Die Palastbücherei (One-Shot Sammlung) von C-T-Black (Ein Ort voller One-Shots) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Keiji ------------------- Die Sonne, die durch das dichte Blätterdacht brach, tanzte in sprenkeln über das satte Grün der Wiese. Vögel zwitscherten in den Baumkronen und eine leichte Brise strich über den Hügel. Jetzt, im Hochsommer, war es im hohen Gras unter den uralten Bäumen am kühlsten. Hier, wo der Wind aus den nahen Bergen über das Land strich. Kühl und mit dem Ruf der Freiheit. Genau dieser Ort, war der Lieblingsplatz des jungen Lords des Maeda Clans. Dem Erben von Toshihisa Maeda. Schon lange wurde er auf die Aufgabe der Nachfolge vorbereitet. Doch jetzt, nur wenige Tage vor seinem sechzehnten Geburtstag, versuchte er alles um nicht an diese Verantwortung zu denken. Natürlich würde er nicht automatisch an seinem Geburtstag zum Oberhaupt der Familie werden, aber er würde der Gesellschaft als zukünftiger Anführer vorgestellt. Die Zeremonie konnte er mittlerweile im Schlaf, doch der Gedanke daran erzeugte immer noch ein flaues Gefühl in seiner Magengegend. Toshihisa Maeda war ein alter, weißer Mann. Wie konnte man von ihm, einen einfachen Jungen, erwarten es diesem großartigen Anführer gleich zu tun? Er war doch nur ein dummer Junge. Diesen Eindruck gewann er in letzter Zeit immer öfter und er fragte sich, ob er der Rolle als Anführer überhaupt gerecht werden konnte. Was er auf keinen Fall wollte war seinen Ziehvater zu enttäuschen. Er wollte ehrenhaft sein und seinem Clan ein würdiger Nachfolger. Immerhin war das Leben in den Bergen hart und zeitweise sogar sehr gefährlich. Ein einzelnes Kirschblütenblatt fiel auf das Buch des jungen Lords und riss ihn aus seinen Gedanken. Er schob sich eine lästige Haarsträhne hinters Ohr und sah von seiner Skizze auf. Nur wenige Meter entfernt, stand eine Frau zwischen den mächtigen Bäumen. Als sich ihre Blicke trafen, verneigte sie sich höflich, was der junge Lord erwiderte. Bevor er aufsprang und zu der Frau hinüber lief. Ihre ganze Erscheinung war edel. Ihre Haltung, ihr seidener, roter Kimono, den unzählige weiße Kirschblüten zierten. Sogar ihr kirschrotes Haar, das perfekt zu ihrem roten Lack-Schirm passte, zeigte ihre Eleganz. Sie war blass, wie eine Prinzessin und ihre zierlichen Finger waren kaum geschaffen für schwere Arbeit. Sie machte den Eindruck einer hübschen Puppe, die man nur ansah, aber die niemals etwas tat. Aber der junge Lord wusste es besser. „Sakura! Ich wusste du würdest kommen. Sieh mal, ich habe mir eine neue Strategie überlegt. Wenn wir die Bogenschützen hier oben postiert und nur ein paar Fußsoldaten als Köder eingesetzt würden, dann könnte man die Angreifer vernichten, ohne größeren Schaden auf unserer Seite.“, erklärte der Lord stolz und hielt der Frau sein geöffnetes Buch entgegen. Das Buch, in dem er all seine Ideen und Strategien niederschrieb oder zeichnete. Sakura hatte ihn dazu gebracht dieses Buch zu beginnen. Vermutlich nur, weil sie mit seinen nachgestellten Szenen aus Steinen und Zweigen nicht zurechtgekommen war. Aber auch, um ihn zu ermöglichen später noch einmal über seine Ideen nachzudenken. So hatte der junge Lord begonnen auch später noch über seine Ideen nachzugrübeln, um sie schließlich noch weiter zu verbessern. Heute war es eine fiktive Verteidigungsstrategie für den Fall, dass sein Haus eines Tages angegriffen werden könnte. Aber er hatte auch schon unzählige Angriffe auf alle möglichen Häuser und Paläste in der Nähe durchgespielt. Und wenn all die strategischen Überlegungen seinen Geist nicht genug forderten, dachte er sich unzählige Dinge aus, die im Haushalt oder bei der Feldarbeit helfen konnten. An solchen Ideen konnte er stundenlang tüfteln und wenn sie gelangen stellte er sie den Leuten seines Haushalts zur Verfügung. Doch er gab niemals damit an. Es war ihm Freude genug, den Dank und die Wertschätzung der Bediensteten zu erfahren, denen er damit zur Hand ging. Denn wenn er nicht zu sehr über die Verantwortung nachdachte, wollte er ein gutes Vorbild für die ganze Familie sein. „Keiji. Du solltest nicht allein hier oben sein. Du könntest entführt werden, oder schlimmeres...“, sagte Sakura und musterte den jungen Lord. Dieser schenkte ihr ein breites Grinsen. „Aber du bist doch da. Was soll da schon passieren?“ Sakura seufzte, trat aus dem Schatten der Bäume und setzte sich auf einen großen Stein in der Nähe. „Ich bin niemand, den du als angemessene Gesellschaft zählen solltest. Du solltest mich als Bedrohung sehen. So wie euer Daimyō das tut… Und du solltest bedenken, dass deine Bogenschützen ein gutes Auge brauchen, falls es sich bei den Angreiffern um Samurai handelt, müssen sie genau zielen um durch die Schwachstellen in der Panzerung einen tödlichen Treffer zu landen!“ Keiji beobachtet die Yōkai, während sie sprach und setzte sich dann zu ihr. „Genau wegen deiner letzten Bemerkung könnte ich dich nie als Bedrohung sehen. Ihr seid nicht so, wie der Daimyō sagt. Zumindest nicht alle von euch.“, wiedersprach er ihr. Daraufhin huschte ein kleines Lächeln über Sakuras Lippen. „Ich wünsche mir, dass du diese Ansicht niemals änderst. Aber sollten sich die Zeiten einmal ändern, und das tun sie ständig, dann denke an diesen Moment zurück. Versprichst du mir das?“ Einen Moment sah Keiji sie fragend an, bevor er nickte. „Das verspreche ich. Aber ich glaube nicht, dass ich jemals meine Meinung über euch ändere!“       Das Geräusch von Stahl, der auf Stahl schlug, riss Keiji aus dem Schlaf. Zuerst war das Geräusch leise, doch als die Rufe und das Geschrei der Schlacht immer lauter wurde, sprang er aus dem Bett, griff nach seinem Katana und stürmte ohne nachzudenken aus seinem Zimmer. Auf dem Weg in den Vorhof, ging er all seine Strategien durch. Alles, was er jemals in sein Buch geschrieben hatte. Darunter waren auch ein paar Szenarien, die einen Überraschungsangriff auf dieses Anwesen beinhalteten, weshalb Keiji auch nicht aus der Vordertür hinaus stürmte, sondern eine Seitentür wählte. Von hier konnte er sich schnell einen Überblick verschaffen. Die Soldaten seines Ziehvaters versuchten den Vorhof zu halten, während dieser selbst im Zweikampf mit einem Mann in einer schwarzen Samurai Rüstung stand. Keiji griff sein Katana fester und wollte sich gerade in das Getümmel stürzen, als er zurückgehalten wurde. „Junger Herr, ich wurde mit der Aufgabe betraut euch in Sicherheit zu bringen.“, erklärte der junge Soldat, der höchstens zwei Jahre älter war als Keiji selbst. Er sah sehr entschlossen aus, doch Keiji konnte es in seinen Augen blitzen sehen. Die Erleichterung, nicht mitten in diesem Gemetzel zu sein. Was verständlich war, doch so leicht machte es sich Keiji nicht. Er war der Nachfolger dieses Hauses. Er konnte es unmöglich hier untergehen lassen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Er konnte nicht fliehen! „In Ordnung. Geh voran, ich werde dir folgen.“, sagte er zu dem Soldaten, woraufhin dieser erleichtert nickte. Sobald der Soldat ihm den Rücken zugewandt hatte, rannte Keiji auf das Schlachtfeld. Das Katana mit beiden Händen erhoben, griff er den ersten Mann an den er fand und streckte ihn nach einem kurzen hin und her nieder. Es war der erste Mann, denn er jemals getötet hatte, doch er hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Sein Vater war keinen Steinwurf von ihm entfernt und er wollte unbedingt an seine Seite gelangen. Also kämpfte er sich seinen Weg frei, bis ihn nur noch wenige Schritte von ihm trennten. Doch noch bevor er ihn erreichte, zerschnitt ein Schrei das Kampfgeschehen und alle Blicke wandten sich dem schwarzen Samurai zu. Seine Klinge blitzte im Mondlicht auf, bevor sie zu ihrem tödlichen Schlag herniedersauste. Und Toshihisa Maeda? Auf ein Knie gezwungen, konnte er der Klinge nicht ausweichen, als sie über seine Brust glitt. Blut spritzte in die Nacht und verwandelte das silberne Licht des Mondes in rubinrotes. So einfach konnte das ganze Leben eines Mannes vor aller Welt ausgebreitet werden. Jede Entscheidung, jede Ansicht der Dinge und jede Richtung, die man eingeschlagen hatte. Das alles hatte zu diesem Moment geführt und Keiji kam der Tod zum ersten Mal wie eine Verschwendung vor. Wie konnte ein Mord nur das Schicksal sein, das einen erwarten konnte? Und dann traf sich der Blick seines Ziehvaters mit seinem. „Vater…“, hauchte Keiji, ein Zittern in der Stimme. Die letzten Sekunden seines Lebens verbrachten sie gemeinsam. So als wären all die Männer um sie herum nicht vorhanden. Zuerst war sein Blick suchend, doch als er Keiji bemerkte, änderte sich das. Sein Blick war jetzt eine Mischung aus Furcht, um das Leben seines Jungen und Glück, darüber, dass sein letzter Anblick nicht der Feind sein musste. So sah er noch ein letztes Mal sein Erbe. Alles, was er wirklich in dieser Welt zurücklassen konnte. Und dann hatte er sein Leben ausgehaucht. Der Samurai zog, ohne zu zögern, seine Klinge zurück und sein Vater fiel lautlos zu Boden. Sofort, als er den Boden berührte, brach der Kampflärm wieder los. Eigentlich hatte Keiji erwartet, dass die Angreifer mit dem Tod seines Vaters zufrieden wären und dass seine Soldaten ohne einen Anführer aufgeben würden. Doch er hatte sich getäuscht. Die Angreifer suchten offenbar die totale Zerstörung und die Soldaten seines Vaters? Die wollten den Tod ihres Herren rächen oder ihm beim Versuch in den Tod folgen. Diese Entschlossenheit zu sehen, bewegte auch Keiji dazu, wieder anzugreifen. Dabei blieb er allerdings nicht lange unerkannt, denn schon nach wenigen Augenblicken wand sich der schwarze Samurai ihm zu und griff ihn mit seiner blutverschmierten Klinge an. Der Anblick des Blutes auf der Klinge versetzte Keiji so in Rage, das er sich mit einem Schrei in den Kampf stürzte und alles versuchte um seinen Gegner zu vernichten. Mehrere Male parierten sie die Schläge des anderen, bevor der Samurai seine Klinge über Keijis Oberschenkel zog. Für den Bruchteil einer Sekunde ging Keiji in die Knie, doch dann biss er die Zähne zusammen, ignorierte den Schmerz und fand wieder seinen Stand. Vielleicht hätte er auch einen Treffer landen können. Vielleicht hätte er den Samurai sogar besiegt. Doch in dem Moment setzte der Pfeilhagel ein. Er kam aus dem Nichts. So als hätte die schwarze Nacht persönlich beschlossen, Partei zu ergreifen. Unzählige Pfeile verdunkelten den Vorhof und strecken jeden nieder, der in ihren Weg trat. Um Keiji herum gingen die Soldaten seines Vaters zu Boden wie Fliegen und er konnte nichts für sie tun. Konnte keinen der Männer retten, mit denen er teilweise seine gesamte Zeit hier verbracht hatte. Sie alle würden in dieser Nacht sterben. Das wurde Keiji in diesem Moment bewusst. Und ihm wurde noch etwas klar. Das hier war kein gewöhnlicher Angriff… Der Pfeil, der in diesem Moment seine Körper durchstieß, ließ zum ersten Mal in Keijis Leben all seine Gedanken verstummen. Er konnte nur noch auf den Pfeil starren, der aus seiner Brust heraus ragte. Dessen Federn ihm irgendwie bekannt vorkamen, die er aber nicht zuordnen konnte. Ein Fremdkörper, von dem er sich fragte, wo er her kam. Und dann wurde es Schwarz um ihn herum…       Schmerz. Das war das Erste, dass Keiji spürte. Der Schmerz in seinem Herzen. Nicht nur von der tiefen Wunde, sondern auch von den Erinnerungen an diese Nacht. An das Blut. An seinen Vater und wie er sein Leben ausgehaucht hatte… Aus dem Nebel des Schmerzes und des Todeskampfes wurde es Keiji bewusst. Jetzt war er derjenige der die Blutlinie weiterführen musste und das Gefühl ganz allein zu sein war überwältigend. Eine weitere Erinnerung drängte sich in diesem Moment in den Vordergrund. Sie war schwarz und unheilverkündend. Ein Mann, der für all seine Gefühle, seinen Zustand und alles andere verantwortlich war. Wie er da gestanden und hämisch gegrinst hatte, als Keiji zu Boden gegangen war. In diesem Moment hatte er sich geschworen Rache zu nehmen. Sollte er jemals aufwachen, würde er sein Haus, seine Familie rächen. Doch dafür müsste er erst einmal wieder zu Kräften kommen. Dieser Gedanke brachte ihn dazu seine Augen zu öffnen. Über ihm sah er eine Holzdecke, zwischen deren Balken sich Spinnweben ausgebreitet hatten. Er neigte den Kopf leicht zur Seite und fand eine einfach verputzte Wand neben sich. Auf der anderen Seite stapelten sich Körbe, Krüge und Säcke voll Reis. Das Wappen auf den Waren war nicht das seiner Familie, doch es kam ihm bekannt vor. Wo nur hatte er dieses Wappen schon einmal gesehen? Und wie war er hier her gekommen? Wer hatte ihn hier her gebracht und seine Wunden versorgt? Er konnte es sich nicht erklären und er konnte auch niemanden ausmachen, der sich offenbar um ihn gekümmert hatte. Vielleicht war er auch gar nicht gerettet worden. Möglicherweise hatte ihn der angreifende Clan mitgenommen um ihn als Geisel zu halten. Doch was für einen Zweck sollte das haben, wenn ihr Zuhause doch gefallen war? Niemand würde mehr Lösegeld für ihn zahlen. Und als reine Arbeitskraft wäre der Aufwand seiner Wundbehandlung zu groß. In diesem Moment hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde. Erfüllt von einer Mischung aus Panik und Wut tastete Keiji nach etwas, dass er als Waffe gebrauchen konnte. Doch außer einer kleinen Schale aus Ton fand er nichts Brauchbares. Mit dieser in der Hand versuchte er sich aufzurichten. Auch wenn er glaubte ein glühendes Eisen wäre in diesem Moment durch seine Brust gestoßen worden. Er war bereit zu Kämpfen, käme es darauf an. „Was, um der Götter willen, treibst du da, Keiji?“ Keiji fiel die Schale aus der Hand, als er die Person erkannte, die hinter einen Stapel Kisten zum Vorschein kam. Und so als hätte ihr Anblick sämtliche Kraft aus seinem Körper gezogen, fiel er wie ein Sack Reis, hilflos zur Seite. Eilige Schritte rauschten an seine Seite und dann lagen zarte Finger auf seinen Oberarmen. Trotz ihrer schmalen Statur zogen diese Finger Keiji zurück auf sein provisorisches Lager und sorgten dafür, dass er wieder einigermaßen bequem liegen konnte. „Du bist noch nicht einmal ansatzweise bereit aufzustehen. Deine Verletzungen… Sie waren furchtbar schwer. Es ist ein Wunder, dass du überhaupt noch atmest! Also bitte, lass es langsam angehen, Cousin.“ Keiji stieß einen schweren Atemzug aus, bevor er all seine Kräfte zusammennahm und die Hand seiner Cousine ergriff. Seine Bemühungen aufzustehen hatten all seine Reserven aufgebraucht und es kostete Keiji seine ganze Willenskraft, nicht sofort wieder in die Bewusstlosigkeit zurück zu sinken. Er hatte so viele Fragen. Er konnte einfach nicht schon wieder zurück in diese Finsternis fallen. „Danke, Fuyu… Aber sagt mir: Dein Zuhause liegt über eine Woche zu Pferd von meinem entfernt. Wie bin ich hier her gekommen?“ Seine Stimme klang seltsam schwach und weit entfernt. Keiji verstand seine eigenen Worte selbst nur mit Mühe und Not und auch Fuyu musste sich ihm entgegen beugen. Sanft drücke sie seine Hand, als diese vor Anstrengung zu zittern begann. „Deine Freundin hat dich her gebracht. Die Frau in Rot. Sie ist hier vor ein paar Tagen aufgetaucht und hat mich um Hilfe angefleht… Ich konnte sie leider nicht in die Nähe des Haupthauses lassen, deshalb haben wir dich hier untergebracht. Außer mir weiß keiner dass du hier bist. Deshalb muss ich dich leider bitten äußerst leise zu sein.“ Seine Freundin in Rot… „Sakura… Das hätte sie nicht tun müssen…“ Es erwärmte Keijis Herz, zu wissen, dass sich Sakura die Mühe gemacht hatte, seinen Körper vom Schlachtfeld zu bergen und hier her zu bringen. Dafür würde er sich großzügig bei ihr bedanken, sobald er wieder ganz genesen war. Wie sie aber darauf gekommen war, ihn ausgerechnet hier her zu bringen, war ihm ein Rätsel. Doch seine Gedanken begannen bereits zu verschwimmen, weshalb es ihm schwer fiel überhaupt einen Sinn in all dem zu finden. „Der Pfeil?“ „Ich habe ihn aufbewahrt. Er ist hier.“, erklärte Fuyu und zog eine längliche Schachtel heran. Sie öffnete den Deckel, doch Keijis Sicht trübte sich und er konnte den Pfeil nicht genau erkennen. Genau so wenig wie das Gesicht seiner Cousine. Er blinzelte mehrmals, doch auch das hatte keinen Effekt auf seine Sehkraft. War er wirklich so schwach, dass jetzt sogar seine Augen versagten? „Ich muss… rächen…“ Da war sie wieder. Die Dunkelheit. Sie kam so überraschend und schluckte Keiji so vollkommen, dass er sich nicht länger dagegen wehren konnte und einfach von ihr fortgerissen wurde.       Wochen. Wochen waren vergangen, seit jenem verschwommenen Gespräch mit Fuyu. Seitdem setzte Keiji alles daran wieder gesund zu werden und zu seiner alten Stärke zurückzukehren. Seit er das provisorische Bett verlassen konnte, trainierte er mit seinem Katana. Sakura war so umsichtig gewesen es hier her zu bringen, zusammen mit seinem zerschundenen Körper. Was ihm eine Chance auf Rache bot, die er nicht verstreichen lassen wollte. Das oberste Stockwerk der Lagerhalle hatte er seit seiner Ankunft nicht verlassen und er bemühte sich darum, nicht von den Bewohnern des Anwesens entdeckt zu werden. In diesem Punkt hatte Fuyu Recht behalten. Es war für alle Beteiligten am sichersten, wenn niemand wusste, dass er hier war. Oder besser noch, dass niemand sonst wusste, dass er lebte. Fuyu sah einmal am Tag nach ihm und hielt ihm auf dem Laufenden, was draußen in der Welt vor sich ging. So hatte er auch erfahren, dass sein Onkel, Fuyus Vater, die Position des Oberhauptes des Maeda Clans zugesprochen worden war. Und das, obwohl er bereits Herr über ein eigenes Gebiet war. Nun hatte er sich auch noch das seines Vaters unter den Nagel gerissen. Allein dieser Gedanke ließ Keiji die Zähne zusammenbeißen und den Griff um das Heft seines Katanas wurde fester. Mit all seiner Wut führte er den nächsten Schlag aus und verlor fast das Gleichgewicht, als ein Ziehen durch seine Brust schoss. Schwer atmend kam er wieder in einen geraden Stand und presste eine Hand auf seine Brust. In all der Zeit war die Wunde an seinem Oberschenkel gut abgeheilt und das Loch in seiner Brust riss nicht mehr auf, wenn er eine unbedachte Bewegung ausführte. Trotzdem schmerzten die Wunden noch, wenn er es übertrieb. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, weiter zu trainieren. Denn er wollte so schnell wie möglich bereit sein, einen Kampf auszutragen und diesen auch gewinnen. Er vollführte noch einige weitere Bewegungsabläufe. So lange, bis ihm der Schweiß von der Stirn tropfte und sein Atem flach ging. Seine Finger waren steif, als er sein Katana zurück in die Scheide schob und alles unter seiner Strohmatratze versteckte. Gerade als er sich wieder erhob, hörte er Schritte und wand sich der Treppe zu. Diese Schritte hatte er in den letzten Wochen so oft gehört, dass er sofort wusste, dass ihm keine Gefahr drohte aufzufliegen. Und schon im nächsten Moment konnte er Fuyus türkisblauen Haarschopf erspähen. Mit einem Korb in der Hand erklomm sie die steile Treppe zu seinem Versteck und ließ einen missbilligenden Blick über ihn wandern, als sie ihn erreichte. „Du hast es schon wieder übertrieben. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass deinem Körper nicht geholfen ist, wenn du ihn so überforderst? Du wirst dich nur noch mehr verletzten, wenn die nicht aufpasst.“ Diesen tadelnden Ton in ihrer Stimme hatte Fuyu definitiv von ihrer Mutter. Das war aber wohl das Einzige, worin sie nach ihrer Mutter kam. Trotzdem würde es Keiji niemals wagen, ihr das zu sagen. Denn allein bei dem Gedanken sah er sich schon in Fuyus Schwitzkasten, wie sie versuchte ihm den Kopf dafür abzureißen. „Mein Körper kommt aber auch nicht in Form, wenn ich das Training schleifen lasse. Ich-“ Er hatte sagen wollen, dass er aufhören würde, wenn es zu viel war. Doch das wäre gelogen, weshalb er sich selbst unterbrach. Er sah es noch viel zu deutlich vor sich, als sich vor drei Wochen seine Wunde in der Brust wieder geöffnet hatte und er fast verblutet wäre, hätte Fuyu ihn nicht wieder zusammengeflickt. Von ihrer Standpaukte klingelten ihm heute noch die Ohren. „Du stinkst, wolltest du sagen!“, fauchte Fuyu. Dabei stellte sie ihren Korb mit all dem Nachdruck auf den Boden, den sie besaß, öffnete den Deckel und drückte Keiji etwas zu Essen in die Hände. „Ich werde heute Abend noch einmal wieder kommen und dir einen frischen Eimer Wasser bringen. Wasch dich darin. Das hält man ja nicht aus. Schlimmer als im Pferdestall hier.“ „Wenn du meinst…“, murmelte Keiji vor sich hin. Bevor er sich widerstandslos auf seine Strohmatratze fallen ließ und das Essen auspackte. Reisbällchen und ein Stück Fisch. Allein der Geruch ließ ihn das Wasser im Mund zusammenlaufen. Gierig schlang er die Portion runter, während Fuyu nur dastand und den Kopf schüttelte. „Iss langsam. Du verschluckst dich noch!“ „Ist gut, Mama.“, erwiderte Keiji mit vollem Mund, bevor er sich duckte um nicht von dem Korb am Kopf getroffen zu werden. „Nenn mich nicht immer so!“ Keijis schluckte den letzten Bissen hinunter und verzog seine Lippen zu einem breiten Grinsen. Man hatte ihm zwar alles genommen, wofür er Leben wollte, doch Fuyu hatte ihm in den letzten Wochen gezeigt, dass es ein Geschenk war, dass er überhaupt noch lebte. Er würde Rache nehmen, doch danach würde er für den Versuch weiterleben, eine bessere Welt zu erschaffen. Eine Welt ohne Grenzen und Vorurteile. „Ich bin dir wirklich zu Dank verpflichtet, Fuyu. Deshalb habe ich auch überlegt dir nicht mehr länger zur Last fallen zu wollen. Heute Nacht wollte ich mich vom Anwesen schleichen und beginnen die Mörder meiner Familie aufzuspüren.“ Keijis Entscheidung stand fest. Er hatte sich das reiflich überlegt. Auch wenn er noch nicht vollständig genesen war, war sein Körper doch soweit wieder hergestellt dass er auf sich allein Acht geben konnte. Er würde zurück zu seinem alten Zuhause gehen und dort beginnen nach Hinweisen zu suchen. So lange, bis er die Übeltäter gefunden hatte, die sein Leben zerstört hatten. „Was sagst du da?“ Sämtliche Farbe wich aus Fuyus Gesicht und sie ging vor Keiji in die Knie und griff nach seinen Händen. „Das geht nicht. Du bist noch nicht vollständig geheilt. Wenn du da draußen kämpfen musst, werden sie deine Schwachstellen ausnutzen und dich erledigen…Nein! Du darfst nicht gehen.“, widersprach sie heftig. Keiji löste eine Hand aus ihrem Griff und legte ihn auf ihren Kopf. Behutsam tätschelte er sie. Immer noch das Lächeln auf den Lippen. „Mach dir keine Sorgen. Mich kriegt man nicht so leicht klein, wie dir vielleicht schon aufgefallen ist.“ „Hör auf damit! Über so etwas macht man keine Scherze. Du bist schwer verletzt und noch dabei zu genesen. Das kann nicht gut gehen.“ Tränen stiegen in Fuyus Augen und ihre Hände begannen zu zittern. Ein Anblick, der Keiji die Kehle zuschnürte. Er war es nicht gewohnt, Frauen weinen zu sehen und wusste auch nicht, wie er sie beruhigen sollte. „Ist schon gut. Ich werde aufpassen. Ich werde am Tag reisen, aber abseits der Wege. Niemand wird mich erkennen oder denken, dass ich ein gutes Opfer zum überfallen wäre. Glaub mir, dass ich es bis nach Hause schaffen werde. Wenn ich nur noch diesen Pfeil hätte, der mich traf. Ich bin mir sicher, wenn ich ihn noch einmal sehe, wird mir wieder einfallen, woher er mir so bekannt vor kam…“ Fuyu warf sich gegen Keijis Brust und drückte ihm mit dem Aufprall die Luft aus den Lungen. Überrascht verlor dieser fast das Gleichgewicht und musste seine Arme um ihren schmalen Rücken legen, um nicht zusammen mit ihr umzufallen. „Was ist denn los, Fuyu?“ Unsicher was er tun sollte, ließ er seine Hände beruhigend über ihren Rücken gleiten. Fuyu weinte bitterlich an seiner Brust und krallte ihre Finger in seinen Kimono. Sie zitterte am ganzen Leib und er wusste einfach nicht, was er tun sollte. „Du… Du hast es vergessen. Und es tut mir schrecklich Leid, aber ich wollte nicht, dass du es zu früh erfährst…“, wimmerte sie, so das Keiji sie kaum verstehen konnte. „Was meinst du?“ „D- Der Pfeil… er ist hier. Bitte verzeih mir.“ Ein kalter Schauer lief Keiji den Rücken herunter, als er das hörte. „Wo ist er?“ Hatte sich die Lösung dieses Rätsels die ganze Zeit hier befunden und er war zu blind gewesen es zu sehen? „Wo ist er?“, fragte er erneut, als Fuyu nicht antwortete. Seine Worte hatten einen scharfen Ton angenommen, der Fuyu zusammenzucken ließ. „Die Schachtel, dort oben auf den Kisten. Darin habe ich ihn aufgehoben.“, erklärte sie leise. Keijis Blick schoss sofort zu der Schachtel. Dort, zum Greifen nah, war die Antwort auf alle seine Fragen. Fuyu ignorierend stand er auf und holte sich die Schachtel herunter. Für einen Moment erfüllte nur das Weinen seiner Cousine die Stille, dann fiel der Deckel der Schachtel zu Boden und kurz darauf die ganze Schachtel. „Fuyu…“ Wann Keiji zu Boden gegangen war, konnte er nicht sagen. Doch er saß dort, auf dem gleichen Boden, auf dem der Pfeil lag, der fast seinen Tod bedeutet hätte. Sein Blut war getrocknet und überzog zwei Drittel des Pfeils mit einer braunen Kruste. Das letzte Drittel, der Teil mit den Federn, schien völlig unberührt von seiner grausamen Tat. Hätte man den Pfeil in einen Köcher zurück gesteckt, hätte er wie ein neuer Pfeil gewirkt. „Du wusstest es von Anfang an.“ Es war keine Frage, die Keiji wie ein Flüstern über die Lippen brachte. „Bitte glaubt mir, dass ich das nicht vor dir verheimlichen wollte. Ich wollte nur, dass du nichts überstürzt, wenn du es erfährst.“ Fuyu kämpfte immer noch mit den Tränen, doch sie sprach ruhig aus, was sie sich gedacht hatte. Er hätte es wissen müssen. Er hätte es ahnen können. So wie Fuyu manchmal mit den Gedanken abgedriftet war. Wie sie nie eine klare Meinung zu seinen Racheplänen geäußert hatte. Keiji sah zu Fuyu hinüber. „Du hast nie versucht mir die Rache auszureden.“, stellte er überrascht fest. Fuyu wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und begegnete Keijis Blick. „Weil ich es für nicht richtig halte, was mein Vater getan hat. Bitte versteh mich nicht falsch. Ich wünsche ihm nicht den Tod, doch wenn dass das Schicksal ist, dass er sich mit seiner Tat aufgebürdet hat, dann werde ich dem nicht im Weg stehen.“ Wann genau, war Fuyu so erwachsen geworden? Gestern waren sie noch Kinder gewesen, die unter den Kirschbäumen in den Wäldern gespielt hatten und heute? Heute waren sie Erwachsen und sprachen von Tod und Vergeltung. „Bitte vergib mir. Aber ich werde an deinem Vater Rache nehmen. Wenn es danach dein Wunsch ist, dies ebenfalls zu tun, werde ich mit Freuden mein Haupt vor deinem Schwert senken.“ „Keiji!“ Fuyu rief seinen Namen aus, bevor sie sich wieder in seine Arme warf. „Idiot! Als würde ich so etwas tun. Du bist meine Familie und wirst es immer bleiben. Ich könnte dir niemals dein Leben nehmen!“ Diesmal schlang Keiji sofort seine Arme um sie und hielt Fuyu fest. Was waren sie nur für eine verkorkste Familie? Und wie sollte er das nur wieder in Ordnung bringen?       Mit dem Wissen, dass sein Onkel für den Tod seines Vaters, seiner Familie und allen Bediensteten verantwortlich war, trainierte Keiji Tag und Nacht, um wieder in seine alte Form und darüber hinaus zu wachsen. Er hatte inzwischen sämtliches Zeitgefühl verloren, doch seine Wunden waren, bis auf rote Male zurück gegangen und schmerzten nur noch selten. Bald schon wäre er bereit Rache zu nehmen. Das schien auch Fuyu zu spüren, denn als sie an diesem Abend zu ihm kam, glich ihr Gesicht einer ausdruckslosen Maske. Sie sprach kaum ein Wort und hielt den Blick gesenkt. Ganz die demütige Tochter aus reichem Hause, die sie war. Erzogen, um den Männern der Familie zu dienen und somit am Ende selbst eine gute Partie zu werden. Eine Ehre für das Haus. „Du kannst mit mir reden, Fuyu. Dieses unterwürfige Verhalten kann ich nicht leiden. Das weißt du doch.“, sagte Keiji, als er seine Cousine dabei beobachtete, wie sie stumm das Essen aus ihrem Korb vor ihn stellte. „Tut mir Leid, aber wenn ich daran denke, dass… Mir wird dann ganz anders.“ Da sie seinem Blick immer noch nicht begegnete, sah Keiji auf das Essen vor sich und seufzte. Ja, er konnte verstehen, was sie meinte. Sollte er mit seiner Rache Erfolg haben, würde Fuyu ihren Vater verlieren. So wie Keiji seinen verloren hatte. Zwei Mal. Der Hass würde niemals Enden, wenn nicht jemand diese teuflische Abwärtsspirale durchbrach. Aber wäre er überhaupt stark genug dafür, sie zu durchbrechen? Oder war er nur ein einfacher Bauer in einem viel größeren Spiel, das er nicht begreifen konnte? In den letzten Tagen hatte Keiji oft darüber nachgedacht. Wenn er seinen Onkel tötete und belegen könnte, dass dieser seinen eigenen Bruder getötet hätte, dann könnte Keiji an dessen Stelle den Maeda Clan als Oberhaupt übernehmen. Doch würde ihm der Clan folgen? Es gab mit Sicherheit Menschen, die seinen Onkel bei dieser Tat unterstützt hatten. Würden sie ihn akzeptieren, wenn er mit den gleichen Mitteln kämpfte, wie er? Oder würden sie ihn einfach aus dem Weg räumen und ihre eigenen Pläne weiter verfolgen? Keiji hatte niemandem, der ihm folgte. Er war allein und um in dieser Welt bestehen zu können, brauchte er Männer, die hinter ihm standen. Die seine Ziele unterstützen und ihm zu Hilfe eilten, sollte es notwendig werden. Männer, denen er vertrauen und auf die er sich verlassen konnte. Mit dieser schwachen Grundlage, hatte Keiji einen Plan gefasst, den er im Morgengrauen umsetzen würde. Danach lag es allein bei den Göttern, was aus ihm wurde. Er würde sich in sein Schicksal fügen und es war genau dieser Entschluss, der seinem unruhigen Geist endlich Ruhe verschafft hatte. Was auch immer geschehen würde, es lag in den Händen des Schicksals. Das war er bereit zu akzeptieren. „Verzeih mir, Fuyu. Dass ich dich in solch eine Situation gebracht habe war nicht rechtens. Deshalb wird das hier morgen ein Ende finden… Ich bitte dich daher, dich morgen früh vom Haupteingang fernzuhalten. Was auch immer passiert, ich will nicht, dass jemand aus dem Haus denkt, du hättest mir geholfen.“ Voll Zuversicht streckte Keiji eine Hand nach Fuyu aus und drückte ihre. Das ließ sie nun endlich auf sehen und ihr tränenverschleierter Blick traf Keijis. „Versprich mir, dass du leben wirst, Keiji!“ Die Furcht in ihrer Stimme sorge dafür, dass sich seine Brust schmerzhaft zusammenzog. Fuyu war der mitfühlendste Mensch, den Keiji kannte. Deshalb war ihr Herz das, das er am wenigsten brechen wollte. „Ich verspreche dir, dass ich immer für dich da sein werde. Solange ich lebe!“, war deshalb die einzige Antwort, die er ihr guten Gewissens geben konnte. Er würde für immer in Fuyus Schuld stehen. Für alles, was sie für ihn getan hatte. Sollte er also den nächsten Morgen überleben, würde seine Tür immer und jederzeit für seine Cousine offen stehen. Und so als hätte sie all seine stummen Worte und Gedanken hinter seinem Satz gehört, drückte Fuyu seine Hand zurück und schenkte ihm ein Lächeln. „Abgemacht.“ Der restliche Abend verlief friedlich und erfüllte Keijis Herz mit einem Hauch von Glück. Eigentlich hatte Fuyu vor gehabt die ganze Nacht bei ihm zu bleiben, doch Keiji hatte sie noch vor Mitternacht zurück zum Haupthaus geschickt. Zum einen, damit sie sich ausruhen konnte und zum anderen, damit sie nicht mit ansehen musste, wie er sich auf den Morgen vorbereitete.     In dieser Nacht hatte Keiji kein Auge zu getan. Er war damit beschäftigt gewesen sich vorzubereiten und einen Bogen aus der Waffenkammer seines Onkels zu stehlen. Jetzt, kurz nach Sonnenaufgang, stand er im Vorhof des Anwesens. Den Blick auf das Haupthaus, das Eingangstor im Rücken, stand er da. Der gestohlene Bogen lag überraschend leicht in seiner Hand. Den einen Pfeil, den er besaß, hatte er bereits locker an die Sehne gelegt. Er trug zwar auch sein Katana an der Hüfte, doch er hatte nicht vor, dieses zu ziehen. Sein gesamtes Schicksal legte er in diesen einen Pfeil. Eigentlich hatte er auch damit gerechnet, von einem Bediensteten oder einer Wache zuerst bemerkt zu werden, doch der Erste, der seinem kalten Blick begegnete, war tatsächlich sein Onkel. Die letzten Tage war er abends oft auf der Lauer gelegen. Hatte Berichte und Pläne seines Onkels entwendet um sie zu studieren. So dass er wusste, dass er heute Morgen als Erster das Haus verlassen würde. Auf dem Weg zum Daimyō fing er ihn ab und stellte sich ihm wortlos entgegen. „Wie bist du-“ Offensichtlich überrascht ihn zu sehen, blieb Toshiie Maeda einige Meter vor Keiji abrupt stehen. Doch nach der ersten Verunsicherung wanderte seine Hand an das Heft seines Katanas. „Wir haben uns lange nicht gesehen, Onkel.“, erwiderte Keiji. Er griff mit seiner Hand am Bogen noch einmal um, bevor er ihn erhob. „Was soll das werden, Bürschchen? Mich auf meinem eigenen Anwesen zu bedrohen. Das wird dich den Kopf kosten. Wachen!“ Abscheu troff aus jedem einzelnen Wort seines Onkels, doch da war auch ein Hauch von Unsicherheit. Was Keiji ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Selbst, als alle Wachen des Anwesens auf den Vorhof stürmten, bereit jeden niederzumetzeln, der sich ihnen in den Weg stellte. „Ich bin hier, um meinen Vater zu rächen. Deinen Bruder, den du in einem Hinterhalt getötet hast, um die Oberhand über den Maeda Clan zu erlangen!“ Keiji rief die Worte so laut, dass auch jeder der Wachen sie hören konnte. Sie sollten es alle wissen. Für welche Art Herrn sie kämpften. Und tatsächlich warfen sich einige irritierte Blicke zu. „Mein Bruder und seine Familie wurde von Räubern überfallen. Als ich davon hörte, eilte ich sofort zu seiner Hilfe, doch ich kam zu spät. Es war ein tragischer Schlag für den Maeda Clan und seitdem versuche ich seine große Rolle gerecht auszufüllen… Ich bin froh, dass wenigstens du überlebt und zu uns gefunden hast… Sohn.“ Ein kalter Schauer lief Keiji den Rücken herunter, bei diesen Worten. Oh, dieser Hinterhältige… Keiji biss die Zähne zusammen, um nicht etwas Unüberlegtes zu sagen. Doch er würde seinen Onkel nicht damit durch kommen lassen. „Schöne Worte, Onkel. Doch ich war dort und ich habe diese Nacht etwas anders erlebt.“ „Es war mitten in der Nacht und du bist noch ein halbes Kind. Die Ereignisse haben sich überschlagen. Die Wahrheit muss dir offenbar verborgen geblieben sein.“ Sein Onkel wusste offenbar auf alles eine Antwort. Doch das schürte nur Keijis Wut weiter. Weshalb er den Pfeil ausrichtete und die Sehne nach hinten zog. „Das mag vielleicht sein, doch ich weiß mit Sicherheit, welcher Pfeil mich fast getötet hätte. Erkennst du ihn Onkel? Ist er nicht aus deiner Meisterschmiede?“ Ein Murmeln ging durch die erstarrten Wachen, die bisher nur dastanden und die Beiden beobachtet hatten. So als fürchteten sie, die Chance auf eine Erkenntnis zu vertun, würden sie hier eingreifen. Etwas, dass Keiji zu Gute kam. „Warte, ich zeige ihn dir. Damit du ihn aus der Nähe betrachten kannst.“, fügte er hinzu und ließ den Pfeil fliegen. Schnell wie ein Blitz sirrte der Pfeil über den Vorhof und auf Keijis Onkel zu. Dieser verzog jedoch keine Miene und machte Anstalten sein Katana zu ziehen. Normalerweise hätte Keiji mit nur einem Pfeil keine Chance gegen seinen Onkel. Vermutlich gegen niemanden, der einigermaßen mit seinem Katana umgehen konnte und die richtigen Reflexe besaß. Dessen war er sich von Anfang an bewusst gewesen, weshalb er zu einem nicht ganz fairen Mittel gegriffen hatte, um seine Chancen zu erhöhen. Er hatte in den letzten Wochen das Harz gesammelt, das die Holzwände und Decken im Lagerhaus abgesondert hatten. Dieses Harz hatte er erwärmt und gestern Abend in die Schwertscheide des Katanas seines Onkels gefüllt. Jetzt, da es über Nacht ausgekühlt war, war es ausgehärtet und machte es seinem Onkel unmöglich sein Katana zu ziehen. „Toshiie!“ Der Schrei von Keijis Tante ertönte Sekunden, bevor der Pfeil traf. Keijis Onkel ging mit einem gequälten Laut in die Knie und hielt sich das Gesicht mit einer blutüberströmten Hand. Offenbar hatte der Pfeil doch etwas abbekommen, als er nach Keijis Leben getrachtet hatte, denn Keiji hatte eigentlich auf das Herz seines Onkels gezielt. Stattdessen hatte er dessen Gesicht erwischt. Auf Höhe der Augen, doch er konnte das Auge nicht richtig getroffen haben, sonst wäre der Pfeil direkt durch den Schädel seines Onkels gestoßen. Mit einem bitteren Lachen senkte Keiji den Bogen. Das Schicksal hatte es offenbar nicht vorgesehen, dass er hier und heute seinen Onkel zur Strecke brachte. Ein Ausgang, den er akzeptieren würde. „Ergreift ihn, ihr Idioten! Worauf wartet hier noch?“, schrie seine Tante panisch. Sie war an die Seite ihres Mannes geeilt, ihr eigenes Katana zum Kampf gezogen. Da war sie, die Kriegerprinzessin, die bereits in frühster Jugend für ihren eigenen Clan unzählige Schlachten gewonnen hatte. Die Frau, deren Ambitionen nicht einmal beim Status der Kaiserin gestillt wären. Eine Ehrgeizige und kaum zufriedenzustellende Frau. Die perfekte Partnerin, um Toshiie Maeda den Rest seines Lebens sein Versagen vorzuwerfen. Der Gedanke ließ Keijis Lächeln noch breiter werden. Ihr hysterischer Befehl hatte die Wachen im Vorhof offenbar aus ihrer Starre geweckt, denn einer nach dem anderen stürmte los, um Keiji zu ergreifen. Dieser ließ ohne Gegenwehr den Bogen fallen, sich von den Wachen zu Boden werfen und gefangen nehmen. Er hatte bekommen was er wollte. Rache, für den Tot seines Vaters. Mehr wollte er nicht für sich. Wenigstens einmal hatte er Vergeltung üben können, wenn er schon bei seinem leiblichen Vater versagt hatte. Damals war er einfach viel zu jung gewesen, als er diesen verloren hatte. Jetzt hatte er immerhin dessen besten Freund Genugtuung im Grab schenken können. Mit diesem Wissen konnte er zufrieden sterben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)