Die Wander-Geisha von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 3: Fährte ----------------- Am nächsten Tag rumpelten sie gemeinsam den alten, steinigen Trampelpfad entlang, der als Handelsstraße quer durch die Provinz von einem Dorf zum nächsten führte. Zaku schien sich sehr sicher zu sein, wohin sie wollte. O-Shikara zog den hölzernen Karren, der der Theater-Truppe gehört hatte, und auf dem sie ihre letzten paar Habseligkeiten verladen hatten. Der Karren war recht schwer, so daß sie nicht übertrieben schnell voran kamen. Zumal sein junger Chef Ryuka noch hinten auf dem Karren lag und schlief, wodurch das Gefährt auch nicht gerade leichter wurde. Aber Ryuka hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und es ging ihm heute echt elend, so daß O-Shikara darauf bestanden hatte, ihn zu ziehen. „Wie bist du zu diesem Tempel gekommen?“, wollte O-Shikara wissen. Zaku lief neben ihm, eine Hand auf der Schulter des Panda-Tiergeistes abgelegt, und zuckte mit den Achseln. „Ich habe keine Eltern. Natsuo war so freundlich, mich im Tempel aufzunehmen“, log sie. Sie blieb immer noch bei der Variante, daß sie ein ganz gewöhnlicher Mensch wäre und nur zufällig nach der Göttin der Kunst benannt worden sei. Sie hatte einfach keine Lust, sich einen neuen Namen auszudenken und sich am Ende noch zu verraten, weil sie auf diesen neuen Namen nicht reagierte. „Mh. Das erklärt, warum du einfach aufs Geratewohl in die Welt hinaus spazierst und den Tempel sich selbst überlässt. In dem Dorf hält dich nichts, was?“ Zaku entgegnete nichts. Sie hatte nicht vor, diese Annahme zu korrigieren. „Und wo hast du den Tiergeist her?“, bohrte der Muskelprotz weiter. „Chirobi hat schon immer im Tempel gelebt. Sie war schon vor mir da“, log Zaku erneut. „Und sie folgt dir?“ „Ich kann sie ja schlecht alleine da lassen.“ „Kann sich so ein Wesen denn nicht selbst versorgen? Ich dachte immer, es wäre unüblich, daß Geister überhaupt mitten unter Menschen leben.“ Zaku zuckte abermals mit den Schultern und sagte nichts. O-Shikara seufzte leise. Sehr gesprächig war das Mädchen ja nicht. Aber das war Tempelpersonal wohl von Natur aus nicht. Bei denen galt es als Tugend, zu schweigen. Für das Mittagessen machten sie eine Rast am Wegesrand und weckten Ryuka auf, damit er auch etwas aß. Er wirkte schon etwas ausgeruhter und gefasster und war immerhin wieder in der Lage, Nahrung zu sich zu nehmen. Auch wenn es nicht viel war, was er futterte. „Bekommt der Panda denn eigentlich nichts zu fressen?“, wollte O-Shikara wissen. Ihm war nicht entgangen, daß der Tiergeist schon gestern abend und heute früh nichts vorgesetzt bekommen hatte. „Geistwesen brauchen keine stoffliche Nahrung“, klärte Zaku ihn auf. Der Muskelprotz nickte verstehend. „Immerhin“, meinte Ryuka matt. „Wenn wir von unseren ohnehin schon knappen Vorräten auch noch so ein riesiges Tier durchbringen müssten, hätten wir ein echtes Problem. Wir haben schon für uns selber kaum genug.“ O-Shikara nickte wieder und legte diesmal noch ein zustimmendes Brummen nach. „Was mich auch gleich auf eine existenzielle Sorge zu sprechen bringt ...“, fuhr Ryuka ungewohnt ernst fort. „Bisher haben wir uns als Theater-Truppe mit Auftritten unser Essen erarbeitet. Aber jetzt sind wir nur noch zu zweit. Zu zweit können wir keine Theaterstücke aufführen. Wie soll´s weitergehen?“ O-Shikara senkte nachdenklich den Blick und grübelte los. „Für eine Tengu-Nummer wird es bei dir ja sicher trotzdem noch reichen. Wir müssen uns nur ein Stück erarbeiten, das du alleine bestreiten kannst. Eine Erzählung vielleicht. Wir sollten künftig vielleicht mehr Märchenerzähler als Schauspieler sein. Und abgesehen davon könnten wir uns auf Kunststücke verlagern. Ich bin stark, ich kann die Leute mit meiner Muskelkraft beeindrucken. Und du bist doch ein guter Akrobat.“ „Hm, ich weiß nicht“, erwiderte Ryuka zweifelnd und stellte seine Schüssel weg. Er stand auf, ging ein paar Schritte weg, um Platz zu haben, und versuchte einige Tricks. Ein Rad und einen gewöhnlichen Handstand bekam er hin. Einen Flickflack ebenfalls gerade noch so. Den würde er noch etwas üben müssen. Aber einen kompletten Salto traute er sich schon nicht mehr zu. Dabei würde er sich am Ende noch das Genick brechen. Dann waren seine Ideen bereits aufgebraucht. Und die paar Sachen, die er konnte, waren auch nicht direkt beeindruckend, musste er sich eingestehen. „Ich glaube, das reicht bei weitem nicht für die Bühne“, meinte Ryuka ehrlich und setzte sich wieder. „Lern doch, zu jonglieren. Oder Messer zu werfen. Dann kannst du es dem Publikum beibringen. Nummern zum Mitmachen kommen immer gut an.“ „Chirobi kann tanzen. Lassen wir sie auftreten“, schlug Zaku mit Deut auf den faul herumliegenden Pandabären vor, der gerade gar nicht den Eindruck machte, zum Publikumsmagneten zu taugen. „Und was ist mit dir?“, hakte O-Shikara unverfroren nach. „Was soll mit mir sein?“ „Kannst du auch auftreten?“ „Wieso sollte ich?“, meinte Zaku begeisterungsfrei. „Weil du mit einer fahrenden Theater-Truppe unterwegs bist und für dein Essen auch was tun solltest!?“, schlug O-Shikara vor. „Aber wenn du im Geisha-Aufputz rumläufst, kannst du natürlich auch auf andere Weise arbeiten. Geishas stehen ja eher den Männern zur Verfügung, für ... du weißt schon was.“ Er machte eine obszöne Handbewegung zwischen seinen Beinen. Ryuka lachte leise. Zaku wog nachdenklich den Kopf hin und her, ob ihr nicht eine bessere Idee kam. „Ich kann Shamisen spielen. ... Kann von euch beiden auch jemand spielen?“ „Spielst du auch die Flöte?“, kicherte Ryuka mehrdeutig und zeigte dabei ebenfalls zwischen seine Beine. „Du bist ein Ferkel!“, blaffte Zaku ihn empört an. Die Männer lachten wieder erheitert. „Gut, Spaß beiseite“, meinte Ryuka lächelnd. „Shamisen kann ich zwar nicht spielen, aber auf der Bambusflöte komme ich ganz gut klar, wenn das auch zählt.“ „Das wird auch gehen. Wenn du Flöte spielst, kann ich dazu tanzen.“ „Und danach den Männern Gesellschaft leisten?“, zog O-Shikara sie erneut auf. Zaku verpasste ihm einen Klapps auf den Hinterkopf. „Ich bin kein Freudenmädchen!“ „Du siehst aber aus wie eins!“ „Du ungehobelter Klotz!“ „Dazu müsste ich mir aber erstmal eine neue Flöte besorgen“, lenkte Ryuka das Gespräch kichernd wieder auf das eigentliche Thema zurück. Er fand, sie hatten die Kleine jetzt genug geärgert. „Ich habe nämlich keine.“ „Nimm meine!“ Zaku hielt ihm wie aus dem Nichts eine filigrane, verschnörkelte Querflöte aus Bambus hin. Ryuka verzog kurz irritiert das Gesicht bevor er sie annahm, weil er gar nicht mitbekommen hatte, wo das Mädchen das Instrument auf die Schnelle hergenommen hatte. Er drehte sie staunend zwischen den Fingern. Die war verdammt schön und sicher nicht ganz wertlos. „Dann zeig doch mal, was du kannst“, trug Zaku ihm auf. „Okay, aber sei bitte etwas nachsichtig. Es ist schon eine Weile her, daß ich auf sowas gespielt habe.“ Der Anführer der Truppe hob sich die Flöte an die Unterlippe und benetzte nochmal mit der Zunge seine Lippen, bevor er vorsichtig darauf blies. Die langsame, tragende Melodie, die sich wie von selbst zusammensetzte und sich angenehm ins Ohr fügte, war spürbar mit Leidenschaft beseelt. Ryuka spielte wirklich wundervoll. Nach einer Weile stand Zaku lächelnd auf und begann dazu zu tanzen. Ganz selbstverständlich, als würde sie das Lied auswändig kennen, schon seit Kindertagen harmonisch mit Ryuka zusammenarbeiten, und mit der Biegsamkeit und Geschmeidigkeit von Grashalmen im Wind. Ihre langen Kimono-Ärmel schienen beinahe zu Flügeln zu werden, als sie den 'Tageslauf der Krähe' tanzte, und zu einem dicken Pelzmantel, als sie 'die Götterprinzessin bricht das Eis' vorführte. Als Ryuka mutiger und seine Melodie schneller und feuriger wurde, ging sie über zum 'Spiel der Schlangen und Vögel'. Dieser Tanz wechselte zwischen runden, schlängelnden Bewegungen, und schnellen, geraden Stichen aus dem Körperzentrum heraus, die fast wie Angriffe aus einer Kampfkunst wirkten. Es schien beinahe, als würde Zaku selbst zu einer Schlange, oder zu einem mit spitzem Schnabel hackenden Vogel werden. O-Shikara gaffte sich die Augen aus dem Kopf, während er abwechselnd Ryuka und Zaku beobachtete. Er hatte seinen jungen Chef noch nie so auf einem Instrument spielen gehört. Und er hatte noch nie eine Frau so tanzen sehen. Er war so angetan, fast hypnotisch gebannt, daß er nicht umhin kam, irgendwann in die Proben mit einzusteigen und einen Takt zu Ryukas Melodie zu klatschen. Mangels einer Trommel oder anderer geeigneter Klopfwerkzeuge klatschte er in die Hände. O-Shikara verhaspelte sich aber schockiert, als das Mädchen in einen Stripteas überging und den Kimono erst über die eine Schulter rutschen ließ, dann auch noch über die andere, den ganzen Rücken bis hinunter zu den Hüften frei machte und den Stoff beim Umdrehen gerade noch so vorn vor dem Busen zusammenhielt. Ryuka, von dem Muskelprotz gleichsam mit aus dem Takt gerissen, brach sein Spiel auf der Bambusflöte verwirrt ab und schaute fragend auf, was los war. Lachend zog sich Zaku das Gewand wieder hoch, stiefelte zu ihrem Sitzplatz zurück und pflanzte sich wieder neben die beiden Männer, um endlich fertig zu essen. Die wollten sexuell angehauchte Possen reißen? Das konnte Zaku auch! O-Shikara hüstelte, knallrot um die Nase. „Das, ähm ... das war doch schon ganz gut. Ich denke, das ist bühnenreif.“ Ryuka begutachtete wieder das Instrument in seinen Händen. „Das ist eine sonderbare Flöte. Das Spielen ist mir noch nie so leicht gefallen wie auf dieser hier.“ Zaku schmunzelte nur in sich hinein, sagte aber nichts. Natürlich war das eine sonderbare Flöte. Es war ja ihre. Eine göttliche Flöte. Kein Wunder, daß die besser zu handhaben war als jede menschengemachte. Und ihre Anwesenheit als Göttin der Kunst beflügelte das Talent der beiden ebenfalls um einiges. „Wo hast du so zu tanzen gelernt?“, wollte O-Shikara wissen. Zaku schob sich einen Streifen Möhre zwischen die Zähne. „Im Tempel hat man doch sonst nichts anderes zu tun“, mampfte sie mit vollem Mund. „Sag mal, wo hast du eigentlich gelebt? Als der Tempel überfallen wurde, warst du ja gar nicht da!“, hakte der Riese argwöhnisch nach. Langsam war genug Zeit ins Land gegangen, auf daß er sich ein paar Dinge hatte zusammenreimen können. Das Mädchen war ihm immer noch ziemlich suspekt, trotz allem. Vieles passte da nicht zusammen, wenn man mal genau drüber nachdachte. Zaku warf ihm einen bösen Blick zu. „Frag einfach nicht“, verlangte sie und begann dann demonstrativ ihre Sachen zusammen zu packen und den Aufbruch zur Weiterreise vorzubereiten. „Seltsam ist das schon, das musst du zugeben“, fuhr O-Shikara also an seinen Gefährten Ryuka gewandt fort, da das Mädchen ihm offensichtlich nicht mehr zuhörte. Am späten Nachmittag erreichten sie das nächste Dorf im Süden, schlugen ihre Zelte aber nicht gerade zentral im Blickfeld der Dorfbewohner auf. Schließlich hatten sie nicht vor, hier aufzutreten. Ein brauchbares Bühnenprogramm hatten sie ja noch lange nicht. Ryuka und Zaku gingen aber zumindest noch ins Dorf, um zu sehen, ob man irgendwo etwas zu essen auftreiben konnte. Und wenn sie darum betteln mussten. O-Shikara bewachte solange den Karren mit all ihren Sachen. Zaku versuchte mit einem Obsthändler einen Tausch von einer Ladung Birnen gegen ihr Shamisen auszuhandeln, was zu ihrem Bedauern nicht sehr erfolgversprechend zu sein schien, denn der Bauer hatte für ein Musikinstrument keine Verwendung, auch wenn es noch so wertvoll war. Als sie dem Obstbauern gerade zu erklären versuchte, daß er das Shamisen ja gewinnbringend weiterverkaufen könne, wenn er selber keine Verwendung dafür hätte – Zaku sagte ihm natürlich auch nicht dazu, daß sich das Shamisen in Luft auflösen würde, wenn sie weiterging – tippte Ryuka ihr von hinten auf die Schulter und zog sie vom Stand weg. „Sieh dir das hier an“, trug er dem Mädchen halblaut auf und führte sie zu einem fahrenden Händler, der ebenfalls heute in diesem Dorf angekommen war und seine mitgebrachten Waren zu tauschen versuchte. Neben etlichen Dingen des Alltagsbedarfs, hauptsächlich Haushaltsgerätschaften und Stoffballen, prangte eine goldglitzernde Götterfigur mitten auf seinem Wagen. Es war eine handliche Tempelstatue, nicht ganz zwei Shaku groß. Zaku erkannte sie sofort wieder, da im Gewand der Figur ein bestimmter Edelstein fehlte, der schon vor Jahrzehnten einfach mal herausgefallen und dann mangels Wiedereinarbeitung verloren gegangen war. Sie schnappte empört nach Luft. „Das ist die Gebets-Ikone aus meiner Orakelhalle!“ „Ich weiß“, meinte Ryuka zwischen verständnisvoll und bedauernd. Er verstand Zakus Aufregung. Aber auch wenn es hundertmal eine aus dem zerstörten Tempel gestohlene Statue war, würden sie die nicht so ohne weiteres wiederbekommen. „Wie kommt die hier her?“ „Die Männer, die deinen Tempel überfallen haben, werden sie dem Händler zum Tausch angeboten haben. Die müssen hier durchgekommen und ihm begegnet sein. Das heißt, wir sind zumindest auf dem richtigen Weg. Wir sind ihnen auf der Spur.“ Zaku verschränkte mit einem 'hmpf' die Arme und schien sichtlich zu überlegen, ob sie sich damit jetzt wirklich zufrieden geben musste. „Du willst die Statue zurück haben, hm?“, hakte Ryuka einfühlsam nach. „Darauf kannst du wetten.“ „Das wird schwierig. Wir haben nicht genug Tauschwaren, um sie uns von dem Händler wieder zu ertauschen.“ „Sagt wer?“ Ryuka stutzte irritiert. „Was willst du ihm denn dafür bieten?“ „Sein Leben, wenn es ihm lieb ist!“ „Zaku! Wir sind keine Verbrecher!“, blaffte der junge Darsteller entrüstet. „Wenn du das tust, bist du keinen Deut besser als die Kerle, die deinen Tempel niedergebrannt haben! Willst du so tief sinken und dich mit denen auf eine Stufe stellen?“ Das Mädchen im Kimono seufzte. „Nagut. Ich muss es ja nicht so offensichtlich als Morddrohung ausgeben. Ich kann´s ja freundlich verpacken.“ Sie schnappe ihr Shamisen aus der Luft, weiß der Himmel woher, und marschierte direkterweise auf den Karren des fahrenden Händlers zu. „Eh ... warte mal, wo nimmst du plötzlich die Gitarre her?“, wollte Ryuka verwirrt wissen und hechtete ihr hinterher. Er hatte gar nicht gesehen, daß sie die bei sich gehabt hatte. Oder eher, wo sie die versteckt hatte seit er sie vom Obststand weggezogen hatte. Dort hatte sie das Instrument ja noch gegen Birnen eintauschen wollen. „Alter Taschenspieler-Trick. Wäre was für die Bühne“, gab sie knapp angebunden zurück, ohne ihm wirklich Beachtung zu schenken. Händler Kobayashi stand gemütlich auf, als er die Geisha und den jungen Mann mit der Tengu-Maske vor dem Bauch, die ihn als Theater-Darsteller ausgab, forschen Schrittes auf sich zukommen sah. Er hatte sie schon seit einer ganzen Weile beobachtet, während er sein ausgespanntes Okinawa-Pony am Führstrick grasen ließ. Normalerweise zog das Pony den Karren für ihn. Aber im Moment pausierten sie ja hier und versuchten, mit den Dorfbewohnern zu handeln. „Hallo, ihr zwei. Kann ich helfen?“, grüßte er. „Hallo, Meister“, erwiderte Zaku betont freundlich und liebreizend. „Diese goldene Statue da, was hat es damit auf sich?“ „Die Inari-Figur? Ich hab sie von einem Wanderer bekommen.“ „Diese Figur stellt Zaku dar! Die Göttin der Kunst!“, schoss Zaku ein wenig giftiger zurück als sie gewollt hatte und biss sich gerade noch rechtzeitig auf die Zunge, bevor sie noch ein 'Vollidiot!' anhängte. Dieser ungebildete Tölpel! Sie fühlte sich beleidigt. „Ach ja?“ Kobayashi warf einen Blick auf die Ikone. Dann zuckte er desinteressiert mit den Schultern. „Wenn du meinst!? Wer soll die schon alle kennen?“ „Ich will sie haben! Ich gebe dir mein Shamisen dafür.“ Der Händler zog ein sichtlich abgeneigtes Gesicht, streckte aber dennoch die Arme nach dem Instrument aus. Er wollte es sich zumindest einmal ansehen, bevor er ablehnte. Er packte die dreisaitige Gitarre aus der Stoffdecke aus, in die sie eingeschlagen war, und musterte das feine, filigran verarbeitete und reich verzierte Holz. Perlmutt und Schildpatt waren darin eingesetzt, und die Mechaniken zum Stimmen der Saiten waren mit Gold und Edelsteinen überzogen. Interessiert zupfte er eine Saite an, weil er kaum glauben konnte, daß so ein Dekorationsgegenstand wirklich spielbar war. Aber der Klang war erstaunlich brilliant. ... Andererseits, was sollte er mit dem Ding, auch wenn es ganz hübsch war? Kobayashi drückte es Zaku wieder in die Hand. „Zu wenig. An meiner Statue sind wesentlich mehr Gold und Edelsteine dran als an dem Ding da. Und es ist immerhin eine Götter-Statue, nicht wahr?“ Ryuka mischte sich ein: „Eine Götter-Statue, die aus einem Tempel gestohlen wurde, der im Anschluss verwüstet und niedergebrannt wurde! Wenn man dich mit dieser Statue sieht, wird man glauben, DU hättest sie gestohlen und diesen Tempel zerstört.“ Der Händler lachte schallend auf. „Eine nette Geschichte. Das müsst ihr mir erst beweisen. So leicht lasse ich mich beim Tausch nicht über´s Ohr hauen.“ „Wir waren dabei und haben den Tempel gesehen. Wir kommen von dort“, bekräftigte Ryuka toternst. „Sicher. Und jetzt schert euch fort, wenn ihr mir für die Statue keinen passablen Tausch anbieten könnt.“ Mit einem amüsierten Kopfschütteln zog Kobayashi sein Pony mit sich fort und ging ein paar Schritte weiter. Er war das Gespräch leid. Zaku atmete genervt durch und folgte ihm rigeros. „Erzähl mir, woher du diese Gebets-Ikone hast!“, verlangte sie. „Ich will den Kerl finden, der sie dir gegeben hat! Erzähl mir, wer er war! Wie hat er ausgesehen und wohin ist er gegangen?“ „Was interessiert´s dich?“, brummte er mürrisch. „Schuldet er dir etwa noch den Lohn für deine Gefälligkeiten?“ Er deutete vielsagend auf ihre weiblichen Reize. Er war ja durchaus im Bilde, daß solche herren- und heimatlosen Möchtegern-Geishas, die im Gefolge fahrender Künstler-Truppen durch die Lande zogen, ihr Dasein nicht gerade mit geistreicher Konversation bestritten, sondern mit weit handfesteren Argumenten. „Zaku, jetzt krieg dich doch wieder ein!“, bat Ryuka, wobei er fast rufen musste. Das Mädchen rauschte vorweg wie ein wütender Stier und er konnte kaum mit ihr Schritt halten. Er konnte verstehen, daß sie so sauer war. Der Händler hatte ihr angeboten, ihr die goldene Tempelstatue für das Shamisen und für gewisse Dienste zu überlassen. Das sie als Tempeldienerin auf sowas nicht eingehen würde, war ja klar. Sie war nunmal keine Wander-Geisha, auch wenn sie sich als solche verkleidete. Allerdings konnte er auch den Händler ein bisschen verstehen, wenn er auf diese Verkleidung hereinfiel und Zaku irrtümlicherweise wirklich für ein Freudenmädchen hielt. Woher sollte er es auch besser wissen? O-Shikara, der sich die Zeit mit Jonglage-Übungen vertrieben hatte, fing ungeschickt die bunt gemischten, durch die Luft segelnden Gegenstände wieder auf. „Hey. Na, wart ihr erfolgreich?“ Er runzelte die Stirn, als Zaku an ihm vorbeistürmte. „Teilweise“, meinte Ryuka und strich sich die langen, schwarzen Haare glatt. „Zu essen haben wir nichts bekommen. Aber Hinweise auf die Männer, die ihre Priesterin ermordet und ihren Tempel verwüstet haben. Wir scheinen auf dem richtigen Weg zu sein.“ „Wir jagen jetzt also tatsächlich diese Kerle?“ „Es scheint so.“ Zaku kam wieder angerannt. „Wir werden heute Abend im Dorf ein Fest feiern! Baut die Bühne auf!“ „Was!?“, machten die beiden Männer synchron. „Ich will diese verdammte Statue wiederhaben!“, stellte Zaku launisch klar. „Und ich weiß auch, wie ich das anstelle!“ „Kind, wir haben kein Programm, das vorführfähig wäre“, appellierte Ryuka etwas unbeholfen an ihre Vernunft. „Du wirst doch wohl eine Märchenerzählung improvisieren können! Und du kannst Flöte spielen. Chirobi und ich tanzen dazu.“ Der Muskelprotz neben ihm nickte leicht. „Ganz schlecht finde ich die Idee nicht, wenn wir heute was zum Abendbrot haben wollen. Und eine Geisha, die mit einem Bären tanzt, ist mal was Neues, das gefällt mir. Lass du dir in Ruhe eine Geschichte einfallen, ich bau inzwischen die Bühne auf.“ Unglücklich legte Ryuka eine Hand auf die hölzerne Tengu-Maske, die noch immer an einem Strick an seiner Hüfte baumelte. O-Shikara wedelte aufgeregt mit einem brennenden Ast herum, den er aus einem Lagerfeuer gezogen hatte, als wolle er damit jonglieren. „Mann, ich bin nervös“, jammerte er dabei weinerlich. Ryuka bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. „Wieso das? Du trittst ja nichtmal vor dem Publikum auf. Du löschst nur die Feuer und verdunkelst alles.“ „Trotzdem.“ „Was soll ich da erst sagen? Ich muss mir auf der Bühne was zurechtimprovisieren, was ich vorher noch nie aufgeführt habe.“ „Hast du denn deine Geschichte schon fertig?“, wollte O-Shikara wissen. „Nein“, meinte der junge Mann völlig ruhig, verschränkte die Arme und schaute gelassen den züngelnden Flammen des Lagerfeuers zu. „Aber es wird sich schon alles von selber zum Besten fügen.“ „Ich hab all die Jahre nie verstanden, wie du so gleichmütig bleiben kannst. Ich würde vor Lampenfieber sterben, wenn ich an deiner Stelle wäre.“ „Die Bühne ist mein Leben. Ich fühl mich da wohl. Warum sollte ich Angst vor der Bühne haben? Die tut mir doch nichts.“ Der bärtige Riese winkte ab und stapfte davon. Vor Auftritten war sein Chef schon immer zu einer Diva geworden. Ryuka war verdammt gut und wusste das auch. Und er ließ das auch ungeniert raushängen. Ryuka lächelte ihm amüsiert hinterher. Dann schaute er wieder ins Feuer. Das hatte was Meditatives und brachte die Gedanken zur Ruhe. Er hatte noch nie mit Lampenfieber zu kämpfen gehabt. Selbst bei reinweg improvisierten Stücken, wo nichts geplant oder abgesprochen war, hatte er sich mit Selbstvertrauen und Zuversicht vor die Zuschauer gestellt. Ohne diese fast hochmütige Gelassenheit wäre er wohl kaum so ein guter Darsteller geworden. Mit einem „Achso, hätt ich fast vergessen!“ tauchte O-Shikara plötzlich wieder neben ihm auf und streckte ihm seinen Hintern entgegen. Auch wenn der Po nach wie vor von einem Hakama bedeckt war, sah die Geste reichlich blöd aus. Ryuka musste grinsen. „Unsere Gruppe ist zerschlagen. Wir sind alleine. Willst du wirklich an diesem albernen Ritual festhalten?“ „Natürlich!“, beharrte der Hüne, sein Hinterteil weiter präsentierend herausgestreckt. „So bleibt uns wenigstens noch ein Rest Andenken.“ Mit einem etwas überheblichen Schmunzeln drehte sich Ryuka um, so daß sie Rücken an Rücken standen, und rieb seine Po-Backen an denen von O-Shikara. „Auf der Bühne und dahinter, wir war'n und sind Theater-Kinder!“, beteten sie dabei gemeinsam ihren albernen, gereimten Vers herunter, mit dem sie sich früher vor jedem Auftritt gegenseitig angeheizt und motiviert hatten. Zu Glanzzeiten, als ihre Truppe 15 Männer und mehr umfasst hatte, hatten sie dafür einen riesigen Kreis gebildet, wodurch man sich mit den beiden Kerlen zur linken und zur rechten die Hinterteile aneinander gerieben hatte. Das war immer eine riesen Gaudi gewesen. Ryuka konnte heute gar nicht mehr sagen, wer von den Männern diese affige Tradition mal eingeführt hatte. Im Dorf herrschte ausgelassene Stimmung. Das Leben der Bauern unter der harten, erpresserischen Knute der Lehensfürsten war trostlos, eintönig und voller Entbehrungen. Da kam es ihnen sehr gelegen, daß ein paar reisende Gaukler hier Halt machten und die Bewohner unterhalten wollten. Eine willkommene Flucht aus dem Alltag von Reisfeldern und Tributeintreibung, und sei es auch nur für einen Abend. Auch der fahrende Händler, der selten solche Auftritte zu sehen bekam, freute sich riesig und hatte zur Feier des Tages seinen Sake-Vorrat zur Verfügung gestellt. Als Ryuka nach Dunkelwerden auf die rot fackelbeleuchtete Holzempore trat, hatte er seine Tengu-Maske bereits vor dem Gesicht. Seine Bewegungen waren so unglaublich feierlich, daß das Publikum augenblicklich schwieg, ja regelrecht die Luft anhielt. Er bezog seinen Posten und blieb erstmal sekundenlang stumm und reglos dort stehen, bis ihn wirklich jeder gebannt anstarrte. „Eine Sage von der Schneefrau Yuki Onna!“, kündigte er schließlich dramatisch an. Man konnte die Spannung förmlich mit einer Klinge zerschneiden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)