Funkenflug von Shirokura ================================================================================ Kapitel 2: Weihnachten ---------------------- Einen Monat später "Nicht dein Ernst!", rief Cazqui durch den Proberaum und klatschte sich mit Daichi ab, der von einem Ohr zum anderen grinste. "Schau dir Daichis Weihnachtsdate an!", meinte er aufgeregt und hielt Hiro ein Handydisplay vors Gesicht, auf dem eine sehr hübsche, düster gestylte junge Frau zu sehen war. Sie waren sicher ein tolles Paar. "Süß", urteilte er und lockte damit auch Masa und Natsu an, die das Mädchen begutachten wollten. "Wow, nicht schlecht", meinte der Bassist und klopfte anerkennend auf Daichis Schulter. Natsu dagegen betrachtete das Bild eher neutral, um schließlich zu feixen: "Sie sieht aus wie du." Alle gackterten sofort los. Die beiden waren sich wirklich sehr ähnlich. Wenn Daichi sicht ordentlich aufbrezelte, konnten die beiden glatt als Schwestern durchgehen. "Jetzt will ich aber auch eure Dates sehen!", verlangte der Gitarrist lächelnd. Cazqui holte sofort sein Handy raus und zeigte ein Bild von dem Mädchen, das er nun schon eine Weile datete. Sie arbeitete in einem Musikgeschäft und hatte Cazqui seiner neuen Gitarre vorgestellt, was eine Bilderbuchdreiecksbeziehung hervor gebracht hatte. Cazqui liebte die Gitarre, das Mädchen liebte Cazqui und irgendwann hatte dieser von den Saiten aufgeblickt und seit dem hatten sie ein Date nach dem anderen. "Oh, ihr trefft euch noch? Schön", freute sich Masa, denn Cazqui tat sich oft schwer, Bindungen einzugehen. Eigentlich datete er selten jemanden mehr als einmal. "Du triffst dich doch auch noch mit Natsus Buchhändlerin!", konterte dieser ungerührt und Masa grinste glücklich. "Ja. Es ist schon unser zweites Weihnachsdate." Cazqui boxte ihm freundschaftlich in die Seite. "Dann wird es ja langsam ernst!" "Ach, Midori und ich haben es nicht eilig", wiegelte der aber ab. "Eigentlich sollte sie mir lebenslang Rabatt geben, nachdem ich sie ihrem zukünftigen Ehemann vorgestellt habe", grinste Natsu und Hiro weichte schon wieder das Hirn auf, als er dessen Augen vergnügt funkeln sah. Er lachte viel zu selten. "Und du, Nat-Chan?", fragte Cazqui dazwischen. Natsu zuckte mit den Schultern. "Ich verbringe den Tag entspannt zu Hause und schaue Filme." "Sowas in der Art habe ich auch geplant", platzte es Hiro heraus und als er Masas Lächeln sah, schwante ihm Übles. "Dann schaut doch zusammen Filme!", schlug er unschuldig lächelnd vor. Hiros Entsetzen kannte keine Grenzen. War er verrückt geworden?! "Ja! Ihr seid so ein süßes Paar!", kicherte Cazqui los und legte einen Arm um Natsu und einen um Hiro, der sich mit aller Macht zwingen musste, zu lachen, obwohl er das echt nicht witzig fand. "Klar, warum nicht. Willst du mein Weihnachtsdate sein?", drang da Natsus Stimme an sein Ohr und er musste trocken schlucken, als dieser ihn frech angrinste. Das war doch alles nicht wahr... "Na wenns sein muss. Wir schauen aber bei mir. Dein Miniaturfernseher frustriert mich", gab er sich betont cool während er innerlich tausend Tode starb. Ein Weihnachtsdate mit Natsu! Es war kein Date! Nur rumhängen! An Weihnachten! Wenn man jemanden zu Weihnachten einlud, war es ein Date! Es war kein Date, oder? Den Rest der Probe versaute er grandios, weil er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Überdeutlich spürte er Natsus Präsenz hinter sich, was ihn furchtbar nervös machte. Er verpasste permanent seine Einsätze und traf keinen Ton. Es war furchtbar. Aber auch diese Probe hatte irgendwann ein Ende und er konnte sich endlich voll und ganz seiner Panik hingeben, die ins Unermessliche stieg, als sich Natsu anzüglich lächelnd mit einem "Morgen um sieben bei dir, Baby!" und einem festen Klaps auf Hiros Hintern von ihm verabschiedete. Die Stimme des überrumpelten Sängers vibrierte sogar ein wenig, als er ihm "Ich freu mich schon, Honey!" hinterher rief, aber der Drummer schien nichts davon zu bemerken. Genervt starrte Hiro auf die Tür, als sie endlich hinter Natsu ins Schloss fiel und er endlich allein mit Masa war. Sofort herrschte er den Bassisten an: "Bist du verrückt geworden? Was hast du getan?!" Der Bandleader hatte jedoch nur ein aufmunterndes Lächeln für ihn übrig. "Ich hab dir einen Abend allein mit Natsu bei dir zu Hause verschafft. An Weihnachten." "Warum machst du sowas, verdammt?" "Weil sich die Scheiße kein Mensch mehr mit anschauen kann. Die anderen fragen mich schon, was in letzter Zeit mit dir los ist." "Wirklich? Wer?" "Alle", meinte Masa ernst. "Oh fuck, was hast du ihnen erzählt?" "Ich bin so nah, ich konnte, an der Wahrheit geblieben und hab ihnen erzählt, dass du unglücklich verliebt bist, aber ich nicht wüsste in wen." Das hatte er wirklich klug angestellt. Hiro fiel ein Stein vom Herzen. "Jetzt schau nicht so. Glaubst du wirklich, ich würde das ausplaudern?" Hiro schüttelte den Kopf. "Na siehst du. Dann freu dich doch auf morgen." "Freuen?!", rief Hiro aus, "Wie soll ich mich freuen?! Ich weiß nicht mal, was ich anziehen soll! Oh fuck, ich klinge wie ein Weib!" Masa lachte schallend. "Aber ernsthaft! Wenn ich mir ein Hemd anziehe und er hat keins an, blamiere ich mich. Wenn es umgekehrt läuft, bin ich respektlos. Muss ich ihm was schenken? Ich weiß gar nicht, was er sich wünscht! Wie soll ich bis morgen etwas Gutes auftreiben? Und was soll ich zu essen machen? Ich kann doch gar nicht kochen! Aber an Weihnachten kann ich auch nicht einfach eine Pizza in den Ofen werfen! Verdammte Scheiße, was hast du getan, Masa!", redete Hiro sich immer weiter in Rage und verstummte schließlich und bedeckte sein Gesicht in einer verzweifelten Geste mit seinen großen Händen. Wie konnte Masa ihm das nur antun? Es würde alles in einer furchbaren Katastrophe enden. Er würde sich vor Natsu lächerlich machen. "Komm mal runter. Du drehst ja völlig durch", meinte Masa beunruhigt. So langsam kamen ihm wohl auch Zweifel an seiner Genialität. Aber er wäre nicht der Bandleader, wenn er nicht immer für alles schnell eine Lösung parat hätte. "Also. Midori und ich finden raus, was er anzieht und schreiben es dir dann, dass du dich entsprechend anziehen kannst. Ihre Wohnung liegt zwischen seiner und der Bahnstation, also sehen wir ihn vorbei kommen. Das macht sie bestimmt gern. Sie versucht schon länger, ihn zu verkuppeln, aber er stellt sich völlig stur. Ich muss ihr ja nicht sagen, dass die Info für dich ist. Schenken kannst du ihm die Erstausgabe, die er sich bei ihr zurück legen lassen hat, aber noch nicht abholen konnte. Ich bringe sie dir morgen früh vorbei. Mit dem Essen weiß ich auch nicht so recht. Hol doch Fingerfood in dem Restaurant um die Ecke. Das bietet sich doch an zum Filmschauen." "Du bist ein Genie", meinte Hiro fassungslos. "Hehe. Ich weiß und jetzt geht das Genie in den Feierabend. So fantastisch zu sein, macht verdammt müde", kicherte Masa amüsiert und Hiro zog ihn in eine kurze Umarmung. "Danke Mann", brummte der Sänger. "Du solltest es ihm sagen." "Ich kann nicht." "Hiro." Der Ältere wand sich unter Masas strengem Blick. "Was ist, wenn er mich dann hasst?", fragte er schließlich leise. "Er wird dich nicht hassen. Er weiß doch, dass du bi bist und es hat ihn nie gestört. Vielleicht funkt es ja auch bei ihm, wenn er erst einmal die Option aufgezeigt bekommt. Ich glaube, er ahnt nichts. Man merkt es dir absolut nicht an, dass das alles wegen ihm ist. Und selbst wenn er deine Gefühle nicht erwidern kann, findet ihr sicher eine Lösung. Vielleicht kannst du dann damit abschließen und dich irgendwann wieder für andere begeistern." "Er könnte niemals auf mich stehen." "Warum nicht? Du stehst doch auch auf ihn." "Aber er… er ist nicht-" "Er ist nicht was?", unterbrach ihn Masa scharf, "Er ist nicht schwul? Nicht bi? Das weiß keiner. Cazqui und ich zerbrechen uns schon seit der verdammten Mittelschule den Kopf darüber. Wir schauen ihm seit zehn Jahren dabei zu, wie er alle Liebesgeständnisse höflich ablehnt, nie Dates hat. Selbst wenn er asexuell wäre, hättest du wenigstens endlich eine Antwort, Hiro. Du bist doch sonst so mutig." Aber der Sänger schüttelte nur hilflos den Kopf. Er konnte nicht. "Naja. Wie auch immer. Ich muss dann mal los." "Ich auch." +++ Nervös drehte Hiro das geschmackvoll eingepackte Buch in seinen schwitzigen Händen. Natsu müsste jeden Moment auftauchen. Zum hundertsten Mal wusch er sich die Hände und checkte anschließend sein Aussehen im Spiegel. Er trug eine schwarze Hose, ein schwarzes Hemd und hatte seine Haare ein wenig zurück gegelt. Konzentriert widerstand er dem Drang, den Hauch von Eyeliner, den er aufgetragen hatte, wieder abzuwischen. Er hatte ihn inzwischen schon viermal entfernt, dann aber doch immer wieder nachgezogen. Jetzt war es zu spät. Er wollte nicht riskieren, dass Natsu ihn bei dem Quatsch erwischte. Er trug ständig Eyeliner. Kein großes Ding. Es würde dem Drummer wahrscheinlich nicht einmal auffallen. 'Es ist kein Date. Es ist kein Date. Es ist kein Date', sagte Hiro sich immer wieder vor, aber sein Magen war trotzdem nur noch ein harter, kalter Klumpen vor lauter Aufregung und es war ihm ein Rätsel, wie er in diesem Zustand etwas essen sollte. Da klingelte es an der Tür. Er sprang so hektisch auf, dass seine beiden Katzen erschrocken flüchteten. Irritiert sah er ihnen nach und versuchte, sich auf dem Weg zur Tür irgendwie zu beruhigen. Zumindest äußerlich. Alles war in Ordnung. Das hier war KEIN DATE. Tief durchatmend betätigte er den Türsummer und fokussierte sich darauf, seine angespannten Muskeln zu lockern. Eine Partie nach der anderen. Ganz ruhig ein und ausatmen. Das hier war kein Date. Es gab keinen Grund, sich aufzuregen. Und tatsächlich fühlte er sich ruhiger, war schon fast stolz auf seine Fortschritte, die jedoch sofort verpufften, als sich der Fahrstuhl öffnete und Natsu ihn anlächelte. Er sah atemberaubend aus. Masa hatte nicht gelogen, als er angekündigt hatte, dass sich der Drummer regelrecht aufgebrezelt hatte. Seine Augen waren tiefschwarz umrandet, was ihre wunderschöne Mandelform effektvoll betonte. Er hatte sogar dunklen Lippenstift aufgetragen. Außerdem trug er einen eleganten Trenchcoat, ein dunkelrotes Hemd, das zu seinem Lippenstift passte und eine schwarze, perfekt sitzende Hose. Seine Haare hatte er zu einem strengen Zopf zusammen gefasst, was sein Gesicht noch markanter aussehen ließ. Trotz des Undercuts wirkte es extrem elegant, was wohl an der Attitüde lag, mit der Natsu sein Outfit trug. Er wirkte wie immer selbstbewusst und fast ein wenig arrogant. "Gut, du hast dich für mich hübsch gemacht", tönte er sofort, kam katzenhaft auf ihn zugeschlendert und umarmte ihn eng. Erstaunt ließ Hiro diese ungewohnte Begrüßung über sich ergehen und legte unsicher seine Hände auf den Rücken der Schönheit in seinen Armen. Es fühlte sich so gut an, ihm so nah zu sein, doch normalerweise ging Natsu sehr spärlich mit Körperkontakt um. Schon die Umarmung allein war für Hiro Geschenk genug, doch der Drummer setzte noch eins drauf. Mit tiefer Stimme raunte er dem überforderten Sänger ein "Du siehst toll aus." ins Ohr, bevor er sich von ihm löste. Hiro standen sofort die Nackenhärchen zu Berge und er forschte verzweifelt im Gesicht des anderen, um einen Anhaltspunkt zu finden, was das rätselhafte Lächeln auf dessen Lippen und die für ihn ganz und gar untypische Feststellung zu bedeuten hatten. War das jetzt doch ein Date? Oder nahm er ihn auf den Arm? Es blieb ihm nur die Möglichkeit, mitzuspielen, bis er einen Hinweis bekam, wie er hiermit umgehen musste, also setzte er sein charmantestes Lächeln auf und erwiderte ehrlich: "Danke. Du auch. Das Hemd steht dir hervorragend." Es fühlte sich seltsam befreiend an, so etwas sagen zu können, auch wenn der andere es höchstwahrscheinlich für einen Scherz hielt. "Darf ich dir aus dem Mantel helfen?", spannte er den Bogen weiter und sah sein Gegenüber provokant an. Was Natsu konnte, konnte er schon lange. Doch dieser hielt seinem Blick lächelnd stand. "Aber gern", erwiderte er und drehte Hiro bereitwillig seinen Rücken zu. Nervös strich dieser ihm das Kleidungsstück von den breiten Schultern und hängte es an der Gaderobe auf, während er sich den Kopf darüber zerbrach, wie er weiter vorgehen sollte. Natsu hatte sich währenddessen seine Schuhe ausgezogen und hielt ihm eine Tüte hin. Das schien langsam zur Gewohnheit zu werden. "Ich habe Wein mitgebracht", erläuterte er und tatsächlich zog Hiro eine ziemlich teuer aussehende Flasche Rotwein hervor, die er ratlos in den Händen drehte. Er hatte keine Ahnung von Wein. "Danke", entgegnete er deshalb schlicht und ging voran ins Wohnzimmer. Natsus Präsenz prickelte nahezu auf seiner Haut und er hatte große Schwierigkeiten, sich seine heftige Nervosität nicht anmerken zu lassen. Zum Glück kamen da schon Nyappi und Nyasu angehuscht und lenkten seinen Besuch ab, der sofort in die Hocke ging und die Katzen mit Streicheleinheiten verwöhnte. Schon Sekunden später ließen sich beide von ihm den Bauch kraulen, bis er ihnen schließlich auf die Köpfchen klopfte und ernst sagte: "So meine Schätzchen. Ich bin heute ausnahmsweise nicht nur wegen euch hier sondern wegen eurem Besitzer. Wir haben ein Date." Hiro war so dankbar, dass er Natsu in dem Moment den Rücken kehrte, denn ihm entgleiste vollkommen das Gesicht. Er hatte Date gesagt! Schnell drehte er sich um. Der Ton seines Gastes war absolut nicht zu deuten gewesen und auch in seinem Gesicht fand Hiro keinerlei Anzeichen dafür, ob er das nun ernst meinte oder nicht. "Haben wir das?", fragte er also unschuldig und um ein Pokerface bemüht. Natsus schiefes Lächeln brachte sein Herz zum Stolpern. "Klar. Cazqui hat doch gesagt, wir wären ein hübsches Paar. Lass uns ein Selfie für ihn machen." Schon hatte der Drummer sein Handy in der Hand und den Arm um Hiros Schulter gelegt. Entsetzt sah dieser auf das Display und wurde noch nervöser, als er so schon war. Natsu war so nah. Als sich dann auch noch seine Lippen auf Hiros Wange senkten, betete dieser nur stumm, den Abend irgendwie zu überleben. Natsu, der von der Panik seines Gastgebers keinerlei Notiz zu nehmen schien, betrachtete kritisch das Foto. "Du siehst aus, wie ein erschrecktes Eichhörnchen. Schau gefälligst glücklich, wenn ich dich küsse, Schätzchen", befand er und richtete schon wieder unbarmherzig die Kamera auf Hiro und sich selbst. Ergeben blickte der Ältere in das Objektiv, als ihm auffiel, dass Natsus Kuss einen dunkelroten Lippenabdruck auf seiner Wange hinterlassen hatte. Wie schön es doch wäre, wenn das hier echt wäre. Sein Magen kribbelte und in dem Moment drückte der Drummer auf den Auslöser. Sofort verschwand sein Arm von Hiros Schulter und ein breites Grinsen zierte sein Gesicht, als er das Foto ansah. "Perfekt", murmelte er und postete es in den Bandchat. Auf dem Bild zu sehen waren zwei glückliche Männer. Des einen Wange zierte ein Lippenstiftabdruck und des anderen Mund der zugehörige Lippenstift. Cazqui hatte Recht. Sie waren wirklich ein schönes Paar. Ein scharfes Reißen in Hiros Brust brachte diesen wieder zurück in die Realiät. "Wollen wir vor dem Fernseher essen oder hochoffiziell am Esstisch? Ich hab Fingerfood geholt", fragte er, um sich abzulenken. "Hast du einen Bruce Lee-Film da?", fragte Natsu so strahlend, dass Hiro auch grinsen musste. "Natürlich." "Dann vorm Fernseher?" "Gern. Setz dich." Hiro fiel ein Stein vom Herzen. Natsu eine Stunde lange gegenüber zu sitzen und ein unterhaltsamer Gastgeber zu sein, wäre wohl wirklich zu viel für ihn gewesen. Schnell schnappte er sich seine Katzen und setzte sie in ihr Spielzimmer, dass sie kein Essen klauen konnten, bevor er selbiges auf dem Couchtisch ausbreitete. Er hatte für Natsu Fleisch in allen erdenklichen Variationen besorgt, was der Drummer mit leuchtenden Augen zur Kenntnis nahm, während er den Wein öffnete und ihnen beiden einschenkte. "Dann auf ein gelungenes Weihnachtsdate, Hi-Chan. Cheers", grinste er, bevor er mit dem perplexen Sänger anstieß. "Cheers", antworte Hiro mit belegter Stimme und nahm schnell einen Schluck, um seine Verlegenheit zu verbergen, nur um überrascht die Augen aufzureißen. Er mochte Wein eigentlich nicht besonderes gern, aber der hier schmeckte toll! "Wow! Der ist lecker!", platzte es aus ihm heraus und Natsu lachte leise. "Wusste ich doch, dass du ihn magst. Als ich ihn das erste Mal getrunken hab, hat er mich an dich erinnert. Ich dachte, das wäre ein gutes Geschenk." Perplex sah Hiro ihn an. Hatte er das gerade wirklich gesagt? "Wie... meinst du das?", purzelte es schon aus seinem Mund. Irritiert sah Natsu von seinem Weinglas auf. "Wie meine ich was?" "Wie kann dich ein Wein an mich erinnern?" Der Anflug eines Lächelns huschte über Natsus Züge. "Keine Ahnung. Es war einfach so. Er schmeckt so... auffällig." "Auffällig?" Der Drummer seufzte. "Das verstehst du nicht. Du trinkst zu selten Wein", wiegelte er schließlich ab. Hiro wusste, es wäre besser, es sein zu lassen, aber irgendwie konnte er nicht. Er nahm noch einen Schluck und forderte schließlich ruhig: "Erklär's mir." Natsus Blick durchbohrte ihn regelrecht und ihm wurde ganz warm. Was jetzt wohl kommen würde? Warum hatte er nur weitergebohrt? Er wollte das doch gar nicht wissen... "Nimm ein wenig von den Wein in den Mund, aber schluck ihn nicht runter." Diese unerwartete Aufforderung überraschte Hiro und machte ihn neugierig. Artig tat er also, was Natsu von ihm verlangte. Der Wein schien von Sekunde zu Sekunde anders zu schmecken, als er sich über seiner Zunge ausbreitete. "Schließ die Augen." Zögerlich kam er auch dem nach. "Versuche, herauszufinden, was du schmeckst. Da ist eine leichte Säure, was ist da noch? Dieser Wein ist außergewöhnlich. Wenn du glaubst, du hast eine Idee bekommen, schluck ihn runter." Die Geschmacksnuancen explodierten geradezu auf Hiros Zunge, aber er konnte nicht erschmecken, um was genau es sich dabei handelte. Verwirrt schluckte er irgendwann den Wein herunter und öffnete die Augen. Natsu sah ihn direkt an. Hiro stockte der Atem und sein Herz sprang ihm fast aus der Brust, so intensiv war der Blick des anderen. "Und?", fragte Natsu schließlich, aber der Sänger zuckte nur hilflos mit den Schultern. "Wein ist kompliziert. Es ist am Anfang immer schwer", meinte Natsu aufmunternd. "Ich wusste nicht, dass du dich so gut damit auskennst", versuchte Hiro abzulenken. "Es ist interessant", lachte sein Gast, "Es fasziniert mich irgendwie, dass etwas wie ein Getränk so kompliziert sein kann. Es ist alles nur Wein, aber jeder für sich ist so unterschiedlich. Die Vielfalt ist beeindruckend." "Bist du nicht noch zu jung für sowas?" Natsus heiteres Lachen erfüllte den Raum und ein Teil von Hiro schien zu schmelzen. "Bist du nicht zu alt, um gar nichts über Wein zu wissen?", fragte der Drummer. "Deswegen will ich ja, dass du mir erklärst, warum dich dieser Wein an mich erinnert." "Also gut", Natsu beugte sich ein wenig vor, "Aber wehe, du langweilst dich dabei." "Nein. Es interessiert mich brennend." Und das tat es wirklich, denn er konnte sich nicht im Geringsten vorstellen, was Natsu ihm gleich erläutern würde. "Nehmen wir zunächst einmal die Farbe." Der Jüngere hielt sein Glas ein wenig hoch, bevor er fortfuhr: "Der Wein ist absolut klar und noch sehr dunkel. Das lässt darauf schließen, dass er sehr hochwertig und noch relativ jung ist. Wenn er von schlechter Qualität wäre, wäre er trüb oder schlierig. Alte Rotweine werden meistens heller, aber der hier ist so dunkel wie Blut. Seine Farbe erinnert mich an das Desperate-Video, in dem du so blutverschmiert warst." Überrascht sah der Sänger ihn an, sagte aber nichts. Sein Mund war ganz trocken. "Kommen wir dann zum Geruch", referierte Natsu seelenruhig weiter und roch ein wenig an dem Glas, was Hiro dazu brachte, es ihm gleich zu tun, "Er riecht intensiv, irgendwie würzig. Wenn man ihn gerochen hat, will man ihn einfach kosten." Hiros Herz setzte einen Schlag aus. "Und dann der Geschmack", fuhr Natsu fort und genehmigte sich ein Schlückchen, "Er ist trotz seiner jungen Jahre schon so komplex. Die dezente Süße, die Würzigkeit, die leichte Säure. Wie er all das harmonisch in sich vereint. Die Geschmacksdichte ist beeindruckend. Er ist so kräftig und dann diese Feurigkeit." Ein schwärmerischer Ausdruck stahl sich in sein Gesicht und Hiro wusste vor Verlegenheit nicht mehr, wohin mit sich. Er fühlte sich wieder wie ein Teenager und befürchtete vor Scham und Verunsicherung zu sterben. "Verstehst du irgendwas von dem, was ich sage?", fragte der Drummer schließlich. Hilflos zuckte er wieder mit den Schultern. "Was hat das alles mit mir zu tun?" Natsu sah ihn an, als wäre er verrückt geworden. "Intensität, Kraft und Feurigkeit sind im Allgemeinen Dinge, die man mit dir in Verbindung bringt", stellte er in nüchternem Tonfall fest. "Aber-" Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. "Warum auf einmal so schüchtern? Sonst bist du doch auch extrem selbstbewusst. Eigentlich hatte ich erwartet, dass du mich breit angrinst und mir zustimmst, wie fabelhaft das zu dir passt." "Du hast gesagt, 'Wenn man an ihm gerochen hat, will man ihn kosten'... Und dass er süß ist...", stammelte Hiro peinlich berührt, was Natsu schmunzeln ließ. "Ich denke, eine Menge Menschen finden dich süß und wollen dich kosten", meinte er amüsiert. 'Gehörst du zu diesen Menschen?', lag es ihm auf der Zunge, doch er blieb still. Sah ihn nur verloren an, bevor er endlich wieder zu sich selbst fand, ein Lächeln in sein Gesicht zwang und "Verdammt richtig" raunte, bevor er ablenkte: "Ich hab auch ein Geschenk für dich." Schnell drückte er ihm das Päckchen in die Hand, welches Natsu sofort öffnete und ein begeistertes Geräusch ausstieß, als er die Erstausgabe in den Händen hielt. "Ich hab Masa gefragt", beeilte sich Hiro, zu sagen. "Hab ich mir schon gedacht, aber es ist trotzdem fantastisch. Ich hab sie immer vergessen, abzuholen und dann war Midori nie da und ich wollte die andere nicht fragen, weil die immer so zickig wird, wenn man Sachen nicht sofort abholt", meinte er lachend und kratzte sich am Kopf, "Und jetzt muss ich es nicht einmal bezahlen. Vielen Dank, Hiro." "Gern. Wollen wir essen?" "Unbedingt!" Sofort belud sich der Drummer seinen Teller mit einem Berg Fleisch und Hiro startete den Film. Es war einfach faszinierend, wie ausgehungert sich Natsu auf das Essen stürzte und er musste sich sehr zusammenreißen, seinen riesigen Fernseher anzusehen und nicht den schönen, verfressenen Mann neben sich. Er wollte auch gerade zugreifen, da ertönte ein derber Fluch. Sofort sah auf und erkannte das Problem: eine dicke Haarsträhne hatte sich aus Natsus Zopf gelöst und der war unfähig, etwas gegen das vor seiner Nase baumelnde Haar zu unternehmen, da beide Hände und auch sein Mund schon vollkommen fettig von den den Chickenwings waren, die er sich gerade einverleibt hatte. Grinsend betrachtete er den Drummer, der ihn finster hinter seinem Haarvorhang anstarrte. "Jetzt hilf mir schon", maulte er. Hiros Nervosität schwang sich in neue Höhen, als er sich vorbeugte und ihm die Strähne hinters Ohr strich, von wo sie allerdings sofort wieder hervor sprang. "Ich befürchte, das wird so nichts", meinte er, "Willst du dir nicht kurz die Hände waschen und den Zopf neu machen?" "Bullshit. Mach schon." "Wisch sie dir an ner Serviette ab." "Willst du, dass meine Haare nach Frittierfett riechen?" "Mir ist egal, wie deine Haare riechen", bemühte sich Hiro, normal zu wirken. "Jetzt mach schon! Was bist du denn für ein Gentlemen? Dein Date ist in Nöten!", beharrte Natsu stur. Hiros presste seine Lippen zusammen. Warum musste er jetzt wieder davon anfangen? Als wenn er nicht schon fertig genug wäre! "Stell dich nicht so an. Mach es selbst." "Bitte...", jammerte Natsu und knabberte umständlich, ohne seine Haare zu berühren an einem Chickenwing, "Ich hab so einen Hunger..." "Du nervst", fauchte Hiro schließlich, beugte sich aber trotzdem vor, wobei er versuchte, zu ignorieren, wie verdammt nah er Natsu damit kam, als er das Zopfband löste und die langen Haare des Drummers seidig über dessen Schultern flossen. Er mochte es, dass er sie wachsen ließ und er mochte den Undercut. Natsu sah so noch schöner aus. Eigentlich viel zu schön. Mit zittrigen Fingern fuhr er durch die seidigen Haare, um sie an seinem Hinterkopf zu einem Zopf zusammen zu fassen und das Zopfband darum zu schlingen. Er hatte es schon fast geschafft, als Natsu seinen Kopf ein wenig schräg legte. Hiro hatte die ganze Zeit mit aller Kraft vermieden, ihn anzusehen, aber nun tat er es, befürchtete er doch, den Zopf zu straff zu gemacht zu haben. Er sah nicht den befürchteten Schmerz in Natsus Augen, sondern lediglich eine Art katzenhaftes Interesse. Dann drang zu ihm durch, dass seine Hände automatisch den Zopf fertig gebunden hatten, er aber immer noch nicht seine Finger aus seinen Haaren genommen hatte. Es war, als stünde die Zeit still, weil keiner von beiden sich bewegte. Lediglich Natsus Atem strich über Hiros Gesicht, was diesen darin bestärkte, dass er verdammt noch mal seine Hände aus den Haaren nehmen musste. Natsu legte seinen Kopf noch ein wenig schräger und sah auf Hiros Mund, während dieser langsam ernsthaft befürchtete, zu kollabieren, sich aber nicht rühren konnte. "Deine Lippen sind ganz rot vom Wein", raunte der Drummer und Hiro leckte sich unbewusst über selbige, während sein Blick sich ebenso am Mund seines Gegenübers verfing, auf dessen dunkelrot geschminkten Lippen der Wein unsichtbar blieb. Er war so verdammt nah. Er musste sich nur ein wenig nach vorn beugen und - Versonnen biss sich Hiro auf die Lippe und der Schmerz ließ ihn zu sich kommen. Sofort zog er seine Hände zurück und brachte Raum zwischen sich und seinen Gast, während er sich eine Serviette griff und sich verlegen den Mund abwischte. Tatsächlich war sie ganz rot verfärbt. "Bei dir sieht man es nicht", meinte er fahrig und versuchte, seine aufgebrachten Nerven zu beruhigen. Er hatte den Eindruck, man könne sein Herz von außen gegen seine Rippen hämmern sehen. "Ja...", erwiderte Natsu in einem rätselhaften Ton, doch Hiro traute sich nicht, den Blick zu heben. Er war zu durcheinander und hatte einfach Angst davor, dass der Drummer ahnte, was ihm durch den Kopf ging. Das er ihn gerade hatte küssen wollen. Konzentriert versuchte Hiro, normal zu wirken, sich seine Hysterie nicht anmerken zu lassen und Natsu so wenig wie möglich anzusehen und auf keinen Fall zu berühren. So sahen sie noch drei weitere Filme, bis Natsu schließlich vor Müdigkeit die Augen fast zufielen und er sich zum Gehen anschickte. "Das war das schönste Weihnachtsdate, das ich je hatte", meinte Natsu mit einem kleinen Lächeln, als er im Flur in seinen Mantel schlüpfte. Hiro mochte es, wenn der Drummer satt und müde war. Er war dann viel sanfter. Fast umgänglich. "Das freut mich. Hattest du schon viele Weihnachtsdates?", nuschelte Hiro in Richtung seiner Fußspitzen und spürte, wie er schon wieder rot wurde. "Du wirst es nie erfahren", amüsierte sich Natsu über seine Unwissenheit. "Ich weiß", murrte Hiro. "Du bist ganz rot. Zu viel Wein?" Er wäre am Liebsten im Erdboden versunken. "Ja. Zu viel Wein." Und zu viel Natsu. Viel zu viel Natsu. Da spürte er zwei Finger an seinem Kinn, die es hoch zwangen. Unwillig sah er den Grund für seine Gesichtsfarbe an. "Gib mir ein Küsschen, dann ist das Date perfekt", schnurrte Natsu geradezu. Hiro dagegen glaubte zu träumen und starrte ungläubig auf die dargebotene Wange. "Warum?", fragte er und klang heiser. "Das macht man so bei Dates oder nicht?" Hiros Wangen glühten, doch er hatte keine Wahl. Wenn er jetzt kniff, würde das extrem merkwürdig wirken, schließlich hatte ihm Natsu vorhin auch ein kleinen Kuss aufgedrückt. Es war ja auch nichts dabei. Trotzdem wäre er vor Aufregung fast explodiert, als seine Lippen die zarte Wange des Drummers berührten. Hiro hielt die Berührung zwar so kurz wie möglich, aber trotzdem hatte er das Gefühl, seine Lippen würden brennen, während er sich gleichzeitig in Grund und Boden schämte, als 31jähriger Mann derart auf einen Kuss auf die Wange seines Bandkollegen zu reagieren. "Ist alles ok, Hiro?", fragte Natsu natürlich unbarmherzig nach. "Ja. Warum?" Seine Stimme klang viel zu dünn, wie er beschämt feststellen musste. Natsu sah ihn prüfend an und Hiro betete, dass er es gut sein lassen würde, wurde aber nicht erhört. "Masa hat gesagt, du bist unglücklich verliebt. Warum erzählst du mir nichts davon? Sonst hast du mich doch auch nie mit Details aus deinem Liebesleben verschont." "Ich dachte, ich nehme mir ein Beispiel an dir. Du verschonst mich schon, so lange wir uns kennen, mit Details aus deinem Liebesleben", kam es derart trotzig über seine Lippen, dass Natsu amüsiert auflachte. "Warum interessieren sich immer alle so für mein Liebesleben?" "Weil es ziemlich geheimnisvoll ist, dass man dich wirklich niemals mit jemanden sieht." Der Drummer verschränkte die Arme. "Das ist doch Quatsch. Ich treffe mich zum Beispiel oft mit Sora." "Und das heißt, dass du ihn datest?" Wieder lächelte Natsu so seltsam. "Das habe ich nicht gesagt." "Ich weiß. Du sagst nie etwas dazu." "Weil ich weiß, dass es euch nervt. Ich nerve euch gern. Außerdem ist meine Sexualität ganz allein meine Sache." Hiro seufzte ergeben. Er hatte ja Recht. Es ging ihn nichts an. Es ging keinen etwas an. Aber... Sie waren doch Freunde, oder nicht? "Ich hab dir auch erzählt, dass ich bi bin." Natsus Blick verdüsterte sich. "Nicht jeder kann so offen sein wie du." Sofort tat es Hiro leid, dass er so einen Druck gemacht hatte, also versuchte er es, wie es nun einmal seine Art war, mit Albernheiten. "Aber da du mich heute gedatet hast, liegt die Sache ja wohl auf der Hand. Du bist mindestens bi", meinte er mit seinem breitesten Grinsen, das sein Gast sofort erwiderte. "Vielleicht bin ich ja sogar schwul, wer weiß?" Hiros Herz macht einen Hüpfer bei der Art, wie Natsu ihn ansah. "Ich werde es nie erfahren", sagte er. "Wer weiß. Wenn du Lust auf ein Silvesterdate hast, erfährst du es vielleicht." Mit riesigen Augen sah Hiro den Drummer an. "Was?", fragte er überfahren. Da legte Natsu seinen Kopf schräg, schenkte ihm einen wahnsinnig intensiven Blick und fragte: "Willst du auch mein Silvester-Date sein?" Unbewusst hielt Hiro die Luft an, während sein Puls derart raste, dass er befürchtete, umzukippen. "Ok", wisperte er nur. Eigentlich hatte er sich mit seiner Familie treffen wollen, aber verdammt, die mussten warten. "Fantastisch", raunte Natsu, verabschiedete sich mit einer sanften Umarmung und schon war er weg. Hiro sah noch eine ganze Weile die Tür an. Warum hatte er zugesagt? Das war doch idiotisch. Seine Mutter würde ihn umbringen. Aber andererseits: Hatte er eine Wahl gehabt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)