Wolf & Nerz von LisanimeBluehawk
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Kapitel 4: Wolf (3)
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Wolf
Ich lasse mich erschöpft auf mein Bett fallen, das unter meinem Gewicht
besorgniserregend ächzt.
Nachdem dieses Mädchen aus der Kneipe geflohen ist, hat es einen riesigen
Aufruhr gegeben und ich habe mich im Schutz des Chaos verdrückt. Um Moth, der
mit dem Durcheinander zurückgeblieben ist, tut es mir ein wenig leid, aber wenn
er nicht das Militär verständigt hätte, wäre es nie dazu gekommen.
Ich schließe müde die Augen, froh darüber, dem ganzen Wirrwarr entkommen zu
sein, ohne festgenommen zu werden. Zwar trage ich aus reiner Vorsicht keine
Waffen bei mir, denn diese zu besitzen ist nur den Soldaten der Militärpolizei
erlaubt, aber ich bin als Kopfgeldjäger so trainiert, dass ich möglicherweise
aus Reflex einen Soldaten auf die Bretter gelegt hätte, wäre es ihm
eingefallen, mich nur so zur Sicherheit filzen zu wollen.
Und das hätte nach Widerstand gegen die Staatsmacht geschrien.
Auf dem Rücken liegend versuche ich einzuschlafen – immer noch voll
bekleidet, denn es zieht und ich habe keinen Ofen – aber diese Sache in der
Kneipe lässt mir keine Ruhe.
Wer ist diese Mink und wieso ist sie vor den Soldaten davon gelaufen?
Wenn sie keine Androidin ist, hätte sie doch keinen Grund gehabt, vor ihnen zu
fliehen.
Oder wird sie etwa aus einem anderen Grund gesucht?
Ich versuche mich daran zu erinnern, ob ich ihr Gesicht vielleicht schon mal auf
einem Steckbrief gesehen habe. Verärgert über mich selbst runzele ich die
Stirn.
Warum habe ich auch unbedingt eingreifen müssen?
Wenn sie tatsächlich eine gesuchte Verbrecherin ist, habe ich demnächst doch
noch Soldaten-Besuch, weil man mich möglicherweise für ihren Komplizen hält.
Ich setze mich auf und sehe mich in meiner schäbigen Einzimmerwohnung um.
Die Wände der Baracke sind aus billigem, groben Holzplatten, in denen teilweise
breite Spalten klaffen, durch die ich nach draußen spähen kann. Ich habe die
Fensterläden geschlossen, hinter denen der Blick auf die dunklen Straßen der
Stadt liegt. Ein öder Anblick, der mich auch im Tageslicht nicht gerade reizt.
Meine spärliche Möblierung besteht vor allem aus alten Möbeln, die ich auf
der Straße gefunden habe und die Wasserhähne in der Badewanne und den
Waschbecken im Bad und in der Küche sind rostig. Wenigstens habe ich eine
Toilette mit funktionierender Spülung, aber ich will gar nicht daran denken,
was möglicherweise alles das Rohr heraufkriechen würde, wenn ich den Deckel
der Klobrille nicht immer geschlossen hielte.
Jedenfalls sieht meine Einrichtung nicht gerade danach aus, als hätte ich
erst kürzlich ne Bank geplündert, stelle ich fest und fahre mir dann
mit beiden Hände durch meine Haare, wie ich es manchmal mache, um meine
Gedanken wach zu kitzeln, ungeachtet dessen, dass ich danach meistens aussehe,
als hätte mir jemand einen Elektroschock verpasst.
Wenn ich ohnehin nicht schlafen kann, kann ich auch versuchen, was zu
schreiben...
Also setze ich mich an meinen Schreibtisch, der mir auch als Esstisch dient, und
eigentlich nur eine Sperrholzplatte ist, die ich auf vier in etwa gleich lange
Holzbalken genagelt habe, und greife nach Block und Stift, um beides im Schein
meiner einzigen Öllampe missmutig anzustarren.
Wenn Strom nicht viel zu teuer wäre und es Normalos wie mir erlaubt wäre,
einen Computer zu besitzen, könnte ich jetzt gemütlich tippen und alle Fehler,
die ich mache, mit einem Knopfdruck rückgängig machen. Aber Papier ist viel
strenger. Es lässt sich nicht unbegrenzt ausradieren und neu beschreiben. Es
wird feucht und wellig oder es reißt und es neigt dazu sich zu verfärben und
zu verknicken.
Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht frustriert auf dem Ende des Bleistiftes
in meiner Hand herumzukauen, der auch schon wieder sehr geschrumpft ist.
Nicht einmal neues Papier und Stifte kann ich mir mit den wenigen Reserven, die
mir noch bleiben, leisten. Meine einzige Hoffnung ist jetzt die Wette mit
Hunter.
Wieder schließe ich die Augen und stelle mir vor, mir von dem Geld eine
Schreibmaschine zu kaufen und gutes Papier. Dann hätte mein Geschreibsel
wenigstens äußerlich den Anschein, dass es die Veröffentlichung als
gebundenes Buch wert ist. Aber wem mache ich etwas vor?
Als Bewohner der so genannten Unterstadt, die vor allem von Alkoholikern,
Prostituierten und Analphabeten bevölkert ist, die schon kaum Geld für Essen
und Unterkunft übrig haben, ist ein Traum wie meiner mehr als utopisch.
Diesen Einwand ignorierend, schüttele ich den Kopf und versuche mich darauf zu
konzentrieren, etwas zu finden, über das ich schreiben möchte, aber mein
Verstand scheint sich verabschiedet zu haben.
Also beginne ich, einfach alles aufzuschreiben, was mir fehlt und was ich mir
wünsche:
Wäre ich kein armer Schlucker, der sich dem Kopfgeldjägerdasein
verschrieben hat, weil ich keine Chance habe, meinen Traum vom
Schriftstellerdasein zu verwirklichen, würde ich in einem schöneren Haus
wohnen. Einem Haus, das vier massive Wände hat, durch die es nicht zieht und
durch die man nicht hineinsehen kann. Ich würde eine Schreibmaschine besitzen
und wenn ich es erst einmal zum meistgelesenen Schriftsteller der Stadt
geschafft hätte,vielleicht sogar einen Computer genehmigt bekommen. Ich würde
jeden Tag schreiben, bis mir nichts mehr einfällt und dann würde ich jedes
Buch lesen, das in meiner Reichweite ist.
Ich halte eine Weile inne, schwelge in der Vorstellung und frage mich, woran es
mir sonst noch fehlt. Als mein Magen laut knurrt, verziehe ich das Gesicht und
schreibe weiter.
Ich hätte einen funktionierenden Kühlschrank, der niemals leer wird, und
könnte auch endlich meine Zeche bei Moth bezahlen. Bestimmt hätte ich auch
eine Menge Freunde, weil ich genug Geld hätte, um mehrere Runden im Fuchsbau
auszugeben. Und ich wäre nicht mehr darauf angewiesen, Leute zu jagen und sie
der Regierung zu übergeben.
An dieser Stelle halte ich kurz inne. Normalerweise kommt mir mein Job nicht
sonderlich schlimm oder unangenehm vor. Ich bin höchstens unzufrieden, weil es
nicht mein Wunschberuf ist und es mein wahres Ziel ist, Bücher zu schreiben.
Darüber nachzudenken, was mit den Menschen passiert, nachdem ich sie
überführt und die Belohnung kassiert habe, ist mir bisher nie in den Sinn
gekommen, allerdings bin ich früher auch regelmäßiger beschäftigt gewesen.
In letzter Zeit haben mich mein Glück und mein Spürsinn im Stich gelassen und
ich habe kaum Geld, nicht genug zu essen und zu viel Zeit, um ins Grübeln zu
kommen.
Und all das nimmt mir die Motivation und den Antrieb, mit dem ich es geschafft
habe, mich von einem armen Straßenjungen zu einem armen Kopfgeldjäger
hochzuarbeiten, der wenigstens ab und zu etwas gutes zu essen bekommt und ein
Dach über dem Kopf hat.
Ich lehne mich auf meinem klapprigen Stuhl zurück und stelle mir das Gesicht
auf dem Fahndungsfoto vor, das sie in den Nachrichten gezeigt haben. Ein so
schönes Gesicht habe ich vorher noch nicht oft gesehen. Sicher gibt es in der
Stadt viele schöne Mädchen, aber die meisten von ihnen werden wohl nicht
einfach so auf die Straße gelassen – verständlich, wenn man daran denkt,
dass hier draußen Kerle wie der mit dem Fliegentattoo herumlaufen.
Mink tat mir leid. Das ist der Grund dafür, dass ich ihr geholfen habe. Sie hat
so verloren vor dem Hintergrund der Kneipe gewirkt und der Riese war echt
widerlich.
Von dem hätte ich mich auch nicht anfassen lassen, wäre ich an ihrer Stelle
gewesen.
Ich lege den Stift hin, verschränke die Hände hinter meinem Kopf und starre an
die Decke.
Wer ist diese Mink? Warum ist sie so stark?
Das Bild ihres Gesichts verdrängt das der gesuchten Androidin.
Irgendwas hat in ihrem Blick aufgeflackert, als wir uns gegenüber gestanden
haben, aber was es war, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich hatte das
Gefühl, dass sich ihr Blick in meinen bohrt. Ihr Gesicht war aus der Nähe
betrachtet recht hübsch, nur leider ausdruckslos.
Die Müdigkeit senkt sich wie ein eiserner Vorhang über mein Gehirn und ich
verwerfe jeden Gedanken an Mink oder ans Schreiben. Zeit für die Heia.
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