Höllenfeuer von Feldteufel ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 03 --------------------- Kapitel 03 „Verdammt noch mal, ich bin ja schon da!“ Das laute Klopfen, welches Ethos unsanft aus seiner Meditation gerissen hatte, wollte trotz einer Vielzahl an beleidigenden Zurufen nicht verstummen. Immer wieder hämmerte jemand mit der Faust gegen das Holz der Eingangstür, so dass es ein Wunder war, dass diese unter der Last nicht in seine Einzelteile zerfiel. So schnell er konnte verstaute Ethos seinen Rosenkranz in der Hosentasche. Von Kopfschmerzen geplagt, riss er die Tür auf und holte tief Luft, um seinem Ärger über die unangekündigte Visite Luft zu machen. „Wer bist du und was willst du hier?“, fragte Ethos schroff, was den Jungen mit den Sommersprossen und dem roten Haar nur mäßig beruhigte. Allem Anschein nach handelte es sich um einen Rekruten der Polizei in Ausbildung, jedenfalls ließ seine Uniform dies vermuten. Auch wenn er sich alle Mühe dabei gab, sein Unbehagen zu verbergen, zitterte er leicht, als er Ethos einen Zettel entgegen hielt. Ein plötzliches Gefühl von Wehmut durchflutete Ethos' Innerstes, als er den Zettel entgegen genommen hatte. Auf diesem prangte am unteren Ende die Unterschrift von Leonce. Somit war der arme Junge nichts weiter als ein einfacher Laufbursche für den fetten Kommissar. Es sah ihm ähnlich, sich nicht selbst bei dem Priester blicken zu lassen. „Ich soll Ihnen mitteilen, dass der ehrenwerte Kommissar Monsieur Leonce sich dazu entschieden hat, Ihnen erneut die Chance zu geben, Ihren Auftrag abzuschließen.“ Einen entnervten Seufzer ausstoßend öffnete Ethos die Tür so weit, dass er einen Schritt nach draußen machen konnte. „Er hat sich dazu entschieden? Was Sie nicht sagen...“ „Allerdings wird es eine Änderung geben bezüglich Ihrer Arbeitsweise.“ „Tatsächlich? Hat er also endlich dazu gelernt.“ Der Rekrut redete nervös weiter, als habe er den letzten Kommentar einfach überhört. „Und deshalb hat sich der Kommissar dazu entschieden, Ihnen jemanden zur Hilfe zur Seite zu stellen um Sie zu unterstützen.“ Mit einem Schlag war Ethos wieder wach und schenkte dem Rekruten seine gesamte Aufmerksamkeit. Das durfte doch nicht wahr sein, es würde der nächste arme Kerl sein, der den Dämonen zum Opfer fallen würde. Anscheinend hatte Leonce doch kein bisschen dazu gelernt. Gerade, als Ethos widersprechen wollte, setzte der junge Mann erneut zu einem Satz an. „Damit sich der Fehlschlag der letzten Nacht nicht wiederholt, hat der Kommissar einen Anruf im Vatikan getätigt und nach weiterer Unterstützung verlangt. Man versicherte uns, dass einer der Priester Ihrer Abteilung gerade mit einem Auftrag ganz in der Nähe abgeschlossen habe und uns somit zur Verfügung stehen würde. Der besagte Priester ist inzwischen bei uns eingetroffen.“ Ethos war, als benötigte er ein starkes alkoholisches Getränk. Mehrfach hatte er Pater Nikolas gegenüber erwähnt, dass er alleine am besten arbeitete. Scheinbar hatte der alte Kauz nur noch Watte in den Ohren oder wollte ihn verärgern. „Warten Sie einen Augenblick, ich sattele mein Pferd und folge Ihnen dann in die Stadt.“ „Das wird nicht nötig sein. Ich habe ihn bereits hierher geführt.“ Der Rekrut machte einen Schritt zur Seite, so dass Ethos das erste Mal sehen konnte, was sich hinter diesem abspielte. Ein Mann trat aus dem Schatten, in seinen Händen hielt er die Zügel, welche zu dem Zaumzeug eines Rappen gehörten. Sein rechtes Auge war unter einer Augenklappe verborgen, die langen hellbraunen Haare zu einem Zopf gebunden. Im Gegensatz zu Ethos trug dieser Priester den schwarzen Talar als traditionelles Priestergewand mit dem weißen Kragen, welcher seine stattliche Figur weitestgehend verdeckte. Sein verbleibendes blaues Auge musterte Ethos kurz, dann erhellten sich seine Gesichtszüge. „Darf ich Ihnen vorstellen, Monsieur Artemis Dal Monte.“ „Machen Sie sich keine großen Mühen“, sagte Ethos in einem bemüht gelangweilt klingenden Tonfall. „Ich kenne diesen Mann bereits.“ Es dauerte eine Weile bis Ethos die Nachricht, welche ihm soeben überbracht worden war, richtig realisieren konnte. Nicht nur, dass man der Meinung war, er hätte versagt, der Vatikan schickte ihm auch noch Unterstützung, um seine angeblichen Fehler wieder auszubügeln. Nach einem kurzen Austausch mit dem Rekruten war dieser wieder abgezogen, den neu eingetroffenen Priester mit seinem Pferd hatte er bei Ethos gelassen. Nachdem Ethos Artemis die Stallungen gezeigt hatte, folgte der Neuankömmling seinem Kollegen in das riesige Haus. „Nicht schlecht wohnst du“, sagte Artemis und schaute sich um. „Nur der Geruch nach altem abgestandenem Zeug ist doch etwas... gewöhnungsbedürftig.“ „Daran solltest du dich aber gewöhnen. Stundenlanges Lüften hilft auch nicht viel. Möchtest du einen Drink?“ „Da fragst du noch?“ Artemis folgte Ethos in das Kaminzimmer und setzte sich auf die Kante des Billardtisches, während er auf seinen Drink wartete. Grinsend nahm er Ethos das Glas ab und wenige Augenblicke später hatte er sich den Inhalt bereits mit einem kräftigen Zug einverleibt. „Wie kommt es, dass du einen Auftrag hier in der Nähe hattest?“, fragte Ethos und setzte sich an den Stuhl am Tisch, Artemis zugewandt. Er trank ebenfalls ein Glas Whisky. „Nun, ich wurde in eine kleine Stadt weiter westlich geschickt, weil dort angeblich merkwürdige Dinge in einem Haus vorgingen. Die Bewohner meinten, der Geist eines kürzlich verstorbenen Familienmitgliedes hätte herum gespuckt und würde ihnen gerade nachts keine Ruhe schenken. Tatsächlich war ein Dämon in besagtes Familienmitglied eingefahren, seine Kräfte waren jedoch noch nicht besonders ausgereift. Den Rest kannst du dir vorstellen. Ich habe den Dämon lokalisiert und ihn zur Strecke gebracht. War ja nur ein kleiner.“ Artemis schenkte sich ein weiteres Glas ein, bis die Flasche mit dem Whisky leer war und setzte sich auf seinen alten Platz zurück. „Jedenfalls war die Familie glücklich, besonders die Tochter des Verstorbenen, ein weiterer Dämon ist Geschichte und mein Einkommen für die nächsten Monate ist wieder einmal gesichert.“ Das Glas in Artemis' Hand war bereits schon wieder halb leer. „Moment... Was soll das heißen, die Tochter des Verstorbenen?“ „Ach Ethos, nun tu nicht so, als müsse ich dir das noch lang und breit erklären. Du kennst mich. Länger und besser als mich sonst jemand jemals gekannt hat oder kennen lernen würde.“ Dass es sich bei Artemis um einen äußerst fähigen Dämonenjäger handelte, stand völlig außer Frage. Im Aufspüren und Festsetzen von Dämonen mochte Artemis Ethos in manchen Dingen sogar durchaus überlegen gewesen sein, doch Artemis besaß genau zwei Schwächen, die ihm noch einmal den Kopf kosten würden. Eine davon war Alkohol. Die andere Frauen. Genau genommen gab es noch eine dritte, doch seine Spielsucht hatte der andere Priester inzwischen ganz gut in den Griff bekommen, was unter anderem auch daran lag, dass er aufgrund gestiegener Arbeitszeiten keine Zeit mehr dafür übrig hatte. „Sie war ein hübsches kleines Ding, mit blonden Haaren und hellen Augen. Elisabeth hieß sie, meine ich jedenfalls. Oder Isabelle? Egal. Alle Namen kann ich mir auch nicht merken.“ Obwohl ihm nicht dazu zumute war, musste selbst Ethos ein wenig lachen. „Ich hoffe, du hast dem armen Mädchen keine Hoffnungen gemacht? Ich weiß zwar nicht, was sie an einem alten Mann wie dir reizt, aber dein Erfolg spricht für dich.“ „Danke“, sagte Artemis und zeigte auf seine Augenklappe. „Die hier lässt mich gefährlich aussehen. Zusammen mit den Narben. Das macht die Frauen wohl irgendwie an. Und ich bin nur drei Jahre älter als du und mit zweiunddreißig zähle ich mich noch lange nicht zu den alten Männern.“ „Im Gegensatz zu dir reiße ich aber nicht jedes Mädchen auf, das mir über den Weg läuft und seinen Rock hebt.“ „Solltest du vielleicht aber, damit du mal ein wenig aus deinem dunklen Verlies heraus kommst.“ Damit spielte Artemis auf die Kammer an, welche Ethos im Vatikan bezog. Diese lag weiter hinten, in einem Teil des Komplexes, der weniger gut beleuchtet war. Alle Mitarbeiter aus der Abteilung lebten in diesem Trakt, der Großteil zog es jedoch vor, eine Kammer mit großem Fenster oder sogar einem separaten Ausgang zu beziehen. Zudem wurde oftmals Wert darauf gelegt, dass es viel Platz gab, um sich ein wenig einzurichten. Während Priester wie Artemis einen großen Teil ihres Gehaltes dafür nutzten, ihre Habseligkeiten um Raritäten wie extravagante Teppiche oder Antiquitäten von hohem Wert zu erweitern, gab sich Ethos mit den wenigen privaten Dingen zufrieden, die er aus dem Waisenhaus mitgebracht hatte. Und dies war weiß Gott nicht viel. Demnach gab er sich mit einer kleineren Kammer zufrieden, die von Artemis aufgrund ihrer Eigenschaften immer nur „Das Verlies“ genannt wurde. Dabei waren von den zehn Kammern einige durchgängig unbesetzt, so dass es ein leichtes gewesen wäre, zu wechseln. Bei Ethos' Stand in der Abteilung sowieso. Ethos erwiderte nichts auf Artemis' Kommentar und holte stattdessen die Dose mit dem Zahn hervor. „Dies hier ist ein Zahn, der aus dem ersten mir bekannten Opfer gezogen wurde. Ich habe ihn bereits auf seine Echtheit untersucht. Er gehört definitiv einem Dämon.“ Artemis war inzwischen aufgestanden und begutachtete lieber den Queue als den Zahn. „Ein weiteres Mal in meiner Vermutung bestätigt sah ich mich, als wir nach draußen in den Wald geritten waren.“ „Ich habe davon gehört. Der Kommissar tobte regelrecht vor Wut. Man sollte uns mehr Freiheiten einräumen was die Dämonenjagd oder den Exorzismus betrifft. Als ich eintraf haben sie gerade die Leichen, welche sie gefunden hatten, in Säcke getan und aufgestapelt.“ „Wie viele?“ „Alle, die mit dir unterwegs gewesen waren, sind tot.“ Artemis drehte sich um und legte den Queue zur Seite. Erneut sah sich Ethos mit der bitteren Wahrheit konfrontiert, dass die Menschen, die er eigentlich hätte beschützen müssen, tot waren. Ausnahmslos. „Mir wurde auch davon berichtet, wie sehr du dich dagegen gesträubt hast, mit den Polizisten zu arbeiten. Ich weiß, dass es kein richtiger Trost ist, aber du hattest Recht. Und du hast getan, was du tun konntest. Wenn die Zivilisten nicht dazu lernen, können wir da auch nichts für. Sie gehen nicht auf dein Konto.“ Auch dieses Mal äußerte sich Ethos nicht. Er schaute Artemis lediglich an und fühlte sich unangenehm aufgrund dieser Fähigkeit, die Artemis zu besitzen schien, was das Durchschauen von Menschen anbelangte. Da Artemis merkte, wie unangenehm Ethos das Thema war, nahm er diesem den Zahn ab und betrachtete ihn. Kaum hatte er den Zahn aus der Plastikdose befreit, rümpfte er auch schon die Nase. „Stinkt fast so stark wie die Luft hier drinnen.“ Vorsichtig legte Artemis den Zahn zurück und reichte ihn an Ethos weiter. „Ich denke, dass wir noch ein wenig Zeit haben werden, bis wir uns das nächste Mal mit Leonce treffen. Er meinte, er habe erst wieder gegen Abend Zeit. Wir könnten oben nachschauen, ob ich mich dort nicht für die Zeit, welche wir hier sind, einquartieren könnte.“ „Ich würde dich nur zu gern begleiten, aber ich habe noch eine wichtige Angelegenheit zu klären“, meinte Ethos und warf sich seine Satteltasche über die Schulter. „Du bist kein besonders guter Gastgeber“, bemerkte Artemis mit einem gespielt schmollenden Gesichtsausdruck. „Immerhin bin ich dein Gast.“ „Wenn es jemanden gibt, dem ich zutraue, alleine zurecht zu kommen, dann bist du es mein lieber Artemis. Ich muss zu einem Anwohner und diesen einige Dinge über dieses Haus hier fragen. Und danach werde ich unserem Kommissar einen Besuch abstatten. Anscheinend hat er mich nicht über alles informiert, was dieses verlassene Herrenhaus betrifft.“ „Ist das hier etwa ein Geisterhaus?“ Artemis‘ amüsiertes Grinsen hatte etwas Ansteckendes. Doch Ethos ließ sich nicht beirren und machte sich auf den Weg in Richtung Ausgang. „Alles, was ich weiß, ist in einem Brief von Leonce höchstpersönlich niedergeschrieben worden. Du findest das Dokument bei den übrigen Beweisstücken. Wir sehen uns dann heute Abend im Büro des Kommissars.“ Und noch bevor Artemis eine Frage hätte stellen können, war die Eingangstür bereits zugefallen und Ethos verschwunden. Seufzend stemmte der hinterbliebene Priester die Hände in die Hüften und schaute sich fragend um. Nach einigem Zögern setzte er sich und nahm die Papiere zur Hand, welche Ethos zurück gelassen hatte. Er hasste es, wenn Ethos sich nicht die Zeit nahm, ihn in die Geschehnisse einzuweihen. Somit würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als seine Zeit damit zu verschwenden, selbst in Erfahrung zu bringen, was es in diesem Haus alles zu entdecken gab. Rechts neben Ethos erfüllte eine große Standuhr den Raum mit einem systematischen Ticken. Vor ihm zog der seichte und verführerische Duft von starkem Kaffee in die Luft und vermischte sich mit dem Aroma selbst gebackener Kekse. Zwar mochte es Ethos weniger, sich mit Zeugen zu unterhalten und reichte diese Aufgabe gerne an andere weiter, doch in diesem Fall hatte er Artemis erst einmal Zeit zur Orientierung geben müssen. Außerdem änderte sich seine Meinung, als er den ersten Schluck seines Kaffees zu sich nahm. Ethos gegenüber saß der Bauer Durand, den er am Vortag angesprochen hatte. Seine Frau, eine kleine, mit Falten übersäte, aber überaus höfliche und nette Dame, huschte zwischen der Küche und dem Wohnzimmer hin und her, damit der Vorrat an Keksen und Kaffee nicht verebbte. Sie war sichtlich erfreut darüber, einen Priester zu Besuch zu haben. Ansonsten hielt sie sich aus dem Gespräch größtenteils heraus und verbrachte die meiste Zeit in der Küche. „Sie sind also fest der Meinung, das Haus, in dem ich wohne, wäre verflucht?“ „Ganz recht“, antwortete Durand mit einem Kopfnicken. „Ich habe viele Familien ein- und ausziehen sehen. Seitdem ich ein Kind bin, lebe ich auf diesem Hof. Da bekommt man so einiges mit, was sich in der Nachbarshaft tut.“ „Aber mir wurde dieses Haus von der Polizei zur Verfügung gestellt“, sagte Ethos und legte dazu einen verwirrten Blick auf. „Wie kann es sein, dass mir so etwas verschwiegen wird?“ „Die Polizisten in dieser Stadt glauben wahrscheinlich nicht an das Böse. Zumindest nicht in dem Maße, in dem wir daran glauben.“ „Wir?“ „Meine Frau und ich. Und einige der anderen hier im Vorort lebenden Personen. Hier leben noch viele Gläubige. Im Gegensatz zu der Stadt.“ Während er seinen letzten Satz wütend vor sich hin brummte, nahm Durand einen Schluck Kaffee. Nachdem er die Tasse abgesetzt hatte, fuhr er mit seiner Erzählung fort. „Jedenfalls waren vor der Familie Gargon schon fünf Familien in dem Anwesen gewesen. Allerdings waren die Gargons am auffälligsten. Der Sohn, Christopher, hatte sich um seinen kranken Vater gekümmert, soweit ich weiß. Diesen Vater hat jedoch niemals einer zu Gesicht bekommen.“ „An sich ist das doch aber nicht ungewöhnlich. Wenn er wirklich so krank war, dass er intensiv gepflegt werden musste, konnte er vielleicht nicht vor die Tür.“ Durand räusperte sich und schaute Ethos für einen Augenblick prüfend in die Augen. „Da mögen Sie Recht haben. Aber der Junge hat niemals viel gekauft, wenn er auf dem Markt war. Das, was er einkaufte, hätte niemals im Leben für zwei Personen gereicht. Selbst wenn der Vater nicht viel gegessen haben sollte. Viel Zeit kann er nicht aufgebracht haben, um sich um sein eigen Fleisch und Blut zu kümmern. Lieber verabredete er sich mit allerlei Mädchen aus der Umgebung.“ So sehr sich Ethos auch bemühte, etwas Ungewöhnliches in der Erzählung des alten Bauern zu finden, es blieb erfolglos. Selbst wenn sich Christopher nicht besonders gut um seinen eigenen Vater gekümmert haben sollte, machte ihn das noch längst nicht zu einem Mörder. „An Elise Picarde zeigte er ein besonderes Interesse.“ „Wissen Sie, warum?“ „Sie war ein sehr hübsches Mädchen. Jeder junge Mann in der Umgebung hatte sich an ihr interessiert.“ Also musste Ethos auch diesen Anhaltspunkt vorerst als trivial abwerten. „Hübsch und schlau war sie. Ich weiß noch, wie sich der Sohn meines Bruders mit ihr verabreden wollte. Er ist ein echter Taugenichts und um ihr zu gefallen, hat er sich eine Geschichte ausgedacht, mit der er sie hatte beeindrucken wollen.“ Während er in seinen Erinnerungen schwelgte, überkam ein unbekümmertes Lachen Durand. Er wand seine Augen an die Decke, als reiche der alleinige Wunsch an die damalige Zeit aus, alles wieder wie früher werden zu lassen. Kurz darauf wand er sich wieder Ethos zu. „Sie hatte ihn fast sofort durchschaut. Nicht nur ihn, auch die anderen Jungs, die sie ähnlich versucht haben zu beeindrucken. Das Mädchen wollte Lehrerin werden. Das Zeug dazu hatte sie allemal.“ „Vielleicht hat sie Gargon ebenfalls durchschauen können“, sagte Ethos zu sich selbst und machte sich einige Notizen. „Hat sie jemals den Eindruck gemacht, als stimme etwas mit Christopher Gargon nicht? Hat sie vielleicht mal etwas zu Ihnen gesagt?“ „Nicht, dass ich wüsste“, antwortete Durand und kratzte sich am Kinn. „Sie war dem jungen Mann so sehr verfallen, ich glaube kaum, dass sie sich auf seine Merkwürdigkeiten konzentrieren konnte. Obwohl es schon sehr auffällig war, dass er sich meistens nachts oder zu Zeiten der Dämmerung zeigte. Wenn er nicht gerade etwas brauchte, setzte er nur sehr selten vor Einbruch der Dunkelheit einen Fuß aus dem Haus. Genauso wie der Großteil der Vorbesitzer des Herrenhauses. Und wie immer wurde das Haus verlassen aufgefunden, kurz nachdem sich ein Mordfall ereignet hat.“ „Moment.“ Ethos schaute von seinem Notizbuch auf und legte es beiseite. „Es haben sich noch weitere Morde hier ereignet?“ „Nicht direkt hier, aber in der Nähe. An fünf kann ich mich erinnern und nie wurde der oder die Täter geschnappt.“ „Wissen Sie, ob die Leichen verstümmelt wurden?“ „Genau weiß ich es nicht. Aber es waren auf jeden Fall verschiedene Todesursachen. Bei Elise war es eine Wunde am Hals. Der Junge, der zuvor tot aufgefunden wurde, war vergiftet worden. Ein anderes Opfer erwürgt. Das seltsame waren aber nicht die Ursachen, sondern die Aufklärung der Morde. Soweit ich mich erinnere, wurden sie niemals aufgedeckt. Im Gegenteil, die Polizei hat viel unternommen, um die Morde zu vertuschen. Wann immer einer der Anwohner sich besorgt zeigte, aufgrund mysteriöser Umstände, die die Leichen betrafen, wurden diese abgewiegelt. Als der vergiftete Junge aufgefunden wurde, hatten hunderte kleiner Einstichlöcher seinen Körper übersäht. Die Polizisten meinten, er wäre mit Sicherheit von einer Schlange angefallen worden. So ein Schwachsinn, weder gibt es hier giftige Schlangen, noch solche, die sich trauen würden, Menschen anzugreifen. Es war als bemühe man sich mehr darum, die Gerüchte in den Griff zu bekommen, als sich um den Fall an sich zu kümmern. “ Ethos dachte für einen Moment nach. Jede einzelne Schilderung für sich genommen, ergab keinen Anhaltspunkt darauf, ob wirklich Dämonen an den Morden beteiligt waren. Er musste einen anderen Beweis finden, um seine Theorie zu bestätigen. Plötzlich kam Ethos ein Gedanke, der ihm interessant erschien. „Sagen Sie, seit wann ist Kommissar Leonce in Joux eingesetzt worden.“ „Ich glaube, er ist vor fünf Jahren hierher versetzt worden.“ Noch während er diesen Satz aussprach, erkannte auch Durand einen gewissen Zusammenhang, konnte ihn allerdings noch nicht richtig deuten. „Hat das etwas zu bedeuten?“ „Das kann ich Ihnen noch nicht sagen, Monsieur Durand. Aber ich bin mir sicher, dass Sie mich der Wahrheit schon ein Stück näher gebracht haben.“ Während er aufstand, nahm Ethos seine Unterlagen auf und stopfte sie hastig in seine Manteltasche. „Es tut mir sehr leid, aber ich muss mich jetzt von Ihnen verabschieden, Monsieur. Ich muss Ihnen danken, das Gespräch mit Ihnen war äußerst hilfreich.“ Lächelnd streckte der Bauer Ethos seine Hand entgegen und verabschiedete sich ebenfalls. Er und seine Frau begleiteten den Priester noch bis zum Ausgangstor, wo sich dessen Pferd befand und zufrieden graste. Zum Abschied winkend schwang sich Ethos auf sein Reittier und galoppierte in Richtung Stadt davon. Da Kommissar Leonce ihm eines Briefings unterzogen hatte, bevor er den Geistlichen zum Herrenhaus geschickt hatte, brauchte Artemis sich nicht allzu lange mit Ethos‘ Notizen zu beschäftigen. Es gab nicht viel Neues für ihn, so dass er sich voll und ganz der Erkundung des Hauses widmen konnte. Für ihn war das ohnehin viel spannender. Artemis liebte es, fremde Plätze zu begutachten und vielleicht das eine oder andere herauszufinden, das ihm bei der Aufklärung seiner Fälle helfen konnte. Um sich umsehen zu können, nahm Artemis eine Kerze auf und machte sich daran, die obere Etage zu erkunden. Kurz nachdem er die Treppen hinauf gestiegen war, fand er sich auf einem langen Flur wieder. Sowohl zur rechten, als auch zur linken Seite schienen endlos viele Türen zu führen. Nach kurzem Zögern entschied sich Artemis dafür, diese systematisch abzugehen. Dazu ging er an das hintere Ende des Flurs. Vorsichtig öffnete er die erste Tür und stieß sie dann langsam auf. Da die Gardinen zugezogen waren, bot nicht einmal das Licht von außen eine kleine Lichtquelle. Artemis stellte seine Kerze auf dem Kaminsims ab, welcher in der Mitte des Raumes in die Wand eingelassen war. Danach zog er die Gardinen auf, was ihm sofort eine dicke Ladung Staub in das Gesicht beförderte. Niesend zog er das große Fenster auf, was nicht nur eine guttuende kühlende Brise nach sich zog, sondern auch den Vorteil von etwas zusätzlichem Licht brachte. Erst jetzt schaute sich der Priester genauer im Raum um. Neben dem Kamin am obersten Ende des Zimmers befand sich auf der gegenüberliegenden Seite eine große Holztür, die bis an die Decke reichte und zur Seite hin aufgezogen werden konnte. Nicht unweit entfernt befand sich ein Spiegel auf Füßen, über den eine Decke geworfen worden war. Auf dem Boden und dem Kamin standen einige Behälter herum, die anscheinend Duftöl beinhalteten. Bei der Anzahl grenzte es an ein kleines Wunder, dass Artemis keines der Gläser oder Töpfchen umgeworfen hatte, als er das Fenster geöffnet hatte. Allem Anschein nach hatte jemand aus diesem Zimmer eine Art Anziehzimmer mit begehbarem Kleiderschrank gemacht und es später zweckentfremdet. Möglicherweise hatte hier eine Dame gehaust, die sämtliche ihrer Klamotten gelagert und sie mit Mottenkugeln zu sichern versucht hatte. Noch immer mit vorsichtigen Bewegungen, rückte Artemis näher an die Holztür heran. Er drückte die Tür zur Seite, zuerst nur einen kleinen Spalt breit, um sehen zu können, was ihm jeden Moment entgegen treten würde. Da er so jedoch nichts sehen konnte und sich in dem Schrank nichts zu rühren schien, stieß er die Tür vollständig auf. Sofort machte er einen Satz nach hinten, denn kaum war die Tür geöffnet, strömte ihm mindestens ein Dutzend lebloser Körper entgegen. Die Leiber fielen übereinander, schlugen laut auf dem Boden auf und blieben dort reglos liegen. Einer der Körper war auf den Rücken gedreht worden und starrte Artemis mit seinen kalten toten Augen an. Der Kopf war unnatürlich stark in den Nacken gefallen. Erschrocken wich Artemis noch weiter zurück. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich der Priester wieder einigermaßen in den Griff bekam. Bei den nun kreuz und quer auf dem Boden verteilten Körpern handelte es sich keinesfalls um Leichen, sondern um Puppen. Wahrscheinlich alte Anziehpuppen, die, nachdem sie nicht mehr gebraucht wurden, in den Schrank gestopft worden waren. Noch immer ein wenig erregt, bewegte sich Artemis auf das Fenster zu, um frische Luft zu schnappen. Zunächst konzentrierte er sich lediglich darauf, den Schrecken zu bekämpfen, doch dann fiel ihm etwas anderes ins Auge. Um besser nach draußen sehen zu können, lehnte sich der Priester leicht aus dem Fenster. Der Teil des Hauses, in dem Artemis sich gerade aufhielt, war nach Osten ausgelegt, die Stallungen, in denen die beiden Pferde untergebracht waren, nach Westen. Somit konnte Artemis nun einen anderen Teil des Grundstückes einsehen. Es handelte sich um einen weitläufigen Garten, dessen Beete schon seit langer Zeit nicht mehr gepflegt worden waren. Zwischen den Beeten, deren Pflanzen bereits die Oberhand gewonnen hatten und in alle Richtungen wuchsen, zog sich ein kleiner, mit hellem Stein gepflasterter Weg entlang. Am Ende des Weges lag eine kleine Wiese, an deren Ende sich eine Holzhütte befand. Sie war nicht sonderlich groß, hätte einem Bediensteten aber durchaus als Unterkunft dienen können. Je länger Artemis auf die kleine Hütte blickte, desto stärker wurde seine Neugierde. Irgendwie zog die Hütte seine Aufmerksamkeit stärker auf sich, als das Innere des Haupthauses. Möglicherweise war es Artemis‘ Instinkt, der sich in ihm zu rühren schien und dem er sich nicht entziehen konnte. Er schloss die Fenster und ging nach unten, nahm die Hintertür in den Garten und schritt vorsichtig den dünnen Weg durch die Beete entlang. Bei der roten Tür angekommen, dessen Holz bereits zu verwittern begann und die Farbe langsam abplatzte, hielt Artemis kurz inne. Mit einem kräftigen Ruck zog Artemis an der Tür, doch bis auf ein Knacken geschah vorerst nichts. Die Tür schien abgeschlossen, das Holz war jedoch morsch genug, um sie trotzdem auf zu bekommen. Artemis nahm beide Hände zur Hilfe, um das Hindernis aus dem Weg zu räumen. Er stemmte seine Füße fest in den Boden, lehnte sich zurück und zog mit aller Kraft an der Tür. Zuerst knackte sie nur leise, dann begann das Holz unter der Last nachzugeben. Es bog sich nach vorne, splitterte und brach schließlich aus seinen Angeln. Dabei hatte Artemis Glück gehabt, dass sich die ganze Tür und nicht nur der Griff gelöst hatte. Kaum hatte er die lose Tür zur Seite gelegt, strömte ihm ein süßlich fauliger Gestank entgegen. Trotzdem wagte er es, den Schuppen zu betreten, seine Neugierde war einfach zu stark. Als Artemis spürte, wie er auf etwas Hartes trat, das unter seinem Gewicht leicht nachzugeben schien, machte er einen Satz nach hinten. Zwar waren die Gardinen zugezogen, doch er konnte genau erkennen, auf was er dort gerade getreten war. Eine Hand lag auf dem Boden und als Artemis seinen Blick zur Seite wand, konnte er den dazugehörigen Körper sehen. Doch bei einem Körper sollte es nicht bleiben. Die Leichen stapelten sich so weit, dass sie den Weg in die dahinter liegenden Räume verschlossen. Einige der Personen erkannte Artemis, trotz der starken Verwesung, wieder. Er hatte ihre Gesichter bereits auf einigen Porträts gesehen, die an der Treppe hingen. Nachdem der erste Schock verklungen war, durchfuhr es Artemis wie ein Blitz. Normalerweise würde er in dieser Situation die Leichen näher begutachten, sie fotografieren und alles ganz genau dokumentieren, doch ihm ging ein anderer Gedanke durch den Kopf. Der Hinterhof des Hauses, in dem sie untergebracht worden waren, steckte also voller Leichen. Das konnte selbst einem so großen Stümper wie Leonce nicht entgangen sein. Artemis ärgerte sich, dass er und anscheinend auch Ethos so stark darauf vertraut hatten, dass es an der Identität des Kommissars keinen Zweifel geben könne. Sobald sich Dämonen als Menschen tarnten, gab es immer irgendetwas, das sie sehr schnell verriet. Eine unangemessene Reaktion auf Blut oder aber anderes auffälliges Verhalten wie Sodomie enttarnte einen unter den Menschen lebenden Dämon äußerst rapide. Sie waren nicht gerade Meister darin, ihre unnatürlichen Triebe zu verstecken. Leonce wiederum hatte, bis auf seine enorme Idiotie, nicht besonders auffällig gewirkt. Anstatt weitere Zeit damit zu vergeuden, sich Gedanken zu machen, stürzte Artemis hinaus, nahm den kurzen Weg durch das Haus, schnappte sich den Vampirzahn und wollte durch den Flur zum Stall hechten, als er merkte, dass sein Talar auf Höhe des Knöchels hängen geblieben war. Artemis kam ins Stolpern, schaffte es aber gerade noch, sich auf den Beinen zu halten. Um sich zu befreien, beugte er sich hinunter. Dabei konnte der Priester sehen, dass seine Kleidung sich an einem Stück hervorstehender Tapete verfangen hatte. Da er keine Zeit hatte, sich großartig aufhalten zu lassen, zog Artemis mit einer kräftigen Bewegung an seinem Talar. Die Tapete riss ruckartig ein und legte den Blick auf weitere Grausamkeiten frei. „Oh mein Gott...“, hauchte Artemis und hielt sich die Hand vor den Mund. Vor ihm befand sich keine Wand, sondern eine Art Abstellkammer, bei der die Tür fehlte. In dieser Abstellkammer waren die halb zerfetzten und ausgebluteten Körper von mindestens fünf menschlich aussehenden Wesen an Stahlseilen aufgehangen worden. Sie baumelten, den Hals unnatürlich lang gestreckt, an Fleischerhaken herunter, die durch ihr Genick gezogen worden waren. Einen der Menschen erkannte Artemis mehr als deutlich. Er hatte das Gesicht des jungen Mannes schon einmal gesehen. Weder an den Wänden des Hauses, noch innerhalb des Dorfes, in dem die Residenz stand, noch unter den Männern im Polizeipräsidium. Es war ein kleines Bild gewesen, schwarz-weiß, aber Artemis war sich zu hundert Prozent sicher, dass er das Bild von Leonce bei seiner Ankunft unter die Nase gehalten bekommen hatte. Außerdem fehlte dem Mann ein Zahn. „Christopher Gargon“, stellte Artemis flüsternd fest. Genau in dem Moment, als er den Namen ausgesprochen hatte, wurde sich der Geistliche darüber bewusst, was dies für ihn und Ethos bedeutete. Sofort riss Artemis sich los und stürmte nach draußen zu seinem Pferd. Er durfte keine einzige Sekunde mehr verlieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)