Die Palastbücherei (One-Shot Sammlung) von C-T-Black (Ein Ort voller One-Shots) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Keiji ------------------- Die Sonne, die durch das dichte Blätterdacht brach, tanzte in sprenkeln über das satte Grün der Wiese. Vögel zwitscherten in den Baumkronen und eine leichte Brise strich über den Hügel. Jetzt, im Hochsommer, war es im hohen Gras unter den uralten Bäumen am kühlsten. Hier, wo der Wind aus den nahen Bergen über das Land strich. Kühl und mit dem Ruf der Freiheit. Genau dieser Ort, war der Lieblingsplatz des jungen Lords des Maeda Clans. Dem Erben von Toshihisa Maeda. Schon lange wurde er auf die Aufgabe der Nachfolge vorbereitet. Doch jetzt, nur wenige Tage vor seinem sechzehnten Geburtstag, versuchte er alles um nicht an diese Verantwortung zu denken. Natürlich würde er nicht automatisch an seinem Geburtstag zum Oberhaupt der Familie werden, aber er würde der Gesellschaft als zukünftiger Anführer vorgestellt. Die Zeremonie konnte er mittlerweile im Schlaf, doch der Gedanke daran erzeugte immer noch ein flaues Gefühl in seiner Magengegend. Toshihisa Maeda war ein alter, weißer Mann. Wie konnte man von ihm, einen einfachen Jungen, erwarten es diesem großartigen Anführer gleich zu tun? Er war doch nur ein dummer Junge. Diesen Eindruck gewann er in letzter Zeit immer öfter und er fragte sich, ob er der Rolle als Anführer überhaupt gerecht werden konnte. Was er auf keinen Fall wollte war seinen Ziehvater zu enttäuschen. Er wollte ehrenhaft sein und seinem Clan ein würdiger Nachfolger. Immerhin war das Leben in den Bergen hart und zeitweise sogar sehr gefährlich. Ein einzelnes Kirschblütenblatt fiel auf das Buch des jungen Lords und riss ihn aus seinen Gedanken. Er schob sich eine lästige Haarsträhne hinters Ohr und sah von seiner Skizze auf. Nur wenige Meter entfernt, stand eine Frau zwischen den mächtigen Bäumen. Als sich ihre Blicke trafen, verneigte sie sich höflich, was der junge Lord erwiderte. Bevor er aufsprang und zu der Frau hinüber lief. Ihre ganze Erscheinung war edel. Ihre Haltung, ihr seidener, roter Kimono, den unzählige weiße Kirschblüten zierten. Sogar ihr kirschrotes Haar, das perfekt zu ihrem roten Lack-Schirm passte, zeigte ihre Eleganz. Sie war blass, wie eine Prinzessin und ihre zierlichen Finger waren kaum geschaffen für schwere Arbeit. Sie machte den Eindruck einer hübschen Puppe, die man nur ansah, aber die niemals etwas tat. Aber der junge Lord wusste es besser. „Sakura! Ich wusste du würdest kommen. Sieh mal, ich habe mir eine neue Strategie überlegt. Wenn wir die Bogenschützen hier oben postiert und nur ein paar Fußsoldaten als Köder eingesetzt würden, dann könnte man die Angreifer vernichten, ohne größeren Schaden auf unserer Seite.“, erklärte der Lord stolz und hielt der Frau sein geöffnetes Buch entgegen. Das Buch, in dem er all seine Ideen und Strategien niederschrieb oder zeichnete. Sakura hatte ihn dazu gebracht dieses Buch zu beginnen. Vermutlich nur, weil sie mit seinen nachgestellten Szenen aus Steinen und Zweigen nicht zurechtgekommen war. Aber auch, um ihn zu ermöglichen später noch einmal über seine Ideen nachzudenken. So hatte der junge Lord begonnen auch später noch über seine Ideen nachzugrübeln, um sie schließlich noch weiter zu verbessern. Heute war es eine fiktive Verteidigungsstrategie für den Fall, dass sein Haus eines Tages angegriffen werden könnte. Aber er hatte auch schon unzählige Angriffe auf alle möglichen Häuser und Paläste in der Nähe durchgespielt. Und wenn all die strategischen Überlegungen seinen Geist nicht genug forderten, dachte er sich unzählige Dinge aus, die im Haushalt oder bei der Feldarbeit helfen konnten. An solchen Ideen konnte er stundenlang tüfteln und wenn sie gelangen stellte er sie den Leuten seines Haushalts zur Verfügung. Doch er gab niemals damit an. Es war ihm Freude genug, den Dank und die Wertschätzung der Bediensteten zu erfahren, denen er damit zur Hand ging. Denn wenn er nicht zu sehr über die Verantwortung nachdachte, wollte er ein gutes Vorbild für die ganze Familie sein. „Keiji. Du solltest nicht allein hier oben sein. Du könntest entführt werden, oder schlimmeres...“, sagte Sakura und musterte den jungen Lord. Dieser schenkte ihr ein breites Grinsen. „Aber du bist doch da. Was soll da schon passieren?“ Sakura seufzte, trat aus dem Schatten der Bäume und setzte sich auf einen großen Stein in der Nähe. „Ich bin niemand, den du als angemessene Gesellschaft zählen solltest. Du solltest mich als Bedrohung sehen. So wie euer Daimyō das tut… Und du solltest bedenken, dass deine Bogenschützen ein gutes Auge brauchen, falls es sich bei den Angreiffern um Samurai handelt, müssen sie genau zielen um durch die Schwachstellen in der Panzerung einen tödlichen Treffer zu landen!“ Keiji beobachtet die Yōkai, während sie sprach und setzte sich dann zu ihr. „Genau wegen deiner letzten Bemerkung könnte ich dich nie als Bedrohung sehen. Ihr seid nicht so, wie der Daimyō sagt. Zumindest nicht alle von euch.“, wiedersprach er ihr. Daraufhin huschte ein kleines Lächeln über Sakuras Lippen. „Ich wünsche mir, dass du diese Ansicht niemals änderst. Aber sollten sich die Zeiten einmal ändern, und das tun sie ständig, dann denke an diesen Moment zurück. Versprichst du mir das?“ Einen Moment sah Keiji sie fragend an, bevor er nickte. „Das verspreche ich. Aber ich glaube nicht, dass ich jemals meine Meinung über euch ändere!“       Das Geräusch von Stahl, der auf Stahl schlug, riss Keiji aus dem Schlaf. Zuerst war das Geräusch leise, doch als die Rufe und das Geschrei der Schlacht immer lauter wurde, sprang er aus dem Bett, griff nach seinem Katana und stürmte ohne nachzudenken aus seinem Zimmer. Auf dem Weg in den Vorhof, ging er all seine Strategien durch. Alles, was er jemals in sein Buch geschrieben hatte. Darunter waren auch ein paar Szenarien, die einen Überraschungsangriff auf dieses Anwesen beinhalteten, weshalb Keiji auch nicht aus der Vordertür hinaus stürmte, sondern eine Seitentür wählte. Von hier konnte er sich schnell einen Überblick verschaffen. Die Soldaten seines Ziehvaters versuchten den Vorhof zu halten, während dieser selbst im Zweikampf mit einem Mann in einer schwarzen Samurai Rüstung stand. Keiji griff sein Katana fester und wollte sich gerade in das Getümmel stürzen, als er zurückgehalten wurde. „Junger Herr, ich wurde mit der Aufgabe betraut euch in Sicherheit zu bringen.“, erklärte der junge Soldat, der höchstens zwei Jahre älter war als Keiji selbst. Er sah sehr entschlossen aus, doch Keiji konnte es in seinen Augen blitzen sehen. Die Erleichterung, nicht mitten in diesem Gemetzel zu sein. Was verständlich war, doch so leicht machte es sich Keiji nicht. Er war der Nachfolger dieses Hauses. Er konnte es unmöglich hier untergehen lassen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Er konnte nicht fliehen! „In Ordnung. Geh voran, ich werde dir folgen.“, sagte er zu dem Soldaten, woraufhin dieser erleichtert nickte. Sobald der Soldat ihm den Rücken zugewandt hatte, rannte Keiji auf das Schlachtfeld. Das Katana mit beiden Händen erhoben, griff er den ersten Mann an den er fand und streckte ihn nach einem kurzen hin und her nieder. Es war der erste Mann, denn er jemals getötet hatte, doch er hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Sein Vater war keinen Steinwurf von ihm entfernt und er wollte unbedingt an seine Seite gelangen. Also kämpfte er sich seinen Weg frei, bis ihn nur noch wenige Schritte von ihm trennten. Doch noch bevor er ihn erreichte, zerschnitt ein Schrei das Kampfgeschehen und alle Blicke wandten sich dem schwarzen Samurai zu. Seine Klinge blitzte im Mondlicht auf, bevor sie zu ihrem tödlichen Schlag herniedersauste. Und Toshihisa Maeda? Auf ein Knie gezwungen, konnte er der Klinge nicht ausweichen, als sie über seine Brust glitt. Blut spritzte in die Nacht und verwandelte das silberne Licht des Mondes in rubinrotes. So einfach konnte das ganze Leben eines Mannes vor aller Welt ausgebreitet werden. Jede Entscheidung, jede Ansicht der Dinge und jede Richtung, die man eingeschlagen hatte. Das alles hatte zu diesem Moment geführt und Keiji kam der Tod zum ersten Mal wie eine Verschwendung vor. Wie konnte ein Mord nur das Schicksal sein, das einen erwarten konnte? Und dann traf sich der Blick seines Ziehvaters mit seinem. „Vater…“, hauchte Keiji, ein Zittern in der Stimme. Die letzten Sekunden seines Lebens verbrachten sie gemeinsam. So als wären all die Männer um sie herum nicht vorhanden. Zuerst war sein Blick suchend, doch als er Keiji bemerkte, änderte sich das. Sein Blick war jetzt eine Mischung aus Furcht, um das Leben seines Jungen und Glück, darüber, dass sein letzter Anblick nicht der Feind sein musste. So sah er noch ein letztes Mal sein Erbe. Alles, was er wirklich in dieser Welt zurücklassen konnte. Und dann hatte er sein Leben ausgehaucht. Der Samurai zog, ohne zu zögern, seine Klinge zurück und sein Vater fiel lautlos zu Boden. Sofort, als er den Boden berührte, brach der Kampflärm wieder los. Eigentlich hatte Keiji erwartet, dass die Angreifer mit dem Tod seines Vaters zufrieden wären und dass seine Soldaten ohne einen Anführer aufgeben würden. Doch er hatte sich getäuscht. Die Angreifer suchten offenbar die totale Zerstörung und die Soldaten seines Vaters? Die wollten den Tod ihres Herren rächen oder ihm beim Versuch in den Tod folgen. Diese Entschlossenheit zu sehen, bewegte auch Keiji dazu, wieder anzugreifen. Dabei blieb er allerdings nicht lange unerkannt, denn schon nach wenigen Augenblicken wand sich der schwarze Samurai ihm zu und griff ihn mit seiner blutverschmierten Klinge an. Der Anblick des Blutes auf der Klinge versetzte Keiji so in Rage, das er sich mit einem Schrei in den Kampf stürzte und alles versuchte um seinen Gegner zu vernichten. Mehrere Male parierten sie die Schläge des anderen, bevor der Samurai seine Klinge über Keijis Oberschenkel zog. Für den Bruchteil einer Sekunde ging Keiji in die Knie, doch dann biss er die Zähne zusammen, ignorierte den Schmerz und fand wieder seinen Stand. Vielleicht hätte er auch einen Treffer landen können. Vielleicht hätte er den Samurai sogar besiegt. Doch in dem Moment setzte der Pfeilhagel ein. Er kam aus dem Nichts. So als hätte die schwarze Nacht persönlich beschlossen, Partei zu ergreifen. Unzählige Pfeile verdunkelten den Vorhof und strecken jeden nieder, der in ihren Weg trat. Um Keiji herum gingen die Soldaten seines Vaters zu Boden wie Fliegen und er konnte nichts für sie tun. Konnte keinen der Männer retten, mit denen er teilweise seine gesamte Zeit hier verbracht hatte. Sie alle würden in dieser Nacht sterben. Das wurde Keiji in diesem Moment bewusst. Und ihm wurde noch etwas klar. Das hier war kein gewöhnlicher Angriff… Der Pfeil, der in diesem Moment seine Körper durchstieß, ließ zum ersten Mal in Keijis Leben all seine Gedanken verstummen. Er konnte nur noch auf den Pfeil starren, der aus seiner Brust heraus ragte. Dessen Federn ihm irgendwie bekannt vorkamen, die er aber nicht zuordnen konnte. Ein Fremdkörper, von dem er sich fragte, wo er her kam. Und dann wurde es Schwarz um ihn herum…       Schmerz. Das war das Erste, dass Keiji spürte. Der Schmerz in seinem Herzen. Nicht nur von der tiefen Wunde, sondern auch von den Erinnerungen an diese Nacht. An das Blut. An seinen Vater und wie er sein Leben ausgehaucht hatte… Aus dem Nebel des Schmerzes und des Todeskampfes wurde es Keiji bewusst. Jetzt war er derjenige der die Blutlinie weiterführen musste und das Gefühl ganz allein zu sein war überwältigend. Eine weitere Erinnerung drängte sich in diesem Moment in den Vordergrund. Sie war schwarz und unheilverkündend. Ein Mann, der für all seine Gefühle, seinen Zustand und alles andere verantwortlich war. Wie er da gestanden und hämisch gegrinst hatte, als Keiji zu Boden gegangen war. In diesem Moment hatte er sich geschworen Rache zu nehmen. Sollte er jemals aufwachen, würde er sein Haus, seine Familie rächen. Doch dafür müsste er erst einmal wieder zu Kräften kommen. Dieser Gedanke brachte ihn dazu seine Augen zu öffnen. Über ihm sah er eine Holzdecke, zwischen deren Balken sich Spinnweben ausgebreitet hatten. Er neigte den Kopf leicht zur Seite und fand eine einfach verputzte Wand neben sich. Auf der anderen Seite stapelten sich Körbe, Krüge und Säcke voll Reis. Das Wappen auf den Waren war nicht das seiner Familie, doch es kam ihm bekannt vor. Wo nur hatte er dieses Wappen schon einmal gesehen? Und wie war er hier her gekommen? Wer hatte ihn hier her gebracht und seine Wunden versorgt? Er konnte es sich nicht erklären und er konnte auch niemanden ausmachen, der sich offenbar um ihn gekümmert hatte. Vielleicht war er auch gar nicht gerettet worden. Möglicherweise hatte ihn der angreifende Clan mitgenommen um ihn als Geisel zu halten. Doch was für einen Zweck sollte das haben, wenn ihr Zuhause doch gefallen war? Niemand würde mehr Lösegeld für ihn zahlen. Und als reine Arbeitskraft wäre der Aufwand seiner Wundbehandlung zu groß. In diesem Moment hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde. Erfüllt von einer Mischung aus Panik und Wut tastete Keiji nach etwas, dass er als Waffe gebrauchen konnte. Doch außer einer kleinen Schale aus Ton fand er nichts Brauchbares. Mit dieser in der Hand versuchte er sich aufzurichten. Auch wenn er glaubte ein glühendes Eisen wäre in diesem Moment durch seine Brust gestoßen worden. Er war bereit zu Kämpfen, käme es darauf an. „Was, um der Götter willen, treibst du da, Keiji?“ Keiji fiel die Schale aus der Hand, als er die Person erkannte, die hinter einen Stapel Kisten zum Vorschein kam. Und so als hätte ihr Anblick sämtliche Kraft aus seinem Körper gezogen, fiel er wie ein Sack Reis, hilflos zur Seite. Eilige Schritte rauschten an seine Seite und dann lagen zarte Finger auf seinen Oberarmen. Trotz ihrer schmalen Statur zogen diese Finger Keiji zurück auf sein provisorisches Lager und sorgten dafür, dass er wieder einigermaßen bequem liegen konnte. „Du bist noch nicht einmal ansatzweise bereit aufzustehen. Deine Verletzungen… Sie waren furchtbar schwer. Es ist ein Wunder, dass du überhaupt noch atmest! Also bitte, lass es langsam angehen, Cousin.“ Keiji stieß einen schweren Atemzug aus, bevor er all seine Kräfte zusammennahm und die Hand seiner Cousine ergriff. Seine Bemühungen aufzustehen hatten all seine Reserven aufgebraucht und es kostete Keiji seine ganze Willenskraft, nicht sofort wieder in die Bewusstlosigkeit zurück zu sinken. Er hatte so viele Fragen. Er konnte einfach nicht schon wieder zurück in diese Finsternis fallen. „Danke, Fuyu… Aber sagt mir: Dein Zuhause liegt über eine Woche zu Pferd von meinem entfernt. Wie bin ich hier her gekommen?“ Seine Stimme klang seltsam schwach und weit entfernt. Keiji verstand seine eigenen Worte selbst nur mit Mühe und Not und auch Fuyu musste sich ihm entgegen beugen. Sanft drücke sie seine Hand, als diese vor Anstrengung zu zittern begann. „Deine Freundin hat dich her gebracht. Die Frau in Rot. Sie ist hier vor ein paar Tagen aufgetaucht und hat mich um Hilfe angefleht… Ich konnte sie leider nicht in die Nähe des Haupthauses lassen, deshalb haben wir dich hier untergebracht. Außer mir weiß keiner dass du hier bist. Deshalb muss ich dich leider bitten äußerst leise zu sein.“ Seine Freundin in Rot… „Sakura… Das hätte sie nicht tun müssen…“ Es erwärmte Keijis Herz, zu wissen, dass sich Sakura die Mühe gemacht hatte, seinen Körper vom Schlachtfeld zu bergen und hier her zu bringen. Dafür würde er sich großzügig bei ihr bedanken, sobald er wieder ganz genesen war. Wie sie aber darauf gekommen war, ihn ausgerechnet hier her zu bringen, war ihm ein Rätsel. Doch seine Gedanken begannen bereits zu verschwimmen, weshalb es ihm schwer fiel überhaupt einen Sinn in all dem zu finden. „Der Pfeil?“ „Ich habe ihn aufbewahrt. Er ist hier.“, erklärte Fuyu und zog eine längliche Schachtel heran. Sie öffnete den Deckel, doch Keijis Sicht trübte sich und er konnte den Pfeil nicht genau erkennen. Genau so wenig wie das Gesicht seiner Cousine. Er blinzelte mehrmals, doch auch das hatte keinen Effekt auf seine Sehkraft. War er wirklich so schwach, dass jetzt sogar seine Augen versagten? „Ich muss… rächen…“ Da war sie wieder. Die Dunkelheit. Sie kam so überraschend und schluckte Keiji so vollkommen, dass er sich nicht länger dagegen wehren konnte und einfach von ihr fortgerissen wurde.       Wochen. Wochen waren vergangen, seit jenem verschwommenen Gespräch mit Fuyu. Seitdem setzte Keiji alles daran wieder gesund zu werden und zu seiner alten Stärke zurückzukehren. Seit er das provisorische Bett verlassen konnte, trainierte er mit seinem Katana. Sakura war so umsichtig gewesen es hier her zu bringen, zusammen mit seinem zerschundenen Körper. Was ihm eine Chance auf Rache bot, die er nicht verstreichen lassen wollte. Das oberste Stockwerk der Lagerhalle hatte er seit seiner Ankunft nicht verlassen und er bemühte sich darum, nicht von den Bewohnern des Anwesens entdeckt zu werden. In diesem Punkt hatte Fuyu Recht behalten. Es war für alle Beteiligten am sichersten, wenn niemand wusste, dass er hier war. Oder besser noch, dass niemand sonst wusste, dass er lebte. Fuyu sah einmal am Tag nach ihm und hielt ihm auf dem Laufenden, was draußen in der Welt vor sich ging. So hatte er auch erfahren, dass sein Onkel, Fuyus Vater, die Position des Oberhauptes des Maeda Clans zugesprochen worden war. Und das, obwohl er bereits Herr über ein eigenes Gebiet war. Nun hatte er sich auch noch das seines Vaters unter den Nagel gerissen. Allein dieser Gedanke ließ Keiji die Zähne zusammenbeißen und den Griff um das Heft seines Katanas wurde fester. Mit all seiner Wut führte er den nächsten Schlag aus und verlor fast das Gleichgewicht, als ein Ziehen durch seine Brust schoss. Schwer atmend kam er wieder in einen geraden Stand und presste eine Hand auf seine Brust. In all der Zeit war die Wunde an seinem Oberschenkel gut abgeheilt und das Loch in seiner Brust riss nicht mehr auf, wenn er eine unbedachte Bewegung ausführte. Trotzdem schmerzten die Wunden noch, wenn er es übertrieb. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, weiter zu trainieren. Denn er wollte so schnell wie möglich bereit sein, einen Kampf auszutragen und diesen auch gewinnen. Er vollführte noch einige weitere Bewegungsabläufe. So lange, bis ihm der Schweiß von der Stirn tropfte und sein Atem flach ging. Seine Finger waren steif, als er sein Katana zurück in die Scheide schob und alles unter seiner Strohmatratze versteckte. Gerade als er sich wieder erhob, hörte er Schritte und wand sich der Treppe zu. Diese Schritte hatte er in den letzten Wochen so oft gehört, dass er sofort wusste, dass ihm keine Gefahr drohte aufzufliegen. Und schon im nächsten Moment konnte er Fuyus türkisblauen Haarschopf erspähen. Mit einem Korb in der Hand erklomm sie die steile Treppe zu seinem Versteck und ließ einen missbilligenden Blick über ihn wandern, als sie ihn erreichte. „Du hast es schon wieder übertrieben. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass deinem Körper nicht geholfen ist, wenn du ihn so überforderst? Du wirst dich nur noch mehr verletzten, wenn die nicht aufpasst.“ Diesen tadelnden Ton in ihrer Stimme hatte Fuyu definitiv von ihrer Mutter. Das war aber wohl das Einzige, worin sie nach ihrer Mutter kam. Trotzdem würde es Keiji niemals wagen, ihr das zu sagen. Denn allein bei dem Gedanken sah er sich schon in Fuyus Schwitzkasten, wie sie versuchte ihm den Kopf dafür abzureißen. „Mein Körper kommt aber auch nicht in Form, wenn ich das Training schleifen lasse. Ich-“ Er hatte sagen wollen, dass er aufhören würde, wenn es zu viel war. Doch das wäre gelogen, weshalb er sich selbst unterbrach. Er sah es noch viel zu deutlich vor sich, als sich vor drei Wochen seine Wunde in der Brust wieder geöffnet hatte und er fast verblutet wäre, hätte Fuyu ihn nicht wieder zusammengeflickt. Von ihrer Standpaukte klingelten ihm heute noch die Ohren. „Du stinkst, wolltest du sagen!“, fauchte Fuyu. Dabei stellte sie ihren Korb mit all dem Nachdruck auf den Boden, den sie besaß, öffnete den Deckel und drückte Keiji etwas zu Essen in die Hände. „Ich werde heute Abend noch einmal wieder kommen und dir einen frischen Eimer Wasser bringen. Wasch dich darin. Das hält man ja nicht aus. Schlimmer als im Pferdestall hier.“ „Wenn du meinst…“, murmelte Keiji vor sich hin. Bevor er sich widerstandslos auf seine Strohmatratze fallen ließ und das Essen auspackte. Reisbällchen und ein Stück Fisch. Allein der Geruch ließ ihn das Wasser im Mund zusammenlaufen. Gierig schlang er die Portion runter, während Fuyu nur dastand und den Kopf schüttelte. „Iss langsam. Du verschluckst dich noch!“ „Ist gut, Mama.“, erwiderte Keiji mit vollem Mund, bevor er sich duckte um nicht von dem Korb am Kopf getroffen zu werden. „Nenn mich nicht immer so!“ Keijis schluckte den letzten Bissen hinunter und verzog seine Lippen zu einem breiten Grinsen. Man hatte ihm zwar alles genommen, wofür er Leben wollte, doch Fuyu hatte ihm in den letzten Wochen gezeigt, dass es ein Geschenk war, dass er überhaupt noch lebte. Er würde Rache nehmen, doch danach würde er für den Versuch weiterleben, eine bessere Welt zu erschaffen. Eine Welt ohne Grenzen und Vorurteile. „Ich bin dir wirklich zu Dank verpflichtet, Fuyu. Deshalb habe ich auch überlegt dir nicht mehr länger zur Last fallen zu wollen. Heute Nacht wollte ich mich vom Anwesen schleichen und beginnen die Mörder meiner Familie aufzuspüren.“ Keijis Entscheidung stand fest. Er hatte sich das reiflich überlegt. Auch wenn er noch nicht vollständig genesen war, war sein Körper doch soweit wieder hergestellt dass er auf sich allein Acht geben konnte. Er würde zurück zu seinem alten Zuhause gehen und dort beginnen nach Hinweisen zu suchen. So lange, bis er die Übeltäter gefunden hatte, die sein Leben zerstört hatten. „Was sagst du da?“ Sämtliche Farbe wich aus Fuyus Gesicht und sie ging vor Keiji in die Knie und griff nach seinen Händen. „Das geht nicht. Du bist noch nicht vollständig geheilt. Wenn du da draußen kämpfen musst, werden sie deine Schwachstellen ausnutzen und dich erledigen…Nein! Du darfst nicht gehen.“, widersprach sie heftig. Keiji löste eine Hand aus ihrem Griff und legte ihn auf ihren Kopf. Behutsam tätschelte er sie. Immer noch das Lächeln auf den Lippen. „Mach dir keine Sorgen. Mich kriegt man nicht so leicht klein, wie dir vielleicht schon aufgefallen ist.“ „Hör auf damit! Über so etwas macht man keine Scherze. Du bist schwer verletzt und noch dabei zu genesen. Das kann nicht gut gehen.“ Tränen stiegen in Fuyus Augen und ihre Hände begannen zu zittern. Ein Anblick, der Keiji die Kehle zuschnürte. Er war es nicht gewohnt, Frauen weinen zu sehen und wusste auch nicht, wie er sie beruhigen sollte. „Ist schon gut. Ich werde aufpassen. Ich werde am Tag reisen, aber abseits der Wege. Niemand wird mich erkennen oder denken, dass ich ein gutes Opfer zum überfallen wäre. Glaub mir, dass ich es bis nach Hause schaffen werde. Wenn ich nur noch diesen Pfeil hätte, der mich traf. Ich bin mir sicher, wenn ich ihn noch einmal sehe, wird mir wieder einfallen, woher er mir so bekannt vor kam…“ Fuyu warf sich gegen Keijis Brust und drückte ihm mit dem Aufprall die Luft aus den Lungen. Überrascht verlor dieser fast das Gleichgewicht und musste seine Arme um ihren schmalen Rücken legen, um nicht zusammen mit ihr umzufallen. „Was ist denn los, Fuyu?“ Unsicher was er tun sollte, ließ er seine Hände beruhigend über ihren Rücken gleiten. Fuyu weinte bitterlich an seiner Brust und krallte ihre Finger in seinen Kimono. Sie zitterte am ganzen Leib und er wusste einfach nicht, was er tun sollte. „Du… Du hast es vergessen. Und es tut mir schrecklich Leid, aber ich wollte nicht, dass du es zu früh erfährst…“, wimmerte sie, so das Keiji sie kaum verstehen konnte. „Was meinst du?“ „D- Der Pfeil… er ist hier. Bitte verzeih mir.“ Ein kalter Schauer lief Keiji den Rücken herunter, als er das hörte. „Wo ist er?“ Hatte sich die Lösung dieses Rätsels die ganze Zeit hier befunden und er war zu blind gewesen es zu sehen? „Wo ist er?“, fragte er erneut, als Fuyu nicht antwortete. Seine Worte hatten einen scharfen Ton angenommen, der Fuyu zusammenzucken ließ. „Die Schachtel, dort oben auf den Kisten. Darin habe ich ihn aufgehoben.“, erklärte sie leise. Keijis Blick schoss sofort zu der Schachtel. Dort, zum Greifen nah, war die Antwort auf alle seine Fragen. Fuyu ignorierend stand er auf und holte sich die Schachtel herunter. Für einen Moment erfüllte nur das Weinen seiner Cousine die Stille, dann fiel der Deckel der Schachtel zu Boden und kurz darauf die ganze Schachtel. „Fuyu…“ Wann Keiji zu Boden gegangen war, konnte er nicht sagen. Doch er saß dort, auf dem gleichen Boden, auf dem der Pfeil lag, der fast seinen Tod bedeutet hätte. Sein Blut war getrocknet und überzog zwei Drittel des Pfeils mit einer braunen Kruste. Das letzte Drittel, der Teil mit den Federn, schien völlig unberührt von seiner grausamen Tat. Hätte man den Pfeil in einen Köcher zurück gesteckt, hätte er wie ein neuer Pfeil gewirkt. „Du wusstest es von Anfang an.“ Es war keine Frage, die Keiji wie ein Flüstern über die Lippen brachte. „Bitte glaubt mir, dass ich das nicht vor dir verheimlichen wollte. Ich wollte nur, dass du nichts überstürzt, wenn du es erfährst.“ Fuyu kämpfte immer noch mit den Tränen, doch sie sprach ruhig aus, was sie sich gedacht hatte. Er hätte es wissen müssen. Er hätte es ahnen können. So wie Fuyu manchmal mit den Gedanken abgedriftet war. Wie sie nie eine klare Meinung zu seinen Racheplänen geäußert hatte. Keiji sah zu Fuyu hinüber. „Du hast nie versucht mir die Rache auszureden.“, stellte er überrascht fest. Fuyu wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und begegnete Keijis Blick. „Weil ich es für nicht richtig halte, was mein Vater getan hat. Bitte versteh mich nicht falsch. Ich wünsche ihm nicht den Tod, doch wenn dass das Schicksal ist, dass er sich mit seiner Tat aufgebürdet hat, dann werde ich dem nicht im Weg stehen.“ Wann genau, war Fuyu so erwachsen geworden? Gestern waren sie noch Kinder gewesen, die unter den Kirschbäumen in den Wäldern gespielt hatten und heute? Heute waren sie Erwachsen und sprachen von Tod und Vergeltung. „Bitte vergib mir. Aber ich werde an deinem Vater Rache nehmen. Wenn es danach dein Wunsch ist, dies ebenfalls zu tun, werde ich mit Freuden mein Haupt vor deinem Schwert senken.“ „Keiji!“ Fuyu rief seinen Namen aus, bevor sie sich wieder in seine Arme warf. „Idiot! Als würde ich so etwas tun. Du bist meine Familie und wirst es immer bleiben. Ich könnte dir niemals dein Leben nehmen!“ Diesmal schlang Keiji sofort seine Arme um sie und hielt Fuyu fest. Was waren sie nur für eine verkorkste Familie? Und wie sollte er das nur wieder in Ordnung bringen?       Mit dem Wissen, dass sein Onkel für den Tod seines Vaters, seiner Familie und allen Bediensteten verantwortlich war, trainierte Keiji Tag und Nacht, um wieder in seine alte Form und darüber hinaus zu wachsen. Er hatte inzwischen sämtliches Zeitgefühl verloren, doch seine Wunden waren, bis auf rote Male zurück gegangen und schmerzten nur noch selten. Bald schon wäre er bereit Rache zu nehmen. Das schien auch Fuyu zu spüren, denn als sie an diesem Abend zu ihm kam, glich ihr Gesicht einer ausdruckslosen Maske. Sie sprach kaum ein Wort und hielt den Blick gesenkt. Ganz die demütige Tochter aus reichem Hause, die sie war. Erzogen, um den Männern der Familie zu dienen und somit am Ende selbst eine gute Partie zu werden. Eine Ehre für das Haus. „Du kannst mit mir reden, Fuyu. Dieses unterwürfige Verhalten kann ich nicht leiden. Das weißt du doch.“, sagte Keiji, als er seine Cousine dabei beobachtete, wie sie stumm das Essen aus ihrem Korb vor ihn stellte. „Tut mir Leid, aber wenn ich daran denke, dass… Mir wird dann ganz anders.“ Da sie seinem Blick immer noch nicht begegnete, sah Keiji auf das Essen vor sich und seufzte. Ja, er konnte verstehen, was sie meinte. Sollte er mit seiner Rache Erfolg haben, würde Fuyu ihren Vater verlieren. So wie Keiji seinen verloren hatte. Zwei Mal. Der Hass würde niemals Enden, wenn nicht jemand diese teuflische Abwärtsspirale durchbrach. Aber wäre er überhaupt stark genug dafür, sie zu durchbrechen? Oder war er nur ein einfacher Bauer in einem viel größeren Spiel, das er nicht begreifen konnte? In den letzten Tagen hatte Keiji oft darüber nachgedacht. Wenn er seinen Onkel tötete und belegen könnte, dass dieser seinen eigenen Bruder getötet hätte, dann könnte Keiji an dessen Stelle den Maeda Clan als Oberhaupt übernehmen. Doch würde ihm der Clan folgen? Es gab mit Sicherheit Menschen, die seinen Onkel bei dieser Tat unterstützt hatten. Würden sie ihn akzeptieren, wenn er mit den gleichen Mitteln kämpfte, wie er? Oder würden sie ihn einfach aus dem Weg räumen und ihre eigenen Pläne weiter verfolgen? Keiji hatte niemandem, der ihm folgte. Er war allein und um in dieser Welt bestehen zu können, brauchte er Männer, die hinter ihm standen. Die seine Ziele unterstützen und ihm zu Hilfe eilten, sollte es notwendig werden. Männer, denen er vertrauen und auf die er sich verlassen konnte. Mit dieser schwachen Grundlage, hatte Keiji einen Plan gefasst, den er im Morgengrauen umsetzen würde. Danach lag es allein bei den Göttern, was aus ihm wurde. Er würde sich in sein Schicksal fügen und es war genau dieser Entschluss, der seinem unruhigen Geist endlich Ruhe verschafft hatte. Was auch immer geschehen würde, es lag in den Händen des Schicksals. Das war er bereit zu akzeptieren. „Verzeih mir, Fuyu. Dass ich dich in solch eine Situation gebracht habe war nicht rechtens. Deshalb wird das hier morgen ein Ende finden… Ich bitte dich daher, dich morgen früh vom Haupteingang fernzuhalten. Was auch immer passiert, ich will nicht, dass jemand aus dem Haus denkt, du hättest mir geholfen.“ Voll Zuversicht streckte Keiji eine Hand nach Fuyu aus und drückte ihre. Das ließ sie nun endlich auf sehen und ihr tränenverschleierter Blick traf Keijis. „Versprich mir, dass du leben wirst, Keiji!“ Die Furcht in ihrer Stimme sorge dafür, dass sich seine Brust schmerzhaft zusammenzog. Fuyu war der mitfühlendste Mensch, den Keiji kannte. Deshalb war ihr Herz das, das er am wenigsten brechen wollte. „Ich verspreche dir, dass ich immer für dich da sein werde. Solange ich lebe!“, war deshalb die einzige Antwort, die er ihr guten Gewissens geben konnte. Er würde für immer in Fuyus Schuld stehen. Für alles, was sie für ihn getan hatte. Sollte er also den nächsten Morgen überleben, würde seine Tür immer und jederzeit für seine Cousine offen stehen. Und so als hätte sie all seine stummen Worte und Gedanken hinter seinem Satz gehört, drückte Fuyu seine Hand zurück und schenkte ihm ein Lächeln. „Abgemacht.“ Der restliche Abend verlief friedlich und erfüllte Keijis Herz mit einem Hauch von Glück. Eigentlich hatte Fuyu vor gehabt die ganze Nacht bei ihm zu bleiben, doch Keiji hatte sie noch vor Mitternacht zurück zum Haupthaus geschickt. Zum einen, damit sie sich ausruhen konnte und zum anderen, damit sie nicht mit ansehen musste, wie er sich auf den Morgen vorbereitete.     In dieser Nacht hatte Keiji kein Auge zu getan. Er war damit beschäftigt gewesen sich vorzubereiten und einen Bogen aus der Waffenkammer seines Onkels zu stehlen. Jetzt, kurz nach Sonnenaufgang, stand er im Vorhof des Anwesens. Den Blick auf das Haupthaus, das Eingangstor im Rücken, stand er da. Der gestohlene Bogen lag überraschend leicht in seiner Hand. Den einen Pfeil, den er besaß, hatte er bereits locker an die Sehne gelegt. Er trug zwar auch sein Katana an der Hüfte, doch er hatte nicht vor, dieses zu ziehen. Sein gesamtes Schicksal legte er in diesen einen Pfeil. Eigentlich hatte er auch damit gerechnet, von einem Bediensteten oder einer Wache zuerst bemerkt zu werden, doch der Erste, der seinem kalten Blick begegnete, war tatsächlich sein Onkel. Die letzten Tage war er abends oft auf der Lauer gelegen. Hatte Berichte und Pläne seines Onkels entwendet um sie zu studieren. So dass er wusste, dass er heute Morgen als Erster das Haus verlassen würde. Auf dem Weg zum Daimyō fing er ihn ab und stellte sich ihm wortlos entgegen. „Wie bist du-“ Offensichtlich überrascht ihn zu sehen, blieb Toshiie Maeda einige Meter vor Keiji abrupt stehen. Doch nach der ersten Verunsicherung wanderte seine Hand an das Heft seines Katanas. „Wir haben uns lange nicht gesehen, Onkel.“, erwiderte Keiji. Er griff mit seiner Hand am Bogen noch einmal um, bevor er ihn erhob. „Was soll das werden, Bürschchen? Mich auf meinem eigenen Anwesen zu bedrohen. Das wird dich den Kopf kosten. Wachen!“ Abscheu troff aus jedem einzelnen Wort seines Onkels, doch da war auch ein Hauch von Unsicherheit. Was Keiji ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Selbst, als alle Wachen des Anwesens auf den Vorhof stürmten, bereit jeden niederzumetzeln, der sich ihnen in den Weg stellte. „Ich bin hier, um meinen Vater zu rächen. Deinen Bruder, den du in einem Hinterhalt getötet hast, um die Oberhand über den Maeda Clan zu erlangen!“ Keiji rief die Worte so laut, dass auch jeder der Wachen sie hören konnte. Sie sollten es alle wissen. Für welche Art Herrn sie kämpften. Und tatsächlich warfen sich einige irritierte Blicke zu. „Mein Bruder und seine Familie wurde von Räubern überfallen. Als ich davon hörte, eilte ich sofort zu seiner Hilfe, doch ich kam zu spät. Es war ein tragischer Schlag für den Maeda Clan und seitdem versuche ich seine große Rolle gerecht auszufüllen… Ich bin froh, dass wenigstens du überlebt und zu uns gefunden hast… Sohn.“ Ein kalter Schauer lief Keiji den Rücken herunter, bei diesen Worten. Oh, dieser Hinterhältige… Keiji biss die Zähne zusammen, um nicht etwas Unüberlegtes zu sagen. Doch er würde seinen Onkel nicht damit durch kommen lassen. „Schöne Worte, Onkel. Doch ich war dort und ich habe diese Nacht etwas anders erlebt.“ „Es war mitten in der Nacht und du bist noch ein halbes Kind. Die Ereignisse haben sich überschlagen. Die Wahrheit muss dir offenbar verborgen geblieben sein.“ Sein Onkel wusste offenbar auf alles eine Antwort. Doch das schürte nur Keijis Wut weiter. Weshalb er den Pfeil ausrichtete und die Sehne nach hinten zog. „Das mag vielleicht sein, doch ich weiß mit Sicherheit, welcher Pfeil mich fast getötet hätte. Erkennst du ihn Onkel? Ist er nicht aus deiner Meisterschmiede?“ Ein Murmeln ging durch die erstarrten Wachen, die bisher nur dastanden und die Beiden beobachtet hatten. So als fürchteten sie, die Chance auf eine Erkenntnis zu vertun, würden sie hier eingreifen. Etwas, dass Keiji zu Gute kam. „Warte, ich zeige ihn dir. Damit du ihn aus der Nähe betrachten kannst.“, fügte er hinzu und ließ den Pfeil fliegen. Schnell wie ein Blitz sirrte der Pfeil über den Vorhof und auf Keijis Onkel zu. Dieser verzog jedoch keine Miene und machte Anstalten sein Katana zu ziehen. Normalerweise hätte Keiji mit nur einem Pfeil keine Chance gegen seinen Onkel. Vermutlich gegen niemanden, der einigermaßen mit seinem Katana umgehen konnte und die richtigen Reflexe besaß. Dessen war er sich von Anfang an bewusst gewesen, weshalb er zu einem nicht ganz fairen Mittel gegriffen hatte, um seine Chancen zu erhöhen. Er hatte in den letzten Wochen das Harz gesammelt, das die Holzwände und Decken im Lagerhaus abgesondert hatten. Dieses Harz hatte er erwärmt und gestern Abend in die Schwertscheide des Katanas seines Onkels gefüllt. Jetzt, da es über Nacht ausgekühlt war, war es ausgehärtet und machte es seinem Onkel unmöglich sein Katana zu ziehen. „Toshiie!“ Der Schrei von Keijis Tante ertönte Sekunden, bevor der Pfeil traf. Keijis Onkel ging mit einem gequälten Laut in die Knie und hielt sich das Gesicht mit einer blutüberströmten Hand. Offenbar hatte der Pfeil doch etwas abbekommen, als er nach Keijis Leben getrachtet hatte, denn Keiji hatte eigentlich auf das Herz seines Onkels gezielt. Stattdessen hatte er dessen Gesicht erwischt. Auf Höhe der Augen, doch er konnte das Auge nicht richtig getroffen haben, sonst wäre der Pfeil direkt durch den Schädel seines Onkels gestoßen. Mit einem bitteren Lachen senkte Keiji den Bogen. Das Schicksal hatte es offenbar nicht vorgesehen, dass er hier und heute seinen Onkel zur Strecke brachte. Ein Ausgang, den er akzeptieren würde. „Ergreift ihn, ihr Idioten! Worauf wartet hier noch?“, schrie seine Tante panisch. Sie war an die Seite ihres Mannes geeilt, ihr eigenes Katana zum Kampf gezogen. Da war sie, die Kriegerprinzessin, die bereits in frühster Jugend für ihren eigenen Clan unzählige Schlachten gewonnen hatte. Die Frau, deren Ambitionen nicht einmal beim Status der Kaiserin gestillt wären. Eine Ehrgeizige und kaum zufriedenzustellende Frau. Die perfekte Partnerin, um Toshiie Maeda den Rest seines Lebens sein Versagen vorzuwerfen. Der Gedanke ließ Keijis Lächeln noch breiter werden. Ihr hysterischer Befehl hatte die Wachen im Vorhof offenbar aus ihrer Starre geweckt, denn einer nach dem anderen stürmte los, um Keiji zu ergreifen. Dieser ließ ohne Gegenwehr den Bogen fallen, sich von den Wachen zu Boden werfen und gefangen nehmen. Er hatte bekommen was er wollte. Rache, für den Tot seines Vaters. Mehr wollte er nicht für sich. Wenigstens einmal hatte er Vergeltung üben können, wenn er schon bei seinem leiblichen Vater versagt hatte. Damals war er einfach viel zu jung gewesen, als er diesen verloren hatte. Jetzt hatte er immerhin dessen besten Freund Genugtuung im Grab schenken können. Mit diesem Wissen konnte er zufrieden sterben. Kapitel 2: 2. Kazuma -------------------- Die Tage waren lang und heiß und von den Gesängen der Zikaden erfüllt. Kinder lachten und versuchten mit bloßen Händen Fische aus dem Fluss zu fangen, während die Erwachsenen ihren Arbeiten nachgingen. Abseits der großen Städte war das Leben in diesem beschaulichen Dorf einfach nur friedlich. Jeder kannte sich, niemand neidete dem anderen seinen Erfolg und alle waren freundlich und hilfsbereit zu ihren Nächsten. Es hätte perfekt sein können… „Itachi, gib das sofort zurück!“ Wild mit dem Besen in der Luft herum wirbelnd, lief die wohlbeleibte Frau des Obstbauerns aus ihrer Scheune heraus und schrie dem Jungen hinterher. Dieser lief einige Meter weiter vorne und biss genüsslich in den Apfel, den er gerade entwendet hatte. Dabei drehte er sich zu der Frau um und grinste sie frech an. „Oh. Wenn ich das deinem Vater erzähle!“, schrie die Bäuerin, bevor sie stehen blieb und ihre Hände auf ihre Knie stütze um Luft zu holen. Ihre enorme Körperfülle machte es ihr unmöglich mit dem Jungen Schritt zu halten. Erst das zaghafte ziehen an ihrem Kimono ließ sie wieder auf sehen. Die smaragdgrünen Augen in die sie dabei blickte, ließen sie die Augenbrauen hoch ziehen. Und dann glitt die Hand des Jungen für den Bruchteil einer Sekunde über ihre und er lächelte. „Oba-san, dieses Jahr wird die Ernte sehr groß werden.“ Noch während die Frau um Worte rang, verneigte sich der Junge und folgte mit einem Lachen seinem Bruder, dem Apfeldieb. Den Ausdruck des Jungen noch vor Augen, vergas die Frau all ihren Ärger und kehrte zu ihrer Arbeit zurück. Eine große Ernte musste schließlich vorbereitet werden.     „Was musste ich heute erfahren? Du hast schon wieder einen Apfel gestohlen? Wie soll da noch etwas aus dir werden Itachi? Wenn du nicht genug Arbeit hast, dann wirst du ab morgen die Reisfelder täglich zweimal kontrollieren!“ Das enttäuschte Seufzen, dass sein Vater ausstieß, ließ Itachi beschämt zu diesem auf sehen. „Aber Vater, Sie haben wirklich genug und er sah so lecker aus.“, widersprach er trotzdem. Als Antwort griff sich sein Vater mit der freien Hand Itachis Ohr und zog daran. „Ich denke ich habe dir mehr anstand beigebracht. So etwas gehört sich nicht, egal unter welchen Umständen. Denk daran, was Mutter sagen würde!“, rief sein Vater und diesmal senkte Itachi leicht den Kopf. „Vater hat Recht. Egal aus welchem Grund, wir werden nicht stehlen!“, kam die Stimme von Akihito, der gerade einen Topf aus der Küche trug, welcher einen verlockenden Duft verströmte. „Wir haben zwar nicht viel, aber es reicht für uns alle. Also unterlass doch bitte solche Dinge.“ Wie immer war Akihito, der gute Geist des Hauses, eher nachsichtig. Weshalb auch seine Stimme ehr sanft war, während er den Topf auf dem Tisch abstellte. „Und jetzt geh und such deine Brüder, bevor das Essen kalt wird.“, wies er ihn an und nachdem ihr Vater sein Ohr los ließ, sprang Itachi auf und ging nach draußen. An der Tür stolperte er fast über seinen kleineren Bruder. Der Jüngste der Familie, der Akihito wie aus dem Gesicht geschnitten war. Und der ebenso sanftmütig und immer gut gelaunt war, wie dieser. Erst als er ihn ansah, wurde Itachi klar, dass er ihn bei der alten Hexe zurück gelassen hatte. „Wo kommst du denn her Kazuma?“, fragte er deshalb und blieb kurz stehen. Kazuma kratzte sich am Kopf und lächelte seinen Bruder entschuldigend an. „Ich habe die Verantwortung übernommen und sie etwas beruhigt.“, erklärte er und schlüpfte dann ins Haus. Kazuma war es schon gewohnt, dass es Zuhause immer laut war und er gerne mal übersehen wurde. Was bei vier älteren Brüdern aber auch kein Wunder war. Zusammen mit ihrem Vater bildeten sie in ihrem kleinen Haus eine chaotische Familie. Seit seine Mutter vor vier Jahren gestorben war, lebten sie in einem reinen Männerhaushalt und das konnte man auch sehen. Überall lagen Kleidungsstücke und dreckiges Geschirr. Auch wenn sich Akihito stets bemühte das Haus auf Vordermann zu halten und täglich mindestens eine warme Mahlzeit auf den Tisch zu bringen. Irgendwie hatte er die Rolle ihrer Mutter nach und nach übernommen und manchmal benahm er sich sogar genauso. „Ich bin wieder zu Hause.“, murmelte Kazuma, bevor er die Schüsseln vom Regal nahm und sie auf den Tisch stellte. Sein Vater sah einen Moment von seiner Pfeife auf und nickte, während Akihito ihm ein Willkommen zurief. Schon im nächsten Moment wurde die Eingangstür wieder geöffnet und Itachi wollte schon eintreten, als ihm eine Hand auf den Kopf gelegt wurde und er so wieder zurückgezogen wurde. „Erweise deinen älteren Brüdern gefälligst Respekt und schließe die Tür hinter uns.“, erklärte Ryuji und drängte sich an Itachi vorbei ins Haus. Als Zweitgeborener konnte er sich praktisch alles herausnehmen und das zeigte er auch immer wieder gerne. Er war wild und kannte keine Furcht. Und um sicher zu gehen, dass er stets gehört wurde, war er der lauteste seiner ganzen Geschwister. Voll strotzender Kraft ließ er sich an den Tisch sinken und fuhr sich mit einer Hand durch sein hellblondes Haar. Dabei funkelte er Itachi mit blassgrünen Augen warnend an. Würde dieser einen Kommentar abgeben, würde Ryuji wahrscheinlich etwas nach dem Jüngeren werfen. Wäre Ryuji nicht sonnengebräunt von der Arbeit als Zimmermann, hätte man glauben können, ihm wäre sämtliche Farbe entzogen worden. Zumindest wirkten sein Haar und seine Augen so. Doch seine dunkle Haut hoben diese besonders hervor, was ihm auch den ein oder anderen Blick der Mädchen im Dorf einbrachte. Trotzdem hatte er noch keine Braut in Aussicht, was wohl seiner grobschlächtigen Art zuzuschreiben war. Nach Ryuji betrat Koichi das Haus. Der älteste von Kazumas Brüdern. Auch er war sonnengebräunt von der täglichen Arbeit auf dem Feld. Als Ältester hatte er das Land ihres Vaters übernommen und bewirtschaftete es das ganze Jahr über, seid ihr Vater nicht mehr vollständig dazu in der Lage war. Als Erstgeborener und Erbe der Familie war Koichi auch noch eine wirkliche Augenweide. Obwohl er jeden Tag hart körperlich arbeitete, zeichneten grazile Linien sein Gesicht. Seine dunkelbraunen Haare wurden von seinem Haut Ton unterstrichen und beides zusammen hob seine eisblauen Augen wie magische Seen hervor. Deshalb war es auch eine Schande, dass er immer noch nicht verheiratet war. Zumindest, wenn es nach den Ansichten ihres Vaters ging. Alt genug war er mit seinen einundzwanzig Jahren auf jeden Fall dafür und es hatte wirklich genügend Anfragen in der Vergangenheit gegeben. Doch Koichi hatte sich stets geweigert und darauf beharrt nur die Frau zu heiraten, die er auch wirklich liebte. Nachdem nun alle Brüder im Haus waren, trat auch Itachi ein und schloss die Tür hinter sich. Mit einem mürrischen Brummen setzte er sich an den Tisch und schob seine Schüssel an den großen Topf. Seine braunen Haare fielen ihm dabei ins Gesicht und er wischte sie ärgerlich zurück. So dass man seine blau-grünen Augen sehen konnte, die wie die eines Fuchs blitzten und nur zu deutlich zeigten, dass Itachi nichts als Unsinn im Kopf hatte. Müsste Kazuma seine Brüder in eine Reihenfolge bringen, wer den einfachsten Charakter der Familie hatte, würde Koichi auf dem ersten Platz stehen. Als Ältester war er stets freundlich und hilfsbereit. Auch scheute er keine Arbeit und trug immer ein Lächeln auf den Lippen. Noch nie hatte Kazuma erlebt, dass ihn etwas aus der Ruhe gebracht hätte, oder dass er jemals wegen etwas laut geworden wäre. Auf den zweiten Platz würde er Akihito sehen. Als dritt ältester war sehr fürsorglich und sprach alle Probleme ohne zu zögern an. Dabei gab er erst Ruhe, wenn sich alle wieder vertrugen und alle Missverständnisse aus der Welt geschafft waren. Auch wenn er etwas tollpatschig war und auch gerne mal die Zeit vergas, wenn er sich auf etwas konzentrierte. Man konnte sich trotzdem immer auf ihn verlassen. Der Dritte Platz würde dann an Ryuji gehen. Auch wenn er sich ,als Zweitgeborener, gerne mal einen Spaß mit seinen Brüdern erlaubte und sie in peinliche Aktionen verwickelte, war er doch der Erste, der schützende vor sie trat, wenn es Ärger gab. Immerhin war er, seiner Meinung nach, der Einzige, der seine Brüder in Schwierigkeiten bringen durfte. Als letztes würde er Itachi platzieren. Er befand sich schon so lange in der Phase, alle Regeln und Grenzen austesten zu wollen, dass sich Kazuma kaum daran erinnerte, wie er vorher gewesen war. Mit seinen Streichen und anderen Taten brachte er die Familie regelmäßig in Schwierigkeiten. Doch Kazuma glaubte, dass er in Wahrheit einfach nur ihre Mutter schrecklich vermisste. Weshalb er ihm immer wieder aus der Patsche half. Und Kazuma? Als Jüngster war er eine Art Mittläufer und würde sich auf keinen Platz einreihen. Zu jung, um wirklich den ganzen Tag irgendwo eine Hilfe zu sein, oder um mit seinen Brüdern mithalten zu können. Im Gegensatz zu diesen lagen zwischen Itachi und ihm vier Jahre altersunterscheid, während seine Brüder alle mehr oder weniger nur ein einziges Jahr trennte. Als Nesthäkchen wurde er deshalb auch gerne als der Zwerg betitelt. Ein Spitzname, den Kazuma überhaupt nicht leiden konnte. Trotzdem sah Kazuma zu seinen Brüdern auf und wollte einmal genau so werden wie sie. Auch wenn sie ihm das Leben manchmal zur Hölle machen konnten. Er wünschte sich keine andere Familie. Jedes einzelne Familienmitglied liebte er über alle Maßen. Auch seinen Vater, der zwar immer etwas Abwesend schien, aber sich doch bemühte sie alle anständig aufzuziehen. „Heute gibt es Eintopf.“ Akihitos Worte brachten Kazuma dazu, sich wieder auf seine Schüssel zu konzentrieren. Als Jüngster war er der letzte, dem Akihito etwas austeilte, doch als die Schüssel bis zum Rand gefüllt war, schenkte er ihm ein aufmunterndes Lächeln, welches er sofort erwiderte. Während des Essens redeten seine Brüder alle wild durcheinander. Sie erzählten von ihrem Tag und versuchten ein paar Worte aus ihrem schweigsamen Vater hervor zu locken, bis sie schließlich mit irgendeinem unbedeutenden Wettstreit begannen. All das geschah, während Kazuma einfach nur still sein Essen genoss und mit einem Lächeln der Geräuschkulisse lauschte. Auch wenn er sich manchmal seine Mutter zurück wünschte, er genoss das Leben hier in diesem Haus doch sehr.       Es war einige Tage später, als der Alarm vom Wachturm erklang, der alle Bewohner des Dorfes zurück in seine Häuser rief. Kazuma, der gerade auf einem Pfirsichbaum saß um die ersten Früchte des Jahres zu ernten, konnte genau sehen, wieso der Alarm geschlagen wurde. Aus Westen rückte ein ganzes Heer Soldaten an. Allesamt Samurai, die das Wappen des Daimyō trugen. So schnell er konnte und ohne eine Pfirsich fallen zu lassen, kletterte Kazuma vom Baum und lief zurück nach Hause. Er wollte auf keinen Fall unter die Hufe der berittenen Samurai geraten, wenn sie auf ihrem Weg alles niedertrampelten. Allein sie zu sehen erfüllte ihn mit einem seltsam beklemmenden Gefühl und er hoffte, dass sie einfach an ihrem friedliebenden Dorf vorbeiziehen würden. Als die Sonne sank, wurde jedoch klar, dass das Heer in der Nähe ihres Dorfes ihr Lager für die Nacht aufschlagen würde. Angespannt, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, sah Kazuma jedes Mal nach draußen, wenn sie ihm die Gelegenheit bot. Ihr Haus, am Rande des Dorfes ermöglichte es ihm, das Meer aus Lagefeuern aus nächster Nähe zu sehen. Das allein hätte ein zauberhafter Anblick sein können, wären da nicht die grimmigen Mienen seiner Familie und aller anderen Bewohner des Dorfes. Zur Sicherheit hatten diese ihren Frauen verboten nach draußen zu gehen. Immerhin konnte niemand sagen, was eine Horde Soldaten vorhatte, wenn sie nur lange genug unterwegs waren. Doch trotz all der Anspannung, mussten sie die Gäste in ihrem Dorf willkommen heißen. Als sich der General und seine engsten Berater dem Dorf näherten, wurden sie vom Dorfältesten und seiner Familie empfangen. Alle Männer des Dorfes fanden sich auf dem Dorfplatz ein und brachten einige Lebensmittel für den General und seine Männer. So fiel es Kazuma zu, seine Pfirsiche, die er für seine Familie gepflückt hatte, an die Soldaten abzugeben. Er gab es zwar nicht offen zu, doch er fürchtete sich vor dem grimmig dreinblickenden General in seiner schwarzen Rüstung. Weil er eher einem Yōkai als einem Menschen glich. Weshalb sich Kazuma bis zuletzt hinter Akihito versteckte, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Komm schon, Kazuma. Stell einfach den Korb zu den anderen Sachen, verneig dich und komm sofort zurück. Dann wird dir nichts passieren.“, versuchte ihn sein Bruder zu beruhigen. Aufmunternd drückte er seine Schulter, bevor er ihm einen Schubs in den Rücken gab und Kazuma nach vorne stolperte. Er schluckte, als die Aufmerksamkeit des schwarzen Samurai auf ihn fiel, doch er nahm all seinen Mut zusammen und setzte einen Fuß vor den anderen, bis er die anderen Gaben erreichte. Steif wollte er den Korb abstellen, als der General ihn am Arm packte und den Korb hoch riss. Überrascht quickte Kazuma auf, doch aus dem Griff konnte er sich nicht lösen. „Pfirsiche. So früh im Jahr.“ Erstaunen sprach aus der Stimme des Generals, bevor er sich einen Pfirsich nahm und hinein biss. „Köstlich! Bist ein guter Junge.“, schmatzte der General und tätschelte Kazumas Hand, die den Korb hielt. In diesem Moment schossen Bilder an Kazumas innerem Auge vorbei. So schnell, dass er bald nur noch verschiedene Töne von Rot sehen konnte. Es war das Schlimmste, dass er jemals in einer Vision gesehen hatte und er konnte nicht aufhören zu zittern, als der General ihn los ließ. „Was ist los, Junge?“, fragte der General, seine Stimme schneidend wie sein Katakana selbst. Kazuma bemerkte nicht, dass heiße Tränen über seine Wangen liefen, als er mit einem erschrecken Aufatmen aus seiner Vision gerissen wurde. „Ihr… ihr alle werdet sterben.“ Ein erschrecktes Raunen ging durch die Männer des Dorfes, während der General zunächst überrascht zurück trat. Nur um im nächsten Moment sein Katana zu ziehen. „Was sagst du da? Was fällt dir ein, Bursche?“, rief er aufgebracht und holte schon mit dem Katana aus. „Bitte vergebt meinem kleinen Bruder, mein Herr.“ Akihitos Stimme ließ Kazuma blinzeln und zum ersten Mal seit seiner Vision seine Umgebung wieder richtig erkennen. Als er das Katana sah wich er erschreckt zurück, stolperte und ging zu Boden. Im nächsten Moment war Akihito an seiner Seite und zog Kazuma an sich. „Mein Bruder ist ein Engel, das versichere ich euch, doch manchmal ergreift ein Teufel von ihm besitzt und lässt ihn unsinnige Dinge sagen. Bitte vergebt uns, aber er meint kein Übel.“, versicherte Akihito und warf sich vor dem General in den Staub. Das war Kazumas Schuld. Er war schuld, dass sein Bruder vor dem ganzen Dorf im Dreck kriechen musste. Um sein Leben zu retten. War er also doch zu nichts zu gebrauchen. Ungeschickt nahm Kazuma ebenfalls eine demütige Haltung ein. Direkt neben seinem Bruder. Er konnte nichts sagen. Konnte auch die Tränen nicht bremsen, die über sein Gesicht strömten. Er war wirklich eine Schande für seine Familie. „Taishō, er ist nur ein Junge. Seht ihm diese Worte nach. Es war sicher nur ein dummer Streich…“ Eine junge Stimme sprach zum General. Jünger, als Kazuma jemanden in diesen Diensträngen vermutet hatte. Doch mit ihren Rüstungen und Helmen hatte er keinen der drei Männer wirklich erkennen können. „Hüte du selbst deine Zunge, Maeda!“, fauchte der General den Sprecher an, bevor er sich dem Dorf zu wand. „Hört meine Worte. Wir werden morgen bei Sonnenaufgang in die Schlacht ziehen, um das Reich unseres großen Daimyō zu vergrößern. Und wenn wir zurückkehren, werden wir uns alles nehmen, was es in eurem Dorf zu holen gibt!“, verkündete der General, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und davon schritt. Das Gemurmel der Dorfbewohner wurde lauter, je weiter sich der General entfernte, doch niemand sprach Kazuma oder Akihito an, die weiterhin im Staub lagen und sich so tief verbeugten, wie sie konnten. „Macht euch keine Sorgen. Sobald der General gesiegt hat, wird er euch vergessen und wenn nicht, werde ich versuchen ihn zu beruhigen. Es ist sicher nicht deine Schuld, Junge.“ Kazuma sah auf, als er die freundliche Stimme des jungen Soldaten hörte. Durch den Helm hindurch erkannte er ein Paar eisblaue Augen, die ihn sofort an Koichi erinnerten und er fühlte sich sofort etwas weniger Ängstlich. „Ihr versteht das nicht, Herr. Ihr werdet nicht zurückkehren. Keiner von euch. Es wird einen Hinterhalt geben und… und…“ „Kazuma, sei jetzt still!“ Kazuma konnte nicht anders, als zu sprechen. Auch als sein Bruder ihn unterbrach. Doch die Aufregung verursachte ihm Schluckauf und er konnte nicht noch einmal sagen, wie das Unternehmen der Soldaten enden würde. „Woher willst du das wissen? Habt ihr die Angreifer gesehen? Arbeiten sie mit euch zusammen?“ Der junge Soldat trug keinen Hauch von Wut in seiner Stimme, als er fragte. Es war eher Neugier. „Bitte, Herr. Verzeiht die vorlaute Zunge meines Bruders. Sicher unterstützen wir keine feindlichen Streitkräfte. Es ist nur so…“ „Wenn ich jemanden mit der Hand berühre, sehe ich die Zukunft desjenigen.“ Jeder im Dorf wusste von Kazumas Fähigkeit und er sah keinen Grund darin, es vor diesem Soldaten geheim zu halten. Jemand musste die Wahrheit wissen, damit man die Zukunft vielleicht noch ändern konnte. Seine Worte sorgten dafür, dass der junge Soldat seinen Kopf schief legte und Kazuma eingehend musterte. Schließlich ging er in die Hocke und streckte eine Hand nach ihm aus. „Würdest du dann meine Zukunft ebenfalls vorhersehen? Wenn dich das mögliche Ergebnis nicht zu sehr erschreckt, natürlich.“, fragte er sanft. Kazuma zögerte. Was er bei dem General gesehen hatte, war mehr, als er dachte jemals ertragen zu können. Er kannte kein Schlachtfeld und keinen Tod, über den, der hier gelegentlich im Dorf geschah, hinaus. Doch er wollte sehen, ob dieser Soldat etwas verändern konnte. Also schluckte er und ergriff seine Hand. Rot. Es gab so viel Rot und doch spielte sich diese Version des Hinterhaltes etwas anders ab als zuvor. Überrascht riss Kazuma seine Hand zurück und sah den jungen Soldaten mit großen Augen an. Es war also tatsächlich möglich. Die Zukunft zu verändern. „Kazuma, richtig? Sag mir nicht, was du gesehen hast. Ich werde mich nicht von einem festgeschriebenen Weg unterwerfen lassen. Mein Leben gehört dem Schicksal allein und ich vertraue darauf, dass es auf meiner Seite ist. Wenn ich zurückkomme, werde ich dir erzählen was geschehen ist. In Ordnung?“ Sprachlos, über diese Worte nickte Kazuma nur. Auch sein Bruder sah den Soldaten sprachlos an, als dieser mit einem Lächeln aufstand und seinem General folgte. Nach ein paar Schritten blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. „Mein Name ist Maeda, Keiji und ich habe vor die Welt zu verändern. Ich glaube fest daran, dass du das auch kannst, Kazuma!“ Mit diesen Worten war der Soldat verschwunden und ließ das Dorf in einer Mischung aus Unsicherheit und Hoffnung zurück.       Seit jenem Tag hatte Kazuma Stellung auf einem Hügel am anderen Ende des Dorfes bezogen. Von dort versuchte er auszumachen, ob und wann die Soldaten zurückkehren würden. Sie waren bereits am nächsten morgen früh aufgebrochen, ohne ein weiteres Wort an die Dorfbewohner zu richten. Genauso, wie keiner von ihnen ein Wort an Kazuma richtete. Sie alle gaben ihm die Schuld, dass der General so verärgert wurde. Ihm und seiner teuflischen Gabe, wie sie es nun nannten. Als er vorher allen nur gute Dinge vorhergesagt hatte, hatte sich niemand darum gekümmert, wozu er in der Lage war. Doch vielleicht hatte auf so viele positive Nachrichten einfach eine schreckliche folgen müssen? Kazuma wusste es nicht, doch er verfluchte seine Hände für diese Eigenart. Er wollte normal sein, wie all die anderen im Dorf. Doch solange er das nicht konnte, würde er weiter Wache halten auf diesem Hügel und die Dorfbewohner warnen, sobald er etwas bemerkte. Denn egal wie aufmunternd die Worte des jungen Soldaten waren. Er hatte den kalten Zorn in den Augen des Generals gesehen und das Versprechen auf großes Leid. Dieser Anblick ließ ihn nicht mehr los und verfolgte ihn sogar in seine Träume. Tagelang saß er auf seinem Platz auf dem Hügel, ohne ausreichend zu trinken oder zu essen. Ein selbstauferlegtes Schicksal, denn er wollte Buße tun, für das Unheil, dass er über ihr Dorf gebracht hatte. Vielleicht würden die Götter das Schicksal des Dorfes ändern, wenn er nur genug für sie litt. Vielleicht konnte er das Unheil damit abwenden? Nach knapp einer Woche war Kazuma wie ein Geist seiner selbst. Nur Haut und Knochen. Braun gebrannt von der Sonne, die den ganzen Tag auf ihn herunter brannte. Und doch rührte er sich nicht vom Fleck. Egal wie sehr seine Brüder darum anflehten oder sein Vater ihn darum bat. Er würde sich erst hier weg bewegen, wenn die Gefahr gebannt war. Er würde nicht aufgeben. Das schwor er sich und ballte die Hände zu Fäusten. So fest, dass Blut von seiner Handfläche tropfte.     Schreie weckten Kazuma aus seinem Schlaf. Er hatte nicht bemerkt, dass er eingeschlafen war. Soweit er sich noch erinnern konnte, war gerade eben noch Mittag gewesen. Jetzt leuchtete der Mond friedlich vom Nachthimmel herab. Wie hatte er nur so lange schlafen können? Seine Kehle war trocken und kratzig, sein Mund staubtrocken. Er leckte sich trotzdem über die aufgeplatzten Lippen. Die Welt um ihn herum drehte sich, als sich Kazuma aufsetzte und es fiel ihm schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Was war nur los? Er hatte kein Gefühl in seinen Gliedern und doch zwang er sich, aufzustehen. Fast wäre er wieder hingefallen, doch er schaffte es, sich aufrecht zu halten und sich dem Dorf zuzuwenden. Was er dort sah, ließ ihn jedoch zurück auf die Erde sinken. Das Dorf stand in Flammen. Es brannte lichterloh und die Bewohner Schrien und rannten um ihr Leben, nur um von berittenen Soldaten mit ihren Katanas niedergemäht zu werden. Soldaten in schwarzer Rüstung, mit dem Wappen des Daimyō. Sie waren hier. Die Soldaten des Generals und Kazuma hatte niemanden warnen könne. Er hatte erneut versagt. Wut und Verzweiflung kochten in Kazuma hoch und er rappelte sich wieder auf. Stolperte den Hügel hinunter und in sein Dorf. Die Flammen und Reiter ignorierend rannte er durch das Dorf, auf der Suche nach dem General. Vielleicht wäre er damit zufrieden, wenn er ihn töten könnte? Vielleicht würde er dann sein Dorf in Frieden lassen. Die Bewohner hatten doch niemandem etwas getan. Kazuma wollte nach dem General rufen, doch seine trockene Kehle brachte nichts als ein Krächzen hervor. Verflucht. Was sollte er nur tun? „Kazuma!“ Kazuma fuhr herum. Das war die Stimme seines Vaters. Im Rauch, der von den Häusern aufstieg, konnte er nichts erkennen, also lief er in Richtung seines Zuhauses. Immer wieder stolperte er auf dem Weg und es kostete ihm all seine Kraft jedes Mal wieder auf die Füße zu kommen. Doch er würde nicht aufgeben. Er musste seine Familie finden. Wahrscheinlich war der General bei ihnen, wenn er nach ihm suchte. Als er schließlich sein Zuhause erreichte, war dieses bereits bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Kazuma kam schlitternd zum Stehen, als er einen leblosen, brennenden Körper vor der Haustür sah. Durch die Flammen konnte er die Größe nicht abschätzen, um zu sagen, wer es sein könnte. „Da bist du Rotzbengel ja.“ Kazuma gefror zu Eis, als er die hasserfüllte Stimme des Generals hörte. Wie in Zeitlupe drehte er sich steif um, und fand den General auf seinem Pferd sitzend. Er stand einige Meter entfernt und Kazuma konnte noch sehen, wie der General seinen Vater zu Boden fallen ließ. Er regte sich nicht mehr und Kazuma wusste, was geschehen war. Seine Augen brannten, doch es kamen keine Tränen. Sein Körper war zu ausgezehrt, um noch eine solche Reaktion zu ermöglichen. Mit einem teuflischen Grinsen zog der General sein Katana. „Kleiner Teufel, ich werde dich lehren Unglück über mich zu bringen!“, schrie der General, bevor er seinem Pferd die Sporen gab und dieses in einem Satz lossprang. Kazuma hatte erwartet, dass er bereit für den letzten Schlag war. Was sollte er auch tun, wenn seine Heimat zerstört war? Doch als der General unaufhaltsam auf ihn zustürmte, überkam ihm die Angst und der duckte sich weg, bevor das Katana ihn treffen konnte. Er ließ sich einfach fallen und rollte zur Seite. Dabei ergriff er einen großen Stein und klammerte seine Finger darum, bis die trockene Haut aufplatzte und zu bluten begann. „Du wirst mir nicht entkommen. Genau so wenig wie deine Brüder und dein Vater… Ich hoffe es erfüllt dich mit Stolz, dass ich mir dich bis zum Schluss aufgespart habe. Ich wollte dir zeigen wie es ist, alle abgeschlachtet zu sehen, die einem nahe sind. Ich wollte dich diese Schmach spüren lassen, als Letzter übrig zu sein.“ Die Stimme des Generals wurde mit jedem Wort mehr zu einem hysterischen Fauchen und letztlich stieg der General von seinem Pferd und kam zu Fuß auf Kazuma zu. Immer näher, bis Kazuma die Spritzer Blut auf dem Gesicht des Generals erkennen konnte. Das war es, was einen Schalter in Kazuma umlegte. Er griff den Stein in seiner Hand noch fester, holte aus und Schrie all seine Wut heraus, als er den Stein warf. Ohne eine Wirkung prallte der Stein an der Rüstung des Generals ab und dieser schritt ungerührt und unaufhaltsam weiter auf Kazuma zu. „Mehr hast du nicht zu bieten? Dann bereite dich auf dein Ende vor, Teufel!“ Der General holte aus und Kazuma schloss instinktiv die Augen. Er wollte nicht sehen, wie das Schwert auf ihn herniedersauste. Er wollte gar nichts mehr sehen. Er wünschte sich nur, dass es schnell zu Ende ging, damit er bald wieder mit seiner Familie vereint sein konnte. „Nicht so schnell!“ Beim Klang dieser Stimme riss Kazuma die Augen wieder auf. Nur noch wenige Schritte trennten den General von ihm, doch sein wahnsinniger Gesichtsausdruck war erstarrt und er rührte sich keinen Millimeter mehr. Einen Moment schien es, als wäre die Welt einfach stehen geblieben, doch dann fiel der General vorne über und blieb reglos liegen. Dahinter kam Keiji Maeda zum Vorschein. Sein Katana in Blut getränkt. Mit einer eleganten Bewegung schüttelte er das Blut von der Klinge und steckte das Schwert zurück in seine Scheide. Über den General hinweg fand Kazuma den Blick des Soldaten und all seine Anspannung fiel von ihm ab. Die Angst zu sterben war verschwunden, doch mit ihr kam die Erkenntnis, dass dieser Mann zwischen ihnen, seine Familie ausgelöscht hatte. Diese Tatsache ließ einen stummen Schrei in Kazuma aufsteigen und ohne Tränen weinte er um seine Familie. Mitten in diesem Feld aus Blut und Asche. „Tut mir Leid, dass ich es nicht früher geschafft habe, Kazuma. Du hast Recht behalten. Uns wurde aufgelauert. Doch durch deine Gabe konnte ich meine Männer davon überzeugen Wachsam zu sein. Wir konnten dem Hinterhalt entkommen, doch der General fiel ihm vollständig zum Opfer. Nur eine Handvoll seiner Soldaten haben es geschafft. Diese sind jedoch wie die verrückten hier her geeilt. Ich konnte sie nicht mehr einholen… Es ist meine Schuld, dass das hier geschehen ist. Bitte verzeih mir.“ Keiji trat an Kazumas Seite und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Kazuma zuckte ob dieser Berührung zurück. Doch die Bewegung kam zu plötzlich für seinen geschwächten Körper und er fiel einfach um, ohne sich noch einmal fangen zu können. Letztlich war es ihm egal. Hier auf der Erde war er seiner Familie wenigstens näher. Er wusste nicht, was er sonst tun sollte, außer seiner Familie zu folgen. Sein Kopf war so leer, dass er nicht wusste, was er anderes tun sollte. „Kazuma. Ich weiß, dass das hier furchterregend ist. Du hast alles verloren, wofür du gelebt hast. Was du geliebt hast… Ich weiß wie das ist. Auch ich habe schon zweimal alles verloren. Doch lass mich dir sagen, als jemand der überlebt hat: Wir müssen auf jeden Fall weiter machen. Um eine besser Welt zu erschaffen, als die Jetzige. Komm mit mir und ich werde dir helfen. Das verspreche ich dir.“ Kazumas Blick hatte sich getrübt, doch er erkannte Keijis Hand vor seinem Gesicht. Wieso wollte er ihn retten? Er hatte es doch gar nicht verdient. Er war der Grund, wieso alle aus seinem Dorf und seine Familie getötet worden waren. Wieso sollte er also noch eine Chance bekommen? Er war es nicht wert. „Das hier, ist nicht deine Schuld, Kazuma. Sondern die eines Mannes, der von seiner Macht und Position geblendet war. Einem Mann, von deren Sorte es viel zu viele auf dieser Welt gibt. Hilf mir bitte, damit so etwas nicht noch einmal irgendwo passiert. Ich glaube an dich. Du kannst es schaffen. Du darfst nur nicht aufgeben.“ „Ich habe dich immer bewundert, Kazuma. Wie gut du mit deiner Gabe umgehen konntest und wie wenig sie dich eingeschränkt hat. Obwohl sie so viel Verantwortung mit sich bringt. Deine Stärke, für dein junges Alter, finde ich äußerst Bewundernswert.“ Kazuma blinzelte. Koichi hatte diese Worte einmal zu ihm gesagt. Das war kurz nach dem Tod ihrer Mutter gewesen. Den Tod, den Kazuma schon Monate zuvor gesehen hatte und niemandem anvertraut hatte. Es wer ein Geheimnis zwischen ihm und seiner Mutter, bis zu ihrem Ende gewesen. „Kazuma. Denk daran, ich bin der Einzige, der dich wegen deiner Gabe aufziehen darf. Wenn dir jemand anderes deswegen dumm kommt, komm einfach zu mir und ich werde ihn fertig machen. Denn niemand legt sich mit meinem kleinen Bruder an, und macht sich über eine so großartige Fähigkeit lustig.“ Ryuji. Das musste sehr früh in Kazumas Leben gewesen sein. Er war Vier oder Fünf gewesen und einige Jungs aus dem Nachbardorf hatten einen Stein nach ihm geworfen, weil sie ihn seltsam gefunden hatten. Kazuma hatte ihre Namen nie an seinen Bruder verraten, trotzdem waren sie einige Tage später panisch vor Kazuma davon gerannt, als sie ihn wieder gesehen hatten. Seitdem hatten sie nie wieder ein böses Wort gegen ihn gerichtet. „Weißt du, ich halte dich für das Licht dieser Familie, Kazuma. Du strahlst immer so hell, wenn du Lächelst und bist in allen Belangen ein Vorbild. Vor allem Itachi sollte sich mal eine große Scheibe von dir abschneiden. Ich wünsche mir für dich, dass du niemals deine gutmütige Seele verlierst. Lächle immer, wenn du kannst, denn das steckt alle um dich herum an und kann nur etwas Gutes hervorbringen.“ Kazumas Lippen verzogen sich zu einem Hauch eines Lächelns, als ihm Akihitos Worte wieder in den Sinn kamen. Bei all dem Lob war er rot geworden und hatte Akihito ein so strahlendes Lächeln geschenkt, dass dieser gespielt rückwärts gestolpert war, bis er an einer Wand angestoßen und an dieser heruntergerutscht war. Dabei hatte er sich ans Herz gegriffen und theatralisch geseufzt, dass sein Lächeln sein Herz getroffen und ihn geblendet hätte. „Hey, Kazuma! Du musst schneller werden, wenn ich dich nicht überall zurücklassen soll. Streng dich gefälligst an, aber nicht zu sehr, sonst komme ich am Ende nicht mehr hinterher!“ Itachi und seine Worte, die am nächsten an ein Kompliment heran reichten. Hatte er geahnt, dass Kazuma eines Tages schneller als sie alle zusammen sein würde? Dass er über sie alle hinauswachsen würde und ihm dann sogar dieses Dorf zu klein wäre? Hatte er Angst gehabt, seinen kleinen Bruder zu verlieren? Kazuma hatte sich damals eingeredet, dass es so wäre, als Itachi ihm diese Worte auf der Flucht vor dem Dorfältesten zugerufen hatte. „Kazuma. Von all meinen Söhnen, erinnerst du mich am meisten an deine Mutter. Bleib also bitte immer, wie du bist. Mit deinem großen Herzen und deiner Liebe für jeden.“ Vater. Auch wenn er, seit dem Tot ihrer Mutter, nur noch selten mehr als ein paar Worte gesprochen hatte, erinnerte sich Kazuma noch genau an diese Worte. Es war sein erster Geburtstag ohne seine Mutter gewesen. Er hatte den ganzen Tag nur geweint, bis sein Vater ihn auf seinen Schoß genommen und ihm das gesagt hatte. Von da an, hatte er keine Träne mehr für seine Mutter vergossen, sondern sich geschworen, nur noch für sie zu Lächeln. „Mein lieber Junge. Versprich mir, dass du keine Frucht vor deiner Gabe hast. Sie ist ein Wunder, dass dir von den Göttern geschenkt wurde. Und ich glaube fest daran, dass damit viel Gutes entstehen kann. Du wirst neue Freundschaften schließen und Verbündete finden. Menschen, die dich respektieren, für das was du kannst. Dann musst du auch nicht mehr die fürchten, die Unwissen und Furcht mit Hass und Wut vergelten. Liebe deine Gabe, wie ich dich liebe. Dann wird daraus etwas Großartiges erwachsen.“ „Mutter…“ Krächzend kam das Wort über Kazumas Lippen, während sich eine heiße Träne über seine, von der Sonne aufgeplatzte, Haut brannte. Sie hatten Recht. Seine Familie und Keiji. Er durfte nicht aufgeben. Noch nicht. Immerhin konnte er mit seiner Gabe vielleicht noch etwas erreichen. Und auch wenn ein großer Teil seiner selbst in diesem Moment starb und bei seiner Familie zurück blieb, ergriff Kazuma die ausgestreckte Hand vor sich. Für eine bessere Welt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)