Der Spürhase von Shevron ================================================================================ Kapitel 3: Familien – Freude, Angst und Schmerz ----------------------------------------------- Elizabeth Fangmeyer war, ebenso wie der Rest ihrer Familie, Frühaufsteher und froh darüber. Es gab ihr Zeit mit ihrer Familie, bevor sie zum Dienst musste. Sei es ein wenig Fellpflege mit ihrem Mann vor dem Aufstehen, etwas Zeit um mit ihren Kindern zu spielen oder zu kuscheln, oder auch einfach nur ein gemeinsames Frühstück. Am liebsten hatte sie natürlich alles zusammen, dafür reichte die Zeit allerdings normalerweise nicht… So auch heute. Auf dem Weg zum Revier würde sie noch bei Freddy nach dem Rechten sehen und sich gegebenenfalls Lea zur Seite nehmen um eine genauere Schilderung seines Zustands geben zu lassen. Dafür holte sie sich einige Donuts vom Bäcker am Ende der Straße, bevor sie sich auf den Weg machte. „LIZ! Ich habe mich schon gefragt, wann du vorbei kommst. Komm doch rein.“ Lea war eine Wölfin mit weiß-grauem Fell und fast schwarz an ihrer Schnauze. „Naja, eine Nacht mit der Familie kann Wunder bewirken. Darum bin ich erst heute da.“ Liz blickte sich um und Freddy war weit und breit nicht in Sicht. Dann wandte sie sich flüsternd an Lea. „Wie hält er sich?“ „Als er gestern nach Hause kam, verhielt er sich schlimmer als damals, als Trisha von dem Auto angefahren wurde. Er hat sie nicht aus den Augen gelassen und sie ständig an sich gedrückt… Währenddessen hat er seinen Schwanz um sie gelegt und dabei ihr Fell abgeleckt, wie er es nichtmehr getan hat, seit sie ein Welpe war.“ In ihr besorgtes Gesicht stahl sich ein kleines Lächeln, bevor sie weitersprach. „Wären wir nicht vorgewarnt gewesen, dann hätte sie ihrem Vater bereits das Fell über die Ohren gezogen.“ „Und wie hält er sich heute Morgen?“ „Er war im Bett aufgeschreckt und hat sich hecktisch umgesehen, bevor er sich einfach fallen ließ und murmelte, dass er sich wie ein überfürsorglicher Vater mit seinem ersten Welpen verhalten hat.“ „Wie hast du reagiert?“ „Sie sagte: Du hast vollkommen recht.“ Beide Frauen schreckten auf, als das Objekt ihrer Konversation plötzlich hinter ihnen stand. „Freddy! Wie geht es dir?“ „Meine Nase sagt mir, dass es mir dank dieses kleinen Päckchens in deinen Pfoten schon viel besser geht.“ „Das war der Plan.“ Trotz des wundervollen Aromas, welches ihm direkt in die Nase stieg als Liz ihm die Donuts reichte, schwand das Lachen sowohl von seiner Schnauze als auch aus seinen Augen. „Ich hoffe der Doc schreibt mich heute wieder diensttauglich… Am liebsten würde ich das Monster, das ihnen das angetan hat…“ Liz legte ihm ihre Pfote auf die Schulter und drückte zu. „Da bist du nicht allein. Kommst du gleich mit?“ „Nein. Der Doc ist erst heute Nachmittag frei und der Chief zieht mir das Fell über die Ohren, wenn ich mich vorher blicken lasse. Ich hoffe nur, dass es schnell geht.“ „Hoffen wir auf das Beste. Wir sehen uns dann nachher.“ Der Abschied war herzlich wie immer und sie war beruhigt, dass es ihrem ehemaligen Partner wieder besser ging. Bei ihrer Ankunft hatte sie noch eine halbe Stunde zur Verfügung, bevor Chief Bogo wie jeden Morgen die Dienstpläne verkündete. Dies kam ihr gelegen, da sie ohnehin noch schnell im Labor vorbeischauen wollte um zu schauen, ob die Spuren der Tatorte bereits ausgewertet wurden. Dort traf sie auf sie auf Damon Snow, einem Husky, der zugleich einer des besten Forensiker der Stadt war. Sein Fell war größtenteils schwarz, mit weißen Armen, Beinen, Bauch und Schnauze. Das schwarze Fell um seine Augen fiel so, dass er den Eindruck erweckte, als würde das pure Böse vor einem stehen, dabei war er immer ein ausgesprochen freundliches und zuvorkommendes Tier. „Guten Morgen. Ich wollte fragen, ob die Auswertung…“ „Zu spät. Nick hat sich die Unterlagen schon vor über einer Stunde abgeholt.“ Liz starrte ihn an, dann auf ihre Uhr und wieder auf ihn. „Du hast aber schon auf die Uhr geschaut, oder?“ „Oh ja.“ „Nick? Nicholas Piberius Wilde? Rotfuchs? Hat Spitznamen für Alles und Jeden? Verheiratet mit Judy?“ „Jup. Genau der.“ Liz konnte es kaum glauben… Dementsprechend verstört war auch ihr Ausdruck als sie versuchte dieses Detail zu verarbeiten. Sie fand erst in die Gegenwart zurück, als sie ein Klicken hörte und Damon mit seinem Handy vor ihr stand. „Hey Jonny! Ich hab die Wette gewonnen. Sie glaubt es nicht und ich hab hier sogar das Beweisfoto.“ „Oh Liz! Du weißt doch, dass man einen Wilde niemals unterschätzen darf! Du bist doch schließlich schon Jahre lang Judys Partnerin.“ Sie musste sich eingestehen, dass er nicht ganz unrecht hatte. „Ich glaube ich gehe jetzt mal besser, bevor ich noch zu spät zur morgendlichen Besprechung komme.“ Es war nicht schwer zu erraten, wo sie ihren vorrübergehenden Partner finden würde. Womit sie trotz allem nicht rechnete, war die Falltafel. War diese am Vorabend kaum mehr als eine Stadtkarte mit den Bildern der Opfer, so waren mittlerweile große Blöcke an Informationen zu jedem Bild und zu jedem Tatort zu sehen. Dabei waren Fakten in schwarz aufgeführt, während Folgerungen und Mutmaßungen in rot waren. „Guten… Morgen?“ „Morgen, Liz.“ Nick rührte keinen Muskel, als er auf die Falltafel starrte, der Kaffee in seinen Pfoten dampfte aber noch. „Wie kommt es, dass du schon hier bist?“ „Der Chief hat mir ‚Das Zimmer‘ überlassen, bis Judy wieder da ist...“ Sie wollte gerade fragen, warum der Chief dies als nötig erachtete, bis Nick die Tasse zu seiner Schnauze führte und das kräftige Aroma tief einatmete, bevor er einen Schluck trank. Da fielen ihr zwei wichtige Dinge ein: Einerseits hatte Judy ihr schon oft erzählt wie empfindlich seine Nase war und andererseits wie sie es liebte, wie er insbesondere zu DIESER Zeit auf ihren Geruch reagierte. Von dort an war es nicht schwer sich diese Frage selbst zu beantworten. „… Oh…“ „Genau. Ich schlage vor, wir gehen erst mal runter und wenn wir wieder hier sind, bringe ich dich auf den aktuellen Stand. OK?“ Judy schreckte auf, als sie erkannte, wie spät es war. Mit weit aufgerissenem Auge starrte sie auf die Uhr und diese zeigte in rot leuchtenden Ziffern an, dass es mittlerweile nach sechs Uhr morgens war. Für die meisten Tiere in Zootopia dürfte dies kaum der Rede wert sein, für Judy war alles jenseits von fünf Uhr morgens so, als hätte sie mehrere Tage verschlafen. Ohne darüber nachzudenken griff sie nach ihrer Uniform, nur um festzustellen, dass sie lediglich ein weiches Flanellhemd in den Pfoten hatte. Sie brauchte ganze fünf Sekunden, bevor ihr Gehirn aus seinem Schock erwachte und sie sich erinnerte, dass sie sich nicht in ihrer und Nicks gemeinsamer Wohnung befand, sondern im Bau ihrer Familie und dass ihre Mutter ihr einige Sachen bereitgelegt hatte. Mit einem Hauch Wehmut blickte sie auf die leere Seite des Bettes, bevor sie sich Shorts und ein T-Shirt überzog und das Zimmer verließ. Die nächste Frühstücksschicht würde erst in etwa einer Stunde beginnen, so beschloss sie den Bau zu verlassen und ein wenig zu trainieren. Ausgiebiges Strecken, dann ein kurzer Lauf über drei Kilometer, gefolgt von einigen Übungen und nochmals drei Kilometer zum runterkommen. Es war weit vom Umfang ihres üblichen Trainings entfernt, aber da sie ihrer Ansicht nach so sehr verschlafen hatte, musste sie den Rest auf später verschieben. Eventuell zum Abend hin. Vielleicht würde ihr das dann auch beim Einschlafen helfen. Nach einer schnellen Dusche befand sie sich dann im Speisesaal und stand in einer der Reihen für die Essensausgabe. Der Speisesaal war ein langer ovaler Raum, wobei sich die Tische aneinanderreihten, während die Seite mit mehreren durchreichen zur parallel verlaufenden Küche gespickt war. Auf diese Weise konnten mehrere Dutzend Hasen gleichzeitig bedient werden, während die strikte Disziplin gewahrt wurde. Und für die ungestümen Kinder gab es im hinteren Teil einen abgetrennten Bereich, in welchem die Eltern mit ihren Kindern auf speziellen Gummipolstern sitzen und essen konnten, ohne dass es allzu große Probleme bei der Reinigung kam, da der Raum einfach mit einem Wasserschlauch ausgespült werden konnte. Nicht umsonst hatte dieser Raum den Titel ‚Die Gummizelle‘ erhalten. Judy suchte gerade nach einem freien Sitzplatz, als jemand aus dem ruhigeren Bereich vor der Trennwand nach ihr rief. „Judy! Hier drüben!“ Sie folgte der bekannten Stimme und fand wie erwartet ihre Wurf-Schwester Trudy vor. Als Judy ihr allerdings so nahe kam, dass sie sie wirklich sehen konnte erstarrte sie geradezu. Trudys Fell war nahezu identisch zu ihrem, jedoch war der Bereich um die Augen fast schwarz und diese waren dunkelblau. Was jedoch ein deutlicher, wenn auch vorübergehender, Unterschied war, war ihr Bauch: Groß, rund und wie eine wahrnehmbare Bewegung der Haut verriet, voller Leben. „Uff.“ Trudy legte ihre Pfote auf ihren Bauch und rieb die Stelle, an welcher Judy zuvor die Bewegung bemerkt hatte. „Hey, ruhe da drinnen! Mammi will heute mal in Ruhe Frühstücken.“ Als Judy ihr in die Augen schaute, strahlten sie diese Wärme aus, wie es nur die Augen werdender Mütter vermochten. „Setz dich. Das ist doch Ewigkeiten her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“ Judy musste kichern. „Ewigkeiten? Letztes Jahr zur Ernte würde ich nicht als Ewigkeit bezeichnen.“ „Oh, glaub mir. Mit diesen Kleinen ist alles was länger als fünf Minuten ist eine Ewigkeit… Besonders nachts…“ Dabei packte sie Judys Pfote und legte sie auf ihren Bauch. „Spürst du das? Das raubt mir den Schlaf, aber ich würde es um nichts in der Welt eintauschen wollen.“ „Das ist jetzt dein vierter Wurf, richtig?“ „Mein Fünfter. Wenn man bedenkt, dass ich nur eine Minute jünger bin als du eigentlich merkwürdig, dass du noch nicht selbst…“ Trudy schlug ihre Pfoten über ihrer Schnauze zusammen. „Oh, Judy… Es tut mir so leid! Ich wollte nicht…“ „Schon gut. Wir haben das schon oft genug gehört. Dass es für die meisten Paare äußerst unwahrscheinlich, geradezu unmöglich ist Kinder zu bekommen, ist das einzige Argument, das die Gegner der ISE bis heute hochhalten.“ Es tat trotzdem jedes Mal schrecklich weh, aber das sollte nicht Trudys Sorge sein. Die Tränen sammelten sich dennoch in ihren Augen, da legten sich von hinten zwei Pfoten auf Trudys Schultern und ein Hase mit gold-braunem Fell lehnte sich über ihre Schulter und flüsterte ihr mit einer beruhigenden Stimme ins Ohr. „Nur die Ruhe, Liebes. Du hattest keine bösen Absichten und deine Schwester weiß das auch.“ Judy nahm die Pfoten ihrer Schwester in ihre eigenen und wandte sich ebenfalls an Trudy. „James hat vollkommen recht. Kein Schaden entstanden. Also musst du dir keine Gedanken darum machen.“ Es brauchte einige Momente und weitere Versicherungen, dass alles in Ordnung war, bevor Trudy sich soweit gefangen hatte, dass sie tief durchatmen konnte. Dann fuhr sie mit ihrem Kinn über seine Schnauze, die Stirn, seine Wangen und über seinen Hals um ihren Duft an ihm zu erneuern, bevor er die Geste mit geschlossenen Augen und einem breiten Lächeln erwiderte. „Eines der Dinge, die ich an meinen Schwangerschaften hasse, ist, dass ich so empfindlich werde…“ „Das glaube ich dir unbesehen.“ Als sie ihre vermischten Duftnoten roch konnte sie nicht anders als zu lächeln. Der Duft ihres Fuchses war deutlich markanter und langlebiger, als der eines Hasen und selbst nach über einem Tag und zwei Duschen war er noch deutlich präsent. Sobald sie die Augen schloss konnte sie Nick noch so deutlich riechen, als stünde er vor Ihr. Er hatte seine Arme im sie gelegt und jede Stelle erst gründlich mit seiner Zunge gepflegt, bevor er mit seinen Wangen über sie fuhr. Über ihre Schnauze… Über ihren Kopf… Über ihre Ohren… Über ihren Hals… „Judy?“ Sie riss die Augen auf uns sah als erstes die amüsierten Blicke ihrer Schwester und ihres Mannes. Danach bemerkte sie ihr rasendes Herz und das Beinahe-Hecheln, welches sie in Nicks Gegenwart häufig hatte, wenn sie alleine waren. „Ups…“ Trudy war amüsiert. Wenn eine Häsin ihren Körper in dieser Form nicht unter Kontrolle hatte, dann lag das üblicherweise nur an einer Sache. „Hast du heute deine Pille vergessen?“ „… Äh… nein?“ James´ Ausdruck hatte sich von amüsiert zu schockiert verändert, während er sie anstarrte. „Ich muss gestehen, jetzt ich bin ein wenig neidisch. Meine Trudy reagiert ja noch nicht einmal so stark, wenn sie Ihre Pille nicht genommen hat…“ „Es ist gerade die Zeit für Füchse. Und da ist alles… stärker… auch sein Duft und der Effekt, den er auf mich hat…“ Beide starrten sie an und antworteten dann vollkommen synchron. „Das glauben wir gerne.“ Dies wiederum brachte Judy dazu zu kichern, da der Anblick einfach göttlich war. Nur einen Augenblick später setzten sie mit ein und es artete in ein Gelächter aus, dass ihnen die Kiefer schmerzten. Als hätte sie das Lachen befreit, fiel es ihr wieder leichter sich so unbeschwert zu verhalten wie immer, wenn sie bei ihrer Familie war. So verlief der Rest des Frühstücks ruhig mit unbedeutenden Gesprächen über den neuesten Klatsch und Tratsch aus Bunnyburrow im Gegenzug für die interessantesten Neuigkeiten aus Zootopia. Sie waren so in ihre Gespräche vertieft, dass sie geradezu überrascht waren, dass sie nahezu alleine im Speisesaal waren, als sie mal aufblickten. „Die nächste Schicht dürfte in Kürze dran sein. Was hältst du davon, wenn wir auf die Veranda gehen und dort weiterreden?“ „Oh, das klingt wunderb… Ohhhh…“ Trudys Pfoten gingen zu ihrem Bauch und sie beugte sich vor. Ein schmerzhaftes Stöhnen entfuhr ihrer Kehle und als sie aufblickte, konnte Judy eine Mischung aus Schmerz und Freude erkennen. „Ernsthaft?! Sag mir nicht, dass es wirklich genau jetzt soweit ist!“ „Fühlt sich auf jeden Fall so an… Ahhh…“ Ohne darüber nachzudenken hob sie ihre Schwester auf die Arme und lief Richtung Treppe. „James, sag Mom Bescheid. Ich bringe sie hoch ins Geburtszimmer.“ Ohne auf eine Antwort ihres Schwagers zu warten nahm Judy zwei Stufen auf einmal. Bei Hasen kann die Geburt binnen weniger Minuten erfolgen, daher war Eile geboten. Kaum eine Minute später war sie in einem Zimmer mit einer dick gepolsterten großen Liege, welche gut ein Drittel des Raumes einnahm. Auf der gegenüber liegenden Seite befanden sich ein Waschbecken und eine breite Arbeitsplatte, auf welcher alles Mögliche befand, was Frau bei einer Geburt brauchen konnte. Judy hatte ihre Schwester gerade auf dem Nest abgelegt wo sie sich auf die Seite rollte und umgehend begann sich die Kleider im wahrsten Sinne des Wortes vom Leibe zu reißen, als ihre Mutter sowie ihre Schwestern Jeri und Jill das Zimmer betraten. Bonnie ging sofort zu ihrer Tochter und tastete ihren Bauch ab, bevor sie mit ihrem Ohr einem Stethoskop gleich ihren Unterleib abhorchte... Währenddessen hatten Judy und ihre Schwestern ihre Pfoten gründlich gewaschen und warteten auf die Anweisung ihrer Mutter, die seit jeher die Rolle der Hebamme in der Familie inne hatte. „Es sieht gut aus Liebes. Dieser Wurf scheint es nicht ganz so eilig zu haben, wie dein letzter.“ Trudy presste ein kurzes Lachen hervor. „Oh ja. Diese kommen dank Judy nicht in der Gummizelle zur Welt.“ „Gut. Jeri, Wasser, Pfotenwarm und einen Eimer für den Rest. Jill, Tücher, zehn Stück. Judy, herkommen. Du hältst ihr Bein und reichst die Kleinen an ihre Mutter weiter.“ Judy nahm vor Trudy Platz und nahm einige der kleineren Polster um es ihrer Schwester so bequem wie möglich zu machen während ihre Mutter sich die Pfoten wusch. Die ersten Zuckungen zeugten von den Einsetzenden Wehen und Judy packte Trudys Bein, um es davon abzuhalten unkontrolliert herum zu schnellen und Jemanden zu verletzen. Es wäre nicht das erste blaue Auge ihrer Mutter und mit Sicherheit auch nicht das Letzte, aber das war ein Risiko, welches in ihren Augen dazugehörte. Und obwohl Judy höchstwahrscheinlich die Stärkste im Raum war, so hatte selbst sie Probleme das Bein ihrer Schwester zu halten. „Gut so. Das Erste ist da. Jill, Tuch, Jeri, Pfote her.“ Jill reichte ihrer Mutter eines der Tücher, die kaum größer als zwei Pfoten waren, nachdem sie es in das lauwarme Wasser getaucht hatte. Zugleich nahm Jeri ihr die Reste des Geburtssacks und der Nabelschnur ab und entsorgte diese. Es war tatsächlich das erste Mal für Judy, dass sie bei der Geburt selbst dabei war und sie konnte ihren Blick nicht von diesem kleinen Wesen abwenden, welches von ihrer Mutter vorsichtig in das feuchte Tuch gewickelt wurde. „Hier Judy.“ Dieses kleine Wesen passte locker in eine ihrer Pfoten und wirkte so zerbrechlich, dass sie es kaum wagte auch nur einen Muskel in ihrer Pfote zu rühren, während sie diese hin in die Arme ihrer Schwester führte. Diese nahm ihr Kind entgegen und führte es nahezu hektisch zu ihrer Schnauze, wo sie begann den freiliegenden Kopf mit ihrer Zunge zu säubern. Sie wusste natürlich, dass es normal und sogar wichtig war für eine Mutter ihr Kind so zu reinigen und zugleich beiden den Geruch des anderen einzuprägen, aber diesen so unbeschreiblich wichtigen Akt selbst mit eigenen Augen sehen zu können löste diese Sehnsucht in ihr aus. Nach der Reinigung fuhr sie mit ihrem Kinn über das neue Leben in ihren Pfoten und legte es an ihrer Brust nieder, wo es sogleich begann an einem der Nippel zu saugen. Sie wurde erst aus ihren Gedanken gerissen, als Trudys Wehen wieder einsetzten und sich ihr Bein beinahe aus Judys Griff befreien konnte. Der ganze Vorgang wiederholte sich noch weitere Male, bis ganze acht gesunde Babys an ihrer Brust lagen und die erste Milch ihrer Mutter genossen. Trudy hatte Tränen in den Augen und fuhr mit ihrer Pfote immer und immer wieder über die kleinen Körper. Jeri und Jill verließen das Zimmer und ließen James dabei hinein. Obwohl es bereits ihr fünfter Wurf war, so verspürte er wie jedes Mal diese unbeschreibliche Mischung aus Freude und Bewunderung seiner Liebsten, dass sie diese Wunder des Lebens zur Welt gebracht hatte. Ohne die beiden Frauen an seiner Seite weiter zu beachten, stieg er mit Tränen in den Augen zu seiner Frau in das Nest und begann wortlos seine Schnauze über die ihre zu reiben. Trudy erwiderte diese Geste erneut ohne ein Wort zu verlieren, bevor James langsam und vorsichtig sowohl mit seiner Nase als auch seinem Kinn über ihre Kinder fuhr. Auch Bonnie hatte Tränen in den Augen, so wie jedes Mal, wenn eines ihrer Kinder neue Leben in die Welt setzte. Die ersten Minuten nach der Geburt hatten immer etwas magisches, wenn die Eltern und ihre Kinder sich das erste Mal wirklich sehen, riechen und spüren konnten und alle diese euphorische Wärme ausstrahlten… Es kostete sie einiges an Überwindung, aber sie schaffte es sich von dem Anblick vor sich loszureißen und an ihre Seite zu schauen. Bonnie wollte wissen, welchen Ausdruck Judy zeigen würde. Und Judy war… einfach… nicht mehr da… Allein die Tatsache, dass Judy nicht mehr an ihrer Seite war, reichte aus, um ihr nur zu deutlich zu zeigen, dass etwas nicht stimmte… Auf dem Flur war sie nicht. Auch im Krankenzimmer gegenüber bei dem verletzten Hasen Jack Savage war sie nicht. Ebenso wenig befand sie sich sonst irgendwo im Gebäude, so dass sie eine Gruppe fragte, welche gerade aus den unteren Ebenen des Baus heraufkamen. Auch diese hatten ihre Schwester nicht gesehen. Sie dachte daran, dass sie etwas bei Judy an gestrigen Abend gesehen hatte und wollte sie deswegen nach dem Frühstück zur Seite nehmen. Mittlerweile war Bonnie sich sicher, Schmerz gesehen zu haben, aber sie war sich nicht sicher, was der Auslöser war. Judy ließ nie zu, dass Irgendwer ihren Schmerz sehen konnte. Außer, es war ein wirklich abgrundtiefer, markerschütternder Schmerz. So wie vor einigen Jahren, als Judy wahrlich gebrochen war und sie sogar ihren Lebenstraum aufgegeben hatte. Bonnie hatte sich selten dermaßen hilflos gefühlt. In der Nacht vor ihrem Wiedersehen mit Gideon hatte Bonnie Judy am Flussufer gesehen und sie war starr vor Entsetzen, als sie zum ersten und bisher einzigen Mal sah und vor allem hörte, wie Judy weinte. Dieser Schmerz und die Einsamkeit, die sie in diesem Moment verspürt haben musste um derartige Laute von sich zu geben, ließen sie selbst heute noch erschaudern… >Der Fluss…< Jenseits der Felder im Osten war ein kleiner Fluss, welcher die Grenze zum benachbarten Farmland bildete. Auf einem kleinen Pier steht eine kleine Pumpstation die Wasser für die Felder abzweigte und daneben stand ein kleiner Schuppen in welchem diverse Werkzeuge und Ersatzteile gelagert wurden. Zwischen den beiden war ein Zwischenraum, in welchem man einerseits bei Sonne im Schatten saß, als auch vor den kalten Winden geschützt war. Bonnie stand auf einem kleinen Hügel nahe des Flusses und konnte den Pier sehen… ebenso die zusammengekauerte Gestalt zwischen den beiden Strukturen… Ihr Herz begann zu rasen, als sie sich plötzlich an derselben Stelle sah, Jahre zuvor, nur nachts, aber ansonsten war der Anblick identisch… auch die markerschütternden Laute ihrer Tochter waren identisch… Sie musste zu ihrer Tochter und zwar sofort. Es fehlte nicht viel und sie wäre sogar auf allen Vieren gerannt, um noch schneller bei ihr sein zu können. Judy schien sie garnicht zu bemerken, so stoppte sie sich noch vor dem Pier und gab ihr Gelegenheit sie zu bemerken, als sie sich ihr von hinten näherte. Selbst als sie sich niederkniete schien Judy sie nicht zu bemerken. Erst als ihre Pfote auf Judys Schuler landete, reagierte sie. Sie warf sich ihrer Mutter in die Arme, ließ ihrem Schmerz aber dennoch freien Lauf. Bonnie strich ihrer Tochter über die Ohren und flüsterte ihr mit ruhiger Stimme zu, aber es schien keinen Effekt zu haben. Dann begann sie leicht vor und zurück zu schaukeln. Wenn dies einen Effekt hatte, so ließ Judy es sich nicht anmerken. Zuletzt fuhr sie ihr sogar mit dem Kinn über ihren Kopf und ließ ihren mütterlichen Duft für sich sprechen um die Instinkte ihrer Tochter anzusprechen und zu beruhigen. Entgegen aller Erwartungen schien diese Maßnahme ihren Schmerz sogar zu verstärken und Bonnie war ratlos, was sie machen sollte. So beließ sie es beim streicheln, flüstern und schaukeln, in der Hoffnung, dass Judy mit ihr reden würde, sobald sie in der Lage wäre. Es dauerte schmerzhaft lange, aber schlussendlich verstummte Judy in ihren Armen. Sie sah hinab auf die nun regungslose Häsin in den Armen ihrer Mutter. Nach einigen Momenten blickte Bonnie in den Himmel wo die Sonne noch lange nicht ihren Zenit erreicht hatte und fragte sich unentwegt, was diese Reaktion ausgelöst haben könnte. Dies war ein Tag der Freude, nicht der Trauer und dennoch… „… Es tut so schrecklich weh…“ Bonnie schreckte auf, dachte sie doch Judy hätte sich in den Schlaf geweint. „Erzähl´ es mir… Ich höre dir zu…“ Ein paar Minuten verstrichen, in denen Bonnie Judy einfach nur festhielt und ihr über die Ohren strich. „Wir waren etwa zwei Jahre zusammen, als wir das erste Mal darüber sprachen…“ Ein Beben ging durch Judys Körper und Bonnie konnte gerade zu spüren, wie viel Überwindung es Judy kostete diese Erinnerungen hervorzuholen. „… eine Familie zu gründen…“ Mit steil aufgerichteten Ohren, weit aufgerissenen Augen und offenem Maul starrte Bonnie auf ihre Tochter herab. Seit sie sich entschieden hatte Polizistin zu werden hatte sie so gut wie nie die üblichen Interessen ihrer Altersgenossen geteilt. Kinder fielen ebenfalls unter diese Kategorie und Judy hatte auch noch nie etwas derartiges ihr gegenüber angesprochen. „… aber eine Adoption war nicht möglich, da wir nicht verheiratet waren. Das war einer der Gründe für seine Initiative.“ „Jetzt seid ihr es aber.“ Ein leises Wimmern entsprang ihrer Kehle, bevor sie weitersprach. „Jetzt ist das Problem… ein Anderes…“ Wieder dauerte es einige Minuten, bevor Judy weitersprach. „Wann immer irgendein Tier an die ISE denkt, dann denkt es an uns… Wann immer ein Tier seinen Partner verlässt um sich mit jemandem von einer anderen Spezies zu treffen, dann denken sie an… uns… Wann immer solch ein verlassenes Tier einen Schuldigen sucht, denkt es an… uns… Wann immer solch ein Tier seinem Zorn freien Lauf lassen will… kommt es… zu uns…“ Bonnie konnte nicht glauben, was ihre Tochter ihr da erzählte. Wie konnte sie es nur aushalten dies alles für sich zu behalten? „Den ersten Monat nach unserer Hochzeit blieb es ruhig. Niemand wollte mit der PBB in Verbindung gebracht werden, aber dann begann es: Männer, Frauen, alt, jung, arm, reich… Briefe, dass wir an ihrem Leid die Schuld tragen sollten… Manchmal sogar jemand, der es mit Gewalt versuchte… Aber wir haben es überstanden. Es ließ nach. Seit Monaten gab es keinen gewaltsamen Übergriff mehr und es sind nur noch ein oder zwei Briefe im Monat... Dennoch sehen die Behörden es anders.“ Ein Beben ging durch Judy. „Die Gefahr für ein Kind sei zu groß, daher wird uns diese Möglichkeit verweigert.“ Bonnie fühlte sich, als hätte sie soeben einen kompletten Wurf Kinder verloren. „Oh, Judy… Gibt es keine andere Möglichkeit?“ Zu ihrer Überraschung stahl sich ein kleines Lächeln auf Judys Schnauze. „Die gibt es. Nick könnte mich schwängern.“ Noch bevor ihre Mutter etwas darauf erwidern konnte sprach Judy weiter. „Die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber so gering, dass ich eher dreimal hintereinander sechs Richtige im Lotto habe… Das ist das einzige Argument der Gegner der ISE, das wir nicht widerlegen können. Und das schmerzt.“ „Und was wäre mit… Künstlicher Befruchtung? Mit einer Samenspende?“ „… Wir haben… Angst… vor den möglichen Konsequenzen…“ Nun war Bonnie verwirrt. „Was meinst du? Gibt es nicht auch bei der Polizei Mutterschutz und dergleichen?“ „Das gibt es. Aber es sind eher die Konsequenzen für Nick… Allein der Gedanke, dass ich Kinder eines Anderen austrage reicht um ihm nahezu körperliche Schmerzen zu bereiten. Es gibt dokumentierte Fälle, in denen sich Füchse, deren Gefährtinnen freiwillig oder auch unfreiwillig die Kinder eines Anderen trugen…“ Judy suchte nach den richtigen Worten. „… veränderten… gegen ihren Willen… Sich von den Frauen, die sie jahrelang geliebt haben abwandten…“ „Bei allen Göttern…“ „Nick hat deutlich gemacht, dass sowas nur in einem von tausend Fällen geschieht von mir verlangt diese Option in Betracht zu ziehen, aber ich habe es bisher immer abgelehnt.“ Bonnie starrte Judy an und musste sich zwingen, das folgende Wort herauszupressen. „Bisher?!“ Als wäre das ihr Stichwort gewesen, brachen die Tränen wieder aus Judy hervor und sie presste sich erneut an ihre Mutter. „Für einen… kleinen… winzigen… Augenblick… wünschte ich… ICH… wäre an Trudys Stelle… würde MEINE Kinder an mir spüren… Und es war mir egal… völlig… egal… … wer dort… bei mir wäre…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)