Skrupelliebe von Zaizen ================================================================================ Kapitel 1: Der demolierte Frieden des Vermieters ------------------------------------------------ Die ersten Sonnenstrahlen des Tages fielen durch ein makellos geputztes Fenster auf eine staubfreie Fensterbank. Dort freuten sich die Topfpflanzen über den anbrechenden Tag, indem sie als Dank für den schönen Platz ein bisschen frische Luft ihrem Besitzer zurückgaben. Letzterer lag flach auf dem Rücken ausgestreckt und noch in tiefen Schlaf gehüllt im Bett. Sein tiefer Atem, ließ den mächtigen Brustkorb auf- und abgleiten. Die sonnengebräunten Hände waren locker über dem Bauch gefaltet, während seine langen Beine parallel zueinander auf dem gerade so ausreichenden Bett lagen. Ein lautes Schellen an der Haustür ließ diese Ruhe schlagartig implodieren. Der eben noch schlafende Pflanzenbesitzer schoss wie ein Pfeil in eine senkrechte Position, während sein Blutdruck ebenfalls in Rekordzeit auf ungesunde Höhen kletterte. Vollkommen desorientiert, strampelte er sich von seiner Bettdecke frei und setzte die Füße auf dem kalten Dielenboden ab, der unter dem plötzlichen Gewicht knarzend protestierte. Wieder malträtierte der kleine Messingklöppel die dazugehörige Glocke, als die elektronische Klingel erneut gedrückt wurde. Dieses Mal hielt das Schellen penetrant lange an, so dass Kuroganes Ohren auch nach ihrem Verstummen das Klingeln phantomhaft wahrnahmen. Sich endlich aus der warmen Umarmung des Bettes erhebend, griff er nach dem ordentlich auf einem Stuhl zusammengefalteten Morgenmantel und warf ihn sich energisch im Gehen über. Dann stapfte er wutentbrannt durch die Wohnung zu seiner Haustür. Der Hirnakrobat, der auf die bescheuerte Idee gekommen war, ihn zu dieser gottverlassenen Uhrzeit aus dem Bett zu werfen, hatte entweder einen verdammt triftigen Grund oder war kurz davor elendig den Löffel abzugeben. „Ich komme ja schon, verdammt!“,brüllte er einem erneuten Klingelansturm entgegen und fluchte wie ein Hafenarbeiter im Sturm. Mittlerweile hatte er seine Müdigkeit abschütteln können, so dass sein Puls ungehindert auf 180 steigen konnte, ehe er auch nur die Tür einen Spalt breit geöffnet hatte. Mit mehr Schwung, als es die arme Tür verdient hatte, riss er die letzte Barriere zwischen sich und dem Störenfried nieder. Sein erster Gedanke, als er einen Blick auf den Übeltäter erhaschte, war, dass dieser weder am verbluten war, noch in Panik zu sein schien. Entweder war dies der gelassenste Hilfesuchende der Weltgeschichte oder der Kerl besaß wirklich die Dreistigkeit, ihn um kurz vor sechs wegen nichts aus dem Bett zu klingeln. „Was?“,blaffte er den jungen Mann an, der mit einem leichten Lächeln auf den Lippen vor seiner Tür stand und ohne es zu wissen, mit seinem Leben spielte. Er schien nicht viel älter zu sein als Kurogane. Das blonde Haar fiel ihm in wirren Strähnen ins Gesicht, während die hageren Ärmchen eine Reisetasche geschultert hatten. Der große Schlacks klimperte verwirrt mit den unnatürlich blauen Augen, ehe er sein Lächeln um einige Watt erhellte. Enthusiastisch streckte er Kurogane eine dürre Hand entgegen. „Hallo, ich würde hier gerne einziehen“,war das Erste und vorerst Einzige, was der lebensmüde Schmale da von sich gab. Kurogane musste all seine Willenskraft zusammennehmen, damit ihm nicht die Kinnlade hinunterfiel. Es dauerte einige Sekunden, ehe er sich wieder soweit gefangen hatte, dass er dem Anderen nicht einfach die Nase vor der Tür zuschlug und sich fragte, ob das gestrige Bier irgendwie schlecht gewesen war. Als all seine Hirnzellen sich von dem Schock erholt hatten, konnte er endlich einen klaren Gedanken fassen und diesen auch in Worten artikulieren:“Du willst was?“ Normalerweise wurde Kurogane an solchen Stellen wütend. Sehr wütend. Doch die gottlose Stunde und die dreiste Bitte hielten ihn aktuell davon ab, einfach den Hahn aufzudrehen und seinen Emotionen wie sonst freien Lauf zu lassen. Vielmehr übernahm hier die rationale Seite seines Denkens und klärte die Sachlage auf, während er im Hintergrund genug gute Gründe für einen Wutausbruch sammelte. „Einziehen“,erwiderte der Fremde in einer Tonlage, mit denen er vermutlich auch kleine Kinder ansprach. Das war neben der Ruhestörung schon Punkt Nummer zwei auf Kuroganes mentalem Ragekonto. Noch immer streckte sein Gegenüber ihm die ungesund bleiche Hand entgegen, als ob er entweder auf einen Mietvertrag per Handschlag hoffte oder einfach penetrant soziale Etiketten einhalten wollte. „Einziehen“,wiederholte Kurogane ungläubig und zog eine Augenbraue so weit hoch, dass sie drohte unter seinem Haaransatz zu verschwinden. Kurz kramte er in seinem Gedächtnis, ob er irgendwann einmal in geistiger Umnachtung einen Besichtigungstermin um diese Uhrzeit vereinbart hatte. Er war sich aber ziemlich sicher, dass in seinem Kalender, auf dem er jeden Termin und jede Altpapierabholung genaustens notierte, kein derartiges Meeting finden würde. Also gab das Wutpunkt Nummer vier. Noch ein Punkt und der Hampelmann war fällig. „Ja, einziehen. Das sagte ich doch bereits.“ Kuroganes Blut fing an zu kochen und die ersten roten Flecken tummelten sich auf seinem Gesicht wie aufkommendes Fieber. Als der Blonde noch immer keine zufriedenstellende Antwort erhielt - Kuroganes drohendes Schnaufen und die Röte im Gesicht schien er gekonnt zu ignorieren - seufzte er ergebend und kramte in seiner Jackentasche herum. Zumindest glaubte Kurogane es war eine Jacke in irgendeinem früheren Leben mal gewesen. Der Lumpen, der da über den knochigen Schultern des anderen hing, war dermaßen mit Löchern und Ruß besäht, dass von dem ursprünglichen Stoff nicht viel übrig geblieben war. Geschweige den von der Farbe, die einst wohl ein dunkelblau geglichen hatte, aber jetzt eher an Schimmel oder Moor entsann. Gerade als es Kurogane zu bunt wurde und er mit dem fünften und letzten Punkt auf der Zornskala endlich gepflegt an die Decke gehen wollte, zog der ranzig aussehende Fremde ein Bündel Geldscheine aus seinem Lumpen. „Sie haben doch eine Wohnung über Ihnen zu vermieten, oder? Zumindest sagt das die Annonce in der Zeitung und das Schild, welches draußen an der Tür hängt. Hören Sie, ich weiß ich komme überraschend und es gibt bestimmt viele andere Interessenten, aber ich brauche dringend eine Bleibe und wäre bereit Ihnen etwas mehr zu zahlen, als die eigentliche Miete beträgt. Ich bin auch sehr leise und so gut wie nie da.“ Die Dicke des Bündels und die Zahlen, die Kurogane auf den ersten Blick erkennen konnte, ließ ihn seine Wut vorerst vergessen. Erneut starrte er den Kleineren ungläubig an. Dann setzte wieder das rationale Denken ein. Es stimmte, er hatte wirklich eine Wohnung über der seinen zu vermieten. Das gute Stück war nicht besonders groß und die letzte Grundsanierung war auch schon einige Jahre her, dafür lag sie etwas außerhalb des städtischen Getümmels und hatte alle Annehmlichkeiten, die man sich so wünschen konnte. Zumindest, wenn es nach Kurogane ging. Die grausame Wahrheit war allerdings, dass er nicht viele Interessenten für die Wohnung begeistern konnte. Durch die schlechte Anbindung an den Nahverkehr, die etwas in die Jahre gekommene Einrichtung und die hohe Miete, die er verlangen musste, um nicht ganz pleite zu gehen, hatte sich bis jetzt noch niemand gefunden, der in ihr wohnen wollte. Für eine Kleinfamilie war der Platz zu gering und viele Pärchen suchten sich lieber eine schickere Wohnung in einer etwas belebteren Gegend. Damit blieben nur noch Studenten und Alleinlebende übrig. Beide Gruppen konnten sich allein die Miete oft nicht leisten oder fanden für den Preis eine bessere Alternative. Und Wohngemeinschaften kamen für Kurogane überhaupt nicht in Frage. Alles in dem Hausbesitzer schrie danach, den blonden Verrückten abzuweisen, doch wenn er ehrlich zu sich war, brauchte er das Geld dringend, so ungern er es sich eingestand. Obwohl er sparsam lebte, war nie genug Geld für einige längst fälligen Reparaturen da und dieser Typ wollte ihm sogar etwas mehr zahlen, als er verlangte. Ergebend ergriff Kurogane endlich die Hand des anderen und seufzte schwer. „Also gut, ich kann Sie Ihnen ja wenigstens zeigen, Herr...?“ Der Händedruck des anderen war ungewöhnlich fest für eine so zierliche Person. „Flourite. Fye de Flourite“,flötete der Störenfried, der endlich bekommen hatte, was er wollte. Kurogane betete, dass der Typ ihn nicht schon auf auf dem Treppenabsatz in den Wahnsinn treiben würde. Sollte der Kerl hier wirklich einziehen, würde er ihm schleunigst die hier geltenden Regeln in Form der Hausordnung erklären und zusehen, dass sich ihre Wege so wenig wie möglich kreuzten. Keine gemeinsamen Grillpartys, keine Waschsamstage und erst recht kein nachbarschaftliches Geplauder im Hausflur. „Also gut, Herr Flourite, dann lassen Sie uns mal beginnen.“ Nur im Morgenmantel bekleidet und mit Schlaf in den Augen, stapfte Kurogane unbewussten Schrittes voran in eine Bekanntschaft, die er später noch bitter bereuen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)