Gutenachtgeschichten von abgemeldet (Wichtelgeschichte für Erenya) ================================================================================ Prolog: Schwarze Rosen ---------------------- 24 Juli 2010, 16:00 Uhr am Friedhof   Stumm kullern die Tränen über ihre Wangen. Aus den matten dunkelgrauen Augen füllt sich ein Bild von Traurigkeit. Vor dem Termin des ewigen Abschieds herrscht in ihren Augen nur Trockenheit, sowie das Gefühl des Verlustes. Neben den traurigen Erscheinungsbild umhüllt ihren Körper ein schwarzes Kleid, passend zum Ort des letzten Moments einer geliebten Person. Das lange schwarze Haar ist zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und eine schwarze Rose steckt seitlich hinter dem Pony. Zum Schluss umklammert sie fest den Blumenstrauß mit den weißen Rosen.Selbst ihr Lieblingslied summt sie nicht, obwohl es sie in traurigen Situationen stets aufmuntert. Als ihr Vater neben ihr steht, nimmt sie automatisch seine Hand und lehnt ihren Kopf gegen sein Bein. Den heutigen Tag wird sie niemals vergessen, genau wie die Ursache der Tragödie. Thomas, ihr Vater, streichelt seine Tochter Mikasa liebevoll über das Haar. Auch in seinen meerblauen, mit Schmerz gefüllten Augen schimmern kleine Tränen. Sie hebt ihren Kopf und lächelt den blonden Mann herzlich an. Beide haben eine enge Bindung als Vater und Tochter, darauf ist Mikasas Mutter Misaki auch sehr stolz. Freunde und Verwandte stehen um das Grab, welches mit einem kunstvollen Grabstein und vielen Blumen geschmückt ist. Alle in schwarzer Kleidung, ein Symbol ihrer Trauer. Sie richten ihre Blicke auf den Punkt, wo Mikasa einen Schritt auf das Grab zu macht. Noch einmal guckt sie zu ihrer Mutter, die ihrer Tochter ermutigend zu nickt. Mikasa grinst ihre Mutter unschuldig an und widmet sich wieder dem Grab, wo sie die Rosen vorsichtig auf die Erde legt. Die weißen Blumen stammen aus dem kleinen Garten von Mikasas Familie. "Ich habe dich lieb … Lebe wohl", verabschiedet sich das Mädchen leise. Dann kommt ihr Vater dazu, legt auch eine weiße Rose auf das Grab und gibt Mikasa einen Kuss auf die Stirn. Er hütet Mikasa wie einen Schatz, den er mit seiner Frau über alles liebt. Bei den Gedanken senkt er seinen Kopf und erinnert sich an alte, schöne Zeiten, sowohl mit Familie, als auch mit Freunden. Nachdem alle Blumen und Abschiede verteilt haben, spricht der Priester noch eine paar Worte von Asche zu Asche und Staub zu Staub. Ein erdrückendes Schweigen herrscht unter den Trauernden. Niemand wagt es, noch ein Wort zu sagen oder den Blick vom Grab abzuwenden. Minuten, die sich wie Stunden anfühlen, vergehen nach der Rede und langsam leert sich der Platz um das Grab. Zum Schluss bleiben nur noch wenige Personen, es handelt sich um die engsten Angehörigen. Am Horizont über der Baumgruppe des Friedhofs sinkt die Sonne wie ein blutroter Ball. Der Himmel verfärbt sich in kraftvollen Farben des Feuers, knalliges Rot und sonniges Gelb. Eine Hitzewelle streift über das Gebiet von Tod und Abschied. Eine geheimnisvolle, orange klare Atmosphäre schwebt durch die schwüle Luft und die ruhige Gegend,wie eine Botschaft aus einer anderen Welt. Mikasa mustert das Naturschauspiel mit neugierigen Augen. "Wunderschön … oder Mikasa? Eine himmlische Botschaft von Menschen, die über uns wachen“, meint Misaki schmunzelnd und zwinkert ihre Tochter zu. Zuerst sieht sie ihre Mutter nachdenklich an, bevor sie antwortet. "Ich finde so was unheimlich“, nuschelt das Mädchen ängstlich, wobei sie ihren Vater am Oberschenkel umarmt. Misaki seufzt schwer. Die liebevolle Mutter betrachtet den Sonnenuntergang. Der Abend naht mit der Dämmerung. Zusammen mit Mikasa auf dem Arm, die schon seelenruhig schläft, verlässt er den Friedhof und läuft nach Hause. Keine Menschenseele befindet sich noch beim Grab. Raben krächzen laut. Die Vögel sitzen auf Ästen und Grabsteinen und das schwarze Federkleid vermischt sich mit der Dunkelheit. Später taucht ein alter Gärtner auf. Sein weißes, lockiges Haar reicht bis zu den Schultern und er trägt die typische dunkelgrüne Gärtnerlatzhose mit schwarzen Gummistiefeln. Er hält mit der Schubkarre voller Gartengeräte an, schnappt sich die Hacke und bearbeitet sorgfältig das Grab. Zu seinem Glück beleuchtet eine Laterne den Bereich, weshalb er auch besser arbeiten kann. Die Stille macht ihm schon seit vielen Jahren nichts mehr aus. Er selbst lebt alleine und genießt eher ruhige Moment in seinem Leben, wie seine sanfte Einsamkeit. Während er seiner Arbeit nach geht, tummeln sich immer mehr Raben um das Grab, jedoch bleiben sie ganz still. Besonnenes Blätterrascheln, durch Windrauschen hervor gerufen, füllt die Stille mit einem zarten meerähnlichen Rauschen. Niemand verdächtigt die ruhige Zeit als die Ruhe vor dem Sturm. Als der Gärtner fertig ist, seine Geräte weg räumt und zufrieden seine Arbeit betrachtet, geht er zum nächsten Grab, bis er plötzlich stehen bleibt. Das sonst so entspannte, alte Gesicht hinterlässt eine Spur von Angst. Die bernsteinfarbenen Augen starren direkt auf die Dame zwischen den Gräbern. Kein Lebenszeichen umgibt sie und statt perfekter Schönheit prägen Schattenmale ihren Körper. Mit leicht verkrümmter Haltung steht sie da und schaut den alten Mann an, obwohl sie nicht mal Augen besitzt, vor allem auch kein Herz und keine Seele. Wegen seines Aberglaubens will der Gärtner fliehen, doch seine Beine rühren sich kein bisschen, wie vereist stecken sie in der kalten Aura des Wesens fest. Die gesunde Hautfarbe verliert an samtigem Beige, bis nur noch eine kränkliche Blässe übrig bleibt. Aus seinem Mund erklingen raue kratzige Töne, welche als verzweifelte Hilferufe erkannt werden könnten. Schrittweise nähert sich die Gestalt ihrem Opfer. Mit aller Kraft versucht der Mann sich zu befreien, doch es funktioniert nicht. Wie in Zeitlupe streckt sie ihre Hände aus und legt diese an die faltigen Wangen des Mannes. Im Spiegelbild seiner Augen kommt die Dame mit weit aufgerissenen Mund auf ihn zu und saugt die Lebenseinenergie des Menschen mit einem Zug aus. Die goldige Augenfarbe verschwindet hinter einen Schleier des Todes und die Haut schrumpft zu einer gräulichen Masse zusammen. Nach dem dämonischen Mord sackt die Leiche wie ein Kartoffelsack zusammen. Die weibliche Gestalt grinst diabolisch und beugt sich über ihr Werk. Langsam verlängert sie ihre Armhaltung zur Beute, spießt ihre Schattenhand in die Brust und reißt das Herz bei lebendigem Leib heraus, da sie Seele des Mannes noch in Takt ist. In ihrer Hand verfärbt es sich schwarz und zerfällt zu Staub. Bevor sie in der Dunkelheit verschwindet, blickt sie in den Himmel, wo die Sterne wie Diamanten funkeln. An diesem Abend entsteht ein Hass, ohne einen wahrhaftigen Grund natürlichen Geschehens. Jahrelang wandert die verdorbene Seele mit Verlust und Furcht durch den Friedhof, bis sie ihren Weg zur Erlösung findet, doch der Weg wird mit Angst beflügelt. Keiner kann seine Probleme zwischen Leben und Tod entscheiden, eher entsteht etwas, was in der Seele zerbricht.   Die wunderschönen weißen Rosen am Grab verwelken zu der Farbe der Trauer. Tiefes Schwarz verziert die zarten Blütenblätter. Schwarze Rosen. Kapitel 1: Kalte Dunkelheit --------------------------- 10 Oktober 2016, Spätabends Die unheimlich geformten stahlgrauen Wolken brauen sich zu einem Gewitterreich zusammen, welches den kompletten Himmel verdunkelt und kein Licht hindurch lässt. Augenscheinlich verschwindet auch die Abendröte hinter den dicken Wolkenschichten, sodass man nicht die letzten Sekunden des Sonnenuntergangs genießen kann. Stattdessen gleicht dieses Bild einer Naturgewalt. Vögel fliegen wild durch die Luft, um nach Schutz zu suchen. Instinkte erlauben keine Fehler unter dem Gesetz der Natur. Dunkelheit breitet sich über die Kleinstadt Trost aus, südlich einer Bergkette und nah am Fluss Wild River. Auf den Straßen sammeln sich die kleinen Lichtpunkte der alten Straßenlaternen und weisen den Weg mit spärlicher Beleuchtung. Das Dunkelgrün der Natur wird von der nächtlichen Dunkelheit verschluckt, als auch der Vorgarten eines Familienhauses. Vom Fenster des Kinderzimmers aus, beobachtet die 12-jährige Mikasa den Übergang von Tag zu Nacht. Die großen, dunkelgrauen Augen versuchen so viel wahrzunehmen, wie es in ihrem neugierigen Alter möglich ist. Das lange schwarze Haar umrahmt nicht nur ihren zierlichen Kopf, sondern betont auch die Begeisterung in ihren Augen, als ein Blitz ohne ein Donnerzeichen zwischen den Wolkenmassen erscheint. In ihrem weißen, schlichten Nachtkleid gleicht sie einem Engel. Der feine Stoff reicht bis zu den Knien und hält ihren Körper schön warm. Obwohl ihre Familie nicht viel Geld besitzt, stehen ihre Wünsche an oberster Stelle. Für ihren kleinen Schatz würde das Ehepaar alles tun, was in ihrer Macht steht. Diese Geste schätzt Mikasa sehr. Ein mildes Lächeln huscht über ihre Lippen, welches ihre Mutter als einen Sonnenschein bezeichnet. Mikasa kennt ihre Mutter Misaki, als eine liebevolle und verständnisvolle Frau. Trotz ihrer ärmlichen Herkunft fand sie in den ehrgeizigen Arzt Thomas die große Liebe. Später heirateten sie in orientalischer Tradition und bekamen ein wundervolles Geschenk; ihre lebhafte und neugierige Tochter Mikasa. Müde gähnt das Mädchen und reibt sich die Augen. Eigentlich muss Mikasa schon längst im Bett sein. Der altmodische, rot-lackierte Wecker zeigt schon 20:57 Uhr an und es tauchen auch die ersten Erschöpfungszustände auf. Gerade beschließt sie, schlafen zu gehen, als etwas ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie legt ihre Hände gegen die Fensterscheibe, um sich besser beim genaueren Hingucken abstützen zu können. Auf der anderen Straßenseite flackert das Licht einer Straßenlaterne und ein leises Surren unterbricht die Stille. Neugierig überwacht sie das Geschehen weiter, als Mikasa plötzlich einen Schatten hinter der Laterne entdeckt. Wie in Zeitlupe weiten sich ihre Augen und eine Erinnerung spiegelt sich in den silbergrauen Seelenspiegel wieder. Unbewusst schlägt ihr Herz höher. Das Geräusch von aufladender Elektrizität ertönt, wodurch die Lampe der ersten Straßenlaterne zerspringt. Dadurch gewinnt der Schatten an Stärke und formt sich vom Boden zu der Größe einer jungen Frau empor, aber ohne erkennbares Zeichen einer Identität. Über den gepflasterten Fußweg schreitet der Schatten durch die Dunkelheit. Je näher sie der nächsten Laterne kommt, desto mehr verblast das Licht in einem schwachen Schein. Kaum steht der Schatten vor dem Lichtkegel, als die Beleuchtung nach ein paar Flimmern verschwindet. Aus Mikasas Sicht sieht es so aus, als ob der Schatten an der Stelle sich vorsichtig heran tastet, wo vorher das Licht schien. Keine Sekunde weicht Mikasa dem Vorgang von der Seite. Langsam gewöhnen sich Mikasas Augen an die Düsternis, in der sie etwas Unheimliches beobachtet. Es scheint sich zu regen. Der Schatten füllt sich mit einer viel lebendigeren Aura als vorher, darum gleicht es einer pechschwarzen Seele ohne einen Körper als Halt. Oben leuchten drei blau schimmernde Punkte, die sich nach einigen Sekunden als zwei pupillenlose Augen und einem unförmigen Mund herausstellen. Anscheinend zeigt es jetzt seine wahre Gestalt. Nun schaut es sich ständig um und dabei geht es mit einer tödlich eleganten Bewegung voran. In die Richtung des gegenüberliegenden Familienhauses richtet es seinen schauerartigen Blick. Wie von Sinnen schüttelt es angewidert den Kopf und guckt sich weiter um. Plötzlich zuckt es zusammen, weil es kurz den Lichtstreifen der Straßenlaterne berührt. Die Wut in der Gestalt brodelt so stark, dass es die Augen zu Schlitzen formt und mit einem hohen Kreischen die Glühbirne zum Platzen bringt. Ein Schauer durchfährt Mikasa. Ihre Finger fangen auf der kühlen Fensterscheibe an zu zittern. Selbst ihre schmalen Lippen beben neben den wachsamen Sinnen. Wie in einer Winterstarre rührt sich im Körper kein Muskel und sie spürt ihren eigenen Atem gegen das Glas. Da das furchtsame Augenpaar die Grenze der Ausweitung nicht überschreiten kann, zucken ihre Augen ständig wild herum. In den Moment wünscht sie sich, schon im Bett friedvoll zu schlafen. Schön eingekuschelt in der Wolldecke und schlummert während eines Traumes auf der weichen Matratze. Leider stellt die Realität andere Regeln auf. Das Mädchen befürchtet bei dem Anstarren nichts. Nur ein ungutes Gefühl breitet sich in ihren Magen aus. Ein Grinsen bildet sich bei der Gestalt, während es wie beim ersten Treffen freudig zu winkt und schaut Mikasa mit Begierde an. Angst bringt Mikasa aus ihrer Starre zurück. Endlich erkennt sie die Situation, wobei sie immer noch am Fenster steht und über den nächsten Schritt nachdenkt. Jedes andere Kind malt sich bestimmt so etwas als einen zauberhaften Moment aus, da es gerne seiner Fantasie folgt und erachtet alles Neue als spannend, um es genauer zu untersuchen. Dagegen ist Mikasa schon etwas reifer, weil sie eher ihren Gefühlen vertraut als den naiven Kinderverstand. Die Situation vor ein paar Tagen will sie nicht noch einmal erleben. Genau dieser Gedanke gibt ihr die Kraft zur Bewegung. Draußen geht der Schatten auf das Haus zu, wo Mikasas Familie wohnt. Die Haltung ähnelt einer feinen Dame, doch dieser Vergleich wird durch das diabolische Grinsen zerstört. Unter Mikasas aufmerksamen Blick betritt es den Vorgarten. Der Weg ist mit zarten Blütenblättern übersät, als es den Rasen mit leichten Schritten durchquert und den Blick zu Mikasa aufrechterhält. Nachdem sich die Lage verschärft, lockert sie ihren Körper und versucht sich zu beruhigen. Aus einem bestimmten Grund atmet Mikasa schneller, als sich der Schatten dem Haus nähert. In ihre Lunge breitet sich ein Druck aus, der die Lungenflügel mit viel Luft füllt, wodurch sie schwerer atmet. Sie bekommt Angst. Große Angst. Es will hierher, aber das kann Mikasa nicht zu lassen. Tatterig senkt sie ihr Haupt. Das Mädchen schließt die Augen und schüttelt den Kopf. Jetzt darf sie nicht schwach werden! Bevor noch etwas Schlimmes passiert, was sie ja nach der schweren Zeit nicht will. Noch liegt der Schock in den Knochen, doch sie hebt ihren Kopf hoch und öffnet fast geistesabwesend die Augen. Zuerst blickt sie auf den unteren Türrahmen, um noch einmal die Gedanken zu sortieren. Irgendwie steigt in ihr ein mulmiges Gefühl auf, was nicht auf Übelkeit zurückführen lässt, sondern von einer Kälte auf ihrer hellen Haut stammt. Ungewöhnlich fremd fühlt es sich an, ganz anders als die herbstliche Frische und winterliche Kälte. Dabei bemerkt sie nur einen Punkt, der sich beinah lebendig anfühlt. Mikasa hält die Ungewissheit nicht mehr aus und ihr Blick folgt dem Ursprung dieses Empfindens, zu ihren Händen an der Fensterscheibe. Auf dem Glas haftet der Frost, welcher die Sicht nach draußen versperrt. Klirrend kalt nimmt sie die Fensterscheibe wahr, worauf eine Gänsehaut sich bei ihr bildet und alle Härchen zu Berge stehen. Klopf Klopf! Der Schreckmoment lässt sie zusammen zucken, wobei sie auch einen Schritt vom Fenster weicht. Dicht hält sie ihre Arme vor der Brust und bringt dann auch ihre Atmung unter Kontrolle. Sie neigt ihren Kopf zur Tür, da sie sicher ist, von dort kommt das Klopfen her. Sofort begreift sie, dass sie falsch liegt und ihre Augen durchsuchen ihr Zimmer. Kein Zeichen von der Quelle ihrer Furcht. Klopf Klopf! Augenblicklich werden ihre Augen tellergroß. Das glatte, lange Haar sträubt sich wegen eines Verdachtes auf und dreht sich begriffsstutzig zum Fenster um. Etwas Spitzes kratzt am Fensterglas herum, wie die Kreide auf einer Tafel. Wie durch Zauberei verschwindet der Frost am Glas. Doch was Mikasa dort sieht, lässt ihr das Blut förmlich in den Adern erfrieren. Vor dem Fenster schwebt der Schatten herum, grinst Mikasa gierig an und beschädigt die Scheibe mit weiteren Kratzern. Mikasas Zimmer befindet sich im zweiten Stock, also kann das Wesen doch nicht hier rauf, oder doch?! Eigentlich will Mikasa nur schreien, jedoch hält etwas sie davon ab. Die Kälte breitet sich in Mikasas Zimmer aus und umschließt das Mädchen wie ein Mäuschen in der Falle. Sämtliche Alarmglocken klingeln bei ihr. Hier ist Mikasa nicht mehr in Sicherheit und flüchtet aus dem Zimmer. Als sie an der Tür andauernd ruckelt, scheint die Tür fest gefroren zu sein. Zudem hämmert sie noch gegen das weiße Holz. Sie will nur hier raus und wirft noch einen letzten Blick zum Fenster, was jetzt offen steht und die weibliche Gestalt hinein spaziert. Sanft landet der Schatten auf den Boden, guckt sich neugierig im Kinderzimmer um und erblickt Mikasa an der Tür, die eigentlich flüchten will, aber wegen der verschlossenen Tür nicht kann. Ohne weitere Fluchtmöglichkeiten stellt sich Mikasa als ein einfaches Opfer heraus. Ihre Kehle fühlt sich vollkommen trocken und kalt an, sodass sie keinen Laut heraus kriegt. Ein metallisches Klirren mischt sich unter die angespannte Situation, da Mikasa immer noch ihre Hände um die Klinge gelegt hat und dabei wie verrückt zittert. In den silberfarbenen dunklen Augen füllen sich die ersten Tränen. Selbst ihre Füße treten auf Eisflächen, die bei einem weiteren Schritt sie zum Fall bringen. Gerade ärgert sich zudem Mikasa, wieso sie nicht beim Blitzzählen kein Licht im Zimmer an hatte. Dann wäre dieses Wesen bestimmt jetzt nicht hier. Durch die Kälte sind ihre Sinne betäubt. Aus einem unbestimmten Grund ertönen kaum noch Geräusche, mit Ausnahme des aufgeregten Herzklopfens. Ihre Sinne können durch die bizarre Atmosphäre nicht mehr die Umgebung wahrnehmen, als ob sie im Eis gefangen wären. Die Kraft zum Schreien fehlt Mikasa ebenfalls. Der Schatten findet Mikasas Zustand amüsant, daher lacht es, ohne dabei einen Laut von sich zu geben. Inzwischen überzieht eine hauchdünne Schicht aus Eis und Glätte die Flächen im Kinderzimmer. Jede Spur von Wärme existiert nicht mehr in den Raum. Um Mikasa keine Fluchtmöglichkeiten zu ermöglichen, schließt es auch die Fenster und der letzte Ausweg nach draußen vereist zu einer Barrikade. Erneut starrt das Wesen sie an und grinst ihr vergnügt zu. Eine Geste, die man bei Mikasa nicht sehen kann. Im Gegenteil, sie presst ihre Kiefer zusammen und schaut den Eindringling bedrohlich an. Die am Anfang ängstlichen Augen blicken den Schatten jetzt ruhig und selbstbewusst entgegen. Als Erstes taucht ein überraschter Ausdruck beim Schatten auf. Anschließend fuchtelt es wütend mit den Armen herum. Von Mikasas schnellen Stimmungswechsel scheint es nicht begeistert zu sein. Daher geht es auf Mikasa zu. Um die leere Hülle wirkt die Schattenaura etwas mehr aufgebracht, als die Berührung mit dem Licht. Für Mikasa heißt das nichts Gutes und will zum Bett flüchten, als ihre Hände an der Türklinge festkleben. Aus dem launischen Blick wandelt sich zu einer Mimik der Verzweiflung. Raue Laute kommen aus ihrem Mund, als Zeichen des Unglaubens, was jetzt oder gleich geschieht. Kleine Tränen kullern über ihre Wangen und kristallisieren sich zu Eiskugeln. Mit Kraft rupft sie an der Türklinge, in der Hoffnung endlich frei zu sein, doch dabei entsteht nur ein schmerzhaftes Ziehen auf den Handflächen. Über diese Neuigkeit freut sich das Wesen und braucht nur noch 4 Schritte bis zu dem Mädchen. Um sich zu schützen, will Mikasa es solange mit Tritten abwehren. Zu ihrem Pech stecken sie Füße auch am Eisboden fest. Sie fühlt sich hilflos. Hoffnungslos schließt sie die Augen, hört mit dem Widerstand auf und wartet auf ihr Todesurteil. Hinter ihren Rücken drängt sich die Kälte soweit vor, dass Mikasa beinah in Ohnmacht fällt. Nicht nur die Muskeln werden schwer wie Blei, auch ihre Augen, die fast ihren Glanz verlieren, fallen bald zu. In den Zustand ist Mikasa die perfekte Beute, ohne Gedanken und Umsetzung von Gegenwehr. Sogar die Freiheit zum Weinen wird ihr nicht gegönnt, da die Tränen sich ruckartig verfestigen. Zufrieden grinst der Schatten. Nach dem letzten Schritt legt es seine Hände auf Mikasas Schultern und reißt weit den Mund auf. Tief in Mikasa herrscht eine schwarze Leere, welche sich von innen nach außen durchfrisst und auch ihre Seele befällt. Dieser Vorgang schmerzt so sehr, als ob Bienen gegen ihre Haut stechen. Plötzlich hallt ein lauter Schrei durch das Kinderzimmer. Bevor Mikasa das Bewusstsein verliert, entfernt sich die eisige Umarmung von ihr und sie kann langsam wieder auftauen. Ihre Augen erhalten den Glanz zurück und der Atem baut sich auch schrittweise auf. Neben den zitternden Körper klagt ihr noch leichte Schmerzen im Brustbereich, da auch das Herz fast den Willen zum Weiterschlagen verlor. Doch im Inneren lodert wieder die Flamme des Lebens. Vollkommen erleichtert hechelt Mikasa und Schweißperlen rollen über ihre blasse Haut. Inzwischen färbt sich die gesunde, helle Haut zu einer bleichen, kühlen Farbe. Die Sicht ist noch etwas verschwommen. Um wieder Herr der Sinne zu werden, atmet Mikasa noch einmal tief durch und konzentriert sich auf die Umgebung. Kalt. Dunkel. Still. Wie von der Tarantel gestochen, steht sie kerzengerade auf und neigt ihren Kopf nach hinten. Verdutzt sieht sie den Schatten an, der sich ganz hinten in der dunkelsten Ecke versteckt. Die weißen Flecke an dem Schatten fallen Mikasa auf der Stelle auf, vor allem an den Händen und Armen. Anscheinend hat die Gestalt Schmerzen und deshalb von Mikasa abgelassen. Nur der Grund bleibt Mikasa ein Rätsel. Sie erinnert sich nur, wie es seine Hände auf ihre Schultern legte und nach einigen Sekunden mit einem Schrei sein Vorgehen beendete. Derzeit erkennt sie ihr Chance auf eine mögliche Flucht. Als Erstes muss sie sich von der Türklinke befreien, bevor sich die Gestalt erholt. Mit Zerren und Druck entfernt sie ihre rechte Hand aus der Eisfalle, jedoch sind einige Hautfetzen entrissen. Tapfer beißt Mikasa ihre Zähne zusammen und dann folgt die nächste Befreiung ihrer linken Hand. Ein mildes, schiefes Grinsen erscheint sich auf den Lippen. "Ahhhhh … ngh … wahhhhh", jault das Mädchen beinah wie ein Wolf in der Falle und der erstickende Schrei wird durch die Kälte in der Kehle langsam eingedämmt. Reflexartig klammern sich ihre Hände um das Handgelenk, welches ihre langen Haare nach oben zerrt. Vor Schmerzen verzieht sie krampfhaft das Gesicht und ihre Füße berühren nicht mehr den Boden. Die Hoffnung zerbricht in 1000 Teile. Sie zappelt mit den Beinen herum, um wieder Halt zu finden, was leider nicht klappt. Ein kratziges Keuchen entfährt Mikasa, weil der Schatten weiter ohne Gnade an ihren Haaren zieht und die übernatürliche Kälte gleitet über das Haar zum Kopf. Frost greift ihre Nerven im Kopf an. Erneut erklang ein heiserer Schmerzensschrei aus ihrer Kehle und Tränen aus Eis fallen zu Boden. Da es dem Schatten zu langweilig wird, schleudert er sie weg. Mikasas Körper prallt mit voller Wucht gegen die Wand, wo sie dann unsanft auf ihr Bett landet und dort mit einem schmerzerfüllten Stöhnen liegen bleibt. Mit einem siegessicheren Grinsen läuft es auf das beinah bewusstlosen Mädchen zu. Währenddessen sinken die Temperaturen im Raum, die Mikasas Bewegungen sehr beeinflussen. Sie kann sich kaum bewegen. Ihre dunkelgrauen Augen strahlen pure Angst aus, obwohl in ihr alles daran schreit, sie soll wieder aufstehen. Der menschliche Verstand regt jeden dazu an, um sein Leben zu kämpfen. Auf einmal spürt sie ein Funken Wärme an der rechten Wange. Darum öffnet sie ihre Augen wieder und wendet ihren Blick ein Stück nach oben. Ein Stück von ihrem heißgeliebten Schal kommt in Kontakt mit ihrem Gesicht. Das dunkelrot-schwarze Stoffmaterial erweckt in dem Mädchen eine wichtige Erinnerung. An ihrem letzten Geburtstag schenkte ihr Vater Mikasa diesen Schal, als er bei einem Arztbesuch in Peru war. Aus feinen Baumwollfäden geflochten, ließ Thomas den Schal herstellen, aufgrund ihrer damaligen Alpträume. Aus Dank für Thomas Hilfsbereitschaft soll der Schal auch böse Geister vertreiben. Die Einheimischen waren ein sehr gläubiges Volk, was Geister und Dämonen betraf. Seitdem sie den Schal um ihren Hals trägt, kehren keine bösartigen Träume mehr zurück und sie fühlt sich in unruhigen Nächten sicher. Mit letzter Kraft schnappt sie sich den Schal und wickelt diesen um ihren Hals. Das matte Grau in den Augen verändert sich zu einem warmen Silberton und ihre blasse Haut gewinnt wieder an sandfarbiger Farbe zurück. Zum Schluss erhöht sich ihre Körpertemperatur, wobei das Herz regelmäßig weiter schlägt. Sie atmet durch. Um Mikasas Körper bildet sich eine wohlige Aura, ein glückliches Gefühl wie die Umarmung der Eltern. Schnell denkt Mikasa an die Schattendame, welche einen großen Abstand zu Mikasa hält. Von dem Angriff hat sie sich noch nicht erholt. Mit dem Rücken an der Wand gelehnt, bemerkt Mikasa, wie um ihr das Eis anfängt zu schmelzen, wie der Wechsel vom Winter zum Frühling. Dagegen zeigt die Gestalt keine Freude, eher kocht sie innerlich vor Wut, sodass sie vor Zorn die Fensterscheibe zum Aufplatzen bringt. Kurz kreischt Mikasa auf und hält die Hände vor dem Gesicht. In diesen Moment blitzt es am Himmel und die Scherben fallen klirrend auf den Boden. Selbst ein Donnerschlag versetzt das Mädchen noch mal in einen Schrecken. Sie vergräbt ihr Gesicht in den Schal und wartet ab, bis Ruhe im Zimmer einkehrt, aber die Angst bleibt bestehen. Als nichts mehr passiert, öffnet sie ihre Augen und schaut sich aufmerksam um. Jedes Detail betrachtet das Mädchen im Raum, um nichts außer Acht zu lassen. Nachdem sie sich umgeschaut hat, regt sich langsam ihr Körper und setzt sich auf. Für einen Augenblick schlägt ihr Herz so hoch, dass es beinahe explodiert und sie kaum atmen kann. Durch das wahrscheinliche Verschwinden des Schattenwesens beruhigt sich ihr Körper von alleine. Den Schal hält sie ganz fest. Vor Aufregung rührt sie sich nicht vom Fleck, dagegen spitzt sie Augen und Ohren, weil es zu jeder Zeit wieder zu einem Angriff kommen könne. Sie erkennt ihre Chance zur Flucht und rennt hoffnungsvoll zur Tür. "Verdammt … wieso ge-geht die T-Tür jetzt nicht … auf? Mo-Moment mal! I-Ich kann … ja wieder re … den. D-Die Kälte … ist ja au-auch weg", murmelt sie etwas erschöpft. Sie lehnt sich mit den Rücken gegen die Tür und rutscht am Holz nach unten entlang. Die Arme fest um die angewinkelten Beine umschlungen, versteckt sie ihr Gesicht tiefer in den Schal. Ein Schluchzen durchbricht ihre innerliche Unruhe und sie wischt mit den Handrücken die Tränen weg. Tief in ihren Herzen sticht ein alter Schmerz, welcher ihr Herz beinah zum Stillstand führt. Die graue Augenfarbe wirkt glasig und mit Traurigkeit gefüllt. Auf einmal flüstert sie ein Wort, dass ihr Herz empfindlich berührt: „Mama“ Kapitel 2: Kämpfendes Herz -------------------------- "Wenn wir nicht kämpfen, können wir auch nicht gewinnen." Draußen am Himmel herrscht großes Chaos. Die Wolkenmassen prallen wie Welten aufeinander und vereinigen sich zu einer gewaltigen Gewitterwolke. Trotz der Dunkelheit erkennt man die Umrisse des Unwetters, wie das Gemälde eines Künstlers mit einem wilden Zeichenstil. Zwischen den Schichten aus dunklen Wolken tauchen Blitze auf und verwandeln die Gewitternacht mit weißen Lichteffekten zu einem Feuerwerk. Statt des schrillen Knalls von Feuerwerksraketen dröhnt dafür lautes Donnergrollen hervor. Durch die Straßen und Gärten säuselt der kühle Wind, wobei die Baumkronen im Wirbel hin und her tanzen, genau wie das Schwingen ihrer Äste. Als die Blitze und Donnerschläge öfters auftreten, fängt es langsam an zu regnen und die Erde ertrinkt in Himmelswasser. Mit einem lauten Knall reißt ein Windstoß das Fenster auf. Die Gardinen an den Seiten wedeln wild umher und Regen dringt durch das offene Fenster ein. Mikasa sitzt gedankenverloren am Rand ihres Bettes, zupft nervös an ihrem Schal herum und denkt über alles genau nach. Der Schock spiegelt sich in ihrem Gesicht wieder. Leicht zucken die dunkelgrauen Augen umher, während ihr Körper ruhig bleibt. Mikasa fällt auf, dass der Schatten vor Licht und Wärme Angst hat. Kurz streift sie mit ihrer Hand über den weißen Stoff ihres Nachtkleides. Da erinnert sie sich, wie ihre Mutter mit viel Liebe und Pflastern an den Fingern dieses Nachtkleidchen nähte. Liebe ist eine Form von Wärme. Bei den Schal glaubt sie wirklich an magische Kräfte gegen bösartige Kreaturen. Ohne die Begegnung mit den Schatten würde sie an so was niemals glauben. Sie seufzt leise. Sie ist so sehr in Gedanken versunken, dass sie erst jetzt das weit geöffnete Fenster bemerkt. Ein frischer Windzug weht durch das Zimmer, verteilt die Blätter vom Schreibtisch im Zimmer und streichelt Mikasas schwarzes Haar. Ein Schauer befällt ihren Rücken. Durch die eisige Stelle in der Kehle fängt sie an zu husten. Obwohl der Schal viel Wärme spendet, ruht noch ein Druck auf der Kehle, welcher ihre Stimme bei einer gewissen Tonstärke beeinträchtigt. Um nicht noch länger Wurzeln zu schlagen, steht sie schweigsam auf und läuft zur Tür. Doch auch dieses Mal ist sie eingeklemmt und ein enttäuschter Blick lockert ihre Gesichtsmuskeln. Den Kopf zum Fenster gerichtet, schleicht sich ein riskanter Plan in ihrem Geist. Unsicher beißt sie sich auf die Unterlippe, während sie zum Fenster geht. Sie lauscht dem Unwetter. "I-Ich … raus … C-Chance", stottert sie unvollständig und tastet ihren Hals ab. Anscheinend kann sie nur wenige Worte sprechen, daher gibt sie das Sprechen auf und schaut aus dem Fenster. Vor ihr befindet sich ein Vordach, welches direkt zum Garten reicht. Der Regen prasselt auf die dunkelblauen Dachziegel, wodurch der Wasserfluss über das Dach entlang fließt und in den Dachrinnen nach unten wandert. Zudem bläst ein Windhauch einzelne Regentropfen gegen Mikasas Gesicht, die sie mit einem Kopfschütteln entfernt. Zwar leidet sie nicht unter großer Höhenangst, aber durch den Regen besteht Rutsch- und Fallgefahr. Zuerst zögert sie ihren Plan in die Tat umzusetzen, da sie sich reflexartig an den Fensterrahmen so stark festhält, dass sie sich nicht von der Stelle rührt. Auf einmal setzt ihr Herz einen Sprung aus. Mikasa fühlt hinter sich wieder diese kaltblütige Aura. Ohne einen Blick zu riskieren, ahnt sie schon, wer oder was hinter ihr steht. Unter dem Bett regt sich etwas. Als ein Blitzschlag für 3 Sekunden den Raum erhellt, erblickt Mikasa an der Stelle zwei blaue, flammen-ähnliche Augen. Dieses hinterlistige Grinsen jagt Mikasa keine Angst mehr ein, eher wird es für sie nervig. Eine mögliche Schwächung treibt es zurück. "D-Du … pl-planst … doch et … was", stellt das Mädchen fest. Zu ihrem Bedauern bestätigt der Schatten ihren Verdacht. Schwer schluckt Mikasa das Ergebnis ihrer Frage, als die weibliche Gestalt seitlich links unter dem Bett hervor kommt und zweimal mit den Fingern schnipst. Misstrauisch beobachtet sie das Geschehen, was sie schon nach einem Moment sehr bereut. Der Schatten verwandelt sich nach dem Fingerschnippen in eine schwarze Schlange, doppelt so lang und groß wie eine ausgewachsene Anakonda. Vor Schlangen fürchtet sie sich am meisten. Mikasa reißt die Augen weit auf und ein dunkler Schatten huscht über ihr kreidebleiches Gesicht. Nicht ein Laut kommt heraus. Eisblaue Reptilienaugen funkeln sie hämisch an und die Schlange zischt grausig. Die Umrisse der Schlange sind etwas verzerrt, dennoch real. Als die Schattenschlange auf sie zu schlängelt, befindet sich Mikasa in Zwiespalt, ob sie sich wehren oder über das Vordach flüchten soll. Je näher ihr Alptraum kommt, desto wilder hämmert ihr Herz gegen den Brustkorb. Ihr Verstand meldet sich mit Nachdruck, dass sie fliehen soll, bevor es zu spät sei. Jedoch bewegt sich Mikasa keinen Zentimeter, weil sie starr vor Angst ist und dagegen ankämpfen muss. 2 oder 3 Meter vor ihr bäumt sich die Schlange auf. Das Mädchen guckt mit zittrigen Gliedern zu, wie es weit das Maul aufreißt und nach ihr schnappen will. Ein seelischer Blitzschlag durchströmt ihren Körper plötzlich, wobei die Muskeln sich zuerst anspannen und sich kraftvoll in Bewegung setzten. Instinktiv hebt sie ihre Beine, stützt sich am Fensterrahmen ab und weicht mit einem Sprung zur Seite den Angriff aus. Mit einem Keuchen landet sie rückwärts auf den Boden, während die Schlange ein Stück vom Fensterbrett abbeißt. Schnell steht Mikasa mit schweren Atemzügen auf, der Schock sitzt noch tief in den Knochen. Schwarze Haarsträhnen fallen ihr ins Gesicht, welches kurz Erleichterung zeigt, aber sich mit einem erneuten Blick zur Schlange sorgenvoll verzieht. Die Schattenschlange spuckt das Stück Marmor aus und neigt den Kopf zu Mikasa, die wenige Schritte nach hinten geht. Irgendwie bereut sie es, nicht auf das Vordach gesprungen zu sein, denn jetzt steckt sie mit dem Wesen im Zimmer fest. Entrüstung keimt in ihr auf, da sie nicht mehr länger das wehrlose Jagdziel sein will. Sie stößt leicht gegen ihren Wandschrank, ein weiterer Schritt zurück ist nicht möglich. Da fällt ihr eine wichtige Kleinigkeit auf. Zu ihrer Skepsis bleibt die Schattenschlange vor dem Fenster stehen und starrt Mikasa einfach so an. Zwar weiß sie nicht, was es wieder ausheckt, doch sie nutzt diese Chance und öffnet sacht die Wandschranktür. Kleidung und Sportgeräte mit Golf- und Hockeyschläger berühren ihre Hände. Leider findet sie nicht das, was sie unbedingt haben will. Wachsam beobachtet sie die Gefahr, nicht das es doch noch zu einer weiteren Attacke kommt. Augenblicklich leuchtet ein Hoffnungsschimmer in ihren Augen auf. Sie versucht schnell danach zu greifen, bis sie kurz unachtsam ist und einen Druck um ihre Beine spürt. Statt unentwegt die Schattenschlange zu beobachten, sieht sie nur auf ihren Kopf. Unglücklicherweise hat sie nicht auf die untere Hälfte geachtet, die sich im Schutz der Dunkelheit auf dem Boden zu ihren Füßen schlich und sie jetzt im Griff hat. "S-Scheiße …", flucht das Mädchen wütend. Dagegen zischt das Schlangenwesen belustigt über Mikasas naive Aussicht auf Erfolg. Da sich die Situation wieder verschärft, beeilt sie sich mit den Suchen nach ihrer Auswahl. Kaum erwischt sie es, drückt das Wesen sehr stark zu. Mikasa presst ihre Kiefer zusammen, um nicht vor Schmerzen zu stöhnen. Diesen Gefallen tut sie für die Schattenschlange nicht. Eher schnappt sie sich den Hockeyschläger und schlägt ordentlich gegen die Schuppen. Ein höllischer Schrei hallt durch das Familienhaus. Mikasas bricht vor Schmerzen zusammen. Der Hockeyschläger ging durch die Schattenschuppen und verletzte Mikasas linkes Bein. An der Stelle pocht es schmerzhaft und ein rötlicher Fleck bildet sich auf ihrer Haut. Sie beißt ihre Zähne zusammen und hält auch die Tränen zurück. "Hah ….", bringt Mikasa nur keuchend hervor. Zufrieden schleicht die Schlange langsam zu Mikasa, die ihren Oberkörper und Kopf nach vorn beugt und vom eigenen Schlag zuerst erholen muss. Bei dem Schauspiel folgen am Nachthimmel weitere Blitze, die das Zimmer in einem weißlichen Horrorstil tauchen. Im Gefecht des Feuerwerks blinzelt die Schattenschlange ein paar Mal auf Grund der Helligkeit. Mikasas Körperhaltung ist auch im Sitzen noch gesenkt, dabei verdecken ihre Haare das Gesicht. Erneut reißt das Schattenwesen sein Maul auf, um von Mikasa etwas Bestimmtes zu bekommen und dreht den Kopf zu ihr, als Mikasa ihren Kopf hebt. Ein freches Grinsen schleicht sich über ihr selbstbewusstes Erscheinen. Kurzzeitig stoppt der Schatten sein Vorgehen. Ihre Hände erscheinen vor ihr, als sie lächelt. In ihren Händen hält sie eine Taschenlampe. Das Licht erwischt das Schlangenwesen, welches fast vor Mikasas Augen verkohlt. Es weicht nach hinten aus und versucht sich im Kinderzimmer zu verstecken. Das duldet Mikasas nicht und verfolgt mit der Taschenlampe die Gestalt. Vor Lichtempfindlichkeit nimmt es wieder die Gestalt der Dame an. Da es nicht mehr sicher im Zimmer ist, flüchtet es durch das Fenster. Vorher sieht es noch mal Mikasa kochend vor Wut an, aber sie grinst mutig zurück. Obwohl 20 Sekunden nach dem Verschwinden des Schattens vergehen, hält sie die Taschenlampe noch gegen das Fenster. Zur Sicherheit steht sie auf und kontrolliert jede finstere Ecke im Zimmer. Weil sie nichts findet, atmet sie tief durch und hofft, dass endlich die Tür aufgeht. Beim Hochziehen der Türklinke macht es zum Glück ‚Klick‘. Die Tür öffnet sich ein Spalt. Vorsichtig späht Mikasa in den Flur. Da sie auf der einen Seite nichts Ungewöhnliches entdeckt, wagt sie sich ein Schritt nach vorne und kontrolliert die andere Flurseite mit sorgsamen Augen. Die Türen zum Dach und Badezimmer sind wahrscheinlich verschlossen. Auf beiden Flurenden befindet sich ein großes Fenster mit weiß-blauen, karierten Gardinen. Sonst steht das zweite Obergeschoss vollkommen leer, bis auf die Bilderrahmen an der Wand. Regentropfen prallen gegen die Fensterscheiben und hinterlassen einen düsteren Anblick, die Welt in der Nacht verschwindend. Bevor Mikasa den Flur betritt, befestigt sie ihren Griff um die Taschenlampe. Ein Knarzen durchbricht die Stille, als Mikasa einen Fuß auf das Laminat setzt. Bei dem Geräusch zuckt sie zusammen, da sie Angst hat, ihre Position zu verraten. Nichts im Haus scheint ihren kleinen Fehler zu bemerken. Noch einmal überprüft sie die Taschenlampe, atmet tief durch und verlässt ihr Zimmer. Auf dem Flur schleicht sie in Richtung Treppe, die spiralförmig nach unten zum Wohnzimmer führt. Das Licht leuchtet den sicheren Weg, welcher hinter ihr ungeschützt ist, sollte der Schatten von dort angreifen. Allein der Gedanke verpasst ihre eine Gänsehaut. Während sie durch den Flur leise humpelt, listet sie in Gedanken noch mal alles auf. Kälte und Dunkelheit sind die Stärken des Schattens, aber Licht und Wärme verletzten es wiederum und vertreiben es. Dann erinnert sie sich an den eigenen Schlag am Bein. Anscheinend kann man es nicht berühren, jedoch kann der Schatten seine Opfer problemlos mit Berührungen beeinflussen. Das erschwert die Situation um ein Vielfaches. "W-Wie … k-kann ich … d-dich … besie-gen"?, knurrt Mikasa schwach. Der Druck in ihrem Hals verhindert immer noch ihre vollständige Sprachfähigkeit. Entweder sind das Folgen der Dämonenkälte oder etwas Anderes hält ihre Stimme gefangen. Eine weitere Sache macht ihr auch Angst. Sie vermutet, dass das Wesen sich in die Ängste seiner Opfer verwandeln kann, wie bei Mikasa mit der Schlange. Kurz lehnt sie sich an die Wand, da ihr Bein wieder anfängt zu schmerzen. Behutsam streicht sie mit der Hand über den blau-violetten Fleck. Die sanfte Berührung entspannt den Muskel am Unterschenkel. Für einen Moment schließt sie auch ihre Augen, lauscht dem Prasseln des Regenschauers gegen das Glas und dem Groll der Donnerschläge. Müdigkeit überfällt sie mit Leichtigkeit, bis ein Poltern sie aus der Pause holt und sie ihre Augen öffnet. Links und Rechts erfasst sie nichts Verdächtiges. Auf jeden Fall sind ihre Sinne geschärft, um weitere Unachtsamkeiten zu umgehen. Nachdem die Stille einkehrt, fragt sie sich wo das Poltern herkam. Mikasa vermutet, dass das Geräusch vom Dachboden kommt. Allein die Vorstellung dort oben nach dem Recht zu sehen, verleiht Mikasa ein ungutes Gefühl. Deshalb ignoriert sie den Vorfall und zieht ihr verletztes Bein achtsam weiter Richtung Treppe. Erneut erhält ein Poltern ihre Aufmerksamkeit, aber dieses Mal kommt es von unten. Gerade will Mikasa dem Geräusch nachgehen, als von unten das Knirschen von aufsteigenden Schritten auf der Treppe ertönt und sie einige Meter vor dem Treppenabstieg stoppt. Kann es der Schatten sein? Vor Aufregung zittert ihre Hand und der Lichtkegel wackelt hin und her. Zu diesem Zeitpunkt überlegt sie, wie sie sich am besten wehrt. Je mehr Zeit vergeht und näher die Schritte kommen, desto panischer wird sie. Bis sie den Entschluss fasst, diesmal als Erstes den Angriff zu starten. Die Augen formen sich zu Schlitzen und sie verkrampft leicht die Haltung, wodurch ein schmerzhaftes Pochen am Unterschenkel ausgelöst wird. Sie ignoriert den Schmerz gekonnt und achtet nur auf ihr Ziel. Im Schein der Taschenlampe erscheint der Umriss einer Frau. Jetzt fehlen nur noch wenige Sekunden bis zum Aufeinandertreffen von Mikasa und dem Schatten. Doch dann gibt die Taschenlampe den Geist auf. "W-Was … a-aber …", jammert Mikasa nervös. Andauernd schlägt sie mit der Faust gegen die Taschenlampe, um das Gerät wieder zum Laufen zu bringen. Die Zeit verläuft wie in Zeitlupe, als jemand den Flur betritt und anschließend vom Licht geblendet wird. Mikasa erlangt beinah an einem Herzstillstand. Aus ihrer Hand fällt die Taschenlampe zu Boden. Schon fast kraftvoll fällt Mikasa auf die Knie, wobei sie schmerzvoll auf zischt, als ihre verletzte Stelle gegen die holzartige Ebene zusammenstößt. Genau auf das Mädchen bewegen sich zügige Schritte zu. Im nächsten Moment umklammern Arme ihren Körper und sie wird fest nach oben gedrückt. Ihre Ohren empfangen Herzschläge, die nicht von ihr, sondern von der Person vor ihr stammen. Eine schlanke, schwarzhaarige Frau löst die Umarmung und untersucht das Mädchen auf schwere Verletzungen, bis sie den blauen Fleck entdeckt. Vollkommen in einer Starre vertieft, bemerkt Mikasa nur noch, wie die Frau sie hochhebt und runter zur Küche bringt. Dort wischt sie mit einem kalten Lappen die kleinen Schweißperlen von Mikasas Stirn ab. Etliche Fragen prallen an Mikasa vorbei. Die dunkelgrauen Augen starren nur gerade aus. "Mein Liebling, Mikasa! Was um alles in der Welt ist passiert? Mikasa", spricht ihre Mutter Misaki sie besorgt an. Erleichtert um Mikasas Wohlbefinden neben dem violetten Fleck und ihrem Schock, scheint es ihr gut zu gehen. Kein Wort kriegt Misaki aus ihrer Tochter heraus. Liebevoll streichelt sie über Mikasas Wangen, was zur Erlösung von Mikasas Starre führt. "M-M-M … was … m-machst ...d-d-du hier"?, wundert sich das Mädchen und zittert noch am ganzen Körper. Die Mutter schüttelt lächelnd den Kopf und kümmert sich weiter um ihre Tochter. Dann antwortet sie: "Seltsame Geräusche haben mich aufgeweckt und ich dachte ein Einbrecher ist oben bei dir und …!" Weiter kommt Misaki nicht, als Mikasa anfängt zu weinen. "A-Aber … nein … e-es … u-unmöglich. J-Jetzt … ist … es … m-m-mir … k-klar", schluchzt sie benommen und steht mit wackligen Beinen auf, sich noch etwas dabei mitnehmend. Obwohl ihre Mutter sie daran hindern will, stürmt Mikasa in die Wohnstube und schreckt mit einem angstvollen Quieken auf. Das Gesicht verblasst bei dem Anblick, welcher sich auf dem Sofa befindet. Automatisch legt sie ihre Hände vor der Nase und bekommt weiche Knie, die sie beinahe wieder zum Fall bringen. Nur mit reiner Willenskraft kann sie sich noch auf den Beinen halten. Vor ihren Augen liegt ihr Vater bewusstlos auf der Couch. Am Hals und um den Mund weisen sich gräuliche Male auf, die leicht abgeblättert wie bei Zombies sind. Der Mund ist ein Stück geöffnet und Kampfverletzungen sind zu erkennen, bei deren Anblick Mikasa in die Realität zurück bringt. Das Poltern wurde durch den Kampf hier unten verursacht, weswegen ihr Vater halbtot dort liegt. Nun ergibt die weibliche Gestalt ebenfalls Sinn. Langsam dreht sich Mikasa um. Misaki schaut ihre Mutter emotionslos an. Die hellgrauen Seelenspiegel kugeln sich um 180° zum Innenkopf und weiße, unmenschliche Augen kommen zum Vorschein. Selbst ihre Knochen knacken bei der schiefen, halb verkrümmten Körperhaltung, als sie den Schatten zum ersten Mal sah. "D-Du …", haucht sie ungläubig. Ihre eigene Mutter ist der Schatten. Jetzt erinnert sie sich auch an alles. Vor 6 Jahren verstarb ihre Mutter in einer regnerischen Nacht. In den nächsten Tagen war die Beerdigung und als kleines Mädchen sah sie den Geist ihrer Mutter, doch andere redeten ihr Monate später diesen angeblichen Unsinn aus. Seitdem verlor sie die Gestalt ihrer Mutter aus den Augen. Warum greift sie ihre eigene Familie an? Als ob der Geist ihre Gedanken lesen kann, fängt diese an hämisch zu lachen. Misaki kann das nicht glauben. "Du und dein Vater habt mich vergessen! Anfangs hast du noch mit mir geredet und gespielt. Bis Thomas es geschafft hat, mich als einen Unsinn zu bezeichnen, und von dir verlangt hat, mich zu vergessen. All die Jahre der Einsamkeit. Dafür wollte ich mich rächen", keift die Frau wutentbrannt ihre eigene Tochter an und die leere, äußerliche Hülle verschwindet. Der Schatten alias Misaki nimmt ihre wahre Gestalt wieder an. "E-Es … tut m-m-mir l-leid … M-M-M", weint sie. Deshalb konnte Mikasa das Wort Mama nicht sagen, weil ihr Herz wusste, wer in Wirklichkeit der Schatten war. Zu ihrer eigenen Sicherheit verdrängte sie den Tag der Beerdigung. Eins weiß Mikasa jedoch, dass da ist nicht mehr ihre Mutter. Sie ist vor 6 Jahren verstorben, darum muss sie jetzt ihren Vater schützen. Plötzlich schubst der Schatten Mikasa so stark, dass sie nach hinten gegen die Tischkante knallt und beim Sturz alles verschwommen wahrnimmt. Zuletzt ertönt ein hinterhältiges Lachen. Beim Erwachen dröhnt leidvoll ihr Kopf. Ihr Körper wird auf den Treppen nach oben geschleift, während Misaki sie an den Haaren hochzieht. Ein Keuchen gleitet über die Lippen, als sie ihren Kopf anhebt. Oben bleibt ihre Mutter kurz stehen. Zum Glück fällt Mikasa ein, dass sie vom Küchentisch noch das Messer in der Hand hat. Ohne zu zögern schneidet sie mit einem Schwung ihr Haar ab und befreit sich somit von dem Griff ihrer Peinigerin. Sofort bemerkt der Schatten es und greift Mikasa am Hals, wo sie dann das Mädchen gegen das Treppengelände zwängt. "Argh …", stöhnt sie auf und blickt in das verrückt grinsende Gesicht ihrer eigenen Mutter. Diesmal würgt Misaki mit aller Kraft ihre Tochter, um endlich nicht mehr einsam zu sein. Unter diesen verzweifelten Anblick bricht beinah Mikasas Herz. Tränen fließen ununterbrochen über ihr Gesicht. Völlig zerzaust reicht ihr schwarzes Haar bis zu den Schultern. Beim Würgen fallen lange Haarsträhnen nach unten. Als Mikasa keinen anderen Ausweg findet, hebt sie ihre Hand mit dem Messer und lächelt traurig ihre Mutter an. "Ich habe dich lieb, Mama", flüstert sie mit einem warmen Lächeln. Bei den Worten unterbricht der erzürnte Geist der Mutter ihr Vorgehen. Ungewollt vergießt sie kristallklare Tränen und lockert den Griff um Mikasas Hals. Mikasa verschwendet ihre einzige Chance. Schweren Herzens kann sie ihre Mutter nicht verletzen, wirft das Messer weg und wie durch Ironie zerbricht das alte Treppengelände. Mikasa stürzt in die Tiefe. Hilflos streckt Misaki ihre Hand nach ihr aus. Tränen von Mikasa berühren dabei ihr Gesicht und sie bereut ihre Selbstsucht nach dem alten Familienglück. Ein Schrei erfüllt das Haus. Epilog: Familiendrama --------------------- 20. Oktober 2016, 18:16 Uhr im Krankenhaus Ein nerviges Piepen erklingt in der Leere. Alles um ihr ist in ein tiefes Schwarz getaut, behindert sie beim Versuch sich zu orientieren. Ab und zu tauchen weiße Lichtfetzen auf. Anscheinend blinzelt Mikasa beim Erwachen aus der traumlosen Welt in die Realität, wobei die Beleuchtung des Krankenzimmers ihre Pupillen vergrößert. Auf dem Weg zum Bewusstsein bewegt sie ihren Kopf leicht nach rechts und ihre trüben Augen erblicken den Umriss einer Person. Diese lächelt Mikasa freundlich an. Als diese ihre Hand hält, spürt Mikasa eine bekannte Wärme. Zuerst entwickelt ihr Sehvermögen mehr Schärfe, dann folgt Tast- und Gehörsinn. Schwarzes Haar und hellgraue Augen meint Mikasa in Gedanken zu sehen, bis ein kalter Windhauch ihre Aufmerksamkeit nach links lenkt. Jemand hat das Fenster weit offen gelassen. Draußen regnet es in Strömen und graue Wolken sind in Sicht. "Mikasa! Bist du wach?", hört sie die ruhige Stimme ihres Vaters. Ein Nicken bestätigt ihr angenehmes Wohlbefinden. Zufrieden atmet Thomas tief durch und lächelt seine Tochter Mikasa fröhlich an. Nach der schrecklichen Nacht gleicht sein Lächeln einem wahren Wunder. Wie besinnungslos liegt die Patientin im Bett ohne ein Wort zu sagen, aber ihr zurück erlangtes Bewusstsein deutet auf ein gutes Zeichen hin. Fast eine ganze Woche lag das Mädchen im Koma. An ihrer Seite bangte Thomas um ihr Leben und gab zu ihrem Glück niemals die Hoffnung auf. Die Gesundheit seiner Tochter steht an erster Stelle. Neben den Schulden und den Tod seiner Frau ist Mikasa das Einzige, was er noch im Leben hat und mit allen Mitteln versucht er, seinen kleinen Engel zu beschützen. Dieser Entschluss liest Mikasa aus seinen himmelblauen Augen ab und schmunzelt gerührt. "Papa … was …", fängt sie an zu reden, als der blonde Mann bedrückt den Kopf schüttelt. Also weiß er über den Vorfall in der Nacht Bescheid. Eigentlich beruhigt diese Erkenntnis Mikasa. Immerhin will sie keine verrückte junge Frau werden. Auf der anderen Seite schmerzt es ihr sehr. Durch ihren Egoismus ließ sie ihre Mutter in Stich, obwohl sie damals zu klein war. Und nun sah ihr Vater seine geliebte Frau in diesen grauenvollen Zustand. Diese übernatürliche Begegnung hinterlässt eine große Wunde im Herzen. Ein Schluchzen holt sie aus der Gedankenwelt. In den Augen ihres Vaters füllen sich Tränen. Wie bei einer Ansteckungsgefahr beginnt sie auch zu weinen, dabei hält sie diesmal die Hand ihres Vaters. Eine Familie passt immer auf ihre Mitglieder auf. Die besonnenen Worte tauchen in Mikasas Herzen auf, welche ihren Schmerz etwas eindämmen. Glück im Unglück. "Es war bestimmt ein Schock für dich, deine Mutter so zu sehen. Seit ihrem Tod hast du dich so sehr verändert. Aus dem fröhlichen Mädchen wuchs langsam eine ernsthafte, sportliche Persönlichkeit heran. Ich dagegen fiel immer tiefer in das Loch. Während ich noch mit der Trauer kämpfte, hast du dich so sehr um mich gekümmert, was eigentlich meine Aufgabe war. Hätte ich dir damals geglaubt, dass ihr Geist wirklich da war, wäre das hier nie passiert. Es tut mir so leid, meine Kleine", beichtet der Arzt seine alten Wunden. Überrascht schaut sie ihren Vater an. Mit diesen ehrlichen Worten hat sie nicht gerechnet. Sie weiß, dass ihr Vater keine Schuld trägt. Niemand tut es. Dann sagt sie sanft: "Es ist nicht deine Schuld Vater. Was passiert ist, kann man nicht rückgängig machen. Stattdessen soll man nach vorne in die Zukunft schauen und die Gegenwart mit geliebten Menschen genießen“. Thomas beugt sich zu seiner Tochter und umarmt sie so fest, dass sie fast keine Luft mehr bekommt. "V-Vater ich bekomme kaum Luft …!" Sofort lässt er seine Tochter los und beide lachen herzhaft auf. Gerade will Mikasa aufstehen, als ihr Vater sie davon abrät. "Lieber nicht mein Schatz. Du …", meint er trocken, … du bist durch den Treppensturz von Fuß bis zur Hüfte gelähmt". Augenblicklich weiten sich sie ihre Augen. Zuerst muss sie diese Schocknachricht verdauen, da sie vielleicht oder auch nie wieder mehr laufen kann. Jedoch haben sie jetzt andere Probleme. Ihr Vater braucht sie jetzt, wie sie ihn dringend benötigt. Auf einmal kommen verdrängte Erinnerungen zum Vorschein. Vor 6 Jahren lag sie schon mal im Krankenhaus. Neben ihr der schuldbewusste Thomas und ohne die Anwesenheit ihrer Mutter. Kein Wunder! Davor verstarb ihre Mutter an diesen Abend. Niemals wird sie die blutige Szene vergessen, vor allem die Blutlache ihrer Mutter. Maskierte Männer überfielen damals die Bank, welche sie und ihre Mutter mit anderen Kunden besuchte. Es kam zu einem Schusswechsel zwischen Bankräuber und den Polizisten, wobei viele Menschen starben oder schwer verletzt wurden. Laute Schreie schallten durch den Empfangs- und Wartebereich. Einer der Bankräuber zielte mit einem Revolver auf die 6-jährige Mikasa. Zum Schutz stellte sich Misaki vor ihre Tochter und bekam den Schuss ab. In ihren Armen starb die mutige Mutter und war mit ihrem Blut verschmiert. Schnell schüttelt Mikasa den Kopf und sieht ihren Vater selbstbewusst an. "Lass uns neu anfangen … zusammen mit Mutter in unseren Herzen". Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)