Der längste Weg nach Hause von Platypusaurus (It's never too late) ================================================================================ Kapitel 5: Auf halbem Weg ------------------------- Tell me who's to say after all is done And you're finally gone, you won't be back again You can find a way to change today You don't have to wait 'til then   *   Das Schloss öffnete sich mit einem leisen Klicken und Dean stieß die Tür zum Motelzimmer nach innen auf. Zu ihrem Motelzimmer.   Der Engel hing schwer an Deans angewinkeltem Arm; sein ganz Körper war stocksteif vor Anspannung, aber gleichzeitig fühlte er sich wunderbar lebendig an. Nah.   Er lebt!   Cas ist bei mir und er geht auch so schnell nicht wieder weg!   Das hätten tröstliche Gedanken sein können, freudige sogar, wenn nicht die äußeren Umstände hinzugekommen wären, dass der Engel in diesem Moment alles andere als wohlauf war.   Bis Cas zu ihm ins Auto gestiegen war, war noch alles gut gewesen. Es hatte sich herausgestellt, dass Nora ihn als Babysitter zu sich nach Hause eingeladen hatte. Cas‘ Chefin hatte anscheinend wirklich ein Date gehabt – bloß nicht mit Cas, wie sowohl Dean als auch er irrtümlicherweise angenommen hatten. Dean musste zugeben, dass Nora sich diesbezüglich so unklar ausgedrückt hatte, dass das Missverständnis nahezu vorprogrammiert gewesen war; er war ja selbst davon ausgegangen, dass sie mit Cas hatte ausgehen wollen. Und Cas, als der großzügige, aufopferungsvolle Idiot, der er nun einmal war, hatte sich offensichtlich nichts von seinem Irrtum anmerken lassen und seiner Chefin tatsächlich unter die Arme gegriffen. Noras zahnende Tochter, Tanya, hatte im Laufe des Abends leichtes Fieber bekommen und Cas, in seiner Unwissenheit, damit beinahe zum Verzweifeln gebracht. Zum Glück hatte Dean mehr Erfahrung mit kleinen Kindern und menschlichen Babys. Nachdem der Überfall durch den Rit Zien überstanden war, hatte er Cas helfen können, Tanya zu beruhigen und ihr etwas Paracetamol eingeflößt, das das Fieber senkte und die Schmerzen der durchstoßenden Milchzähne linderte.   Ja, am Anfang war noch alles gut gewesen. Die Gefahr durch Blondie war gebannt, dem Baby war nichts passiert und Cas lebte. Dean hatte die Leichte weggeschafft, während Cas in Noras Haus für Ordnung gesorgt hatte. Um die Sigille an die Glastür zeichnen zu können, hatte er in ein Brotmesser auf der Kücheninsel gefasst und sich eine stark blutende Wunde zugezogen; außerdem hatte der Kampf seine Spuren im Raum hinterlassen. Dean hatte Cas‘ Handfläche notdürftig versorgt, nachdem er zurück gewesen war. Keine Sekunde zu früh, denn da Cas ihr die Nachricht von Tanyas Fieber hinterlassen hatte, war Nora schon bald darauf zurückgekehrt.   Aneinandergepresst stolperten sie nun über die Schwelle in den heruntergekommenen Raum, durch Cas' Gewicht und seine hölzernen Bewegungen beide taumelnd, wie volltrunken.   Wenigstens hatte Nora Cas für den folgenden Tag freigegeben. Weil er sich so gut um ihre Tochter gekümmert hatte. Als Dean davon hörte, hatte er ein Schnauben unterdrücken müssen, aber das Naserümpfen über Cas‘ Chefin verging ihm augenblicklich, als er gesehen hatte, wie schwer der Abend seinem besten Freund zugesetzt hatte.   Nein, auf keinen Fall würde er ihn heute in einem Schlafsack auf unbeheizten Fliesen in einem Lagerraum schlafen lassen – nicht heute und auch überhaupt niemals wieder! Was Cas jetzt brauchte, war ein Ort, der Sicherheit versprach. Ein Ort, der einem Zuhause gleichkam.   Das Motelzimmer ist das beste, was wir im Moment haben. Wird schon gehen.   Es war schwer, sich in einem heruntergekommenen Motelzimmer geborgen zu fühlen. Dean wusste das. Aber er hatte Erfahrung darin, aus heruntergekommenen Absteigen ein Heim auf Zeit zu machen. Er wusste vor allem, dass zu Hause kein Ort war, an den man zurückkehrte, sondern ein Gefühl, das man hervor kitzeln konnte, wenn es erforderlich war. Sein Leben lang hatte er versucht, Sammy dieses Gefühl zu ermöglichen. Im Impala, auf der Straße. Er hatte es immer und immer wieder versucht und war gescheitert. Der Bunker hatte Hoffnung bedeutet. Das erste Mal, dass etwas ohne Räder das Potential besaß, Jägern ein Zuhause zu werden. Auch hier hatte Dean versagt, nicht bei Sam, aber bei Cas. Darum musste er sich ins Zeug legen. Er konnte dafür sorgen, dass der gefallene Engel nicht noch weiter fiel.   „Ich hab‘ dich“, murmelte Dean. Cas reagierte nicht. Mit der Tür schloss Dean den Rest der Welt hinter ihnen aus.   Er konnte nicht sagen, was es war, das Cas schweigen ließ, seit er die Beifahrertür des Impalas hinter sich geschlossen hatte. Was dafür sorgte, das seine Augen so ausdruckslos ins Nichts starrten und seine in blutige Papiertücher gewickelte Hand in seinem Schoß zitterte. Die Wunde musste noch besser versorgt werden, aber war an und für sich nicht dramatisch.   Vielleicht war es die Schmach, bei der ersten Verabredung seines menschlichen Lebens so in die Irre geführt worden zu sein. Die Hilflosigkeit, einem Menschen, einem noch viel hilfloseren Säugling, nicht so helfen zu können, wie er es gewohnt war. Der Angriff eines Bruders, der ihn für des Lebens unwürdig erklärt hatte. Dass Cas selbst diesen Bruder hatte töten müssen, um sich zu retten.   In anderen Zeiten hätte er all das möglicherweise besser verkraftet. Aber wohl kaum an dem Tag, an dem man erfuhr, dass man eigentlich zu sehr litt, um weiter zu leben.   Dean ließ erst von Cas ab, als er ihn auf der Bettkante abgesetzt hatte, vergewisserte sich sogar, dass Cas selbstständig sitzen blieb. Eigentlich wirkte der Engel nicht so, als würde er jeden Moment zusammenbrechen, nur zittrig war er nach wie vor.   Was brauchst du jetzt, hm? Was machen wir?   Er stellte diese Fragen nicht laut. In ihrem Schweigen lag eine gewisse Notwendigkeit. Cas sah nicht so aus, als wäre ihm in diesem Moment danach, zu reden, und Reden, das war Deans Schwäche. Aber Handeln, das konnte er. Vor allem, wenn es dabei half, dass Cas nicht mehr ganz so leichenblass war, dass er nicht mehr so aussah, als sei etwas in seinem Inneren unwiderruflich zerbrochen, von dem er selbst nicht gewusst hatte, dass er es überhaupt noch besaß.   Dean hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was half. Sicherheit, Wärme, die Notwendigkeit, sich sauber zu fühlen. Essen, Ruhe, Nähe, vielleicht Alkohol, wenn alles nichts nützte. Das alles konnte er für Cas tun und es war nicht schwer.   „Na komm, wir kriegen dich ins Bett“, sagte er leise und ohne jeden Hauch von Spott in seinen Worten, ohne zynische Doppeldeutigkeit.   Cas reagierte nicht, zumindest nicht direkt. Er ließ den Kopf nur noch etwas mehr hängen, die Augen zu Boden gerichtet, die bebenden Hände im Schoß, halb unter seinem leicht nach vorn geneigten Oberkörper verborgen. Die Blutung an der Handfläche der linken hatte karmesinrote Blüten am Ärmelsaum von Deans Jacke und auf Cas‘ Hosenbein hinterlassen.   Okay, dachte Dean, Schritt eins: Sicher, warm und sauber.   Dean zog Cas wortlos die Papiertücher aus der Hand, die er über dem Schnitt zerknüllt hatte. Das Blut direkt über der Wunde war bereits geronnen. Er würde sie versorgen, sobald Cas die erste Stufe von Deans Notfallprogramm durchlaufen hatte. Dean fühlte sich in eine Zeit zurückversetzt, in der Trostspenden zu seinen täglichen Aufgaben gezählt hatte, so wie die Rückbank des Impalas sauber zu halten und seinen viel zu großen Kinderrucksack reisefertig parat zu haben. Bloß, dass er sich dieses Mal nicht in der Rolle des großen Bruders befand, der Ersatz für beide Elternteile spielen musste.   Er zögerte nur einen winzigen Augenblick, lang genug, um tief Luft zu holen. Ja, es war seltsam. Aber notwendig.   Und nicht schlimm.   So, wie er es vor mehr als zwei Jahrzehnten bei Sammy getan hatte, ging Dean nun vor Cas in die Knie und begann, dessen Schuhe aufzuschnüren. Seine Finger öffneten zielsicher die mehrfach miteinander verknoteten, unbeholfenen Doppelschlaufen. Er streifte feucht-klammen Stoff, als er ihm die nassen, braunen Turnschuhe von den Füßen ziehen wollte, bemerkte, dass Cas' Haut unter den Socken eiskalt war. Cas musste in eine Pfütze am Bordsteinrand getreten sein, bevor er zu Dean ins Auto gestiegen war. Er ließ das für Jahreszeit und Wetter unpassende Schuhwerk unkommentiert, ebenso wie die ungeschickten Versuche des Schuhbindens. Dean hielt den Blick auf seine Hände gesenkt, als er Cas' rechten Fuß in beide Hände nahm und ihn kräftig zu kneten begann, um die Durchblutung anzuregen.   Über sich hörte er atemlose Überraschung in Form eines kehligen Lautes. Offenbar war Cas aus seiner trüben Gedankenflut aufgetaucht und leistete Dean nun in der Realität Gesellschaft.   „Dean ...? Wast tust du denn da?“   Er konnte den Blick in seinem Nacken beinahe fühlen, als er sich auch Cas' anderen Fuß vornahm. Er war alles andere als behutsam oder gar liebevoll, aber erstaunlicherweise hörte er von der Bettkante aus ein leises, fast wohliges Seufzen. Dean konnte spüren, wie sich die verkrampfte Muskulatur in Cas' Waden ein wenig lockerte. Dass Cas diese Art der Behandlung zuließ, sorgte dafür, dass auch etwas von Deans eigener Anspannung von ihm abfiel. Seine Berührungen wurden etwas sanfter.   Es ist okay. Alles ist okay.   Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie die Gestalt über ihm in sich zusammensackte. „Die Eisklumpen auftauen“, sagte Dean schließlich bloß und rappelte sich auf, als er sich sicher war, dass Cas nun mitmachte, wieder bei ihm war.   Tatsächlich sah er Dean offen von unten herauf an. Die Spuren des Abends hafteten noch an seinen Zügen: Der Schock in Form einer unnatürliche Blässe. Nervosität auf trockenen, aufgesprungenen Lippen, auf denen er zu oft herumgekaut hatte. In seinem Blick lag jedoch etwas völlig anderes. Wachsamkeit. Wärme. Zuneigung?   Warum guckst du mich so an, was soll ich damit anfangen?   Sein Herz wusste gut, was es mit diesem Blick anzufangen hatte. Dean wandte den Blick ab, als er fühlte, wie ihm die Röte in die Wangen kroch.   „Zieh' die Socken aus. Ich komm' gleich.“ Er nuschelte noch mehr als sonst. Cas schien keine Probleme damit zu haben, ihn zu verstehen, denn bevor er sich umwandte, sah Dean gerade noch, wie er der Aufforderung Folge leistete. Dean verschwand im heruntergekommenen Badezimmer, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich einen Moment mit geschlossenen Augen von innen dagegen. Noch einmal durchatmen. Na gut, mehrmals.   Es ist richtig. Es ist für Cas. Ich dräng‘ mich ihm nicht auf!   Mehr denn je war ihm, als würde er Grenzen überschreiten, etwas für sich beanspruchen, das nicht für ihn bestimmt war. Teilweise hatte er schon bei ihrer Freundschaft so gedacht, dass er Cas auf diese Art nicht in seiner Nähe oder seinem Leben verdiente. War es nicht erst recht anmaßend, dass seine Gedanken bereits jetzt die Sicherheit dessen verließen, was sie gerade erst wieder ins Lot gebracht hatten? Wie konnte er es wagen, die frisch gerettete Freundschaft zu gefährden, weil sie seinem dummen Herzen offenbar nicht ausreichte?   Die Stimme in seinen Gedanken, die ganz allein Dean gehört hatte, seit Cas gesagt hatte, seine Seele bedeute ihm etwas, veränderte sich ein klein wenig, nahm wieder einen gewissen drohenden Ton an.   Es ist nichts, was du willst. Du machst das alles, weil Cas das jetzt braucht. Das ist der einzige Grund. Es ist okay – deshalb.   Er zog den Vorhang der Dusche ein Stück zurück, drehte das heiße Wasser voll auf und wartete. Die Nähe, die Behutsamkeit, die er Cas noch nie zuvor in diesem Maße entgegengebracht hatte; das alles blieb seltsam, beängstigend. Am meisten, weil er ahnte, dass es ihm eigentlich gefallen würde, wenn er es nur zuließe. Die Stimme in seinen Gedanken verbat es.   Es geht nicht um dich! Tu endlich mal das, weshalb du hier bist! Kümmer dich um Cas.   Dean kehrte zurück in den Beschützermodus, sperrte den Berserker, der normalerweise auch dazu gehörte, vollkommen aus. Ließ sich gänzlich in die Aufgabe fallen, zu umsorgen.   Als er wieder zurückkam, standen Cas' Turnschuhe, die Dean achtlos auf dem schäbigen Läufer vor dem Bett hatte liegen lassen, ordentlich am Fußende, die nassen Socken penibel daneben gefaltet. Er hielt ein Kopfschütteln zurück und sah den Engel in einer gänzlich Castiel untypischen Haltung mit angezogenen Beinen auf dem Bett hocken. Sein Oberkörper steckte immer noch in Deans Jacke, die er mit beiden Händen fest um sich geschlungen hielt. Es sah ein wenig so aus, als würde er sie umarmen.   Oder die Jacke ihn.   Das Lächeln, das in seine Mundwinkel kroch, ließ er zu. Cas wirkte gleichermaßen verloren und hoffnungsvoll, wie er auf dem Bett hockte und auf Dean wartete. Der Anblick war ein Grund, zu lächeln. Ein Grund für so vieles mehr.   Es ist richtig. Du kannst das.   Wenn er sich nur an die eigenen Regeln hielt. Immer noch lächelnd ging er zum Bett herüber. Der Beschützermodus erlaubte ihm, Cas' Handgelenk zu greifen; vorsichtig, diesmal und, im Vergleich zu der hastigen Knetkur, beinahe zärtlich. Der Beschützermodus erlaubte Augenkontakt, ein festes Erwidern des fragenden Blickes, als er Cas sanft, aber bestimmt auf die Beine zog, ihm die Jacke von den Schultern nahm und sie achtlos über die Stuhllehne neben dem Bett warf. Der Beschützermodus erlaubte, dass er Cas berührte, ihm den Arm um die Schultern legte, ihn Richtung Bad schob, die andere Hand Nähe suchend an Cas' Arm gedrückt. Es tat gut, ihn unter seinen Händen zu spüren. Cas fühlte sich immer noch lebendig an. Nicht mehr ganz so verkrampft, nach wie vor wunderbar präsent. Erneut sehr nah.   Die unausgesprochenen Fragen verschwanden nicht aus Cas' Augen, doch in seinem Blick lag noch mehr. Er sah Dean von der Seite an, mit einem Ausdruck, der schwer an seinem Inneren zog. Zum ersten Mal seit Tagen war es kein Schmerz, kein Brennen, kein Reißen.   Es geht ihm schon besser. Vielleicht machst du ausnahmsweise mal was richtig.   Es fühlte sich an, als würde Cas Dean mit sich ziehen, während er Cas schob. Als steuerten sie gemeinsam in dieselbe Richtung, in ungeahnter Einvernehmlichkeit, ohne das Ziel zu kennen, nicht auf den Weg achtend. Wichtig war nur, dass sie ihn zusammen bestritten. Das, was Dean in Cas' glühendem Blick zu erkennen glaubte – war es mehr von dieser unerklärlichen Zuneigung, die der Engel absurderweise für ihn übrig zu haben schien?   Der Beschützermodus ließ kein Grübeln über diese Frage zu, wohl aber, dass Cas sich für die wenigen Schritte an Dean lehnte, sich in dessen halbe Umarmung hinein schmiegte. Er ließ zu, dass Dean es zuließ. Er ließ zu, dass es sich richtig anfühlte. Es war so gänzlich anders im Vergleich dazu, wie Cas auf dem Weg vom Auto zum Zimmer an ihm gehangen hatte.   Es ist nicht für mich. Für Cas!, ermahnte er sich immer wieder.   Vergiss die Nähe und denk bloß nicht mal dran, dich gut zu fühlen!   Der Beschützermodus forderte, dass Dean Cas vor der Badtür losließ. Er bückte sich zu seinem Seesack hinunter, förderte ein großes, sauberes Badetuch und sein Duschgel daraus zutage. Beides drückte er Cas in die Hand.   „Wasser ist heiß. Geh' duschen. Ich leg' dir was Sauberes zum Anziehen raus und besorg' uns was zu Essen.“   Cas nickte, nun selber lächelnd, auch wenn die Wachsamkeit hinter seiner Wärme nicht gänzlich verschwunden war. Er schloss die Tür hinter sich und Dean war mit sich selbst allein.   Erst jetzt wurde Dean bewusst, wie schnell sein Herz schon wieder schlug. Erst jetzt gestattete der Beschützermodus den ein oder anderen flüchtigen Gedanken über Cas' Nähe, über die ungeahnte, heilsame Wärme in seinem Brustkorb, für die diese Nähe verantwortlich war. Er erlaubte nicht, dass er sich diesem Gefühl hingab. Es war unangebracht, egoistisch, inakzeptabel, nichts, was er verdient hatte. Aber es war so präsent, wie Cas gerade eben noch in seinem Arm.   Dean riss sich zusammen. Er drehte den Heizkörper auf die höchste Stufe, legte die nassen Socken zum Trocknen darauf, ganz an den Rand, damit noch genügend Platz für anderes blieb. Er schlug das Bett auf, schüttelte Decken und Kissen zurecht, bis er mit dem Anblick zufrieden war. Die Ausstattung war schlecht, aber er würde so viel Komfort aus ihr hervor kitzeln, wie nur irgend möglich.   Schritt eins: Sicher, warm und sauber. In Gedanken wiederholte er es wie ein Mantra.   Dean verließ das Motelzimmer, beeilte sich, den zweiten Seesack aus dem Impala zu holen, den er für Cas gepackt hatte und warf ihn sich über die Schulter. Im Kofferraum fand er über dem Geheimversteck mit dem Waffenarsenal noch eine alte Wolldecke, die sauber aussah. Prüfend schnupperte er an dem verwaschenen, aber weichen grauen Stoff, der, genau wie der Impala, ein bisschen nach Benzin und Schießpulver roch, nach Rauch und vielleicht auch ein klein wenig nach Whiskey. Aber es war immerhin ein vertrauter Geruch und bis Cas richtig warm war, würde es schon gehen, fand er. Er faltete sich die Decke über die freie Schulter, dann angelte er sich eine der Einkaufstüten und den Plastikbeutel aus der Drogerie. Er schloss die Klappe und ging um den Wagen herum zurück zum Motel.   Als er seine Ausbeute zurück ins Zimmer trug, wartete Cas schon auf ihn. Der Engel stand etwas verloren mitten im Raum, Deans Badelaken um die Hüften geschlungen, die Hände frierend unter die Achseln geklemmt. Abgesehen davon war er nackt. Seine Haut dampfte von der heißen Dusche, Wasserdampf drang durch den Spalt der Badezimmertür, wirbelte ins kühlere Zimmer. Cas zitterte am ganzen Körper. Dean konnte die Gänsehaut auf drei Meter Entfernung ausmachen. Er beeilte sich, die Eingangstür hinter sich zu schließen, um nicht noch mehr kalte Abendluft herein zu lassen. Und um den Blick abwenden zu können, wenigstens für einen winzigen Moment. Damit hatte er nicht gerechnet. Wie dumm von ihm.   Wehe, du starrst ihn an! Untersteh dich!   Dean schluckte, fasste sich ein Herz, drehte sich wieder zu Cas. Und Dean konnte nicht verhindern, dass er sah, dass er den Anblick von Cas in sich aufsog, als würde er ihn zum ersten Mal deutlich erkennen. In vielerlei Hinsicht war es so. Cas hatte ihm noch nie so verletzlich gegenüber gestanden. Verwundbar, sich bereitwillig in seine Hände begebend, um Hilfe anzunehmen. Ja, Dean sah.   Cas war nicht zu dünn, nicht einmal dünn an und für sich; er war vielmehr sehnig, auch wenn man erkennen konnte, dass er in kurzer Zeit an Gewicht verloren hatte. Seine ganze Statur war ein Wechselspiel aus weich und kantig, aus Licht und Schatten. Das dunkle Haar hing ihm nass und wirr in die Stirn, tropfte feucht auf sanft gebräunte Schultern, ließ Perlen an seinem Schlüsselbein entlang rinnen.   Cas' Schlüsselbein.   Ein Bild, ein Gedanke vom Morgen, flackerte vor seinem geistigen Auge auf, etwas von Tattoos und Hexenbeuteln, mit denen er Cas hatte schmücken wollen. Das Bild in seinem Kopf hatte ihn so nervös werden lassen. Die Realität war besser. Und grausamer. Sie verspottete ihn, indem sie ihn Dinge denken, fühlen ließ, die nicht für ihn bestimmt waren.   Es ist eine Hülle. Hör auf zu glotzen!   Aber es war so viel mehr als das. Alles war immer irgendwie mehr, wenn es um Cas ging. Deans Blick kroch quälend tiefer, in einer Art ungehindertem Zwang, dem er sich nicht erwehren konnte. Über Cas' Rippen prangte tatsächlich eine henochische Tättowierung. Er machte die scharfe Kurve eines Beckenknochens über dem verrutschten Saum des Handtuchs aus. Den Pfad eines dunklen Schattens direkt unter dem Nabel.   Halt! Stop!   Dean war kurz davor, in Panik auszubrechen. Seine Augen schossen verzweifelt nach oben, fanden die von Cas', die ihn fragend, geduldig musterten. Sie waren so unbegreiflich blau und schafften es auf unerklärliche Weise, sein rasendes Inneres etwas zu erden. Cas' volle, aufgesprungene Lippen, die plötzlich näher in Deans Blickfeld gerieten, waren ebenfalls blau.   Shit! Er friert sich den Arsch ab und du stehst da und glotzt!   Der Beschützermodus übernahm das Kommando, ließ Dean die Taschen abstellen und den Seesack öffnen.   Sicher, warm, sauber!   Er fischte einige Kleidungsstücke heraus und ging damit und der Decke zur Heizung, um sie darauf auszubreiten. Aus seiner eigenen Reisetasche holte er ein weiteres Handtuch hervor, mit dem er sich Cas näherte. Der Beschützermodus hatte keinerlei Einfluss auf seinen hämmernden Puls. Der Beschützermodus forderte Dean dazu auf, das Handtuch behutsam um Cas zu schlingen und ihm die Haare trocken zu rubbeln. Strähnenweise rieb er das dichte Haar, bei jeder Bewegung darauf achtend, dass nichts ziepte, nichts riss, bis es aufgeplustert und fast trocken von Cas' Kopf abstand. Bei alldem ruhte Cas‘ vertrauensvoller, ruhiger Blick auf seinem Gesicht. Er wirkte noch immer erschöpft, ein wenig erschlagen. Aber das Leben war eindeutig in ihn zurückgekehrt.   Du hast was richtig gemacht!   Der Gedanke klang beinahe wohlwollend. Die Situation, der Anblick, die Nähe, das alles war so surreal, dass Dean ein leises, fast tonloses Lachen entwich. Er ließ das Handtuch aus Cas' Haaren bis auf seine Schultern gleiten und tupfte die glitzernden, feuchten Perlen auf seiner Haut fort. Cas legte den Kopf schief, eine anbetungswürdige fragende Geste, sein Markenzeichen, etwas, das so typisch für ihn war. Das Ziehen in Deans Innerem, das angenehme, nicht die Schmerzen, wurde stärker. Es zog hinter seinem Nabel, in seinem Magen, hinter seinem Brustbein, selbst in seinen Armen. Alles in ihm zog, drängte ihn, forderte, flehte, er möge sich dem Gefühl hingeben, die Zentimeter zwischen sich und Cas überwinden. Das Sehnen war stärker als jeder Protest in ihm; es war stark genug, um ungehindert zu bestehen, sich nicht vom Beschützermodus verdrängen zu lassen.   Und auf einmal dämmerte Dean, welcher Teil von ‚Familie‘ Cas seit geraumer Zeit für ihn war. Oder was er wollte, was Cas für ihn war. Die Erkenntnis kam in Form eines Gefühls und das Gefühl war gut. Aber auch voller Wehmut. Er wollte Cas nicht als Kumpel, nicht als Bruder, nicht als Freund, der kam und ging, wie es ihm passte. Und Dean, Dean wollte nur ein einziges Mal schwach sein, einmal egoistisch, einmal rebellieren, einmal nicht Johns Dean sein, nicht Sams. Nicht der Jäger Dean, nicht Erbe der Männer der Schriften, nicht Michaels wahre Hülle, nicht der rechtschaffene Mann, nicht der Frauenheld, nicht Dean aus der Hölle, nicht Dean aus Chucks Prophezeiungen – nein. Zum ersten Mal in seinem Leben wollte er Deans Dean sein. Zum ersten Mal in seinem Leben wollte er, dass Cas zu diesem Dean gehörte. Dass sie Partner waren. Gleichgestellt, auf Augenhöhe in ihrer Beziehung, füreinander da, sich einander hingebend. Er wollte, dass Cas diesen Dean, den echten, den Nur-Dean sah, ihn annahm und ihn akzeptierte, betete verzweifelt, dass es dieser Dean war, den Cas wollte.   Hatte Cas das vielleicht bereits getan, wenn er so von seiner Seele sprechen konnte?   Deine Seele muss abscheulich sein, Junge.   Alastair?   „Geht es dir gut, Dean?“   Die rauchige Stimme traf ihn, ebenso wie ein warmer Atemzug, der ihm sanft über Kinn und Lippen strich. Cas war wirklich verdammt nah. Dean roch sein eigenes Duschgel, aber die Wirkung auf Cas' Haut und in seinen Haaren war eine gänzlich andere. Er roch erdig und süß und dunkel und leicht. Wie Heide im Regen, Dünen an einem lauen Sommerabend, Holz, das in der Sonne trocknete. Frischer Wind, der durch die Äste des Baumes an Bobbys Hütte am See fuhr. Vertraut. Geborgen. Wild. Frei.   Der Beschützermodus hatte keine Chance. Er war kein Teil des Deans, der er sein wollte. Der Beschützermodus hieß, zu funktionieren, nicht zu denken, er bedeutete Selbstaufgabe, Zweifel, Schuld. Der Beschützermodus handelte nicht aus Liebe.   „Weiß nicht, Cas“, krächzte Dean.   Und plötzlich fiel Dean auf, dass Cas schon immer so gerochen hatte. Dass er in seiner menschlichen Hülle schon immer so ausgesehen hatte. Dass Cas ihm schon immer so nahe gewesen war. Cas wirkte nach seiner Antwort, der ersten ehrlichen Antwort auf die Frage nach seinen Gefühlen, nahezu alarmiert.   Er macht sich Sorgen. Wieso macht er sich Sorgen? Dean setzte an, auszusprechen, was er gedacht hatte. Zu fragen. Er hatte es wirklich vor. Vielleicht hätte er es sogar gekonnt. Nur hob Cas in diesem Moment die Arme und legte sie um Dean, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Cas tat, was Dean nicht geschafft hatte. Er zog ihn zu sich heran, bezwang das letzte Stück der Distanz zwischen ihnen, bettete Deans Kopf mit fast schon schmerzlicher Menschlichkeit auf seiner nackten Schulter und hielt ihn wortlos im Arm. Und Dean sagte nichts. Dean fühlte nichts. Es war ein gutes Nichts, ein erfülltes. Es ließ keinen Raum für Schmerz oder Zweifel.   Dean war einfach nur Dean und spürte, wie kühle Fingerspitzen behutsam seinen Nacken streichelten.     *     Es hätte seltsam werden können, dessen war Dean sich voll und ganz bewusst. Aber das wurde es nicht. Dean hatte Cas mit den auf der Heizung angewärmten Sachen zurück ins Bad geschickt, während er selbst einige Dosen Suppe und ein Paket Sandwich-Scheiben aus den Einkäufen kramte und die Suppe mithilfe der elektrischen Herdplatte des Motelzimmers erhitzte. Nachdem Cas in Stricksocken (ein Geschenk von Jody Mills), einer Jogginghose und einem alten AC/DC-Shirt von Dean zurück ins Zimmer gekommen war, hatte Dean ihn in die ebenfalls vorgewärmte Wolldecke gewickelt, ihm Gullaschsuppe und trockene Sandwich-Scheiben gebracht und ihn anschließend ins Bett verfrachtet. Es war keine Mahlzeit, auf die Dean stolz war, nicht, seitdem er im Schutz der Bunkerkücher seine heimliche Leidenschaft fürs Kochen wiederentdeckt hatte, aber sie erfüllte ihren Zweck. Während Cas unbeholfen mit einer Hand sättigende Wärme in sich hinein schaufelte, desinfizierte und verband Dean die andere sorgsam mit einem Teil des Inhaltes aus der Drogerie-Tüte. Der Beschützermodus meldete sich den ganzen Abend über nicht mehr; nicht einmal, als er den in die Wolldecke gemummelten Cas auch noch mit der Bettdecke zudeckte und sich mit der Fernbedienung neben ihn aufs Bett schwang. Auf die Bettdecke und in angemessenem, aber nicht übertriebenem Abstand.   Es hätte seltsam werden können.   Stattdessen war es friedlich. Auf dem kleinen altersschwachen Röhrenfernseher mit dem nervtötenden Flimmern am unteren Rand fanden sie einen Sender, der die ganze Nacht über Sylvester Stallone Filme übertrug und Dean versank dankbar in den minutenlangen Szenen voller Geballer, Explosionen und Gebrüll der Expendables. Und in Cas' Nähe.   Essen, Ruhe, Nähe.   Auf den Alkohol konnte er überraschenderweise an diesem Abend gut verzichten. Dean spürte Cas' Anwesenheit neben sich mit jeder Pore, mit jeder Faser seines Seins, so dass er im Verlauf des Films ein paar Mal zu ihm herüber sehen musste, um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht tatsächlich berührten, sondern seine Nähe sich auch ohne direkten Kontakt absolut elektrisierend anfühlte. Wider Erwarten war es nicht unangenehm.   Hätte er dieses Knistern in einer Bar mit einer Frau erlebt, wäre er schnell ungeduldig geworden, hätte nicht lange standhalten können, hätte einfach mit seinem rauen Charme dafür gesorgt, dass er bekam, wonach es ihm verlangte. Bloß: Er hatte noch nie vergleichbare Gefühle für jemand anderen gehabt. Mit Cas war alles anders. Cas war – Cas. Und erschreckenderweise war Dean vielleicht zum ersten Mal überhaupt wirklich einfach nur Dean. Die ganze Nacht über fühlte er sich wie ein Teenager. Jung, unerfahren, sorglos. Die Art von Teenager, die er nie gewesen war.   Er konnte nicht sagen, wie es Cas neben ihm erging. Er wusste nur, dass Cas jeden seiner Blicke erwiderte und eine so tiefe, volle Wärme in ihnen lag, dass ihm mit jedem Mal ein wenig schwummriger zumute wurde. Teil eins der Filmreihe endete und während Dean sich dabei ertappte, dass er zu den Klängen von The Boys are back in Town im Abspann leise mitsummte, hörte er Cas neben sich herzhaft gähnen.   „Schlafenszeit für kleine Engel“, sagte Dean trocken, aber mit einem Lächeln, als er sich ein wenig zu Cas herüber lehnte und ihn ansah.   „Ich bin nicht klein, Dean“, antwortete Cas mit solcher Ernsthaftigkeit, dass Dean vor sich hin gluckste.   „Für einen Engel liege ich genau im Durchschnitt.“   „Mhm, Chrysler Building.“   Dean erlaubte sich ein wissendes Grinsen und fing sich dafür einen unergründlichen Blick ein. „Was auch immer, ich wollte eigentlich wissen, ob du müde bist, Cas!“   „Oh ja, das bin ich. Und wie!“   „Trifft sich gut, ich auch.“   Cas machte sich schläfrig daran, sich aus seinen Decken zu schälen und wirkte dabei äußerst widerwillig, die Wärme des Nests auf dem Bett zu verlassen. Bis er so weit war, hatte Dean bereits den Fernseher ausgeschaltet, war zum Bad getapst und mit der Zahnbürste im Mund wieder zurückgelaufen.   „Brauchst du eine?“, fragte er zwischen Borsten und Zahnpasta hindurch, auf seine eigene Zahnbürste deutend.   „Ist noch eine in deiner Tasche.“   Cas sah zu dem Seesack am Boden, aus dem Dean ihm die Kleidung gegeben hatte, die er nun am Körper trug. Dean merkte, dass es bei der Erwähnung von ‚deiner Tasche‘ in Cas' Kopf zu arbeiten begann.   „Meine Zahnbürste liegt noch im Lagerraum an der Arbeit“, sagte Cas und runzelte die Stirn. „Ich brauche also tatsächlich eine neue. Wie umsichtig von dir, Dean.“   Dean zuckte die Achseln und trat den Rückzug ins Bad an, um den Schaum in seinem Mund loszuwerden. Im Spiegel sah er, wie Cas, beinahe ein wenig schüchtern, hinter ihm auftauchte. In der Faust hielt er die noch eingeschweißte Zahnbürste.   „Die hier kann ich benutzen, richtig?“, fragte er und suchte Deans Augen im Spiegelbild.   Dean wischte sich mit seinem Handtuch das Gesicht trocken und erwiderte den Blick.   „Ist deine, Cas“, brummte er, „Hab' die für dich eingepackt.“   Die Reaktion darauf war das übliche Kopfneigen und ein kleines Lächeln. Dean verbarg das Gesicht einmal mehr im Handtuch, um die eigene Verlegenheit nicht vor sich sehen zu müssen.   Lächerlich, dass ich so ... so ...weich werde, wegen ihm!   Plötzlich spürte er eine Hand auf seinem Rücken, unendlich sanft, aber nachdrücklich, eine Berührung, deren Natur ihn eher zusammenfahren ließ, als die Überraschung über den Körperkontakt an sich.   „Danke, Dean.“   Die Stimme, die Berührung waren genau das, was er brauchte, um nicht den Kopf zu verlieren, um nicht mit Flucht zu reagieren.   Wie macht Cas das?   „S‘schonokay“, nuschelte er zurück, beschämt darüber, wie intensiv er auf diesen harmlosen Kontakt reagierte und vor allem darüber, wie er überhaupt in die Verlegenheit gekommen war, Cas eine Zahnbürste aus Lebanon mitbringen zu müssen. Aber sie hatten vereinbart, das Thema für den Rest der Nacht ruhen zu lassen. Dean musste sich eingestehen, dass sein Kopf dankbar über diese Pause war. Er hatte ihn sich seit Tagen genug zerbrochen. Cas machte es ihm so merkwürdig leicht. Vor allem ermöglichte er es Dean, seine Nachsicht auch wahrhaftig anzunehmen.   Er wirkt nicht so, als gäb‘s da irgendein Problem zwischen uns …   Deans Telefon klingelte. Es klang wie ein Misslaut in der friedlichen Stille ihrer Zweisamkeit. Cas nahm die Hand nicht fort, hielt sie beharrlich an seinen Körper gelegt, was dazu führte, dass er ihm vom Rücken bis über den Bauch streichelte, als Dean sich um sich selbst drehte, Richtung Cas und Tür.   „Ehm“, brachte Dean zustande, und musste feststellen, dass eine prickelnde Gänsehaut mit einem Mal seinen ganzen Körper überzog.   „Ich sollte vermutlich dran gehen. Könnt' wichtig sein, um die Uhrzeit ...“   Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber Cas nickte zustimmend und nahm die Hand weg. Dean bekam noch mit, dass er seine neue Zahnbürste auszupacken begann, bevor er zurück ins Zimmer sprintete, um nach seinem Handy zu suchen. Er fand es in seiner Jacke, die immer noch unordentlich über der Stuhllehne hing, nachdem er sie Cas ausgezogen hatte.   „Sam? Ja? Bin da!“, sagte er ein wenig atemlos, nachdem er den Anruf angenommen und sich das Handy ans Ohr gedrückt hatte.   „Dean! Dir geht es gut! Geht es dir gut? Mann, du wolltest dich melden, was ist los mit dir?“ Erleichterung, Sorge und Verärgerung schwappten mit der Stimme seines kleinen Bruders durchs Telefon.   Ach, Mist.   „Ja, Mann, alles gut. Sorry ... Ich hab die Zeit vergessen. Der ... Fall hat länger gedauert“, erklärte er unzusammenhängend, aber mit einem Hauch echten Bedauerns. Er hatte Sam keinen Kummer bereiten wollen. Nicht mehr also sonst schon. Sam holte hörbar Luft. Im Hintergrund sagte jemand undeutlich etwas. Dean erkannte den Sprecher als Kevin.   „Ja, ihm geht's gut“, sagte Sam, wobei seine Stimme etwas leiser klang, so als habe er sich kurz vom Telefon abgewandt, um mit Kevin zu reden.   „Idiot!“, kam es dann wieder laut und deutlich an Dean zurück.   „Miststück“, konterte Dean automatisch.   Eine kurze, nicht unangenehme Pause, in der Sam seine Erleichterung und Frustration hinunterschlucken konnte. Dean wusste, dass sein Bruder sich in der vergangenen Woche um ihn gesorgt hatte.   Seit Cas verschwunden ist. Ich war wohl ‘n bisschen daneben, in der Zeit …   „Was war los, wo bist du?“, fragte Sam etwas versöhnlicher.   Die Badezimmertür ging auf, bevor Dean antworten konnte, und Cas kam ins Zimmer. ‚Sam‘, formte Dean mit den Lippen und verdrehte gespielt die Augen.   „Grüß ihn von mir“, bat Cas und griff nach der Decke aus dem Auto, um sich wieder hinein zu wickeln. „Kevin natürlich auch.“   „Dean? Ist das Cas?“   „Ja! Warte!“ Dean drückte Cas kurzerhand das Telefon in die unverletzte Hand.   „Grüß ihn selbst, Cas! Ich geh‘ duschen.“   Er grinste den Engel an, griff nach seiner Tasche und ignorierte die Verwunderung in Cas' Gesicht.   Sam hat ihn auch vermisst und seit ‘ner Woche nichts von ihm gehört, dachte Dean, zog die Badezimmertür leise hinter sich zu und begann, sich auszuziehen. Durch das dünne Holz hörte er, wie Cas auf Sams Fragen antwortete. Vielleicht war es ganz gut, dass er darüber hinaus nichts von dem Gespräch mitbekam, überlegte er, als er das Wasser aufdrehte und unter den eiskalten Strahl der Dusche stieg. Cas hatte sämtliches Warmwasser aufgebraucht. Aber das war okay. Dean war sich immer noch sicher, dass er am heutigen Abend ausnahmsweise einmal etwas richtig gemacht hatte.   Für die Familie. Der Beschützermodus, John, Alastair und Sammy schwiegen.     *   Als Dean aus dem Bad kam, frierend, aber sauber, in T-Shirt und Jogginghose, ähnlich wie Cas, saß der Engel erneut auf der Bettkante. Die Wolldecke war locker um seine Schultern geschlungen und Deans Smartphone lag mit schwarzem Display neben Cas auf der Matratze.   „Gutes Gespräch?“, fragte Dean – und stoppte auf halbem Weg zum Bett, als er plötzlich begriff, was Cas in den Händen hielt. Es war eine Postkarte, eine, mit einem hässlichen Knick in der Mitte und Eselsohren, eine Postkarte mit dem Motiv einer seltsamen Ente auf der Vorderseite.   „Woher– ?“   Cas studierte die Karte, ihre beschriebene Seite, als sei sie ein faszinierendes wissenschaftliches Schaustück, an dem ihm besonders viel läge.   „Sie lag auf dem Boden. Sie muss aus deiner Jacke gefallen sein.“   Etwas unsicher stand Dean vor Cas. Der neue Dean, der, von dem er sich mit jeder Faser wünschte, es sei der echte, war noch da. Nein, eigentlich war dieser Dean gar nicht neu; es hatte ihn schon immer gegeben, irgendwo. Bisher hatte er nie die Überhand nehmen dürfen. Er war unerfahren.   „Die war für Kevin“, versuchte er zu erklären.   Unerfahren und viel zu verletzlich.   „Auf der Karte steht mein Name“, stellte Cas fest und sah zu Dean auf. In seinem Blick lag keine Spur von Urteil, vielmehr so etwas wie Überraschung.   „Wann hast du das geschrieben?“   „Gestern Nacht“, sagte Dean. Seine Stimme fühlte sich rau und sperrig an, als hätte er sie seit Ewigkeiten nicht benutzt. „Im Auto, nachdem ich sie gekauft hab‘.“   Cas' Finger strichen behutsam über die beiden Zeilen auf der Karte, die durchgestrichen waren. Dean musste nicht hinsehen, um sich daran zu erinnern, welche Worte er hatte loswerden wollen und sie doch nicht gänzlich hatte hervorbringen können.   „Cas, du verdammter Schweinehund. Ich bin 900 Meilen gefahren, um dich zurück nach Hause zu holen. Ich kann nicht Du kannst nicht zurück in den Bunker ...“   Cas musterte Deans Gekrakel mit so viel Nachdruck, als würde es mehr Sinn für ihn ergeben, wenn er es nur lange genug anstarrte.   „Der Grund, warum du gesagt hast, dass ich ... dass ich ...“, begann er zaghaft und so leise, dass Dean im ersten Moment nicht sicher war, ob er sich die Worte eingebildet hatte.   Cas holte zitternd Luft. Dean bekam im Angesicht dieser Unsicherheit mit einem Mal eine grobe Vorstellung davon, was vermutlich in Cas vorging. Er war nicht der einzige, der dabei war, sich kopfüber in unbekannte Gefilde zu stürzen. Er war nicht der einzige, der sich sorgte und darum kämpfte, die Kontrolle über etwas zu wahren, das er eigentlich längst verloren hatte. Vor allem war er nicht der einzige, der eine Heidenangst vor all dem Fremden und Neuem in seinem Leben hatte und sich nicht traute, das zuzugeben, weil es einen so schwach wirken ließ. Und nutzlos.   „Der Grund, warum ich nicht bleiben durfte, war nicht, dass ich keine Gnade mehr habe, oder? Du hältst mich nicht für ... für nutzlos?“   Da war es. Nutzlos.   Dean spürte, wie ihm Trauer in Stirn und Schultern kroch, schwer und kühl, wie Regen. Es war ein unwirkliches, aber präsentes Gefühl.   Nur, weil Dean sich bei Cas entschuldigt hatte, bedeutete das nicht, dass Cas keine Ängste hatte. Nur, weil Cas ihm verziehen hatte, hieß das nicht, dass der Engel ihn von nun an automatisch verstand.   Dean schüttelte stumm den Kopf.   Die Trauer war sehr rein, ungetrübt, nicht, wie normalerweise, durchzogen von einem Wirrwarr unterschiedlicher Empfindungen, die er nicht zuordnen, nicht greifen konnte. Es musste daran liegen, dass nichts und niemand ihn daran hinderte, dass er sie fühlte. Die Trauer drückte auf seine Lider.   „Du wolltest heute nicht mehr über das ganze Zeug reden“, schaffte Dean einzuwenden, ein halbherziger Protest. Cas ignorierte ihn.   Es war ihm unbegreiflich, warum er sich ausgerechnet jetzt, diesen Moment, ausgesucht hatte, um über das Thema zu sprechen. Nach allem, was am Tage vorgefallen war. Nachdem die Welt am Abend plötzlich auf das hässliche Motelzimmer zusammengeschrumpft war und seit ein paar Stunden wundersamerweise nur noch aus ihnen beiden bestand. Sich für zwei Stunden beinahe heil angefühlt hatte, vollständig. Gut und richtig so, wie sie war.   „Du ... du hattest deine Gründe, Dean?“, fragte Cas ein klein wenig fester, aber immer noch so leise.   Er nickte ergeben. Alles in ihm sträubte sich gegen die Unterhaltung, aber der Engel ließ nicht locker. Mit dem Gespräch ließ Cas automatisch die wirkliche Welt in den kleinen Raum, riss die schützenden Mauern um sie herum ein, nahm dem Zimmer das Gefühl von ‚Zuhause auf Zeit‘, das Dean mühsam für sie aufzubauen versucht hatte. Nur für eine Nacht.   Dean musste wieder Dean werden. Zu einem der vielen anderen auswechselbaren Deans, die alle ihre Lasten trugen; weitaus schwerer, als flüchtige Sehnsüchte nach dem Moment, den er nun aufgeben sollte. „Hast du einen Deal gemacht?“, fragte Cas und seine Stimme klang plötzlich eine Spur schärfer. Und näher, viel näher.   Oh, Fuck.   Wie durch einen Schleier hindurch sah er, dass Cas aufgestanden war und direkt vor ihm stand, weniger als eine Armeslänge entfernt.   „Es hat nichts mit dir zu tun! Es ist kein Deal. Nicht so, wie du denkst!“   Scheiße!   Jetzt hatte er zu viel verraten, das hatte er nicht sagen wollen. Nicht nur nicht sagen – er hatte es Cas förmlich ins Gesicht geschrien, als eine ungeahnte Panik von ihm Besitz ergriff, die die Trauer für den Moment beiseite schob. Cas blinzelte über diesen Ausbruch nicht einmal. Stattdessen betrachtete er Dean eine Zeit lang einfach nur. Er wirkte nach wie vor niedergeschlagen, aber nicht ängstlich, zumindest nicht, weil Dean herumschrie.   „In Ordnung. Ich glaube dir.“   Vermutlich stimmte das auch, aber es zu hören, tat seltsam weh. Die Worte waren ein Zeichen dafür, dass vielleicht doch immer noch einiges an Vertrauen fehlte. Einander Glauben zu schenken, war keine Selbstverständlichkeit mehr. Und Cas schien es genau so zu ergehen, denn er sagte: „Es war auch nicht, weil … du mir nicht genug vertraust, um mich in deiner Nähe zu wollen?“ Die Härte war aus Cas‘ Stimme verschwunden, stattdessen klang er wieder unsicher, vorsichtig.   „Nein“, murmelte Dean.   „Liegt es an mir, dass du es nicht sagen kannst?“   Kopfschütteln.   „Aber du kannst es mir nicht sagen.“ Es war eine Feststellung. Trotzdem nickte Dean.   Ich wünschte, ich könnte. Ich wollte nie, dass du gehst.   Mit einem Mal war da eine nasse Spur auf seiner linken Wange. Sie fühlte sich so unwirklich an wie die Traurigkeit selbst, so dass er einen Moment brauchte, um zu begreifen, dass er möglicherweise weinte. Er hob den Arm, wischte die Träne ärgerlich mit dem Handrücken fort.   Cas betrachtete sein Gesicht mit einer Art bekümmerter Faszination. So, als habe er in diesem Moment etwas Neues über Dean gelernt, etwas, das er als große Bereicherung empfand, aber das auch einen gewissen Kummer mit sich brachte. Dean ging auf, dass Cas ihn noch nie weinen gesehen hatte. In den unvorstellbar schlimmsten Zuständen, ja. Im Schlaf, im Vollrausch, verkatert, ohnmächtig, blutend, schmutzig, nackt, im Fegefeuer, in der Hölle, als Täter, als Opfer. Aber noch nie so.   Eine Weile standen sie einander stumm gegenüber, musterten sich. Anspannung lag in der Luft, eine gänzlich andere Art von Elektrizität als noch im Laufe des Abends. Dean fragte sich, was Cas in ihm zu erkennen glaubte. Allmählich begann die Situation ungemütlich zu werden, doch zu seiner Überraschung war es Cas, der zuerst das Schweigen brach.   „Was hast du jetzt vor, Dean?“   Er musste nicht lange überlegen, um zu antworten: „Ich nehm‘ dich morgen früh mit zurück nach Lebanon.“   „Und dann?“   Verdammt.   Das war genau der Punkt.   Was dann?   „Dann … Das sehen wir, wenn wir da sind!“, sagte er laut, wie um besonders überzeugend und selbstsicher zu klingen. Dass er dabei ganz gewaltig versagte, wusste er selbst. Auch Cas schien seine Unsicherheit herauszuhören, denn er sah ihn noch eine Spur durchdringender an.   „Dean.“   „Erstmal kommst du mit zurück und zu Hause sehen wir weiter, hab‘ ich gesagt!“   Mehr Nachdruck. Das half immer. Meistens.   „Dean.“   Manchmal.   „Du bleibst auf keinen Fall hier. Und ich lass‘ dich auch nicht wieder sonst wohin verschwinden!“   „Dean!“, rief Cas, sein Blick fast flehend.   „Was denn?“   „Ich – ich möchte auf keinen Fall eine Last sein, aber … Ich kann nicht mehr bei euch wohnen, oder?“   „Natürlich kannst du bei uns –“ Die Antwort war schneller aus ihm herausgeplatzt, als er nachdenken konnte.   Sammy.   Ezekiel.   Sammy!   „Nein. Nicht jetzt. Tut mir leid, Cas. Vielleicht … vielleicht bald wieder. Und wir … wir feiern Thanksgiving zusammen, ja?“ Cas sah nicht verletzt aus, schien mit dieser Antwort gerechnet zu haben.   „Dean?“   „… ja?“   „Hilfst du mir dabei, eine Wohnung zu finden? Oder irgendeinen Ort, wo ich bleiben kann, bis ich … Ich möchte nicht mehr auf der Straße schlafen. Ich glaube, ich kann das nicht.“   Cas so verzweifelt zu sehen, tat weh. Dass er Dean um Hilfe bat, war ein schwacher Trost, aber etwas, worauf sich aufbauen ließ.   „Ich helf‘ dir. Klar helf‘ ich dir.“     *   Im Motelzimmer war es dunkel. Die fleckigen Vorhänge ließen gerade genug Licht von der Straßenlaterne vor dem Fenster herein, so dass man grobe Umrisse im Raum erkennen konnte. Dean fror, gleichzeitig stand ihm vor Anspannung der Schweiß auf der Stirn. Sein rechtes Bein ragte angewinkelt über die Bettkante hinaus, mit dem Fuß stützte er sich auf dem Boden ab. Er wusste nicht, wie lange er sich schon so auf der Matratze hielt; beschämenderweise hatte der Krampf in seinem Schenkel bereits nach wenigen Minuten in dieser Position eingesetzt. Es war mitten in der Nacht und Cas schlief neben ihm; zumindest ging er davon aus, dass Cas schlief. Das ruhige Atmen sprach dafür. Sie teilten sich das einzige Bett und Dean tat alles dafür, um jeden vermeidbaren Körperkontakt zwischen ihnen zu verhindern.   Ein Zittern durchlief die malträtierten Muskeln und er wünschte, er hätte sich nicht zum Schlafen in Boxershorts entschieden. Sein rechtes Bein war eiskalt. Die ganze Angelegenheit war schon ungemütlich genug. Das Zittern wurde stärker, seine Muskeln protestierten. Neben sich spürte er eine Bewegung, konnte das leise Rascheln der Decken und Laken hören, als Cas näher an ihn heran rückte. Wenn Dean noch weiter auswich, würde er fallen. Als er die Option in Erwägung zog, die restliche Nacht auf dem Boden zu verbringen, spürte er den vorsichtigen Griff zweier Hände, eine davon bandagiert, auf der bloßen Haut. Sie zogen an seinem Arm.   „Dir ist kalt, du zitterst. Komm richtig unter die Decke“, flüsterte Cas unerwartet nah an seinem Ohr. Er klang hellwach. Überraschend widerstandslos ließ Dean sich von Cas mehr in die Mitte des Bettes ziehen. Die Matratze war dort, wo Cas zuvor allein gelegen hatte, deutlich wärmer und Dean sah zu, dass er sein kaltes Bein unter die Decke bekam. Ausgestreckt im Warmen unter Decken zu liegen, war definitiv eine Verbesserung zur vorherigen Lage. Dagegen ließ sich nicht im Geringsten etwas sagen. Dean lag auf dem Rücken und starrte ins Halbdunkel. Dass er Cas der Länge nach an seiner linken Seite fühlte, war eine andere Hausnummer. Dagegen ließ sich schon einiges sagen.   Die Berührung war zurückhaltend, aber vorhanden. Eine Stirn, die sich vorsichtig an seine Schulter lehnte. Fingerspitzen, die nur halb von seinem Unterarm geglitten waren und nun hauchzart, wie eine stumme Frage, darauf und auf seinem Handrücken liegen blieben. Ein angewinkeltes Knie, das seitlich gegen seinen Schenkel stieß, Zehenspitzen, die seine Wade streiften.   „Du bist kalt“, stellte Cas im Flüsterton fest. Dean stieß ein zustimmendes Brummen aus.   Cas‘ Hände verschwanden von Deans Arm, und er hob die Bettdecke an, um die darunterliegende Wolldecke, in der er eingewickelt gewesen war, auch über Dean auszubreiten. Sein linker Arm griff unter der Wolldecke hindurch, schlang sich mit ihr um Deans Oberkörper – und blieb auf ihm liegen.   Cas war noch näher an ihn herangerückt. Sein Kopf ruhte jetzt beinahe auf Deans Schulter, sein Arm lag quer über seiner Brust und hielt die Decke über seinem Körper fest.   „Körperwärme ist sehr effektiv, Dean“, murmelte er. Seine Stimme klang noch immer wach, aber mit einem Mal tiefenentspannt, als hätte sich in seinem Inneren etwas gelöst. Dean wusste keine Antwort darauf. Das Herz schlug ihm so heftig in der Brust, dass er sich fragte, ob Cas es durch sein T-Shirt spüren konnte. Vermutlich.   Cas hat kein Problem damit. Dann … muss ich das auch nicht haben, oder? Es ist okay. … Ist es okay?   Keine Antwort, weder von Cas, noch in seinem eigenen Kopf. Dean war ratlos.   „Frieren zu müssen, ist schrecklich. Du sollst nicht frieren und wir haben genug Platz und Decken.“   „Ich frier‘ gar nicht“, widersprach Dean halblaut.   „Du hast so gezittert, dass das Bett gewackelt hat.“   „Oh.“   Dass das in erster Linie der Protest seiner Muskeln gewesen war, brauchte Cas ja nicht unbedingt zu wissen. Cas seufzte leise an seiner Schulter. Es klang … zufrieden. Und ja, eigentlich war es gar nicht allzu schlecht, so dazuliegen. Es war warm. Wenn das alles nicht so absurd, surreal, bedenklich gewesen wäre, hätte Dean fast behauptet, das Gefühl, das sein rasendes Herz zaghaft berührte, wäre Glück. Vollkommenheit.   Cas.   Das Gefühl war Cas.   Oder vielleicht waren es auch nur Cas‘ Finger, die behutsam über seine Brust strichen, so beruhigend, bis er wieder atmen konnte.   Die weiche Decke um sie herum roch nach Impala. Cas roch nach Cas.   Cas ...   ,Zu Hause' - kein Ort, sondern ein Gefühl. Dean konnte hinterher nicht mehr sagen, wie es passierte. Sie beide waren erschöpft und inzwischen musste die Nacht schon in die frühen Morgenstunden geglitten sein. Und doch schliefen sie nicht. Dean hielt Cas‘ Hand an seiner Brust. Den Griff hatte er ein wenig gelockert; Cas hätte sich ihm leicht entziehen können. Stattdessen ließ er seine Hand von Dean halten.   Nicht für mich … Cas will das auch … Es ist okay.   Es fühlte sich nicht falsch an, bloß … nah. Auf eine unbekannte, berauschende Art. Vielleicht nicht nah genug.   Es ist okay.   Dean versuchte, den Kopf zu drehen, einen Blick auf Cas‘ Gesicht im Dämmerlicht zu erhaschen. Bestätigung dafür, dass es in Ordnung war, dass Cas das hier wirklich nicht seltsam fand, dass sie nichts Falsches taten. Cas musste ebenfalls den Kopf gehoben haben, denn Deans Nasenspitze streifte Cas‘ Wange, prickelte, als sie überraschend auf Bartstoppeln traf.   Und mit einem Mal fand sein Mund Cas‘ Lippen, volle warme Lippen, rau und gleichzeitig unendlich weich. Einige Herzschläge lang berührten sie einander nur, atemlos in der Empfindung verharrend, bis der Moment, es als Zufall abzutun, lange verstrichen war.   „Dean“, murmelte Cas an seinem Mundwinkel.   Es war kein Protest. Keine Frage.   Es war eine Bitte.   Bleib bei mir.   Und Dean küsste Cas.     *     Ich bin 900 Meilen gefahren, um dich zurück nach Hause zu holen. Wir kriegen das hin. D.W.     *   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)