Stand by me von Puppenspieler ================================================================================ I - Es war das erste Mal seit dem Ende der Verheerung Ganon, dass er Fuß ins Dorf der Zora setzte. Das erste Mal seit über einem Jahrhundert, dass er hier war, ohne eine endlos schwere Bürde auf den Schultern zu tragen. Hyrule war gerettet. Natürlich gab es noch immer unzählige Dinge zu tun, Wiederaufbauarbeiten zu leisten. Ganons Terror hatte Folgen hinterlassen, an denen Land und Leute noch lange zu tragen haben würden, doch die Wunden konnten heilen. Da war kein großes Grauen mehr, das es zu vernichten galt.   Nichts, das ihn davon abhielt, sich seiner persönlichen Vergangenheit zu stellen.   „Link.“ Zeldas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Ohne eine Miene zu verziehen wandte er sich zu seiner Gefährtin um. In ihrem Blick lag Sorge, und er sah die stumme Frage, die es noch nicht über ihre Lippen schaffte. Ja, es ist hart. Es zerreißt mir das Herz, hier zu stehen. Er schüttelte den Kopf, bevor Zelda ihre Frage verbalisieren konnte, kaum dass die junge Frau die Lippen öffnete. Sie schloss den Mund nach kurzem Zögern wieder. Sie verstand. Sie hatten beide Verluste erlitten, die zu schmerzhaft waren, um jemals verwunden zu werden. Und da, wo Zelda in Momenten der Schwäche nur zu gern ins Plappern geriet und stundenlang Geschichten über ihre liebste Freundin Urbosa erzählen konnte, hielt Link es mit seinem eigenen Herzschmerz, wie er es mit jeder Bürde hielt – er schulterte sie schweigend.   Anders könnte er Miphas Vater auch gar nicht entgegentreten. Der alte Zora-König hatte selbst genug Schmerz erlitten. Link könnte ihm niemals sein eigenes Leid aufbürden.   Die Statue Miphas, die inmitten des Dorfes aufragte, ließ ihn innehalten. Es dauerte einen Augenblick, bis ihm bewusst wurde, dass auch Zelda neben ihm stehen geblieben war. Es war so befremdlich, sie zu sehen. Es war schon beim ersten Mal befremdlich gewesen, auch wenn ihrem Anblick zu verdanken war, dass seine Erinnerungen an die Zora-Prinzessin zurückgekehrt waren. Inzwischen war es nicht mehr nur befremdlich, es war herzzerreißend. Ein Monument eines Lebens, das viel zu früh geendet war. Sie sah so lebensecht aus, als könne sie jederzeit wieder in Bewegung kommen, von ihrem Podest herabsteigen. Es war Link, als könne er ihre Stimme hören:   „Da bist du ja! Danke, dass du mich wirklich noch einmal besuchst.“   Es kostete Link alle Mühe, sich abzuwenden. Weiter zu gehen, die Treppen hinauf zum Thronsaal des Königs. Jeder Schritt schien schwerer zu wiegen, und mehr als einmal musste er den Impuls unterdrücken, sich zu dem Denkmal seiner alten Freundin umzuwenden. Vor dem Thronsaal blieb Zelda noch einmal stehen. Sie lächelte, während sich Wehmut in ihren Augen spiegelte. „Ich bin sicher, König Dorephan ist froh. Dass wir noch hier sind, und ihm von seiner Tochter berichten können. Auch wenn es ungerecht sein mag, dass wir flimsigen Hylianer noch hier stehen, weit über unsere Lebensspanne hinaus.“   Link schwieg.       ***     Der König empfing sie in aller Freundlichkeit, die viele der anderen Zora ihnen immer noch nicht wieder ganz entgegenbringen konnten. Er erzählte, was sich im Dorf der Zora seit dem Fall der Verheerung Ganon getan hatte. Link verfolgte das Gespräch über den Stausee und Vah Ruta nur mit mäßigem Interesse – er war in solchen Dingen nicht versiert. Alles, was er über Vah Ruta wissen musste, war, dass der kühne Recke, der das riesige Ungetüm gesteuert hatte, endlich seinen Frieden gefunden hatte und nicht länger als flüchtiges Abbild seiner Selbst in dieser Welt harren musste. Mipha war fort. Sie musste nicht mehr einsam und verzweifelt sein. Es war gut. Link war dennoch nicht glücklich.   „Wenn es für Euch in Ordnung ist, werden wir einige Tage bleiben. Ich möchte wirklich sichergehen können, dass ich genug Zeit habe, Vah Ruta gründlich zu inspizieren. Es mag keinen schwerwiegenden Grund haben, dass es zum Stillstand kam, aber es ist besser, wenn wir sichergehen.“ Der alte Zora-König lächelte, wobei Falten sein Gesicht zerfurchten. „Es ist mir eine Freude, wenn Ihr bleibt, Prinzessin – Gleiches gilt natürlich auch für Euren Begleiter. Miphas Freunde sind mir immer gern gesehene Gäste. Sie wäre gewiss nicht zufrieden mit ihrem alten Vater, wenn ich Euch einfach wieder fortschicke.“ Zelda lachte sanft. Es war alle Überleitung, die sie brauchte, um eine Anekdote aus ihrer Bekanntschaft mit Mipha zu erzählen.   Inzwischen hörte Link aufmerksam zu.   Er kannte Mipha. Er kannte einige der Anekdoten, die Zelda erzählte, vor allem aus der kurzen Zeit, die alle Recken gemeinsam miteinander verbracht hatten. Einige wenige Erzählungen waren ihm neu. Jede einzelne war bittersüßer Schmerz. Irgendwann hielt Zelda inne. Seufzte leise. „Mipha war ein wunderbares Geschöpf. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit mit ihr verbringen können, wie auch mit den anderen Recken.“ Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit mit Urbosa verbracht, klang in ihren Worten durch. „Zu gern hätte ich Euch heute mehr zu erzählen. Aber vielleicht kann Link die Lücken füllen, die meine Worte hinterlassen haben.“ Zeldas Blick war warm. Ermutigend. Links erster Impuls war trotzdem ein Kopfschütteln, das er nur mühsam unterdrücken konnte. Er wusste nicht, ob er das schaffte. Ob seine Stimme nicht am Ende zittern würde, oder sein Blick verraten, welchen Schmerz er fühlte. Doch hatte er eine Wahl? Mipha hatte ihre Familie so sehr geliebt. Er konnte ihrem Vater keine einzige Erinnerung vorenthalten, egal, wie schwer sie ihm über die Lippen kam.   „Einmal nahm sie mich bei Sonnenuntergang mit, um auf Vah Ruta zu reiten.“ Es war schwerer, als Link geglaubt hatte. Sein Hals schmerzte von der Anstrengung, Worte hervorzubringen. Es war jahrelange Übung, die seine Stimme trotzdem noch gefasst klingen ließ. „Sie nahm mir das Versprechen ab, sie wieder zu besuchen, wenn die Verheerung Ganon erst gebannt sei.“ Es war nie so weit gekommen. Link sah Traurigkeit in den Augen des Königs. Mit einem Mal wirkte er so viel älter noch, als er tatsächlich sein mochte. Unvorstellbar alt, nach hylianischem Maßstab, doch nach Zora-Standards gemessen war er noch weit von seinem Totenbett entfernt.   Eine viel zu lange Zeit, um das eigene Kind zu überdauern.   „Sie war wirklich so vernarrt in dich. Ich habe ihr unzählige Male gesagt, dass das kein gutes Ende nehmen kann, aber sie wollte nicht auf mich hören.“ König Dorephan lachte. Es war ein lautes, dröhnendes Lachen voller Wehmut und Sehnsucht und ungeweinter Tränen – aber auch voll von väterlicher Liebe. „Sie konnte so ein Sturkopf sein. Unbeirrbar, wenn sie etwas unbedingt wollte. Dass sie dich sogar mit zu Vah Ruta genommen hat! Sidon konnte betteln, wie er wollte, Mipha wollte ihn nicht in die Nähe des Titans lassen.“ Mit einem Seufzen schloss der König die von Runzeln umrahmten Augen. Er schien sich in Erinnerungen zu verlieren, und er war nicht der Einzige. Link erinnerte sich noch viel zu gut an diesen einen Sonnenuntergang. An Miphas Versprechen, dass sie immer für ihn da sein würde, um ihn zu heilen, wenn er sich wieder einmal verletzte. An ihre Bitte, dass er wiederkommen möge. Ihr Lächeln. Ihre sanfte Stimme, die von einer lauen Brise übers Wasser hinaus in die Ewigkeit getragen wurde. Sie war schön gewesen im schwindenden Licht der Abendsonne.   Das Kopfschütteln von König Dorephan riss Link wieder aus seinen Gedanken. Der alte Zora öffnete die Augen wieder, sah ihn direkt und eindringlich an. „Oft habe ich mich gefragt, ob die Gefühle meiner Tochter erwidert wurden oder nicht.“   Es war das erste Mal, dass Link nicht aus eigener Entscheidung heraus nicht antwortete, sondern weil seine Kehle so sehr zugeschnürt war, dass er nicht einmal mehr Luft bekam, geschweige denn ein Wort hervorbrachte.   Ich habe sie geliebt. II -- Es schockierte Link, wie viele Erinnerungen an vergangene Zeiten er noch wiederentdeckte während seines Aufenthalts im Dorf der Zora.   Während Zelda ihren Forschungen nachging, hatte er Freizeit, die er nutzte, durch das Dorf und die Umgebung zu streifen. Plötzlich erinnerte er sich wieder, wie er als kleiner Junge mit Mipha Verstecken im ganzen Dorf gespielt hatte, und an die spezielle Säule, hinter der er sich versteckt hatte in der Hoffnung, dass die Zora-Prinzessin ihn nicht finden würde. Sie hatte ihn gefunden. Er erinnerte sich, wie sie ihm an steilen Wasserfällen die Schwimmfähigkeiten der Zora demonstriert hatte, und dann mit leuchtenden Augen und strahlendem Lachen voller Stolz aus dem Wasser gesprungen und elegant neben ihm gelandet war. In seichten Gewässern hatten sie auch gemeinsam gespielt. Ein Wettschwimmen hatte Link natürlich nie gewonnen, aber als er noch jung und voll überschäumender, kindlicher Energie gewesen war, hatte er sie trotzdem wieder und wieder herausgefordert.   Sie waren älter geworden. Ihre nächsten Treffen waren fast immer in Zeldas Beisein gewesen. Link hatte Pflichten gehabt, denen er nachgehen musste, statt Zeit mit seiner alten Freundin zu verbringen. Mipha hatte ihre eigenen Pflichten gehabt. Wann immer sie Zeit miteinander verbracht hatten, war es anders gewesen. Die Unbekümmertheit ihrer Kindheit verloren gegangen. Link hatte aufgehört, zu plappern und zu lachen, doch Mipha, anders als Zelda, störte sich nie an seiner Stille. Sie blieb einfach immer Mipha. Mipha, die ihn heilte, wenn er sich verletzte, die lächelte, wenn sie ihn sah, deren sanfte Stimme vom Rauschen der umliegenden Wasserfälle untermalt wurde.   Wenn Links Schweigen ihr zu viel wurde, war sie es, die die Stille füllte.   „Link! Was machst du schon wieder hier draußen so allein?!“   Es war Sidon. Es war natürlich Sidon – kein anderer Zora war so durchdringend laut, und kein anderer Zora sprang mit so viel Energie aus dem Wasser. Link wischte sich die nassen Tropfen vom Gesicht, während er zusah, wie der riesige Zora im Schatten des Baumes, unter dem er saß, in die Hocke ging. „Wird das nicht irgendwann langweilig? Seit du hier bist, verbringst du deine Zeit damit, hier schweigend durch die Gegend zu streifen. Und das, wo du stattdessen Zeit mit mir verbringen könntest!“ Die einzige Antwort, die er bekam, war ein Kopfschütteln. Es wurde nicht langweilig, und vermutlich würde es das auch nie werden. Sidon ließ sich neben ihm bequem auf dem Gras nieder, streckte die Beine aus und lehnte den Kopf in den Nacken. „Hier war einer von Miphas Lieblingsplätzen, damals, als Kind. Sie war richtig oft hier in der Zeit vor der großen Schlacht.“ Er seufzte. „Kannst du’s fassen? Da hat sie so viel Auswahl, und sie sucht sich so ein langweiliges Stück Gras mit einem langweiligen Baum an einem der langweiligsten Gewässer der Region aus! Ich hab das nie verstanden, aber sie wollte es mir auch nicht erklären.“ Sidons Blick wanderte zu Link hinüber, absolut unsubtil auffordernd – Vielleicht kannst du es mir erklären.   Link konnte.       ***       Die Schlacht gegen die Verheerung Ganon lag kurz bevor. Die ganze Welt war in stiller Aufruhr. Selbst der Wind wirkte nervös, das Rauschen des Wassers klang zu hektisch. Es war alles so surreal. Als Ritter der Königsfamilie hatte Link immer gewusst, dass er an einer schweren Pflicht zu tragen hatte, und immer hatte er sie getragen, mit so viel Stolz und Würde, wie ihm möglich war. Doch dass es einst das Schicksal der gesamten Welt sein würde, das mitunter auf seinen Schultern lastete – dass der Tag so bald kommen würde, an dem sie alle ihre gesammelten Kräfte und ihr Leben auf die Waagschale warfen, um das größte Unheil aufzuhalten, er hätte es nie gedacht. Er war noch so jung. Zelda war noch so jung. Und trotzdem hatten sie den Höhepunkt ihres Lebens schon fast erreicht.  Seit die Titanen gefunden waren, war so viel passiert.   Erst gestern war er auf Vah Ruta geritten.   Heute saß er im grellen Licht der Mittagssonne unter einem schattenspendenden Baum in der Nähe des Dorfs der Zora, deren Prinzessin und Recke Mipha direkt neben sich. Das Mädchen sah hinaus aufs stete Treiben des Flusses. Erst, als sie Links Blick bemerkte, regte sie sich wieder, sah zu ihm hinüber. „Ist etwas?“ Link schüttelte den Kopf. Sah nun selbst hinaus aufs glitzernde Wasser. Bald würde er wieder abreisen. Das hier war womöglich das letzte Treffen mit Mipha, bevor sie in die Schlacht zogen. Und was würde danach wohl passieren, wenn alles vorbei war? „Ich möchte, dass du mich noch einmal besuchen kommst.“ Ich möchte gern wiederkommen. Doch er sagte es nicht. Fand nicht die richtigen Worte für ein Versprechen, von dem er sich nicht einmal sicher war, ob er es halten könnte – stattdessen wechselte er das Thema, das ohnehin unausgesprochen geblieben war. „Woran denkst du? Du sahst aus, als wärest du in Gedanken.“ – „Hmm“, machte Mipha zur Antwort. Aus dem Augenwinkel nahm Link wahr, dass ihr eigener Blick auch wieder in die Ferne hinausging. „An eine Geschichte, die ich gehört habe. Von einer Zora-Prinzessin aus alten Zeiten, die einen Hylianer liebte. Es ist nicht bekannt, wie sie ausgegangen ist. Ich frage mich…“ Sie brach ab, seufzend. Als sie weitersprach, war ihre Stimme so leise geworden, dass sie über das Flüstern des Flusses hinweg kaum zu hören war:   „Ob so eine Liebe eine Zukunft hat?“   Link hatte darüber nachgedacht. Und so oft er darüber nachgedacht hatte, die Antwort, zu der er gekommen war, wollte sich nicht verändern. In der Zeit, die er Mipha kannte, war das Mädchen optisch kaum gealtert, während er selbst von einem Kind zum Erwachsenen geworden war. Inzwischen überragte er sie, zu der er in seinen Erinnerungen hatte aufsehen müssen. Und er würde weiter altern. Würde alt werden, während Mipha sich ihre jugendliche Schönheit bewahrte, auch heranreifte, aber sichtbar kaum älter werden würde als eine junge Frau. Irgendwann würde er zu alt werden, um mit ihr Schritt zu halten. Würde erschöpfen auf Strecken, die er heute mühelos bezwang. Falten würden sein Gesicht zerfurchen, während das ihre junggeblieben bliebe. Er würde schwach werden. Seine Glieder würden irgendwann den Dienst quittieren. Wer wusste schon, welche Altersgebrechen in ferner Zukunft auf ihn warten würden? Alles in ihm sträubte sich bei der Vorstellung. Er war stolz auf den Mann, zu dem er herangewachsen war. Er war stolz, dass er die Kraft hatte, zu beschützen, was er liebte. Wenn einst der Tag kommen würde, an dem er nicht einmal mehr sein Schwert heben konnte… Es war eine Schmach. Eine Schmach, die er selbst nicht ertragen wollte, und die er noch weniger einer Frau aufbürden wollte, die er liebte. Es mochte schlimm für ihn sein, aber wäre es nicht schlimmer für die Frau, die am Ende zurückblieb? Die mitansehen musste, wie der Zahn der Zeit an ihm nagte und ihn mehr und mehr zermürbte. Er stieß langsam die Luft aus, schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er schließlich. Seine Stimme klang so fremd, so fern, als spräche ein anderer aus ihm.   „Ich weiß“, erwiderte Mipha schlicht. In ihrer Stimme schwang die Traurigkeit einer unveränderbaren, grausamen Realität mit. „Und trotzdem. Wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass meine Gefühle erwidert werden… ich würde lieber lieben, und mich allem Unglück stellen, als es gar nicht zu versuchen. Und wenn es nur wenige Jahre des Glücks sind, auf die schließlich die Jahre folgen, mit denen viel zu schmerzhaft deutlich wird, dass die gemeinsame Zeit immer zu kurz sein wird. Ich…“ Sie holte tief Luft, bebend. „Ich weiß, dass es furchtbar werden würde. Ich weiß, dass es wehtun würde, zuzusehen, wie der Mann, den ich liebe, unaufhaltsam älter wird, seinem Tod entgegengeht, während ich mich kaum verändere. Es muss für ihn auch furchtbar sein. Dennoch. Ist es egoistisch, dass ich mir trotzdem wünsche, dass diese Zora-Prinzessin aus alten Zeiten ihre Liebe bekommen hat? Dass sie an seiner Seite sein konnte, bis er alt wurde. Und dann weitergelebt hat, nach seinem Tod, mit der Liebe im Herzen, und all den Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, gut wie schlecht.“   „Es ist egoistisch.“ Link ballte lose die Hände zu Fäusten. Das Gras an seinen Fingerknöcheln kitzelte. Er hatte so oft darüber nachgedacht, war so oft zu dem Schluss gekommen, wie dumm und töricht es war, und wie wenig er es ertragen würde, und trotzdem–   „Aber ich bin genauso egoistisch.“       ***       Link fühlte sich taub, als die Geschichte erzählt war. Leer, erschöpft von der Konfrontation mit seinen eigenen Erinnerungen. Zu wissen, dass Mipha in der Zeit vor ihrem Tod so oft hier gewesen war, erfüllte ihn mit den seltsamsten Gefühlen. Wenn sie damals Erfolg gehabt hätten – wäre sie es, die heute hier saß? Die Sidon darüber aufklärte, wieso dieser unwichtige, unscheinbare Ort überhaupt so einen großen Wert hatte. Sie würde trauern. Um den Mann, mit dem sie viele Jahre ihres Lebens verbracht hatte, bis das Alter ihn dahingerafft hatte. Link trauerte um das Mädchen, mit dem er viel zu wenig Zeit hatte verbringen können, weil es viel zu jung gestorben war. Ihr Schmerz… womöglich wäre er sogar größer als seiner. Doch sie könnte aus einem Füllhorn glücklicher Erinnerungen schöpfen, um ihn einzudämmen.   Welches Ende der Geschichte war wohl tragischer?   Sidon neben ihm war ebenfalls still – solange, bis er schwer seufzte und den Kopf schüttelte, ehe er wieder auf die Beine sprang. Er streckte Link eine Hand entgegen, grinsend. Er ergriff sie eher aus Reflex, ließ sich von dem Hünen hochziehen. „Danke. Das erklärt immerhin wirklich, wieso sie diesen öden Platz plötzlich so sehr mochte.“ Kein Urteil. Keine Kritik. Für Link war es immer noch unbegreiflich, dass König Dorophan und sein Sohn die Liebe Miphas nicht in Frage stellten, sondern annahmen und akzeptierten. „Ich hatte auch Lieblingsplätze! Wie wäre es? Wir machen einen Spaziergang und tauschen ein paar Erinnerungen aus.“ Sidons Grinsen wurde so breit, dass Link ahnte, dass es nichts Gutes verhieß – es brachte seine eigenen Mundwinkel trotzdem dazu, ebenfalls zu einem Lächeln zu zucken. Er nickte. Sidon lachte zufrieden auf, klopfte ihm auf die Schulter.   „Ich hoffe nur, mein Freund, du hast inzwischen gelernt, Wasserfälle hoch zu schwimmen! Sonst wirst du dich wohl wieder an mich klammern müssen wie eine Jungfer in Nöten!“ III --- Geliebter Link. Ich weiß, es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um einen Brief zu schreiben. Aber hier zu sitzen und zu warten… es macht mich einfach zu unruhig. Ich habe so viele Gedanken im Kopf, dass ich fürchte, mich gleich gar nicht richtig konzentrieren zu können, wenn Vah Ruta und ich gebraucht werden.   Das Papier war vergilbt. Die Tinte verblasst, fleckig. An einigen Stellen war Miphas hübsche Handschrift nur noch mühsam zu lesen. Zelda hatte den Brief während ihrer Inspektion von Vah Ruta gefunden, ein hastig zusammengefaltetes Blatt Papier in einem Kuvert, auf das eben so hastig Links Name gekritzelt worden war. Miphas letzte Worte.   Erinnerst du dich noch, als wir über die Zora-Prinzessin sprachen? Ich habe lange darüber nachgedacht, was du sagtest. Ich möchte mit dir darüber reden, wenn hier alles vorbei ist. Du kommst mich doch besuchen, nicht wahr?   Link hatte sich zuerst davor gefürchtet, den Brief zu lesen, hatte es nicht gewagt, das Kuvert zu öffnen. Der Brief mochte an ihn adressiert sein, aber hatte Mipha wirklich gewollt, dass er ihn las? Oder hatte sie nur ihre Gedanken ordnend geschrieben in der Hoffnung, dass sie all das, was sie aufschrieb, selbst noch erzählen konnte, wenn sie siegreich aus der Schlacht gegen die Verheerung Ganon zurückkehrten? Er hatte das Papier schließlich doch aus dem Umschlag gezogen. Hatte den Brief aufgefaltet und den Blick über die Handschrift der Zora-Prinzessin schweifen lassen.   Mit dir zusammen zu sein, das klingt wie ein Traum für mich. Sidon mag dich. Ich bin sicher, es würde ihn nicht stören, wenn er mich mit dir teilen muss. Vielleicht wird Vater nicht begeistert sein, aber ich werde mit ihm reden. Er wird es verstehen. Und Zelda… ich hoffe, ihren Segen haben wir auch. Wirst du nach all dem hier immer noch an ihrer Seite sein müssen? Ich werde meine Heimat nicht dauerhaft verlassen können, aber vielleicht kann ich euch gelegentlich begleiten. Ich möchte so viel Zeit mit dir verbringen, wie es möglich ist.   Das Zittern seiner Finger ließ auch den Brief unstet werden, die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Ein Tropfen weichte das Papier auf, ließ die Tinte kaum merklich verwischen. Zelda hätte es unterstützt, dessen war er sich sicher. Er wünschte, er hätte es Mipha damals schon gesagt, um ihr diesen Zweifel zu nehmen. Er hatte so viel nicht gesagt, das er hätte sagen sollen. Nicht nur zu Mipha. Auch die anderen Recken – wenn er gewusst hätte, worin ihr Weg enden würde, er hätte anders gelebt.   Vielleicht war es töricht gewesen, sich von allen Pflichten und Erwartungen so verhärten zu lassen.   In einem alten Buch habe ich von einer Legende gelesen. In der Region Ranelle soll es einen riesigen, mächtigen Drachen gegeben haben. Kannst du dir das vorstellen? Ich würde ihn gerne sehen, irgendwann. Ich weiß, es ist nur eine Legende. Aber ich möchte ihn suchen. Kommst du mit mir?   Link hatte den Drachen gesehen. Hatte gesehen, wie er vom Schlamm des Hasses bedeckt gewesen war, ein willenloses Ungeheuer, zerfressen und verpestet von der Verheerung Ganon. Er hatte Naydra von dem Unheil befreit, hatte gesehen, wie das gigantische Wesen sich elegant in die Lüfte erhoben hatte, um davonzufliegen. Er lebte also noch. Link wollte ihn wiedersehen. Und wenn er Mipha erst davon erzählen konnte, wenn er einst selbst sein Leben aushauchte.   Angeblich verwandelte er alles, was ihm zu nahe kam, in ewiges Eis. Tiere, Hylianer, Zoras, Goronen – vor ihm war alles gleich und endete gleich: Eingefroren, um nie wieder aufzutauen. Es klingt erschreckend, nicht wahr? Die Vorstellung, dieser Drache könnte so mächtig sein, dass selbst meine Heilmagie dagegen nicht ankommt, ängstigt mich ein wenig. Es gibt eine Geschichte dazu.   Link schmunzelte hilflos. Er erinnerte sich an die letzte Geschichte, die Mipha ihm erzählt hatte, nur zu gut. Er fragte sich selbst immer noch, was aus der Zora-Prinzessin aus alten Zeiten geworden war. Er hoffte, sie war glücklich geworden. Glücklich genug, dass ihr Geist, wenn er je auf Miphas treffen würde, ihr erzählen konnte, dass auch eine hoffnungslose Liebe ein Recht zu existieren hatte. Dass man glücklich werden konnte in dem Unglück zweier völlig unzusammenpassender Lebensspannen.   Ein Mann zog einst aus. Ich habe mir gar nicht gemerkt, warum. Jedenfalls zog er aus, und er kehrte nicht wieder. Seine Geliebte wartete, und wartete, doch er kam nicht zurück. Über die Jahre wurde sie älter, und schwächer, und irgendwann wusste sie, dass ihre Lebensuhr sich ihrem Ende näherte. Sie wollte aber nicht sterben, ohne ihren Geliebten wiederzusehen. Also zog sie aus. Sie wohnte am Fuße der Ranelle-Spitze, wo angeblich der große Drache oft zu sehen war. Mit letzter Kraft fand sie das mächtige Ungeheuer – sie wollte von ihm eingefroren werden, damit sie auf ewig nahe ihrer Heimat bleiben konnte, um dort auf ihren Liebsten zu warten. Ich frage mich, was sie in diesem Moment gefühlt hat. War sie froh, dass ihr Schmerz und Leid ein Ende haben würden? Oder war sie so verzweifelt und einsam, dass sie nichts anderes mehr sah als die Hoffnung, dass irgendwann ihr Liebster wiederkommen und sie finden würde? Ob sie gelächelt hat, als sie gefror? Um ihren Liebsten irgendwann mit einem Lachen wieder zu begrüßen.   Ich finde, es ist eine unglaublich traurige Geschichte. Ich wünschte, sie hätte ein glückliches Ende haben können, diese Frau.   „Vielleicht war sie glücklich.“   Vielleicht würde ich Ich muss gehen. Es wird Zeit. Link. Ich freue mich darauf, dich nach dieser Schlacht wiederzusehen und deine Wunden zu heilen. Pass auf dich auf!   In Liebe, Mipha IV -- „Link.“   Zeldas Stimme brachte ihn dazu, stehen zu bleiben, bevor er die große Brücke am Eingang zum Dorf der Zora überqueren konnte. Er straffte die Schultern, dann wandte er sich zu seiner Freundin um, die mit besorgtem Blick und traurigem Lächeln hinter ihm stand. „Wolltest du wirklich ohne Abschied gehen?“ Er hob kaum merklich die Schultern. Es ist leichter so. Zelda schien zu erraten, was er dachte. Vielleicht war es auch etwas anderes, das sie dazu bewog, den Kopf zu schütteln, doch Link hatte den Eindruck, dass die junge Frau verstand, was in ihm vorging. Sie war gut darin geworden, ihn zu lesen. Sie trat näher, griff nach seinen Händen. Link ließ die Berührung zu, ließ zu, dass Zelda ihm so nahe kam, dass sie ihren Kopf an seine Schulter lehnen konnte. „Du wirst nicht wiederkommen.“ Keine Frage, eine Feststellung. Link hatte trotzdem das Gefühl, es wäre falsch, es kommentarlos stehen zu lassen, also nickte er schweren Herzens, würgte eine Antwort hervor: „Ja.“   Auf das eine Wort folgte Stille. Unter ihnen rauschte Wasser, über ihnen flüsterte der Wind, und um sie herum drehte die Welt sich weiter, während für den Augenblick in ihrer kleinen Welt weder Zeit noch Raum existierte. Er hörte, wie Zelda bebend einatmete, damit die Stille durchbrach und den Zauber verfliegen ließ. „Weißt du, so sehr ich dich am Anfang gehasst habe. Ich bin so froh, dass ich dich zum Begleiter und zum Freund hatte, Link.“ Sie seufzte, lachte, und im Grunde klang es vielmehr so, als würde sie nur ein Weinen kaschieren wollen. „Ich weiß nicht, was ich ohne dich getan hätte. All die Zeit, die ich gewartet habe… Ohne dich hätte es keinen Helden gegeben, der Hyrule retten kann. Ohne dich hätte ich so viele wichtige Lektionen des Lebens vielleicht nie gelernt. Danke, dass du da warst.“ Noch ein tiefes Luftholen später löste Zelda sich wieder. Ihre Augen waren nass von ungeweinten Tränen, doch sie lächelte so strahlend, wie Link es selten an ihr sah, seit Urbosa nicht mehr da war. Ihre Stimme bebte, als sie sprach, und ihre Hände klammerten um Links, als würde sie ihr Leben verlieren, wenn sie losließe.   „Es ist in Ordnung! Ab jetzt übernehme ich. Hyrule wird noch viel schöner werden, als es je gewesen ist. Jetzt beschütze ich das Land. Geh ruhig.“   Trotz ihrer Worte dauerte es noch viel zu lange, bis sie ihren Klammergriff endlich löste, und als sie es tat, kam es Link so vor, als hätte sie ihn viel zu schnell losgelassen.     ***       Die Kälte kam, noch bevor Link den Drachen sehen konnte. Er stand am Fuß der Ranelle-Spitze, die Arme um den Oberkörper geschlungen, obgleich er längst wusste, dass es ihn nicht gegen die frostigen Temperaturen schützen würde, die Naydra mit sich brachte. Nur langsam kam das riesige Geschöpf in seinen Blickwinkel. Umgeben von einem eisigen Hauch schwebte Naydra durch die Lüfte, glühende Augen unter einer Krone wie aus Eiskristall, der geschuppte Körper durchzogen von eisig glühenden Malen. Link schlug das Herz bis zum Hals. „Mipha. Ich habe ihn gefunden.“   Er wusste selbst nicht, was er sich von diesem Treffen erhofft hatte. Eine Erkenntnis, vielleicht. Was aus seinem Leben werden sollte. Was er tun sollte mit dieser Liebe, die nicht mehr auf fruchtbaren Boden stoßen konnte. Welchen Weg er gehen sollte. Naydra gab ihm jedoch keine Antworten. Naydra sah ihn an, kalt und unbeweglich, schien sein ganzes Leben zu verurteilen mit einem einzigen Blick. Das riesige Geschöpf kam näher, der eisige Hauch, den es mit sich brachte, wurde zu einem beißenden Frost, der Link trotz warmer Kleidung tief in die Glieder fuhr und selbst seine Knochen zu berühren schien. Trotzdem floh er nicht. Sein ganzer Körper schrie danach, dass er sich zurückzog, fort von der eisigen Kälte, fort von dem riesigen Geschöpf, das ihn mit einer einzigen Bewegung töten könnte. Er blieb. Da lag etwas in der Luft, das ihn an seinem Platz behielt, ein Gefühl, das er nicht einmal näher benennen konnte. Naydra war ihm nicht feindlich gesinnt. Erkannte der Drache, dass er es gewesen war, der ihn vom Schlamm des Hasses befreit hatte?   Die Kälte hörte nicht auf, doch sie wurde auch nicht mehr schlimmer. Links Glieder zitterten, und seine Finger fühlten sich taub an, als er sie ausstreckte, Naydra entgegen. Der Drache war inzwischen so nah, dass Link ihn tatsächlich berühren konnte. Er sah mehr, dass er die geschuppte Schnauze des Wesens berührte, als dass er es spürte. Als er den Mund öffnen wollte, um zu sprechen, merkte er, wie trocken und rissig vor Kälte seine Lippen waren. Sie platzten bei der kleinsten Bewegung auf, ließen ihn Blut schmecken.   An seinen Fingerspitzen, die auf Naydras Schnauze lagen, formten sich kleine Eiskristalle.   Vielleicht würde ich es auch tun, wenn ein Leben ohne dich zu einsam wird.   Naydra zog sich abrupt zurück und brüllte. Es war ein ohrenbetäubender, fremdartiger Laut, der Link bis ins Mark erschütterte. Kälte wirbelte in Form von Eiskristallen und Schneeflocken um den Drachen herum, umfing Link und verwandelte die ganze Welt in einen Wirbel aus weißen Schlieren, in dem er seine Umgebung gar nicht mehr erkannte. Sein einziger Gedanke – es war zu spät.   Er würde diesen Ort nicht mehr lebend verlassen.   Etwas berührte sein Gesicht. Die Berührung war so kalt wie seine Haut, ein Luftzug, der sich anfühlte wie das Streicheln einer Geliebten. Es war ein schwacher Trost, doch ein Trost nichtsdestotrotz, und Link lehnte sich der Berührung entgegen, dachte sich gar nichts mehr dabei, als sein Kopf mit etwas kollidierte, als er ihn nach vorn sacken ließ. Eis und Kälte trübten seine Sinne, machten seine Glieder schwer und seine Gedanken lahm. Er fühlte keine Kälte mehr, keinen Schmerz, fühlte nur die surreale Fantasie einer Umarmung. Mit letzter Kraft schlang er die Arme um den eisigen Windhauch. Seine Lippen sprangen noch mehr auf, als er sie erneut öffnete, und die Worte, die er formte, hörte er nicht einmal mehr wirklich. Seine Stimme vermischte sich mit seinem Wunschdenken, und plötzlich waren seine Gedanken erfüllt von dem sanften Rauschen des Wassers, das wunderbare Untermalung für eine ähnlich sanfte Stimme bot:   „Ich liebe dich.“       ***       Am Fuße der Ranell-Spitze stand eine Eisfigur. Ein junger Mann, ein Hylianer, der die Arme um ein junges Zora-Mädchen gelegt hatte. Beide lachten, ihr Liebesglück eingefangen in dem ewigen Eis des großen Geists Naydra. Seit fünf Sommern überdauerte die Figur bereits, ohne, dass die Sommerhitze ihr etwas anhaben konnte. Es würde ewig so bleiben, womöglich. Seit fünf Sommern kam Zelda hierher, brachte Blumen, um ihrer beiden Freunde zu gedenken – so, wie sie es heute tat. In einem unerwartet heftigen Sommerwind stand sie vor den Liebenden, wie das Volk das Denkmal inzwischen getauft hatte, und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Weißt du, Link.“ Es war das erste Mal in fünf Jahren, dass sie die Kraft fand, mit ihrem Freund zu sprechen. Der Anblick des auf ewig im Eis erstarrten Mannes hatte ihr zuerst das Herz gebrochen, doch mit jedem Jahr war der Schmerz ein bisschen stiller geworden, und die Erkenntnis mehr gewachsen, dass das der Weg war, den ihr treuer Begleiter für sich gewählt hatte. „Das hatte ich eigentlich nicht gemeint, als ich dich ermutigte, deinen Weg zu finden. Aber ich bin froh, dass du glücklich bist.“   Sie lächelte. Es schmerzte immer noch spürbar, und vollkommen würde der Schmerz wohl nie verschwinden, aber das Glück, das sie bei dem Anblick der lachenden Figuren empfand, überwog inzwischen deutlich. Link sah so viel glücklicher aus, als sie ihn je gesehen hatte. Zelda atmete tief durch, dann wandte sie sich langsam von ihren alten Freunden ab. Es wurde Zeit für sie, zurückzukehren in ihr Leben, zu ihren Pflichten.   „Irgendwann“, murmelte sie, den Blick hinauf in den Himmel gerichtet, „werde ich auch so glücklich sein, Urbosa.“ Der Wind frischte noch mehr auf, brachte mit sich die Erinnerung an heiße Wüstennächte und das barsche Lachen einer viel zu hübschen, starken Kriegerin.   „Ich freue mich auf diesen Tag, mein kleines Mädchen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)