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Eternal Sunflowers

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Namgi und Vmin sind für mich persönlich so die Soulmate Ships in BTS und ich wollte immer ein Soulmate AU zu Namgi schreiben, also hier ist es. Die Inspiration hierzu waren zwei Tumblr-Soulmate-Prompts, die ich aber erst am Ende der jeweiligen Kapitel in die Notes schreibe, um nicht zu spoilern. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Anders als das erste Kapitel beginnt dieses einige Jahre davor und überspannt diese, ehe es in der Gegenwart ankommt. Komplett anzeigen

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❀❀❀
 

„Hyung!“ Mit einem lauten Knallen ließ Jimin ein Buch zwischen Yoongi und sich auf den Tisch fallen, sodass Yoongi regelrecht zusammenzuckte. „Du musst es lesen!“

Als Yoongi sich wieder gefangen hatte und nicht mehr drohte, an seinem Essen zu ersticken, warf er einen kurzen Blick auf das Buch zwischen ihnen, das Jimin so aufgewühlt hatte; er hüpfte regelrecht auf und ab, während er Yoongi bohrend und erwartungsvoll zugleich anstarrte. Taehyung neben ihn sah auch nicht besser aus und leuchtete regelrecht vor Aufregung von Innen heraus.

Das Deckblatt des Hardcovers zierte eine einzelne Sonnenblume, stilisiert an chinesische Tuschemalerei angelehnt, und der Titel las Eternal Sunflowers.

Yoongi unterdrückte nur spärlich ein Aufstöhnen, als ihn augenblicklich bewusst würde, wovon das Buch handeln musste.

Seelenverwandtschaft.

Soulmates.

Die Geisel seiner Existenz.

„Ich denke nicht, Jimin“, meinte Yoongi und machte Anstalten, das Buch von sich zu schieben.

Taehyung gab einen kleinen, protestierenden Laut von sich, der Yoongi unweigerlich an einen Hundewelpen erinnerte, jedoch ließ sich Jimin nicht beirren und schob das Buch schnurstracks wieder zurück. „Hyung.“

„Jimin.“ Yoongi versuchte unbeeindruckt zurückzustarren, doch Jimin schien dieses Mal nicht klein bei zu geben, also wandte er sich an Taehyung. „Tae, du weißt, dass Soulmate-Romanzen nicht mein Ding sind...“

Taehyung und Yoongi waren in Daegu zusammen aufgewachsen und er liebte ihn als wäre er sein eigener Bruder. Seit sich sein Mal, ein grüner Tiger, mit Farbe gefüllt und Taehyung seinen Soulmate schon während der Oberschule in Jimin gefunden hatte, war auch Jimin ein Teil seines Lebens geworden, den Yoongi nicht mehr missen wollte; er mochte Jimin und freute sich für Taehyung. Jimin und Taehyung waren die engsten Freunde, die sich unsterblich ineinander verliebt hatten, die fleischgewordene Definition des Begriffes 'Soulmate', Seelenverwandter.

Und genau darin lag das Problem.

Egal, wie oft er es ihnen erklärte, gerade weil sie die perfekte Seelenverwandtschaft verband, verstanden Jimin und Taehyung nicht so recht, was Yoongis Problem mit dem gesamten Konzept zu sein schien und warum er sich nicht endlich auf die Suche nach seinem eigenen Soulmate machte, um glücklich zu werden; schließlich war es in Zeiten des Internets wesentlich einfacher, sich zu finden. Bei dem bloßen Gedanken daran, schien ihm der blasse Schmetterling an seinem Hals die Kehle zuzuschnüren.

„Weswegen du genau dieses Buch lesen solltest, Hyung“, entgegnete Taehyung mit einem leichten Schmollen. Was unfair war, denn er wusste, dass Yoongi bei dem Anblick nicht lange hart bleiben könnte.

Yoongi seufzte geschlagen und nahm das Buch mit dem festen Ziel an sich, es niemals zu lesen.
 

❀❀❀
 

Zuhause angekommen, warf sich Yoongi regelrecht in seinen Schreibtischstuhl und wäre am Liebsten sofort an Ort und Stelle eingeschlafen. Scheiß auf steifen Nacken am Morgen, Gegenwarts-Yoongi war müde! Darum konnte sich der Yoongi der Zukunft dann morgen kümmern.

Er war hundemüde und außerordentlich versucht, seinem Schlafbedürfnis nachzugeben, doch er wusste, dass er noch diesen einen Song fertigstellen musste, ehe ihm hoffentlich mindestens drei Tage Schlaf am Stück vergönnt waren. Die Deadline für das Drama, als dessen Titelsong das Lied geplant war, war bereits in greifbare Nähe gerückt.

Als er allerdings in seiner Tasche nach seinen Notizen kramte, fiel ihm wieder Jimins – oder Taehyungs? Wer wusste das schon so genau? – Buch in die Hände und er lehnte sich unwillkürlich auf seinem Stuhl zurück, als er dem Einband erneut musterte.

Fakt war, Yoongi hasste es, dass romantische Seelenverwandtschaft als die einzig richtige Beziehungsform propagiert wurde.

Die Menschen stellten die Gesellschaft, welche die Medien stellte, die der Gesellschaft und den Menschen darin vermittelte, dass romantische Soulmates das Nonplusultra in allem waren.

Mittlerweile wurde platonische Seelenverwandtschaft zwar anerkannt, anders als noch während der Joseon-Zeit, während der man um sein Leben hatte bangen müssen, wenn man sich entschieden hatte, sich gegen die Zeichen auf seinem Körper zu stellen, doch wurden romantische Beziehungen zwischen Nicht-Soulmates noch immer ein wenig skeptisch beäugt.

Aber wenn er sein Leben stockschwul verbracht hatte, wurde er doch nicht über Nacht heterosexuell, weil zufällig eine Frau dasselbe Mal auf dem Körper trug, wie er. (Tatsächlich kratzte es Yoongi einen feuchten Kehricht, wer welches Geschlecht hatte.) Sollte ein Soulmate nicht die Person sein, die ihn am allerbesten in der ganzen, weiten Welt verstand? Von Innen und Außen kannte, wie sich selbst? Sein Seelenverwandter sein?

Es war nicht unüblich, dass Menschen latente Erinnerungen aus ihren früheren Leben behielten, meist in Form von bruchstückhaften Träumen, Fragmenten von vergangenen Tagen, die sie vielleicht mit ihrem Soulmate verbracht haben mochten. Aus diesem Phänomen hatte sich die Vorstellung, der Glaube entwickelt, dass die Seele ewig und unsterblich war und immer wieder aufs Neue den Teil von sich fand, der in einem anderen Körper verweilte.

Es war nicht so, dass sich Yoongi die Romantik des Ganzen entzog, ganz und gar nicht. Während eines (äußerst emotionalen) Gespräches mit Taehyung, dem nicht wenig Alkohol vorweg geflossen war, hatte Taehyung ihm erzählt, dass er selber, wie die meisten Menschen, nur über Flashbacks von einzelnen Bildern, die sich über alle Epochen verteilten, verfügte, aber er erinnerte sich hauptsächlich an das Gefühl, das ihm Jimin und all seine Inkarnationen vor ihm gegeben hatten. Das Gespräch hatte primär daraus bestanden, dass Taehyung geredet und Yoongi zugehört und ab und zu zustimmende Laute von sich gegeben hatte.

Und Yoongi... Yoongi erinnerte sich daran, wie ihn mit 16 Jahren ein Lächeln nicht loslassen wollte, das Min Yoongi niemals zu Gesicht bekommen hatte. Wie sich sein Name zwischen den Laken geflüstert angehört hatte, in dem Moment vor der Dämmerung, in der die Welt ihnen allein zu gehören schien. Wie sich die Phantomberührung von Lippen auf seiner Haut anfühlte, die er nie hatte küssen können.

Erstaunlicherweise hatte Yoongi keinerlei Erinnerungen an andere Leben, nicht einmal ein einzelnes Bild, aber er erinnerte sich dafür umso detailreicher daran, wie er sich einst in seinen engsten Freund verliebt hatte. Er konnte sich an das Gefühl erinnern, das ihm Taehyung beschrieben hatte. Er erinnerte sich daran, wie er sich einst in seinen engsten Freund verliebt hatte. Er erinnerte sich an den Mann, der die Liebe seines Lebens, seiner Seele, gewesen war, an die Worte, die er benutzt hatte, um diese Gefühle auszudrücken.

Yoongi erinnerte sich daran, wie alles zu Ende gegangen war und selbst in diesem Leben bereute er es kein Stück. Keine einzelne Sekunde.

Seitdem er sein Leben der Musik, verschrieben hatte, hatten eben diese Erinnerungen an diesen Mann hatten ihm zu seinen besten Werken angespornt. In der Art und Weise wie er sein Herz in seinen Lyrics ausschüttete und wie er seine Hand in seiner Musik danach ausstreckte.

Mit einem Schnauben warf er das Buch ans andere Ende seines Schreibtisches und suchte weiter in seiner Tasche nach den Notizen, um endlich weiterarbeiten zu können.

Denn Yoongi erinnerte sich ebenfalls daran, dass das Mal dieses Mannes eine Sonne über seiner Brust gewesen war, während Yoongis Haut eine Kirschblüte geziert hatte.
 

❀❀❀
 

Mit einem erleichterten Aufstöhnen lehnte sich Yoongi mit dem Rücken an seine Wohnungstür. Achtlos ließ er seine Tasche einfach an Ort und Stelle zu Boden sinken und zog sich weiterhin an die Tür gelehnt mit den Füßen seine Schuhe aus, während er sich mit seiner anderen Hand noch immer sein Handy ans Ohr drückte.

„...dabei habe ich mich wirklich darauf gefreut“, ertönte Taehyungs Stimme durch den Lautsprecher, ein leichtes Schmollen in seinem Ton. „...Hyung? Hast du mir zugehört?“

Mit einem kaum unterdrückten, leisen Seufzen rieb sich Yoongi die Augen mit Daumen und Zeigefinger. Er war todmüde und seine Aufmerksamkeitsspanne war nicht mehr die beste. „Du hast für Jimin und dich Karten für eine Lesung geholt und jetzt kann Jimin nicht, weil er unerwartet doch arbeiten muss“, gab Yoongi wieder und stieß sich von der Tür ab, um weiter in seine Wohnung hineinzuschlurfen. Er machte sich noch nicht einmal mehr die Mühe das Licht einzuschalten. Eben für diese Fälle hatte er den direkten Weg zu seinem Schlafzimmer und somit seinem Bett immer freigeräumt, sodass er nicht gegen irgendetwas lief.

„Okay, du hast mir zugehört“, meinte Taehyung, noch immer ein wenig schmollend, aber beschwichtigt. „Aber du klingst echt fertig, deswegen frage ich dich einfach nur schnell, weswegen ich überhaupt angerufen habe. Gehst du mit mir hin?“

„Wohin?“

„Zu der Lesung, Hyung. Ich habe ja jetzt eine Karte übrig“, erklärte Taehyung geduldig.

„Sorry, ich könnte im Stehen einschlafen... Zu was ist die Lesung?“

„Zu dem Buch, das wir dir gegeben haben. Eine Lesung mit Diskussionspanel mit dem Autor.“

Yoongi war zu müde, um sein Aufstöhnen unterdrücken zu wollen. „Tae, ich habe das Buch nicht gelesen und wir beide wissen, dass ich das wohl auch kaum tun werde.“

Taehyung gab am anderen Ende ein kleines entrüstetes Geräusch von sich. „Hyung, es ist wirklich nicht das, was du denkst und ich denke, dass es dir wirklich gefallen könnte. Es hat mich ernsthaft zum Nachdenken gebracht...“

„Taehyung.“ Yoongi seufzte geschlagen. „Schick mir einfach die nötigen Daten und ich schaue, ob ich Zeit habe.“ Eigentlich wollte er nur so schnell wie möglich das Gespräch beenden, doch Taehyung hab am anderen Ende einen glücklichen Laut von sich und Yoongi brachte es nicht über sich in seiner Müdigkeit auch noch verstimmt zu sein. Stattdessen verabschiedete er sich, woraufhin Taehyung ein „Gute Nacht, Hyung! Schlaf gut!“ zirpte.

In seinem Schlafzimmer angekommen musste Yoongi jedoch schließlich das Licht einschalten, um sich auf die Suche nach seiner verstreuten Schlafkleidung zu machen. Er zog sich noch auf dem Weg ins Badezimmer um und fiel keine zehn Minuten später mit dem Gesicht voran in seine weichen Kissen. Mit einem glücklichen Seufzen rollte er sich in seine Decken ein, bereit bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu schlafen.

Doch er konnte nicht.

Sobald er in seinem Bett lag, mit ausgelaugtem Körper und Geist, war Yoongi wach.

Er rollte sich von einer Seite auf die andere, wechselte die Postion mehrfach, schob seinen Kopf sogar unter sein Kopfkissen, doch nichts half. Sein Hirn wollte ihn nicht zu Ruhe kommen lassen, doch gab ihm auf der anderen Seite noch nicht einmal hilfreiche Eingebungen, denn der am meisten zusammenhängende Gedankenstrang war 'ichwillschlafenwarumschlafeichimmernochnichtichbinsomüdeundwillschlafen'.

Mit einem frustrierten Schnaufen rollte er sich schließlich auf den Rücken und starrte finster zu seiner Schlafzimmerdecke hinauf. Kleine Lichter von draußen spiegelten sich an der Decke, doch selbst als Yoongi sie alle gezählt hatte, fühle er sich kein bisschen schläfriger, also verbannte er sogleich jegliche Versuche daran, irgendwelche wolligen Paarhufer zählen zu wollen, während sie über imaginäre Zäune sprangen.

Vielleicht sollte er einfach irgendeinen Film einschalten und ihn so lange laufen lassen, bis er dabei einschlief? Allerdings wollte Yoongi nicht auf dem Sofa einschlafen, also öffnete er seinen Deckenkokon und schaltete die Lampe auf seinem Nachtisch ein, um den Weg zu seinem Schreibtisch zu finden und seinen Laptop zu holen. Doch als er vor seinem Schreibtisch stand und die Hand bereits nach seinem Laptop ausgestreckt hatte, ließ ihn etwas inne halten.

Aus dem Augenwinkel konnte er Jimins/Taehyungs Buch am Rande des Schreibtisches liegen sehen, noch immer an derselben Stelle, auf die er es vor ein paar Tagen geworfen und seitdem nicht mehr angerührt hatte.

Vielleicht hatte ein langweiliges Buch mit einer 0815-Romanze ja denselben Effekt wie ein stumpfer Action-Film? Zumindest könnte er Taehyung und Jimin dann sagen, dass er das Buch gelesen hatte und sie würden ihn hoffentlich nicht weiter damit nerven. Selbst wenn er sich nicht mehr an den Inhalt erinnern konnte, weil er über dem Buch eingeschlafen war.

Mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Frustration gegenüber dem Fakt, dass er tatsächlich einen schöner verpackten Groschenroman zu lesen bereit war, griff er sich das Buch und wanderte wieder zu seinem Bett zurück. Zielstrebig schlug er das überraschend schmale Buch auf und übersprang augenblicklich die Widmung, denn es interessierte ihn herzlich wenig mit welchen blumigen Worten der Autor seinem Soulmate diese Schnulze gewidmete hatte.

Und so begann Yoongi darüber zu lesen wie Nam Woosung, der uneheliche Sohn eines hochrangigen Militäroffiziers und einer Gisaeng, seinem engsten Freund Seongmin, dem Sohn des Magistrats, hinterher schmachtete.

Ein seltsames Gefühl regte sich in Yoongi, als er über das anfängliche Setting las und die beiden Jungen noch Kinder waren, aber ungeachtet aller sozialen Unterschiede miteinander spielten und sich anfreundeten. Er fühlte sich nicht direkt unwohl, doch das Gefühl hatte etwas von einer juckenden Stelle, die man nicht kratzen konnte.
 

„Sang-hyung, das schreibt man nicht so.“

„Wen kümmert es? Es sieht genau gleich aus.“

„Aber die Strichreihenfolge ist falsch; das lässt dich ungebildet wirken und du bist nicht ungebildet, Hyung. Siehst du? So ist es richtig.“
 

Aufgrund der Dicke des Buches erwartete Yoongi jeden Augenblick, dass sich die aufkeimende, verbotene Romanze der zwei alsbald auflösen würde, wenn einer von beiden endlich seinen Seelenverwandten fand und den anderen unweigerlich verließ, denn wenn auch nicht beschrieben wurde, was die beiden für Seelenmale hatten, wurde mehr als nur deutlich, dass die beiden nicht das gleiche trugen. Doch diese Stelle kam und kam nicht und je weiter Yoongi las, desto stärker wurde das seltsame Gefühl. Es fühlte sich an, als würde er die Geschichte bereits kennen, bevor sie passierte, doch es lag keineswegs daran, dass es eine der üblichen Standartgeschichten war.

Mit jeder weiteren Zeile, die er las, schien sich Yoongis Verdacht zu erhärten, eine so unmögliche Vermutung, dass sie niemals wahr sein konnte. Doch es war mehr als ein bloßes Déjà-vu, so viel mehr. Als er Worte und Gespräche las, die deren Stimmen er in seinen Ohren hatte hören können, schnürte sich seine Kehle immer weiter zu. Der blasse, noch farblose Schmetterling schien regelrecht auf seiner Haut zu brennen, wie ein Brandmal, und Yoongi entkam ein ungewolltes Schluchzen.
 

„Wie kannst du so schlecht im Schwertkampf sein, wenn dein Vater Soldat ist?!“

„Hyuuuuung~“
 

An dem Zeitpunkt, als er sich auf der letzten Seite befand, konnte er die Worte auf dem Papier schon nicht mehr sehen, denn durch seinen Tränenschleier war alles nur noch verschwommen, doch er brauchte die Worte nicht zu lesen, um zu wissen, was passierte. Er musste es nicht lesen, weil er es wusste, weil er sich daran erinnerte.

Selbst an die Dinge, die nicht auf dem Papier niedergeschrieben waren, wie die Form von Wooshins Seelenmal oder die Gespräche, die sie im Zwielicht seiner Schlafkammer geführt hatten. Er erinnerte sich daran, wie Nam Woosung, dessen Name nicht Woosung gewesen war, sondern Woojin all seine Zweifel hinfortgeküsst hatte, als Yoongi, der nicht Min Yoongi gehießen hatte, ihm berichtet hatte, dass sie seine Seelenverwandte gefunden hatten.
 

„Ich will sie nicht heiraten“, sagte Sanghoon und sah auf seine eigenen Hände in seinem Schoß hinunter. Die helle, farbenprächtige Decke leuchtete regelrecht neben seiner blassen Haut. „Ich kenne sie doch gar nicht. Und selbst wenn ich es täte, sie ist nicht du...“

Seine Stimme war gegen Ende immer leiser geworden, doch Woojin war ihm noch immer so nah, dass er sich nicht einmal anstrengen musste, um ihn zu verstehen, und das kleine, warme Lächeln, das nur für Sanghoon bestimmt war, schlich sich auf seine Lippen. Augenblicklich fühlte Sanghoon sein eigenes Herz bei dem Anblick wie eine kleine Sonne aufgehen. Sein eigener Atem stockte weiter, als er Woojins Fingerspitzen erneut auf seiner Haut fühlte, wie sie sacht über seinen Hals und seine Schulter glitten.

„Hyung, ich verspreche dir, nichts wird mich je von dir trennen, solange ich lebe“, versicherte Woojin ihm und lehnte sich vor, um die blasse Kirschblüte am äußersten Ende von Sanghoons Schlüsselbein zu küssen. Sein Körper hatte mittlerweile auszukühlen begonnen und obwohl sich Woojins Atem heiß auf seiner bloßen Haut anfühlte, jagte ihm die Geste einen wohligen Schauer den Rücken hinunter.

Als sich Woojin wieder zurücklehnte, glitt seine Hand wieder an Sanghoons Hals; seine Augen waren so warm, so warm und entschlossen, als er Sanghoon ansah. Wie von selbst legte sich Sanghoons Hand über die leuchtende, gelbrote Sonne auf Woojins Brust. Die Sonne, deren leuchtende Farbe deutlich machte, dass Woojin seinen Seelenverwandten zwar gefunden, aber seinen Blick niemals von Sanghoon abgewandt hatte und Sanghoon verliebte sich in diesem Augenblick erneut in seinen treuesten und engsten Freund. Nichts und niemand hätte Sanghoon in diesem Moment davon abhalten können, die kurze Distanz zwischen ihnen zu überbrücken und Woojin zu küssen.

„Ich könnte niemals jemand anderen so sehr lieben, wie ich dich liebe“, murmelte er gegen seine Lippen. Die schieren Emotionen, die er daraufhin in Woojins Augen sehen konnte, ließ Sanghoon ihn erneut küssen.

„Hyung, wie könnte ich dich je verlassen?“, fragte er und klang nahezu verzweifelt, seine Stimme schwer von Gefühlen. „Wie könnte ich dich je verlassen, wenn wir doch beide wissen, dass Blumen die Sonne zum Blühen brauchen?“
 

Yoongi erinnerte sich daran, wie sie danach wieder in die Laken gesunken waren und erinnerte sich an ihren gemeinsamen Beschluss, einfach fortzulaufen und Zuflucht fern der Hauptstadt am Meer zu suchen. Er erinnerte sich daran, wie sie wochenlang geplant und sich darauf vorbereitet hatten, ehe sie schließlich im Schatten der Nacht geflohen waren.

Doch er erinnerte sich auch an das, was er gerade erst versucht hatte zu lesen; wie ihnen ihre Flucht nicht gelungen war, als sie in einen Hinterhalt geraten waren.

Allerdings aus einem anderen Blickwinkel. Er erinnerte sich nicht daran, wie Yoongis Gesicht das einzige war, was er noch wahrnehmen konnte, während die Dunkelheit langsam aber sicher von den Seiten heranschlich und der Realität stetig die Farbe herauszusaugen begann.
 

Unzählige Hände hatten sich auf seinen Körper gelegt und versuchten ihn festzuhalten, doch Sanghoon wehrte sich mit aller Kraft gegen ihren Griff und er streckte seine Hand nach Woojin aus.

Schwarze Pfeile ragten aus seinem Brustkorb wie Speere und Woojins Kleidung hatte sich rasend schnell dunkel gefärbt, der Stoff vollgesogen von seinem eigenem Blut, als er schließlich zu Boden gesunken war, unfähig, auch nur noch einen Schritt zu machen. Aber er hatte seinen Blick fest auf Sanghoon gerichtet gehalten und versuchte Sanghoons ausgestreckte Hand zu greifen.

„Du brauchst nicht weinen, hyung“, sagte er, doch seine Stimme klang feucht und erstickt, als sich seine Lungen unweigerlich mit Flüssigkeit füllen mussten. „Hast du schon vergessen? Solange ich lebe, bleibe ich bei dir.“

Endlich schlossen sich Sanghoons Finger um Woojins Hand und mit einem eisernen Griff zog er sich zu Woojin oder Woojin zu ihm, so genau vermochte er es nicht zu sagen, doch es war unwichtig. Wichtig war nur, dass er bei ihm war.

„Und ich werde dich auch in unserem nächsten Leben finden“, versprach Sanghoon und zog Woojin weiter in seine Arme.

Mit dem Lächeln, das er nur Sanghoon schenkte, sah er zu ihm auf, als das Licht schließlich seine Augen verließ.
 

Um Atem ringend und sich die Augen reibend blätterte Yoongi hastig zum Anfang des Buches zurück zur Widmung, die er anfänglich übersprungen hatte. Er fand allerdings keinen Namen oder dergleichen, sondern nur einen einfachen Satz, der Yoongi jedoch erneut die Tränen in die Augen trieb und sein Herz unregelmäßig in seinem Hals schlagen ließ.
 

Weil Blumen die Sonne zum Blühen brauchen.
 

Es war das erste und letzte Mal im gesamten Buch, dass dieser Satz auf dem Papier zu lesen war, doch die kleine Sonne und die ebenso kleine Kirschblüte zu Beginn und Ende ließen für Yoongi keinen Zweifel an der Botschaft dahinter, als er den Wortlaut über und über in seinem Kopf hörte, wie eine kaputte Schallplatte.

Es dauerte eine geraume Weile bis er sein Schluchzen und Zittern soweit wieder unter Kontrolle gebracht hatte, dass er nicht mehr nur wie ein Ball um ein dünnes Buch zusammengerollt auf seinem Bett lag. Yoongis Augen fühlten sich heiß und wund und sein Atem kratzte in seiner Kehle, als die ersten Sonnenstrahlen durch seine Vorhänge drangen und er mit zitternden Händen nach seinem Handy griff. Es dauerte nicht lange bis er seinen privaten Chat mit Taehyung gefunden hatte.

Wann und wo?
 

❀❀❀
 

Alles hatte an einem lauen Sommernachmittag begonnen.

Namjoons und Hoseoks Vorlesungen waren für den Tag beendet und sie unterhielten sich auf dem Heimweg zum Wohnheim. Nun, eigentlich redete nur Namjoon, denn Hoseok starrte stirnrunzelnd auf den Boden vor ihnen und war offensichtlich nicht ganz bei der Sache, sondern mit den Gedanken woanders. Und Namjoon konnte sich denken, wo genau.

„Hoseok.“ Namjoon wartete, bis sein Freund realisiert hatte, dass er angesprochen wurde. Erst nachdem er seinen Namen ein zweites Mal genannt hatte, wandte sich Hoseok schließlich zu ihm um.

„Hm?“

„Warum fragst du ihn nicht einfach, ob er mit dir ausgeht?“, fragte Namjoon geradeheraus.

Hoseok begann tatsächlich verlegen zu Stottern. „Ich... also das, ähm...“

„Du magst ihn und es ist ziemlich offensichtlich, dass er in dich verschossen ist“, fuhr Namjoon fort.

Hoseok seufzte. „Du weißt, dass das nicht so einfach ist...“

„Warum? Weil er jünger ist? Drei Jahre sind nicht fürchterlich viel. Und du kannst mir nicht weismachen, dass es weil er ein Typ ist.“ Namjoon sah ihn über seine Schulter hinweg mit erhobener Augenbraue an, als er die Tür zum Wohnheim aufstieß. Er wusste genau, was der eigentliche Grund für Hoseoks Zögern war, doch Namjoon war gewillt, sich dieses eine Mal querzustellen.

Hoseok, für gewöhnlich der wahrscheinlich bestgelaunteste Mensch der Welt für alle Leute, die nicht Namjoon waren, schenkte ihm wie zu erwarten einen finsteren Blick. „Nein, weil wir keine Soulmates sind, du Arschgeige.“

Hoseok und Namjoon kannten sich bereits seit der Schulzeit; sie hatten sich in der Mittelstufe kennengelernt und es hatte einfach zwischen ihnen funktioniert. Namjoon konnte sich kaum daran erinnern, wie es war, nicht mit Hoseok befreundet zu sein. Obwohl sie unterschiedliche Oberschulen besucht hatten, hatten sie sich bei derselben Universität einschreiben können, wenn sie auch nur ihre Musikvorlesungen miteinander teilten und sich ansonsten für unterschiedliche Fachbereiche eingeschrieben hatten. Nun war Namjoon kurz davor war, seinen Abschluss in Literatur zu machen, während sich Hoseok auf Modernen Tanz spezialisiert hatte. Als einer der Tutoren im höheren Semester hatte er Anfang des Semesters Jeon Jeongguk, einen der Teilnehmer kennengelernt; er war wirklich nett, vielleicht etwas schüchtern, doch er war begeistert bei der Sache und es war mehr als offensichtlich, dass sowohl Hoseok als auch Jeongguk einander mochten, doch keiner wagte den ersten Schritt.

Geflissentlich die Beleidigung übergehend drehte sich Namjoon vollends zu ihm um und ergriff erneut das Wort. „Soulmates sind nicht zwingend romantisch ausgelegt. Nur weil das alle Welt behauptet, stimmt es noch lange nicht. Man kann auch einfach nur miteinander befreundet sein und muss keine Beziehung führen.“

„Namjoon.“ Weiter kam Hoseok allerdings nicht. Er schien mit sich zu hadern, wie er sich ausdrücken sollte und nahm einen tiefen Atemzug, ehe er schlussendlich weitersprach. „Sagen wir, rein hypothetisch, ich frage ihn und wir gegen wirklich aus. Sind zusammen und glücklich. Bis einer von uns beiden seinen Soulmate findet.“ Er sah zu Namjoon auf, doch schien dabei sehr verloren. „Ich möchte mir den Herzschmerz ersparen, wenn wir uns unweigerlich deswegen trennen. Ich denke nicht, dass ich damit klarkommen könnte. Also ist es besser, es von vorneherein zu ignorieren. Jetzt, wo noch nichts passiert ist, ist es leichter, alles zu vergessen.“

Fakt war, dass die ganze Welt fest davon überzeugt zu sein schien, dass man nur mit seinem Seelenverwandten eine glückliche Beziehung führen konnte. Und es ärgerte Namjoon maßlos.

Von neuem Elan gepackt, legte er Hoseok beide Hände auf die Schultern und sah ihm fest in die Augen. Er wollte sichergehen, dass seine Aussage auch wirklich bei ihm ankam und sprach erst, als Hoseok zu ihm aufschaute.

„Vielleicht funktioniert es auch gar nicht zwischen euch beiden und ihr geht dreimal miteinander aus, nur um zu merken, dass es nicht passt. Aber was ist, wenn ihr euch nicht trennt? Was wenn es das Beste ist, was dir jemals passieren konnte?“ Namjoon fühlte, wie Hoseok aufbegehren wollte, doch er sprach einfach weiter. „Und was wenn Jeon Jeongguk keine Arschkrampe und nicht augenblicklich auf und davon ist, nur weil plötzlich jemand aufgetaucht ist, der zufälligerweise dasselbe Bildchen auf dem Körper hat?“

Hoseok schnaubte. „Joonie, ein Soulmate ist mehr als nur jemand, der zufällig dasselbe Tattoomotiv gewählt hat.“

Namjoon rollte unbeeindruckt mit den Augen. „Formalitäten.“

„Du hast deinen Seelenverwandten auch noch nicht gefunden“, gab Hoseok zu bedenken. „Woher willst du wissen, wie es ist, wenn er oder sie auf einmal vor dir steht? Vielleicht ist dann alles ganz anders. Vielleicht trifft es dich wie einen Backstein mitten ins Gesicht und alles wird wirklich irrelevant.“

 

Hyung, ich habe meinen Seelenverwandten gefunden.“

...und?“

Und es ist mir egal. Ich liebe dich.“

 

„Nein, es ändert nicht alles“, sagte Namjoon fest entschlossen. „Und du kannst dich auch unsterblich in jemanden verlieben, der nicht dein Soulmate ist.“

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte Hoseok niedergeschlagen, offensichtlich frustriert, weil Namjoon so verständnislos schien.

Und Namjoon zögerte.

Er wusste, dass er recht hatte. Er war so felsenfest davon überzeugt, wie er sich gerade sicher war, auf dem ausgetretenen Teppich des Wohnheims zu stehen, das vielleicht auch einmal einen neuen Anstrich vertragen konnte. Und er hatte Beweise für seine Behauptung. Aber er hatte diese 'Beweise' noch nie mit jemandem geteilt, geschweige darüber gesprochen; noch nicht einmal mit Hoseok.

Hoseok sah ihn nahezu flehentlich an, als wollte er nichts weiter, als Namjoon zu glauben, doch die Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass es wahr nicht sein konnte.

Namjoon verkantete seinen Kiefer, als er seinen Entschluss fasste.

„Komm mit, ich muss dir was zeigen.“

Noch bevor Hoseok auch nur einen Laut des Protestes von sich geben konnte, hatte Namjoon sein Handgelenk ergriffen und zog ihn mit sich mit durch die Gänge des Wohnheims. Er hielt erst an, als sie in seinem Zimmer angekommen waren und er Hoseok bedeutete, sich auf sein Bett zu setzen.

Mit rapide pochendem Herzen, was rein gar nichts mit seinem schnellen Schritt zu tun hatte, fuhr er mit zittrigen Händen seinen Laptop hoch. Allein der Gedanke, jemandem diese Texte, seine Erinnerungen, zu zeigen machte ihn unglaublich nervös; es war, als würde er jemandem sein Tagebuch zeigen, auch wenn es genaugenommen noch nicht einmal Namjoons Tagebuch war.

Doch es ging hier nicht um Namjoon, sondern um Hoseok und das Ziel war es, ihm zu zeigen, dass es durchaus möglich war, so tief für jemanden zu fühlen, der nicht sein Soulmate war. Namjoon erinnerte daran.

„Namjoon, was wird das?“, fragte Hoseok schließlich berechtigter Weise verwirrt, doch Namjoon antwortete ihm nicht, sondern öffnete stattdessen den Ordner in seinen Dokumenten, dem er nie einen Titel gegeben hatte, den er aber als insgeheim als den Wichtigsten betrachtete. Nachdem er einen tiefen Atemzug genommen hatte, klickte er auf die Datei, in der er alle anderen, einzelnen Dokumente zusammengefasst hatte.

„Komm her, ich möchte, dass du das hier liest“, sagte er schließlich mit einem Kloß im Hals zu Hoseok.

Mit einem irritierten Gesichtsausdruck ließ sich Hoseok auf den Schreibtischstuhl bugsieren, doch begehrte dennoch auf. „Nimm's mir nicht übel, aber ich bin gerade wirklich nicht in der Stimmung, eins deiner Gedichte zu korrigieren.“

„Es ist kein Gedicht. Oder irgendein Text, den ich veröffentlichen will.“

„Was denn dann?“ Hoseok war nun gleichermaßen verwirrt wie irritiert.

„Die gesammelten Erinnerungen aus meinem vorherigen Leben.“

Mit einem Mal waren sowohl Irritation als auch Verwirrung wie von Hoseoks Gesicht geblasen und machten Verlegenheit preis. „Namjoon, das geht nicht–“

Doch Namjoon machte nur eine abwinkende Geste. „Ich möchte, dass du es liest. Ich denke, es könnte dir vielleicht helfen.“

„Aber das ist... privat“, protestierte Hoseok verzweifelt.

„Hoseok. Lies. Bevor ich es mir anders überlegen kann“, entgegnete Namjoon noch einmal fest.

Zögernd drehte sich Hoseok schließlich zum Bildschirm und begann zu lesen.

Jeder hatte Erinnerungen aus seinen früheren Leben, mal mehr, mal minder bruchstückhaft. Wieder behauptete alle Welt, dass es Erinnerungen an den eigenen Seelenverwandten waren, die die Zeit überdauerten, doch Namjoon wusste, dass dies nicht stimmte.

Nachdem Hoseok begonnen hatte, zu lesen, hatte sich Namjoon zunächst erst selbst zur Ruhe bringen müssen. Er zwang sich dazu, sich ruhig auf das Bett zu setzen und tief durchzuatmen.

Namjoons Erinnerungen hatten eingesetzt, als er ein Teenanger gewesen war. Zunächst war es nur wie ein Déjà-vu von einem Lachen oder dem Klang einer Stimme, die er nie gehört hatte. Und dann kam der Blick von Augen, die er nicht vergessen konnte, obwohl er sie nie gesehen hatte. Doch seine allererste detaillierte Erinnerung war die augenscheinlich letzte seines vorangegangenen Lebens und auch der Ansporn gewesen, diese und auch alle kommenden niederzuschreiben, wenn auch lose und teilweise unzusammenhängend, so wie ihn die Erinnerung schließlich ereilte.

Allein wegen dieser ersten, letzten Erinnerung wollte er diese Person von damals auch in diesem Leben zumindest ein einziges Mal treffen. Vielleicht erinnerte er oder sie sich auch gar nicht so an Namjoon, wie er sich an ihr gemeinsames Leben erinnerte. Vielleicht hatte er oder sie ihr Versprechen vergessen? Sie waren keine Soulmates gewesen und vielleicht war die Erinnerung verblast? Oder sie wurden nicht gleichzeitig wiedergeboren. Was, wenn er oder sie schon am Ende ihres Lebens angekommen war, glücklich mit seinem oder ihrem tatsächlichen Soulmate? Und selbst wenn sie sich finden sollten, vielleicht verliebten sie sich in diesem Leben gar nicht in einander. Damals hatten sie sich ihr ganzes Leben gekannt, waren zusammen aufgewachsen, während sie in diesem Leben Fremde waren.

Er erinnerte sich an jemanden, der ganz bestimmt nicht sein Soulmate gewesen war, denn damals hatte er eine Kirschblüte auf der Haut getragen und Namjoon eine Sonne. Aber Namjoon wusste, dass dieser Mann die Liebe seines vorherigen Lebens gewesen war und er fühlte das Echo dieser Gefühle noch immer in seinen Knochen nachschwingen. Obwohl ihre Beziehung damals kein gutes Ende für ihn genommen hatte, wollte er Hoseok zeigen, dass man sich nicht nur Liebe durch seinen Soulmate erfahren konnte, sondern auch durch jemand anderen.

 

Der Druck auf seiner Brust wurde immer stärker und das Atmen immer schwerer, als die Schwärze sich von den Rändern seines Sichtfeldes ausbreitete und alles anfing Trübe und fahl zu erscheinen. Selbst Sanghoons ohnehin blasses Gesicht verlor noch mehr an Farbe, doch Woojin konzentrierte sich umso mehr darauf, bis Sanghoons Gesicht das einzige war, was er noch sehen konnte. Tränen zogen ihre Spuren sein Gesicht hinunter und Woojin wollte sie wegstreichen, doch seine Hände fühlten sich unglaublich schwer an, als er sich nach Sanghoon streckte und ihn nicht erreichen konnte.

Du brauchst nicht weinen, hyung“, brachte Woojin mit Mühe und Not hervor und er selbst nahm wahr, wie feucht es klingen musste, als er um Atem rang. „Hast du schon vergessen? Solange ich lebe, bleibe ich bei dir.“

Sanghoon gelang es, sich loszureißen und er ergriff Woojins Hand. Es war spärlich, doch Woojin fühlte wie Sanghoons Schluchzen seinen Körper schüttelte, als er ihn fest an sich drückte, und es brach ihm mehr das Herz als es ein Pfeil je konnte. Sanghoons Stimme war feucht von Tränen, während Woojins so aufgrund der Flüssigkeit, die sich in seinen Lungen sammelte, klang, aber er war froh, dass Sanghoon unverletzt war.

Und ich werde dich auch in unserem nächsten Leben finden“, wisperte ihm Sanghoon zu.

Woojin lächelte und wollte ihm sagen, dass er auf ihn warten würde, doch dann verschlang die Finsternis auch Sanghoons Gesicht, Sanghoons Gesicht mit seinen wunderschönen Augen.

 

Seinen eigenen Gedanken nachhängend, hatte Namjoon zunächst die leisen Geräusche, die von Hoseok zu vernehmen waren, nicht wahrgenommen, doch als Hoseok fertig mit Lesen war, hatte er sich mit beiden Händen die Tränen vom Gesicht gewischt und mit Mühe und Not ein Schluchzen unterdrückt.

Nun fühlte sich Namjoon schlecht, ihm überhaupt erst seine Erinnerungen gezeigt und seine Stimmung noch weiter heruntergezogen zu haben. Hoseok griff jedoch nach der Taschentücherbox auf dem Schreibtisch und drehte sich auf dem Stuhl zu ihm um.

„Joonie, du erinnerst dich an all das?“, fragte er mit einem Schniefen.

Ein wenig unbehaglich zuckte Namjoon mit den Schultern. „Jeder erinnert sich an irgendwas...“

Doch Hoseok putzte sich laut die Nase und schüttelte dann resolut den Kopf. „Nein, Namjoon, nicht so. Erinnerst du dich an all deine Leben so detailliert?“

Namjoon runzelte die Stirn bei der Frage, doch zögerte einen Moment, bevor er antwortete. „Nein... ich habe eigentlich gar keine anderen Erinnerungen an andere Leben. Nicht einmal ein Fragment.“

Daraufhin hatte ihn Hoseok sehr lange schweigend angesehen, ihn musternd, sodass Namjoon das unwillkürliche Bedürfnis hatte, auf seinem eigenen Bett unruhig hin und her zu rutschen. Schließlich rollte Hoseok samt Schreibtischstuhl zu ihm hinüber und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Namjoon, hast du mal daran gedacht, wenn du dich so genau daran erinnern kannst, ist es dann nicht auch sehr wahrscheinlich, dass Lee Sangmoo–“

„Sanghoon“, verbesserte Namjoon und es fühlte sich seltsam seinen Namen so laut auszusprechen.

„Ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass Sanghoon oder wie auch immer er jetzt heißen mag, es auch tut?“

 
 

☀☀☀

 

Dass Namjoons meist zusammenhanglose Niederschriften schließlich ihren Weg zum fertigen Roman eingeschlagen hatten, war letztendlich Hoseok zu verdanken gewesen. Er war es gewesen, der nach langem guten Zureden Namjoon schließlich davon hatte überzeugen können, seine Erinnerungen in Form eines Romans zu veröffentlichen. Auf diese Art und Weise würden viele Leute seine Geschichte kennenlernen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie vielleicht jemand wiedererkannte. Noch während seiner Studienzeit hatte Namjoon einige Gedichte und kurze Texte in Anthologien veröffentlicht und Hoseoks Vater arbeitete im Verlagsgeschäft, was den endgültigen Schritt zur Veröffentlichung dann allerdings maßgeblich begünstigte. Dennoch hatte der Weg vom groben Skript bis hin zum fertigen Buch einige Jahre gedauert.

Allerdings war Namjoon war nicht naiv gewesen; außer Hoseok und Jeongguk wusste kaum jemand, dass das Buch, das er schließlich als Eternal Sunflowers betitelt hatte, nicht nur auf wahren Begebenheiten beruhte, sondern auf seinen eigenen Erinnerungen. In den ersten rohen Niederschriften, die er Hoseok damals gezeigt hatte, hatte er alle tatsächlichen Namen verwendet, an die er sich erinnerte, doch hatte er die der Protagonisten schließlich abgeändert, als das ganze eine Romanform annahm, Sanghoon wurde zu Seongmin und Woojin zu Woosung.

Namjoon hatte sich auch nie Illusionen gemacht, dass er ein berühmter Schriftsteller werden würde und er war äußerst zufrieden mit seiner Position als Literaturdozent an der hiesigen Universität. Umso überraschter war er schließlich, als sein Buch, effektiv seine Biographie eines anderen Lebens, immer mehr an Popularität gewann. Je höher der Roman auf der Bestsellerliste kletterte, desto glücklicher war er um den Umstand, dass er gewisse Einzelheiten aus dem fertigen Buch herausgelassen hatte; gewisse Szenen, die er auch jetzt noch als zu privat erachtete oder auch die simple Tatsache, wie ihre Soulmarks wirklich ausgesehen hatten. Damals hatte er sich dafür entschieden, um das Buch zugänglicher Leser zu machen, die sich durch das Fehlen der Konkretisierung des Mals vielleicht besser mit den Figuren identifizieren konnten, und der einzige Hinweis auf ihre wirklichen Male waren zwei kleine Symbole in der Widmung des Buches.

 

Weil Blumen die Sonne zum Blühen brauchen.

 

Natürlich hatte er das Buch der Person gewidmet, die seine Erinnerungen beherrschte, Sanghoon. Mit den Worten, bei denen er sich erinnerte, sie unzählige Male im Zwielicht der Laken selbst gewispert zu haben, aber kein einziges Mal im fertigen Roman erwähnt hatte, weil sie ihm sonderbarerweise zu persönlich erschienen waren, als dass er sie mit der Welt hatte teilen wollen.
 

☀☀☀

 

Nervös rückte Namjoon seine Armbanduhr zurecht. Unnötigerweise, denn sie war wie üblich keinen Millimeter verrutscht. Er wurde öfters überrascht gefragt, ob er denn Linkshänder wäre, weil er seine Uhr am rechten Handgelenk trug, verkehrt herum mit dem Uhrwerk gegen seinen Puls. Doch Namjoon war kein Linkshänder; er trug seine Uhr, wie er sie trug, um sein Seelenmal, an dieser Stelle zu verdecken. Je populärer Eternal Sunflowers zu werden schien, desto mehr achtete er darauf, es nicht zu zeigen.

„Hyung, bist du so weit?“, fragte Jeongguk und ließ den Vorhang wieder zufallen, als er sich umdrehte. Effektiv waren er und Hoseok mittlerweile zu seinen inoffiziellen Managern geworden und begleiteten ihn nach Möglichkeit zu jeder Lesung.

„Nein“, entgegnete Namjoon nervös und Hoseoks griff an seiner Schulter verstärkte sich. Namjoon nahm einen tiefen Atemzug. „Aber besser wird es nicht mehr.“

„Das ist die richtige Einstellung!“, meinte Hoseok mit einem aufmunternden Grinsen und klopfte ihm fürsorglich auf den Rücken. Ruhiger legte er auch noch seine andere Hand auf Namjoons Schulter und sah ihm fest in die Augen, als er überzeugt fortfuhr. Namjoon fühlte sich mit einem Mal unerwartet an diesen einen schicksalshaften Tag all die Jahre zuvor in seinem Studentenzimmer erinnert, als er Hoseok das allererste Mal seine Erinnerungen hatte lesen lassen. „Joon-ah, du hast schon vor wesentlich volleren Hörsälen gesprochen und der Raum hat dir gehört. Das hier ist ein kleiner Bücherladen nach Ladenschluss, in dem keine 40 Mann sitzen. Wie auch all die anderen Male schaffst du das jetzt auch.“

Namjoon machte ein kleines gequältes Geräusch. Objektiv wusste er, dass Hoseok natürlich Recht hatte, aber subjektiv war es etwas vollkommen anderes eine fachlich strukturierte Vorlesung zu halten als aus einem Buch vorzulesen, in dem er der Welt sein Herz ausgeschüttet hatte, und danach auch noch darüber zu reden. Aber Hoseok hatte dennoch Recht und es war nicht das erste Mal, dass er eine Lesung hielt. Also trat er an den Vorhang und nickte Jeongguk zu, der prompt auf die andere Seite des Vorhangs verschwand, um dem Moderator des Abends zu signalisieren, dass sie bereit waren. Als Namjoon schließlich seinen eigenen Namen hörte, nahm er einen weiteren, tiefen Atemzug und warf Hoseok einen letzten Blick zu, ehe er den Vorhang beiseiteschob.

Hoseok hatte Recht, es waren wesentlich weniger Menschen im Raum als für gewöhnlich Studenten seine Literaturvorlesungen besuchten. Er konnte nicht alle Gesichter ausmachen, doch wie üblich schien der Großteil seiner Zuhörer weiblich zu sein. Der Kloß in seinem Hals wurde etwas kleiner bei dem Gedanken, auch wenn er nicht gänzlich verschwand, als er seine Audienz begrüßte.

Der Veranstalter des Events hatte ursprünglich gewollt, dass Namjoon ihren ersten Kuss nach Jahren des heimlichen nach einander Sehnens vorlas, aber Namjoon hatte vehement abgelehnt. Denn er wusste, dass er seine Stimme dabei nicht ruhig halten könnte, wenn er daran dachte, wie –

 

Woojins Hände zitterten, als er sie an Sanghoons Gesicht legte. Seine Haut fühlte sich weich und rein an und er hatte niemals erwartet, jemals seine Wange auf diese Art und Weise berühren zu können. Selbst als Sanghoon seine Finger in Woojins Kleidung vergrub und ihn näher zu sich heranzog, konnte er kaum glauben, dass das hier gerade wirklich passierte.

Hyung...“

Sanghoons Augen waren ihm schon immer dunkler als die anderer Menschen erschienen, doch in diesem Moment wirkten sie nahezu schwarz. Sie waren wunderschön. Woojin hätte sich darin verlieren können und er schluckte, um die Trockenheit in seiner Kehle loszuwerden. Doch dann fühlte er warme Finger über seinen Hals gleiten, die Bewegung seiner Kehle nachverfolgen, und Woojin konnte nicht anders als sich vorzulehnen und –

 

– stattdessen las Namjoon die Szene vor, in der er, oder vielmehr Woojin, realisiert hatte, dass er sich in Sanghoon verliebt hatte. Woojin, Woosung im Roman, hatte sich sehr lange nicht eingestehen wollen, dass er für ihn nicht nur reine Freundschaft empfand. Durch ihren angeborenen Standesunterschied hatte er sich eingeredet, dass es Bewunderung war; Glück, dass der Sohn des Magistrates auch immer noch sein Freund geblieben war, als sie beide bereits erwachsen geworden waren.

Doch er erinnerte sich an den warmen Frühlingstag, an dem sein Hyung sich zu ihm umgedreht hatte, um ihn amüsiert auf spielende Kinder aufmerksam zu machen, an sein warmes Lächeln und seine dunklen, schönen Augen, die regelrecht vor Freude geglänzt hatten, und wie ihn seine eigenen Gefühle wie ein Schlag ins Gesicht getroffen hatten und er sie nicht mehr verleugnen konnte. Namjoon hatte sich daran erinnert und hatte diese Erinnerung aufgeschrieben; sie war es, die er schließlich vorlas.

Dem Veranstalter des Abends hatte Namjoon gesagt, dass er die Kussszene nicht lesen wollte, um nicht zu viel für Leser vorwegzunehmen, die das Buch noch nicht gelesen hatten, anders als dies bei dieser Szene der Fall gewesen wäre. Namjoon war mehr als nur froh darum gewesen, dass der Veranstalter widerstrebend sein Argument eingesehen hatte.

Glücklicherweise war die eigentliche Lesung recht bald vorbei, denn der Kloß in Namjoons Hals hatte sich keinen Millimeter während des Lesens bewegen wollen und seine Kehle war trocken, als er schließlich fertig war. Während Namjoon einen dringenden Schluck Wasser zu sich nahm, trat der Moderator wieder hervor und ließ sich mit einem Lächeln das Mikrofon von Namjoon reichen.

„Werte Geste, wir hätten jetzt noch etwa eine Stunde für etwaige Fragen, die Sie dem Autor vielleicht schon immer stellen wollten. Bitte melden Sie sich, wenn Sie eine entsprechende Frage haben, und einer unserer Mitarbeiter wird mit einem Mikrophon zu Ihnen kommen“, erläuterte der Moderator. „Nach der Diskussion wird dann die eigentliche Signierstunde stattfinden. Vielen Dank.“

Unter höflichem Klatschen der Audienz reichte der Moderator das Mikrophon wieder an Namjoon weiter und er stand hinter dem Tisch, der als sein Pult für den Abend diente, auf, um die sitzenden Besucher besser sehen zu können. Als er um den Tisch herumging, meldeten sich bereits die ersten Personen und Namjoon lehnte sich wartend an.

Anfangs hatte Namjoon wider Erwarten insgeheim gehofft, dass jemand jemand die richtigen Fragen stellte, dass jemand nach all den Dingen fragte, die er bewusst ausgelassen hatte. Doch mit jeder Lesung, die er hielt, und mit jeder Fragerunde, die er absolvierte, schwand diese Hoffnung immer mehr und mittlerweile konnte er fast mit Sicherheit sagen, welche Fragen ihm wieder gestellt werden würden. Eternal Sunflowers beruhte auf Namjoons Erinnerungen und er hatte den Roman vollkommen aus der Sicht seines Romanäquivalents geschrieben, sodass gewisse Fragen durch seinen Tod offen blieben. Die meisten Fragen, die Namjoon gestellt wurden, waren tatsächlich inhaltlicher Natur und betrafen weniger den Entstehungshintergrund des Buches.

„Was wurde aus Woosungs Soulmate, Yejoon?“, fragte die junge Frau, die sich als erste gemeldet hatte, schließlich.

Erstaunlicherweise fragten sehr viele Leser nach seinem früheren Soulmate, sodass Namjoon mit der Frage gerechnet hatte und wie immer versuchte er so wahrheitsgetreu wie möglich zu antworten. „Er hat später eine junge Witwe geheiratet, deren Mann und Soulmate in einem Bergwerk verunglückt war.“

„Was ist mit Seongmin passiert?“, war die nächste Frage. Ebenfalls sehr häufig und auch berechtigt gestellt. „Hat er überlebt?“

Sobald Namjoon sich an seinen Namen, Lee Sanghoon, erinnert hatte, hatte er damals augenblicklich über ihn nachgeforscht. Da er der Sohn eines Beamten gewesen war, war es wesentlich einfacher gewesen, etwas über seinen Verbleib herauszufinden, als über den seines eigenen Soulmates, Yejoon, dessen Namen er als einzigen nicht geändert hatte. Namjoon wahr ehrlich froh, dass Yejoon, der Sohn des Schmieds, geheiratet und sein Glück gefunden hatte, selbst wenn es Namjoon verwehrt gewesen war. Doch leider war es für Sanghoon weniger gut ausgegangen und sein Schicksal in einem Nebensatz in uralten Annalen schwarz auf weiß gelesen zu haben, schmerze Namjoon immer noch.

„Er wurde nicht hingerichtet, falls Sie das wissen wollten“, log Namjoon. Die einzige Lüge, die er immer erzählte. „Aber er musste seine Seelenverwandte heiraten. Zwar mochte er sie, aber sie war dennoch nicht Woosung und sie hatten keine Kinder.“

Einige traurige Laute gingen durch die Menge und er konnte sogar von weiter hinten ein ersticktes Aufkeuchen vernehmen. Schon dabei fühle sich Namjoon schlecht und war froh ihnen nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Es war nicht so, dass es vielleicht irgendwann einmal wahr wurde und den Lauf der Geschichte änderte, wenn Namjoon es häufig genug behauptete, aber er hätte Sanghoon ein erfülltes Leben auch ohne ihn gewünscht.

„Haben die beiden sich in ihrem nächsten Leben wiedergetroffen?“, fragte eine andere Frau, dieses Mal aus der Mitte des Raumes.

Hoffentlich irgendwann, ja.

Jedoch antwortete Namjoon unbeirrt mit einem Lächeln: „Ja, haben sie.“

Daraufhin konnte er kurz eine Art Tumult in der letzten Reihe aus, als zwei junge Männer miteinander zu diskutieren schienen, doch Namjoon konnte sie von seiner Position aus nicht verstehen. Tatsächlich konnte er sogar nur einen von beiden erkennen, einen dem Anschein nach größeren, dünnen Mann mit sehr schönen Gesichtszügen, doch sein kleinerer Begleiter hatte sich die Kapuze seines schwarzen Pullis tief ins Gesicht gezogen. Da ihre Debatte jedoch kurz darauf abzusterben schien, wandte sich Namjoon der nächsten Frage zu. Tatsächlich war es für Namjoon gar nicht so ungewöhnlich, dass seine wenigen männlichen Leser meist versuchten, sich nicht erkennen zu geben; er hatte schließlich nicht nur einen Liebesroman geschrieben, sondern einen Liebesroman, der die nicht gerade keusche Beziehung zwischen zwei Männern darstellte, und leider hatte Homosexualität in Korea immer noch um Gleichberechtigung zu kämpfen.

„Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Liebesroman über Menschen zu schreiben, die keine Soulmates sind?“, war die nächste Frage, die Namjoons Aufmerksamkeit schließlich vollends von den beiden Männern ablenkte.

„Jemand, der mir sehr viel bedeutet, hat mich dazu inspiriert“, antwortete Namjoon ambivalent.

„Ihr Soulmate?!“, platzte es aus jemandem heraus und verhaltenes, verlegenes Kichern war zu hören.

Namjoon zögerte einen Moment, ehe er schließlich antwortete. Er wusste, dass es Vermutungen darüber gab, dass der Roman auf anhaftenden Erinnerungen beruhte, aber obwohl es stimmte, hatte Namjoon bislang nichts in dieser Richtung bestätigt. Die Frage war äußerst persönlich, doch Namjoon wollte sie nicht vollends ignorieren.

„Nicht im herkömmlichen Sinne“, antwortete Namjoon ausweichend. Ausschlaggebend waren seine Erinnerungen an Sanghoon gewesen, aber Hoseok war der Grund, weswegen es Eternal Sunflowers gab, einer war die Liebe seines vorherigen Lebens gewesen und der andere sein bester Freund, doch keiner von beiden hatte je dasselbe Soulmark wie er getragen. Dennoch empfand Namjoon beide auf unterschiedliche Weisen als seelenverwandt.

Zu Namjoons Überraschung meldete sich einer der beiden Männer aus der letzten Reihe, der hübsche, um ihm eine Frage zu stellen. Sein vermummter Freund neben ihm schien das ganze jedoch unangenehm zu sein und er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Als der gutaussehende Mann aufstand, konnte Namjoon sehen, dass er nicht gerade klein war und als er in das Mikrofon sprach, erklang eine überraschend tiefe Stimme.

„Ich habe eine Frage zu den Soulmarks von Seongmin und Woojin und dem Titel. Im Buch haben Sie nie die genauen Motive der Male genannt, und viele Leute vermuten wegen des Titels, dass einer von beiden eine Sonnenblume getragen hat. Aber wegen der Widmung haben wir uns gefragt, ob vielleicht einer von beiden eine Blume getragen hatte und der andere vielleicht so etwas wie eine Sonne und daher der Titel rührt? Also aus beiden Malen kombiniert?“

Namjoon konnte ihm nicht antworten, sondern starrte den jungen Mann einfach nur an.

Dies war genau eine der Fragen, von denen Namjoon immer gehofft hatte, dass sie ihm einmal jemand stellen würde, denn die Vermutung war vollkommen richtig. Die Widmung des Buches war tatsächlich ein Insider zwischen ihm und Sanghoon gewesen, da Sanghoons Seelenmal eine Kirschblüte und sein eigenes eine Sonne gewesen war. Er hatte Sanghoon damals damit vermitteln wollen, dass sie nicht weniger zusammengehörten, als andere Seelenverwandte, die zufällig dasselbe Mal trugen, aber Namjoon hatte dieses Detail bewusst aus dem Buch gehalten. Nur er selbst, Hoseok und Jeongguk wussten um seine Bedeutung. Nun, und höchstwahrscheinlich Sanghoon, wer auch immer Sanghoon nun sein mochte.

Der junge Mann sah ihn weiterhin fragend an und Namjoon vermochte nicht zu sagen, ob er einfach nur sehr gut kombiniert hatte, oder eventuell von Sanghoon wusste. Ob er vielleicht sogar Sanghoon war.

„Das ist... keine schlechte Vermutung“, sagte Namjoon schließlich.

Bevor er nicht näher mit dem jungen Mann geredet hatte, war er nicht gewillt, die Aussage direkter zu bestätigen. Doch scheinbar war es ausreichend und der junge Mann schenkte ihm ein freudiges Lächeln, das zwar schön war, doch Namjoon nicht tiefer berührte. Er hatte immer erwartet, dass er es merken würde, wenn er Sanghoon eines Tages wiedertreffen sollte. Während ein aufgeregtes Nuscheln durch die Menge ging, versuchte Namjoon nicht zu auffällig Blickkontakt mit Hoseok herzustellen, der ihm zunickte und sich subtil in die Richtung des jungen Mannes drehte. Als er wieder aufsah, bemerkte er, dass der Mann mit der Kapuze ebenfalls aufgestanden war (tatsächlich war er ein Stück kleiner) und stumm mit dem schönen Mann mit der tiefen Stimme zu diskutieren schien, ehe er sich hastig abwandte und aus dem Raum eilte. Sobald der schöne Mann mit der tiefen Stimme die Aufmerksamkeit bemerkte, die ihre Interaktion auf den Plan gerufen hatte, schenkte er den Anwesenden ein verlegenes Lächeln.

„Er ist ein bisschen schüchtern.“, sagte er in den Raum hinein und vielen der anwesenden Damen entkam ein „Aw~“. Er hab das gab das Mikrofon zurück und eilte offenbar seinem Freund hinterher. Aus dem Augenwinkel bemerkte Namjoon, wie sich auch Hoseok in Bewegung setzte.

Namjoon versuchte sich allerdings nichts von seiner aufkeimenden Aufregung anmerken zu lassen und fuhr mit dem Beantworten von Fragen fort.

 
 

☀☀☀

 

Die restliche Fragerunde ging allerdings ereignislos von statten und Namjoon fand sich bald darauf hinter seinem Tisch wieder, um die Bücher der Besucher zu signieren.

Nach jedem Buch, das er zurückgab, griff er schon fast automatisch an sein Handgelenk, um seine Uhr zurecht zu rücken. Diese Handlung hatte sich bei ihm eingestellt, sobald sein Buch immer erfolgreicher geworden war. Früher war es ihm nicht wichtig gewesen, wenn Menschen sein Seelenmal sehen konnten, und er hatte tatsächlich zu Beginn seiner Schriftstellerkarriere die Uhr nur an der rechten Hand getragen, weil seine linke verletzt gewesen war. Wie das Gerücht, dass sein Soulmark eine Sonnenblume sein sollte, aufgekommen war, konnte Namjoon nicht genau sagen, doch je bekannter das Buch und somit auch Namjoon selbst wurde, desto häufiger fanden sich 'Verehrerinnen' und 'Verehrer', die behaupteten seine Seelenverwandten zu sein. Nach 37 potenziellen Kandidaten, die sich alle mehr oder minder gut eine Sonnenblume aufgemalt hatten, hatte Namjoon aufgehört zu zählen. Teilweise ging es sogar soweit, dass die Leute ihm in die Universität folgten und sich in seine Vorlesungen schlichen. Allerdings achtete er seitdem penibel darauf, dass sein weiterhin farbloses Mal immer bedeckt war.

Also signierte Namjoon weiter Bücher, fragte jeden für wen er denn die Signatur ausmachen sollte, unterschrieb und gab das Buch zurück, bis der nächste dran war. Er hatte gerade einer Frau mittleren Alters ihr Buch wiedergegeben, als der junge Mann mit der tiefen Stimme vor ihn trat. Obwohl Hoseok ihm signalisiert hatte, dass er noch hier war, hatte Namjoon seltsamerweise nicht damit gerechnet, in so nah vor sich zu sehen.

„Hallo~“, begrüßte Namjoon ihn und schlug das ihm gereichte Buch auf. „Für wen soll es sein?“

„Für Jimin!“, sagte er sogleich und schenkte Namjoon ein blendendes Lächeln.

„Jimin-ssi, Ihre Frage vorhin war wirklich gut“, meinte Namjoon beiläufig, als er seine Unterschrift und die Widmung hinterließ.

„Oh, ich bin nicht Jimin; er ist mein Soulmate und konnte nicht mitkommen, aber wir mögen beide Ihr Buch sehr gerne“, erklärte scheinbar-doch-nicht-Jimin. Sein Gesichtsausdruck nahm eine melancholische Note an, als er fortfuhr. „Es hat uns sehr die Augen dafür geöffnet, dass nicht jeder so ein Glück wie wir hat.“

„Huh“, machte Namjoon wenig hilfreich und blinzelte zu ihm auf. Also hatte Sanghoon bereits seinen Soulmate gefunden? War dieser Mann überhaupt Sanghoon? Er fühlte sich auch aus der Nähe nicht an, wie Sanghoon. „Und wie ist Ihr Name, wenn ich fragen darf?“

„Kim Taehyung!“, antwortete er nun aber ebenso enthusiastisch wie zuvor.

„Nichtsdestotrotz, Taehyung-ssi, Ihre Vermutung war nicht falsch“, setzte Namjoon erneut an, als er auch Taehyungs Namen in die Signatur schrieb. „Wie sind Sie darauf gekommen?“

„Ah~“, machte Taehyung in seiner tiefen Stimme und sah sowohl verlegen als auch ein wenig verschmitzt aus. „Die Lorbeeren kann ich leider auch nicht einheimsen. Mein Hyung hatte eigentlich die Idee, aber war zu schüchtern, um nachzufragen, also habe ich es für ihn getan. Aber er steht etwas weiter hinten in der Schlange, wenn Sie ihn fragen möchten?“

„Sehr gerne“, entgegnete Namjoon mit einem Lächeln und reichte ihm sein Buch zurück.

Taehyung schenkte ihm ein breites Lächeln, dass einer kleinen Sonne gleichkam, als er das Buch aufschlug und bemerkte, dass die Signatur ebenfalls für ihn ausgemacht war. Namjoon konnte sich nicht helfen und musste unwillkürlich Niedlich denken, als er beobachtete, wie Taehyung davon tänzelte. Kim Taehyung mochte vielleicht jemand sein, mit dem Namjoon sich persönlich vielleicht sehr gut anfreunden konnte, doch er war mit relativ großer Sicherheit nicht Sanghoon.

Die nächsten drei Autogramme gingen an zwei Schülerinnen und tatsächlich an eine ältere Dame, die außerordentlich wissend seine Hand tätschelte. Namjoon sah ihr noch ein wenig perplex nach, sodass er zunächst gar nicht bemerkte, wie ein neuer Leser vor ihn getreten war und es erst realisierte, als er das Buch vor Namjoon ablegte.

„Entschuld–“, setzte Namjoon an, doch geriet augenblicklich ins Stocken, als er das Buch aufschlug, ohne die Person vor sich angesehen zu haben. Auf der ersten freien Seite, auf der Namjoon für gewöhnlich seine Signatur hinterließ, stand bereits etwas geschrieben, allerdings nicht in Hangul, sondern in Hanja. Dennoch hatte Namjoon keinerlei Probleme damit, die ihm bekannte, falsche Strichreihenfolge zu lesen. Unterschreiben war die Notiz mit keinem Namen, sondern einer schlecht gezeichneten Kirschblüte.

 

Woojin, tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.

 

Augenblicklich schnellte Namjoons Kopf in die Höhe.

Und wieder traf es ihn wie einen Backstein mitten ins Gesicht und es fühlte sich an, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen werden, obwohl er bereits saß, sein Magen fühlte sich flau und zugleich so an, als würde er einen Schwarm Schmetterlinge beherbergen.

Vor ihm stand der Mann mit dem schwarzen Hoodie, der Taehyung begleitet hatte, doch obwohl er noch immer die Kapuze aufgezogen hatte, konnte Namjoon nun sein Gesicht sehen. Seine Haut war so hell, wie seine Haare dunkel schienen, doch was ihn wirklich gefesselt hielt waren seine Augen. Sie waren schwarz, jedoch anders schwarz, aber dennoch genauso schön wie damals und schienen unter seiner Kapuze zu glänzen. Etwas bewegte sich; nicht nur in Namjoon, sondern es fühlte sich so an, als würde sich das gesamte Universum neigen.

„Sang-hyung“, wisperte Namjoon, bevor er sich selbst stoppen konnte.

Ein schmales, glückliches Lächeln zog sich auf die Züge es Mannes, sodass es seine Augen erreichte und Namjoon fühlte sich mit einem Mal auf diese eine bestimmte Frühlingswiese zurückversetzt. Er konnte schon förmlich die Brise in seinen Haaren und die Sonne auf seiner Haut spüren.

Namjoon stand so hastig auf, dass sein Stuhl hinter ihm polternd zu Boden fiel und er sich am Tisch stieß, doch das kümmerte ihn wenig, als er endlich über den Tisch hinweg den Mann in seine Arme zog, wegen dem er überhaupt erst hier gesessen hatte.

 
 

☀☀☀

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Der Prompt war "Your soulmate from the past life is not your soulmate in this life." und ich habe ihn hier gefunden. Die Idee ist in der Umsetzung hier ein wenig abgeändert, aber Genaueres dazu kommt in den Folgekapiteln. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Der andere Prompt war "You become a writer and your series of novels become extremely popular, but what they don’t know is that you’re retelling your previous life where certain circumstances made it so you and your soulmate did not end up together but your soulmate promises to be with you the next lifetime. At a book signing you open the book cover of a fan’s copy to see something written on the front page: 'I’m sorry I took so long.'" und stammt ebenfalls von hier. Komplett anzeigen

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