Höllenfeuer von Feldteufel ================================================================================ Kapitel 23: Kapitel 23 ---------------------- Kapitel 23 Der Newski-Prospekt, welcher hinter Artemis und Lydia lag, war wie leergefegt. Eine seltsame Atmosphäre lag in der Luft. In dunkle Mäntel gehüllt, standen die beiden vor der Katharinenkirche. Die helle Fassade machte einen überaus freundlichen Eindruck, die barocke Architektur wirkte leicht verspielt. Es war, als bildete sie den vollkommenen Kontrast zu der tristen Stimmung, die vor Ort herrschte. Zögernd hob Artemis die Hand und klopfte gegen die mit Ornamenten bestückte Holztür. Hoffentlich würde überhaupt jemand anzutreffen sein, diese Kirche war seit fast einem Jahr gesperrt. Die kommunistischen Behörden duldeten keine Katholiken, was es schwer machte, eine entsprechende Gemeinde aufrecht zu erhalten. Von drinnen ertönten Schritte. Es dauerte einen Moment, dann öffnete sich die Tür ganz langsam und ein dünner, schon fast untersetzt wirkender Mann streckte seinen Kopf hinaus. Er musterte die beiden Fremden kurz, dann blickte er sie fragend an. „Kann ich Ihnen helfen?“ „Mein Name ist Pater Artemis Dal Monte, meine reizende Begleitung ist Schwester Lydia Dal Monte. Wir sind hier, weil wir mit Pater Dimitrij Ivanowitsch Ponomarjow reden müssen.“ Der Mann dachte nach. Dann schloss er die Tür und es war zu hören, wie ein Schloss umgedreht wurde. Kurz darauf öffnete er die Tür ganz, so dass Lydia und Artemis eintreten konnten. Als sich die beiden im Inneren der Kirche befanden, stieß er das schwere Holz sofort wieder zu und verriegelte es. Danach drehte er sich um und legte ein mildes Lächeln auf. „Bitte, folge Sie mir doch.“ Das braune Gewand, das der Mann trug, wippte durch seine Bewegungen leicht nach oben, bedeckte jedoch weiterhin seine Knöchel. Die Sandalen, die seine Füße umschlossen, knirschten leise. „Pater Ponomarjow erwartet Sie bereits.“ Schnellen Schrittes eilte der Mann voran, führte Lydia und Artemis durch mehrere Räume. Schlussendlich geleitete er sie in den riesigen Mittelteil der Kirche, welcher sich direkt unter der Kuppel befand. Der Boden war aus grauem Marmor gefertigt worden, ein farblich abweichender Teil führte die Drei direkt auf einen großen Altar zu, über dem ein monumentales Holzkreuz hing. Ungefähr auf der Hälfte des Weges zum Altar hielt der Mann plötzlich inne. Er machte ein Zeichen, dass seine Gäste hier warten sollten. Den Rest der kleinen Wanderung legte er alleine zurück. Schulterzuckend setzte Artemis sich auf einen der Stühle, die rechts und links neben dem Gang akkurat aufgereiht worden waren. Lydia sagte nichts dazu, obwohl sie diese Geste mehr als unhöflich von Artemis fand. Wenig später kehrte der Mann zurück, neben ihm war Pater Ponomarjow zu sehen. Sein faltiges Gesicht strahlte nahezu, als seine hellen Augen auf Lydia fielen. Peinlich berührt, schüttelte diese ihm die Hand, auch Artemis erhob sich wieder, um den Priester zu begrüßen. „Ich danke Ihnen, dass Sie unsere Gäste hierher begleitet haben, Florin. Ab jetzt übernehme ich.“ Der Angesprochene nickte kurz, dann machte er sich leise davon. Ponomarjow war sein Alter deutlich anzusehen. Unter seinem Talar war ein kleiner Bauchansatz zu sehen, zudem besaß seine wettergegerbte Haut eine gewisse Rauheit. Die blaugrauen Augen vermittelten den Eindruck, als hätten sie schon einiges gesehen. Vereinzelt waren ihm bereits einige Partien seiner Haarpracht ausgefallen, welche sich langsam grau zu färben schien und das volle schwarze Haar zu verdrängen drohte. „Bitte, setzen Sie sich doch“, sagte Ponomarjow und deutete auf die erste Reihe von Stühlen. Zusammen nahmen die drei Priester ihre Plätze ein. Artemis stellte seinen Stuhl so hin, dass er Ponomarjow gegenüber sitzen konnte. „Ich weiß, warum Sie hier sind“, begann der Priester unvermittelt. „Und ja, ich werde Ihre Unterstützung annehmen und nach Rom reisen.“ „Das war einfach“, kommentierte Artemis die Situation mit einem Grinsen. „Was habe ich denn für eine Wahl? Diese Kirche hier wird von gerade einmal einer Handvoll Mitgliedern frequentiert.“ „Ich habe gehört, dass diese Kirche hier letztes Jahr geschlossen wurde“, sagte Lydia. „Das stimmt. Die kommunistischen Schweinehunde… Verzeih mir, oh Herr.“ Während er seinen letzten Satz sprach, schaute Ponomarjow nach oben und formte ein Kreuz auf seiner Brust. „Sie haben unsere Kirche schließen lassen. Seitdem müssen wir jeden Tag darum fürchten, dass wir aufgesucht und hier rausgeschmissen werden. Notfalls auch mit Gewalt. Hier gibt es demnach nicht mehr viel, wegen dem es sich zu bleiben lohnt. Bei Florin könnte ich mir vorstellen, dass er sich trotzdem nicht verjagen lassen wird. Er ist und bleibt ein Dickkopf.“ Lachend schaute der Priester erst Artemis, dann Lydia an. „Ich weiß, nicht gerade besonders pflichtbewusst. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich auf eine baldige Versetzung gehofft. Hier ist nicht wirklich etwas los und da ich nicht einmal die alltäglichen Kirchenarbeiten verrichten kann, ist es ziemlich langweilig. Ich habe im Krieg gedient, müssen Sie wissen.“ Bei dem letzten Satz schaute der Priester zu Lydia hinüber. „Das wissen wir“, sagte Artemis mit einem Lächeln, das inzwischen wesentlich verhaltener schien. „Wir haben Ihre Akte studiert, bevor wir angereist sind.“ „Prima, dann muss ich ja nicht mehr viel von mir erzählen. Außer vielleicht, dass es hier sterbenslangweilig ist.“ „Das haben Sie bereits erwähnt.“ „Jungchen“, sagte Ponomarjow an Artemis gewandt, was diesem sichtlich missfiel. „Man sollte jemanden, der älter ist, nicht einfach unterbrechen.“ Artemis schwieg daraufhin und beobachtete, dass sich sein Gegenüber bald wieder daran machte, seine Lebensgeschichte auszubreiten. Das tat er vor allem für Lydia, wie es den Anschein hatte. Die Nonne fühlte sich unwohl dabei, wollte Ponomarjow gegenüber aber auch nicht als unhöflich erscheinen. Hilflos schaute sie einige Male zu Artemis hinüber. Der Priester wirkte, als wäre er in eine Art Schlaf mit offenen Augen gefallen, worum er von Lydia beneidet wurde. So wie es aussah, würden sie noch etwas länger in der Kirche bleiben müssen, als geplant. Skeptisch musterte Ethos das Bücherregal, das sich vor ihm erstreckte. Auf den ersten Blick sah es vollständig aus. Keine freie Lücke, keine auffällig gefärbten Buchrücken. Die Bibliothek des Vatikans war ein wahrer Schatz, hier waren so viele Bücher archiviert worden, dass mehrere Räume dafür eingeplant worden waren. Um Platz zu sparen, waren die Regale meterhoch angelegt worden, mit der Hilfe einer Leiter konnten auch die Etagen weiter oben erreicht werden. Die Bücher, die Ethos‘ Interesse auf sich gezogen hatten, mussten sich jedoch weiter unten befinden. Als der Priester eines der Bücher aus dem Regal zog, schwang ihm sofort der typische Geruch nach alten Büchern entgegen. Ethos warf einen kurzen Blick auf den Titel. Wie bereits vermutet, passte das Buch vom Typus her nicht zu den übrigen dort gelagerten Exemplaren. Er behielt es in der Hand und zog eine Augenbraue nach oben, als er sah, dass, wenige Zentimeter entfernt, wieder ein artfremdes Buch zu entdecken war. Auch dieses zog er heraus. Diese Prozedur wiederholte er, als er in dem Regal darüber noch solch ein verirrtes Buch entdeckte. Nachdem er fertig war, machte Ethos einen Schritt nach hinten und betrachtete, was er da arrangiert hatte. Dort, wo sich die Bücher vorher befanden hatten, klafften auffällig große Löcher. Hätte er nicht vermutet, dass jemand die Bücher entwendet hätte, wäre wahrscheinlich niemals jemand auf die Idee gekommen, dass an dieser Stelle die Exemplare ausgetauscht worden waren. Es handelte sich um eine Auflistung von Dämonen, deren Namen mit den Buchstaben A – E anfingen, eine Abhandlung über Große Dämonen und eine Strategiesammlung, wie gegen Große Dämonen vorgegangen werden sollte. Die genauen Titel waren Ethos allerdings nicht bekannt, er kannte den Bestand nicht auswendig. Mit Ausnahme des Buches, welches Dämonen von A – E führte, musste er sich vorrangig an den Beschilderungen orientieren, um zu vermuten, was da ausgetauscht worden sein könnte. Aber die Themenfelder, aus denen Bücher entwendet worden waren, hatte er überprüfen wollen und wieder einmal hatte sein Instinkt bewiesen, dass er sich auf diesen verlassen konnte. Statt der ursprünglichen Bücher waren irgendwelche wild durcheinander geworfene Titel dort gelagert worden. Ethos musste bei Gelegenheit ein ernstes Wort mit dem Bibliothekar reden. Vielleicht steckte auch dieser in der ganzen Sache mit drin, inzwischen wollte er für niemanden mehr die Hand ins Feuer legen. Die herausgepickten Bücher legte Ethos auf einen der kleinen Lesetische in der Nähe, dann kehrte er vor das riesige Regal zurück. Während er überlegte, näherte sich ein weiterer Priester. Zunächst schaute er sich um, als würde er etwas suchen, dann, als er Ethos erkannte, kam er direkt auf diesen zu. „Pater Turino?“ Doch Ethos war so in Gedanken vertieft, dass er nicht reagierte. „Pater Turino?“, flüsterte der Priester noch einmal, diesmal etwas lauter und ungeduldiger. Langsam drehte Ethos seinen Kopf. „Ich wurde geschickt, um Ihnen das Ergebnis der Vorwahl mitzuteilen.“ Da Nikolas das zeitliche gesegnet hatte, musste ein Nachfolger für die Geheime Abteilung gefunden werden. Theoretisch kam dafür jeder Prälat in Frage, der sich im Vatikan aufhielt. Bei einer ersten Vorwahl wurden zwei Kandidaten gewählt, die in einer alles entscheidenden Hauptwahl gegeneinander antreten würden. Während beim ersten Wahlgang nur die Prälaten unter sich wählen durften, waren bei der zweiten Wahl nur Angehörige der Abteilung und des Rates berechtigt, ihre Stimme abzugeben. So sollte einerseits verhindert werden, dass die Abteilung stets unter sich bleiben würde, andererseits sollten diejenigen, die Ahnung von dem Geschäft hatten, einen für sich geeigneten Führer wählen. Ethos war einer derjenigen, die ebenfalls ihre Stimme abgeben durften. Zwar war Artemis ebenfalls Mitglied der Abteilung, aber da er nicht vor Ort war, würde seine Stimme verfallen. Das Anliegen war zu wichtig, um es aufzuschieben. Obwohl die Wahl normalerweise nicht so schnell voranschritt. „Wer sind die Kandidaten?“ „Marcus Dominic und Steve O’Neill“, verkündete der Priester mit hörbar ungläubiger Stimme. Doch auch Ethos war überrascht. Er hätte nicht gedacht, dass Steve sich so schnell hatte gegen die anderen Prälaten durchsetzen können. „Ich danke Ihnen, dass Sie mir Bescheid gegeben haben. Ich werde gleich gehen, um meine Stimme abzugeben.“ Der Priester verbeugte sich leicht, dann richtete er sein Gewand und verließ die Bibliothek. Ein letztes Mal schaute Ethos zurück auf das Regal. Es hatte durchaus seine Vorteile, wenn bereits jetzt zwei potentielle Nachfolger für den Posten von Nikolas ausgewählt worden waren. Doch verhinderte dies gleichzeitig, dass Ethos genügend Zeit zur Verfügung stand, um die Spuren des Verräters sichtbar zu machen. „Ich dachte schon, der Mann würde nie zum Ende kommen“, stöhnte Lydia genervt, nachdem sie und Artemis die Katharinenkirche verlassen hatten. „Endlich haben wir das hinter uns.“ „Hast du bemerkt, wie er dich dabei angesehen hat?“ Obwohl sie bereits vermutet hatte, dass Artemis sie darauf ansprechen würde, hätte Lydia erwartet, dass der Priester dies in einem gehässigen Ton und mit seiner altbekannten Art der Schadenfreude tun würde. Stattdessen wirkte Artemis angespannt und überaus ernst. „Ja, habe ich. Nicht zu fassen. Als ob er mich beeindrucken wollte mit seinen ganzen Geschichten.“ „Und, hat es funktioniert?“ „Nicht so gut, wie bei dir damals.“ Was von Lydia als spöttischer Kommentar gedacht gewesen war, wurde von Artemis mit Stolz aufgenommen. „Tatsächlich?“ Lydia schwieg daraufhin und schaute sich um. Ihr Flug nach Amerika würde erst am nächsten Tag am Abend gehen und laut ihrer Unterlagen sollte das Hotel, in dem sie übernachten würden, nicht weit entfernt liegen. Sie wollte endlich ihren Koffer loswerden und sich etwas entspannen. Immerhin würde Ponomarjow ebenfalls erst am nächsten Tag zurück nach Rom fliegen, was bedeutete, dass sie vorerst etwas Ruhe vor ihm hatte. Eine Weile irrten die beiden über den Newski-Prospekt, dann machte Lydia ein Gebäude aus, welches der Abbildung, die sich in den Unterlagen befand, äußerst ähnlich sah. Auch das Hotel besaß eine freundlich aussehende Fassade, wie eigentlich fast alle Gebäude im Zentrum von St. Petersburg. Die Stadt war erfreulich sauber, es roch nicht so unangenehm wie in der Stadt, aus der sie kam und auch die wenigen Menschen, die sie trafen, wirkten nett und freundlich. Die beiden Geistlichen hatten von Ponomarjow erfahren, dass sich zurzeit wenige Menschen draußen aufhielten, weil sie die Nachrichten verfolgten. Wer kein Radio besaß, quartierte sich bei besser betuchten Bekannten oder Verwandten ein. Diejenigen, die es sich leisten konnten, holten sich spätestens jetzt ihr eigenes Gerät ins Haus. Deutschland hatte Polen angegriffen, was wiederum das Interesse der russischen Bevölkerung stark auf sich gezogen hatte. In dem Hotel war davon jedoch nichts zu spüren. Die Rezeptionistin teilte den beiden schnell ihr Zimmer zu. Lydia konnte sich einen skeptischen Blick nicht verkneifen, als sie erfuhr, dass sie sich mit Artemis ein Zimmer teilen musste. „Neue Methoden der Einsparung. Ausnahmsweise habe ich damit mal nichts zu tun. Mal klappt es noch mit separaten Zimmern, mal nicht“, entschuldigte sich Artemis sofort, als er Lydia ansah. „Auch, wenn ich es nicht bereue.“ Bevor sich Lydia hätte beschweren können, waren die beiden vor dem Zimmer angekommen. Kaum hatte Artemis ihre neue Bleibe aufgeschlossen, ließ Lydia ihren prüfenden Blick darüber schweifen. Es handelte sich um ein einfaches Zimmer, ein großes Bett, eine Kommode mit Spiegel, ein Schrank, ein Badezimmer und ein Sessel, mehr gab die Einrichtung nicht her. Sofort stürmte sie an Artemis vorbei und fasste unter das Doppelbett. Mit einem kräftigen Ruck zog sie daran, bis die beiden Betten geteilt waren. Danach schwang sie sich auf die andere Seite und drückte ihren Schlafplatz bis an die äußerste Kante des Zimmers. Danach richtete sie Decken und Kopfkissen. „So“, sagte Lydia mit einem Strahlen. „Jetzt ist es perfekt.“ Artemis ging an der Nonne vorbei und setzte seinen Koffer ab, dann schritt er zu dem mannshohen Fenster. Sie hatten Glück gehabt, das Fenster zeigte nicht in den Innenhof des Hotels, sondern auf einen Abschnitt des Prospektes. Unten tummelten sich inzwischen ein paar mehr Menschen, es dämmerte bereits. Möglicherweise wollten sich zum Abend hin auch einige der Russen wieder vergnügen und für einen Moment Abstand von den neuesten Entwicklungen des weltlichen Geschehens nehmen. „Hast du Hunger?“, fragte Artemis plötzlich und drehte sich zu Lydia herum. „Na ja… Ein bisschen vielleicht“, antwortete die Nonne leicht verlegen. Sie hatte wirklich Hunger, auch wenn sie wusste, was das bedeutete. „Wollen wir etwas essen gehen?“ Innerlich wollte Lydia ablehnen, doch inzwischen war ihr Magenknurren so stark geworden, dass sie nachgab. An einem kurzen Essen würde schon nichts dran sein. „Na gut, warum auch nicht.“ Mit einem Schulterzucken widmete sich Lydia ihrem Koffer, damit sie sich die richtigen Klamotten heraussuchen konnte. Auch Artemis machte sich daran, sich etwas Passendes anzuziehen. Nachdem die beiden umgezogen waren, traten sie hinaus auf den Flur. Artemis hielt Lydia seinen Arm hin, den die Nonne zögernd ergriff. Sie waren geschäftlich hier, daran würde sich nichts ändern. Und auch an Lydias Einstellung, sich von Artemis bestmöglich fernzuhalten. Allerdings war der Priester gegenwärtig der einzige, der ihre innere Unruhe verstehen konnte. Was jedoch nicht bedeutete, dass sie die gesteckte Grenze zu diesem jemals wieder übertreten würde. Der Saal, in welchem der zweite Wahlgang stattfand, war für den Anlass umfunktioniert worden. Eigentlich handelte es sich um einen Kapellenabschnitt, doch nun standen zwei Urnen auf einem unscheinbaren Tisch, in die die Teilnehmer der Wahl ihre Stimme abgeben konnten. Da es der kirchlichen Auffassung von Vertrauen unterlag, war die Wahl für die Mitglieder der Geheimen Abteilung öffentlich. Jeder konnte sehen, wer wen wählte. Ethos sollte das nur recht sein. Während er hierhergekommen war, hatte er nachdenken können und war zu dem Entschluss gekommen, wen er wählen würde. Hoffentlich würde dies als eine Art Statement von den übrigen Geistlichen angesehen werden. Die Türen waren hinter ihnen zugeschlossen worden, so dass niemand die Wahl stören konnte. Es waren keine Stühle vorhanden, damit die Wählenden nicht auf den Gedanken kamen, es sich gemütlich zu machen. Nichts an diesem Raum trug dazu bei, sich länger als nötig dort aufhalten zu wollen. Auch die Fenster durften während der Wahl nicht geöffnet werden und waren entsprechend verschlossen. Obwohl niemand etwas sagte, spürte Ethos eine enorme Anspannung. Da er als letzter gekommen war und jeder darauf wartete, dass es endlich losging, blieb Ethos nicht einmal Zeit, die Gesichter der übrigen Geistlichen zu studieren. Zunächst wählte Marcus Dominic, welcher für sich stimmte, ebenso wie Steve. Oberschwester Mathilde wiederum stimmte für Dominic. Magnus ebenfalls. Mit leichtem Erstaunen stellte Ethos fest, dass Albertus sich diesmal nicht an seinem Kollegen orientierte und für Steve stimmte. Erst jetzt fiel Ethos auf, dass sich noch jemand anderes in dem Raum befand. Er kannte den Mann nicht, der sich nun in Bewegung setzte und seine Stimme in die Urne von Steve warf. Mit seinem khakifarbenem Hemd, der breit geschnittenen Hose und den Stiefeln sah er eher aus wie ein Abenteurer, denn wie jemand, der zu der Abteilung gehörte. Als der Mann sich umdrehte, kreuzten sich ihre Blicke für einige Sekunden. Sofort war Ethos klar, dass es sich um einen Geweihten handeln musste. Doch den Namen des Mannes kannte er trotzdem nicht. Er hatte ihn noch nie zuvor in seinem Leben gesehen. Allerdings war das zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht wichtig. Wenn dieser Mann dazu berechtigt war, seine Stimme abzugeben, würde das seine Richtigkeit haben. Langsam schritt Ethos auf die Urne zu. Sämtliche Blicke waren nun auf ihn gerichtet. Bisher hatte es gerade einmal zu einem Gleichstand der beiden Kontrahenten gereicht, es lag also an ihm, eine Entscheidung herbeizuführen. Ethos griff nach den letzten Schnipsel weißen Papiers, welches neben den Urnen lag. Es wog schwer in seiner Hand, obwohl es leicht wie eine Feder war. Bevor er den Schnipsel in eine der Urnen warf, hielt er noch einmal kurz inne. Im Inneren ging Ethos die Hinweise, die er bisher ausfindig gemacht hatte, noch einmal durch. Diese Wahl würde einiges beeinflussen und wenn er sich irrte, würde dies verheerende Folgen nach sich ziehen. Als er an Nikiolas dachte, durchzog Ethos ein Schwall an Schuldgefühlen. Wäre er doch nur viel früher tätig geworden. Auf der Beerdigung hatte er es, aufgrund seiner unendlichen Wut, noch nicht zulassen können, doch inzwischen wurde Ethos von tiefer Trauer erfasst, wenn er an den Prälaten dachte. Er hatte ihm so viel beibringen können und hatte nie an ihm gezweifelt. Hatte Ethos seine eigenen Entscheidungen treffen lassen und ihn selten in irgendetwas belehrt. Selbst, wenn einige Aufträge nicht ganz sauber abgelaufen waren, hatte Nikolas ihn stets in Schutz genommen und sich vor ihn gestellt. Ethos war es ihm mehr als schuldig, jetzt die richtige Wahl zu treffen. Der Priester merkte, wie die Belastung, die er auf sich genommen hatte, mit jeder verstreichenden Sekunde stärker zu werden schien. Für Zweifel war es jetzt zu spät. Er musste sich endlich entscheiden. Seufzend schaute Ethos auf die beiden Urnen hinunter. Mit leichter Überraschung stellte er fest, dass sich sein Arm unbewusst über die Urne von Steve bewegt hatte. Eine schnelle Bewegung reichte aus, um dies zu ändern. Der Schnipsel fiel in die Urne, die für Dominic bestimmt war. Da die sittlichen Regeln es verboten, sich lautstark über die entschiedene Wahl zu äußern, war kein einziges Geräusch zu hören. Es war, als hätten alle Personen das Atmen eingestellt. Ethos drehte sich um und las die Gesichter der Anwesenden. Auf Steves Gesicht war eine Mischung aus Missmut und Enttäuschung zu erkennen, während Dominic sich, wie erwartet, freute. Der Rest war uninteressant, da jeder seine Mimik so weit im Griff zu haben schien, dass Ethos nichts erkennen konnte, das von Bedeutung gewesen wäre. „Wir haben ein gültiges Ergebnis“, sprach Ethos aus, was alle dachten. „Marcus Dominic ist somit neuer Leiter der Geheimen Abteilung.“ „Und du meintest damals, ich solle mich zum Teufel scheren“, lachte Artemis und hob sein Glas. Er und Lydia hatten ein schönes Restaurant gefunden, das sie von der Rezeptionistin empfohlen bekommen hatten. Es war zwar etwas gehobener und somit auch teurer, doch Artemis hatte seine Begleitung eingeladen und damit hatte Lydia tatsächlich keinen Grund mehr, abzulehnen. Die Räume der gastronomischen Einrichtung lagen etwas höher, so dass den beiden ein wunderbarer Ausblick auf die Newa zuteilwurde. Was Artemis besonders schätzte, war, dass sich hier niemand um seine Augenklappe scherte. Die einzelnen Tische wurden von dem seichten Licht einiger Kerzen ausgestrahlt, wirkten sonst jedoch größtenteils anonym. Es hatte nicht lange gedauert und Artemis hatte das Eis brechen können, indem er einen Wein geordert hatte, von dem er wusste, dass Lydia ihn mögen würde. Sie war zwar beeindruckt davon, dass Artemis so etwas noch wusste, doch ihm gegenüber weiterhin skeptisch geblieben. Das Essen hatte fabelhaft geschmeckt und die leeren Weinflaschen mehrten sich. Anfangs war es Lydia noch sauer aufgestoßen, dass sich Artemis ständig nach der blonden Bedienung umgesehen hatte, doch je mehr sie trank, desto unwichtiger erschien ihr dieser Umstand. Immerhin teilte sie etwas mit dem Priester, das ihnen niemand nehmen konnte. Das war nicht ihre Ehe, sondern die gemeinsamen Erinnerungen, die, obwohl sie es eher widerstrebend zugeben musste, auch schöne Seiten gehabt hatten. Seltsam, dass ihr solche Gedankengänge kamen, nur, weil Artemis einer anderen Frau hinterher schaute. Es war ja nicht so, dass Lydia eifersüchtig gewesen wäre. „Du hast es damals ja auch nicht anders verdient“, grinste Lydia und stieß mit Artemis an. Ihr schwarzes Kleid besaß ein tiefes Dekolleté, das jedoch auch nicht zu viel preisgab. Ausnahmsweise hatte sie sich an diesem Abend geschminkt, ihr roter Mund zuckte verführerisch, als sie das Glas zum Trinken ansetzte. Auch ihre Fingernägel hatte sie sich lackiert. Zudem hatte sie darauf geachtet, dass ihre Haare so über ihre linke Schulter fielen, wie Artemis es immer gemocht hatte. Damit hatte sie weniger bezwecken wollen, dass er den Eindruck bekam, noch eine Chance bei ihr zu haben. Viel eher ging es Lydia darum, Artemis zu beweisen, wie viel Macht sie noch immer über ihn besaß. Der Priester hatte sie die letzten Tage nicht gerade behandelt, als wäre sie eine gleichberechtigte Partnerin auf seiner Mission. Ihrer Mission. Eher hatte sie das Gefühl, er sähe sie wie ein unerfahrenes Mädchen, das nicht wusste, worauf es sich hierbei einließ. Möglicherweise wollte er sie beschützen, doch darauf konnte die Nonne verzichten. Von diesen Überlegungen war sie inzwischen abgekommen, denn der Wein zeigte seine Wirkung. Sowohl Lydia, als auch Artemis drifteten in die Art der Zerstreuung ab, nach der sie sich seit einigen Tagen sehnten. So professionell sie auch waren, die vergangenen Ereignisse liefen auch an ihnen nicht spurlos vorbei. Als Artemis Lydia nachkippte, spielte diese an einer ihrer braunen Haarlocken. Sie überschlug die Beine, dazu grinste sie Artemis gespielt schüchtern an, was ihre grünen Augen noch größer wirken ließ. „Hast du so deine anderen Kunden auch um den Finger gewickelt?“, fragte Artemis in dem Wissen, dass solch eine Frage sich eigentlich nicht gehörte. Doch Lydia nahm es gelassen. „Es reicht doch, wenn ich dich um den Finger wickeln konnte. Oder?“ Mit einem fragenden Blick nahm Lydia einen Schluck Wein. Danach fuhr sie mit der Fingerkuppe über den Rand des Glases, um die Reste ihres Lippenstiftes zu entfernen. Sie merkte, wie sie allmählich die Kontrolle verlor. Doch das war in Ordnung. Warum sollte sie sich nicht auch ein einziges Mal eine Auszeit gönnen. Bisher war sie so gut gewesen, dass sie aus den restlichen Nonnen herausstach. Jede einzelne Aufgabe, die man ihr zuteilte, erfüllte sie mit Bravour. Wann immer sie benötigt wurde, war sie da. Eine bessere Nonne konnte man sich doch gar nicht wünschen. Und trotzdem kam sie nie über den jetzigen Status hinaus. Als Frau in der Kirche war für hohe weibliche Würdenträger einfach kein Platz. Davor hatte Artemis sie in der Vergangenheit zwar gewarnt, aber gleichzeitig auch Mut gemacht, dass sie es schaffen könnte. Das war eine jener Eigenschaften gewesen, die sie an ihrem Mann immer geliebt hatte. „Weißt du, manchmal muss ich noch an dich denken“, gab Lydia plötzlich zu und schaute tief in ihr leeres Glas. „Aber das tut mir nicht wirklich gut.“ „Geht mir genauso.“ Auch Artemis war deutlich anzuhören, dass er betrunken war. Er hatte sich noch etwas besser im Griff als Lydia, doch langsam aber sicher sah er den richtigen Zeitpunkt, um zu gehen. „Wollen wir zurück in das Hotel? Ansonsten trinken wir denen hier noch den gesamten Weinkeller leer und verlieren uns in Sentimentalitäten.“ Von Lydias Seite kam nicht viel mehr als ein leichtes Nicken, offenbar hatte sie ihre motorischen Fähigkeiten nicht mehr ganz so gut im Griff. Artemis stand auf und half Lydia dabei, es ihm gleichzutun. Nachdem er bezahlt hatte, reichte er ihr ihren Mantel, dann verließen sie zusammen das Restaurant. Die kalte Luft war genau, was Lydia gerade brauchte. Nach und nach kehrte etwas von ihrer Vernunft zurück in ihren Kopf, jedenfalls meinte sie das. Den ganzen weg über schaute sie auf ihre Füße, so dass sie verwundert aufsah, als sie sich vor dem Eingang ihres Hotels befanden. Stolpernd geleitete Artemis sie in das Zimmer, wo sie sich mit einer wilden Geste von ihrem Mantel befreite. Normalerweise hätte Artemis an dieser Stelle gefragt, ob alles in Ordnung sei, doch er war selbst noch immer viel zu betrunken, um zu reagieren. Eigentlich mochte er betrunkene Frauen nicht besonders. Es machte einiges einfacher, wenn sie nicht mehr wussten, wer oder wo sie waren, aber im Großen und Ganzen bevorzugte er es, wenn sie nüchtern waren. Nur Lydia… Lydia war immer schön, egal, welchem Status sie gerade unterlag. Verzweifelt versuchte Lydia, an den Reißverschluss ihres Kleides zu kommen, was ihr aber nicht gelang. Sie wand sich einige Male hin und her, warf sich auf ihr Bett, kam jedoch noch immer nicht an den Verschluss heran. Schwer atmend setzte sie sich auf die Bettkante und schaute zu Artemis hoch. Inzwischen waren die vorher so penibel in Form gebrachten Haare der Nonne völlig zerzaust, ihr Lippenstift war verwischt. Der dunkle Lidschatten unterstrich ihren verzweifelten Zustand noch, weshalb Artemis sich dazu entschied, ihr zu helfen. Wer wäre er, eine Frau in Not einfach so alleine zu lassen. Langsam kniete er sich vor Lydia, die angespannt verfolgte, was Artemis vorhatte. Vorsichtig beugte sich Artemis nach vorne, dann griff er nach dem Reißverschluss des Kleides und zog ihn so weit hinunter, wie es ihm durch Lydias sitzende Position gewährt wurde. Doch als er den Verschluss nach unten gezogen hatte, entfernte er seine Hände nicht sofort, sondern kostete den Moment noch etwas länger aus. Als Artemis merkte, dass Lydia sich nicht gegen seine Anwesenheit wehrte, beugte er sich noch etwas weiter vor, so dass sich ihre Lippen beinahe berührten. Noch immer tat Lydia nichts, weshalb Artemis sich dazu entschloss, auch den letzten Abstand zwischen ihm und der Nonne zu überbrücken. Er küsste sie auf den Mund, zunächst sanft, dann fordernder. Die Handflächen auf Lydias Rücken gepresst, drückte Artemis sie zart gegen seinen Oberkörper. Lydia ging darauf ein, hob ebenfalls die Hände, um diese auf Artemis‘ Brust abzulegen. Der wohlige Schauer, der ihr dabei durch den Körper lief, blieb auch Artemis nicht verborgen. Lächelnd löste er sich von Lydia, um diese anzuschauen. „Wie es aussieht, findest du mich doch nicht so schrecklich.“ „Reden war noch nie deine Stärke. Also mach lieber das, was du gut kannst.“ Dieser Aufforderung kam Artemis gerne nach. Indem er seine Gegenüber auf das Bett drängte, verschaffte er sich etwas Platz, damit er sein Hemd ausziehen konnte. Als er sich über Lydia beugte, legte diese ihre Fingerkuppen auf der Haut des Priesters ab. Genau wie früher war sein Körper mit Muskeln und feinen Sehnen durchzogen, auch die Narben waren noch immer da. Narben, die oberflächlich waren sowie tiefere Narben, die niemals richtig verheilen würden. Es waren einige dazugekommen, seitdem sie Artemis das letzte Mal unbekleidet gesehen hatte. Doch das störte Lydia nicht. Ein wohliges Zittern durchlief sie, als Artemis sich daran machte, ihr Kleid herunter zu streifen. Kaum war dies geschehen, fing Artemis an, nahezu jeden Zentimeter ihrer unbedeckten Haut zu erkunden. Zunächst mit den Händen, bald darauf mit den Lippen. Mit einem wohligen Knurren warf Lydia ihren Kopf in den Nacken und übergab sämtlichen Rest an Kontrolle, den sie noch hatte, an Artemis. Es war lange her gewesen, dass jemand sie so berührt, so geküsst, so geliebt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)