Apfelblüte von Morgi (Inu no Taishō / Izayoi) ================================================================================ Kapitel 9: Reisblüte -------------------- Apfelblüte - Reisblüte - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Anmerkung Das Kapitel war damals gewidmet. - - - - - - - 36 Zornig stieß sich der junge Hundedämon von einer Astgabel ab, tauchte tiefer hinein in das durchwucherte Unterholz, das den Boden des Waldes mit Moosen, Flechten und schier unerträglichen Gerüchen überzog; der eine empfindlich genug, um seine Nase zu reizen, der nächste so stechend scharf wie der Blick seines Vaters, als dieser ihm jedes weitere Widerwort mit einem einzigen Funkeln untersagt hatte. Oh, Sesshoumaru wusste zu gut was Gehorsam bedeutete, auch wenn sich jede Faser seines Verstandes gegen die Vorstellung sträubte, seiner Mutter, der Fürstin der westlichen Länder, unter die Augen zu treten, um ihr mitzuteilen, dass ihr Gefährte die Gesellschaft zweier Menschenkinder der ihren vorzog. Sie würde außer sich sein - und er verabscheute bereits jetzt den Moment, da sich ihr schmeichelndes, honigsüßes Lächeln auf ihn richten würde, als ob er zu unbedarft wäre, seine Worte weiser zu wählen. Worauf hoffte sein Vater also? Dass sie sich dank seiner, Sesshoumarus, Gegenwart mäßigen und die Angelegenheit als gut gelungenen Scherz abtun würde? Lächerlich, denn dafür war der Humor der Fürstin viel zu dünn gesät: Nie würde sie sich ungeschoren auf die unterste Sprosse der Demütigung verbannen lassen und ertragen ihn, ihren Einzigen, zu einem nichtsnutzigen Laufburschen degradiert zu sehen. Falls sein Vater versuchte, ihm damit unauffällig eine Lektion über die Natur einer Dämonin zu erteilen, konnte er darauf verzichten. In manche Früchte musste man nicht erst beißen, um zu wissen, wie ungenießbar sie waren! Zähneknirschend stieß sich der Hundedämon von einer weiteren Wurzel ab, doch für die rabenschwarzen Wolken am Horizont, die sich seit Stunden zu einem düsteren, unheilvollen Sturm auftürmten, hatte er nicht einmal ein Wimpernzucken übrig. 37 Unfassbar. Eine halbe Tagesreise lag hinter ihnen und mit jedem Schritt, den Setsuna no Takemaru inmitten der umgeknickten Grashalme und verworrenen Dornenstrünke setzte, sank seine Laune tiefer, und glich mehr und mehr der blutroten Sonne, die am Himmelszelt mit den Wolken verschmolz. Sein Herr, der Daimyo, würde ihn zweifelsohne für die Unvorsicht seiner Männer und sein eigenmächtiges Handeln bestrafen. Doch der General erstickte nicht an den Bürden seiner Zukunft, sondern an der unglaublichen Arroganz, die der Bastard vor ihm zur Schau stellte. Wie selbstverständlich schritt der Dämon voran und unterhielt sich mal unbefangen, dann wieder scherzend mit dem Wesen, das kaum größer als eine Daumenkuppe war und auf seiner Schulter saß. Setsuna no Takemaru hatte nie zuvor einen Flohgeist gesehen, doch er wusste genug über Youkai, um sie allesamt über einen Kamm scheren zu können. Sollten ihn diese Gestalten nur für zu einfältig halten, um nicht zu bemerken, dass sie bereits den dritten Haken im Gelände schlugen, seine Aufmerksamkeit war unerschütterlich. Die erdrückende Müdigkeit, die er dem scharfen Ritt zu Izayoi-samas Rettung verdankte, war nichts verglichen mit dem Bedürfnis diesem Fremden den Kopf abzuschlagen! Bedauerlicherweise schuldete er ihm das Leben seiner Herrin und sein eigenes. Er konnte nicht mehr tun, als unterkühltes Desinteresse vorzuschieben, als der Weißhaarige unverhofft seinen Schritt verlangsamte und sich auf Augenhöhe zurückfallen ließ. Eine Weile schritten sie schweigend nebeneinander her, jeder für sich mit seinen Absichten ringend, dann brach der Inu no Taishou die Stille. "Der Verlust Eurer Männer muss euch schmerzen", bemerkte er. "Ich sah viele Menschen kämpfen und sterben, doch selten waren sie so unerschrocken und tapfer. Mein Sohn hätte Euer Pferd kaum unverdienter töten können." "Wenn es Euch so sehr betrübt", entgegnete Takemaru, "kehrt zurück und fresst es, Dämon." "Um Euch zu beleidigen, General?" "Um Euch zu stärken", erwiderte der Mann mürrisch. "Meine Gesellschaft wird Euch keine Vorteile einbringen, also bemüht Euch nicht weiter um sie." Überrascht, aber fernab jedweder Überheblichkeit sahen die goldenen Augen auf die Züge des Kriegers, hinter dessen krampfhaft verschlossenen Lippen eine Vielzahl unausgesprochener Gefühle lauerten. Myouga hätte ihm diese leichthin übersetzen können, doch der Flohgeist hatte unlängst Gefallen daran gefunden, sich abzusetzen und in sicherer Entfernung den Frauen zu folgen. Nun, natürlich. Myouga schätzte es nicht, seinen Hals in die Nähe einer scharfen Klinge zu bringen. Es fiel ihm leichter zu beobachten und Schwierigkeiten beim Namen zu nennen. Abgelenkt durch seine Erinnerungen richtete der Inu no Taishou den Blick auf die Enkeltochter des Daimyos, die trotz ihrer Jugend bereits erschöpft und kurzatmig schien. Es kümmerte ihn, dass ihre Lider von schwarzen Schatten umrandet waren, in denen die Albträume einer Überlebenden lauerten. Er hatte gehofft, sie zuversichtlicher zu erblicken, doch sie war keine Dienerin, die tagein, tagaus die Gänge entlang eilte. Ihre Kräfte, dem Tod in allen Farben und Formen zu trotzen, waren mehr als begrenzt. Für einen solchen Gewaltmarsch war sie einfach nicht geschaffen. "Wir sollten ein Lager aufschlagen", entschied er ernst und deutete an der Schulter des Generals vorbei nach Nordosten. "Einen besseren Ort als jene Felsen dort hinten werden wir vor Einbruch der Nacht und dem ersten Regen nicht finden." Takemarus Gesichtszüge erstarrten prompt zu Stein. Felsen? Regen? Er sah nichts dergleichen, auch wenn ihm der dunkle Wolkenzug über seinem Kopf nicht entgangen war und ein Geschmack in der Luft hausieren ging, der dem von längst vergorenem, sumpfigen Brackwasser nicht unähnlich war. Wenn das eine weitere Falle werden sollte ... nun, dann war er mehr als gewappnet. Dieser Dämon hatte nicht grundlos ihren Weg gekreuzt! 38 Fürwahr, fürwahr. Eine entzückende Fügung des Schicksals. Selig streckte das Lindwurmweibchen ihren langen, beschuppten Hals mitsamt des Kopfes auf dem modrigen Boden aus, während ihre kaum fingerdicken Klauen erst das Erdreich zerwühlten und sich dann darin wie ein Parasit festsetzten. Der lange Flug in die Wälder des Inu no Taishou hatte sie erschöpft. Die Gelegenheiten, zu denen ein so niederrangiges Schwarmmitglied wie sie die ledrigen Schwingen ausbreiten konnte, waren rar und der seit zwei Stunden unerbittlich auf sie einschlagende Regen alles andere als einladend. Statt sich jedoch mit ihren körperlichen Schwächen oder dem Wetter zu geißeln, konzentrierte sie sich lieber auf das Gefühl, das sich in ihrem Maul so süß und verlockend wie Honig anfühlte. Was für ein ungeahnter Triumph. Es war so erschreckend einfach gewesen, Ryukotsusei für sich zu gewinnen, dass es beinahe beschämend ausfiel. Viele, die sie für weitaus gerissener gehalten hatte als sich selbst, waren bereits an ihn getreten, trunken und süchtig nach den Privilegien von denen eine Drachendämonin wie sie in zweitausend Jahren kaum zu träumen wagte. Genützt hatten ihnen ihr Geschlecht und Ruhm jedoch nichts, denn einer nach dem anderen war dem Schwert des Hundedämons wie frisch geschnittener Reis zum Opfer gefallen. Sie indes war geduldig gewesen, unauffällig fast. Eine Gabe, die sogar ihrer betörend rachsüchtigen Brutmutter in den ersten Tagen nach der Schlupf aufgefallen war. Neben ihrem Bruder, Ryokotsusei, hatten es kaum fünf Geschwister bis in die Jugend geschafft und wer aus ihrem einst vierzigköpfigen Gelege nicht dem mächtigsten Drachendämon erlegen war, hatte dank ihr, der Unscheinbaren, seinen überaus raschen Tod gefunden. Nun, das Menschenpack mit all seinen Daimyos, Ammen und Kindern spann selbstverständlich andere Geschichten um die edlen Drachenyoukai, die hoch oben an den unwirtlichsten Klippen und Berghängen nisteten. Dort waren sie erhaben, weise und wilderten nur dann in fremden Gebieten, wenn man sie zu erzürnen wusste. Kakesa hatte diese Mythen anmaßend genannt und es verabscheut, auf ein solch liederliches Gefühl wie Zorn zusammengestutzt zu werden. In seinem Tobsuchtsanfall hatte er einst ganze Landstriche verwüstet, doch sie, sein Weibchen - dünn und über die Maßen unattraktiv für ihresgleichen - war dem Kern der Wahrheit dahinter fast augenblicklich erlegen. Entrückt fuhr die blaue Zunge aus ihrem Maul und leckte über die rauen Lider der Drachenaugen, dann bettete sich die Drachendämonin so sanft wie ein frisch geschlüpftes Jungtier. Was für ein Glück, dachte sie noch als der Schlaf sie allmählich überkam, dass der Inu no Taishou ihrer nicht ansichtig geworden war. Ihr wäre der Genuss, verborgen im hohen Gras dabei zuzusehen, wie ihrem eitlen Gelegepartner Kakesa und dessen Brutschwester Ligosh der Kopf abgeschlagen wurde, immerhin als Erste im Halse stecken geblieben. Wahrlich, lächelte sie still, der Herr der Hunde hatte allen Grund dazu die frühlingshaften Tage ruhelos zu durchstreifen und Drachenbrut zu richten, wo auch immer sie ihm begegnete. Die Wunde, die sie ihm selbst vor mehr als dreihundert Jahren durch einen hässlichen Zufall hatte schlagen können, würde er nie vergessen - genauso wenig wie das Gewitter, das anschließend über seine unbekümmerte, weltoffene Seele hereingebrochen war. Ob ihm seine Gefährtin diese verhängnisvolle Nacht je verziehen hatte? 39 Ein Krachen durchfuhr den Horizont, erleuchtete ihn gleißend hell und doch rührte sich nicht einmal ein Mundwinkel in den Zügen der Fürstin, als die Nacht Sekundenbruchteile später wieder über Blätter und Äste hereinbrach und schwarz färbte, was schwarz gehörte. Die menschlichen Bewohner der Residenz schliefen längst, aber sie hatte kein Interesse an solch niederen Bedürfnissen und hing giftigeren Gedanken nach. Wie oft hatte sie hier bereits gestanden? Wie viele Nächte durchwacht in dem Wissen, dass er, ihr Gefährte, nie länger als nötig seiner Heimat fernblieb? Es musste Ewigkeiten her sein. Jede einzelne Stunde hatte inzwischen an der Erinnerung genagt, welche sie in eine dünne, aufwendig verzierte Decke gehüllt an den Bambusfenstern ausharren ließ. Fort war die Sehnsucht, verdorben von einer unstillbaren Eifersucht, die es nicht verwinden konnte, von dem Herrn der Hunde gemieden zu werden, als ob ein ansteckendes, eiterverseuchtes Fieber in ihr ruhte. Sie ahnte, woran sein Desinteresse lag und was aus ihnen werden musste, doch jedes weitere Wort, das zwischen ihnen fiel, entfremdete sie einander noch mehr. In diesen Tagen, so viel gestand sich die Youkai trotz ihres angegriffenen Stolzes ein, musterte sie den bleifarbenen Horizont nur noch, um eine Bewegung ihres Einzigen zu erhaschen. Zwei Stunden später löste sie sich von dem Glas, geerdet von dem Wissen, seine weiße Silhouette inmitten der äußersten Ausläufer des Unwetters erkannt zu haben. Warum auch immer er derart früh heimkehrte, sie wusste das Glück seiner Gesellschaft mehr als zu schätzen. 40 Ein Frösteln glitt ihr unter die Haut, unangenehm und stechend wie die Kälte, welche das fast heruntergebrannte Lagerfeuer nicht länger vertreiben konnte und obwohl sich Izayoi mit inbrünstig zusammengekniffenen Augen gegen das Aufwachen wehrte, schrak sie auf, sobald ein Holzscheit in die Tiefe der Flammen brach und Funkenschauer in der Nacht tanzten. Ängstlich zog sie die Seide des Kimono dichter, doch der Versuch sich zu beruhigen, scheiterte an den Erinnerungen, die längst in allen Schatten lauerten. Strünke und Gräser verschwammen zu den Gesichtern von Takemarus sterbenden Männern, und jedes Knacken des Feuers schien dichter an das höhnische Einatmen der Drachenbrut heranzureichen. Inzwischen fürchtete sie den Schlaf, denn er brachte ihr nichts außer der Gewissheit zu schwach zu sein, um den Grauen der Welt zu trotzen. Verdiente sie es überhaupt am Leben geblieben zu sein? Schwermütig strich sich Izayoi eine wirre, schwarze Strähne fort, während sie ihre steifen Knochen dazu zwang, sich soweit aufzurichten, dass sie inmitten der regennassen Kälte sitzen konnte. Mashiko hätte sie für ihre Haltung gescholten, da es der Tochter eines Fürsten nicht zustand die Schultern zu krümmen, aber ihre Amme bemerkte nichts davon. Sie schlief, und Izayoi war nicht traurig darum, mit ihren Gedanken für einen kostbaren Moment allein gelassen zu werden. Die Regeln, die ihr im Tageslicht das Grübeln erspart hatten, konnten sie nicht für immer vor der Wirklichkeit schützen. Ausgelaugt löste Izayoi ihren Blick von dem vertrauten, faltigen Gesicht, dann blinzelte sie, verwirrt über den goldenen Schimmer, der in ihren Augenwinkeln lauerte. Der ... der weißhaarige Dämon sah sie an! Sie wurde blass, aber er unterband ihren erschrockenen Versuch den Kopf zu neigen mit einem einzigen Handwink. "Ihr müsst Euch nicht verbeugen", raunte der Inu no Taishou. "Es ist niemand wach, der es außer mir bewundern könnte." Ihre Lippen öffneten sich, um zu widersprechen, aber sie brachte es nicht über sich. Ein scheuer Blick verriet Izayoi obendrein, dass in seinen Worten keine Lüge gelegen hatte: Der daumenkuppengroße, schwarze Geist schnarchte hörbar inmitten des weißen, aufgeplusterten Fells auf der Schulter ihres Retters und Takemaru, ihr Vertrauter aus Kindertagen, war weit und breit nicht zu sehen. Un ... unmöglich. "Wo-?" "Dort", erwiderte der Herr des Westens ausgeglichen, als er hinüber zu einer Baumgruppe deutete. Obwohl er sich sicher war, dass die Fürstentochter nicht sehen konnte wie der General am Fuße der Rinde mit verbissener Miene hockte und das aufkeimende Wundfieber in seinen Adern überging, war er beeindruckt von dessen Willenskraft. "Sein Vertrauen in die Sinne eines Dämons sind wohl nicht sonderlich ausgeprägt, wenn es um die Nachtwache geht." "Er ... er scheut nie eine Pflicht", beteuerte Izayoi. "Kaum", stimmte er zu. "Und Ihr?" Ich? Sie erstarrte verblüfft. Was sollte sie darauf auch erwidern? Ihr Leben, das wusste sie, war von Geburt an darauf ausgerichtet ihrer Familie Ehre zu erweisen und sich nach allen Kräften um Gehorsam, Demut und Schönheit zu bemühen. Nur eine Frau vermochte es, einen gesunden Stammhalter zu empfangen und die friedlichen Bande zwischen Nachbarn durch Tugendhaftigkeit in der Ehe zu stärken. Aber wusste er das nicht längst? Unschlüssig senkte Izayoi das Kinn und suchte nach Worten, die ihre Situation vereinfachen konnten. "Ich ... nun, es wäre beschämend und undankbar einer Aufgabe nicht nachzukommen, hoher Herr. Ich kann nur wenige Wünsche erfüllen. Einen Befehl auszuschlagen, steht mir nicht zu." "Ihr gabt nie ein Widerwort?" "Nein!" Ihr Atem stockte entsetzt, auch wenn Izayoi sich außerordentlich gut an die Gelegenheiten erinnern konnte, da sie kaum fünf Sommer erlebt hatte und aufsäßig verlangte den Stockkampf erlernen zu dürfen, die Haare bereits wirr im Staub fliegend. Doch das war lange her und die Hiebe und Schelten färbten noch immer ihre Wangen glühend rot. Die bloße Vorstellung, wie sie heute, an einem lichten Frühlingsmorgen auf einer Bambusmatte kniend ihren Großvater belehrte, war unerträglich! "Ihr könntet es öfter tun", schlug der Inu no Taishou vor, während er interessiert das Kinn auf die Handfläche bettete und den deutlich sichtbaren Zwist in Izayois dunklen Augen verfolgte. "Es ist befreiend, seine Gedanken teilen zu können." "Aber, hoher Herr ..." Sie sah ihn an, ihre unglückliche Miene gefangen im Lichterspiel des Feuerscheins, bevor sie ihren Brustkorb in einem mutigeren Atemzug hob. "Würdet Ihr denn Rücksicht auf die Einwände einer Frau nehmen, sobald sie Euch wütend gegenüber tritt?" "Es ist lange her, dass man mich etwas derartiges gefragt hat, aber ... ja", lächelte der Herr des Westens. Unter dem leisen Knistern züngelte eine Lohe über einen sterbenden Ast. "Ich würde mich glücklich schätzen, wenn sie mit mir spricht, denn es gibt nichts Grausameres als Schweigen zu ertragen und dann dabei zusehen zu müssen, wie Elend und Unglück überhand nehmen, bevor sie alles andere vergiften." Izayoi zögerte. "Denken alle Dämonen so wie Ihr?" "Nein", erwiderte der Weißhaarige ehrlich und in dem Bewusstsein, dass die feinen Atemgeräusche inmitten seines Schulterfells seit einigen Sekunden auffallender Stille gewichen waren. Es kostete ihn ein Lächeln seinem heimlich lauschenden, viel zu neugierigen Berater alle Farbe aus dem Gesicht zu treiben, indem er sich betont vertraulich vorlehnte und flüsterte: "Mein Sohn, Sesshoumaru, hört nur noch seiner Mutter zu. Er ist zu jung, um jemanden außer ihr zu achten und beschützen zu wollen - und zu stolz, um eines davon zuzugeben." "Bekümmert Euch das?" "Keineswegs", versicherte er ernst. "Wird das Herz eines Kriegers durch das Schicksal einer Frau berührt, erwirbt sein Geist eine Treue, die kein Rutenschlag lehrt. Eines Tages wird mein Sohn seinen Schutz auf jemanden ausweiten, der noch nicht zur Familie gehört. Dieser Schritt wird mich mit Stolz erfüllen. Denkt nur an den General, der Euer Leben ohne zu zögern über das seine stellte. Nicht jeder Mensch wäre bereit gewesen, einen solchen Höllenritt in Kauf zu nehmen und an dessen Ende noch einem Dämon gegenüberzutreten." "Er hätte dabei den Tod finden können. Was wäre meine Dankbarkeit und Bewunderung für seinen Mut dann noch wert gewesen?" "Alles", erwiderte der weißhaarige Daiyoukai sanft. "Bedenkt bitte eines. Für einen Mann mag es viele Wege geben zu sterben, aber nicht jeder von uns hat die Möglichkeit, damit ein anderes Leben zu retten. Eure Eskorte gab ihr Leben dafür, Euch einen weiteren Sonnenaufgang zu ermöglichen und das ist eines der kostbarsten Geschenke, das man erhalten kann." "Ja." Auch das war ihr schmerzlich bewusst. Unstet verschränkte die Fürstentochter die Fingerspitzen in ihrem Schoß, ehe sie an den roten, emporfliegenden Funken des Lagerfeuers vorbeisah und die pergamentdünnen Lippen befeuchtete. "Als ich noch ein kleines Mädchen war", verriet sie dann, "verlor ich meine Mutter und meinen Bruder, dessen Hand kaum größer war als mein kleinster Finger. Ich dachte, ich würde nie wieder so viel Angst spüren, bis diese Dämonen uns überfielen. Ohne Euch hätte es ein schlimmes Ende für Mashiko und mich genommen." Der Herr der Hunde öffnete die Lippen, als ob er etwas erwidern wollte, doch im letzten Moment scheute er vor seiner eigenen Frage zurück. "Es ... es war nicht Eure Schuld." "Vielleicht. Aber es ginge mir besser, hätte ich auch nur einem von ihnen helfen können." "Gebt die Hoffnung nicht auf. Eines Tages wird Euch das vergönnt sein und die Vergangenheit dadurch an Schrecken verlieren, glaubt mir." 41 Es war der Flohyoukai, der sich zuerst der eigenartigen Atmosphäre bewusst wurde, die zwischen seinem Meister und dem Menschenkind entstanden war. Oh, wenn er nur gleich den Mund hätte öffnen können, statt sich erst übertrieben laut aus den weißen Flusen und seinem vermeintlichen Schlaf schälen zu müssen! Wachsam schmälerte Myouga dann die Brauen, kratzte sich am Kinn und brachte ein Räuspern an, mit dem er die befremdliche Stille zu brechen gedachte. "Eine sonderbare Nacht", hob der Berater lauernd an. "Ich kann dir kaum widersprechen, alter Freund." Entspannt, ja beinahe beiläufig breitete sich das Lächeln auf den Lippen des Inu no Taishou weiter aus, ehe er seinem Berater den Kopf zuneigte. Für Myougas Begriffe reichlich vorwitzig, aber vielleicht wollte er auch nur Dinge sehen, die gar nicht zutrafen. Abwartend huschten die klugen Augen des Flohs noch hinab zu dem Mädchen, doch Izayoi hatte wie erwartet längst ihren Blick gen Boden gerichtet. Nun, ihn sollte ihre Befangenheit vorerst nicht kümmern. Trotzig sprang Myouga von der Seide des Gewandes, um in wenigen und ausgreifenden Sätzen inmitten der Grasnarben zu verschwinden und sich einen Platz zu suchen, von dem aus er die Geschehnisse besser überblicken konnte. Er fand ihn, als er sich nahe des Generals auf einem klammen Stein niederließ: Und dieses eine Mal konnte der Flohyoukai nichts Schlechtes darin sehen, dass ein Mann wie Setsuna no Takemaru ihn um Haaresbreite mit seinem Schwert erwischte. Menschen und Dämonen hatten zu wenig miteinander zu tun, um es nicht ungewöhnlich zu nennen, wenn ein Lächeln zwischen ihnen Brücken schlagen sollte. 42 Geleitschutz nannte er das? Das Glühen in ihren Augen hätte Lebende ins Grab befördern können, aber schon der fein zuckende Mundwinkel verriet, dass sie inzwischen zu lange in den Wäldern des Westens lebte, um sich leichthin in die Karten schauen zu lassen. Eine Fürstin wie sie spielte nach ihren eigenen Regeln und auch wenn sie der Schmerz darüber gemieden zu werden, marterte, legte sich bald ein besserer Gedanke um ihr Herz. Tief einatmend erhob sie sich von der verflochtenen Bambusmatte und schritt durch den Raum. "Ich hatte es dir prophezeit, Sesshoumaru", eröffnete sie lieblich. "Dein Vater steckt voller Überraschungen, sobald ihn das Schicksal eines hilflosen Menschenkindes berührt. Es ist erstaunlich, mit welchem Eifer er einen Drachen schlachtete, der sich nur an den Schwächsten vergriff, nicht wahr?" Grimmig senkte Sesshoumaru den Kopf. "Seine Motive sind mir fremd, Mutter. Er sprach davon, das Wohlergehen der Menschen zu sichern und die Umgebung abzusuchen, das ist alles." "Natürlich tat er das", lächelte sie dünn, doch ihr Einziger ließ sich kaum täuschen. Keine Dämonin, die jemals seinen Weg gekreuzt hatte, war so arglos wie es ihm die Herrin des Westens vorspielte: "Mein verehrter Sohn, hättest du dich genauso entschieden, wärst du bereits in seine Fußstapfen getreten?" "Menschen bedeuten mir nichts", erwiderte er starrsinnig. "So? Und junge Mädchen?" Der Spott ihrer Stimme war feiner gesponnen als jede Stickerei, doch Sesshoumaru spürte bereits den Faden, der sich um seinen Hals legte; bereit zuzuziehen. Ihr Welpe konnte es nicht wissen, doch vor Jahrhunderten war es eben dieser undurchsichtige Charakterzug gewesen, der seinen Vater, den Inu no Taishou, dazu gebracht hatte, Gespräche mit ihr aufflammen zu lassen, wo die Gelegenheiten rar und unpassend schienen. "Mitleid mit einer Frau zu entwickeln, ist ein Hindernis auf dem Weg zur Unantastbarkeit jedes Dämons, Mutter." "Mitleid? Was für ein großes Wort aus deinem jungen Mund. Bist du dir sicher, dass es nur das ist? Es gibt zahlreiche andere Gefühle, wie du weißt. Neid. Eifersucht oder meinen unverhohlenen Liebling, Zuneigung. Hingabe. Begehren." Die Kehle des Hundedämons würgte einen Laut hervor, der einem angewiderten Knurren nicht unähnlich war. "Vater achtet lediglich auf unsere Grenzen. Eine solche Schwäche ..." Lächerlich. Allein die Vorstellung befremdete und beschämte ihn gleichermaßen. "Wir werden sehen, Sesshoumaru. Kehre in zwei Tagen zu ihm zurück und gedenke meiner Worte: Steter Tropfen höhlt den Stein. Auch das schwächste Wesen kann dich verändern, wenn du ihm nicht rechtzeitig den Atem dazu nimmst." Sie winkte ihn fort, und er gehorchte fast erleichtert. An anderen Tagen hätte sie seine Aufbruchsstimmung auf vielfältigste Weise beleidigt, doch die Fürstin hatte längst Anderes im Sinn. Je eher er ging, desto unbehelligter konnte sie sich sortieren. Kurz vor Sonnenaufgang waren ihre Gemächer verwaist und der schnelle, dumpfe Schritt, der die mächtigste Hundedämonin des Westens an ungeschnittenen Grashalmen, wuchernden Wildblumen und einem Meer an Erinnerungen vorbeiführte, blieb der einzige Zeuge ihres Verschwindens. - - - - - - - Nun, wer an dieser Stelle orakelt, dass der Inu no Taishou noch gar nicht weiß, was ihm in Kapitel #10, "Hortensie", blüht - der behält Recht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)