Höllenfeuer von Feldteufel ================================================================================ Kapitel 14: Kapitel 14 ---------------------- Kapitel 14 Es war so dunkel, dass Hildegard die Hand vor Augen nicht mehr hätte sehen können, wäre sie kein Dämon gewesen. Durch die Reflexionen kleinster Lichtstrahlen auf ihrer Iris konnte sie immerhin sehen, welche Richtung sie einschlagen musste, um dorthin zu kommen, wo Esrada sie hinbeordert hatte. Nach einigen Schritten erreichte Hildegard eine Tür, die sie mit einem kräftigen Ruck aufstemmen musste, um in den dahinter liegenden Raum zu gelangen. Kaum war sie eingetreten, rümpfte sie schon die Nase aus Verachtung. Die Wände waren nass, so dass sich die Tapeten wellten und sich an den Ecken bereits abrollten. Der Teppich machte den Eindruck, als wäre er vor über zwanzig Jahren das letzte Mal gereinigt worden und genauso stank die stehende Luft in dem Zimmer. Zwei hohe Standlampen mit drei Birnen, dafür ohne Schirme, erhellten den Raum ausreichend, aber glücklicherweise nicht so stark, dass jede Einzelheit zu erkennen war. Hildegard wollte gar nicht wissen, welche Kleinstlebewesen in dem Teppich umher tummelten oder in welcher Farbpracht sich die verschiedenen Schimmelpilze auf den durchweichten Möbeln präsentierten. Das einzige, das sie interessierte, waren die anwesenden Personen. Anscheinend war sie die letzte. Mit der Hüfte gegen eine Kommode gelehnt, stand Nathan Blackcage, der sich lieber der Hygiene seiner Fingernägel widmete, als der neu angekommenen Dämonin. Neben ihm stand ein Mann, etwas kleiner als Blackcage, mit asiatischen Gesichtszügen und einem braunen Ledermantel. Die kurz geschnittenen Haare waren pechschwarz, seine schwarzen Augen strahlten eine eisige Kälte aus, mit welcher er Hildegard seit ihrer Ankunft sondierte. Gegenüber der beiden Dämonen saß Brooklyn auf einem wackeligen Stuhl, seine Schwerter hatte er abgenommen. Hildegard konnte erkennen, dass er inzwischen immerhin einen Verband trug. Zwar hatten seine Kräfte Schlimmeres verhindert, doch einen Kerzenständer durch den Körper gebohrt zu bekommen stellte auch für einen Dämonen eine erhebliche Verletzung dar. Sofort eilte Hildegard auf Brooklyn zu und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, bevor sie in die Hocke ging, seine Hände fasste und ihn milde anlächelte. „Wie geht es dir?“ „Es geht schon wieder. Nicht mehr lange und es wird alles so sein wie immer“, antwortete der Dämon und gab Hildegard einen flüchtigen Kuss, dazu streichelt er ihr sanft durch die Haare. Plötzlich spürte Hildegard, wie etwas ihre linke Seite streifte. Sie ließ von Brooklyn ab und legte stattdessen ihre Hand auf den Rücken eines großen weißen Löwen, dessen Silhouette sich soeben aus der Dunkelheit geschält hatte. Das riesige Tier schaute sie mit seinen leuchtenden, Türkis wirkenden Augen aufmerksam an. Obwohl es nur wenige Sekunden gedauert hätte, Hildegard mit den riesigen Pranken in Stücke zu reißen und den Rest ihres Körpers mit den scharfen Reißzähnen zu zerfleischen, legte sich der Löwe brav auf den Boden und ließ sich durch die majestätische Mähne streicheln, dazu legte er seinen Kopf in den Schoß der Dämonin. „Hallo Leo“, flüsterte Hildegard dem Tier ins Ohr, das wie zur Antwort leise vor sich hin knurrte. „Da bist du ja endlich. Du hast dir Zeit gelassen.“ Sofort richtete Hildegard sich auf, trat einige Schritte nach vorne und schaute in die Richtung, aus der sie die tiefe grollende Stimme vernommen hatte, die zu ihr sprach. Aus dem Schatten der entgegengesetzten Ecke trat ein Mann heraus, größer als alle anderen der anwesenden Gestalten. Seine Statur wirkte schlank und athletisch, das war trotz seiner weiten Kleidung zu erkennen. Das schwarze Hemd, das er trug, saß locker über seinem Oberkörper, eine schwarze Tuchhose umspielte seine Beine. Die Ärmel des Hemdes schienen nahtlos in dazu passende Lederhandschuhe überzugehen. Auf der Gürtelschnalle des Mannes prangte eine grüne Schlange, bei der die golden verarbeiteten Giftzähne deutlich hervorstachen. Die silbernen Haare, welche bis zur Taille reichten, waren offen, jedoch so streng nach hinten gekämmt worden, dass sie nicht über die Schultern fielen. Die Augen des Mannes glichen Eiskristallen, die weit in den Höhlen des schlanken Gesichtes mit einer leichten Hakennase lagen. Zusammen mit den hohen Wangenknochen wäre er beinahe attraktiv gewesen, der schmale Mund und die zu nah aneinander stehenden Augenbrauen, gepaart mit dem strengen Gesichtsausdruck, verliehen dem Mann jedoch etwas Bedrohliches. Mit vor der Brust verschränkten Armen schaute er Hildegard an. „Wie Sie wissen, können sich nicht alle Dämonen teleportieren“, antwortete Hildegard unbedacht und wünschte sich gleich darauf, ihren Kommentar wieder zurückziehen zu können. „Entschuldigen Sie, Herr, ich habe etwas voreilig geantwortet. Es soll nicht wieder vorkommen.“ Aus dem Augenwinkel konnte Hildegard das amüsierte Grinsen von Blackcage erkennen, während sie eine leichte Verbeugung andeutete und den Kopf senkte. „Ist schon gut, Hildegard. Du kannst dich wieder zu deinem Mann begeben.“ Reumütig trabte Hildegard zurück zu Brooklyn und blieb neben diesem stehen. Sie merkte, wie der Dämon ihre Hand leicht drückte und es ihr schlagartig etwas besser ging. „Bisher habt ihr gute Arbeit geleistet. Allerdings hätte ich es mir gewünscht, den Verräter heute hier zu haben.“ Nun richtete Blackcage sich auf und zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, Boss, aber die Frau hat es vergeigt.“ „Wie bitte?! Ich soll diejenige gewesen sein, die es vergeigt hat?! Du hast mich abgelenkt und du warst auch derjenige, der sich um den verdammten Priester hätte kümmern sollen!“ „Wenn Ihr erlaubt, würde ich mich gerne um das Problem namens Chino kümmern“, redete Blackcage weiter und ignorierte die wütende Hildegard einige Meter entfernt. „Wenn Ihr es wünscht, werde ich ihn diesmal ein für alle Mal zur Strecke bringen. Im Grunde genommen ist er für unseren Plan doch eh wertlos. Eine bessere Unterstützung als den Nichtskönner aus dem Vatikan können wir uns nicht wünschen und Chino wird nicht mehr wissen können als der.“ Der Mann schien über den Vorschlag nachzudenken. „Wenn Ihr es erlaubt, Esrada, erinnere ich Euch gerne daran, dass ich es schon einmal mit Chino zu tun gehabt habe. Wie Ihr wisst, habe ich ihn damals nur nicht getötet, um Maria nicht in Gefahr zu bringen. Solltet Ihr es wünschen, werde ich sie mit ihm umbringen.“ „Das wagst du nicht!“ Hildgard war inzwischen so wütend, dass sie die Hände zu Fäusten ballte. Um sie herum waren einige Schatten aufgezogen, die sich nach und nach zu geisterhaften Gesichtern formten. Sie streckten ihre Hände nach vorne aus und starrten mit ihren leeren Augenhöhlen flehend hinauf, dazu öffneten sie die schwarzen Münder, um leise verzerrte Schreie auszustoßen. „Wenn du meiner Schwester auch nur ein Haar krümmst, habe ich keinen Grund mehr, länger bei euch zu bleiben. Und ich hätte somit auch keinen einzigen Grund, Abschaum wie dich am Leben zu lassen!“ „Ich habe eine bessere Idee“, brachte sich Esrada zurück in das Gespräch. „Hier wird niemand irgendwen umbringen. Nathan, ich beauftrage dich damit, Maria zu entführen. Ich hoffe, dass das einerseits Hildegard dazu bringen wird, sich wieder zu beruhigen.“ Den Blick, welchen Esrada der Angesprochenen schenkte, konnte diese nicht missverstehen. Hildegard rang sich dazu durch, sich wieder etwas zu entspannen, was auch die Schattengesichter um sie herum verschwinden ließ. „Andererseits haben wir ein Druckmittel, welches wir anwenden können, um Chino zum Reden zu bringen. Möglicherweise können wir ihm so eine Falle stellen oder gar dazu bewegen, für uns zu arbeiten.“ „Das ist eine brillante Idee, Boss“, säuselte Blackcage entzückt. „Ich werde mich schnellstmöglich darum kümmern.“ „Du hast Recht, wir sind nicht auf Chino angewiesen, aber wie wir inzwischen wissen, bringt es nichts, die beiden Priester durch weitere unnütze Fallen schwächen zu wollen. Wir müssen Ethos und Artemis dort treffen, wo es wirklich weh tut. Und bei Ethos bin ich mir ziemlich sicher, dass ihn unschuldige Opfer und Verrat wesentlich stärker schwächen, als jede Wunde, die wir ihm zufügen könnten. Er und Artemis müssen psychisch geschwächt werden, bevor sie wirklich angreifbar sind. Das hat die Analyse der Vorfälle in Frankreich und London bewiesen. Ich will, dass diesmal alles klappt. Wenn du gehst, nimm Kyro mit, Nathan.“ „Verstanden.“ Blackcage verbeugte sich grinsend, dann kehrte er an seinen ursprünglichen Platz zurück, lehnte sich erneut gegen die Kommode und widmete sich seinen Fingernägeln. „Bei allem Respekt, Herr“, schaltete sich nun auch Brooklyn ein. „Aber im Grunde genommen sollte Blackcage die Falle stellen, nicht ich.“ „Was offensichtlich nicht funktioniert hat“, fuhr Esrada dazwischen und brachte Brooklyn somit zum Verstummen. „Für dich und deine Gattin habe ich ebenfalls eine Aufgabe von der ich hoffe, dass ihr diesmal dazu in der Lage sein werdet, sie zu erfüllen. Lenkt die Priester des Vatikans ab, während Nathan und Kyro sich um Maria und Chino kümmern. Es geht mir lediglich darum, dass weder Ethos, noch Artemis die Chance bekommen, Chino beiseite zu stehen. Auch wenn ich weiß, wie mächtig ihr seid, wissen wir alle, dass ein offener Kampf gegen sämtliche Priester und Gardisten des Vatikans doch euer Todesurteil bedeuten würde. “ „Verstanden“, antworteten Hildegard und Brooklyn gleichzeitig. „Morgen Abend werden wir uns daran machen, den Plan in die Tat umzusetzen. Aufgrund der entlaufenen Polizistin und der Münzen, die wir an den jeweiligen Orten zurück gelassen haben, sollten die Priester genügend aufgeschreckt sein, ebenso Chino. Bei Chino besteht die Gefahr, dass er fliehen könnte, weshalb wir so schnell wie möglich reagieren sollten. Wir treffen uns das nächste Mal in unserem Unterschlupf in Italien. Bis dahin weiß jeder, was er wann zu tun hat. Nathan und Kyro werden nicht tätig, bevor Hildegard und Brooklyn sich daran gemacht haben, den Vatikan aufzumischen. Lasst euch nicht auf einen längeren Kampf mit Chino oder den anderen ein, holt Maria und verschwindet. Sorgt dafür, dass Chino eine Gelegenheit erhält, zu der er Maria wiedersehen kann. Den Rest überlasse ich euch.“ Esrada schloss die Besprechung mit diesen Worten und verschwand in dem Schatten, aus dem er gekommen war. Blackcage wiederum löste sich in Rauch auf, genau wie Kyro. Zurück blieben Hildegard und Brooklyn, die sich fragend ansahen. Vorsichtig versuchte Brooklyn sich aufzurichten, kurz darauf lockerte er den Verband, der sich um seine Brust herum befand. Er blickte an sich herab und stellte fest, dass die Wunde verheilt war, nur etwas Schorf war noch auf seiner Haut zu erkennen. Auch der weiße Löwe war wieder aufgestanden und knurrte leise. Nachdem er die Analyse seiner Wunde abgeschlossen hatte, kam Brooklyn auf Hildegard zu und umarmte sie, presste ihren weichen Körper fest an seinen heran. „Wir werden noch die Gelegenheit bekommen, ihm das zu geben, was er verdient hat.“ „Die Frage ist nur, wann das geschieht und ob es dann zu spät sein wird.“ „Mach dir keine Sorgen, wir werden Maria finden, sie befreien und dann mit ihr zusammen verschwinden. Ich weiß, du sehnst dich seit einer halben Ewigkeit nach einem Leben ohne Hass und Zerstörung. Halte noch etwas durch und wir werden es schaffen.“ Als Hildegard ihren Kopf hob, rollten ihr die ersten Tränen über die Wangen. Mit dem Rücken seines Zeigefingers fing Brooklyn diese auf und lächelte die Dämonin liebevoll an. Dann zog er sie so kräftig, wie es ihm möglich war, an sich und küsste sie auf den Mund. Seufzend schloss Hildegard die Augen und ließ sich von dem Kuss gefangen nehmen, damit sie alles andere um sich herum vergessen konnte. Blackcage ballte seine linke Hand, in der er noch immer den Feuerball gefangen hielt, zu einer Faust und stürmte auf Chino zu. Er wollte dem anderen Dämon einen Schlag verpassen, doch dieser wich der Attacke aus, indem er zur Seite hechtete. Sofort drehte sich Blackcage in die Richtung, in die sich Chino gerettet hatte und startete einen zweiten Versuch, seinen Gegner mit der Faust zu verletzen. Diesmal wich Chino nicht aus, sondern lief in den Angriff hinein. Er spürte einen brennenden Schmerz an seiner Wange, als die heißen Flammen die Haut berührten und versenkten. Allerdings hatte Blackcage ihn lediglich streifen können und war sichtlich überrascht, als Chino ihm seine Faust in den Magen rammte. Blackcage machte daraufhin einen Sprung nach hinten und würgte kurz, dann fasste er sich und stieß ein leises Knurren aus. Chino wiederum rieb sich über die Wange und zuckte beim ersten Kontakt zusammen. Zwar konnte er nicht sehen, wie stark seine Haut verbrannt war, die Schmerzen sprachen jedoch für sich. Egal, diese Wunde würde bald verheilen. Wieder war es Blackcage, der sich als erster rührte. Zuerst schleuderte er einen Feuerball auf Chino. Als er merkte, dass er es höchstens schaffte, die umliegende Rasenfläche in Brand zu stecken, verringerte Blackcage den Abstand zu Chino, bis die beiden nur noch zwei Armlängen voneinander trennten. Chino war sich darüber bewusst, dass seine Fähigkeiten denen von Blackcage im Moment deutlich unterlegen waren. Er konnte keine Angriffe starten, die einen größeren Abstand zu seinem Gegner erlaubten. Im Nahkampf hätte Chino bedeutend größere Chancen, Blackcage ernsthaft zu verletzen, doch so, wie es momentan aussah, konnte er nur reagieren, keinesfalls agieren. Blackcage schien sich seines Vorteils ebenfalls bewusst zu sein. „Was ist los, Chino? Hast du Angst, dich in einem Kampf mit mir zu messen?“, fragte Blackcage höhnisch grinsend. Anstatt ihm zu antworten, musterte Chino den gegenüber stehenden Feind. Er musste eine Schwachstelle besitzen. Jeder Dämon besaß einen wunden Punkt. Von der Schnelligkeit her war Chino Blackkcage zwar überlegen, doch je länger der Kampf dauerte, desto weniger nützte ihm dieser Vorteil. Inzwischen hatten sich einige der anfangs kleinen angesengten Stellen auf dem Rasen zu wahren Bränden entwickelt. Um die beiden kämpfenden Dämonen stiegen die Flammen knisternd in die Höhe. Chino rann der Schweiß die Stirn herunter. Noch war er nicht von dem Feuer eingeschlossen worden, doch er vermutete, dass dies eine der Taktiken von Blackcage war, um ihn in die Ecke zu drängen. Demnach war die einzige Möglichkeit, die Chino für sich sah, ein direkter Angriff, der Blackcage möglichst bald Schaden zufügen würde. Obwohl Blackcage sich dazu bereit gemacht hatte, Chino erneut mit seinem Feuer anzugreifen, ergriff Chino nun die Alternative. Blackcage blieb nichts anderes übrig, als den Angriffen des anderen Dämons auszuweichen. Bald hatte Chino es geschafft, sich aus dem Gebiet, das von den Flammen eingenommen worden war, zu befreien. Er hatte nun wieder zu allen Seiten hin Raum. Als Chino, den Mund weit aufgerissen, auf Blackcage zustürmte, wirkte dieser so amüsiert wie der Dompteur eines wilden Tieres, der gerade dabei war, sich für das Publikum in eine überschaubare Gefahr zu begeben. Gerade, als Blackcage sich über Chino lustig machen wollte, schnappte dieser zu. Er biss Blackcage in das Handgelenk und presste seine Kiefer aufeinander, dazu rammte er seine spitzen Fingernägel in die Rückseite von Blackcages Arm. Schlagartig wich dem schwarzhaarigen Dämon das Grinsen aus dem Gesicht. Ungläubig schaute Blackcage dabei zu, wie sein Blut durch seinen Mantel sickerte und in kleinen Tropfen auf den Boden fiel. Blankes Entsetzen durchfuhr ihn. Sofort schüttelte Blackcage seinen Arm, doch Chino biss so fest zu, dass die kleinste Bewegung ungeheure Schmerzen versursachte. „Du hast mich gebissen!“, schrie Blackcage. „Du verdammter Bastard hast mich gebissen!“ Chino schaute von unten in Blackcages entsetztes Gesicht. Diesmal war er derjenige, der ein amüsiertes Grinsen aufsetzte. Durch immer kräftigere Bewegungen versuchte Blackcage Chino abzuschütteln. Doch je stärker seine Bewegungen wurden, desto tiefer vergrub Chino seine Zähne in dem Fleisch seines Gegners. Blackcage schien die blanke Panik ergriffen zu haben, denn seine Augen weiteten sich aus Furcht so stark, dass die roten Pupillen nur noch als glühende Punkte auf der weißen Lederhaut zu erkennen waren. Als er sich mit einem besonders ausladenden Stoß befreien wollte, ließ Chino Blackcage los. Aufgrund der starken Drehbewegung konnte dieser sich nicht mehr vollständig kontrollieren. Blackcage stand mit dem Rücken zu Chino, was dieser auszunutzen suchte. Mit einem Sprung wollte Chino Blackcage anfallen, doch dieser drehte sich erneut und wehrte seinen Angreifer mit dem Unterarm gerade noch rechtzeitig ab. Der Aufprall war so heftig, dass Chino einige Meter nach hinten geschleudert wurde. Kaum auf dem Boden angekommen, richtete Chino sich wieder auf. Etwas in Blackcage schien sich verändert zu haben. Die vorher noch überhebliche und selbstsichere Mimik war einem angespannten Ausdruck gewichen vermischt mit etwas, von dem Chino niemals erwartet hätte, es bei Blackcage jemals zu Gesicht zu bekommen. Angst. „Na warte, du Ratte“, knurrte Blackcage und führte seine Hände vor sich zusammen. In dem Inneren der beiden Handflächen formte sich eine leuchtende Kugel. Als Chino genauer hinsah, konnte er erkennen, dass es sich nicht um ein einfaches Feuer handelte. Vielmehr besaß die Kugel einen Kern, der aussah, als bestünde er aus glühend heißem Magma. Zuerst nahm Chino an, dass Blackcage noch immer einige Flüche vor sich hin grummelte, doch dann sah er in der Ferne einen Blitz über das Firmament ziehen. In der Hitze des Kampfes hatte er nicht bemerkt, wie ein Gewitter herauf gezogen war. Was zunächst als simple Veränderung des Wetters von Chinos Gehirn registriert worden war, bahnte sich langsam seinen Weg als taktisches Element in sein Bewusstsein. Wie auf ein Stichwort brach die dunkle Wolkendecke auf. Strömender Regen prasselte auf die Erde nieder und löschte nach und nach einige der kleineren Feuer, die sich auf Chinos Rasen ausgebreitet hatten. Binnen Sekunden waren beide Dämonen klatschnass. „Sieht schlecht für dich aus, Arschloch“, sagte Chino mit einem triumphierenden Lächeln und setzte sich langsam in Bewegung. In dem Regen würde Blackcage kaum dazu in der Lage sein, seine Fähigkeiten in voller Stärke einzusetzen. Der Regen wirkte wie ein Vorhang, welcher sich zwischen die beiden Dämonen geschoben hatte. Mit jedem Schritt, den er tat, hatte Chino das Gefühl, diesen Vorhang ein Stück weiter zu öffnen. Auch Blackcage schien seinen verlorenen Vorteil inzwischen zu akzeptieren. Seufzend nahm er seine Hände wieder auseinander und schüttelte lachend und mit geschlossenen Augen den Kopf. Blackcage beruhigte sich anscheinend wieder, denn kaum hatte er sein Lachen beendet, schaute er Chino, der wenige Schritte von ihm entfernt zum Stehen gekommen war, direkt in die Augen. „Glaub mir, das hier ist noch nicht vorbei. Ich werde dich töten, Chino. Und ich werde es genießen. Aber nicht heute.“ „Wage es ja nicht, abzuhauen, du Feigling!“ Doch noch bevor Chino den letzten Abstand zwischen sich und Blackcage überbrücken konnte, war dieser bereits in einigen Rauchschwaden verschwunden. Um ihn noch erreichen zu können, hatte Chino sich auf ihn stürzen wollen. Da Blackcage jedoch verschwunden war, fiel Chino durch den Rauch hindurch und landete, den Kopf voran, in dem Matsch eines durch den Regen aufgeweichten Sandweges. Sofort stützte sich Chino mit einer Hand auf dem Boden ab, mit der anderen schlug er immer wieder auf den durchweichten Sand unter sich. Dazu brüllte er aus voller Kehle in den Himmel hinauf, als wolle er diesen für die fehlgeschlagene Rache und den Verlust seiner geliebten Maria verantwortlich machen. Dass Chino sich durch die unkontrollierten Schläge nur noch mehr Schmutz auf den Körper beförderte, war ihm egal. Er fühlte eine Wut in sich, von der er dachte, sie nie wieder spüren zu müssen. Wie ein verwundetes Tier kniete er auf dem Boden und heulte seinen Schmerz in die Welt hinaus. Erst einige Minuten später, als Chino sich zumindest etwas beruhigt hatte, stand er auf und schaute sich um. Sein Blick fiel abwechselnd erst auf das Anwesen, das hinter ihm lag, dann auf die noch immer lodernden Flammen, die sich in verzweifelten letzten Zügen gegen den Regen zu behaupten versuchten. Dann, wenige Sekunden später, konnte Chino Rauchwolken am Himmel erkennen. In der Ferne ertönten Schreie. Sofort setzte sich der Dämon in Bewegung. Trotz des Regens wurde der Teil seiner Psychiatrie, welcher sich weiter hinten befand, von einer Feuersäule umschlossen. Wie gebannt starrte Chino in das Feuer, dessen Anblick ihn von zu lähmen schien. Der Geruch nach verbranntem Fleisch hing in der Luft und spätestens jetzt realisierte Chino, dass es hier nichts mehr für ihn zu tun gab. Als die ersten Blitze über den Himmel zuckten, war das Ornament aus schwarzem und weißem Marmor, das sich auf einem Platz im Inneren des Vatikans befand, bereits ein blutiges Schlachtfeld. Überall lagen Leichen oder Verwundete, nur die beiden Dämonen und ihr Löwe schienen noch immer unbeschadet. Während Brooklyn und Hildegard ein Dutzend der Gardisten außer Gefecht gesetzt hatten und der Großteil der Priester durch diesen Anblick zurück geschreckt war, lag es an Ethos, Artemis und Roth, das Massaker einzudämmen. Die Gardisten, die noch übrig geblieben waren, hatten sich an einer Stelle versammelt, um sich gegenseitig den Rücken frei zu halten. Roth stand vor seinen Männern. In seinen Händen befand sich eine Hellebarde mit einer gewaltigen Klinge am vorderen Ende, welche Hildegard und Brooklyn bisher erfolgreich davon abgehalten hatte, weitere Angriffe auf die Gardisten auszuführen. Stattdessen näherte sich der Löwe immer wieder, wurde jedoch durch die warnenden Schwünge, die Roth ausführte, wieder zurück getrieben. Allerdings verhinderte dies, dass der Leutnant sich von der Stelle, an der er gerade stand, weg bewegen konnte. Kaum machte er einen Schritt nach vorne, setzte der weiße Löwe zum Angriff an. Das Tier war um einiges größer als alle Löwen, welche Ethos bislang gesehen hatte. Alleine seine Pranken waren dazu geeignet, einen Menschen innerhalb weniger Sekunden in Stücke zu reißen. Über das, was der Löwe mit seinen riesigen Zähnen anstellen konnte, wollte er gar nicht erst nachdenken. Während der Löwe auf und ab lief, sahen sich Artemis und Ethos den beiden anderen Dämonen gegenüber stehen. Wie auch immer sie Brooklyn oder Hildegard angriffen, wichen die beiden entweder aus oder setzten zu effektiven Gegenschlägen an. Ethos hatte sich mit Hildegard auseinandergesetzt, Artemis versuchte sich in einer Revanche gegen Brooklyn. Dieser erschien Artemis jedoch um einiges geschickter und stärker, als er ihm in Erinnerung geblieben war. Möglicherweise hing dies mit seiner Verletzung zusammen, doch auch so beschlich Artemis das Gefühl, dass Brooklyn längst nicht alles von seinem Können zum Besten gegeben hatte. Mit seinen kleinen Messern musste Artemis jedenfalls bald einsehen, dass er dem Dämon unterlegen war. Auch bei Ethos sah es nicht besser aus. Einige Male hatte er Hildegard durch Angriffe mit seiner Pistole oder andere geweihte Mittel schwächen wollen, diese hatte sich davon allerdings ziemlich unbeeindruckt gezeigt. Dabei war Ethos aufgefallen, dass Hildegard eine Fähigkeit zu besitzen schien, die sie deutlich von den anderen Dämonen unterschied. Alleine eine Berührung der schönen Dämonin konnte tödlich enden, ohne dass sie dafür eine Waffe benutzen musste. So ganz hatte Ethos noch nicht herausgefunden, was es damit auf sich hatte, doch ab und zu konnte er beobachten, dass Hildegard von kreischenden Schatten in der Form von Totenköpfen oder Skeletten begleitet wurde. Momentan stand ihm Hildegard jedoch allein gegenüber. Artemis und er hatten sie von Brooklyn trennen können, was ihre Zuversicht jedoch nicht einschränkte. „Was wollt ihr hier?“, fragte Ethos, um Hildegard etwas abzulenken. Weder er, noch die Dämonin wirkten besonders angespannt. Es war, als wolle Ethos sie in ein nettes Gespräch verwickeln. „Wonach sieht es denn aus?“, stellte Hildegard die Gegenfrage. „Für wen arbeitest du?“ „Das weißt du bereits“, antwortete die Dämonin lächelnd. „Falls du denkst, dass du durch dumme Fragen mehr über uns oder Esrada erfährst, muss ich dich leider enttäuschen, Ethos.“ Als Ethos hörte, wie Hildegard seinen Namen aussprach, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Ihm war, als besäße sie eine eigenartige Macht über ihn, die ihn jederzeit vernichten konnte. „Ich verstehe nur nicht, warum ihr den Vatikan angreift. Ich meine, warum ihr das tut, ist klar. Aber warum gerade jetzt und ohne euren großen Meister?“ Bei dem Wort „Meister“ verzog Hildegard kurzzeitig abschätzig einen Mundwinkel. Sie war es anscheinend leid, sich mit Ethos zu unterhalten. „Warum wir das tun, kann euch doch egal sein. Ihr werdet das Ende unseres Plans eh nicht mehr erleben.“ Mit diesem Satz war das Gespräch für die Dämonin erledigt. Sie stürzte sich auf Ethos, doch der fing Hildegard ab, indem er ihre Handgelenke zu fassen bekam. Sofort durchströmte Ethos eine eisige Kälte. Ihm war, als würden Würmer durch seine Hände kriechen und sich ihren Weg durch seine Muskeln und Sehnen bahnen. Kleine Spitzen wanderten durch seinen Körper und kurz bevor das merkwürdige Gefühl sein Herz erreicht hatte, ließ Ethos die Handgelenke der Dämonin los und brachte etwas Abstand zu ihr auf. Schwer atmend musterte er Hildegard von oben bis unten. „Überrascht?“ Ethos wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Ihm war schwindelig. Für einen kurzen Augenblick hatte er sich gefühlt, als würde Hildegard ihm das Leben direkt aus dem Körper heraus ziehen und ihn stattdessen mit Tod und Verwesung füllen. „Was ist das für ein Zauber?“ „Zauber“, erwiderte Hildegard abschätzig. „Mit Zauber hat das nichts zu tun. Aber wenn du mehr darüber herausfinden willst, kann ich das gerne arrangieren.“ Sofort machte sich Hildegard daran, einen weiteren Angriff auszuführen. Beim ersten Mal konnte Ethos noch ausweichen, doch dann schaffte es die Dämonin, ihn am rechten Oberarm zu packen. Neben Hildegard erschienen einige schwarze Gestalten, auf die Ethos sich allerdings nicht konzentrieren konnte. Wieder übermannte ihn ein Gefühl völliger Kraftlosigkeit und zog sich durch seinen Körper. Diesmal war er jedoch vorbereitet. In ihm breitete sich eine wohlige Wärme aus, als er sich darauf fixierte, die dunkle Macht, die Besitz von ihm ergreifen wollte, zurück zu drängen. Als Hildegard spürte, wie ihre Handfläche zu brennen begann, zog sie ihre Hand zurück. „Wie… wie kann das sein? Du kannst dich gegen meine Todesmagie wehren…?“ „Anscheinend habt ihr doch nicht so gut recherchiert, wie es aussieht“, rief Ethos in einem spöttischen Ton. Obwohl er es geschafft hatte, Hildegards Zauber irgendwie abzuwehren, hatte es ihm einiges an Kraft abverlangt. Da dieser Kampf primär im Inneren seines Körpers ausgefochten worden war, fühlte er sich sichtlich geschwächt. Trotzdem schien seine Gegnerin sich zurück halten zu wollen. Hildegard hatte bislang keine Waffe eingesetzt oder ihn ernsthaft verletzt. Immer, wenn sie angriff, fielen ihr – so schwer ihm der Gedanke auch fiel – ersetzbare Menschen zum Opfer. Weder er, noch Artemis waren arg in Bedrängnis geraten, abgesehen von der Situation einige Minuten zuvor. Der einzige, der gegenwärtig mit einem ernsthaften Angreifer zu kämpfen hatte, war Roth. Artemis und Brooklyn dagegen bekämpften sich zwar etwas ernster als Ethos und Hildegard, wirkten allerdings auch schwerfällig und gerade Brooklyn schien die ganze Sache wenig ernst zu nehmen. Obwohl er bereits häufiger die Gelegenheit gehabt hatte, Artemis zu verletzen, hatte er diese nicht wahrgenommen. Artemis konnte sein dämonisches Auge nicht im vollen Umfang nutzen. Der geweihte Boden des Vatikans lähmte es zwar nicht vollständig, schränkte seine Macht jedoch um einiges ein. Plötzlich ertönte ein lautes Brüllen. Der weiße Löwe stellte sich auf die Hinterbeine und setzte zu einem Sprung an. Hinter Roth stoben die Gardisten auseinander, so dass nur noch Roth dem Löwen gegenüber stand. Anstatt sich darüber zu ärgern, lenkte Roth seine gesamte Konzentration auf das Tier. Bereits durch sein Gewicht konnte der Löwe zu einer ernsthaften Bedrohung werden. Doch Roth fing die Pranken des Löwen mit dem Schaft seiner Hellbarde ab. Das Metall fing den massigen Körper auf, so dass der Löwe mit den beiden vorderen Pranken gegen die Hellebarde drückte. Die Hinterbeine auf den Boden gestemmt, versuchte der Löwe Roth mit seinen Zähnen zu fassen zu bekommen. Aufgrund des Winkels, den Roth vorausschauend mit der Hellebarde eingeschlagen hatte, bekam sein Angreifer allerdings nicht mehr als das kalte Metall zwischen die Zähne. Mit jedem Biss wurde der Löwe ungeduldiger. Inzwischen wirkte er mit seinem gesamten Gewicht auf Roth ein. Der Kommandant der Gardisten konnte nichts weiter tun, als das riesige Tier abzuwehren. Doch je länger er dies tat, desto weniger Kraft konnte er aufbringen. Inzwischen bog sich Roths Rücken durch und er fiel in ein Hohlkreuz. Indem er alles an Muskelkraft aufbrachte, was ihm zur Verfügung stand, winkelte Roth die Arme an. Für einen kurzen Augenblick klaffte das Maul des Löwen vor seinem Gesicht weit auf. Es war, als blicke er in einen tiefen Abgrund, gespickt mit weißen Zacken, die wie lebende Wände auf und ab wogen und ihm ihren heißen Atem auf die Haut bliesen. Roth wollte die Bestie mit einer kraftvollen Bewegung nach hinten hin abschütteln, doch als er die Arme nach vorne streckte und seinen Körper nach vorne schnellen ließ, kam es ihm vor, als drücke er gegen eine Wand aus Beton. Der Löwe war vielleicht einen Zentimeter nach hinten gewichen, mehr hatte Roth nicht erreichen können. Innerlich musste Roth sich eingestehen, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Die Bestie, mit der er gerade kämpfte, war zu stark. Obwohl er sich bereits gegen einige Dämonen hatte behaupten können, war dieses weiße Ungetüm etwas, dem sich Roth nicht gewachsen sah. Merkwürdigerweise war er in diesem Moment weniger von dem Gedanken, dass er unterliegen und sterben könnte geplagt, als davon, dass er eine tiefe Enttäuschung empfand. Die Gardisten, die er so hart trainiert hatte, waren davon geeilt und hatten ihre Pflicht anscheinend völlig vergessen. Sie hatten ihn allein gelassen und waren nicht imstande gewesen, den Kampf auszufechten, auf den er sie vorbereitet hatte. Der Gedanke, versagt zu haben, wog schwerer und schmerzhafter in ihm, als die Krallen des Löwen, die sich in seine Unterarme geschlagen hatten. Erschöpft sank Roth auf die Knie. Noch immer hielt er seine Hellebarde zum Schutz über sich. Selbst wenn er es nicht mit der Bestie aufnehmen konnte, so wollte er wenigstens Widerstand leisten, bis der letzte Hauch an Leben aus ihm herausgefahren sein würde. Doch anstatt über Roth herzufallen, schrie der Löwe plötzlich auf und krümmte den Oberkörper. Sofort rollte Roth sich zur Seite, so dass er nicht mehr unter dem Löwen, sondern einige Meter von ihm entfernt war und aufstehen konnte. Eine Pfote erhoben, schaute der Löwe an seiner Flanke herunter, in der drei kleine Pfeile steckten. Sowohl Roth, als auch der Löwe schauten zum selben Zeitpunkt in die Richtung, aus der die Pfeile allem Anschein nach gekommen waren. Ein Lächeln zuckte über Roths Mundwinkel, als er wenige Meter entfernt Steve sah. Zitternd hielt er eine kleine Armbrust vor sich, als könne er so verhindern, dass der Löwe ihn bemerken würde. Fauchend richtete dieser seine hellen Augen auf Steve und wollte gerade zu einem Sprung ansetzen, als der junge Mann einen weiteren Hagel aus Pfeilen auf ihn niederprasseln ließ. Da der Löwe damit beschäftigt war, den Pfeilen auszuweichen, konnte er sich somit nicht mehr darauf konzentrieren, was Roth tat. Dieser wartete ab, bis Steve eine Pause einlegte, um nachladen zu können, dann griff er den Löwen an. Von dem Mut ihres Kommandanten ergriffen, lösten sich immer mehr der Gardisten, die sich in den Hintergrund des Geschehens zurückgezogen hatten. Zuerst nur zaghaft, dann ebenfalls mit einem Kampfschrei, kamen sie ihrem Kommandanten zur Hilfe. Noch bevor Roth bei dem riesigen Tier angekommen war, blickte dieses sich um und flüchtete. Anstatt jedoch die Verfolgung aufzunehmen, blieb Roth stehen und klopfte Steve auf die Schulter. Er warf ihm einen anerkennenden Blick zu, doch Steve schien ganz woanders zu sein. Weiterhin zitternd schaute er durch Roth hindurch und wurde wenig später in die schützende Mitte der übrigen Gardisten, die inzwischen bei ihm und Roth angekommen waren, genommen. Mit einigem Missmut beobachtete Roth, dass der Löwe zu dem Dämonen gelaufen war, gegen den Artemis kämpfte. Trotz des Einsatzes seines Auges wies Artemis‘ Körper einige neue Wunden auf und auch diejenigen, die er von dem Kampf in London davongetragen hatte, schienen teilweise neu aufzubrechen. Aus diesem Grund schien es Brooklyn nicht weiter für nötig zu befinden, sich großartig um Artemis zu scheren. Anstatt darauf zu achten, was der Priester machte, streichelte er dem Löwen über den Kopf und begrüßte ihn ausgiebig. Danach machte sich der Dämon daran, einige der Pfeile aus dem Körper des Löwen zu ziehen und diese achtlos auf den Boden zu befördern. „Habe ich dir schon Leo vorgestellt?“, fragte Brooklyn lächelnd, nachdem er alle Pfeile beseitigt hatte. „Er ist so eine Art Haustier von mir.“ „Nett“, murmelte Artemis und versuchte dabei möglichst unbeeindruckt zu klingen. Es ärgerte ihn, dass Brooklyn ihn mit derartigem Desinteresse behandelte. Andererseits war er froh, dass die Gardisten es endlich über sich gebracht hatten, aktiv in den Kampf einzugreifen. Alleine würde er nicht mehr lange durchhalten können. Artemis fühlte sich, als würden tausende von Nadeln seinen Körper von innen heraus zerstechen. Nur mit Mühe hielt sich Artemis auf den Beinen, doch das zu zeigen, konnte er sich kaum erlauben. Genau wie Ethos wurde er das Gefühl nicht los, als spielten die Dämonen mit ihnen. Brooklyn und Hildegard hatten Schaden angerichtet, Artemis bezweifelte jedoch keine Sekunde lang, dass das noch lange nicht das gesamte Ausmaß an Zerstörung darstellte, zu dem die beiden imstande waren. Um darüber genauer nachzudenken würde Artemis später noch genügend Zeit haben, nun galt es, sowohl Brooklyn, als auch seinen Löwen auf Distanz zu halten. Zusammen waren die beiden dazu übergegangen, Artemis einzukreisen. Brooklyn hatte zwei seiner Schwerter in den Händen und hatte Artemis mit einem vorhersehbaren Angriff abgelenkt. In der Zwischenzeit hatte sich der Löwe um Artemis herum geschlichen und befand sich nun hinter dem Priester. Da der Löwe für Artemis die momentan größere Gefahr darstellte, drehte dieser sich um und parierte eine der mächtigen Pranken mit seinen Messern. Brooklyn wollte die Gelegenheit nutzen und den Priester mit seinen Schwertern attackieren, wurde allerdings von einer schmalen Gestalt, welche sich zwischen die beiden gestellt hatte, aufgehalten. Es handelte sich um eine Nonne, die einen Degen über ihren Kopf hielt, um sich zu schützen. Als er hörte, wie die verschiedenen Arten von Metall aufeinander trafen, stieß Artemis einen erleichterten Seufzer aus. „Du hast dir Zeit gelassen, Lydia.“ „Ist doch egal, bist ja nur du“, antwortete die Nonne und drückte die Schwerter über ihren Kopf zur Seite. Sofort setzte Lydia nach, indem sie die Klinge ihres Degens nach vorne schnellen ließ und drängte Brooklyn somit rückwärts zurück und schaffte zusätzlichen Abstand zwischen ihm und Artemis. Dieser konnte sich so voll und ganz dem Löwen widmen, welcher ihn fauchend anstarrte. Das Grollen des Donners über ihnen hatte inzwischen an Intensität zugenommen. Zuerst spürte Ethos nur einige wenige Tropfen auf seinem Gesicht, doch bald nahm der Regen zu und nahm ihm fast die Sicht. Hildegard hingegen schien plötzlich innezuhalten. Obwohl sich die Gelegenheit geboten hatte, Ethos mit einem vorbereiteten Fluch (Ethos war sich inzwischen ziemlich sicher, dass die Dämonin mit Flüchen arbeitete, denn obwohl sie keine Waffen nutzte, schien eine einzige Berührung von ihr zu genügen, um Menschen zu töten) zu treffen, zog sie sich mit einem Mal zurück. „Brooklyn!“, rief sie und als der Angesprochene sich etwas Freiraum erkämpft hatte, nickte dieser ihr zu. „Wir werden uns mit Sicherheit noch einmal wieder sehen. Das hier ist nicht die letzte Begegnung. Ich rate dir und deinen Kollegen, euch für das nächste Treffen besser vorzubereiten. Das nächste Mal werden wir nicht nur mit euch spielen.“ Mit diesen Worten streckte Hildegard die Hände in die Luft. Es bildete sich dunkle Schatten um ihre Handflächen herum, die sich immer stärker verdichteten und mit dem Umhang des Regens zu vermischen schienen. Plötzlich ertönte ein lauter Knall und ein blauer Feuerball explodierte über der Dämonin. Schützend legte Ethos sich einen Arm vor die Augen und duckte sich instinktiv. Als er sich vergewissert hatte, dass nichts mehr geschah, senkte er seinen Arm und spähte vorsichtig über diesen hinüber. Hildegard und Brooklyn waren verschwunden und bis auf das rhythmische Geräusch des Regens, das entstand, sobald die Tropfen auf dem Marmor aufschlugen, war es gespenstisch still. Ethos drehte sich um und sah, wie sich Artemis schnaufend an einem Zaun aus Eisen abstützte. Lydia stand, nicht weit von Artemis entfernt, aufmerksam und mit erhobenem Degen da und suchte die Umgebung nach möglichen Feinden ab. Einige Priester hatten sich versammelt, um die Ausmaße des Angriffs, den sie gerade erlebt hatten, stumm zu überblicken. Roth kniete auf dem Boden und betete leise und mit geschlossenen Augen für die gefallenen Gardisten, die leblos vor ihm lagen und dessen Blut sich mit dem gesammelten Regenwasser vermischte. Der Rest seiner Truppe bildete einen Kreis um die toten Soldaten und betete ebenfalls, einige halfen den Verletzten auf die Beine und stützten sie. Als Ethos sich umdrehte, sah er, wie sich jemand hinter ihm näherte. Stumm registrierte Ethos, wie Chino auf ihn zukam und wenige Meter entfernt stehen blieb. An seiner Wange konnte er eine verbrannte Stelle erkennen. Chinos weit aufgerissene, rot glühende Augen waren auf Ethos gerichtet, der Atem des Dämons ging schwer, sein Brustkorb senkte und hob sich in einem unnatürlichen Rhythmus. Die rotbraunen Haare klebten ihm einzeln im Gesicht und die komplette Kleidung des Spaniers war bis auf den letzten Zentimeter durchnässt. Ohne ein Wort zu sagen ging Ethos einen Schritt zur Seite, so dass auch Chino sehen konnte, was in den letzten Stunden im Inneren des Vatikans vor sich gegangen war. Nachdem Chino die vielen Verletzten und Toten erblickte, wand er sich wieder Ethos zu. In einem stillen Einverständnis kamen der Priester und der Dämon überein, dass ihre Feinde ihren letzten Fehler begangen hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)