Luzifer´s Angel von DasFlausch ================================================================================ Kapitel 1: Luzifer´s Angel -------------------------- Mit jedem Windhauch spürte sie den warmen Frühlingswind ihre Haut streicheln, sanft wie die Berührung eines Geliebten. Sie verbrachte gerne und viel Zeit in dem großzügig angelegten Garten ihres Anwesens. Die kleine Lichtung, auf der sie stand, was umringt von herrlichen Blumenbeeten, gestutzten, bunt blühenden Büschen und Sträuchern und weisen, alten Laubbäumen, deren dichtes Blätterdach selbst an den heißesten Tagen stets ein kühles Plätzchen garantierten. Der Garten war so weitläufig und zum Teil verwinkelt, dass ihr nur selten Bedienstete über den Weg liefen und man sie nicht so schnell finden konnte, wenn sie mal wieder mit sich und ihren Gedanken allein sein wollte. Oh, wie sehr sie diese stille Einsamkeit genoss, welche lediglich vom leisen Gesang der Vögel untermalt wurde. Hier konnte sie in aller Ruhe nachdenken und gänzlich in ihren Gedanken versinken, ohne gestört zu werden. Dieser Welt entfliehen, wann immer ihr danach war, und sei es nur für den flüchtigen Augenblick. Warum konnte es nicht immer so ruhig und friedlich sein wie jetzt und hier? Sie seufzte leise und verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Nur ein stummer Wunsch. Zwar sehnte sie sich nach einem Ort, an dem Ruhe und Frieden zu Hause waren und die Hektik des Alltags keinen Zutritt hatte, aber sie war doch Realistin genug um zu wissen, dass ein solcher Ort nicht existierte. Und dennoch – ein kleiner Teil von ihr träumte ihn dennoch herbei. „Emily!“, hörte sie ihren Namen im Wind. Christopher, ihr Verlobter, lief winkend auf sie zu. „Ich suche dich schon die ganze Zeit. Dieser Garten ist einfach zu groß und verwirrend, wie soll ich dich in diesem Labyrinth denn finden?“. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Christopher Lloyd River war ein gutaussehender, stattlicher Mann von dreiundzwanzig Jahren, mit dem ihre Eltern sie, Emily White, verlobt hatten. Es war nicht unüblich, bereits mit siebzehn Jahren verheiratet zu werden, aber Emily fühlte sich noch nicht dazu bereit. Zudem wollte sie immer nur aus Liebe heiraten, und diese brachte sie dem jungen Lord nicht entgegen. Er war lieb zu ihr, höflich und zuvorkommend, aber reichte das aus, um sein Leben miteinander zu verbringen – und glücklich zu sein? „Emily“, sagte er, während er nach ihrer linken Hand griff; in der rechten hielt sie einen Strauß frisch gepflückter Margeriten, ihre Lieblingsblumen. „Du musst mit deinen Träumereien aufhören, Liebes. Komm, deine Eltern erwarten uns, um mit uns über die Hochzeitsvorbereitungen zu sprechen.“ Sie nickte. „Gut, dann lass uns gehen, mein Vater hasst es, warten zu müssen, und ich möchte ihn ungern erzürnen.“. Christopher lächelte sie sanft an und zog sie in seine Arme, so, wie er es oft tat, wenn sie so sprach. Scheinbar mochte er ihre unsichere, unterwürfige Seite, die nie widersprach, besonders gerne. Mit den Worten „Du bist lieb, Emily“, strich er ihr übers glatte, braune Haar und sog ihren Duft nach Frühling ein. Zaghaft erwiderte sie seine Umarmung, fühlte dabei aber nichts. Schon lange wusste sie, dass es Jemanden gab, für den sie bestimmt war, der auf sie wartete und sie suchte. Wer diese Person war, wusste sie nicht. Sie hatte sie noch nie gesehen, kannte weder ihren Namen noch ihr Gesicht. Dennoch war sie sich sicher, dass es sie gab und sie nicht nur in ihren Träumen lebte. „Wer auch immer du bist, bitte, stirb nicht vor mir...“. Die wilden Augen des Raben, der sie die ganze Zeit beobachtet hatte, folgten ihr, als sie den Weg zum Haus entlanggingen. „Krah!“, schrie er in die Stille und flog mit dem Wind davon. Der Mond stand groß und rund am Himmel und ließ alles im Meer seines sanften Scheins versinken. Emily saß in ihrem Bett und betrachtete die helle Scheibe am sternenverhangenen Nachthimmel durch ihr Fenster. „Ob du gerade auch diesen Mond anschaust?“, dachte sie, ohne sagen zu können, an wen sich diese Frage richtete. Ihre großen, braunen Augen, aus denen ein trauriger Blick sprach, begannen, sich mit Tränen zu füllen. Wenn sei ganz alleine war und wie jetzt im Dunkeln saß, weinte sie oft für sich allein, umklammerte ihre angewinkelten Beine, legte den Kopf, schwer wie Blei, auf ihre Knie und hoffte, sie, die Person, von der sie nichts kannte und wusste, würde sie finden und mitnehmen. Jetzt. In diesem Moment. Sie war bereit. Sie lief und lief und lief. Was war ihr Ziel? Wo wollte sie hin? Ihre Füße trugen sie von selbst, ohne ihr die Antwort auf ihre Fragen geben zu können. Der kalte Nachtwind ließ ihre Augen tränen, und die feinen Härchen an ihren Armen und Beinen stellten sich auf, dennoch fror sie nicht. Emily wusste, dass es ein Traum war, denn sie träumte ihn nicht zum ersten Mal. Er spielte sich immer gleich ab: Sie lief durch den Wald, zielstrebig und entschlossen, konnte aber nicht sagen, wen oder was sie zu finden hoffte. Sie lief einfach durch die dicht stehenden Bäume, die Dunkelheit hindurch, und das die ganze Nacht. Normalerweise wachte sie morgens erschöpft auf, so, als sei sie tatsächlich die ganze Nacht gerannt, doch dieses Mal war es anders. Zwar trugen ihre Füße sie wie sonst auch durch das Gehölz, aber sie konnte den Wind in ihrem Haar, das kalte Moos unter ihren Füßen und die dürren Äste, die ihre Krallen nach ihr ausstreckten und hier und da den dünnen Stoff ihres Nachthemdes zu fassen bekamen, deutlich spüren. Die Eulen, die auf der Jagd waren und mit ihren riesigen, allwissenden Augen ihre Beute erspähten, hören. Die lautlosen Schatten, die um sie herumschwirrten und sich einen Spaß daraus machen, ihr das Gefühl zu geben, beobachtet zu werden, sehen. Das feuchte Moos riechen. Alles wirkte so real, was sie nur umso mehr verwirrte. „Bitte“, keuchte sie in die Schwärze der Nacht hinein, „zeig dich mir heute Nacht, sonst verliere ich noch den Verstand.“. Und dann geschah etwas, was vorher noch nie in einem ihrer Träume geschehen ist: Sie blieb stehen. Völlig außer Atem rang sie nach Luft, sog diese gierig in ihre Lungen und versuchte, bei Kräften zu bleiben und nicht umzufallen, was angesichts der Tatsache, dass der Boden unter ihr gefährlich schwankte, ein schwieriges Unterfangen war. Sie entschied, dass es besser war, sich hinzusetzen und darauf zu warten, dass die Welt um sie herum aufhört, sich zu drehen, auch, wenn das bedeutete, dass sie sich ihrem unbekanntem Ziel wohl nicht nähern und dessen Identität heute Nacht in Erfahrung bringen würde. Aber diese Pause gab ihr die Gelegenheit, sich ihre Umgebung endlich ein mal intensiv anschauen zu können. Es war nicht der Garten ihres Elternhauses, und auch nicht der daran angrenzende Wald, dessen war sie sich sicher. Diesen kannte sie seit ihrer Kindheit in – und auswendig, und er war bei weitem nicht so bedrohlich und düster wie dieser hier. Und dennoch fürchtete sie sich nicht, was nicht nur dem Umstand, dass es sich um einen Traum handelte, geschuldet war. Irgendetwas gab ihr ein unbestimmtes Gefühl von Sicherheit. Von Vertrautheit. Ob es wohl die Obsidianaugen des Raben waren, die sie mit ihrem Blick festhielten? Auf ein mal sah sie es. Nur schwach, nur eine Silhouette, ein schwacher Schatten in der Ferne, aber es durchfuhr sie beim Anblick dessen wie ein Blitz: Sie war es! Die Person, nach der sie sich so sehr sehnte, die, die sie schon immer gesucht hat. „Warte, geh nicht weg, warte auf mich, bitte!“, rief Emily in die Nacht und rappelte sich auf. Unsicher, ob ihre Füße sie noch ein mal tragen würden, ging sie einen Schritt vor. „Komm“, flüsterte eine verführerische, weiche Stimme, und der Schatten breitete seine Arme aus, gleich einem Engel, der seine Flügel ausbreitet, um sie mit einer sanften Umarmung Willkommen zu heißen. Unter Tränen rannte Emily los. So schnell, dass ihr Haar ihr an der Stirn und im Nacken kleben blieb. Die Krallenäste rissen an ihrem Gewand, so, als wollten sie sie aufhalten und zu Fall bringen, doch keine Macht der Welt konnte sie jetzt noch aufhalten, jetzt, da sie sie endlich gefunden hatte, sie, die Quelle ihrer Sehnsucht. Sie war dem Schatten nun schon so nah, dass sie sich nur noch fallen lassen musste, um in seine Arme fallen zu können, was sie auch tat. Sie wusste, dass sie sie auffangen und halten würden, sie wusste es einfach. Die Arme umfingen sie, stark und zärtlich zugleich, und sie ließ es geschehen. Überall, wo ihre Haut von dem Schatten berührt wurde, kribbelte es, und ihr wurde warm. Der Mann, der sie hielt, roch nach Wald, Wind und Winter, eine verführerische Mischung, die sie begierig aufsog. Ihr Ohr an seiner Brust lauschte dem Klang seines Herzens, welches ihren Namen zu singen schien. Noch nie zuvor hatte sie sich so geborgen gefühlt. „Du bist es“, flüsterte sie mit einem Lächeln auf den Lippen, „auf dich warte ich all die Jahre. Bitte, lass mich nie, nie wieder los, Geliebter.“. Als seine Finger ihr Kinn anhoben, sie in den eisblauen Augen zu versinken drohte und ihre Lippen sich den seinen näherten, hatte sie nur einen einzigen Wunsch: „Lieber Mond, lass diesen Moment ewig andauern.“ Übergangslos schlug sie die Augen auf, ein stummer Schrei entwich ihrer Kehle. „Nein, bitte, nicht“, klagte Emily, und wünschte sich in diesem Moment den Tod herbei, auf dass sie für immer schlafen würde können. Wie konnte sie kurz vor der Erfüllung ihrer größten Sehnsucht einfach aufwachen? Es wollte nicht in ihren Kopf, ihr Verstand konnte und wollte es nicht begreifen. Und dennoch... konnte sie seinen Atem noch auf ihren Lippen spüren. „Wer bist du?“, hauchte sie und hoffte, ihm in der nächsten Nacht noch ein mal zu begegnen, um eine Antwort darauf zu bekommen. Es war bereits später Nachmittag, und der Himmel zog sich immer mehr zu. Ein Gewitter kündigte sich an, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Himmel sich komplett verdunkeln und eine Arie des Donners erklingen würde. Doch Emily nahm dies gar nicht wahr. Sie saß am Ufer des künslich angelegten Sees und starrte in die Leere, mit ihren Gedanken, düster wie die grauen Unwetterwolken, weit fort. Den ganzen Tag lang über schon versuchte sie, den Traum der vergangenen Nacht zu ergründen, herauszufinden, wer der Mann gewesen ist, der ihr fremd und doch so vertraut was, dass sie jederzeit und ohne einen Moment des Zögerns ihr Leben für ihn geben würde. Nur wenige Meter von ihr entfernt und ihren Augen doch unsichtbar hockte der Rabenjunge zu Füßen eines großen Mannes. Dessen nackter Oberkörper schien aus weißem Marmor gemeißelt zu sein, schön und makellos wie der einer griechischen Gottheit, doch sein Rücken war übersäht von Narben, die eine Geschichte der Pein erzählten. Seine eisblauen Augen waren auf Emily gerichtet und streichelten ihre blassen Wangen. „Meister“, sprach der Rabenjunge mit einem unverkennbaren Lächeln in der Stimme, „sollen wir sie jetzt erwecken?“. „Sie ist immer noch so schön wie zu jener Zeit...“. „Meister?“. Dieser schloss die Augen und schüttelte leicht den Kopf, wobei sein schwarz glänzendes Haar , welches er zum Zopf zusammen gebunden trug, in den letzten Strahlen der Nachmittagssonne erstrahlte. „Nein“, sagte er mit tiefer, weicher Stimme, „noch nicht, Remus, wir warten noch. Aber bald schon wird sie erwachen und in ihrem einstigen Glanz erstrahlen, stolzer und anmutiger als jemals zuvor.“ Mit diesen Worten verschwand er im Nebel, aber nicht, ohne Emily ein stummes Versprechen zu geben. Das Versprechen, sie heute Nacht wieder zu besuchen. Die Wolken brachen, ein einzelner Blitz zuckte am Himmel und kündigte das nahende Gewitter an. Emily stand auf, klopfte sich lose Grashalme von ihrem hellblauen Kleid und machte sich auf den Weg nach Hause, wo ihre Eltern sie bereits zum Abendessen erwarten würden. „Mein Engel“, flüsterte Emily mit Tränen in den Augen. Sie wusste, dass sie träumte, dass der wunderschöne Mann mit den dunklen, imposanten Flügeln, welcher sie mit warmem Blick und offenen Armen erwartete, nicht real war; und dennoch wollte sie nichts mehr, als in seinen Armen zu liegen, ihr Ohr an seine Brust zu legen und seinem Herzschlag zu lauschen. Sie wollte wissen, wer er ist, wie er riecht, wie er sich anfühlt, wie er schmeckt. Tausend Fragen lagen ihr auf der Zunge. Als er aber ihre Hände in seine nahm und seine Lippen die ihren fanden, versank sie vollkommen in diesem innigen Moment. „Bitte, lass diesen Augenblick niemals enden“, dachte sie, und eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Eine glänzende Perle in der Nacht. „Meine Schöne“, sprach der schwarze Engel an ihrem Mund, sodass sie seinen heißen Atem auf ihren Lippen spüren konnte. Ein Gefühl, süß und verführerisch wie der Apfel aus dem Garten Eden. Seine Arme legten sich um ihre Schultern, und Emily blickte ihm in die Augen, die blau und unendlich waren wie das Polarmeer. Die Frau, die sich in diesen Augen spiegelte, war zweifelsohne sie, aber... auch wieder nicht. Ihr Haar wirkte heller, kühler, und ihre Gesichtszüge erwachsener und feiner. Bevor sie sich in ihren Grübeleien verlieren konnte, holte die Stimme des Engels sie zu sich zurück, sodass sie nichts mehr wahrnahm als den weichen, warmen Klang seiner tiefen Stimme, die sie – wie ihr jetzt erst bewusst wurde – heute zum ersten Mal hörte. „Meine Schöne, der Morgen naht, und somit auch der Abschied. Ich sehe die Traurigkeit in deinem Blick, aber weine nicht, bald schon werden wir uns wiedersehen.“ - „Wirst du mich nächste Nacht wieder im Traum aufsuchen?“ - „Ganz gewiss. Das werde ich nächste Nacht und jede darauffolgende, so lange, wie du es wünschst.“ Dünne Tränen liefen Emilys Wangen hinab und hinterließen einen feuchten Film auf ihrer Haut. Sie wollte nicht, dass er ging. Konnte sie nicht einfach für immer schlafen, wenn dies bedeuten würde, dass er bei ihr bliebe? Was war nur los mit ihr? Sie hing so sehr an ihm, verzehrte sich nach seinen Blicken, seinen Berührungen, dabei wusste sie noch nicht einmal... „Verrätst du mir wenigstens, wie du heißt?“, fragte sie schüchtern. Mit einem Lächeln, welches sie mehr wärmte als die Sonne es je zu können vermochte, hob er ihr Kinn an und küsste sie erneut, liebevoller und inniger als zuvor. Das Herz der jungen Frau schlug so schnell, dass sie befürchtete, es müsse zerspringen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und zog ihn näher an sich heran. Eine Leidenschaft, die sie an sich gar nicht kannte, breitete sich in ihrem Inneren aus, ließ ihr Blut durch ihre Adern rauschen und ihren Puls beschleunigen. Ihre Hände wanderten über seinen Nacken, strichen über seine Schultern und legten sich auf seine Brust. Als er seine Lippen wieder von ihren löste und ihr „Du wirst dich bald wieder an meinen Namen erinnern!“ ins Ohr hauchte, spürte sie bereits, wie der Morgen an ihr zog und versuchte, sie dem Schlaf zu entreißen. Jeder Versuch, sich dagegen zu wehren, misslang, und so fand sich Emily, als sie die Augen aufschlug, in ihrem Bett wieder, geblendet von den ersten Sonnenstrahlen, die den Weg durch die schweren Vorhänge fanden Seufzend setzte sie sich auf und trauerte dem Traum hinterher. Heute Morgen allerdings mit einem Lächeln auf den Lippen und einem wohligen Gefühl im Herzen. Sie schlang sich die Arme um die Brust, als könne sie dieses angenehme Gefühl so bewahren, und wiegte sich leicht hin und her. Noch immer konnte sie seinen würzigen Duft riechen und seinen heißen Atem an ihrem Ohr spüren. Ein Schauer durchlief sie. Schon immer hatte sie sich nach Liebe, Zärtlichkeit und Leidenschaft gesehnt, ohne überhaupt zu wissen, wie sie sich wohl anfühlen mögen. Nun wusste sie es und wollte diese Gefühle nie mehr missen und immer und immer wieder spüren können. „Heute Nacht, Emily, heute Nach.“ Dieser Gedanke, so hoffte sie, würde sie den vor ihr liegenden Tag schnell hinter sich bringen lassen. Wie jeden Tag, sofern es das Wetter zuließ, spazierte Emily durch die Gärten ihres Zuhauses und pflückte Blumen. Aber etwas hatte sich verändert: Anstatt wie sonst mit trüben Gedanken und einer kaum fassbaren Traurigkeit, lief sie heute fröhlich durch die Beete. Mit glänzenden Augen, einem Lächeln im Gesicht und einem Lied auf den Lippen. Beobachtet von zwei bekannten Augenpaaren. Schwarz und giftig wie Asche. Blau und tief wie der Ozean. Remus wollte seinem Herrn erneut die Frage stellen, ob er Emily erwecken solle, sah aber, dass er tief versunken in ihren fröhlichen, unbeschwerten Anblick war. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er ihn das letzte Mal hat lächeln sehen, aber es war auf jeden Fall viele, viele Monde her. Eine Ewigkeit. „Ihr habt sie geküsst, habe ich Recht?“. Das neckische Schmunzeln verriet ihn. „Dir kann ich wohl nichts vormachen, Remus. Mein Gesicht ist dir ein offenes Buch.“. „Das war nicht schwer zu lesen, das hätte selbst ein Andhaka (blinder Dämon) bemerkt. Eure Miene war auch schon mal undurchdringlicher, Meister.“ - „Da magst du Recht haben“, antwortete dieser mit einem amüsierten Unterton in der Stimme. Der Rabenjunge, Remus, war schon lange sein treuer Gefolgsmann, sein Vertrauter, seine Augen. Keiner konnte ihn besser lesen als er. Keiner, außer... „Emily!“, rief Christopher laut, und die Wut, die er in sich trug, war deutlich herauszuhören. „Ich hätte mir denken können, dass du dich mal wieder hier herumtreibst und albernen Kindereien nachgehst.“ Unsanft packte er ihren rechten Arm, dem sogleich alle Margeriten entglitten, die Emily mit den Erinnerungen der vergangenen Nacht im Herzen tragend gepflückt hatte. Jede Fröhlichkeit und Unbeschwertheit war aus ihrem Gesicht gewichen, und in ihre Augen trat die altbekannte Einsamkeit zurück. „Hör endlich auf, so verträumt und kindisch zu sein und werde erwachsen. Wie soll ich mich denn so mit dir sehen lassen, Emily? Du blamierst mich nur mit deinem unreifen Verhalten!“ Sie blickte zu Boden und kämpfte mit den Tränen. Die Worte ihres Verlobten hatten sie hart getroffen. „Du hast Recht, Christopher, bitte, verzeih mir. Ich werde mich bemühen, kein Kind mehr zu sein und eine Frau zu werden, die deiner würdig ist.“ Sie verfluchte sich innerlich selbst für ihre Unterwürfigkeit und ihre Schwäche und war dennoch außerstande, sich anders zu verhalten. So war sie schon immer gewesen. Bereits als Kind war sie stets darum bemüht, es allen Recht zu machen und Niemandem zur Last zu fallen. Als ihr irgendwann bewusst wurde, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse vollkommen verdrängte und ignorierte, sich selbst klein hielt und unglücklich machte, war es schon zu spät, etwas zu ändern. Jeder kannte sie so, jder erwartete von ihr, selbstlos und zurückhaltend zu sein. Und somit fügte sie sich in diese Rolle und verschloss ihr wirkliches Ich immer mehr. „Vielleicht“, hörte Emily Christopher sprechen, und der Klang in seiner Stimme ließ sie vor Angst erstarren. Ein beklemmendes Gefühl überkam sie, und eine Stimme in ihrem Kopf schrie „Gefahr!“, als sich eine Hand in ihren Haaren festkrallte und die andere sie hart zu Boden stieß. „Vielleicht sollte ich dich einfach zur einer Frau machen“, raunte Christopher ihr ins Ohr, während seine Hände an ihren Hals glitten. Die Angst lähmte sie, sie konnte weder schreien noch sich bewegen. „Christopher, bitte, hör auf, ich... ich will das nicht...“. Ihre Stimme brach, als seine rechte Hand unter ihr Kleid und zwischen ihre Beine glitt. „Nein!“, wollte sie schreien, doch kein Laut vermochte es, über ihre Lippen zu kommen, und stattdessen kniff sie die Augen fest zusammen. Vielleicht war das nur ein böser Traum, und sie musste nur aufwachen... Sie spürte einen Windhauch und wie das Gewicht, welches auf ihr lastete, verschwand. Als sie die Augen aufriss, sah sie Christopher am Boden liegen, niedergerungen von einem Mann mit weißer Haut und schwarzen, langen Haaren, eingehüllt in große, dunkle Schwingen. „Wenn du es noch ein Mal wagen solltest, sie anzufassen, sie auch nur anzusehen, so schwöre ich dir, reiße ich dir mit bloßen Händen das Fleisch von den Knochen, die Eingeweide aus dem Leib, und schmeiße deinen wertlosen Kadaver den niederen Dämonen zum Fraß vor!“. Brüllender Zorn donnerte aus seiner Stimme, die trotz aller Wut ruhig und beherrscht war, was sie umso bedrohlicher klingen ließ. Seine Worte waren keine Drohung, sondern ein Versprechen. Emily stand mit zitternden Beinen auf und schwankte einen Schritt auf die beiden am Boden liegenden Männer zu. „Luzifer“, flüsterte sie kaum hörbar, doch der Engel aus Marmor wandte beim Klang ihrer Stimme seinen Kopf in ihre Richtung. Er erhob sich, und als ihre Blicke sich trafen lief Emily los und ließ sich mit der Gewissheit, dass er sie auffangen möge, in seine Arme fallen. Er hielt sie so sanft, als hätte er Angst, sie zu zerbrechen wie eine Figur aus Glas. Seine Finger strichen durch ihr Haar, in welches er sprach. „Ich sagte dir doch, du würdest dich bald wieder an meinen Namen erinnern.“ Christopher kam benommen auf die Beine. Wut, Verwirrung und Entsetzen standen ihm ins Gesicht geschrieben. Hatte er so einen harten Schlag abbekommen, oder spielten seine Augen ihm einen Streich? Lag Emily tatsächlich in den Armen eines schwarz geflügelten Engels? „Was zur Hölle wird hier gespielt? Wer oder was bist du?“. Mit eiskaltem Blick sah Luzifer ihn an, und Christopher wusste, könnte der Engel mit Blicken töten, so würde er hier und jetzt tot umfallen. Ihm wurde kalt. „Dir Abschaum bin ich keinerlei Rechenschaft schuldig“, erklang Luzifers Stimme hart. Emily, die noch immer in seinen Armen lag und daran auch nichts ändern wollte, legte ihm eine Hand an die Wange und zwang ihn sanft, sie anzusehen. Sofort wurde sein Blick weich und liebevoll, und Emily erkannte, dass er sich genauso nach ihr gesehnt hatte wie sie sich nach ihm. Dieser Gedanke entlockte ihr ein scheues Lächeln. „Nessaja“, flüsterte Luzifer, während er ihre Wange streichelte und ihr intensiv in die Augen sah. Da war sie wieder, die ihr unbekannte Frau, die sich in seinen Augen spiegelte und die ihr doch so ähnlich sah. „Nessaja...“, wiederholte Emily, und da verstand sie. „Vor dir steht Luzifer, der Herr der Unterwelt, der mächtigste und stolzeste Engel, den der Himmel je hervor gebracht hat, also zolle ihm gefälligst den angemessenen Respekt, du jämmerliche Made“, sagte Remus, der hinter seinem Meister hervortrat und Christopher mit seinem Giftblick fixierte. Christopher wollte etwas sagen, aber er war unfähig, seine Lippen oder ein anderes Körperteil zu bewegen. Die Bedrohung, die von dem unheilvoll grinsenden Jungen mit den Rabenflügeln ausging, versetzte ihn in Schockstarre. Selbstverständlich nahm Remus dies wahr und wirkte äußerst amüsiert, als er weitersprach. „Und dies“, er zeigte auf Emily, „ist Nessaja, Luzifers Gefährtin, die einst von Gott ausgelöscht worden ist. Weil er ein eifersüchtiger, narzisstischer Bastard ist, verbietet Gott seinen Engeln die Liebe untereinander. All ihre Liebe und Loyalität soll allein ihm gelten, jeder Widerstand wird hart bestraft. Als er herausfand, dass mein Meister und Nessaja ein Liebespaar waren, sprach er Nessaja der Verführung Luzifers schuldig – immerhin hatte sie ihn mit ihren weiblichen Reizen umgarnt und praktisch willenlos gemacht, wie er lächerlicherweise anführte“. Remus spuckte nagewidert zu Boden. Man konnte aus jedem seiner Worte heraushören, wie sehr er Gott verabscheute. „Er ordnete ihre Auslöschung an. Das heißt, ihr wurden die Flügel abgehackt – für einen Engel die schlimmsten, qualvollsten Schmerzen - , vor ihren Augen verbrannt und Michael, der Höchste der Erzengel, musste ihr Herz mit seinem Schwert durchbohren. Nessaja musste Höllenqualen und schlimmste Demütigung erleiden, ehe der Tod sie von diesen erlöste. Die Schmerzen über den tragischen Verlust seiner Geliebten ließen Luzifer fast wahnsinnig werden. Er versuchte, Gott zu stürzen und Nessaja zu rächen, doch er verlor, wurde aus dem Paradies verbannt und fiel. So wurde er, getrieben von dem Wunsch, Nessaja unter allen Umständen wiederzufinden, ganz gleich, wie viele Leben es kosten würde, der Herr der Unterwelt.“ „Und du hast mich gefunden“, flüsterte Emily an Luzifers Brust, den Tränen nah. „Ich habe immer gewusst, dass es Jemanden gibt, der auf mich wartet, der mich sucht, und, oh, wie habe ich mich nach dir gesehnt und jeden Tag gehofft, dir bald zu begegnen. Und dann habe ich dich endlich im Traum getroffen... Du, deine Liebe erst gibt mir einen Lebenssinn, Lebensmut...“. Sanft nahm Luzifer ihr Gesicht in die Hände und küsste ihre Tränen, die nun unerbittlich ihre Wangen hinabliefen, weg. „Remus“, sagte er bestimmt, und dieser nickte. Die Worte, die er in fremder Sprache murmelte, konnte Emily nicht verstehen, dennoch lauschte sie diesen gebannt. In dem Moment, in dem Remus seine leuchtenden Augen aufriss, die schwarzen Schwingen an seinem Rücken öffnete und das letzte Wort seines Beschwörungszaubers hinausschrie, durchfuhr ein schmerzhafter Blitz erst Emilys Kopf, dann ihren gesamten Körper. Unwillkürlich begannen ihre Gliedmaßen zu zucken, und schmerzerfüllt fasste sie sich an den Kopf. Sie schrie. Luzifer kannte diesen Zauber, er hatte ihn schon unzählige Male miterlebt und war darauf gefasst, dass Emily würde Schmerzen erleiden müssen. Doch sie nun so zu sehen erinnerte ihn an den Moment ihrer Auslöschung und zerbrach ihm das Herz. Christopher verharrte noch immer auf der Stelle und verfolgte das Geschehen gebannt und beängstigt zugleich. Sein Verstand sagte ihm, dass all dies nicht sein könne. Engel, Rabenmenschen, Zauber, Wiedergeburt. Aber er sah es mit eigenen Augen und konnte sich einer gewissen Faszination nicht erwehren. Emilys Kopfschmerzen wurden immer schlimmer. Ihre Finger krallten sich in ihre Kopfhaut, als könne dieser Schmerz die in ihrem Kopf lindern. Der Speichel tropfte ihr aus den Mundwinkeln und sie keuchte. Plötzlich riss sie die Augen auf, lockerte die Finger, ließ die Hände fallen und fiel in Ohnmacht. Luzifer, der die ganze Zeit an ihrer Seite gewesen ist, fing sie auf und legte sie behutsam zu Boden. Sie sah mit einem Mal so friedlich aus, als würde sie schlafen und in einem süßen Traum versinken. „Ist der Zauber fehlgeschlagen?“, fragte Luzifer seinen Vertrauten; Verzweiflung lag in seiner Stimme. Was war mit Emily geschehen? Hatte er sie, Nessaja, nun endgültig verloren? Das durfte nicht sein... „Meister, zweifelt ihr etwa an meinen Fähigkeiten? Seid unbesorgt. Lady Emily ist von schwacher Gesundheit, körperlich wie mental nicht besonders stark“, er warf Christopher einen stechenden Blick zu, „deswegen hat sie die Sache etwas mehr mitgenommen als es üblich ist, aber sie wird...“. Er stockte, als ihn ein heller Schein blendete. Das Silber von dem Revolver, der auf einmal in Christophers Hand lag und dessen Lauf auf Luzifer zielte. „Ich weiß nicht, was genau hier gespielt wird, wer, was du bist. Aber ich schwöre bei Gott – Ha! -, dass ich mir Emily nicht von dir wegnehmen lasse. So eine gute Partie finde ich so schnell nicht wieder!“. Zorn verfinsterte den Blick des gefallenen Engels wie schwarze Wolken den Himmel zum Gewitter verhängen. „Gute Partie? Es geht dir nur um deine gesellschaftliche Stellung?“. „Nicht nur. Ihre Familie ist steinreich, ein luxuriöses Leben wäre mir so gesichert. Aber, ja, mein Status würde durch eine Heirat auch erheblich verbessert.“. Er sah auf die leblos am Boden liegende junge Frau herab, und sein Blick gefiel Luzifer gar nicht. Lust. Gier. Auf eine unheilvolle Art und Weise. „Zum Glück ist Emily auch noch ganz annehmbar, man kann sich zu hohen Anlässen durchaus mit ihr sehen lassen, ha, ha!“. Christophers kehliges Lachen hallte unangenehm in Luzifers Ohren wider und geisterte durch seinen Kopf. „Außerdem ist sie so unsicher, naiv und devot, sie ist formbar, und ich kann alles mit ihr machen, ganz, wie es mir beliebt. Auch im Schlafzimmer.“. Das war er. Der berühmt – berüchtigte Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Mit zu alles zerfetzenden Krallen verkrampften Fingern stürzte Luzifer auf Christopher zu, willens, ihm die Eingeweide auszukratzen und seinen mickrigen, dreckigen Körper, dem ein noch abstoßenderer Geist innewohnte, bis zur Unkenntlichkeit zu zerfetzen. „Wie kannst du es wagen, so über sie zu reden? Sie ist das sanftmütigste, liebevollste Wesen, welches je im Himmel und auf Erden gewandert ist, du bist nicht mal würdig, sie anzusehen!“. Der Engel holte aus und stieß mit voller Kraft zu, doch Christopher duckte sich unter ihm weg. „Jämmerliche Vorstellung für den ach so mächtigen Herr der Unterwelt!“, lachte er gehässig, und verpasste Luzifer mit dem Griff des Revolvers einen Schlag an die Schläfe. „Du...“, schrie Remus und wollte eingreifen, doch Luzifer befahl ihm, sich rauszuhalten. „Das ist mein Kampf.“. Remus gehorchte. Die lange Suche nach Nessaja hatte seinem Meister sehr viel abverlangt, Kraft und Geduld. Er war so geschwächt, dass selbst ein einfacher, schwächlicher Mensch ihm körperlich schaden konnte; sein Stolz aber war unbeugsam, sodass er keine Hilfe annehmen konnte und wollte. Lieber würde er sterben, das wusste Remus, und er akzeptierte dies. Er hockte sich vor den flach atmenden Körper Emilys, verschränkte die Arme und ließ mit seinen messerscharfen Vogelaugen die beiden Kämpfenden nicht aus den Augen. Die Wunde an Luzifers linker Schläfe blutete. Heftig war der Schlag gewesen, sein Kopf dröhnte und seine Augen flackerten. „Ich bin zu geschwächt“, gestand er sich ein, aber aufgeben war keine Option. Dieser Mensch vor ihm, diese abscheuliche Kreatur Gottes, hatte seine Geliebte klein gehalten, ihren Namen beschmutzt und ihre Sanftmut und Gutmütigkeit schamlos ausgenutzt. Und er würde weitermachen und ihr noch weitaus Schlimmeres antun, wenn er diesen Kampf gewänne, dessen war sich Luzifer sicher, und das wollte er nicht zulassen, niemals. „Emily?“, fragte Christopher mit Blick auf sie, die in Luzifers Rücken lag. Der Engel warf einen Blick über seine Schulter, um zu sehen, was los war. War sie etwa aufgewacht? Doch in dem Moment, in dem er sie erblickte, wusste er, dass er Christopher in die Falle gegangen war. Emily lag noch immer bewusstlos im feuchten Gras, und Luzifer spürte die kalte Klinge in seinem Brustkorb. Christopher hatte einen Dolch versteckt gehalten, welchen er seinem Kontrahenten im Moment der Unachtsamkeit zwischen die Rippen gestoßen hatte. „Wie verträgt das Herz eines Engels Silber?“, flüsterte er an Luzifers Ohr und zog den Dolch mit einer schnellen Bewegung raus. Keuchend und beide Hände auf die Wunde pressend sackte Luzifer zusammen. Er verfluchte sich selbst für seine Dummheit, auf diese simple Finte angesprungen zu sein. Das Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, und er spürte, wie ihm mit jedem Tropfen, der seinen Körper verließ, auch die Kraft ausging. „Meister“, rief Remus sorgenvoll, sprang auf und wollte an Luzifers Seite eilen, doch dieser gebot ihm, stehen zu bleiben. Ganz gleich, wie schwach er war, wie sehr auch sein Leben davon abhing, diese Schmach wollte er nicht über sich ergehen lassen – und schon gar nicht, wenn sie durch einen Menschen verursacht wurde. Mit auf den Boden starrendem Blick und fest zusammen gebissenen Zähnen folgte Remus dem Befehl seines Meisters und verharrte auf der Stelle, so sehr es ihm auch missfiel. Entschlossen, diesem Kampf schnell ein Ende zu bereiten, rappelte Luzifer sich auf und blickte Christopher missbilligend in die Augen. Pure Verachtung sprach aus den seinen, und Christopher machte verunsichert einen Schritt zurück. „Tze“, sagte er, „zu schade, dass deine Blicke es nicht vermögen, mich zu töten, sonst würdest du gewinnen. Aber so“, er sprang hervor und versetzte dem Engel einen gewaltigen Tritt in die Magengrube, woraufhin dieser in die Knie gezwungen wurde, „bist du ein Nichts, ein Niemand! Und Niemand wird sich zwischen mich und mein mir vergönntes Luxusleben stellen!“. Hoch hob er den Dolch über seinen Kopf, und die Klinge blitzte auf, begierig, noch mehr Blut zu schmecken. Plötzlich wurde Christopher so geblendet, dass er aufschrie und befürchtete, seine Augen würden in Flammen aufgehen. „Was zur...“. Eine Lichtgestalt. Silbernes Haar schwebte in sanften Wellen im Wind, zart wie flüssige Seide. Die makellose, weiße Haut schien aus Porzellan geformt zu sein und stand im Kontrast zum kurzen, schwarzen Kleid, welches sich perfekt um den raubtierhaften, schlanken Körper legte. Das hübsche Gesicht mit den feinen Zügen einer französischen Puppe bildete den Rahmen eines tiefbraunen Paars Augen, aus dem Stärke, Stolz, aber auch eine schier unendliche Sehnsucht und Melancholie abzulesen war. Christopher kannte diese Augen. „Emily?“. Ungläubig kam der Name über seine Lippen, und bevor er blinzeln konnte, stand der wunderschöne Engel vor ihm, fixierte ihn mit den Augen seiner Verlobten, und schlitzte ihm mit bloßen Händen die Kehle auf. „All die Zeit habe ich auf ihn gewartet, ihn schmerzlich ersehnt, auf dass er mich endlich finden und zu sich holen würde. Gewusst, dass es Jemanden gibt, für den ich bestimmt bin. Und nun, wo er mich endlich gefunden hat, wirst du ihn mir nicht wegnehmen.“. Blut spritzte aus Christophers zerfetztem Hals, er röchelte furchtbar und sackte in sich zusammen, das Leben war ihm entwichen. Luzifer trat an seinen Engel heran, legte sanft die Arme um seine Taille und vergrub sein Gesicht in seinem Silberhaar. „Nessaja“, flüsterte er. Wie lange hatte er darauf gewartet, sie wieder in den Armen halten und ihren Duft einatmen zu können. Das Gefühl, das ihn durchflutete, war unbeschreiblich. Er legte seine Hände auf ihre schmalen Schultern, betrachtete kurz die Narben auf ihrem Rücken, die sie seit dem Abschlagen ihrer Flügel begleiteten, und drehte sie zu sich herum und sah, wie sie weinte. „Blut klebt an meinen Händen, das Blut eines Menschen. Damit habe ich zum zweiten Mal eine der größten Sünden begangen, die ein Engel auf sich nehmen kann. Ich bin unrein.“. Als ihre Blicke sich trafen, umspielte ein Lächeln ihre Lippen, traurig und erfüllt zugleich. „Doch das alles ist mir egal, denn der Himmel ist mir ohnehin verwehrt. Das Einzige, was zählt, ist, dass wir endlich wieder zusammen sind.“. Luzifer strich ihr über die Wange und küsste vorsichtig, als könnten seine Lippen ihre Haut verbrennen, die Tränen weg, ehe sein Mund den ihren fand. Ein Kuss, süß und innig wie die Sünde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)