Apfelblüte von Morgi (Inu no Taishō / Izayoi) ================================================================================ Kapitel 11: Akelei ------------------ Apfelblüte - Akelei - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 47 Einen Moment war es totenstill, dann frischte der Wind auf und drückte sich unbarmherzig in jede Ritze des Torbogens. Die Kälte des Frühlings war sogar für die hartgesottenen Männer des Daimyos schwer zu ertragen, doch die Wachen wagten kaum mehr, als in ihre gewölbten Hände zu hauchen und zur Brüstung zu starren. Dort oben lauerte die einzige Gefahr, die sie mehr fürchteten als erfrorene Fingerglieder: Vier grimmige Adelige in Waffen, die Haare zu schweren, öligen Knoten gebunden. Sie standen ungerührt wie die Sonne am Firmament, während das Holz unter dem Gewicht ihrer Rüstungen leise knarrte. Der Fuchsgesichtige unter ihnen täuschte Fremde am leichtesten, denn seine Zügen waren glatt und erinnerten an die eines trotzigen Kindes. "Keine Zweifel", lispelte er. "Der General Eures Schwiegervaters läuft in erster Reihe auf uns zu, mein Herr. Yuudai, mein Vetter, was hältst du davon?" Die vierschrötige Gestalt am Ende der Kette grunzte. "Offenbar ist Setsuna no Takemaru auf seiner Reise die Eskorte abhanden gekommen. Dieser unfähige Narr!" "Dafür sammelt er inzwischen Kuriositäten", lächelte Fuchsgesicht. Prompt hob er die Mundwinkel wie Lefzen, doch als die breiten Schultern des Daimyos zwischen Yuudai und ihm zuckten, wurde er klein wie ein Schatten. "Er wagt es, einen Dämon zu bringen", knurrte der Herr der nordwestlichen Gefilde nur, dann schnalzte er verärgert mit der Zunge und tat einen einzigen, herrischen Wink. Augenblicklich löste sich ein Junge in dickem, braunen Kimono aus den Schatten des großen Tores und eilte unter fliegenden Sandalen an seine Seite, bereit sich auf den Holzboden zu werfen. Der vor Abscheu verkniffene Blick seines Herrn ließ ihm dafür jedoch keine Zeit: "Hol mir drei Dutzend Männer in Waffen!", bellte der Daimyo scharf, "keinen weniger. Und ich werde deinen Kopf von seinen unnützen Schultern schlagen, sollte auch nur einer meiner Vasallen später hinter mir stehen, als dieses Monstrum in Hörweite kommt. Worauf wartest du? Glaubst du der Reis verdient sich durch Maulaffen feilhalten?!" "N-nein, mein Herr!" Der Knabe sprang kreidebleich auf die Füße, entschuldigte sich hastig - womit, das interessierte den Adeligen schon nicht mehr. Diese Made war des Atems nicht wert, den ein Mann seines Standes auch nur zwischen den Zähnen hervorpresste. Der sechste Sohn eines Wachmannes verdiente nie mehr Aufmerksamkeit als die Tintenfische und Spatzen, die in der Küche über offenem Feuer brieten. Finster wandte der Daimyo das Gesicht zu seinem hageren, schlangengleichen Bruder um. "Tajiro. Ich erwarte, dass du dieses Pack und meine Schwägerin nach ihrer Ankunft zu mir führst", wies er an. "Sollte ihnen dabei ein Unglück widerfahren, wirst du es meiner Ehefrau unverzüglich mit der nötigen Heuchelei berichten." "Uns erwartet kein gewöhnlicher Dämon, Kagetora." "Was?" "Seht nur genauer hin, mein scharfsinniger Bruder", unterstrich Tajiro schmeichelnd seine Worte. "Das Haar des Dämons ist weißer als das unserer ältesten Männer, doch die Schwerter an seiner Hüfte ruhen still. Diese Körperbeherrschung besitzen nur mächtige Krieger. Ich halte ihn für einen Daiyoukai." Yuudai, der Grobschlächtige, knurrte dazwischen und schlug sich gegen den pompös verzierten Waffengurt, der über seiner schwarzlackierten Rüstung hing. "Was redest du da? Wer sagt, dass er nicht Attrappen trägt?" "Du elender Dummkopf!", schalt Tajiro. "Dämonen dieses Schlags verabscheuen Schwäche und Gaukelei weitaus mehr als du den besten Kugelfisch. Ich wette sieben kan", immerhin fünfzehn Kilo Kupfermünzen, "dass die Klingen des Dämons schärfer sind als die unseres besten Schmiedes." Fast hätte man meinen können, Tajiro rieb aus Ärger mit dem Daumen über die Lippen, wie man es bei einem guten Tuscheriegel tat. Doch seine Augen funkelten, weil ihn der Anblick des Fremden nervös stimmte. Er selbst trug einen aufwendig geschmiedeten Brustschutz, aber gegen einen Daiyoukai schützte der nicht. "Ich sage, vermeiden wir ein Unglück. Wir sollten ihn zunächst studieren. Verehrter Bruder?" Der Daimyo verengte seine Augen prompt zu Schlitzen. "Ihr habt bis zum Morgengrauen Zeit ihm den Kopf abzuschlagen." "Ein großzügiger Aufschub", lächelte Tajiro und verneigte sich tief. "Ich werde mit Eurer Erlaubnis sofort nach der Fürstin, Eurer Gattin, schicken lassen." "So sei es." Tajiro verzog zufrieden die Lippen und verbeugte sich abermals, dann entfernte er sich still und leise aus dem Kreis der Adeligen. Im Gegensatz zu seinem Bruder und Fürsten, Kagetora, zürnte er Izayoi, der Enkelin des Daimyos der südwestlichen Gefilde, nicht im Geringsten. Nun, warum auch? Sie war lebendig ausgesprochen nützlich und er hoffte leidenschaftlich, dass sie noch mehr Wasser auf das bereits glühende Kohlebecken gießen würde. 48 Scham und Zorn kribbelten in seinem Nacken, doch Setsuna no Takemaru weigerte sich diese armseligen Gefühle auf seinen Zügen zu erdulden. Vier Jahre war es her, seit er das letzte Mal dem steifen, widerwärtigen Protokoll der nordwestlichen Gefilde seine Zeit geopfert hatte, und als er seine angespannten Finger von der Tatami-Matte zurückzog und auf die aufgesetzten Fersen zurücksank, hätte er es nicht stärker verabscheuen können. Die Gesichter der Älteren sahen ihn umso höhnischer an. Konnten sie etwa seine Gedanken lesen? Spürten sie, dass er in einem schwachen Moment selbst den Gedanken ausgebrütet hatte, vier Dutzend Männer zu schlecht ausgebildet zu haben, um sie gegen Drachendämonen zu feien? Mutmaßten sie seine Sorge um Izayoi, die unverzüglich zur Fürstin gebracht worden war? Belächelten sie ihn gar, weil er kniete und sie wie Geier auf ihren Kissen hockten? "General Takemaru", ergriff der Fuchsgesichtige seidig das Wort, denn die Stille im Empfangszimmer begann ihn zu langweilen. Beiläufig wanderte seine Aufmerksamkeit über den Gast, dem niemand die Zeit gegönnt hatte, die Rüstung an der Schulter auszubeulen oder die Fleischwunde zu verbinden. Dann starrte er auf die stahlblaue Seide des Dämons daneben. "Welch sonderbare Gesellschaft Ihr doch kennt. Wer mag Euer neuer Freund wohl sein?" Setsunas Lippen wurden fast weiß. Er drückte sein Rückgrat wie ein Holzbrett durch, das kurz vor dem Zerbersten stand, doch seine scharfe Antwort wurde durch das Lächeln des Hundedämons ruiniert. "Ich bin bloß ein Weggefährte, kein Freund des Generals", erklärte der Inu no Taishou, während Myouga, verborgen in seinem Schulterfell, einige Schimpfworte über das falsche, aufgesetzte Gehabe der Menschen verlor. Der Raum war vielleicht mit prächtigen Behängen und kunstvollen Rollbildern geschmückt, aber die drei Ratgeber und Kriegsherren glänzten nur durch Gehässigkeit. Der Daiyoukai tat jedoch, als ob seine Sinne davon nichts bemerkten: "Ich traf auf Takemaru, als er allein die Fürstentochter vor nicht weniger als zwei Drachendämonen schützte und drängte ihm meinen Beistand auf. Als Herr der westlichen Länder hatte ich, der Inu no Taishou, meine eigenen Rechnungen zu begleichen." "Der Inu no Taishou? Ich verstehe", lispelte Fuchsgesicht und warf einen scheelen Blick zu Tajiro. "Ich erinnere mich an eine Schrift. Vor zweihundert Jahren hatten wir schon einmal einen solchen Hundedämon zu Gast." "Auch das war ich", unterbrach der Herr der westlichen Länder das beginnende Geplänkel vor seiner Nase. "Ist der derzeitige Daimyo fort?" Ihm war der freie Platz auf den Damastkissen, die mit goldenen und roten Fäden das Bild eines Kranichs zeigten, nicht entgangen. "Der Daimyo ist ein viel beschäftigter Mann", erwiderte Tajiro mit gehobenem Kinn. "Er ist bei seinem Sohn, dem zukünftigen elften Daimyo der nordwestlichen Gefilde." Obwohl Tajiro es nicht offen aussprach, war die Beleidigung deutlich herauszuhören. Sogar der bettlägerigste Befehlshaber würde umgehend zu seinem Gast kriechen und die Ehre des Hauses hochhalten, um Stärke zu demonstrieren. Jemanden warten zu lassen und das auch noch zu Gunsten eines Neugeborenen, bedeutete nicht weniger, als ihm seinen Rang abzuerkennen. Niemand, der von Kagetora gehört hatte, wäre jedoch leichtsinnig genug gewesen in diesem Verhalten Dummheit zu sehen. "Das ist eine erfreuliche Botschaft", überraschte der Herr der Hunde und neigte unbekümmert den Kopf. "Mir wurde die Geburt bereits zugetragen. Vielleicht ist es später möglich meine Glückwünsche auszurichten, obwohl mir kein besserer Grund einfiele, an seiner Stelle fernzubleiben." Die Ratgeber musterten sich verwirrt. Dann lehnte sich Yuudai vor, dessen Leib fast die Stoffe sprengte: "Ihr habt interessante Schwerter, Inu no Taishou", bemerkte er den Affront, die Waffen beim Betreten des Raumes nicht abgelegt zu haben. "Sind sie scharf?" Der Herr der westlichen Länder furchte die Stirn, ehe er misstrauisch die Hand auf den Knauf der Höllenklinge legte. "Sou'unga", erklärte der Inu no Taishou, "ist eine kampferprobte, nützliche Klinge." Myouga schnaubte hinter einer Fluse des Schulterfells etwas, das verdächtig nach: "Ihr habt wahnsinnig vergessen, Meister" klang. "Meine Männer und ich würden sie heute zu gern im Einsatz sehen", schmeichelte Yuudai und versuchte sein feistes Gesicht zu einem unwiderstehlichen Lächeln zu bewegen. "Nein", lehnte der Herr der westlichen Länder ab, "Sou'unga ist kein Holzschwert, das daran scheitert einem Menschen den Arm abzuschlagen und im nächsten Streich das Rückgrat zu zerschmettern. Ich habe nicht vor, in diesen Mauern Blut zu vergießen, daher bittet mich kein zweites Mal um einen Kampf." Yuudais Finger, die in der Tradition eines Kriegers gespreizt auf den Oberschenkeln geruht hatten, zogen sich vor Kränkung und Wut zusammen. "Wo wir bereits von Blut sprechen-", presste er hervor. "Wäre es nicht eine famose Idee", fiel Fuchsgesicht ein, "unserem General und seinem Gast die Möglichkeit zu geben, sich etwas zu erfrischen? Diese Zeremonie ermüdet mich!" Demonstrativ ahmte er ein Gähnen nach: "Tajiro, ich hörte von den Plänen am Abend einen Schmaus abzuhalten, wie ihn noch niemand im ganzen Westen sah!" "In ... in der Tat. Werdet Ihr uns die Ehre erweisen, Inu no Taishou?" "Solange Ihr es wünscht, bleibe ich", erwiderte der Herr der westlichen Länder genügsam. Als er aufstand, geschah das so rasch und unverhofft, dass Setsuna no Takemaru neben ihm fast zurückgezuckt wäre: Zum Glück des Generals bemerkte jedoch niemand etwas davon. Eilig verneigte sich auch Takemaru vor den Ratgebern und Kriegsherren, dann folgte er dem Inu no Taishou in langen, beherrschten Schritten. Als er in Hörweite aufgeschlossen hatte, sah sein Gesicht jedoch alles andere als freundlich aus. "Ich brauche Eure Lügen nicht, Dämon." Der Inu no Taishou lächelte ernst, während er kaum lauter als ein hinabfallendes Ahornblatt antwortete: "Ihr hättet Euer Gesicht verloren, wüssten diese Schakale die Wahrheit." "Spart Euch euren Großmut. Meine Ehre war beschmutzt, als ich vor Euch im Staub landete und Ihr mein Pferd bedauern musstet." "Ich wusste gar nicht, dass Ihr den Worten eines Daiyoukais soviel Macht über Euch gebt, General." 49 "Sollte das ein Scherz sein, Izayoi?" Aufgebracht nahm die Fürstin die Holzkohle zur Hand und hielt das Stück an den winzigen, tönernen Pfeifenkopf, der nach einigen Atemzügen zum Leben erwachte. Die feinen Wolken kringelten sich bereits im Raum, da schüttelte sie noch immer das Haupt. "Wärst du mir nur ähnlicher", seufzte die Frau, die wie alle Ehefrauen ihre Haare mit goldenem Papierband aufgerollt trug und von der Schwere der strengen Knoten und Schleifen unbeeindruckt blieb. "Es wird viel Arbeit nach sich ziehen, deine zerschlissenen Kimonos nicht zum Gesprächsthema unserer Nachbarn werden zu lassen. Oh Izayoi, du hättest um diese Dämonen wirklich einen Bogen schlagen müssen!" Ihre jüngere Schwester biss sich auf die Lippen, dann verneigte sie sich und legte die Stirn auf die gefalteten Hände. "Verzeih mir." "Sei nicht albern", wurde sie gescholten. "Du könntest dich einhundert Mal verbeugen und deine Schuld wäre kaum vergessen." "Ich habe überlebt, Chidori", widersprach die Schwarzhaarige. "Ist das nichts wert? Gute Männer fanden den Tod um meinetwillen, und ich schaffe es kaum ihre Gesichter zu verdrängen, sobald ich die Augen schließe." "Izayoi!", mahnte Chidori entsetzt. "Wo hast du nur diese Angewohnheit her, über deine Befindlichkeiten zu plaudern?!" Rasch sah sie zu der Dienerin, die Mashiko von ihren Pflichten entbunden hatte, um die Amme in neue, saubere Gewänder kleiden zu lassen. Ihre kleine, pummelige Gestalt täuschte nicht über die Wichtigkeit in diesem Haushalt. Sie schnatterte wie eine Gans, trotz ihrer schiefen Zähne. "Ich warne dich, Yumiko. Wag es dir nicht, darüber ein Wort zu verlieren oder du wirst es bereuen! Ein einziges Gerücht nur, dann ist es aus. Hast du mich verstanden?!" Die Alte, deren Haar bereits ergraut war, zog sofort den Kopf zwischen den Schultern ein. "Ich habe nichts vernommen, Herrin." Auf Händen und Knien rutschte sie rasch weiter zu dem Wasserkrug, der auf einem mit Apfelblüten verzierten Tablett stand und zerstreute die unangenehme Stimmung mit der Erfüllung ihrer Pflicht. Obwohl sie die Tatami-Matten unter sich anstarrte, hielt sie doch zielgerichtet eine Trinkschale empor. "Nun, du solltest dich ebenfalls sammeln, Izayoi", beschloss Chidori, als sie das winzige, perlmuttfarbene Gefäß in Empfang nahm. "Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken. Es war die Pflicht dieser Männer in den Tod zu gehen, obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte, wären sie geschickter gewesen und am Leben geblieben. Der Überfall dieser Drachen muss sie vollkommen übertölpelt haben. Warum sonst sollten sie uns solche Scherereien aufhalsen? Und dann diese Gestalt, die du zu uns gebracht hast!" "Er ... er hat einen Namen." "Du hast mit ihm gesprochen? Izayoi!" "Er, nicht ich", beeilte sich die Schwarzhaarige zu sagen, obwohl ihre hochroten Wangen die Lüge ins Straucheln brachten. Aber seit sie die Residenz betreten hatte, waren ihr mehr wütende Blicke begegnet, als an dem Tag, da sie ihren Großvater danach fragen wollte, ob auch ein Mädchen einmal eine Rüstung aus schweren Platten tragen könnte. Sie wollte ihre Situation nicht noch weiter verschlimmern: "Warum sollte ich mit einem mächtigen Dämon reden?" "Das wüsste ich auch nicht. Er wird hoffentlich vor Sonnenuntergang verschwunden sein", stimmte die Fürstin zu, um nach einem Schluck Wasser noch drei weitere Züge aus der Tabakpfeife zu nehmen. "Ich will mir gar nicht vorstellen, was geschieht, sollte so ein Monster mit meinem unschuldigen Sohn Kosuke allein im selben Raum sein." "Darf ich ihn heute sehen, Chidori?" Die verhärteten, verstimmten Gesichtszüge ihrer Schwester entspannten sich etwas. "Später. Zunächst müssen wir dafür sorgen, dass du wieder aussiehst, als ob es für jeden einflussreichen Mann eine Dummheit wäre, dir nicht einen Platz an der Seite des Shogun zu prophezeien." Izayoi nickte. "Ich danke dir." "Das solltest du auch, Kagetora wäre anders mit dir verfahren." Chidori sah zu der papierbespannten Tür, als ob sie ihn dort erwartete, dann atmete sie gereizt ein. "Yumiko, worauf wartest du eigentlich? Fang an! Izayois Haare sind das schlimmste Vogelnest, das ich kenne!" "Natürlich, Herrin." Rasch schlich sie zum anderen Ende des Raumes. Mit geübter, schneller Hand kontrollierte die Dienerin dort die Brennschere, die in einem Kohlebecken lag, und eine Stange Wachs. All das war von herausragender Qualität, aber zuvor galt es mit den Kämmen und der Pomade ein Wunder zu vollbringen. Fünf Wasserschüsseln später hatten sich Schmutz und Staub von der Jüngsten im Raum abwaschen lassen, dann galt es. Als Yumiko den gröbsten Kamm ansetzte, wurde den drei Frauen bewusst, was für eine Arbeit auf sie zu kam: Nach wenigen Minuten standen Izayoi die Tränen in den Augen. "Spar dir das", versetzte Chidori, ehe sie das Schälchen und die Pfeife in ihren Händen gegen aufwendigen Haarschmuck tauschte. "Ich habe nicht einmal Schwäche gezeigt, als ich Kosuke das Leben schenkte und glaube mir, diese Schmerzen hätten es verdient gehabt." "Schriebst du nicht, es war ein freudiges Ereignis?" "Es war die Hölle", kommentierte die Fürstin knapp. "Sei ein wenig gescheiter, Kagetora stand neben mir, als ich die Tusche zerrieb. Eine gute Ehefrau würde nie etwas auf eine Pergamentrolle schreiben, das ihren Gatten in Verruf bringt. Für uns gibt es keine Gnade." "Großvater vermutete bereits, dass es nicht leicht sein würde." Izayoi dachte an die wässrigen Augen des alten Daimyos zurück, doch der auf ihre Kopfhaut einstechende Kamm nahm ihr prompt den Atem. Erst als der Geruch des schmelzenden Wachses die Luft erfüllte, fand sie die Kraft weiterzusprechen. "Gedeiht Kosuke, wie du es wünschst?" "Nein", flüsterte Chidori angegriffen. "Er ist winzig und zerbrechlich. Sein Atem ist schwächer als das Zupfen an einem Shamisen, sobald er schläft. Yugo, die Mutter meines Mannes, lässt keine Gelegenheit bei ihren vielen Besuchen aus, um an seiner Gesundheit etwas auszusetzen." "Wie erträgst du das?" "Indem er jeden Morgen aufwacht und die Welt begrüßt, Izayoi. Heirate und bekomme Söhne, statt deine Zeit mit grauenhaften Dämonen zu vergeuden." "Und wenn er nicht grauenhaft wäre?", wandte Izayoi halblaut ein. "Dann wäre er immer noch nicht gut genug, um mit meiner kleiner Schwester auch nur ein halbes Wort zu wechseln", erwiderte Chidori mit gemischten Blick. Nachdenklich verdrehten ihre Fingerspitzen einen Teil des Papierschmucks, der auf dem Überkimono die bestickten Kranichflügel berührte, dann seufzte sie - und zuckte zusammen, als die Tür zu ihrer Linken aufgerissen wurde. "Herrin, verzeiht!", platzte eine Dienerin mit kalkweißer Miene herein, ehe sie sich fahrig auf die raue Bambusmatte warf. "Die Mutter unseres geschätzten Fürsten kam soeben durch den Torbogen! Sie fragt bereits nach Euch und Eurer Schwester!" Chidori schien wie vor den Kopf gestoßen, dann verfinsterte sich ihr Gesicht schlagartig. "Ich verstehe. Kein einziges Wort zu Yugo", wies sie Izayoi harsch an und schlüpfte mit einer einzigen Geste zurück in die Rolle der Fürstin, deren schlimmster Feind gerade die Burgmauern erklommen hatte. "Sie würde unserem Großvater sofort eine Pergamentrolle überbringen lassen und dein Benehmen tadeln." "Aber-" "Das ist keine Bitte, kleine Schwester." Izayoi verstummte, dann fügte sie sich unter allen Befürchtungen, die auf sie einstürzten und die vorerst unausgesprochen bleiben mussten. Weder sie, noch Chidori hatten eine andere Wahl. Izayoi fühlte sich seltsam unbedarft, weil sie allen Ernstes angenommen hatte, in den Mauern der Residenz eine Zuflucht vor den Drachen und anderen Gefahren zu finden. So einfach war das jedoch nicht ... 50 "Seht, Meister", murrte der Floh angriffslustig in der Baumkrone. "Da kommt der nächste buntgeschmückte Pfau, der uns bei der ersten Gelegenheit die Augen aushacken wird. Wir sollten endlich weiterziehen, ehe die Feindseligkeit an diesem Ort dafür sorgt, dass ich am Ende des Tages einen Pfeil im Rücken ziepen spüre." "Es gibt einen derart winzigen Bolzen, alter Freund?" Myougas Augenlid zuckte prompt, dann beschloss er den gemeinen Scherz nicht gelten zu lassen: "Menschen können äußerst erfinderisch sein, wenn sie dafür mit dem Kopf eines Dämons belohnt werden!" "Nun, diese haben uns stattdessen zum Bankett eingeladen." "Ihr verwechselt das mit einer großzügigen Henkersmahlzeit", widersprach der Flohgeist und zupfte das Schulterfell vor seiner Nase in eine bessere Position, damit er den prächtigen Seidenkimonos am anderen Ende des Hofes folgen konnte. Die Schritte der Frau waren bemerkenswert winzig, denn es fiel sogar ihm als Dämon schwer zu sehen, wie sie den sorgsam von links nach rechts gefegten Sand verschob. Als die Fürstin - denn es gab keinen Zweifel daran, dass ihre Position geringer war - den ersten Schritt auf glattpoliertes Holz setzte, erhaschte Myouga endlich einen Teil von ihrem mit Reispuder bestäubten Gesicht. Kurz darauf wurde ihm eiskalt. Diese Frau zählte vielleicht zu den kleinsten, die er jemals gesehen hatte, doch ihre Nase schien nicht nur den Himmel zu berühren, sondern gehörte zu einer durch und durch bösartigen Totenmaske. "Sie könnte ein Kappa sein", gruselte es Myouga, "um die schlägt man auch besser einen Bogen." "Ich hoffe, das ist eine schlechte Einschätzung", raunte der Inu no Taishou, während er sich tiefer in den Schatten des aufblühenden Apfelbaumes schmiegte und die karge Rinde in seinem Nacken spürte. Er machte keinen Hehl daraus, dass ihm die Räume, die man ihnen mit einigen Wasserkrügen und Schalen zur Verfügung gestellt hatte, keinen inneren Frieden bescherten. Sie waren prunkvoll, doch das waren auch aufwendig ausstaffierte Vogelkäfige. Als Fremder tat er gut daran, sich über die versteckten Botschaften der Residenz Gedanken zu machen: Eine ging dabei unweigerlich von der Dienerschaft aus. Inzwischen hatte er gute drei Dutzend von ihnen gesehen und jeder war fleißig, schnell und flüsternd unterwegs gewesen. Manchen folgte die Nervosität auf dem Fuße, Andere achteten auf den kostbaren Nachtigallböden auf jeden falschen Atemzug. Sie verrieten damit viel über den Hausherren und dessen Regiment: Die Menschen führten offenbar ein äußerst strenges Leben, doch ihre Kleidung war ordentlich und sauber. Sogar die Witterung, die hinter den süßlich duftenden Apfelblüten lag, schien von Krankheiten und Wundfiebern nichts zu verstehen. Sein Instinkt bereitete ihm dennoch Unbehagen. Irgendetwas- "Meister", unterbrach ihn Myouga, "dort unten scheint euch jemand zu suchen." Erstaunt sah der Flohgeist an dem langen Baumstamm hinab und musterte den braunen Kimono mit grünem Halskragen, dann fiel ihm ein, wer die Frau sein musste. Fast hätte er sie nicht erkannt, so sehr war er an die verstaubten Gewänder und das wirre Gesicht bereits gewöhnt gewesen: Mashiko, die forsche Dienerin! "Ich hätte sie in der Nähe Izayois erwartet", stellte der Daiyoukai fest. "Offenbar haben sie keinen Anderen gefunden, der freiwillig mit Euch spricht", bemerkte der Floh ketzerisch. "Ihr habt das junge Ding, das Euch eigentlich zugeteilt wurde, fast zu Tode erschreckt." "Ich habe sie angelächelt." "Das ist doch das gleiche!", schmetterte Myouga ab und deutete mit einem Kopfnicken auf Mashiko. "Nehmt meinen Rat an, und erspart ihr dieses Versteckspiel. Sie ist ein Mensch und es fehlt ihren Augen ohnehin an der nötigen Schärfe, um Euch zu entdecken. Ihr solltet sogar froh sein, dass sie nicht gehört hat, dass Ihr die Fürstentochter beim Namen nennt!" "Das bin ich. Sie würde mir sonst nur dazu raten, ihn sofort wieder zu vergessen und meinen Sohn nachzuahmen, der von Menschen nichts wissen will. Ist das nicht der angenehme Lauf der Dinge, Myouga?" Interessiert sah der Weißhaarige hinab zu seinem Berater, doch ehe Myouga das winzige Tuch aus seinem Ärmel gezogen, glatt geschüttelt und seine Antwort überdacht hatte, krächzte die Stimme der Dienerin dazwischen. "Hoher Herr?" Obwohl weit und breit niemand zu sehen war, kniete sie in steifer Etikette zwischen den saftiggrünen Grashalmen und ignorierte sogar den Marienkäfer, der Millimeter vor ihrer Nasenspitze krabbelte. "Es steht mir nicht zu euren dämonischen Berater zu berichtigen, aber mein Augenlicht ist auch nach vierzig Jahren noch brauchbar und erkennt eine derart ungewöhnliche Rüstung im Schatten eines Apfelbaumes. Erlaubt mir Euch zum Bankett zu geleiten und ... und eine Bitte auszusprechen." - - - - - - - Was kann Mashiko von einem Dämon wollen? Ihr erfahrt es in Kapitel #12, "Mohnblume"! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)