Prince and Pea von Writing_League (A nohrian reenactment. Kind of.) ================================================================================ We‘re not done yet! ------------------- Es war keine gute Taktik. Eigentlich war es gar keine Taktik. Sich vor dem Tisch aufzubauen, einen Arm in die Hüfte gestützt, den anderen um Elises Schultern gelegt, zählte nicht unter Taktik, da war Leo sich sicher. Es funktionierte trotzdem. Es funktionierte selbst dann, wenn er die viel zu scharfe Axt ignorierte, die in Camillas Hüftgurt ruhte – und das tat Leo. So sauer Camilla auch war, so sehr sie Niles damit auch bedroht haben mochte, sie würde sie nicht ziehen. Nicht gegen ihre Brüder. Ihr Tonfall war ohnehin scharf genug. „Ich finde es nicht in Ordnung, unsere arme Elise vor der Tür stehen zu lassen“, erklärte sie, im Brustton der Überzeugung. „Also, redet. Oder muss ich Jakob fragen?“ Okay. Vielleicht war es doch eine Taktik. Keine sonderlich gute, hoffte er. Der Einzige, dem Jakob bislang absolute Treue gegenüber gezeigt hatte, war Corrin – gewesen. Corrin, der jetzt wahrscheinlich unter den Kirschbäumen in Shirasagi saß und seine wiedergewonnene Heimat genoss. Corrin, der– Leo zwang sich dazu, den Gedanken fallen zu lassen. Skeptisch warf er Xander einen Blick zu, doch dieser erwiderte ihn nur mit einem Stirnrunzeln. Beinahe synchron sahen sie weiter zu ihrem Diener. Dieser jedoch ignorierte sie alle – Xander, ihn. Camilla. Die schluchzende Elise. Azura, die in der offene Tür stehen geblieben war. Niles, der sich gerade an ihr vorbei schob, um bloß nichts zu verpassen. Ruby Glimmer. Beflissentlich öffnete Jakob nun eine Weinflasche, das Timing sicher mit Kalkül gewählt. Mit aller Seelenruhe griff er nach Xanders Kelch und goss ihm ein. Leo hätte ihm die Scharade abgekauft, hätte er nicht das leichte Zittern gesehen, als er den Kelch wieder abstellte. Erneut blickte Leo auf, erst zu Xander, dann zu Camilla. Er entschied spontan, dass es keine gute Idee war, Jakob zu fragen. „Wir haben eine mögliche Eheschließung zwischen mir und einer hoshidischen Prinzessin diskutiert.“ Leo konnte förmlich spüren, wie die Stimmung kippte. Zum ersten Mal, seit sie Camilla in den Speisesaal gefolgt war, war es Elise, die den Kontakt zu ihrer Schwester suchte. In seinem Augenwinkel sah er, wie sie sich in Camillas Umarmung lehnte. Camilla selbst zog die Stirn kraus. Eindeutig überrascht, verlagerte sie ihr Gewicht auf das anderes Bein. Selbst Ruby Glimmer wirkte plötzlich weniger bedrohlich, als vielmehr fehl am Platz. Der Entschluss, beiden Brüdern eine Standpauke zu halten, verpuffte mit der Bewegung. Zumindest vorerst. Hinter den Beiden machte Azura einen hastigen Schritt zurück. „Welche von beiden?“ Es waren nur drei Worte, doch mit jedem davon, kehrte ein wenig von Camillas Entschiedenheit zurück. „Das wird sich zeigen“, warf Xander ein, die Stimme betont beherrscht. „Bitte, setzt euch.“ Es war keine Antwort, die Camilla gefiel. Einen Moment lang musterte sie erst Leo, dann Xander. Schließlich schürzte die Lippen, sagte jedoch nichts. Sie musste auch nicht aussprechen, woran sie dachte – Leo wusste es auch so. Zu gut erinnerte sie sich an die ersten Nächte nach Ende des Krieges, die sie zusammen auf Schloss Krakenburg verbracht hatten. An die Nächte und an die wütenden Beschwerden über die ältere der beiden Hoshido–Schwestern, die er sich hatte anhören dürfen. Denen er mehr als einmal zugestimmt hatte. Mit einem letzten Blick zu Leo drückte sie Elise noch einmal an sich, dann löste sie sich von ihrer Schwester und folgte Xanders Bitte. Das Holz ihres Stuhles kratzte über die Steinfliesen, als Jakob ihren Stuhl zurecht rückte. Während sie um den Tisch herum schritt und sich schließlich setzte, ließ sie Leo nur kurz aus den Augen und das auch nur, um der Suppe einen argwöhnischen Blick zuzuwerfen. „Denkst du wirklich, das funktioniert?“ Xander zuckte nicht zusammen, doch Leo sah den schuldbewussten Blick, mit dem sein Bruder nun seinerseits die Suppe musterte. Leo schüttelte den Kopf, doch er wusste es besser, als sich da jetzt einzumischen. Stattdessen blickte er zu Elise, die noch immer ein wenig verloren neben dem Tisch stand. Zu seiner Überraschung suchte sie seinen Blick. „A–aber kannst du überhaupt heiraten?“, fragte sie leise. „Was ist m–mit mit Selena?“ Schuldbewusst zuckte Leo zusammen. Der Impuls, den Blickkontakt zu brechen, war da, doch er widerstand ihm, wenn auch mühsam. Elise war seine Schwester – sie verdiente es nicht, dass er sie mied. Oder anlog. „Selena hat sich für ihre Heimat entschieden und ich mich für meine“, antwortete er ihr. Die Erinnerung an die letzten Gespräche tat weh, doch er wusste auch, nicht nur mit Blick auf Elise, dass er richtig entschieden hatte. „Sie wird nicht zurückkehren, das habe ich akzeptiert. Es wird Zeit, dass ich wieder nach vorne schaue.“ Elise nickte knapp, doch sie wirkte nicht überzeugt. Ihr Lächeln war dafür zu dünn. Zu sehr ließ sie die Schultern hängen. Das übliche Strahlen in ihren Augen fehlte. Jakob nutzte den Moment, um ihren Stuhl für sie zurecht zu rücken. Kurz drehte sie den Kopf zu dem Diener, als sie das Kratzen des Stuhls hörte, doch sie setzte sich nicht. Leo konnte sehen, wie sie die Lippen aufeinander presste, unschlüssig. „Wenn–“, begann sie, brach dann aber ab. „Ja?“ Erneut suchte sie seinen Blick, doch dieses Mal hielt sie ihm nicht stand. „Wenn– Wenn du diese Prinzessin heiratest ... Du– du wirst uns nicht verlassen, o–oder?“ Das ... saß. Leo schluckte, doch der Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte, wollte nicht weichen. „Oh, Elise, du Dummerchen. Als wenn ich das je könnte.“ Er lächelte, versuchte es zumindest, auch wenn es ihm ziemlich schief geriet. Entschieden streckte Leo die Hand nach ihr aus – und Elise verstand die Geste. Zwei Schritte, dann schlang sie ihre dünnen Arme um seinen Nacken. Er zog sie zu sich. „Wir haben nur über die Möglichkeit gesprochen“, sagte er gegen ihre Stirn. Vage war er sich bewusst, dass Xander und Camilla ihre Diskussion darüber, ob man ihren kleinen Bruder mit Gulaschsuppe bestechen sollte, beigelegt hatten, um sie zu beobachten. „Wir haben nur beschlossen, dass ich die Festlichkeiten dazu nutzen werde, mich mit den Prinzessinnen bekannt zu machen. Ich werde ihnen das Schloss und Windmire zeigen. Ihren Brüdern natürlich auch. Vielleicht ergibt sich ja gar nichts.“ Sie schniefte gegen seine Schulter. „U–und wenn doch?“ „Dann bekommst du eine neue Schwägerin und wir feiern die bunteste Hochzeit, die Windmire seit Jahren gesehen hat.“ „Aber ihr geht nicht nach Hoshido?“ „Vielleicht besuchen wir es mal. Dann bringe ich dir einen hübschen Kimono mit.“ „Versprochen?“ Zur Antwort lachte er leise. „Versprochen. Du kannst mir helfen, wenn du möchtest.“ „Denkst du?“ „Es wäre nicht schicklich, würde ich die Damen auf ihre Gemächer begleiten. Außerdem wette ich mit dir, dass sie sich für Xanders Jubiläum hübsch machen wollen. Das könnte dir gefallen. Von bunten Kleidern hast du sowieso mehr Ahnung, als ich. Und Prinzessin Sakura ist in deinem Alter. Vielleicht werdet ihr ja Freunde.“ Elise nahm den Kopf von seiner Schulter, gerade genug, um ihn ansehen zu können. Entschieden wischte sie die Tränen fort. „Wir könnten ihnen die Türme zeigen“, sagte sie leise. „Wenn die Nacht sternenklar ist, können wir vielleicht die Nordlichter sehen. Und wir müssen ihnen Katharinas Gärten zeigen und Daisys Stall. Oh und natürlich die Bibliothek. Aber nur, wenn du vorher aufräumst!“ Wenn er– „Hey! Die Bibliothek ist nicht unordentlich!“ Die Röte, die ihm ins Gesicht stieg, strafte seine Worte Lügen. Hilfesuchend blickte er zu seinem Bruder, doch der hob nur skeptisch die Augenbrauen. „Als ich das letzte Mal in der Bibliothek war, stapelten sich dort Bücher auf deinem Lieblingstisch.“ „Xander, das ist nicht hilfreich.“ „Und neben deinem Lieblingstisch auch.“ „Xander!“ Statt einer Entschuldigung erhielt Leo nur ein Lachen. Es war ein tiefes, ruhiges Lachen, eines, das Xander sich für seine Geschwister vorbehielt. Nach einem Moment des Zögerns stimmte Elise mit ein. Selbst Camilla kicherte. Nur Azura, die sich still auf ihren Platz gesetzt hatte, lachte nicht. Vermutlich aus Taktgefühl. Doch auch in ihren Augen sah Leo es verdächtig funkeln. „Ihr seid gemein.“ „Sieh es ein, mein kleiner, süßer Bruder. Du bist auf verlorenem Posten.“ Stöhnend legte Leo den Kopf in den Nacken. Er bereute es einen Atemzug später, als sein Blick den von Niles traf. Er hatte nicht gehört, wie sein Getreuer hinter ihm Stellung bezogen hatte, aber vielleicht hätte er besser daran getan, es zu tun. „Noch habt Ihr die Gelegenheit, die Bücher zurück ins Regal zu räumen, Mylord“, raunte Niles ihm zu, mit diesem süffisanten Grinsen, das Leo nur dann mochte, wenn es sich gegen andere richtete. „Außer natürlich, Ihr wünscht, dass die Hoshiden sehen, womit Ihr Eure schlaflosen Nächte verbringt.“ Mittlerweile, da war Leo sich sicher, sah er aus, wie eine Tomate. Entgegen aller Unterstellungen, die Niles sicher auf Lager gehabt hätte, hätte er es angesprochen, war es kein angenehmes Gefühl. Obwohl er ihm bereits auf den Lippen lag, schluckte Leo weiteren Protest herunter. Er wusste, egal, was er jetzt auch sagte, es würde gegen ihn verwendet werden. Ihm blieb nur die Flucht nach vorn. Mit einem Ruck setzt er sich gerade hin. Langsam ließ er den Arm, den er um Elises Schultern gelegt hatte, sinken. „Jakob, bitte fülle die Suppe auf.“ Zugegeben, sein Fluchtversuch klang selbst in seinen Ohren verzweifelt. Und nicht sonderlich clever. Schlimmer noch. Er kam zu spät. „Schlaflose Nächte?“, hörte er Elise unter dem Klappern der Terrine fragen. „Was für schlaflose Nächte denn?“ Über seine Schulter hinweg warf er seinem Getreuen einen finsteren Blick zu. „Ich habe mich die letzten Nächte vielleicht ein wenig festgelesen“, versuchte er zu retten, was zu retten war. „Geschichtsbücher. Berichte. Erzählungen.“ Niles bemühte sich nicht um eine Antwort. Einerseits war sein anzügliches Grinsen, das Leo mehr in seinem Nacken kribbeln spürte, als tatsächlich in seinem Augenwinkel sah, Unterstellung genug. Anderseits übernahm Elise – fast, als habe sie sich mittlerweile zu viel von seinem Getreuen abgeschaut – die Aufgabe mit wachsender Begeisterung. Vergnügt löste sie sich von ihrem Bruder und ließ sich auf den Stuhl neben ihm fallen. „Was waren das für Geschichten?“, fragte sie und fügte, ohne Luft zu holen, hinzu: „Hast du sie als Vorbereitung für unsere Gäste gelesen? Für die Prinzessinnen?“ Natürlich. Leo wusste, wie Elise ihre Frage meinte. Theoretisch. Praktisch wirkte die Frage mit Niles‘ fadenscheinigem Lächeln in seinem Nacken nicht einmal aus ihrem Mund unschuldig. Selbst dann nicht, wenn Niles die nicht elisefreien Implikationen nur dachte, statt sie auszusprechen. „Ja“, antwortete er. „Gewissermaßen.“ Wenn er dabei zu gequält klang, hörte Elise es offenbar nicht, auch wenn sie damit die einzige war. Azura schaute hastig auf ihren Teller, kaum, das sie Leos Aufmerksamkeit auf sich spürte. Und obwohl Xander sich tief über seine Suppe beugte, sah Leo den undeutbaren Blick, den sein Bruder mit Camilla tauschte, sehr wohl. Elise jedoch schenkte seinem Tonfall keine Beachtung. Gerade beobachtete sie Jakob dabei, wie er eine große Kelle voll Gulaschsuppe auf ihren Teller gab. Ohne einen Tropfen zu verschütten oder die Suppe auch nur auf den Tellerrand schwappen zu lassen, stellte er ihn vor ihrer Nase ab. Neugierig beäugte sie den Klecks Sahne, den Jakob dazu tat, und schnupperte am aufsteigenden Dampf. „Hmmm! Jakob, das riecht köstlich!“ In seinem Augenwinkel sah Leo, wie Jakob sich verneigte. „Euer Lob ist mir eine Ehre, Mylady Elise. Seid versichert, dass sie auch geschmacklich all eure Erwartungen zufriedenstellen wird.“ „Das hoffe ich doch!“ Entschieden griff sie nach ihrem Löffel. Auch wenn er keinen Hunger hatte, tat Leo es ihr gleich. Immerhin konnten sie das Thema schlecht weiter verfolgen, wenn sie alle den Mund voll hatten. Und vielleicht kehrte sein Appetit ja beim Essen zurück. Zu spät bemerkte er, dass sie den Löffel, statt ihn in ihre Suppe zu tunken, gedankenverloren an ihr Kinn tippte. „Denkst du“, fragte sie, „die Bücher werden dir bei der Auswahl helfen?“ Beinahe hätte Leo, den Löffel bereits an den Lippen, seine Suppe quer über den Tisch gespuckt. Er tat es nur nicht, weil er von seinen Getreuen – seinem Getreuen, korrigierte er sich – schlimmeres gewohnt war. Und man Gulaschsuppe nicht vergeudete. Eilig, bevor Elise sein Zögern merkte, steckte er sich den Löffel in seinen Mund. Eine Ahnung von Tomaten und Rinderfleisch breitete sich auf seiner Zunge aus, ging aber in der Erkenntnis darüber, wie heiß die Suppe noch war, unter. Er verzog das Gesicht, schluckte aber trotzdem. Er spürte die Brühe noch in seiner Speiseröhre brennen. Mit Tränen in den Augen drehte Leo sich ihr zur. „Ah! Heiß– Bei der Auswahl wobei?“ Es war mehr ein Japsen als eine Frage, doch Elise kicherte trotzdem. „Bei der Wahl zwischen Prinzessin Hinoka und Prinzessin Sakura, natürlich, du Dummi!“ Leo erstarrte. In seinem Augenwinkel linste er zu Xander, doch der mied seinen Blick. Verräter. „Ich d–denke nicht.“ Verdammt, seine Zunge fühlte sich taub an. Er schluckte, aber das machte es nicht besser. „Ich habe mir nur mögliche Gesprächsthemen angelesen.“ „Oh.“ Aus unerfindlichen Gründen ließ Elise plötzlich die Schultern hängen. Sie senkte den Blick zurück auf ihre Suppe. Sogar ihre Zöpfe wirkten schlaffer, auch wenn das eigentlich gar nicht möglich war. Leo spürte Camillas Blick auf sich, doch er war selbst zu beschäftigt mit der Frage, was er falsch gemacht hatte, um sich auch noch davor zu fürchten. „Elise?“, fragte er leise. Sie sah nicht von ihrem Teller auf. „Und ich dachte, du machst es wie der Prinz in den Märchen.“ Oh. Oh–oh. Leos Wissen über Märchen war in etwa so begrenzt, wie sein Interesse an fiktiver Literatur, aber er kannte die Art von Märchen, die Elise gerne las. Sie war voll von Feen, Rittern auf weißen Pferden und Prinzen, die sich ganz sicher nicht die Zunge an ihrer Lieblingssuppe verbrannten. Nichts davon erschien ihm sonderlich hilfreich, besonders nicht im Fall der hoshidischen Prinzessinnen. Trotzdem, es war Elise, nicht Odin Niles, die den Vorschlag vorgebracht hatte. Und da war immer noch Camillas Blick, der über ihm hing, wie die Klinge einer Axt. Nein, Leo wusste, dass er hier diplomatisch vorgehen musste. „Ich denke, die Prinzen aus den Märchen, die ich kenne, wären mir keine große Hilfe“, gestand er, darauf bedacht, möglichst interessiert zu klingen. „Mir fällt da nur Prinz Georgej ein, der auszog, den Wyvern zu erschlagen. Ich nehme an, ihn meinst du nicht?“ Er nahm es nicht nur an – Leo hoffte es inständig. Doch Elise schaute ihn nur irritiert an. „Prinz Georgej? Aber, wie kommst du denn auf den? Der passt doch gar nicht zu dir!“ Gedanklich atmete Leo auf. „Oh, nun, es ist das erste Märchen, das mir einfällt, nichts weiter. Und du musst zugeben, es mangelt uns an Monstern, die ich für das Wohlergehen der Damen erschlagen könnte.“ Abgesehen von Daisy vielleicht – und Camilla würde ihn erschlagen, sollte er ihrem Lieblingswyvern auch nur eine Schuppe krümmen. Nicht, dass er von sich aus auf die dumme Idee kommen würde, sich dem bissigen Vieh auch nur einen Meter mehr als zwingend erforderlich zu nähern. Nicht freiwillig. „Oh, ja“, stimmte Elise zu, „außerdem klingt das eher nach Xander als nach dir.“ Auf der anderen Seite des Tisches beugte Xander sich weiter über seinen Teller. Die beiden Brüder tauschten knappen Blick. Stumm kamen sie zu der Übereinkunft, das es besser war, den Prinzen zu wechseln. Leo räusperte sich. „Nun, auch ihm fehlt es an Monstern, Elise. Aber sag, an welchen Prinzen hattest du denn gedacht?“ „An Prinz Innozenz, natürlich!“ Prinz Innozenz. Natürlich. ... Bitte wer? Über seinem Teller sah Xander in etwa so irritiert drein, wie Leo sich fühlte. Nur Camillas Laune besserte sich schlagartig, zumindest, wenn man dem wissenden Blick Glauben schenkte, der sich in ihre Augen schlich. Leo hoffte inständig, dass es nur damit zusammenhing, dass das Leben ihres Wyvern nicht mehr zur Debatte stand, aber das dünne Lächeln, das um ihre Lippen spielte, ließ ihn Schlimmeres befürchten. Auch Elise musste seinen irritierten Blick bemerkt haben. Jedenfalls seufzte sie theatralisch. „Prinz Innozenz, Leo. Komm schon, du kennst ihn. Jeder kennt dieses Märchen!“ Leo hätte gern behauptet, dass es ihm siedend heiß einfiel – doch da war nichts. Nichts, außer Niles Räuspern, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ. „Sie meint das Märchen von der Erbsenprobe, Mylord“, verkündete sein Getreuer in einem Tonfall, der Leo nichts gutes ahnen ließ. Er sah Niles‘ süffisantes Grinsen nicht, doch er hörte es in seiner Stimme. „Es ist bei den Adeligen in Eurem Alter sehr beliebt, habe ich gehört.“ Auch mit dem Namen des Märchens blieb die Erkenntnis bei Leo aus. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals ein Märchen über Erbsen gelesen zu haben. Abgesehen vielleicht von der Geschichte, in dem ein Mädchen Erbsen – oder waren es Linsen gewesen? Oder Bohnen? – aus einem Haufen Asche hatte sammeln sollen. Aber er konnte sich nicht daran erinnern, dass in diesem Märchen ein Prinz namens Innozenz vorgekommen war. Hilfesuchend blickte er zu seinen Geschwistern, doch von denen war keine Hilfe zu erwarten. Xander hatte plötzlich mehr Interesse an seiner Gulaschsuppe, als an einem weiteren Blickkontakt mit seinem Bruder. Camillas Lächeln hatte sich zu einem unheilvollen Grinsen, das dem von Niles sicher in nichts nach stand, ausgewachsen. Selbst Azura lächelte und es war ein besonders wissendes Lächeln. „Worum geht es in der Erbsenprobe?“, fragte er und es graute ihm schon jetzt vor der Antwort. Zu seiner Überraschung war es nicht Elise, die antwortete. Camilla war schneller. „Um Prinz Innozenz, mein lieber, unschuldiger Bruder“, erklärte sie mit einem besonders süßlichen Tonfall. So viel hatte Leo sich zwar selbst zusammenreimen können, doch er wusste es besser, als das jetzt laut anzumerken. „Prinz Innozenz wollte unbedingt eine Prinzessin heiraten. Also reiste er landauf, landab quer durch Nohr, auf der Suche nach der richtigen Prinzessin. Doch kein der Damen, die er traf, erfüllte seine Ansprüche. Die eine war, so stellte sich heraus, entgegen ihrer Worte von niederer Geburt. Die nächste benahm sich wie eine Schankmaid. Eine andere war die Tochter eines verfeindeten Fürsten seines Vaters, die ganz nach ihrem Vater kam. Wieder eine andere war hässlich wie ein besonders runzeliger Rettich aus Hoshido. Enttäuscht kehrte er nach langer Suche allein nach Haus zurück. Während eines Sturmes klopfte jedoch ein Mädchen an das elterliche Tor und bat um ein Bett für die Nacht – eine Prinzessin. Sie hatte alles, was er auf seiner Reise gesucht hatte: Gutes Benehmen, das richtige Aussehen und ein reines Herz. Nur der Beweis für ihre Herkunft fehlte ihr. Und so prüfte der Prinz, ob sie wirklich die richtige Frau für ihn war.“ „Lass mich raten“, warf Leo ein, dem so langsam dämmerte, worauf die Geschichte hinauslaufen würde. „Er prüfte sie mit einer Erbse?“ Seine Schwestern nickten einstimmig. „Genau!“, flötete Elise. „Er legte sie unter ihre Matratzen.“ Gut, vielleicht ahnte er den weiteren Verlauf der Geschichte doch nicht so gut voraus, wie er angenommen hatte. Skeptisch zog er eine Augenbraue hoch. „Und?“ „Und?“, wiederholte Camilla, immer noch lächelnd. Es war ein sehr zufriedenes Lächeln. Ein Lächeln, das er sonst normalerweise bei Daisy sah, wenn sie eine besonders fette Kuh verspeist hatte. „Das ist die Probe, mein süßer Bruder. Es heißt, nur eine Prinzessin – die richtige Prinzessin – könne einen winzig kleinen Gegenstand unter all den Matratzen spüren. Also ließ er eine Erbse unter ihre Matratzen legen. Am nächsten Morgen fragte er sie, wie sie geschlafen habe. Ihre Nacht aber war ganz furchtbar gewesen. Etwas, das in ihrem Bett lag, habe sie die ganze Nacht aufs schlimmste gedrückt, aber sie habe die Ursache nicht finden können. Und als er das hörte, da wusste er, er hatte recht.“ „Und dann hat er sie geheiratet?“ „Genau!“ Elise nickte so heftig, dass ihre Zöpfe im Takt wippten. Ihr Lächeln wäre beinahe ansteckend gewesen. Wäre – hätte Leo sich nicht noch daran erinnert, weshalb die Mädchen ihm das Märchen überhaupt erzählten. „Und warum“, fragte er, auch wenn er die Antwort bereits zu glauben ahnte, „ist ausgerechnet dieses Märchen bei den jungen Adeligen so beliebt?“ „Es enthält Betten“, säuselte Niles hinter ihm. „Ich meine natürlich – sie eifern dem Prinzen nach, Mylord.“ Elise, die die Anspielung hoffentlich überhört hatte, nickte zustimmend. „Es heißt, so könne man die wahre Liebe finden, Bruder!“ Ja. Genau so etwas hatte er befürchtet. Es kostete ihm alle Willenskraft, seinen milde interessiert wirkenden Gesichtsausdruck beizubehalten. „Elise“, begann er vorsichtig, „es tut mir wirklich leid, das zu sagen, doch ... man spürt eine einzelne Erbse nicht, wenn sie unter den Matratzen liegt. Das ist physikalisch nicht möglich.“ Elise reagierte – leider – genau so, wie er es befürchtet hatte. Noch während er sprach, verschränkte sie die Arme vor der Brust und verzog trotzig den Mund. Hätte sie ihn mit Blicken erdolchen – oder zumindest pieksen – können, er hätte sicher ziemlich gelitten. „Natürlich ist das möglich!“ Entgegen besseren Wissens seufzte er schwer. „Ist es nicht Elise, und das weißt du ganz genau. Ich könnte dir eine ganze Handvoll Erbsen unter deine Matratzen tun, und du würdest es nicht bemerken.“ „Ich bin ja auch nicht deine wahre Liebe!“ „Du könntest es nicht einmal, wärst du es.“ „Beweis es!“ „Ich soll dir Erbsen unters Bett schütten?“ „Nicht ihr“, mischte sich zu allem Überfluss nun auch Camilla wieder ein. „Unseren Gästen.“ Leo stöhnte entgeistert. Er wusste, dass das keine gute Idee war. Selbst wenn sie schlechter schliefen, als sonst, würde das nur der fremden Umgebung geschuldet sein. Weder Prinzessin Hinoka, noch Prinzessin Sakura würden irgendetwas unter ihrer Matratze spüren. Schon gar keine Erbse. Das Experiment war zum Scheitern verurteilt. Das einzige Ergebnis, das es hervorbringen würde, würde eine enttäuschte Elise sein. Doch Leo wusste noch etwas: Wenn die Frauen aus seiner Familie eins waren, dann war es stur. Ob er jetzt auf die Beiden einredete, oder mit Daisy sprach – es käme aufs gleiche heraus. Entnervt schloss er die Augen. Er wusste, er würde das alles noch bereuen. „Niles“, sagte er, ohne die Augen zu öffnen. „Tu es einfach.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)