Wolf & Nerz von LisanimeBluehawk ================================================================================ Kapitel 4: Wolf (3) ------------------- Wolf Ich lasse mich erschöpft auf mein Bett fallen, das unter meinem Gewicht besorgniserregend ächzt. Nachdem dieses Mädchen aus der Kneipe geflohen ist, hat es einen riesigen Aufruhr gegeben und ich habe mich im Schutz des Chaos verdrückt. Um Moth, der mit dem Durcheinander zurückgeblieben ist, tut es mir ein wenig leid, aber wenn er nicht das Militär verständigt hätte, wäre es nie dazu gekommen. Ich schließe müde die Augen, froh darüber, dem ganzen Wirrwarr entkommen zu sein, ohne festgenommen zu werden. Zwar trage ich aus reiner Vorsicht keine Waffen bei mir, denn diese zu besitzen ist nur den Soldaten der Militärpolizei erlaubt, aber ich bin als Kopfgeldjäger so trainiert, dass ich möglicherweise aus Reflex einen Soldaten auf die Bretter gelegt hätte, wäre es ihm eingefallen, mich nur so zur Sicherheit filzen zu wollen. Und das hätte nach Widerstand gegen die Staatsmacht geschrien. Auf dem Rücken liegend versuche ich einzuschlafen – immer noch voll bekleidet, denn es zieht und ich habe keinen Ofen – aber diese Sache in der Kneipe lässt mir keine Ruhe. Wer ist diese Mink und wieso ist sie vor den Soldaten davon gelaufen? Wenn sie keine Androidin ist, hätte sie doch keinen Grund gehabt, vor ihnen zu fliehen. Oder wird sie etwa aus einem anderen Grund gesucht? Ich versuche mich daran zu erinnern, ob ich ihr Gesicht vielleicht schon mal auf einem Steckbrief gesehen habe. Verärgert über mich selbst runzele ich die Stirn. Warum habe ich auch unbedingt eingreifen müssen? Wenn sie tatsächlich eine gesuchte Verbrecherin ist, habe ich demnächst doch noch Soldaten-Besuch, weil man mich möglicherweise für ihren Komplizen hält. Ich setze mich auf und sehe mich in meiner schäbigen Einzimmerwohnung um. Die Wände der Baracke sind aus billigem, groben Holzplatten, in denen teilweise breite Spalten klaffen, durch die ich nach draußen spähen kann. Ich habe die Fensterläden geschlossen, hinter denen der Blick auf die dunklen Straßen der Stadt liegt. Ein öder Anblick, der mich auch im Tageslicht nicht gerade reizt. Meine spärliche Möblierung besteht vor allem aus alten Möbeln, die ich auf der Straße gefunden habe und die Wasserhähne in der Badewanne und den Waschbecken im Bad und in der Küche sind rostig. Wenigstens habe ich eine Toilette mit funktionierender Spülung, aber ich will gar nicht daran denken, was möglicherweise alles das Rohr heraufkriechen würde, wenn ich den Deckel der Klobrille nicht immer geschlossen hielte. Jedenfalls sieht meine Einrichtung nicht gerade danach aus, als hätte ich erst kürzlich ne Bank geplündert, stelle ich fest und fahre mir dann mit beiden Hände durch meine Haare, wie ich es manchmal mache, um meine Gedanken wach zu kitzeln, ungeachtet dessen, dass ich danach meistens aussehe, als hätte mir jemand einen Elektroschock verpasst. Wenn ich ohnehin nicht schlafen kann, kann ich auch versuchen, was zu schreiben... Also setze ich mich an meinen Schreibtisch, der mir auch als Esstisch dient, und eigentlich nur eine Sperrholzplatte ist, die ich auf vier in etwa gleich lange Holzbalken genagelt habe, und greife nach Block und Stift, um beides im Schein meiner einzigen Öllampe missmutig anzustarren. Wenn Strom nicht viel zu teuer wäre und es Normalos wie mir erlaubt wäre, einen Computer zu besitzen, könnte ich jetzt gemütlich tippen und alle Fehler, die ich mache, mit einem Knopfdruck rückgängig machen. Aber Papier ist viel strenger. Es lässt sich nicht unbegrenzt ausradieren und neu beschreiben. Es wird feucht und wellig oder es reißt und es neigt dazu sich zu verfärben und zu verknicken. Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht frustriert auf dem Ende des Bleistiftes in meiner Hand herumzukauen, der auch schon wieder sehr geschrumpft ist. Nicht einmal neues Papier und Stifte kann ich mir mit den wenigen Reserven, die mir noch bleiben, leisten. Meine einzige Hoffnung ist jetzt die Wette mit Hunter. Wieder schließe ich die Augen und stelle mir vor, mir von dem Geld eine Schreibmaschine zu kaufen und gutes Papier. Dann hätte mein Geschreibsel wenigstens äußerlich den Anschein, dass es die Veröffentlichung als gebundenes Buch wert ist. Aber wem mache ich etwas vor? Als Bewohner der so genannten Unterstadt, die vor allem von Alkoholikern, Prostituierten und Analphabeten bevölkert ist, die schon kaum Geld für Essen und Unterkunft übrig haben, ist ein Traum wie meiner mehr als utopisch. Diesen Einwand ignorierend, schüttele ich den Kopf und versuche mich darauf zu konzentrieren, etwas zu finden, über das ich schreiben möchte, aber mein Verstand scheint sich verabschiedet zu haben. Also beginne ich, einfach alles aufzuschreiben, was mir fehlt und was ich mir wünsche: Wäre ich kein armer Schlucker, der sich dem Kopfgeldjägerdasein verschrieben hat, weil ich keine Chance habe, meinen Traum vom Schriftstellerdasein zu verwirklichen, würde ich in einem schöneren Haus wohnen. Einem Haus, das vier massive Wände hat, durch die es nicht zieht und durch die man nicht hineinsehen kann. Ich würde eine Schreibmaschine besitzen und wenn ich es erst einmal zum meistgelesenen Schriftsteller der Stadt geschafft hätte,vielleicht sogar einen Computer genehmigt bekommen. Ich würde jeden Tag schreiben, bis mir nichts mehr einfällt und dann würde ich jedes Buch lesen, das in meiner Reichweite ist. Ich halte eine Weile inne, schwelge in der Vorstellung und frage mich, woran es mir sonst noch fehlt. Als mein Magen laut knurrt, verziehe ich das Gesicht und schreibe weiter. Ich hätte einen funktionierenden Kühlschrank, der niemals leer wird, und könnte auch endlich meine Zeche bei Moth bezahlen. Bestimmt hätte ich auch eine Menge Freunde, weil ich genug Geld hätte, um mehrere Runden im Fuchsbau auszugeben. Und ich wäre nicht mehr darauf angewiesen, Leute zu jagen und sie der Regierung zu übergeben. An dieser Stelle halte ich kurz inne. Normalerweise kommt mir mein Job nicht sonderlich schlimm oder unangenehm vor. Ich bin höchstens unzufrieden, weil es nicht mein Wunschberuf ist und es mein wahres Ziel ist, Bücher zu schreiben. Darüber nachzudenken, was mit den Menschen passiert, nachdem ich sie überführt und die Belohnung kassiert habe, ist mir bisher nie in den Sinn gekommen, allerdings bin ich früher auch regelmäßiger beschäftigt gewesen. In letzter Zeit haben mich mein Glück und mein Spürsinn im Stich gelassen und ich habe kaum Geld, nicht genug zu essen und zu viel Zeit, um ins Grübeln zu kommen. Und all das nimmt mir die Motivation und den Antrieb, mit dem ich es geschafft habe, mich von einem armen Straßenjungen zu einem armen Kopfgeldjäger hochzuarbeiten, der wenigstens ab und zu etwas gutes zu essen bekommt und ein Dach über dem Kopf hat. Ich lehne mich auf meinem klapprigen Stuhl zurück und stelle mir das Gesicht auf dem Fahndungsfoto vor, das sie in den Nachrichten gezeigt haben. Ein so schönes Gesicht habe ich vorher noch nicht oft gesehen. Sicher gibt es in der Stadt viele schöne Mädchen, aber die meisten von ihnen werden wohl nicht einfach so auf die Straße gelassen – verständlich, wenn man daran denkt, dass hier draußen Kerle wie der mit dem Fliegentattoo herumlaufen. Mink tat mir leid. Das ist der Grund dafür, dass ich ihr geholfen habe. Sie hat so verloren vor dem Hintergrund der Kneipe gewirkt und der Riese war echt widerlich. Von dem hätte ich mich auch nicht anfassen lassen, wäre ich an ihrer Stelle gewesen. Ich lege den Stift hin, verschränke die Hände hinter meinem Kopf und starre an die Decke. Wer ist diese Mink? Warum ist sie so stark? Das Bild ihres Gesichts verdrängt das der gesuchten Androidin. Irgendwas hat in ihrem Blick aufgeflackert, als wir uns gegenüber gestanden haben, aber was es war, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich hatte das Gefühl, dass sich ihr Blick in meinen bohrt. Ihr Gesicht war aus der Nähe betrachtet recht hübsch, nur leider ausdruckslos. Die Müdigkeit senkt sich wie ein eiserner Vorhang über mein Gehirn und ich verwerfe jeden Gedanken an Mink oder ans Schreiben. Zeit für die Heia. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)