchen Überlegungen war auch später nur schwer beizukommen. Glücklicherweise wusste er sich zu beherrschen und besaß genug Willenskraft, um die flüchtige Sehnsucht wieder zu unterdrücken. Izayoi zu mögen und sie zu begehren, waren zwei Umstände, die sich wie Tag und Nacht voneinander unterschieden. Ihr Kinn mit der Fingerspitze anzuheben, selbst zu lächeln und sich hinabzulehnen ... nein. Er hatte nicht vor, ihr die Ehe oder Söhne anzutragen. Der gewaltige Hund senkte so behutsam den Kopf hinab ins Gras, dass kein Halm zerbrach und das Rauschen ihres Blutes so laut in seinem Verstand wiederhallte wie sein eigenes. Toutousais Flüche zerplatzten unbeachtet am Rande seines Interesses. "Sagt, fürchtet Ihr Euch vor mir?" - - - - - - - Die Frage könnte ihm in Kapitel #38, "Mistel", im Halse stecken bleiben. Kapitel 38: Mistel ------------------ Apfelblüte - Mistel - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 121 Furcht? Izayois Atem flatterte, ehe sie die Nachtluft einzog, die in seiner Nähe so viel angenehmer schien. Die Wärme erinnerte sie an den Frühling, der die Knospen aufspringen und prächtiges Grün in den Bäumen tanzen ließ. Doch jetzt war der Himmel finster und ächzte unter den Wolkenbergen - und sie fühlte sich naiv, weil sie sein helles Fell trotz allem so schön wie den Mond fand. Ja, er hatte recht. Da war Etliches an ihm, das sie wiedererkannte. Nicht nur die schaurig roten Augen, welche dieses Mal Ruhe ausstrahlten, sondern auch die Art, wie er den Kopf vor ihr neigte. Behutsam drückte er die Gräser nieder, als hätte er sich nur zwischen die Halme gekniet und nie die Absicht genährt, einem Käfer einen Flügel zu krümmen. Und da waren die Streifen, die sich blitzförmig über seine Wangen stahlen: Auf jeder Seite einer, wild und ungezähmt. Da er ihr das Starren verzieh, musterte sie nach kurzem Zögern auch das Schulterfell. Die Haarbüschel standen ab und gabelten sich hinter seinem Nacken, ehe sie seinen Rücken umflossen und an seinen Flanken verschwanden, bis Moose und Flechten jeden Blick verhinderten. Oh. Nun, sie konnte ihn schlecht darum bitten, aufzustehen und ihr zu zeigen, ob das Fell vor seiner Brust wieder zusammenlief. Sie hätte nur besser aufpassen müssen und- Herrje, allein der Gedanke stimmte sie verlegen. War das nicht, als würde sie ihn in seiner menschlichen Gestalt danach fragen? Er hatte zwar ihre Hand zu seiner Schulter geführt, doch das ... Unruhig zupfte Izayoi mit den Zähnen an der Innenseite ihrer Unterlippe, dann schüttelte sie den Kopf. Nein, sie durfte nicht übermütig werden. Sie kannte Isamu ohne seine Rüstung und es ziemte sich nicht, ihn auch noch die Seide fortschlagen zu sehen. Besser, sie verscheuchte diese Vorstellung und blieb beim Wesentlichen. Er stand, nein, lag als großer, weißer Hundedämon vor ihr - nicht als Mann. "Ich bin überrascht", gestand sie ein. "Ohne Eure Warnung wäre ich wohl sehr über Euren Anblick erschrocken." Vielleicht auch vor Angst gestorben, aber sie wollte ihn nicht kränken oder darüber nachdenken lassen, wie unbedarft und schwach Frauen gestrickt waren. Niemand hatte sie gelehrt, wie sie mit den Eigenarten eines Dämons umgehen und darin lesen konnte, daher blieb ihr nur die Hoffnung, allein einen Weg zu finden. Vielleicht würde der Zauber ihrer Begegnung am Ende dieser Nacht verblassen, doch ihr Herz flatterte so aufgeregt wie eine Meise zwischen den Wurzeln eines Apfelbaums. Da der Schmied schweigend aus Isamus Schatten heraustrat und sie äußerst eigenartig musterte, besann sie sich jedoch. Sie wollte nicht, dass Toutousai begriff, wie viel ihr dieses Geheimnis bedeutete, welches der hohe Herr ihrem Leben schenkte, daher schluckte sie und bemühte sich um Unverfänglichkeit: "Vermisst Ihr diese Gestalt nie?" "Hin und wieder", erwiderte der Inu no Taishou rau. "Ich erinnere mich an unausweichliche Kämpfe, aber auch viele angenehme und unbeschwerte Stunden. Seht Euch die Kerben an, die mein linkes Ohr zieren." Der Herr der Hunde neigte seinen Kopf noch dichter dem Gras zu, sodass das weiche Fell für Izayoi in greifbare Nähe rückte. Eine Handbreit Abstand blieb übrig, dann konnte sie trotz der Dunkelheit die feinen Linien erahnen, von denen er gesprochen hatte. Er war wirklich ungeheuer groß. Auf Zehenspitzen hätte sie kaum den Streifen über seinen Wangenknochen erreichen können. Sein gutmütiges Grollen entlockte ihr jedoch unverhofft ein Lächeln - und Isamu war kein Narr, der das nicht zu schätzen wusste. "Als Sesshoumaru sein erstes Jahrhundert kommen und gehen sah", fuhr er fort, "unternahm er den Versuch, mich zu zwicken und seine Milchfänge zu erproben. Ich habe mich nicht oft im Leben alt gefühlt, aber er war schneller und geschickter als ich. Lag ich auf dem Rücken, tollte er neben mir, richtete ich mich auf, sprang er mir längst ins Kreuz. Es war eine schöne Zeit. Toutousai wird mir darin zustimmen." "Pfff, Unsinn!", murmelte der Tattergreis prompt und zog eine Grimasse, als hätte ihm der verblüfft aussehende Ochsendämon die Quaste in das Gesicht geschlagen. Sie mochten beide unbedarft neben der Flanke des Inu no Taishou und einem umgestürzten Baumstamm ausharren, doch das war ja wohl die Höhe! "Lass dich nicht einlullen, Mädchen! Sein Sohn hat versucht, meinen Arm durchzunagen! Einen einzigen Morgen erbarmte ich mich, auf ihn Acht zu geben, und Sesshoumaru fiel nichts Undankbareres ein, als meine Schmiede zu verwüsten. Ein Hanyou könnte kein schlimmeres Chaos stiften!" Izayoi öffnete erstaunt den Mund. "Ihr hattet bereits einen Hanyou bei Euch?" "Nein!", wetterte Toutousai. "Bist du von Sinnen? Ich lerne aus meinen Fehlern! Ich dulde seitdem keine Welpen mehr in meiner Nähe." Der Herr der Hunde blickte belustigt zu Boden, als läge darin alle Heiterkeit verborgen, die seinen alten Freund belehren konnte. "Ich würde dir glauben, Toutousai", sagte er, "hätte ich nicht gesehen, wie du und Myouga mit Stöckern Geschichten für ihn zum Leben erweckt habt, als er älter wurde. Einst hing er an Euren Lippen." "Besser als an der Kehle", entgegnete der Schmied schroff. Dann rieb er sich mit dem Handballen über das abstehende Büschel Haare an seiner Schläfe, sah zwischen der jungen Frau und dem Daiyoukai hin und her, und krächzte ungemütlich. Diese Friedfertigkeit war doch zum Ochsenmelken! Unmöglich obendrein! "Bekomme ich heute noch deinen Fangzahn? Du bist verwandelt. Eine günstigere Gelegenheit wird mir nicht mehr unterkommen, ihn dir aus dem Kiefer zu brechen." "Nein, danke." "Was?" Toutousai blies die Wangen auf, als hätte er einen Schwall Wasser und ein Dutzend Jungfische verschluckt. "Willst du etwa schon wieder mit Sesshoumaru anfangen?" "Nicht im Geringsten. Ich werde dir einen meiner Zähne überlassen, doch nicht heute." "Huh?" Um ein Haar wäre Toutousai die Frage über die Lippen gekommen, wofür der feine Herr sein Gebiss und den Mund in dieser Nacht noch unversehrt gebrauchen könnte, aber dann hielt er inne - verzog das Gesicht und würgte fast. "Schon gut. Ich verzichte auf alles! Kehr ein andernmal wieder." Hastig wedelte er mit der Hand und verscheuchte einen ganzen Schwarm widerlicher Gedanken, während der Inu no Taishou warnend die roten Augen schmälerte. "Was auch immer dich umtreibt", entschied Isamu dann, "behalt es besser für dich. Ich erwarte dich morgen auf der Insel, am Strand. Ich vermute, dass sich auch diese Rochen durch Blut anlocken lassen, so wie es bei Tensaiga gewesen ist, daher sollten wir ihnen welches geben." "Deines", betonte Toutousai, der sich ungeniert Nase und Lippen mit der Hand zuhielt. "Meines." Nun, natürlich. Nicht, dass er darauf erpicht war oder gehofft hätte, die schwarzen Schatten des Meeres mit geschickt geworfenen Kieselsteinen aus der Gischt treiben zu können. Warum musste es stets Blut sein? Unter einem dumpfen, schicksalsergebenen Laut drückte der Herr der Hunde die krallenbewehrten Pfoten in den Boden und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Dann strich der Wind durch die Äste, vermischte sich mit seinem aufkochenden Youki und Knurren, bis er erneut seine Knochen brechen ließ. Donnernd fuhr die Energie über die Moose hinweg, schlug dank seiner Willenskraft einen Haken um Izayoi und preschte voran in die Bäume. Hätte jemand die Stämme mit Stroh umwickelt, wäre ihnen die Wucht weit besser bekommen - so schälte er ihnen die Rinde ab, als wären sie kleine Hölzer, denen die Borke wie Haare zu Berge stand. Der nächste Atemzug dämpfte jeden Geruch. Von Erde beschmutzter Raureif zerfloss in seinen Sinnen zu Wasser und der Halm im Ochsenmaul wurde fade wie ein Reiskorn. Nur eines hing seinem Verstand nach: Izayoi. Sie bemühte sich, die Strähnen von ihren Wangen zu fischen und das sittsame, höfische Bild wiederherzustellen, aber der Glanz auf ihren Lippen fesselte ihn weit mehr, als die Drehung ihres Handgelenks oder die gezierte Art, mit der sie die Fingerspitzen und die Erdwurzel wieder in den Ärmelschleppen verbarg. "Ich sollte Euch heimbringen", sprach er sie leise an. "Ich gab Euch mein Wort, nichts anderes zu tun." 122 "Pah." Toutousai verzog seine trockenen Lippen , bevor er sich am Kinn kratzte und die Nägel über das Bartende fahren ließ. Die Gestalt des Inu no Taishous war nach einem kurzen Gruß mitsamt des Mädchens verschwunden, doch seine Präsenz hing in den Sträuchern fest. Einen besseren Schutz konnte ein Schmied sich für die Nacht nicht wünschen, aber wenn er Pech hatte, zog diese Macht keine Stille, sondern gewaltigen Ärger an. Marodierende, streitlustige Dämonen gab es überall. Toutousais Hals wurde noch länger und dürrer, als er ihn reckte, um auch nach der anderen Seite hin Ausschau zu halten. Nein, nichts. Außer kahlgerupften Farnwedeln und den zurückkehrenden Nebelschlieren, die sich an die Gräser schmiegten, gab es nichts Beunruhigendes zu entdecken. "Eines sage ich dir", murmelte er störrisch zu seinem treuen Begleiter. "Wenn dieser Hund glaubt, dass ich nicht weiß, welche Bedeutung seinem Schwert innewohnt, bin ich alt und tattrig geworden. Ich bereite ihm eine Überraschung, die sich gewaschen hat!" Die drei Augen des Ochsens schimmerten neugierig, doch Toutousai klopfte lieber den Boden ab und suchte sich ein feines Plätzchen zwischen Steinen und Flechten. Dann setzte er sich unter einem zufriedenen Schmatzen und schlug die grünschwarzgestreiften Ärmel zurück, um den Dreck von den Fingerknöcheln zu schaben. Neben ihm scharrte der Huf und muskelbepackte Schultern wölbten sich, bis das Fell erschauderte und das Tier sich mit den Vorderläufen voran sinken ließ. Toutousai nickte und blies in seine Hände, um einige Flocken Vulkanasche zu vertreiben. "Dieses Schwert wird ihm einhundert Dämonen vom Leib halten können", grunzte er listig, "in nur einem Streich! Damit erfülle ich seinen Wunsch und das Drachenweib kann sich auf ein niederträchtiges, unschönes Ende vorbereiten. Doch bei jedem Geschenk gibt es einen Haken! Selbstverständlich wird er niemanden mit Tensaiga wiederbeleben können, den er mit meinem neuen Meisterstück niedergemäht hat. Wie klingt das?" Der Ochsendämon zuckte mit den Lauschern, ehe er sein weiches, feuchtes Maul über einem Kleeblatt tanzen ließ und erwog, dieses auszurupfen. Leider drückte ihm Toutousai einen Wimpernschlag später die Hand auf den Kopf und starrte von einem Auge zum nächsten, als wolle er alle gleichzeitig im Blick behalten. "Sei nicht so verfressen", schimpfte er. "Ich war noch nicht fertig! Ich muss herausfinden, wie ich goldene Blitze erschaffen kann. Er hat ein Höllenschwert, dessen Rauch schwarz und ehrfurchtgebietend ist, und dazu das Blau Tensaigas. Goldene Farbe wird aus ihm einen bunten Hund machen und ich kann später behaupten, die Schwerter in einer anderen Reihenfolge geschmiedet zu haben. Weißt du, was jeder im Westen sagen wird?" Diese Idee war so brillant! Eine Weile saß er in vertrauter Eintracht da und gab sich kichernd der Vorstellung hin, er befände sich zwischen Sakeschälchen, Wildrosenästen und Bambusmatten. "Sie werden sagen: Erst gab ihm der begnadetste Schmied den Tod in die Klauen, dann half Toutousai ihm, diesen zu überwinden! Seht euch diese überwältigenden Klingen an!" Ja, so gefiel ihm das. Wo käme er auch hin, würde er die Wahrheit dulden? Der Herr der Hund hatte einst Sou'unga unterworfen und war dafür bis weit über die Ländergrenzen hinaus bekannt geworden, die sich über schroffes Gebirge und weiche Sandstrände bis in die Wälder erstreckten. Dann kam er auf die Idee, die Seelen der Verstorbenen aus der Unterwelt zurückholen zu wollen, und verlangte Tensaiga - und nun wurde er so weichherzig, dass er ein Schwert schmieden ließ, mit dem er ein Menschenkind beschützen konnte? Die Geschichte würde ihn zum Gespött seines Handwerks erheben! Ohne ihn! Er hatte Kaijinbo aufgrund seines grausamen Charakters vertrieben! Wenn sich nun herumsprach, dass er wegen Izayois freundlichem Gemüt zum Schmiedehammer griff ... nein, nein, nein! Heftig langte Toutousai in das stoppelige Fell des Ochsen, um den in Grund und Boden zu starren. "Goldene Blitze, falsche Reihenfolge! Merk dir das! Kein Wort davon, dass ich es ihm gönne, nach all der Zeit seinen Frieden zu finden", forderte er barsch. "Dazu wird ihm die Klinge nur gehorchen, sollte er das Mädchen noch mehr zu schätzen wissen als ich meine wohlverdiente Ruhe!" Der alte Einsiedler schnappte nach Luft, während der Ochsendämon eingeschüchtert den großen, massigen Kopf zur Seite wuchten wollte, aber gegen den Griff war kein Kraut gewachsen. "Eines noch", blaffte Toutousai. "Falls uns die Fürstin beehrt, hat sich das alles Myouga ausgedacht. Wir waren dagegen, und sollte uns ein Hanyou ins Haus stehen", etwas, woran er nicht im Geringsten zweifelte, wenn er daran dachte, wie Isamu die junge Frau lächelnd auf die Arme gehoben hatte, "bist du der Dämon, der seine Wiege bewacht." - - - - - - - Immer auf die dreiäugigen Ochsen. Aber ist Toutousai nicht etwas voreilig? Der Herr der Hunde ist ein verheirateter, ehrenhafter Daiyoukai. Seid gespannt auf die Rückkehr in die Residenz in Kapitel #39, "Alpenrose". Kapitel 39: Alpenrose --------------------- Apfelblüte - Alpenrose - Autor: Beta: - - - - - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 123 Als das Knurren erklang, gefror Tajiro der Atem in den Lungen. Sein Blick fiel so abrupt zur Seite, dass er um ein Haar wie ein leichenblasses Kind aufgesprungen wäre, doch zwischen den Papierbespannungen und Holzrahmen gab es keine Chance auf Flucht. Das wusste er - und das musste auch dieser sitzende Bastard wissen, der dem Gast seines älteren Bruders Kagetora so ähnlich sah. "Was wollt Ihr?", zischte er mit belegter Stimme. "Spart Euch die Mühe, ihn fortzuschleifen." Im Lichtschein der Kohlenpfannen schlichen Schatten über Sesshoumarus Züge, ehe er das Kinn neigte und ein rotes Glühen in seinen Augen aufkeimte. "Er gehört mir." Was? Tajiros Zunge klebte schier an seinem Gaumen, bevor er ungehalten auf den Burschen starrte, welcher nun nicht mehr vor Qual stöhnte, sondern kopfschüttelnd und mit weit aufgerissenen Lidern seinen Verstand zusammenkratzte. Dann presste der Narr die blutverschmierten Fingerkuppen gegen seine gute, polierte Rüstung und begann wie von Sinnen zu betteln. "H-herr ... nicht ... nicht allein mit ihm! Nicht!" Dieser Feigling! Wohin hatte sich sein Mut verkrochen?! Dass er ihn für seine erbärmliche Stammelei nicht ehrlos in den Tod schickte, hatte nur einen Grund: Er verabscheute es, Befehle von Fremden anzunehmen und sich die eigenen Pläne zu verderben. "Dieser Mann", bleckte Tajiro umso grimmiger die Zähne, "steht in den Diensten des Daimyos. Euer Begehren besitzt kein Gewicht in diesen Mauern, Dämon! Haltet Euch nicht für mächtiger, als Ihr-" Der Schmerz, der in seiner Kehle explodierte, bevor sein Kopf durch die zerstörten Papierwände auf den Boden schlug, traf Tajiro vollkommen unvorbereitet. Das Nächste, was er zwischen den Schatten drohender Besinnungslosigkeit wahrnahm, war das Kreischen des Halbstarken und dessen Fortkriechen in den Augenwinkeln, ehe dort unheilvolles, grünes Licht hineinschwappte und ein Geruch, der verbranntem Fleisch ähnelte. Dann ragte der Youkai über ihm auf und drückte den Spann seiner Hand tiefer in seinen empfindlichen Hals. "Kein Gewicht? Wiederholt Eure Worte", knurrte Sesshoumaru, "wenn Ihr noch könnt." Wie bedauerlich nur, dass es dem General dafür an Luft mangelte. Er zappelte wie ein Karpfen, den man auf das Schneidbrett gelegt hatte, doch nicht einmal das Geschick seiner rabiaten Schläge und das Kratzen auf der Haut genügte, um ihm die Freiheit zu erkaufen. Sesshoumaru zog ihn aus den Trümmern, bis Tajiro drei Fingerbreit über dem Boden hing und die Wut von krächzenden Jappsern ersetzt worden war. "Erinnert Euch an diesen Moment Eurer Schwäche", raunte der junge Hundedämon, "dann dankt meinem verehrten Vater dafür, dass es nicht Euer letzter sein wird. Verschwindet." Ruchlos ließ Sesshoumaru ihn fallen, ehe seine funkelnden Augen zu dem Burschen schossen, der heillos zitterte. Nur einen Herzschlag später hatte der trotz des bestialischen Schmerzes, sein verdrehtes Bein gepackt und zu sich gezogen, wimmerte und krümmte sich in einer Lache aus Blut und strengen Gerüchen wie ein Kleinkind. Erbärmlich. "Ihr bleibt", wies Sesshoumaru dennoch an, ehe er durch reine Willenskraft seine Präsenz wieder schmälerte und an den flackernden Schatten der Kohlenpfannen vorbei zu seinem Platz zurückging. Das Heulen des Windes, der gegen die Regentüren schlug, erdete sein Gemüt. Dort draußen ... Vater. 124 Die Nachtstille vermischte sich mit den aufragenden, tiefschwarzen Wolkenbergen, die wie ein Ungeheuer über der Residenz hingen. Er hatte sich beeilt, doch auch ein Mann mit seinen Kräften konnte dem aufkommenden Regen nicht davonlaufen. Als er mit Izayoi auf der Astgabel des Apfelbaumes landete, fielen bereits die ersten Tropfen und verdichteten sich rasch zu langen, seidigen Fäden. Bald trommelte das Wasser auf den Sand des Innenhofes und verwischte alle fein gerechten Linien. Sein Lächeln ließ sich davon nicht erschüttern. Noch während er die junge Fürstentochter auf die Beine stellte und ein Abrutschen verhinderte, indem er sie weiter am Ellenbogen festhielt, deutete er mit einer Kopfneigung zu einer handvoll Schatten nicht weit von ihnen. "Wachen", erklärte er leise. Sie sahen grimmig aus und hatten die Gesichter zu verhärmten, boshaften Masken verzogen. Der Herr der Hunde zweifelte nicht daran, dass sie ihre mit Stofflagen umwickelten Strohsandalen verwünschten, während sie durch frische Pfützen schritten und die Kälte von den Fingerknöcheln bliesen, um mit den Händen weiter die Schwerter führen zu können. Jede verantwortungsvolle Aufgabe verlangte Konzentration, Widerstandskraft und Wagemut - so auch diese. Aber ihre Blicke verrieten, dass sie keine Dämonen waren. Die Männer des nordwestlichen Daimyos sahen in seine Richtung, ohne in dem konturenlosen, trüben Grau des Apfelbaumes fündig zu werden. Auch auf der anderen Seite des Innenhofes, wo er deutlich die Energien seines Sohnes abflachen spürte, lockte sie kein Misstrauen an. Sie gingen einfach weiter. Niemand forderte eine Erklärung für Sesshoumarus Anwesenheit vor Izayois Gemächern ein. Eigenartig. Nicht die Männer, jedoch ... sein Junge mied für gewöhnlich die Nähe der Menschen. Wartete er auf ihn? Oder hing sein Ausharren mit dem vom Regen abgeschwächten Blutgeruch zusammen? Sein eigenes war es jedoch nicht. Die Witterung war zu fremd, um an seinen väterlichen Instinkten zu ziehen und Unmut heraufzubeschwören, weil jemand Hand an seinen Welpen gelegt hatte. "Isamu?" "Hm?" "Ich ... ich danke Euch." "Tatsächlich?", raunte er abgelenkt, ehe er seine Augenbrauen senkte und bemerkte, wie hastig Izayois Herz hinter ihren Rippen schlug. Das Geräusch hämmerte in seinen Sinnen so nachdrücklich wie der Regen, und er bewunderte aufrichtig, mit welcher Vehemenz sie noch immer die unangetasteten Erdwurzeln umklammerte und es vermied, tiefer als bis zu seiner Brust zu sehen. Ah. Natürlich. Sie fürchtete nach wie vor die Höhe. Das Knirschen und Wanken des Baumes bescherte ihr eine Gänsehaut, die er deutlich auf ihrem Unterarm erkennen konnte: Genau dort, wo das Seidenkrepp nicht mehr auflag, weil er sie stützte und sie ihre Elle beugte, sodass der Kimonostoff hinabrutschte. Der Anblick erinnerte ihn unweigerlich an ihre freigelegte Kehle, doch er überging beide Verlockungen. "Darf ich erfahren", fragte er rau, "wofür Ihr mir dankt?" "Für das Abenteuer", flüsterte sie zurück. "Ihr mochtet es?" Izayoi nickte, obwohl ihre Wangen brannten und ein streitsüchtiges Stimmchen in ihrem Kopf schrie, dass die vergangenen Stunden keine Wertschätzung verdienten. Sie hatte sich mit Männern unterhalten, noch dazu Dämonen, und war soweit von ihrer Amme Mashiko getrennt gewesen, dass es das ehrbare Verhalten einer Fürstentochter und jede Tradition mit Füßen trat. Ihr sonst sorgsam gebürstetes, schwarzglänzendes Haar war dank der Reise wirrer als ein Vogelnest, da der Wind harsch durch die Bäume schnitt - aber seine Sprünge machten ihr allmählich keine Angst mehr. Sie waren so regelmäßig gewesen wie die sich kräuselnden Wellen eines Teiches, die an der Uferbank zerschlugen, während er Kreaturen erwähnte oder besonnen ihrem Schweigen lauschte. "Werdet Ihr mir wirklich die Insel der Hanyous zeigen?", hauchte sie. "Gern. Eure Gesellschaft wäre mir sehr angenehm an diesem Ort." "Ich bin Euch keine Last?" "Izayoi." Er neigte sich zu ihr hinab, ohne das Pfeifen des Windes stärker als ihr Stocken zur Kenntnis zu nehmen, während sein Youki federleicht über ihr Kinn schlich. Er ersetzte es mit seiner Hand, um zu verhindern, dass sie den Blick abwandte. Eine Weile betrachtete Isamu ihre Augen und den Glanz ihrer Lippen, dann atmete er aus. "Ist das alles, was Euch beschäftigt?" "Nein." "Was gibt es noch?" "Ich ... ich bin nicht sicher." Verlegen blinzelte Izayoi, als ob sie damit ihre Gedanken für sich behalten könnte. Es gab so vieles, das auf ihrer Zunge tanzte. Eine Bemerkung über seine Hand an ihrer Elle, deren Klauen behutsam auflagen. Die Frage, ob sein Geruch mehr mit Zitronengras oder wilden Flüssen gemein hatte oder was es bedeutete, dass ihr seine Nähe zu teuer schien, um ihn nicht pflichtbewusst darum zu bitten, sie nicht mehr zu berühren. Dazu die Wärme, sein Blick, ein einziger Atemzug auf ihrer Haut. "Es ist kein guter Ort, um Euch davon zu erzählen", flüsterte sie. "Werdet Ihr es mir morgen auf der Insel anvertrauen?" "Dazu müsste ich es verstehen können." "Ihr gebt mir Rätsel auf", erwiderte der Herr der Hunde, während er mit der Kuppe seines Daumens gedankenverloren über ihren Mund strich, dann stockte - und seine Hand von ihrem Gesicht nahm, bevor er abweisend die Schultern anspannte. Sie begegnete ihm mit überraschten Schweigen, aber Isamu schüttelte nur den Kopf. "Ich habe nicht nachgedacht", beteuerte er leise, "vergebt mir. Es stand mir nicht zu." Ausweichend sah er fort, um zwischen den schwarzen Konturen der Apfelzweige und dem Regen die ersten, schneidenden Windböen auszumachen. Gischt sprühte zu ihnen, fein und eiskalt, ehe sein Youki sie aufwärmen konnte. Doch auch die Männer des Daimyos, die das andere Ende des Hofes erreichten, boten keine Ablenkung von der zermürbenden Frage, warum er für einen Moment vergessen hatte, seine Taten ebenso sorgsam abzuwägen wie seine Worte. Was war nur in ihn gefahren? Das war eine Geste, die für Ehefrauen gemacht war, nicht für sie. Er hatte sie so oft genutzt, damals, als er noch ... - - - - - - - Als es weniger Folgen hatte? Kapitel #40, "Wermut", zeigt einige Optionen ... Kapitel 40: Wermut ------------------ Apfelblüte - Wermut - Autor: Beta: - - - - - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 125 Damals, als ... Die Stille wurde nur von dem Prasseln der Regentropfen durchbrochen, die auf die Knospen und zusammengekrümmten Blätter schlugen. Hätte er den Kopf angehoben, wäre ihm das Schwanken der Äste und das Knacken der Rinde bewusst geworden, doch Isamu merkte kaum, wie sich die Feuchtigkeit in seinem Schulterfell absetzte. Wie lange war es her? Am Anfang hatte er noch die Tage gezählt, dann die Monde. Aus Wintern waren Jahre geworden, ehe sich Schlachten mit barsch gebrüllten Herausforderungen vermischten, die Metall scheppernd aneinanderschlagen ließen. Sieg um Sieg, ohne dass ihm das Leben die Barmherzigkeit vergolt, welche ihn Sou'unga wieder fortstecken ließ, statt die Wiesen voller Verzweiflung über seine brachliegende Ehe mit Blut zu speisen. Wenn er nachts allein in den Baumkronen saß und die Sterne zählte, stießen unweit von ihm Myouga und Toutousai wüste Murmeleien über dem Lagerfeuer aus. Sie kratzten Kerben in die kargen Böden, bis sie gemeinsam für Wochen verschwanden und ihm bei der Rückkehr von neuen Gefahren berichteten. Ihr zweifelhaftes Talent, den Ärger anzulocken, war ihm seit Langem die beste Abwechslung, doch das hielt seine Gedanken nicht davon ab, in der Vergangenheit Wurzeln zu schlagen. Alles um ihn herum bewegte sich, veränderte sich. Er nicht. Kehrte er in die Residenz zurück, verschwamm die Zeit vor seinem Antlitz. Rotgoldene Ahornblätter oder frischbegrünte Gärten bedeuteten an diesem Ort nichts mehr. Er wartete bereits so lange auf den Moment, an dem die Distanz zwischen ihm und seiner Gattin wieder wie der Schnee in der Frühjahrssonne schmolz und er sie betrachten konnte, ohne ihre abweisende Kopfneigung mit Schmerz zu bemerken - aber nichts erweichte ihr Herz. Sie duldete seine Nähe nur noch vor Gästen. Als Fürstin reichte sie ihm das Teeschälchen in aller Erhabenheit, während sie darauf achtete, ihn mit ihren lackierten Fingernägeln kaum zu streifen, doch was seine Verbündeten mit bewundernden Worten zur Kenntnis nahmen, schnürte ihm die Kehle zu. Für ihn gab es kein Geschick in ihren Gesten zu sehen. Sie wich ihm aus, nicht mehr und nicht weniger. Ihre goldenen Augen leuchteten nur noch, wenn Sesshoumaru sich mit aufeinandergebissenen Zähnen vor ihr niederkniete - und manchmal hörte er sie leise lachen, wenn er selbst in seinen Räumlichkeiten vor Maulbeerblättern saß, die er geduldig mit Pinselstrichen füllte. Saatguten und Listen über frisch angelegte Reisfelder verstanden jedoch nichts von der Wärme einer Frau. Ja, vielleicht waren das sogar die bittersten Nächte, die sie teilten. Als Inu no Taishou stand es ihm zu, ihre Hofdamen mit einem Wink seiner Hand fortzuschicken, bis es keine anderen Geräusche mehr zwischen ihnen gab, als stumme Atemzüge und das Knistern der Glut in den Kohlenpfannen. Sie nicht von Zeit zu Zeit nach Einbruch der Dämmerung aufzusuchen, hätte sie zum Gespött des gesamten Westens erhoben - eine solch mächtige, schöne Hundedämonin, die den eigenen Fürsten nicht mehr reizte! Unvorstellbar! Und obendrein gefährlich, da seine Gegenwart stets mit der Warnung einherging, seine Gefährtin gehöre ihm und wäre jeden Schwerthieb wert. Aber er wusste schon lange nicht mehr, wie sich ihre helle, weiche Haut am Hals unter seinen Klauen anfühlte. Am Anfang hatte er sich noch zu ihr auf die Damastdecken gesetzt, doch ihre Gespräche waren nie über unbeholfene Höflichkeiten seinerseits hinausgekommen. Seine Fragen und Bitten pflegten zu versanden, und falls sie seine geflüsterten Entschuldigungen jemals bewegt hätten, wäre ihm gewiss die Beherrschung in ihrem Atemzug erspart geblieben, als er das erste und einzige Mal nach dem Tod des Welpen ihr Kinn zu sich zog und ihre Lippen berührte. Nun, auch mit dieser Zurückweisung hatte er sich arrangiert. Seitdem harrte er neben den Papierschiebetüren aus, bis der Morgen dämmerte. Manchmal stellte er sich in den Stunden vor dem ersten Frühlicht vor, wie es wohl wäre, erneut ihre Klauen an seinen Handgelenken zu spüren, über ihm erhitzte Wangen, ein tiefes Raunen in der Luft, das leise und kehlig abbrach. Dann hörte er das Rascheln der Seidenstoffe und er erinnerte sich daran, dass sie am anderen Ende des Raumes ebenso wach war wie er - ohne ihn danach zu fragen, wann er endlich zu ihr kam oder aufhörte, von seinen verfluchten Kämpfen zu schwatzen. Seit mehr als drei Jahrhunderten konnte er reden, so viel wie er wollte. Auch das tat er nur selten. Dabei gab es so viel Erwähnenswertes: Die Grenzen des Westens wuchsen wie Unkraut. Inzwischen gab es zerklüftete Klippen und grasbewachsene Ebenen, auf denen ihm Dämonen mit großen, gelbleuchtenden Augen ehrfürchtig aus dem Weg gingen. Er hatte Menschendörfer betreten, um an geflochtenen Bambusmatten vor den Hütten aufzusehen, und war von Kindern dazu angehalten worden, Windspiele aus Muscheln und löchrigen Kieselsteinen mit Färberdistelpasten zu bemalen. Wie mutig und stur diese kleinen Geschöpfe doch sein konnten, wenn man sie zuvor in den Wäldern vor Unheil bewahrte! Sie vergaßen die Warnungen ihrer strengen Väter, fürchteten weder Stockschläge, noch den Anblick seiner Klauen. Sie brauchten nur eines: Zeit. Zeit und seine Geduld. "Isamu." Huh? "Ihr seid in Gedanken." "Ja." Für einen langen Atemzug fühlte er Verwunderung in seiner Brust aufflammen, aber dann erkannte der Inu no Taishou, dass er nicht über ihren Tonfall stolperte. Izayois Stimme klang zaghaft, doch die Wärme darin schmeichelte ihm, weil sie ihm seine unangebrachte Geste tatsächlich zu verzeihen schien. Er wusste nicht warum, doch als er den Blick senkte, um auf ihren Unterarm und die Elle zu sehen, die er seit vielen Herzschlägen mitsamt der Kimonoseide festhielt, konnte er eines nicht länger leugnen: "Ich hatte in den vergangenen Jahrhunderten wohl nicht oft das Glück, dass meine Nähe trotz allem erwünscht blieb." "Es schmerzt Euch", sagte sie leise. "Sehr", raunte er, bevor seine Mundwinkel von einem wehmütigen Lächeln in die Höhe gehoben wurden. "Ist das nicht eigenartig für einen Dämon? Ich kann gehen, wohin auch immer es mich im Westen zieht, doch nicht bleiben, wo es mir einst gefiel." "Vielleicht ..." Oh, wie sollte sie das ausdrücken? Izayoi runzelte die Stirn, was ihr in Mashikos Gegenwart gewiss eine Schelte eingetragen hätte. Eine junge Frau sollte zart wie eine Meise wirken, nicht faltig wie ein geraffter Fächer, dessen Muster man nicht mehr in seiner vollen Pracht bewundern konnte. Aber was half ihr dieses Wissen? Nichts. Der Wind heulte laut in ihren Ohren, bahnte sich knirschend und knackend einen Weg durch die tiefhängenden Äste, und peitschte Regenböen heran. Ihre Lippen waren noch warm von der Berührung seines Daumens, und sie musste an sich halten, nicht den falschen Gedanken zu folgen und sich verwirren zu lassen. Seine Geste konnte warten. Seine Sorgen nicht, denn es fiel ihr schwer, dem unsteten Funkeln in seinen Augen standzuhalten. Er schien so traurig und fand nicht einmal die Zeit, die Tropfen in seinem Fell oder den langen, weißen Haarsträhnen zu bemerken. "Vielleicht", begann Izayoi erneut, bevor ihre Hand die geschenkte Wurzel fester drückte, "vielleicht solltet Ihr Euch mit anderen alten Orten beschäftigen." "Und dann?" "Zeigt sie Eurem Sohn. Wie könnte er nicht auf Eure Nähe erpicht sein und Euer Wissen schätzen?" "Es ist sehr freundlich, dass Ihr das sagt", versicherte er, "aber Sesshoumaru hat nichts mit meinen Schwächen und Gedanken zu schaffen. Ich würde ihm keinen Gefallen erweisen, wenn ich ihn bei mir halte, statt ihn wie bisher wandern zu lassen. Sein Geist muss eigene Pfaden finden, um zu wachsen. Ich kann ihm nur Aufgaben geben und ihn an den Wert des Lebens gewöhnen, das ist alles." "Dann ist es nicht er, der Euch forttreibt?" Fort? Der Herr der Hunde öffnete die Lippen, ehe er bedächtig den Kopf schüttelte. "Haltet Ihr mich für unruhig?" "Ihr habt davon gesprochen, nicht bleiben zu können", erwiderte Izayoi schüchtern. "Ich dachte, Euch läge es am Herzen, es dennoch von Zeit zu Zeit zu versuchen, ohne Frieden zu finden. Verzeiht, ich wollte Euch nicht zu nahe treten, hoher Herr." "Isamu", verbesserte er rasch, bevor er sich in einem milden Lächeln verlor und den dunklen Schimmer in ihren Augen zum Anlaß nahm, sich hinabzuneigen. Bald trennten sie nicht mehr als zwei Handbreit und das Versprechen, das er ihr gegeben hatte. "Ihr habt Recht, meine Liebe. Ich bin oft zu fremden Ufern aufgebrochen, doch ich habe nie den Platz vergessen, an dem mein Welpe das Licht der Welt erblickte. Nein, beide Welpen. Ich warte darauf, dass mir ihre Mutter den Tod verzeiht und es grämt mich, nichts dafür tun zu können. Ich wüsste nicht mehr was." "Redet." "Glaubt mir, ich habe es versucht. Sie antwortet nicht. Nie. Kein Wort in all der Zeit, auf das ich bauen könnte. Manchmal kommt es mir vor, als hätte sie bereits jedes einzelne in der ersten Nacht verbraucht, und es ist nichts mehr von uns übrig, sobald ich aufhöre, von Sesshoumarus Fortschritten zu berichten. Ich ... ich sollte Euch nicht damit behelligen." Er presste den Atem zwischen den Zähnen hervor, ehe er die kühle Luft in die Lungen zog. "Es ist meine Ehe, nicht die Eure. Lasst uns gehen." "Ihr wollt mich zurückbringen?" "Ich muss." "Die Wachen", vermutete sie, ohne erraten zu können, dass ihm die schlechten Sinne der Menschen weit weniger Gefahr bedeuteten als die eigene Zunge nicht mäßigen zu können. "Ich ... ich verstehe." Izayoi musterte mit klopfendem Herzen die Schatten, die hinter seinem Schulterfell in düsteren, schwarzen Konturen aufragten. Sie waren riesig und erdrückten ihren Mut, weil in der Residenz so vieles vor sich ging, auf das sie keinen Einfluss nehmen konnte. Dort gab es Pflichten und Traditionen, aber was Ehrlichkeit betraf- "Das ist nicht richtig", flüsterte sie abrupt. "Wie?" Das unangenehme, scharfe Stechen des Windes riet ihr dazu, sich lieber unter Damast und unterfütterten Kimonolagen zu verstecken, statt sich auf den Apfelbaum zu besinnen, aber die Wärme seiner Hand auf ihrem Arm stimmte sie zuversichtlicher als die schweren, regenfeuchten Haarspitzen und das Gewicht ihres bereits durchnässten Saumes. Sein Youki hielt die Kälte ab, und sie war nicht bereit, sich vom pfeifenden, peitschenden Wind abhalten zu lassen. "Es hat mich verletzt, als Euch keine Silbe über Eure Ehefrau über die Lippen kam", verriet Izayoi, "und nun habt Ihr begonnen, mir mehr von Eurem Leben zu erzählen. Wenn uns die Männer des Daimyos hier nicht entdecken können, dann ... dann fürchte ich, dass ich Eure Gegenwart meinen Räumen vorziehen werde, sollte es Euch nicht unangenehm sein. Wollt Ihr darüber nachdenken?" - - - - - - - Ja, ich will? Erfahrt in Kürze, wie es in Kapitel #41, "Geißblatt I", weitergeht. Kapitel 41: Geißblatt I ----------------------- Apfelblüte - Geißblatt I - Autor: Beta: - - - - - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 126 Genug davon! Setsuna no Takemaru sank auf die Hacken zurück, dann presste er ein letztes Mal die Finger um das Teeschälchen und schleuderte es zornig fort. Der Bursche, den er an der Schläfe traf, zuckte wie von einem Schwerthieb getroffen zusammen, aber ehe der Jüngling wusste, wo er war und entgeistert seine Hände zwischen Bambusmatten und blankem Oberschenkel sortiert hatte, stand der General bereits auf den Beinen. Was für ein erbärmlicher, nutzloser Haufen! Nicht einmal das Klappern der Regentüren vermochte sie aufzuwecken! "Ein kluger Geist sollte nicht suchen müssen, wenn er aus dem Schlaf gerissen wird", zischte er aufgebracht. Grob stieß er mit dem Fuß gegen das umwickelte Heft einer herrenlosen Klinge, bevor er das Stammeln des Rangniederen mit einem Schritt über den massigen Leib eines anderen Mannes ins Vergessen stürzte und sich auf die Papierschiebetür zubewegte. "General Takemaru!", rief ihm Mashiko mit gepresster Stimme hinterher, doch er brachte die Dienerin mit einem scharfen Blick zum Schweigen. Sie warf sich prompt nieder, natürlich, allerdings nicht für lange: Bei der erstbesten Gelegenheit raffte sie ihren Kimono und bahnte sich einen Weg an den grunzenden Gesichtern vorbei, bemüht darum, keinen von ihnen anzustoßen. Das stand ihr nicht zu. Ihm jedoch war es vollkommen gleichgültig: Er hatte auf den fuchsgesichtigen Kriegsherrn gewartet - länger, als es sich für den ersten Mann im Hause des Daimyos der südwestlichen Gefilde gehörte. Aus Respekt, aus Achtung heraus! Wie dankte man es ihm? Der süße Geruch nach Reiswein wurde von Schweiß und Schmutz verschluckt, dazu machten ihn die zahlreichen, umgestoßenen Schüsseln voller Buchweizennudeln und gebratenen Fleischstückchen krank. Wenn das die Gesellschaft sein sollte, die man ihm gönnte, brauchte er in den nächsten Wochen keine weitere mehr! Dafür gab er die Unversehrtheit und seine Patrouille vor den Gemächern seiner Herrin nicht länger her. Bebend vor Wut umfasste Takemaru seinen Oberarm, der unter den polierten Schulterplatten, den Schnürungen und dem Gewicht der Rüstung einen unsagbaren Schmerz durch seine Sinne jagte. Er leckte sich den frisch entstandenen Schweißfilm von der Oberlippe, ohne etwas auf die schlaftrunkenen Flüche zu geben, die ihm in einer Welle folgten - aber dann, nur wenige Schritte vor der letzten Tatamimatte, hielt er abrupt inne. Unmöglich. Die Haut auf seinen sonnengebräunten Händen begann zu kribbeln, ehe sie ziepte und spannte, als habe er sie bis zur Elle in ein eisbedecktes Holzfaß getaucht. Ihm wurde heiß und kalt, während die Geräusche in seiner Nähe zu einem dumpfen Pochen verkamen. Taubheit kroch durch seine Glieder - danach ging alles rasend schnell. Er sank auf die Knie und riss das rot-graue Stück aus den ineinander verflochtenen Bambusstreben, als hätte er Eingeweide vor sich, deren Beute er besitzen wollte. Obwohl er ahnte, was er da an sich brachte, konnte und wollte er es nicht glauben. Nein. "General Takemaru", flüsterte Mashiko hinter ihm angespannt, doch er hörte sie kaum. Nie zuvor hatte er etwas Ähnliches berührt: Dieses Ding war glatt wie Seide, aber es wurde ledrig und rau, sobald er mit seinem Daumen darüber rieb. Erst die rasiermesserscharfe Kante, die kohlrabenschwarz schimmerte, brach seinen Blick. Schuppen. Drachenschuppen. Sein Verstand schrie ihm eine Erinnerung zu, in der sich hunderte davon über dem Nackenkamm des Lindwurms aufgestellt hatten, nachdem dieses Biest fauchend vor seinem zweiten Schlag davongesprungen war. Nun fand er es hier - und es gab nur eine Erklärung dafür, warum sich keiner der betrunkenen Männer Yuudais darum geschert hatte, was unweit der niedrigen Tische und aus dem Algenbett gerissenen Frühlingszwiebeln im Bambus steckte: Sie mussten bereits geschlafen haben. Nie und nimmer hätten mehrere Dutzend, zumeist kampferprobte und wachsame Männer im Licht der Kohlenpfannen daran vorübergehen können! Aber warum hatte sie die Präsenz eines Dämons nicht aufgescheucht?! Wie lautlos konnte dieses Untier denn- Oh, verdammt sollten sie sein! Instinktiv schoss Takemarus Aufmerksamkeit nach links, dann nach rechts, bis er in einem jähen Geistesblitz den Kopf in den Nacken legte und die Holzbalken über sich anstarrte, die mit unnatürlich krummen, sichelförmigen Scharten versehen waren. "General Takemaru?" 127 Das Brüllen, das in einer fernen Ecke der Residenz zum Leben erwachte und von Stöhnen und hektischem Klappern beantwortet wurde, ließ Sesshoumaru instinktiv die Augen schmälern. Nur einen Wimpernschlag später bauschte sich sein Schulterfell, doch seine Hand fand weder den Weg auf das umwickelte Schwertheft, noch zeigte er die Gnade, sich zu erheben. Menschen. Sie waren so leicht aus der Fassung zu bringen und lärmten, als wäre das Kratzen und Heulen des Windes an der Regentür nicht bereits ohrenbetäubend. Was auch immer sie bewegte, perlte jedoch an ihm ab. Er konnte kein frisch entflammtes Youki wahrnehmen, das eine Bedrohung gerechtfertigt hätte, und die Witterung erschien ihm in den nahen Gängen unverändert. Außer den Männern zu seiner Rechten gab es für ihn nichts zu sehen: Der eine suhlte sich wimmernd in seiner Lache und flehte zu seinen Göttern, während der andere sich über den vor Wut hüpfenden Adamsapfel rieb. Lächerlich. Falls er das Selbstbeherrschung nennen wollte, sollte er sich besser keinen Daiyoukai als Lehrmeister wählen - und Sesshoumaru wusste, wovon er sprach. Sein Vater verstand sich bestens darauf, jedes Gefühl mit Gelassenheit und Ruhe zu benennen, ehe er ihm ohne jede Vorwarnung in die Flanke sprang und die stumpfe Klingenseite gegen die Rippen oder in den Nacken schlug. Ernstzunehmende Wunden erlitt er dadurch selten, aber das musste er auch nicht. Jedes verfluchte Mal, wenn er nach seiner verpatzten Finte mit dem Gesicht im Staub landete und Sandkörner zwischen den Zähnen knirschen hörte, klaffte die Lücke in ihrem Können nur umso deutlicher auf. Kein Kampf und kein Training waren gut genug, um daran etwas zu ändern. Von Zorn und Wut ganz zu schweigen, denn daraus zimmerte der Inu no Taishou ihm die schlimmsten Niederlagen. Doch jetzt, wo Vater - der mächtigste Dämon des Westens - dieser schwachen Frau seinen Schutz für die Reise versprochen hatte, gab es keine neue Gelegenheit mehr, sich zu beweisen. Man ließ ihn am Lagerfeuer warten, ja, schickte ihn sogar für etliche Tage fort, um Mutter zu vertrösten. Dann Myouga und diese unsägliche, erniedrigende Aufgabe bei seiner Rückkehr ... War das ein Scherz? Eine Strafe? Zürnte man ihm, weil er vier Sonnenaufgänge benötigt hatte, statt der angekündigten Hälfte? Nun, das war nicht sein Verdienst gewesen, aber Sesshoumaru wusste, dass seine Ausrede keinen Wert besitzen würde, solange sie einem Mann galt, der sich durch Schluchten und Schlangennester geschlagen hatte, um in einer einzigen Nacht ein Brautgeschenk zu ergattern. Es war vollkommen unmöglich, den Inu no Taishou dafür nicht zu bewundern: Wie viele Dämonen gab es schon im Westen, die so rabiat einen Pfad bewältigen konnten, der sonst Wochen in Anspruch nahm? Der unselige Flohgeist behauptete zwar, es sei ein Versehen gewesen - in jeder Hinsicht - und prellte ihn um die Details, aber es bestärkte ihn nur darin, Vater zu übertreffen. Unverheiratet. Eines Tages würde er selbst die Macht eines Daiyoukais besitzen - und dann bräuchte er sich nicht länger zu fragen, warum das Lächeln eines Menschenkindes den Inu no Taishou an diesen Ort bannen konnte. Kühl wie das Morgenlicht sah der junge Hundedämon zurück zu den Papierbespannungen, hinter denen die Glutherde der Kohlenpfannen allmählich in weißer und grauer Asche erstickten. Die Befehle der Menschen hallten längst in der Luft wieder und schrien von Gefahren und Waffen. Dazu erklang das lauter werdende Klappern von Holzsandalen. Die Residenz erwachte wie ein todbringender Bienenstock, aber Sesshoumarus Gedanken konzentrierten sich auf einen anderen Umstand: Worauf wartete Vater dort draußen im Regen? - - - - - - - Dreimal darf er raten in Kapitel #42, "Geißblatt II". Kapitel 42: Geißblatt II ------------------------ Apfelblüte - Geißblatt II - Autor: Beta: - - - - - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 128 Isamus Atem schlug sich in kleinen Wolken nieder, die von der nächsten Windböe erfasst und verwirbelt wurden, bis die Wassertropfen auch den letzten Hauch verwischt hatten. Auf dem Blätterdach des Apfelbaumes lag längst das Trommeln des Regens, aber in seinen Gedanken fand nur die Bewegung ihrer Lippen Platz. Sie gab ihm den Vorzug. Trotz aller Gefahren, die ihr für Leib und Leben blühten, wollte sie bleiben und ihn anhören. "Ihr überrascht mich erneut", raunte der Herr der Hunde, während er dem warmen Gefühl in seiner Brust nachspürte, das sich an seinen Flanken entlang schlängelte. "Sollten Euch die Wachmänner entdecken, wäre es schlecht um Euren Hals bestellt. Es ziemt sich nicht, in meiner Nähe zu sein." "Das ist wahr", erwiderte Izayoi mit klopfendem Herzen, "aber dieser Einwand fällt Euch spät ein." "Ich weiß. Ist es nicht stets dasselbe mit Gefahren? Man nimmt sie wahr und trotzt ihnen doch." Er gab ein leises, raues Lachen von sich, ehe er den Gedanken daran abstreifte, dass sogar ihre Dienerin Mashiko ihn hatte aufstöbern können, als die Sonne hoch am Himmel stand und sich in seinen Fellen und Haaren spiegelte - ja, sogar in seiner Rüstung. Aber er trug kein Metall mehr und sah wenig Grund darin, sie mit seinen Geheimnissen zu beunruhigen. Yuudais Männer waren einmal an ihm vorübergegangen und er sollte verflucht sein, wenn er ihnen diese Frau in den Rachen stieß. Nein, er wusste Izayois Neugierde zu schätzen - und ihr Interesse an seiner Vergangenheit. Es war weit wertvoller als jeder Titel und die zerbrochenen Schwerter, welche ihm Toutousai mürrisch neu zu schmieden verstand. So viel wertvoller ... Das Schweigen, das zwischen ihnen einkehrte, füllte sich mit Erwartungen und unausgesprochenen Sätzen, dann zogen die ersten, harschen Geräusche auf. Ein Scheppern zerriss die Nacht, dicht gefolgt von einem brachialen Schrei und dem Bersten von Holz und Bambus, bevor die Stille wie ein Papierschirm einknickte und dem Brüllen hunderter Männer nachgab. Das war nicht gut. Der Herr der Hunde legte Izayoi instinktiv die Fingerspitzen auf die Lippen, ehe sein Blick rasant durch die tiefschwarzen Äste fiel. Am anderen Ende des Hofes hielt bereits eine Wache inne und drehte die mit Stofffetzen umwickelte Sandale im Schlamm. Als Daiyoukai erschien es ihm, als zermahlten die gewaltigen Kiefer der Ochsendämonen noch arglos einen Grashalm, doch er war kein Narr: Sobald die Vasallen begriffen, dass sie Lärm hörten, würden sie sich wie die Heuschrecken über Sand und Gestein ausbreiten. Nun, er würde ihnen nicht in die Arme springen. Knisternd heizte Isamu die Luft mit seinem Youki auf und ließ einen Teil des unerbittlich prasselnden Regens verglühen, dann neigte er sich zu Izayoi. Er wusste, wie es aussah, wenn sich erfahrene Männer hektisch auf die Schultern schlugen, um einander Befehle zu geben und hastig in verschiedene Richtungen fortzuspringen, daher blieb ihm kaum mehr als ein geflüstertes: "Vergebt mir, Euch vertrösten zu müssen. Haltet Euch gut fest", ehe seine Hand statt ihrer Elle die Hüfte umfasste. 129 Um ein Haar hätte er das dumpfe Poltern über sich nicht beachtet, aber im nächsten Moment hing Sesshoumarus Aufmerksamkeit zwischen den schweren Dachbalken fest, als könnte er nicht glauben, zwischen dem Heulen des Windes etwas Vertrauteres auszumachen. Vater. Das war sein Fell, das über Holz rutschte und das gleichmäßig ablaufende Plätschern am Rande der Schindeln verhinderte. Was hatte das zu bedeuten? Das Wasser stockte wie sein eigener Atemzug, dann brach es sich an anderer Stelle umso eigensinniger den Weg - aber um nichts in der Welt konnte es ihm erklären, weshalb sich ein Glucksen an seine Ohren verirrte. Erschüttert weiteten sich Sesshoumarus Pupillen, dann ersetzte Ärger die Ahnungslosigkeit: Das Bild, welches ihm seine Sinne vorgaukelten, beleidigte seinen Verstand. Der mächtigste Dämon des Westens gluckste nicht. Welchen Grund sollte der Herr der Hunde haben, um sich mit einem solch unpassenden Geräusch zu schmücken, ehe der nächste, hohle Schritt erklang und von vier weiteren ergänzt wurde? Sein Vater musste in die Hocke gegangen sein, daran gab es keinen Zweifel. Auch die Witterung des Menschenweibes drang ihm in die Nase, dünn und mit einer Nuance beseelt, die von Aufregung und Angst flüsterte. Sollte das-? "Dämon!" Ihm blieb auch nichts erspart. 130 Schwer atmend starrte der winzige Flohgeist in die Dunkelheit, während direkt neben ihm ein reißender Strom aus Wassertropfen über das Ende des Daches floss. Sein Versteck unter der Schindelkante war so gut gewesen! Gelobt hatte er sich dafür, nachdem ihm klar geworden war, dass er dem Inu no Taishou am besten dort auflauerte, wo er ohnehin vorbei musste - statt sich irgendwo jammernd und am Ende seiner Nerven zwischen Unwetter, Pfützen und Windstößen durch das Unterholz zu schlagen, bis ihn das Glück verließ und er davongeweht wurde! Wer konnte denn auch ahnen, dass sein Meister ausgerechnet so landete, dass der Regen ihn fast in einem Schwall ertränkte? Diese Hundeherrschaften waren doch alle gleich. Erst trachtete ihm der Großvater nach dem Leben, dann der heutige Fürst und morgen kam wahrscheinlich noch der Welpe auf die Idee, sich eine Shintopriesterin in die Felle zu ziehen. Anders konnte der die Taten seines Vaters auch nicht mehr überbieten, nun, vorausgesetzt jener hielt weiter bei der menschlichen Fürstentochter Maulaffen feil. Aber ohne ihn! Dieses Süppchen würde er ihm versalzen, sobald er dafür Sorge getragen hatte, dass niemand seiner Schwindelei auf die Schliche kam. Aufmüpfig rümpfte der Berater den Saugrüsssel, dann presste er die Finger seiner vier Hände fester gegen die tönerne Zierde des Daches und reckte den Hals, um nach oben zu schielen. Wo war denn- "Myouga." Der Floh erschrak prompt, doch ehe er sein "Meister!" kieksen konnte, waren ihm die Klauen des Inu no Taishou zu Leibe gerückt. In Windeseile wurde er wie eine Made aus dem Astloch gepflückt und landete zwischen den regenfeuchten, glänzenden Härchen des Schulterfells. "Ich wusste doch, dass ich dich gewittert habe", flüsterte man ihm zu. "Du kommst wie gerufen. Siehst du das?" Keinen Herzschlag später war Myouga beim ersten Blinzeln nicht mehr kreidebleich, sondern puterrot und sprachlos. Er wagte noch ein Schlucken, aber ehe er in die Verlegenheit kam, sich zu kneifen, zuckte sein Kopf bereits von links nach rechts. Dass sich der Herr der Hunde wie ein Schlangendämon gegen Gestein pressen konnte, bevor er seinem griesgrämigen Welpen Streiche spielte und ihn in ein Ameisennest stolpern ließ, wusste er seit fünf ungnädigen Jahrhunderten. Aber dass derselbe Mann, dessen Youki voller Wärme steckte, sein Kinn auf die Residenz von Menschen betten konnte - von Regen und Wind umspielt, während seine andere Hand die Fürstentochter bei sich hielt? Myouga löste sich von dem Anblick der schwarzen, nassen Haarsträhnen Izayois und schnaufte empört. "Oh, ich hätte es wissen müssen! Ich habe keine Probleme", wetterte er. "Ihr habt sie, Meister. Bei allem Respekt, der Euch gebührt: Was macht Ihr hier?" - - - - - - - Verstecken spielen? Wir schauen uns in Kapitel #42, "Geißblatt III", an, was Izayoi darüber denkt und weshalb Dächer die neuen Liegeplätze von morgen sind! (Hat jemand die Drachendämonin gesehen?) Kapitel 43: Geißblatt III ------------------------- Apfelblüte - Geißblatt III - Autor: Beta: - - - - - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Hinfort mit den Spinnweben! - - - - - - - 131 Der Geruch von Reispuder, trocken und lästig, vermischte sich in seinem Verstand zu einer widerwärtigen Paste, als Sesshoumaru die Frau in Augenschein nahm, die in der Mitte des Ganges ausharrte. Sie war klein, fast gebrechlich, aber ihre dunklen Seidenlagen fluteten den Boden mit Selbstgefälligkeit. Im Schein der Kohlepfannen stach ihr lächelnder Mund hervor und jede Falte in ihrem bleich geschminkten Gesicht erinnerte ihn an eine Krähe. Menschen. Es gab nur wenige Geschöpfe, die er für unansehnlicher hielt, sobald sie in die Jahre kamen. Leider stimmte das Alter sie nicht weiser, denn das Weib neigte das Kinn und entblößte schwarzgefärbte Zähne, denen der Glanz der Sumachblattgalle anhaftete. "Wie reizend von Euch", begann sie das Gespräch. "Ihr bewacht die Schwester meiner geliebten Schwiegertochter. Welch Ehre muss das sein? Izayoi hat mächtige Gönner, wenn ich das feststellen darf." Tze. "Ich habe kein Interesse an Eurem Geschwätz", erwiderte Sesshoumaru, ehe er sich zur Wand zurückdrehte und ihre Miene mit der gleichen Nichtachtung strafte, welche er dem winselnden Burschen und dem vor Unmut knurrenden General entgegenbrachte. Vater würde ihn nicht dafür loben, wenn er diesen drei für ihre Unterstellungen, dem Weib wohlgesonnen zu sein, die Hälse brach. Zu bedauerlich. Mürrisch huschten seine Sinne zurück auf das Dach der Residenz, wo das Youki des Herrn der Hunde den Regen gegen die Schindeln presste und Myougas Stimme schimpfend um Gehör feilschte. Sesshoumaru folgte der Litanei, doch er hatte nicht das Glück, dass ihn darüber seine unerwünschte Gesellschaft verließ. Die beiden Männer knieten zügig auf dem Holzboden, so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Tajiro hielt sich als Einziger aufrecht, aber er war nicht Narr genug, das Wort an sich zu reißen. Seine Kehle brannte noch immer und seiner Mutter in die Quere zu kommen, hieße, ihre sittsame Haltung mit freundlichen Absichten zu verwechseln. Angespannt musterte er ihren Nacken, dann sah er in die Schatten des Ganges, in denen sich weder eine ihrer Hofdamen, noch eine andere Dienerin finden ließ. Sie musste ihnen befohlen haben, in den Gemächern zu bleiben. Doch wofür? Einer Fürstenmutter stand es nicht zu, wie ein Kind zu entschlüpfen, und sie erweckte nicht den Anschein, eben in Eile gewesen zu sein, um Izayoi auf den ohrenbetäubenden Lärm und das lauter werdende Brüllen in der Residenz aufmerksam zu machen. Nein, das erschien ihm lächerlich: Warum sollte sie sich um deren Wohlergehen scheren? Sie hatte dem Plan im Speisezimmer erst den nötigen Zunder gegeben. Izayoi war das Mittel zum Zweck! Der einfachste Weg, um an die Ländereien ihres Großvaters zu gelangen und ihm, Tajiro, zu Titeln zu verhelfen - vorausgesetzt, sie blieb am Leben. Starb sie vor der Ehe, würde dem greisen Daimyo nichts anderes übrig bleiben, außer seine Besitztümer dem Urenkel Kosuke zu vermachen oder einen neuen, erwachsenen Erben zu adoptieren. Darauf zu vertrauen, dass er sich für den Bruder eines angeheirateten Mannes entschied, hatte sich mit seinen letzten Schreiben jedoch als untragbares Risiko erwiesen: Seine friedfertigen Absichten wandten sich nach Osten. Ausgerechnet! Ehe Tajiro sich ihm durch eine weitere Intrige empfehlen könnte, hätte seine Familie den Alten längst in Sichtweite der Raben verscharrt. Eine offene Schlacht mochten sie scheuen, aber für verlustreiche Listen waren sie stets empfänglicher als für Niederlagen. Sogar seine Mutter hatte zugegeben, dass es für sie keine Rolle spielte, wer am Ende die Hände aufhielt, solange Reis und Waffen einem von ihnen zufielen. Als ob! Izayoi war seine Chance, aus dem Schatten eines Zweitgeborenen herauszutreten. Er würde bekommen, was ihm zustand, ja, Kagetora bald übertreffen. Dass sich seine Mutter so viel Zeit ließ, um den weißhaarigen Bastard erneut anzusprechen oder ihn selbst danach zu fragen, was er hier verloren hatte, war ein schlechtes Zeichen. Aber da: Sie glättete einen der wattierten Säume, als würde sie die mit Chrysanthemen bestickten Seide aus dem Schweigen reißen - oder die näherkommenden Rufe stören. "Ich verstehe", hob Yugo lieblich an. "Ihr haltet weniger von mir als unser erster Gast, doch das will ich Euch verzeihen. Ihr müsst noch jung sein, und ich kann nicht erwarten, dass Ihr bereits wisst, wie wichtig es ist, einen Fürsprecher in fremden Mauern zu haben. Der Tod benötigt niemanden Euresgleichen, um hier reiche Ernte zu halten. Ihr werdet unserem Fürsten ein Dorn im Auge sein. Nehmt meinen Rat an und verschwindet, ehe ein Unglück geschieht." Nachdrücklich spitzte sie die Lippen, doch ihr seidenweicher Ton perlte völlig an dem Erben des Westens ab. Es blieb still. Nur das Prasseln des Regens, der gegen die geschlossenen Holzriegel schlug und heulend durch die Ritzen pfiff, verriet, dass die Zeit weiterlief. Auf eine Geste wartete sie vergebens. So war das also. Yugo drückte ihre Schultern durch, dann gefror ihr Lächeln. "Ihr solltet antworten, Dämon." 132 Izayois Augen waren geweitet, während Windstöße über das Dach fegten und den Regen gegen die Schindeln drückten. Ihr Haar schwamm wie pechschwarze Algen an ihrem Kinn vorbei, aber sie wagte nicht, es zurückzustreichen. Wie sollte sie das auch bewerkstelligen? Mit einer Hand umklammerte sie die schwarzen Wurzeln und mit der anderen deutete sie das sittsame Dreieck an, das eine Frau auf Tatami-Matten mit den Fingerspitzen zu bilden hatte. Nie zuvor war ihr diese Geste so absurd erschienen: Der Flohgeist konzentrierte sich auf den hohen Herrn und Isamu wies seine Klagen verschmitzt damit zurück, dass auch ein Daiyoukai nicht hellsehen könnte. Einen Moment schien Myouga sprachlos zu sein, dann zeichneten sich weitere, rote Flecken auf seinem Gesicht ab. Am liebsten hätte Izayoi beide darum gebeten, ihre Unterhaltung im Trockenen fortzusetzen. Vielleicht wünschte sich ihr Herz auch nur, ebenso mutig zu sein: Die Rufe und Befehle klangen in ihren Ohren wie ein schlecht gestimmtes, von Kinderhand geschlagenes Shamisen. Sie war bereit gewesen, Isamu zuzuhören - aber nicht an diesem Ort, wo im prasselnden Unwetter vage Schemen umherstolperten und Befürchtungen wie Wellen über ihr zusammenschlugen. Sie war ein Mensch, eine Frau! Ein solches Versteck war verrückt verglichen zur dichten Krone des Apfelbaums oder jedem anderen aus ihrer Kindheit. Wehmütig dachte sie daran, wie aufregend es sich angefühlt hatte, hinter einem geschnitzten Türrahmen zu stehen und die Luft anzuhalten, sobald Mashiko auf Knien in den Raum rutschte und in der Dunkelheit nervös nach ihr flüsterte. Doch dieses Mal verbarg sie sich nicht allein. Sie zählte nicht mehr sieben Sommer. Ihre Gedanken hatten sich verändert. Wenn sie den Atem einzog, spürte sie ein leichtes Flattern in ihrem Magen. Die durchweichte, eiskalte Kimonoseide mochte ihre Schenkel bedecken und an ihrem Verstand zupfen, damit sie endlich den Stoff von der Haut schälte und sich richtete - aber all das verblasste, als er ihr den Kopf zudrehte. Warm und flimmernd strich das Youki über ihre Wangen, kribbelte in ihrer Nase und doch ... da war mehr. "Izayoi." "Hoher Herr?" Sie lächelte verunsichert, wie so oft. Er sprach ihren Namen weicher aus als jeder Mensch und sie mochte seine Art, die unerschütterliche Ruhe in seiner Stimme. Über sein Gesicht lief der Regen und es schien ihn nicht einmal zu kümmern, dass ein Rinnsal den Weg in seinen Kragen fand. Oh. Vielleicht doch. Ein wenig. Er streckte seinen Hals, als wollte er dem Spuk durch eine Neigung ein Ende bereiten oder sich schütteln. Es musste ihr Glückstag sein: Isamus Berater duckte sich tiefer in das nassglänzende Schulterfell statt ihren zuckenden Mundwinkel zu erwähnen. Dann spürte sie, wie sich die Hand auf ihrer rechten Hüfte rührte. Dort, wo der persimonenorangefarbene Stoff Falten schlug, verstärkte Isamu den Druck, aber er zog sie nicht näher und tat nichts, was sie durch seine Klauen hätte verletzen können. Nur das Gold seiner Augen ließ sie erahnen, dass er sich seiner Geste äußerst bewusst war. Aber- "Unter uns sind Eure Gemächer", flüsterte er, "und mein Sohn. Bedauerlicherweise ist er nicht allein." Sehr zu seinem Erstaunen. Er konnte sich weder erklären, zu wem die Witterung abseits der bekannten Gerüche um Tajiro und dessen Mutter passte, noch weshalb sich Sesshoumaru dort aufhielt. Hätte er raten müssen ... Nun, Myouga würde sich kaum zufällig vor den Regentüren einen Unterschlupf suchen, statt sich in der Nähe einer Kohlenpfanne die Fingerspitzen zu wärmen und auf seine Einfälle zu schimpfen. Dieser gerissene, kleine Flohgeist. Besser er fand heraus, womit der den widerspenstigen Welpen dazu gebracht hatte, die Gegenwart von Menschen zu ertragen. Doch zuvor gab es anderes zu bewältigen. Das Temperament seines Jungen konnte Geduld gut gebrauchen - Izayoi nicht. Sie hatte lange genug gewartet. Der Wind heulte auf, und peitschte die Tropfen harsch gegen das Holz der Residenz und zusammenlaufende Pfützen. Die Wachen im Innenhof, das erkannte er nach einem Blick, wären bald auf Sichtweite heran. Bereits jetzt konnte er ihre verkniffenen, sonnengegerbten Gesichter nachzeichnen, die im Schatten der Nacht fahl und grau wie Gestein glänzten. Dem Pechvogel unter ihnen war erneut der Riemen seiner mit Stofffetzen umwickelten Sandale gerissen, aber eine Gefahr lag näher als diese Vasallen und die Menschen vor Sesshoumarus Nase. Isamu musste nur zwei Fingerbreit über das Ende des Daches sehen, um den mit einem Tuch verhüllten Kopf zu entdecken. Er war an dem Schlafenden hinein- und mit Izayoi wieder herausgeschlichen. Ihr Abenteuergeist hatte ihm dabei geschmeichelt, doch jetzt war der Mann hellwach und hielt seine Waffe mit der Entschlossenheit eines Kriegers fest. Er konnte ihn kaum bitten, beiseite zu treten. Er nicht ... - - - - - - - Was hat der alte Hund ausgeheckt? Erfahrt es in Kapitel #44, "Geißblatt IV"! Kapitel 44: Geißblatt IV ------------------------ Apfelblüte - Geißblatt IV - Autor: Beta: - - - - - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 133 Wie er das Blatt auch drehte und wendete: Wenn er diesen Burschen loswerden wollte, musste er einen anderen Weg finden. "Myouga." Der Herr der Hunde sah aus den Augenwinkeln zu seinem Berater, der prompt den Kopf einzog, als könnte ihm das sämtliches Unheil ersparen. "Ich benötige deine Hilfe." "Oh nein", flüsterte der Floh, während er sich einen Regentropfen aus dem Gesicht wischte. "Nein, Meister! Ich bin dagegen. Das letzte Mal, als Euch das einfiel, waren danach Falkendämonen hinter mir her: Zehn ausgewachsene Biester mit derart großen Schnäbeln, dass ich mir darin eine Residenz aus Ton hätte zimmern können!" "Du bist ihnen entkommen, alter Freund." "Ich bin verschluckt worden. Verschluckt! Ihr musstet ihrem General den Hals öffnen, um mich zu befreien. Könnt Ihr diese Fingerspitzen erkennen?" "Natürlich." Nachsichtig verfolgte er, wie Myouga seinen winzigen Daumen vor den Zeigefinger hielt und entsetzt einatmete. "Ich armer Floh stand so kurz vor meinem eigenen Tod. Ein einziger Meter noch und es wäre aus mit mir gewesen!" Die regengeschwängerte Windböe fuhr dramatisch gegen Myougas Haarbüschel, aber Isamu hielt es für unklug, milde zu lächeln und die Geschichte zu korrigieren: Es war kein Meter mehr übrig gewesen. Er hatte nicht die Kehle des Falken wie einen Pfirsich platzen lassen, sondern dessen Magen. Myougas Glücksgötter hatten ihn aus den Eingeweiden geschleudert und ohnmächtig gegen einen Stein prallen lassen. Nachdem er selbst im Laufe des Kampfes einen ganzen Landstrich verwüstet und eine Schneise aus verkohltem Gras zurückgelassen hatte, war er jedoch zu erleichtert gewesen, um dieses Detail später aufzufrischen. "Nun, lernen wir nicht alle aus unseren Fehlern?", schlug er vor. "Nein!", widersprach Myouga erbost. "Ich lerne einzig und allein aus Euren Fehlern! Was mich betrifft, so mache ich stets den gleichen und höre auf Euch, aber dieses Mal-" Weiter kam er nicht. Ehe er wusste, wie ihm geschah, hatten ihn die Klauen des Inu no Taishous gepackt und statt des schützenden, weißen Fells schlug ihm das Unwetter entgegen. Sein entgeistertes Kieksen rührte jedoch nur das Herz Izayois, nicht das seines Meisters. Isamu hatte genug damit zu tun, weiterhin das Gleichgewicht auf den wasserüberspülten Dachschindeln zu halten: Wahrlich, ihm waren in der Vergangenheit bessere Orte für Gespräche eingefallen. Hier lief ihm in vielerlei Hinsicht die Zeit davon - und dass ihm ein Ellenbogen fehlte, um sich abzustützen, brachte die Fürstentochter und ihn in Gefahr. Er wollte die Wache verscheuchen, nicht abrutschen und ihr vor die Füße fallen. "Ich bestehe darauf", raunte Isamu. "Geh, Myouga. Richte meinem Sohn aus, dass sein alter Herr sehen möchte, wie er den Menschen vor der Regentür ablenkt, ohne ihm das Leben aus den Knochen zu schlagen." "Was?" 134 Er hörte ein Donnerkrachen durch die Luft jagen, ehe die Holzriegel knarrten und knackten, als würden sie jeden Moment in Stücke brechen. Vielleicht waren es auch nur seine eigenen Knochen, weil man ihn wie ein Reiskorn fallen gelassen hatte und Myouga nicht glauben konnte, dass er noch atmete. Schwarze Wolkenberge türmten sich über ihm auf, ehe Blitze durch das Firmament schossen und die gespenstische Stille vom nächsten, regengeschwängerten Windstoß zerrissen wurde. Un... unfassbar! Warum konnte sein Meister nicht wenigstens abwarten, bis er zustimmte?! Myougas Saugrüssel hüpfte auf und ab, doch ehe er alle Flüche beisammen und den Ärmel aus einem Tropfen gezogen hatte, erbleichte er bis zur letzten Hautfalte. Dann warf er sich entsetzt zur Seite, sodass ihn die Strohsandale der Wache um Haaresbreite verfehlte und sein Gesicht in einer Ladung feuchtem Sand kleben blieb. Er wollte protestieren, schreien, aber daraus wurde nichts. Der Mann machte einen weiteren Schritt rückwärts und Myouga gelang es nur mit einer gehörigen Portion Glück erneut auszuweichen und sich am Riemen festzuhalten, um nicht von der verdrängten Welle an Regentropfen in eine Ritze gespült zu werden. Entgeistert starrte der Floh auf die Schwärze, über die man ihn hinwegtrug, dann blies er die Wangen auf. Diese verdammten Hundeherrschaften! Eines stand fest! Der nächste Dämon, der ihm das antat, würde sein blaues Wunder erleben. Vielleicht versteckte er ihm die Schwerter – oder nein, viel besser: Er holte die Fürstin des Westens hinzu, um ihn das Fürchten zu lehren. Er musste nur einen Weg auftun, um später jeden Verdacht von sich abzulenken und nicht selbst von ihr befragt zu werden. Lebensmüder als Sesshoumaru vor den Gemächern eines Menschenkindes ausharren zu lassen, konnte das auch nicht enden! Verärgert schnaufte Myouga, dann versuchte er bei der nächsten Rückwärtsbewegung der Wache einen Blick hinauf zu erhaschen. Viel konnte er nicht erkennen, aber es genügte, um den Leinenstoff über den Lippen des Mannes unter einem angespannten Atemzug zittern zu sehen. Dazu ein krummer Nasenrücken, buschige Brauen und Augen, die finster wie die Nacht nach draußen starrten. Er musste die Gegenwart des Inu no Taishous spüren: Die Instinkte eines Kriegers reagierten früh auf Dämonen. Den Rest an Misstrauen schürten der Lärm und die gebrüllten Befehle, die im Innenhof wiederhallten. Der kleine Berater wusste, weshalb das zur Nervosität bei seinem ungeschlachten Träger führte: Es war doch sehr ungewöhnlich, die Gemächer eines Gastes so schlecht bewachen zu lassen. Noch dazu hatte der Mensch geschlafen. An ihm haftete ein säuerlicher Gestank, den der allgegenwärtige Regengeruch nicht überdecken konnte - und niemand war bei ihm, um seinen Rücken zu decken. Absicht oder Versehen? Überraschte es den Wächter sogar, allein zu sein? Gleich, darüber konnte er später nachdenken. Es erklärte Myouga jedoch, wie der Herr der Hunde in Begleitung einer viel ungeschickteren Fürstentochter den Ausflug hatte beginnen können. Für ihn als Floh waren es nur eine Handvoll Sprünge gewesen, die er auch jetzt verbissen in Angriff nahm. Unbemerkt, und froh darüber. 135 Flach presste Tajiro den Atem zwischen den Lippen hervor, während seine Aufmerksamkeit an den wattierten, dunklen Säumen seiner Mutter hing. Nur der verkrampfte Kiefer verriet einem Außenstehenden, dass er über ihren Befehl nicht entzückt war. Sie reizte diesen Dämon, der im schwachen Widerschein der Kohlepfannen von orangen Lichtern und Schattenspielen umschmeichelt wurde - und seine eigene Ehre als Kriegsherr gebot es ihm, bei ihr zu bleiben. Wie stünde er da, wenn sich herumsprach, dass er als General zurückwich und sie dem Fremden die Stirn bot? Die Chance auf ein solches Gerücht war gering, aber er hatte seinen Feinden genug Kleinigkeiten zum Verhängnis werden lassen. Bisher profitierte sein ältester Bruder, der Daimyo, von seiner Grausamkeit und seinen Listen, doch das machte niemanden unsterblich. Seine Verwandtschaft musste seiner lediglich überdrüssig werden, um ihm den Tod an den Hals zu wünschen. Was würden sie später aus seiner Anwesenheit schließen? Etwas Gutes? Wohl kaum. Missbilligend lauschte Tajiro dem Höllenlärm in der Residenz, der sich wie ein handgewobenes Leichentuch um seine Kehle schlang und ihn beschäftigt hielt. Bald würde es hier vor Zeugen wimmeln - vorausgesetzt der dämonische Bastard nahm Mutters Worte nicht zur Aufforderung, vorher seine Klinge in ihre Leiber zu treiben. Das Blut rauschte in seinen Ohren, während er überlegte, wie er aus seinem erbärmlichen, gescheiterten Plan noch das Beste machen konnte. Tajiro fixierte eine handgestickte Chrysantheme auf den dunklen Seiden, wohlwissend, dass er das laute Heulen des Windes und Regens für einen Moment vergessen musste. Als auch die näher kommenden Schreie der Wachen allmählich verblassten, sah er die Schritte seines Vorhabens so klar vor sich, dass er auf ihnen im reißenden, schwarzen Strom seiner Gedanken laufen konnte. Ja, er hatte viel gewagt, um sich Reis und Waffen eines alten Daimyos zu sichern. Als General hielt er für jeden seiner Männer den Hals hin, der sich bei Izayoi erwischen ließ. Niemand rührte eine Fürstentochter an, der über keine ebenbürtige Armee verfügte und seinen Anspruch verteidigen konnte! Dennoch hatte Izayoi als Frau mehr zu verlieren: In der Heiratspolitik der Daimyos besaßen nur diejenigen Wert, die noch das Privileg der ersten Nacht anbieten konnten. Nur dadurch garantierte man einem zukünftigen Gatten, dass sein Blut in den Adern eines Kindes fließen würde. Viel Zeit für Nachkommen blieb selten, denn es gab vielerorts Schlachten und Fehden zu schlagen. Ein fremdes Balg aufzuziehen und ein Jahr bis zur nächsten Schwangerschaft zu verschwenden, zog Spott und Schwäche nach sich – wer wusste auch, wo das Weib heimlich wieder die Seidenlagen öffnete? Izayoi diesen Trumpf zu nehmen, hätte ihm in jeder Hinsicht in die Hände gespielt! Der Jüngling war ein gutes Bauernopfer gewesen. Er hätte das Lebenslicht der Amme ausgelöscht und diesen Einfall mit dem eigenen Atem bezahlen sollen. Zunächst hatte er darauf spekuliert, dass der unerwünschte Gast auftauchte. Dämon oder nicht, dem Bastard lag zu viel an der jungen Frau. Yuudais Vorschlag im Kampf, sie vor ihm anzurühren, hatte den aus der Haut fahren lassen, ihn und seine Motive gewissermaßen bloßgestellt – daran gab es keinen Zweifel. Der Bursche wäre unweigerlich in Erklärungsnöte gekommen und durch Klauen gestorben. Ihn verschont zu sehen, hätte ihm nur das Schwert seines eigenen Generals einige Ecken weiter eingebracht. Warum auch nicht? Niemand konnte riskieren, dass die Milde eines Daiyoukais an die Ohren der Männer drang. Danach hätte er höchstpersönlich seinem Daimyo Bericht erstattet, um ihm die Lüge ins Ohr zu setzen, der Rangniedere wäre bereit gewesen, in der Nähe zu warten, während er - entsetzt von vermeintlichen lustvollen Schreien zuvor - zu seinem Fürsten eilen musste. Einzig Kagetora durfte über Izayois Leben nach diesem Fehltritt entscheiden, war er doch der Hausherr. Oh, was für ein windiger Schachzug! Dann entdeckte man gemeinsam den Leichnam des Hänflings, suchte den Gast– Noch besser wäre freilich gewesen: Der Daiyoukai blieb die Nacht über, wo der Pfeffer wuchs, damit er sich nach der Ermordung seines Untergebenen selbst auf Izayoi hätte werfen können. Ihre Erklärungen wären nichts gegen die Lügen gewesen, die er ihr untergeschoben hätte. Das Wort eines Mannes galt tausendmal mehr. Zumal, es sprach auch alles gegen ihn als Schänder. Der Bursche war zu gottloser Stunde davongeschlichen und hatte sich zuvor nach dem Verbleib des Daiyoukais erkundigt, nicht er. Zu dumm. Sein Bruder Kagetora mochte seine Handschrift durchschauen, gewiss, doch die Vorteile lägen auf der Hand. Das Unglück wäre bereits geschehen, sodass es die Schäden zu begrenzen galt. Izayois Großvater durfte nicht auf den Gedanken kommen, die scheußliche Tat zu vergelten, indem er das Heim niederbrannte und alle Bewohner erschlagen ließ. Sein Urenkel würde ihn davon vielleicht abhalten, doch das löste nicht das Problem einer Verheiratung Izayois vor seinem Tod. Sie schutzlos lassen? Nein, dafür war der Greis zu gutmütig. Ihm direkt einen Ehemann zu präsentieren, bot einen klugen, besänftigenden Vorstoß. Seine unfreiwillige Braut würde dem schon ohne Widerworte und mit gesenktem Kopf zustimmen. Bisher hatte es keine Frau gegeben, die ihm nicht die Welt versprochen hätte, damit er nur endlich von ihr abließ und nie wiederkam. Kühl und mit vor Schmerz brennender Kehle schmälerte Tajiro seine Augen, während das Poltern in der Gegenwart erneut wie eine Welle über seinem Kopf zusammenschlug. Das Unwetter vermischte sich mit der brüllenden Stimme eines Mannes, welche ihm ebenso lästig fiel wie die der Dämonen: Setsuna no Takemaru. Er kam jedoch nicht allein. Die Erfahrung verriet ihm, dass mehr als drei Dutzend Strohsandalen und schwere Schritte über die Nachtigallböden trommelten – und obwohl Tajiro schlagartig bewusst wurde, wie er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte, musste er sich eines eingestehen. Das entscheidende Hindernis hatte er heute Nacht nicht ausreichend bedacht. Seine Einfälle waren an einem einzigen Hundedämon gescheitert: Dieser hier entpuppte sich nicht als Stein im Weg, sondern als ausgewachsene Mauer, die von einem Horizont zum anderen reichte. Dass sich der Bastard ausgerechnet jetzt unter einem tiefen, kehligen Knurren vom Boden aus in die Höhe schälte und eine Hitze aufkam, die ihm die Haut spannen ließ, sorgte dafür, dass sich der Vasall neben ihm ein weiteres Mal kreischend in die Stoffe machte. Grund... grundgütiger! - - - - - - - Warum steht Sesshoumaru nur auf? Erfahrt es in Kapitel 45, "Geißblatt V". Kapitel 45: Geißblatt V ----------------------- Apfelblüte - Geißblatt V - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 136 Was für erbärmliche Geschöpfe. Sesshoumarus dahinfließendes Fell schmiegte sich wie der Tod an Grund und Boden. Hätte es das menschliche Augenlicht vermocht, wäre jede einzelne dieser Kreaturen über die ersten, grünen Fäden an seinen Klauen gestolpert, die feiner und zarter als Raupenseide schimmerten, doch er würde sich nicht von seinen Gefühlen beherrschen lassen. Er nicht. Vater. Nachdrücklich ballte er die Klauen, bis er sich sogar über das verkrampfte Schlucken des Flohgeists nahe seines Kimonokragens erhaben fühlte und Myougas Flüstern auf das zusammenschrumpfen ließ, was es war: Ein Befehl des Herrn der Hunde. Ein lästiger, über die Maßen erniedrigender, aber ihn zweifellos an seinen Talenten messender Befehl. Dem Berater hätte es besser zu Gesicht gestanden, ihn kein weiteres Mal mit dem Schicksal der Menschen in dieser Nacht zu behelligen. Lass ihnen den Atem in den Lungen, doch vertreibe sie. Weshalb? Der mächtigste Mann des Westens, der Inu no Taishou, hätte sie selbst mit einem Lächeln in alle Himmelsrichtungen fliehen lassen können. Diese Ameisen bezwangen keinen jahrtausendealten Daiyoukai, also welche Lektion sollte für ihn übrig bleiben? Sich nicht einmal von seinem Vater reizen zu lassen? Eine Pflicht geschickter als einen Hecht im aufgewühlten Flussbett zu entdecken? Oder erinnerte er ihn auf diese Weise daran, sich vor leichtfertigen Versprechen zu hüten? Ja, vielleicht war es das: Einer menschlichen Fürstentochter gewährte man kein Geleit. Sollte sie tatsächlich in der Nähe von Toutousais Vulkan geatmet haben, wie es ihm Myouga in der windumtosten Krone des Apfelbaums entgegengekrächzt hatte, würde der Schmied persönlich bereuen, sie nicht zu Asche verbrannt zu haben. Später. Vater sollte ihm nicht nachsagen, er sei an der jüngsten Aufgabe gescheitert. Es genügte, sich an die Worte und das lauernde Interesse seiner Mutter vor drei Nächten erinnern zu müssen. Wirst du auch dieser Laune deines Vaters nacheifern, mein Sohn? Hochmütig hatte sie dabei auf ihn herabgesehen, als überrage er sie nicht längst um einen halben Kopf. Ihre Tonlage war so fein und perlend erklungen, geziert wie der verschwenderisch bestickte Kimono und der schneeweiße Pelz auf ihrer Schulter, dass es ihm noch immer das Fell zu gerben schien. Die glattgehobelten, lackierten Fußbodenbretter schienen urplötzlich unter dem Knurren des Hundedämons zu schwanken und zu ächzen, als hätte sich ein Lachs an einer Stromschnelle versucht und erst im Moment des Sprunges die messerscharfen und tödlichen Felsspitzen entdeckt, die über ihm glänzten. In den Kohlenpfannen stachen Flammen empor, die kein Mensch zu schüren verstand. Dann verdichteten sich die Schatten hinter den Papierspannungen als unübersehbare Warnung, ehe seine Fangzähne schneeweiß aufblitzten – gerade rechtzeitig, um Setsuna no Takemaru und die übrigen Soldaten in Empfang zu nehmen. Der Bursche neben Tajiro war der Erste, der aufschrie, als hätte er ihn von der Schulter abwärts bis zur Taille aufgeschlitzt. 137 Der weithin hörbare Donnerschlag übertönte die Angst des Mannes, bevor ein Windstoß durch die Ritzen der Regentüren fauchte und am Holz rüttelte, als bräuchten die herbeieilenden, drei Dutzend Männer noch die Naturgewalt, um nach Luft zu schnappen. Die Wut gerieten wie ihre Schritte ins Straucheln. Sie glichen verblüfften, ratlosen Kindern, welche die Bedrohung hinter den zerborstenen Rahmen und Papierbespannungen scheuten. Dann kamen die Soldaten mit der Wucht eines Erdrutsches zum Stehen und drängten sich schutzheischend aneinander. Sogar Setsuna no Takemaru hielt nach sieben weiteren Schritten inne und hob grimmig das Schwert. Die Schweißperlen auf seiner Oberlippe drohten ihn bloßzustellen, daher wischte er sie in verbissener Entschlossenheit mit dem Handrücken fort. Er war der General des Daimyos der südwestlichen Gefilde, kein Schwächling! Aber was hatte ihm sein aufwallender Zorn bisher gebracht? Wie ein Fluch war er durch Yuudais Männer gefahren, hatte sie dem Rausch auf den Bambusmatten entrissen und aufgestachelt, um letztlich Mashiko schneller als eine Papierlaterne beiseite zu stoßen. Der prasselnde Regen, der auf die Dachtraufen über ihren Köpfen niederging, hatte seine Schritte beflügelt. Doch vor Izayoi-samas Gemächern erwartete ihn kein kreischender Drache, keine ihn schmähende Brut. In den gewaltigen Schatten türmte sich eine Höllenfratze auf. An den Zügen haftete längst nichts Menschliches mehr, während das Brechen und Neuformen von Kieferknochen ohne Schmerzensschreie vonstatten ging. Rotleuchtende Augen stachen ihnen entgegen, ja, sogar Klauen schärfer und gewaltiger als Tigerkrallen. Als der Feind auch den größten Mann um eine volle Körperlänge überragte, erzitterten die Dachbalken. Feiner Staub rieselte dicht und flockig hinab. Aber so leicht ließ er sich von diesem Spektakel nicht zu Tode ängstigen. Das glänzende, mondlichtgleiche Haar und die roten Streifen auf den Wangenknochen erkannte er. Sesshoumaru - der vermaledeite Sohn des Dämons, der sein Ross getötet und ihm jede Ehre in kleinen Häppchen vor die Füße geworfen hatte! Gegenüber knieten ein zu Stein erstarrter Tajiro und die krähenhafte, stolze Mutter des Fürsten Kagetora in ihren mit Chrysanthemen bestickten Seidenlagen; dazu ein ihm Unbekannter, der sich mit Blut an den Fingerknöcheln über sein verdrehtes Bein kauerte, als könne er es mit einem Wimmern heilen. Was war das für eine Zusammenkunft?! Wo steckte seine Herrin? Hatte es dieser Bastard gewagt, sie anzurühren? Die hartherzige Stimme in seinem Kopf verhöhnte ihn erneut, zu spät zu ihrer Rettung zu sein, doch er merzte die Schwäche wie einen Käfer zwischen den Streben einer Bambusmatte aus. Er musste an diesem Dämon vorbei! Izayoi-sama zählte auf ihn, ganz gleich, welches tollwütige Tier ihnen den Weg versperrte. "Worauf wartet ihr Narren?!" Scharf fuhr Setsuna no Takemarus Blick zurück zu den Soldaten der Residenz. Dieses unfähige Pack! Ihre Gesichter wirkten grotesk verzerrt mit offen stehenden Mündern und Atem, dem deutlich der Geruch von Sake anhaftete. Sie schwitzten auf den kahlrasierten Schädeln, doch keiner von ihnen beabsichtigte, den Abstand zum Feind zu verkürzen. Wie er waren sie zu kampferfahren, um die blutunterlaufenen Abdrücke an Tajiros Hals nicht nach einem zweiten Blick zu bemerken. Nun befolgten sie nicht einmal mehr seinen Befehl. Weil er ein fremder General war? Zum Teufel mit ihnen! Sie erinnerten ihn allesamt an Knaben, die das erste Mal eine Legende entstehen sahen, in denen sich jemand in einen Albtraum verwandelte – und das brachte sein Blut noch stärker in Wallung. "Setsuna no Takemaru." Tajiro? "Nun begreife ich endlich. Ihr habt diesen zweiten Dämon zu uns gebracht." Was?! Takemarus Miene gefror, bereit dem Unterton und der weitaus größeren Bedrohung im Gang zu trotzen. Bevor er jedoch die Worte fand, um eine solche Tat von sich zu weisen und das Kinn zu recken, schoss etwas Weißes mit der Geschwindigkeit einer Viper über die Holzbretter. Um ein Haar wäre er selbst vor dem Pelz zurückgesprungen, aber die auflodernde Hitze und das aus dem Nichts erklingende Gurgeln Tajiros ließen ihn erblassen. Bei der Sonnengöttin! Welch unmenschlicher Spuk. Der Kriegsherr hing urplötzlich als Kokon über ihnen, eingewickelt von einem Fellstück, das von der Schulter des Dämons aus wie lebendig geworden hinüberragte. Nie zuvor hatte der erste General von Izayois Großvater von solch einer Fähigkeit in den Pergamenten seines Lehrmeisters gelesen. Lag das in der Familie? 138 Unschlüssig musterte Izayoi die Linie seines Kiefers, an der die Regentropfen hinabglitten, bevor sie unter einer Erschütterung zusammenfuhr, die jede einzelne, schmale Traufe in Aufruhr zu versetzen schien. Was ... was ging hier vor sich? Ein Erdbeben? Nein, das passte nicht zu der unnatürlichen Hitze, die auf einmal gegen ihre Fingerkuppen drängte. Erschrocken wollte sie Isamu zuflüstern, dass seine aufwallenden Energien sie schmerzten, aber die Worte erstarben auf ihren Lippen. Dort! Kaum fünf Armeslängen von ihnen entfernt wölbte sich das Dach wie eine aufgeblähte Himmelslaterne; knackte, flüsterte. Dann schoss es krachend auseinander. Blitze, glühend weiß, flogen mit roher Gewalt empor, rissen Splitter von Balken und ausgebranntem Ton mit sich, bis die Energien mit der Ehrfurcht von einhundert Ahornzweigen am Firmament auseinanderfächerten. Die Nacht färbte sich gleißend hell. Izayoi wollte schreien, weil sie im letzten Moment die Silhouette eines in sich zusammenfallenden Drachen zu erkennen glaubte, doch ihre Kehle brachte keinen Laut hervor. Erst jetzt verstand ihr Herz, dass die Hand auf ihren Lippen nicht ihr gehörte. Es war Isamus. Dann fuhr das Unwetter erneut mit einer Gewalt auf die Schindeln nieder, um die Wasserströme über die gesprungenen und verkanteten, flachen Ziegel zu zwingen, als wolle es sie einen Erdwall hinabrollen lassen. Wie betäubt lauschte sie den Geräuschen der Finsternis. Soldaten brüllten, Schritte überschlugen sich. Sie dachte an Ameisen, die nah und fern Schutz suchten. Die Stimme eines Mannes erschien ihr im Gewirr besonders laut, aber sie konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Ohne die Kräfte eines Daiyoukais war es ihr nicht möglich, den kreischenden Wachmann unter dem Walm auszumachen. Hinter den durchweichten Leinenbahnen, die er um den Kopf gewickelt trug, starrte er schreckensbleich auf die Schiebetür: Sesshoumarus Klauen hatten sie aufgeschoben, als wolle er die Griffmuschel packen und mit ihr ein Lied auf den Knochen der Menschen anstimmen. Die Gischt des Regens verschluckte das Knurren. Spielten ihre Sinne ihr einen Streich? Neben ihr... Nein. Auf ihrem Rücken. Der hohe Herr. Izayoi dachte nicht länger an die Nebelbänke, welche mit dem Geschick von Meuchelmördern aufgestiegen waren, oder die herrischen Böen, die weit entfernte Lichter zum Tanzen brachten. Helle Tupfer nur, fransig wie Tuscheflecken. Im Apfelbaum hätte sie die Papierlaternen auf den Terrassen bewundern können, doch die Gegenwart nahm sie auf andere Weise gefangen. Die Welt verblasste mit der schwindelerregenden Höhe und nahm den Schatten mit sich, welcher dem letzten Soldaten in die Flanke sprang, bis der an anderer Stelle wieder schlitternd in die Pfützen schlug. Regen stach ihr nicht länger wie Eisnadeln in die Wangen. Er... er war warm, und schwer. Sie konnte seinen Atem hören, dicht bei ihrem Hals, leise und stetig. Als er die Finger von ihren Lippen nahm, umspielte ein entschuldigendes Funkeln seine Augen, das anhielt, bis er umständlich von ihr wich. Sein Unterarm wagte es nicht länger, neben ihrer Schulter aufgestützt zu bleiben, doch die zweite Hand an ihrer Hüftseite blieb. Die Felle an Isamus Schultern glitten schwer wie die See über das Dach und bargen Splitter statt Wellenschaum. "Es scheint", flüsterte er rau, "als hätte mein Sohn das Talent seiner ersten Tage auf dieser Welt wiederentdeckt. Er hat mich überrascht." Die einkehrende Stille zwischen ihnen genügte, um sich mit einem feinen, nachsichtigen Lächeln gegen das Wissen zu sträuben, wie viel ihm Izayois Leben bedeutete und wie leicht ihn der Glanz ihrer Lippen in der Dunkelheit ablenken konnte, seit er seinem Jungen zutraute, sich allein in Wäldern, Tälern und unübersichtlichen Situationen zu behaupten. Offenbar hatte er trotzdem die Gelegenheit verpasst, bei der Rückkehr kein Aufsehen zu erregen. Die zerbrochenen Ziegel und Sesshoumarus Spuren würden ihn teuer zu stehen kommen. - - - - - - - Der Flohgeist hat es vorhergesehen! Überall gibt es Probleme, z.B. in Kapitel #46, . Kapitel 46: Geißblatt VI ------------------------ Apfelblüte - Geißblatt VI - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 139 Die Gemächer begrüßten Izayoi wie eine längst vergessene Erinnerung, als er sie herunterließ und ihre Zehenspitzen die Bambusmatten berührten. Es war ihre alte, vertraute Welt, doch sie fühlte sich in der Dunkelheit fremd an. Konnte man der eigenen Vergangenheit in einer Nacht entwachsen? Kaum fünf Schritte hinter ihr lag der Umriss des aufgeschlagenen Futons, auf dem sie vor Stunden noch die bestickten Damastdecken gerafft hatte. In Izayois Ohren hämmerte der Regen, der vor der geöffneten Schiebetür prasselnd in die Nebelbänke des Innenhofs schlug und vorher die Dachtraufe zurückeroberte, bis alle Spuren verwischt waren. Außer den weit entfernten, urtümlichen Schreien der Soldaten gab es nichts, was ihr klopfendes Herz ängstigte. Kein Blitzschlag, kein Donner. Solange er dicht vor ihr stand, fürchtete sie nicht einmal die Eiseskälte auf der Haut. Izayoi blinzelte, dann lösten sich die letzten Regentropfen von ihren Wimpern. Ihr lag vieles auf der Zunge, was sie ihm sagen wollte – ein zweiter Dank oder die Frage, ob es ihm nichts ausmachte, ebenfalls bis auf die Knochen durchweicht zu sein –, aber die Residenz schüchterte sie mit dem Käfig aus Traditionen und Strafen ein. "Ihr habt Euer Wort gehalten", flüsterte sie, ehe sie die Finger um die Erdwurzeln presste und sich der verbleibenden Armeslänge Abstand zu seiner Brust bewusster wurde. Fragend sah sie von der matt glänzenden Kimonoseide auf, an der seine Haarsträhnen klebten. Auf seinen Lippen lag ein Ausdruck, den sie nicht deuten konnte, aber er ertappte sich dabei und schüttelte ausweichend den Kopf. "Vergebt mir. Eure Rückkehr ist aufregender geraten, als ich es beabsichtigt hatte. Die Männer im Dienste menschlicher Fürsten ähneln sich, doch es kam mir zu spät in den Sinn, den Apfelbaum um Euretwillen zu verlassen. Ich war zu lange in Gedanken, Izayoi." "Gebt Euch nicht die Schuld. Ihr habt nur über meine Frage nachgedacht, das ist alles", erwiderte sie. "Eines Tages ... ja, eines Tages werde ich mich ohne Scheu an Eure Vorliebe für Verstecke in schwindelerregender Höhe erinnern. Was wäre Eure Welt wert, hätte ich sie nie aus Euren Augen gesehen?" "Ihr zeigt bemerkenswerte Geduld mit meinen Schwächen." Er lächelte, ohne seine Sinne weiter an dem süßen Geruch der Pflaumenzweige zu verschwenden. Es gab keine zweite Fährte, die in der Luft hing. Niemand außer ihnen hatte bisher die Gemächer betreten oder verlassen. Still musterte er die Umrisse der Schälchen und Bambuslöffel in den Zimmerecken, während die Kohlenpfannen ihre dürren Lichter über die Lacktablette und Beschläge des Wandschirms schoben. Die Shoji-Türen waren einen Spalt breit geöffnet, sodass er den Gang über einige Meter hinweg einsah. Der Anblick genügte, um ihn zu beunruhigen: Als Vater erkannte er auf dem Zypressenholzboden die Handschrift seines Welpen in den Rissen wieder. Fürst Kagetora würde wütend die Furchen im Tageslicht zählen lassen, doch der Inu no Taishou bezweifelte, dass ein Mensch dieselben Schlüsse zog wie er. Den Spuren gebührte Anerkennung. Sesshoumaru hatte über sie die Wucht aus seinen Bewegungen genommen. Jede Kerbe stand für einen kampferprobten Soldaten, dem ein ungebremster Treffer sonst die Luft und das Blut aus den Lungen getrieben hätte. Die Männer mussten bewusstlos geworden sein, noch ehe sie auf die Holzbretter schlugen: Einer nach dem anderen, gefällt wie die Eibenbäume seiner Gärten im Westen. Elf Leiber, manch einer mit traumlos aufgerissenen Augen. Trotz der heulenden, fauchenden Windböen nahe der Regentüren konnte er ihre flachen Atemzüge hören, weil sich niemand beim Sturz auf die Zunge gebissen hatte und erstickt war. Neben ihnen kauerte hellwach Mashi– "Isamu." Aus den Gedanken gerissen, sah er von der außer Hörweite kauernden Amme zu Izayoi zurück. Dann unterließ er es für einen weiteren kostbaren Moment, sich über den Mut der Alten den Kopf zu zerbrechen. Hätte der erste General, Takemaru, besser auf Mashiko geachtet, statt den Angriff zu befehlen, wäre es ihr schlecht bekommen, sich dort niederzuwerfen und auszuharren. Nicht nur ihn bedrängte die Zeit wie eine Schwertklinge, als könne er sie in seinem Nacken spüren. "Ihr habt Euch an meinen Namen gewöhnt." "Ja." "Ich weiß es zu schätzen, doch ich kann nicht länger bleiben. Ihr müsst Euch richten." Die kunstvoll mit Wachs bepinselten Äste glänzten im Licht der Kohlenpfannen ebenso persimonenorange und dunkel wie die Seide auf ihrer Haut. Es tat ihm leid um die Stoffe, aus denen das Wasser hervortrat: Die Kett- und Schussfäden ihres Kimonos zeigten Löcher, die kein Salz trocknen und in die alte Form drücken konnte. Unter ihren Säumen bildeten sich Pfützen – und er betrachtete es als großes Glück, dass die Lachen seinem Youki nichts entgegen setzten, als er sie in einem Atemzug austrocknete. Nasse Bambusstreben besaßen einen Eigengeruch, der auch Menschen unangenehm auffiel. Isamu ließ es mühelos wirken, den Blick kein zweites Mal unter den Rand ihres Brokatobis wandern zu lassen, aber eine Erinnerung blieb. Die Zuneigung folgte ihm, sachte und unaufdringlich, taktvoll und doch hoffnungslos an ihm verschwendet, da die Fürstentochter in ihm keinen Gatten fand und er nicht beabsichtigte, sich eines gebrochenen Versprechens schuldig zu machen. Er hatte ihre Hüfte gehalten, um sie auf dem Dach vor einem Absturz zu bewahren, nicht um sie jetzt unter einem Lächeln zu sich zu ziehen und ihr etwas zuzuflüstern. "Bis zum Einbruch der Nacht wird mir ein besserer Weg einfallen, um Euch unbemerkt zur Insel der Hanyous und zurück zu bringen. Ihr wolltet mir dort noch etwas über Euch verraten." "Ich warte auf Euch." Izayois Stimme sang von Aufregung und einem Flattern, das mit der Nässe der Tabi-Socken in die Goldfäden und Bambusstreben sickerte. Sein ehrlicher, warmer Blick rechtfertigte jedes einzelne ihrer aufkeimenden Gefühle, die sie verlegen mit der klammen, feuchten Seide des Kimonokragens an sich zog. Die Fürstentochter spürte das Glühen auf ihren Wangen, aber sie unterdrückte den Wunsch, verlegen auf der Stelle zu treten und tief auszuatmen. Er schenkte ihr Freiheit und verlangte nichts dafür. Sie war die Einzige, die ihre Veränderung wahrnahm, nicht wahr? Um keinen Preis der Welt hätte sie auf das Wagnis eines weiteren Abenteuers verzichten wollen, und wenn er sie abwechselnd auf schneebedeckten Gipfeln und Brücken aus Zypressenholz aussetzte. Auch darüber würde sie schweigen, solange es ihr die Freude erhielt, ihn im Gras sitzen zu sehen und nur noch einmal unbekümmert zu erleben. Was für ein Geheimnis. Yugo hatte Recht behalten: Er war anders als jeder Mensch. Einen Herzschlag später verließ er sie, und mit ihm ging jede Wärme, die mächtigen Dämonen eigen war. 140 Bei seiner Flohgeistmutter! In was war er nur hineingeraten? Der winzige Adamsapfel von Myouga hüpfte auf und ab, während er sich nach Leibeskräften gegen den Beschlag einer Regentür presste und einen Fuß in eine nahe Holzritze steckte, damit ihn der Wind nicht packen konnte. Die Welt versank in dem Sturm, der peitschend durch die Nacht fegte und einer versammelten Menschenmenge in die Glieder schnitt. Für einen Flohdämonen war es ein überlebenswichtiges Talent, das Blut über weite Strecken pulsieren zu hören, doch hier erkannte er bloß Gereiztheit und Zorn. Auf beides hätte er lieber verzichtet. Statt zu verschwinden, wie es sich für ihn gehörte, verfolgte er das Auftreten der Soldaten. Ihre Münder waren verzerrt. Grimmig schritten die mutigsten Vasallen vorwärts. Manche wagten zehn Schritte, manche nur einen, doch jede entstehende Lücke wurde wie von der Brandung durch nachrückende, entschlossene Seelen geschlossen. Es ähnelte dem Kessel, der zu Yuudais Kampf gebildet worden war. Hätten sie ihn armen Floh bemerkt, wären sie die Stufen auf die Terrassen wieder hinaufgegangen, um ihn zu zertreten. Zu seinem Leidwesen wagte er es nicht, die Aufmerksamkeit armwedelnd und kreischend von dem einzigen Lebensfaden abzulenken, den sie zerreißen wollten – er hing zu sehr an seinem eigenen, was ihm nun deutlich zum Nachteil gereichte. Waren denn alle verrückt geworden? Elend starrte Myouga zur Mitte des Platzes, der auf zwei Seiten von gewaltigen Toren flankiert wurde. Die Nebelbänke hatten sich fast vollständig aufgelöst, sodass er gerne die Zeit dafür benutzt hätte, die knöcheltiefen Pfützen im Sand abzuschätzen oder die Dachtraufen mit den handgeschnitzten Familienwappen nachzufahren. Natürlich würde er sich hüten, hinaus in das Unwetter zu springen. Da stand der Welpe seines Herrn! Neben Sesshoumarus handvernähten, schlammbespritzten Lederschuhen wirbelte seine Präsenz, doch Menschen waren blind gegenüber dem warnenden, weißglimmenden Leuchten, welches sich an ihm empor fraß. Falls die Dummköpfe überhaupt etwas scherte, dann konnten es nur die Leiber der letzten fünf Menschen sein, die ihm in die Klauen gesprungen waren. Die Bewusstlosen glichen Maikäfern auf dem Rücken; ihre Schwerter fortgeschleudert und nutzlos im Dreck. Oh Himmel, Himmel, Himmel! Wieso konnte der junge Hundedämon nicht einfach brüllen, dass seine Widersacher so unversehrt waren, wie man es bei seiner feindseligen, unversöhnlichen Gesinnung erhoffen durfte? Sesshoumaru befolgte nur den Befehl seines Vaters – ja gut, gewissermaßen auch seinen ausgedachten Befehl, jeden von Izayois Gemächern fernzuhalten! Genau deshalb war er Berater der ehrenwerten Familie geworden und kein Fürst, der seine eigenen Anweisungen ausbaden musste. "Dämon!", donnerte es da über den Innenhof. Nicht doch. Myouga nutzte eines seiner beiden Handpaare, um seinen Saugrüssel und das gesamte, bleiche Gesicht dahinter zu verstecken. Es war zum Heulen: Nur Menschen besaßen das Talent, eine grauenhafte, ausweglose Situation mit einem Wort noch schlimmer zu machen. In der Dunkelheit sah er Tajiro, der furchtlos und im Geiste hölzern wie ein Tuschepinsel die Gestalt straffte. Der war jedoch genauso wenig ein Problem wie die übrigen Männer, denn den höchsten Rang bekleidete der soeben in einer Schiebetür erscheinende Fürst Kagetora, Daimyo und Herr der nördlichen Gefilde. "So ist das also." Kagetora fasste kühn wie der Tod seinen Widersacher ins Auge, maß ihn von der regengetränkten Haarspitze bis zu den Klauen, mit denen Sesshoumaru sich selbstgefällig das Wasser aus dem Fell wischte. "Ich entsinne mich nicht, einem zweiten Bastard die Gastfreundschaft angetragen zu haben!" Myouga kiekste, als er glaubte, das dunkle Knurren sogar in seinen Knochen vibrieren zu spüren. Unsinn, selbstverständlich, da ging nur seine Fantasie mit ihm durch. Der Sohn seines Herrn war zu alt, um das diplomatische Geschick seines Vaters in Kriegsdingen noch mit einer Beleidigung zu strapazieren. Wenn Sesshoumaru der Sinn danach stand, ein Nest aus Menschen auszuräuchern, handelte er einfach statt zu plaudern. Würde es dem Menschenfürsten den Hals retten, dass der Inu no Taishou seinem Welpen befohlen hatte, niemanden zu töten? Wagemutig spähte Myouga zwischen den Fingern hervor. Er sah von der gehobenen Schwertspitze Kagetoras, die in der Nacht fast ebenso schwarz wie dessen Rüstung schimmerte, zu Sesshoumaru. Dessen geringschätziges Lächeln erblühte wie Efeu. "Behaltet Eure Gastfreundschaft und erstickt daran." Nein! Das konnte er doch nicht – Myouga schrie auf, als sich eine Energiewelle gegen die Windrichtung entfesselte. Aus dem Nichts heraus fuhr sie dem Jungen ins Kreuz, um ihm den Schulterpelz wie einen Seidenschleier zu gerben und ins Genick zu schlagen: Für einen Augenblick schienen die Härchen getrocknet und federweich aufzuragen, dann stach der Regen umso härter auf sie ein und zog dem Halbwüchsigen die Überheblichkeit aus den Knochen. Sesshoumaru presste die Fänge gegeneinander, während er nach Beherrschung rang. "Vater." Diese Zurechtweisung hätte für ihn auch tödlich enden können, aber die Ehrfurcht, die in seinen Adern gegenüber dem mächtigsten Daiyoukai des Westens zutage trat, grub der Angst den Boden ab. Eines übertünchte das Gefühl jedoch: Es waren Menschen, die seiner Rüge beiwohnten. Ausgerechnet. - - - - - - - Wie ungerecht. Der Arme hat gar nicht angefangen. In Kapitel #47, "Kirschlorbeer", ernten alle, was gesät wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)