I Shall Rise von robin-chan ================================================================================ [Au] - Happiness doesn't work ----------------------------- I Autumn Durchnässt blieb Lara Croft stehen; hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Jede Faser zum Zerreißen angespannt, durchkämmten ihre Augen die Umgebung. Niemand durchquerte ihr Blickfeld, aber trat keine Erleichterung ein. Mit zitternder Hand fischte sie die Schlüssel aus ihrer Hosentasche. Durchnässt vom kalten Herbstschauer, in dem sie zurückgegangen war, spürte sie das Nagen an ihrem Körper. Tage hielt die Witterung an, nahm London in Beschlag und Lara musste feststellen, dass ihr der Umstand gelegen kam; all das spielte ihrem seelischen Zustand in die Karten. Minuten später betrat sie ihre Wohnung; bevor sie die Türe schloss überprüfte sie neuerlich den Gang. Links, rechts. Niemand da. Den Rücken an die Tür gelehnt, stand sie nun da. Gedämpft hörte sie einen Donner grollen, aber innerhalb ihrer vier Wände hörte sie nichts. Nichts, das nicht hierher gehörte. Und so atmete sie tief durch, die Augenlider schlossen sich und langsam entlastete sie ihre angespannten, gereizten Muskeln. Sie war Zuhause, alleine; ohne einen ungewollten Zwischenfall. Dumm nur, dass die Wohnung, in der sie seit knapp vier Wochen lebte, kein heimisches Gefühl bescherte. Ein Übergang, denn wohl würde sie sich hier niemals fühlen. Vermutlich hatte Lara deshalb kaum ausgepackt. Lediglich das Nötigste hatte einen Platz erhalten; daher stapelten sich genügend Pappkartons, vollgepackt mit allen Habseligkeiten und diese würden auch in den kommenden Tagen und Wochen kein Tageslicht erblicken. Der Umzug. Ein Hoffnungsschimmer, eine Chance auf einen Neuanfang. Nach dem Bruch mit Sam, da hatte sie es in der gemeinsamen Wohnung kaum ausgehalten. Viel zu viele Erinnerungen, die sie plagten und in denen sie zu ertrinken drohte. Ein radikaler Tapetenwechsel erschien unausweichlich, aber die ersehnte Besserung, die trat nicht ein. Ausgelaugt schlurfte sie in ihren klitschnassen Sachen zum Schreibtisch, schaltete den Laptop ein. Dieses Fleckchen war das einzige in ihrer Wohnung, das Hinweise auf die Bewohnerin gab. Die Wand war vollgepinnt mit Nachforschungen aller Art; Bilder, Dokumente, Ausschnitte und Karten. All das gehörte zu ihrer Arbeit. Mittlerweile hielten sie die Unterlagen mehr am Leben und bei Verstand als alles andere. Bereits auf dem Frachter, der sie zurück in die Zivilisation brachte, spürte Lara das Verlangen. Yamatai – lange blieb der Name unausgesprochen – hatte ihr die Augen geöffnet. Eine bittere Erkenntnis, denn wie die Welt, hatte auch sie ihrem Vater nie den nötigen Glauben geschenkt. Oft dachte sie an ihn und seine verrückten Fantasien. Lord Richard forschte nach übernatürlichen Phänomenen. Wie überzeugt er davon war, dass es auf der Welt mehr gab als das Erklärbare. Heute verachtete sich Lara für ihre Einstellung und umso mehr wandelte sie nun in ihres Vaters Spuren. Sie musste dahinter kommen, jetzt, da es kein Zurück mehr gab und vielleicht, vielleicht machte sie so etwas gut. Aber so, wie sie sich derzeit fühlte, so hatte sie sich das Leben als Abenteuerin nicht ausgemalt. Als sie sich setzte, glitt ihr Blick zu den Fotografien. Jene der Schiffscrew, die sie im Zuge der Forschungsreisen verlor und … sie schluckte. Der Schmerz hielt an, doch konnte Lara gewisse Bilder trotzdem nie in Schubladen oder Kartons verstecken; sie verbannen. Das Foto, das sie und Samantha Nishimura nach dem Abschluss zeigte und das sie aus dem Wrack der Endurance mitnahm, war eines dieser Fotografien. In Lara steckten so viele Erinnerungen, verbunden mit großer Sehnsucht an die damalige Zeit, die nun ihr Ende gefunden hatte. Für Sam hatte Lara Croft eine Insel auseinander genommen; weit war sie über ihre Grenzen hinausgegangen; hatte das eigene Leben für ihre Freundin aufs Spiel gesetzt. Heute, Monate danach, wusste Lara mehr denn je: Sie hatte versagt und zahlte den Preis. Schließlich legte sie das Bild zur Seite und klickte auf einen Ordner, öffnete das darin platzierte Dokument, das mehrere Seiten enthielt. Das bisher Verfasste übersprang sie, ohne den Worten Aufmerksamkeit zu schenken. Ein paar Minuten verharrte sie bloß und starrte. Dann atmete sie tief durch und ihre Finger setzten sich in Bewegung. Eintrag 19 Weitere Sitzung durchgestanden … ohne Ergebnis. Nichts ändert sich, ich stecke fest. Vielleicht belasse ich es bei dem Versuch oder ich gaukle ihm eine Besserung vor. Der liebe Doktor bohrt zu sehr, gräbt an Stellen über die ich kein Wort verlieren möchte. Er fragte nach Sam, obwohl ihm klar sein muss, wie sehr mir die Gedanken an Sam wehtun. Sam … Sam hat eine Entscheidung getroffen. Sam lässt mich nicht in ihre Nähe. Weder ihre Doktoren noch sie. Sam hat mich aus ihrem Leben gestrichen. Warum bohrt er in der Wunde? Ich spürte den Schmerz, der mir die Kehle zuschnürte und … gleichzeitig kroch Wut hoch … dann geschah es. Wieder spielte mir mein Verstand übel mit. Diese abgehakten Sequenzen. Ich sah die Bilder vor mir. So lebendig, zum Greifen nah und ich fühlte schon bald das verräterische Kribbeln meiner Fingerspitzen. Das leichte Zucken im Handgelenk. Mein vor Aufregung pochendes Herz. Real, wie aus einer Erinnerung. Ja, ich sah Wege vor mir den Doktor zum Schweigen zu bringen. Erneut. Wie so oft in den letzten Monaten. Ich erkenne mich nicht. Was ist los mit mir? Warum sehe ich das? Warum stelle ich mir vor, wie ich Menschen verletzen … töten kann? SCHON WIEDER! Es hört erst auf, wenn ich die Augen schließe und auf meine Atmung achte. Es macht mich wahnsinnig … Weil er mit ihr angefangen hat! Verdammt. Vor Yamatai habe ich nie solche Gedanken gehegt. Nie habe ich anderen ein Haar gekrümmt. Und wie ich mich als Kind nach Abenteuern gesehnt habe … aber nicht nach solchen, die mich von Grund auf verändern! Was hat die Insel aus mir gemacht! Aber was ist, wenn dieser Teil in mir geschlummert und auf seine Zeit gewartet hat? Das ist nicht normal. Das ist krank. Ich muss dagegen ankämpfen. Irgendwann, wenn es nicht aufhört, bleibt es nicht bei meiner bloßen Vorstellungskraft … Und dann ist da weiterhin das Gefühl ständig verfolgt zu werden. Er meint, das läge an der Insel. Dort haben mich die Solarii ständig im Visier gehabt… ich glaube nicht daran. Jemand lauert mir auf. Jemand ist mir zur Therapie gefolgt. Ich habe den durchdringenden Blick im Nacken wahrgenommen … Das bilde ich mir nicht ein! Weswegen? Liegt es an Lara schreckte hoch. Da war etwas. Ihr Kopf schnellte in jene Richtung, aus der sie das verräterische Geräusch wahrnahm. Das Schloss! Jemand war an der Tür. Hastig klappte sie den Laptop zu und griff nach dem Eispickel, der stets in der Nähe lag und auf seinen Einsatz wartete. [Sp] - Now those precious moments ... ------------------------------------- II Spring »Morgen, Lara«, murmelte Samantha Nishimura schlaftrunken; steuerte schlurfend die Kaffeemaschine an. Dringend brauchte sie den Koffein-Push, denn die Nacht, die war lange gewesen. Ein letzter Abstecher bevor sie am nächsten Tag um die Mittagszeit auf der S.S. Endurance in See stachen und die Arbeit, auf die sie sich Wochen vorbereitet hatte, ihren Anfang nahm. »Guten Morgen«, säuselte Lara Croft; leise lachte sie in sich hinein ehe sie an ihrem Tee nippte. Eine Frühaufsteherin, wie sie eine war, war Sam nie gewesen und in dieser Hinsicht würde sich die angehende Produzentin nie ändern. Lara selbst war, obwohl sie mit ihrer Freundin nach Hause kam, seit Stunden putzmunter. Seit Tagen konnte sie nie länger im Bett verweilen als notwendig, denn zählte Lara die Stunden zu ihrer ersten und hoffentlich erfolgreichen Forschungsreise auf die sie seit Monaten hin arbeitete. Die Gefühle, die sie hierbei übermahnten, unterbanden jegliche Müdigkeit, war es nun die Vorfreude oder die Neugierde oder einfach der Drang sich endlich beweisen zu dürfen. Nur noch wenige Stunden; die Reise, die alles verändern konnte, erhielt den ersehnten Startschuss. »Seit wann bist du wach?«, fragte Sam während sie sich an der Anrichte abstützte und zusah, wie die Flüssigkeit in die Tasse floss. »Acht Uhr?«, antwortete die Brünette nachdem sie einen Blick auf die Uhr geworfen hatte. Vier Stunden auf den Beinen, nach drei Stunden Schlaf. »Du spinnst«, nuschelte Sam kopfschüttelnd und nahm die Tasse, dessen Inhalt dampfte, und sank auf den Stuhl, der direkt neben der Archäologin stand. Vorsichtig nippte sie an ihrem Kaffee, wobei sie einen neugierigen Blick auf die Schachtel war, die geöffnet vor Lara stand und etliche Fotografien enthielt. »Ein bisschen unheimlich, oder?«, nuschelte Sam verklärt; unruhig rutsche sie am Stamm hin und her. Die Augen spähten konzentriert in die dunkle Landschaft hinaus und die Ohren gespitzt, bereit jedes noch so leiseste Geräusch aufzunehmen. »Campen hast du vorgeschlagen«, entgegnete Lara grienend; diese lag ihrerseits am Boden und starrte in den sternenklaren Himmel empor. Mitten im Ödland Australiens befanden sie sich in jener Nacht. Aus einer Laune heraus hatten sie sich einen Wagen gemietet, Schlafsäcke und Proviant eingepackt und waren los gefahren. Alles eine Idee ihrer Freundin, die sich brummend durch ihre schwarzen Haare fuhr. Lara gluckste. Die gebotene Stille, die war nicht jedermanns Freund. Sie liebte solche abgelegenen Orte, an denen jedes noch so leisestes Geräusch wahrgenommen wurde; Orte an denen selten andere Leute hinzu stießen. Lieber das als eine Menschenhorde. Düster verzog Samantha das Gesicht, stierte über das Lagerfeuer hinweg zur Brünetten. Die Reise- und Abenteuerlust, die blühte in Sam genauso, aber manchmal, da fand sie diese Ruhe durchaus unangenehm. Sie war anderes gewohnt. Sie brauchte das laute Leben und nachts, wenn sie jedes Knacksen und jedes Rascheln wahrnahm, da horchte sie genau. Eine Angewohnheit, die man ihr nicht übel nehmen konnte. Und doch, neben ihrer prüfenden Ader lebte eine andere Seite genauso auf und diese brachte Sam die absurdesten und für Lara belächelnde Gedanken; schnell vergaß sie das Drumherum, das ihr manchmal ein unangenehmes Prickeln auf der Haut bescherte. Sam räusperte sich. »Der perfekte Tatort. Niemand würde uns hören und unsere Leichen würden sie erst finden, wenn die Aasfresser mit uns fertig sind«, sprach Samantha mit dunkler Stimme und grinste. Als die Worte an die Ohren der jungen Croft drangen, stützte sich diese mit den Armen ab; skeptisch hoben sich ihre Augenbrauen. »Und wer, meine Liebe, sollte uns nach dem Leben trachten?«, hinterfragte Lara sogleich, schüttelte im selben Atemzug den Kopf. Ihre Freundin hatte eindeutig eine ausgeprägte und übertriebene Fantasie. Nun gut. Unmöglich war nichts im Leben, erfuhren sie durch Medien von den verrücktesten Geschichten, aber ausgerechnet hier? Im Ödland Australiens? Nein, Lara Croft zweifelte stark daran und fragte sich, warum Samantha stets mit solchen Gedanken ankommen musste, die die – in ihren Augen – entspannende Stille verschmähten. »Outsider, die der Zivilisation den Rücken gekehrt haben und keine Eindringlinge auf ihrem Territorium dulden!«, entgegnete Sam; purer Ernst lag in ihrer Stimme. »Schon klar, Sam.« »Meine Güte, manche habe ich ewig nicht mehr in Händen gehalten!« Während Sam den einen oder anderen Schluck trank, griff ihre freie Hand nach den ersten Bildern. »Ah, unser Australientrip … wie unschuldig du aussiehst«, witzelte sie und hielt das Foto ihrer Freundin entgegen, die empört das Gesicht verzog. »Das nehme ich dir bis heute übel! Ausgerechnet im Schlaf musstest du mich fotografieren«, brummte Lara, aber dennoch folgte ein sachtes Lächeln. Rasch hatte sie begriffen, dass sie stets vorsichtig sein musste, sobald Samantha ihre Kamera griffbereit in unmittelbarer Nähe hatte. Denn nichts liebte diese Frau mehr als in jenen Momenten, in denen das auserkorene Opfer am wenigsten damit rechnete, den Auslöser zu drücken. Gestellte Fotografien gehörten nicht gerade zu Samanthas Vorlieben. Und so war es lediglich eine Frage der Zeit gewesen, in dem sie auch die Archäologin unbemerkt vor die Linse bekam. »Oh, sieh her«, wich Sam gekonnt aus. Die Tour zog bei ihr selten. Wenn Lara ihre Verteidigung fallen ließ, so musste sie damit leben. Außerdem mochte Sam das Foto. Nun hielt sie ein anderes in der Hand. Den Kopf zur Seite neigend, lächelte sie. »Keinen Monat alt.« »Bitte, Lara«, flehte sie gespielt und packte die andere an den Handgelenken, »komm schon.« Das Partytier war erwacht und lechzte sowohl nach Aufmerksamkeit wie auch nach Befriedigung. Nach einer anstrengenden Woche hatte Samantha die Gunst der Stunde genützt und Lara in einen der Londoner Clubs geschleppt. »Du findest genügend Partner«, seufzte Lara, die nicht gerade gerne auf die Tanzfläche ging. Dennoch, gänzlich abschlagen, das konnte sie wiederum nicht, konnte sie nie. Allein das sie sich hier aufhielt, war eine Meisterleistung, mit der sich Sam rühmen durfte. Denn seit diese eine Konstante im Leben des Croft-Sprösslings einnahm, hatte Lara eine Veränderung durchgemacht. Nicht länger blieb sie daheim und zog lieber einen ruhigen Abend vor. Wann immer Sam eine Laune packte und sie tanzen gehen wollte, kam sie mit. Wenn sie jedoch aufgefordert wurde, spielte die Brünette jedoch stets mit dem Gedanken, warum sie nicht gerade auf ihrem Sofa saß, denn tanzen war eben nie ihre Welt gewesen. »Die interessieren mich nicht«, hörte sie nah an ihrem Ohr und ein wohliger Schauer überkam Lara. Wie gesagt, dieser Frau einen Wunsch abschlagen, das war beinah unmöglich. Sie schoben sich durch die Menge Richtung Tanzfläche oder besser gesagt, Sam zog sie am Handgelenk hindurch. »Und wenn ihr dir auf die Füße trete?“, rief sie lachend und die Worte drangen durch. Abrupt blieb Sam stehen. »Hast du noch nie, aber versuch’s und finde heraus, was dann geschieht!« »Du hast mich abermals zum Tanzen genötigt. Leider wusste ich diese Kleinigkeit seit unserem Kennenlernen.« Ein kurioses Treffen. Aus dem Nichts heraus stand sie vor Lara, hatte sie fotografiert als sie lesend am Boden saß. Kaum ein paar Worte gewechselt, schon kam der Vorschlag, ob sie nicht zusammen tanzen gingen. »Und du hast dich neuerlich nicht getraut«, neckte Samantha und stand auf, während Lara das Foto betrachtete. »Wie darf ich das verstehen?« Ein fragender Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. Sam zuckte mit den Schultern; eine weitere Tasse Kaffee musste her, damit der Tag endlich beginnen konnte, die letzte Müdigkeit aus ihrem Körper wich. »Jedes Mal drohst du mir auf die Füße zu treten, um der Prozedur zu entkommen, aber seither hast du es nie umgesetzt und solange durchgehalten, bis ich keine Lust mehr hatte.« »Damit umgehe ich deine Nörgelei«, gab Lara als Antwort und packte das Foto zurück. »Bin gespannt, welche du von dieser Reise schießen wirst.« Obwohl Sam unzufrieden mit den Worten war und ihr der eine oder andere Kommentar auf der Zunge lag, beließ sie es vorerst. Da dachte sie lieber an die neuen Erinnerungsstücke, die sich schon bald ergaben. »Oh, ich habe das Gefühl, wir werden eine größere Schachtel benötigen! Oder wir legen uns endlich mal ein paar Alben zu.« Oft genug hatten sie daran gedacht, die Fotos einzuordnen, von alt zu neu, aber stets hatten sie wieder darauf vergessen und irgendwie hatte diese Art des Anschauens einen eigenen Charme. »Auf jeden Fall möchte ich, wenn wir Himikos Gebeine gefunden haben, ein Bildchen mit uns beiden. In strahlender, triumphierender Pose, versteht sich.« [Au] - Everything has changed ----------------------------- III Autumn Die Dusche hatte ihre Wirkung nicht verfehlt und Lara erging es wesentlich besser; konnte klarer denken. Minuten hatte Lara da gestanden, sich vom heißen Wasserstrahl berieseln lassen; mit den Armen am Glas abgestützt und hatte ihren Gedanken nachgehangen. Immer wieder ließ sie das Szenario, das sich vorhin an der Tür abgespielt hatte, Review passieren. Wie konnte sie dagegen halten? Dass der Weg zurück schwer werden würde, hatte die Brünette geahnt. Einschneidende Erlebnisse, wie der Aufenthalt auf Yamatai, luden förmlich ein, jemanden zu verändern, aber bislang fand sie keine Lösung ihres Problems. Das normale Leben bereitete ihr die Schwierigkeiten; erst unterwegs, inmitten eines gefährlichen Abenteuers, da fühlte sie sich besser, sicherer. Dort übermahnten sie keine Ängste; das Ziel war anvisiert und darauf arbeitete sie hin, so lange bis sie es erreichte. Deshalb, und daran hegte sie keinen Zweifel, hielt es den Croft-Sprössling in den vergangenen Monaten nie lange in London. Das unbeschwerte Leben in einer Stadt mit diesen Menschen, die der gewohnten Norm nachgingen, war ihr fremd geworden. Ein letztes Mal besah sie das eigene Spiegelbild ehe Lara mit einem tonlosen Seufzen aus dem Badezimmer trat. Der Geruch von Frischgekochtem stieg ihr in die Nase; bescherte der jungen Archäologin ein sachtes Lächeln und zeitgleich ein unüberhörbares Knurren des Magens. Selbstgekochtes kam in der neuen Wohnung selten vor oder besser gesagt, ohne Jonah und Kaz bräuchte sie höchstens Ofen und Mikrowelle. Derzeit unterhielt sie eine angeregte Freundschaft zum Tiefkühlfach, dem Bäcker um die Ecke sowie der kalten Küche. Unfähig sich selbst zu verköstigen, das konnte Lara nicht behaupten, aber derzeit hatte sie weder die Geduld noch das Interesse, sich alleine zu bekochen. Das Lächeln blieb als sie näher zur Küchenzeile trat und Kaz Weiss beobachtete, deren Griffe leicht von der Hand gingen. Alex‘ Schwester und wie dieser ein Genie in Sachen Computer. Hacken galt als ihr Spezialgebiet. Wollte sie Zugang, schaffte Kaz stets einen Weg durch die Hintertür; der Grund warum sie über einen Zeitraum hinweg, den sie selbst kaum preisgab, für Trinity arbeitete. Unweigerliche musste die Brünette an das Kennenlernen zurückdenken und wie Blonde seither einen festen Bestandteil ihres Lebens einnahm. Ein Erlebnis das es in sich hatte und in einer explosiven und blutigen Angelegenheit endete. Nach der Rückkehr aus Yamatai kamen die Albträume, in denen Lara oftmals von ihren verstorbenen Freunden heimgesucht wurde; Roth, Grimm und Alex. Letzterer sprach immer und immer wieder von seiner Schwester. Irgendwann hatte es Lara nicht länger ausgehalten; sie wusste es hörte erst auf, sobald sie Kaz gefunden hatte. Nach etlichen Recherchen kam der entscheidende Hinweis und nach diesem hielt sich Alex‘ Schwester in der Ukraine auf. Sam hatte den Alleingang nicht gemocht, obwohl sie der Fahrt auf dem Frachter, der sie in die Heimat brachte, wusste, wie Lara dazu stand. Damals verhielt sich Sam eben anders. Heute sah die Lage anders aus. Vollkommen anders. Die Gesuchte fand Lara schließlich in Prypjat, wo sich Kaz vor ihrem ehemaligen Arbeitgeber versteckte. Schnell kam, was kommen musste. Trinitys Schergen hatten die Abtrünnige ausfindig gemacht und gemeinsam setzte sie sich zur Wehr; nicht ohne dementsprechende Verluste, und da Kaz neben ihrer Frau nun auch noch deren Familie verlor, hatte sie nichts mehr an diesem Ort gehalten und sie war mit der Archäologin nach London gekommen. Kurzweilig hielt Laras Blick am kurzen und blonden Haar der Frau; bei ihrem Kennenlernen war es lang und braun gewesen. Diese Frisur erinnerte ein wenig an Kaz‘ verstorbene Frau. Lara hatte im Familienhaus, bevor der Angriff los brach, ein Foto gesehen. Vielleicht eine einfache, bedeutungslose Laune; vielleicht lag so viel mehr dahinter. Fakt war, Kaz lebte stets mit der Gefahr im Nacken, Trinity könnte sie erneut aufspüren. Da brauchte es hie und da erst recht eine kleine Veränderung. Dann fragte sich Lara oft, wie lange sie Kaz noch um sich hatte. Aus Erzählungen wusste sie sehr wohl, wie schnell die Blonde ihre Zelte abbrach und ins nächste Land weiterzog. »Deckst du den Tisch?«, hörte Lara schließlich, ohne von Kaz angesehen zu werden, mit einem Unterton, den Lara schwer einschätzen konnte, und nickte. ●๑۩۩๑● Lara schreckte hoch. Da war etwas. Ihr Kopf schnellte in jene Richtung, aus der sie das verräterische Geräusch wahrnahm. Das Schloss! Jemand war an der Tür. Hast klappte sie den Laptop zu und griff nach dem Eispickel, der stets in der Nähe lag und auf seinen Einsatz wartete. Der Eindringling konnte kommen, Lara war bereit und würde ihm entschlossen gegenüber treten. Spürbar vernahm sie den Push, Adrenalin strömte durch ihren Körper. Lara wusste genau, was sie zu tun hatte. Ein kräftiger, gezielter Schlag in den Schulterbereich. Keine tödliche Wunde, denn sie wollte wissen, wer sich hier Zutritt verschaffte und weswegen. Gedanken, die sich in kaum zwei, drei Sekunden abspielten, die aus Erfahrung sprachen. Ein erwachter Instinkt, der sie aus all den Gefahren lotste. Die Tür öffnete sich und Lara atmete kontrolliert ein; den Schlagarm angehoben. »Lara?« Ein Blondschopf zwängte sich durch den Spalt, späte suchend ins Innere. Einen Wimpernschlag später trafen sich ihre Blicke. Regungsloses Starren in die Augen der jeweiligen anderen folgte, ehe es Kaz war, die das Schauspiel beendete und einen hörbar lauten Seufzer ausstieß. »Ernsthaft? Ein Eispickel? Mädel, wir sind in London … ‘ne Clock wäre zivilisierter.« »Scheiße, Kaz!«, fluchte die junge Archäologin als sie sich fing und prompt glitt der Pickel ihr aus der Hand, schlug dumpf am Boden auf. Verkrampft fuhren ihre Finger durchs Haar; mehrmals atmete sie tief ein und aus. Laras Verstand trieb eindeutig ein kräftezerrendes Spiel mit ihr; die entwickelte Paranoia unterstrich ihren miserablen Verarbeitungsprozess. Das reizte ihre Nerven zunehmend und wieder musste sie sich die Frage stellen, wie sie auf solch eine Vermutung kam. Denn wer drang spät abends, wo das Licht draußen erkennbar war, ausgerechnet in ihre Wohnung ein? Durch die Vordertür? Mit einem Mal fühlte sie sich bescheuert, beschämt. »Was machst du hier?« Kaz Weiss trat ein; sie hielt zwei Einkaufstüten in die Höhe, wodurch es selbst in Lara Crofts zermarterten Gehirn klickte. Bevor sie die Frage revidieren konnte, vernahm sie bereits die enttäuschte Stimme der Blonden. »Zum Kochen. Jonah verspätet sich. Gab ‘nen Ausfall und er muss die längere Schicht schieben. Sag«, und die Stimmlage nahm einen besorgten Ton an, »was hast du getrieben? Ich hab mehrmals geklingelt und hast du deine Klamotten gesehen? Du solltest duschen und dich umziehen.« Unterstrichen von einem sachten Kopfschütteln. »Tut mir leid, Kaz!«, entschuldigte sich Lara sogleich. Mittlerweile vergaß sie viele Treffen, meist aus demselben Grund: Lara verschanzte sich in ihrer Wohnung, arbeitete wie eine Besessene oder hing den Geschehnissen nach. Was die Archäologin jedoch weniger verstand war, wie sie die Klingel überhören konnte, aber ausgerechnet das leise Geräusch des Schlosses vernahm. Allem Anschein nach filterte ihr Gehör nach neuen Maßstäben; selbst auf die durchnässte Kleidung hatte sie vollkommen vergessen gehabt. Leicht sah sie an sich hinunter. Die Sachen klebten an ihrem Körper, hinterließen feuchte Spuren. Kälte nahm sie nicht wahr, da hatte sie auf der Insel mehr durchgestanden und damals trug sie weniger. »Lara«, holte Kaz sie aus den Gedanken, »geh duschen. Ich fang schon mal an.« Ohne Gegenwehr nickte die Brünette und machte sich zum Badezimmer auf. Kaz‘ Mustern der Wohnung, das neuerliche Kopfschütteln, blieben dabei nicht ungesehen. ●๑۩۩๑● »Erzähl, wie läuft’s mit deinem Psycho-Doc?«, fragte Kaz neugierig, nachdem die Teller gelehrt und die Mägen gefüllt waren. Während des Essens hatte sich ihre Unterhaltung mehr auf Smalltalk begrenzt, aber nun, wo sie so beisammen saßen, den Wein tranken, konnte die Blonde ihre Fragen, die ihr am Herzen lagen, nicht länger unterdrücken. Lara spürte den durchdringenden Blick, der auf ihr ruhte, wich diesem jedoch gekonnt aus. Was er bedeutete, das wusste sie sehr wohl. Kaz wollte keine Ausflüchte. Wie gern hätte sie eine freudige Antwort gegeben; erzählt wie hervorragend die Therapie verlief und ihr auf dem Weg zur Besserung half. Leider war dem nicht so und die Begrüßung von vorhin, die sprach wahrhaft Bände. Lara goss sich Wein nach, schindete sich ein wenig Zeit. Denn eine Lüge auftischen war deplatziert. Immerhin durchschaute Kaz rasch, ob ihre Worte der Wahrheit entsprachen oder eben nicht und fair ihr gegenüber erschien es ebenfalls nicht. Kaz war ihre Freundin und machte sich dieselben Sorgen, wie es Jonah tat oder Josline Reyes, wenn sie hie und da telefonierten. Lara konnte nicht sagen, sie war alleine auf der Welt, aber warum fühlte es sich oftmals danach an? »Beschissen«, antwortete Lara schlussendlich wahrheitsgetreu. »Weißt du«, sprach sie weiter, da Kaz keine Reaktion gab, «ich habe mir mehr erwartet. Sehr viel mehr. Reine Zeit- und Geldverschwendung. Ein Sprücheklopfer und ehrlich gesagt, wie soll mir ein Mensch weiterhelfen, der nie dasselbe durchgemacht hat?« Anfangs, als es noch schlimmer war und sie einen Ausweg suchte, da hatte sie sich darauf eingelassen, denn Lara hatte mit etwaigen Fortschritten gehofft. Nach all den Sitzungen jedoch, da existierte keine Hoffnung mehr. Am Ende musste sie selbst die passende Lösung finden. Niemand konnte ihr dabei helfen. »Deine Paranoia? Außerhalb der Wohnung, versteht sich«, fragte Kaz weiter. Lara lächelte wehmütig. Wann diese endlich abließ, das konnte sie nicht sagen; suchte sie in den alltäglichsten Momenten heim. Oft reichte eine schmale Gasse. Kam ihr dort jemand entgegen, dann spannte sich jede Faser ihres Körpers an. Panisch versteckte sie sich dann, mehr als einmal, fand sie sich kauernd hinter einem Müllcontainer. Vor sich sah sie keine normalen Bürger, sie erkannte sie als Feinde, Solarii und was sonst noch. Erst wenn sie an ihr vorbei waren oder sie tief durchatmete klärte sich ihr Blick. So schnell wie es kam, verschwand es wieder. Wie sehr hatte sie sich verändert. Vor der Forschungsreise hatte sie die Ruhe geliebt. Heute suchte sie die Menschenmassen, denn dort untergetaucht, umringt von unzähligen Leuten, da fühlte sie sich wohler denn je. Mittendrin, da fühlte sie sich sicher, da fiel sie nicht auf. War es besonders schlimm, so suchte sie eben jene Orte auf, wo sie in der Masse verschwand. Solange bis es ihr besser ging. Verrückt, vereinzelte Menschen brachten ihr gröbere Schübe als eine Horde. »Wie gehst du damit um?« Kaz senkte den Kopf, lachte leise während ihre Fingerkuppe über den Rand des Glases strich. »Nun ja, mein naives Verhalten hat mich in diese Lage gebracht. Was bleibt mir anderes übrig als die Konsequenzen meines eigenen Handels zu tragen? Ein lukratives Angebot, das mir zu schnell zu wider geworden ist, aber ich habe es mir selbst eingebrockt. Natürlich achte ich auf meine Umgebung, habe Vorkehrungen getroffen und Gott bewahre, zu Beginn war es alles andere als einfach, aber sagen wir, ich habe den Umstand mittlerweile akzeptiert.« Jede Tat barg Konsequenzen und der Einstieg bei Trinity hatte ihr Leben bereits in eine Richtung manövriert, die sich als Sackgasse herausstellte. Ein Ausstieg war inakzeptabel, erst recht durch die dumme Aktion, die sie damals schob. Nie hätte sie jemanden über die Existenz der Organisation erzählen dürfen. Die einzige Chance auf ein halbwegs geregeltes Leben, würde den Sturz Trinitys bedeuten und anhand ihrer Informationen, bezweifelte sie das stark. Zu viele waren involviert. »Akzeptanz«, nuschelte die Archäologin und betrachtete die rote Flüssigkeit. »Lara, Croft Manor wäre ein passender Anfang.« »Warum? Weil ich eine gebürtige Croft bin? Eine Linie zu vertreten habe?« Croft Manor, das Erbe ihrer Familie. Laras einstiges Heim, in dem sie viele schöne, aber mitunter einsame Stunde verbracht hatte. Waren ihre Eltern auf Reisen, so vergrub sie sich in Büchern. Hier lernte sie das Klettern. Wer brauchte Türen, wenn sie durchs Fenster kam? Das war ihr Zuhause gewesen. Eine Einstellung, die sich mit Lord Richards Tod rapide änderte. Getrieben von seiner Arbeit verlor der Lord sein Ansehen. Niemand mochte ihm Glauben schenken und als er verschwand, da nahm sie Abstand. Wie hatte sie ihn angefleht, diese eine Expedition zu vergessen? Ihr Vater hatte ihr kein Gehör geschenkt und dann, dann verlor er sein Leben. Besser gesagt, die Behörden sprachen nach der offiziellen Untersuchung von Selbstmord. Ein Tiefschlag, nachdem sie schon ihre Mutter verloren hatte. Lara wurde eine Vollwaise. Nichts hielt sie mehr an diesem Ort und das alte Gemäuer machte sie unglücklich. Warum sollte ihr die Rückkehr helfen? Zudem gab es ein Problem, das sie zuvor noch aus der Welt schaffen musste. »Aus der alten Wohnung bist du regelrecht geflüchtet. Mit Croft Manor sehe ich einen Fortschritt, indem du dich endlich deiner Vergangenheit stellst. Stattdessen lebst du hier, nur um einer weiteren Problematik aus dem Weg zu gehen. Du akzeptierst nicht mal, wer du eigentlich bist, wo deine Wurzeln liegen!« »Redet die, die den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen hat und einen weiten Bogen um die Heimat macht«, plapperte Lara munter drauf los und biss sich am Ende auf die Zunge; fluchte innerlich. Kaz' Miene verhärtete sich augenblicklich und sie stand auf, nahm das Geschirr und machte sich Richtung Küchenzeile auf. »Fuck!«, murmelte die Brünette, vergrub das Gesicht einen Augenblick lang in ihren Handflächen, ehe sie es gleichtat. [Su] - I say I'm okay --------------------- IV Summer Samantha Nishimura schlug die Augen auf. Ein Blitz erhellte das Zimmer - ihr Zimmer. Ein Donnergrollen folgte, aber ihr Schlaf wurde anderweitig durchbrochen. Gewitter hielten sie nie auf Trapp, viele waren bereits ungehört an ihr vorbei gezogen. In Nächten wie diesen, in denen sie putzmunter aber desorientiert erwachte, plagten sie Albträume. Sonderbare Albträume über ihr unbekannte Erlebnisse, die sich doch real anfühlten, als hätte sie all das persönlich erlebt. Wie uralte Erinnerungen – Absurd. Ihre Handfläche strich über das Laken, es war – wie auch ihre Kleidung, die an ihrem Körper klebte, durchgeschwitzt. Ein Schweißfilm verblieb noch hartnäckig auf ihrer Haut und ein kalter Schauer bescherte ihr eine unliebsame Gänsehaut. Kurzweilig schlossen sich ihre Augenlider und ein schweres, verzweifeltes Seufzen verließ ihre Lippen. Minuten verstrichen und Sam versuchte wieder einzuschlafen, aber empfand sie keinen Funken Müdigkeit und so sah sie im Liegenbleiben keine passable Option. Sam brauchte Bewegung. Etwas zu trinken. Aufgewühlt schlurfte sie Richtung Küche. Nur kurz blieb ihr Blick an der zweiten Schlafzimmertür hängen, dem persönlichen Reich des Croft-Sprösslings. Lara war fort, befand sich irgendwo in der Ukraine und suchte nach Alex‘ Schwester. Wann ihre Freundin zurückkehrte, blieb ungewiss und das störte Sam sehr. Obwohl sie darauf gehofft hatte ihr ins Gewissen reden zu können, hatte Lara ihren Standpunkt deutlich gemacht – Sie verreiste ohne Begleitung und so blieb Sam allein. Nach allem, das sie durchgemacht hatten, hatte sie anderes erhofft, aber wie änderte man die Meinung einer Croft? Generell zog es Lara vermehrt aus der Stadt, irgendwohin. War das ihre Art des Vergessens? Möglich. Sam musste es in gewissen Maßen akzeptieren, doch hieß es nicht, dass ihr das auch gefiel. Denn irgendwie, und den Gedanken konnte sie nicht verwerfen, erhielt Samantha das Gefühl, dass sie sich mehr und mehr voneinander entfernten. Sie war müde. Müde von den Erinnerungen. Müde von den Albträumen. Müde von den Ängsten. Müde von Laras ständigem Verschwinden. Das Alleinsein war das Schlimmste. Es brachte ihre Gedanken in Fahrt und nichts und niemand befand sich in der Nähe um eine Ablenkung zu erfahren. Sam brauchte eine Ablenkung. Egal welcher Natur. Denn Samantha hatte ein Problem; eines das sie nicht in Worte fassen konnte, da es sich zu verrückt anhörte. Und obwohl sie Lara normalerweise alles anvertrauen konnte, hatte sie große Angst davor ihr diese Gedanken zu erzählen. Rasch leerte Sam zwei Gläser Wasser. Nicht gerade beruhigend, aber besser als nach Alkohol zu greifen. Ein weiterer Schauer überkam ihren Körper. Vorsichtig spähte sie im Raum umher; schüttelte anschließend den Kopf. Sie verlor ihren Verstand. Sie drehte den Hahn auf und befeuchtete ihr Gesicht. Das kühle Nass auf ihrer Haut half ein bisschen; nahm ihr das unangenehme Gefühl, doch nicht alleine zu sein. Etwas, das in letzter Zeit recht häufig vorkam. Immer wieder glaubte sie, jemand war in direkter Nähe und die Erinnerungen, die sie in diesen verworrenen Träumen durchlebten, bestärkten dieses. Minuten später kauerte Samantha auf dem Sofa im Wohnzimmer. Unschlüssig entsperrte sie ihr Smartphone; noch immer war die Kontaktliste geöffnet und wieder fand sich ihr Daumen zitternd über Laras Nummer. Sie brauchte die andere, ihre Stimme, aber auch ihre körperliche Nähe. Wie so oft hielt sie sich davon ab, legte das Smartphone zur Seite. Es war mitten in der Nacht und vermutlich hatte Lara ihres gar nicht erst eingeschalten. Besser sie machte weiter, so wie sie es seit Wochen tat und irgendwann hörte es eben von alleine auf oder sie belog sich selbst einmal mehr. Vielleicht hätten sie sich doch an den Plan halten sollen, den sie vor der Forschungsreise aufgestellt hatten. ●๑۩۩๑● »Die Flüge, das Hotel … ist sofort erledigt. Wir könnten in ein paar Tagen los, sogar heute noch!«, bemerkte Sam energischer. Sie wollte eine Auszeit, fort aus London. Ein Tapetenwechsel, der sie in ihr altes Leben zurückbrachte. So wie sie es Jahre über taten. Wieder für zwei, drei Wochen verschwinden, in eine andere Kultur eintauchen, aber auch einen gewöhnlichen Urlaub erleben. »Ich weiß nicht so recht, Sam«, antwortete die junge Archäologin zum wiederholten Male und hörte ein entnervtes Brummen. »Momentan kann ich nicht fort, das Museum hat mir einen Job angeboten. Hört sich nicht schlecht an und wäre ein Anfang zurück in den Alltag zu finden.« Außerdem war sie gerade erst unterwegs und nachdem es dort wieder zu Auseinandersetzungen gekommen war, brauchte sie durchaus ein bisschen Ruhe. »Und Kaz habe ich versprochen bei der Wohnungssuche zu helfen.« »Dann verreise ich eben alleine!« »Was?!«, stieß Lara laut aus und hörte Alarmglocken schrillen. Ihr war nicht wohl dabei, wenn sie wusste Sam war alleine unterwegs, irgendwo, wo sie nicht in der Nähe war. Denn dort konnte sie ihr nicht helfen, zumal sie ja gesehen hatten, was alles geschehen konnte. »Was? Ich bin kein kleines Mädchen mehr!« Sam wurde sauer, denn sie sah sehr wohl in den Augen der anderen, was vermutlich gerade in dieser vor sich ging. Wieder fand sie sich bei dem Gedanken, wie sehr sie sich voneinander trennten. Denn während es eine Zeit gab, in der sie gleich aufstanden, glaubte Lara mittlerweile sie war eine Frau, die es zu beschützen galt und die alleine aufgeschmissen war. Ja, sie unterschied sich von ihrer Freundin, die allem Anschein nach keine Probleme damit hatte, sich mit allen erdenklichen Waffen bestückt, durch Horden zu schießen. Das war sie nicht, aber hieß es nicht, dass sich Sam nicht doch zu verteidigen wusste. »Sam, das habe ich nie gesagt! Worüber diskutieren wir hier eigentlich? Du hast nie etwas gesagt und von einer Sekunde zur nächsten beharrst du darauf, unsere Sachen zu packen und abzureisen.« Lara war vom Sofa aufgestanden und trat an Samantha heran, die gegen mit verschränkten Armen gegen die Fensterbank lehnte und rigoros jedem Blickkontakt auswich. Sanft umfasste Lara ihre Arme. »Was ist passiert, Sam?«, flüsterte sie und ihre Gesichtszüge trugen die Beunruhigung, die erwachte, nach außen. »Yamatai ist passiert«, murmelte Sam und ein trauriges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Sie brach. Nach und nach, stückchenweise. »Wir verändern uns … in eine Richtung, die mir nicht gefällt.« »Nach einem Erlebnis wie diesem … was erwartest du? Sam, noch ist alles so frisch, aber wir haben uns.« »Bist du dir sicher?« Sam biss sich auf die Zunge; sie durfte nicht mehr aussprechen, denn sonst würde das Gespräch in eine Richtung verlaufen, die sie partout verhindern wollte. Noch war sie nicht bereit dafür, noch hoffte sie auf eine eigenständige Besserung. Aber ein Teil in ihr sah darin bloß leere Worte. Dass dieses »uns« nichts retten würde. »Was meinst du?«, fragte die Brünette besorgt nach und für einen Moment sackte ihr Herz nach unten. Woher kamen die Zweifel? Für Lara würde sich dieser eine Punkt niemals ändern, egal was geschah. Dafür hatte sie gekämpft, ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Sam lachte verzweifelt auf, als sie die aufkommenden Tränen spürte und fuhr sich durchs Gesicht. »Tut mir leid, Lara, vergiss den Blödsinn«, suchte sie einen Ausweg aus der unangenehmen Situation, »ist heute einfach ein miserabler Tag.« Lächelnd löste sie sich von Lara, küsste sie auf die Wange und zog sich zurück. ●๑۩۩๑● »Ihr seid ein merkwürdiges Duo«, flötete Kaz kopfschüttelnd und spielte mit dem Strohhalm ihres Cocktails. Als sie einen Abstecher in die Bar machte, hatte sie Samantha an der Theke vorgefunden. Das erste Mal, dass sie die junge Frau ohne Lara Croft antraf. »Inwiefern?« Sam hatte sich erneut aus dem Staub gemacht, als ihr die Luft in der Wohnung zu dick geworden war. Ganzgleich, wie sehr sie danach noch darauf beharrt hatte, dass das lediglich dummes Gerede gewesen war, Lara glaubte ihr nicht. »Ich verstehe euch einfach nicht«, begann Kaz sich räuspernd und lächelte vergnügt, »ich bin seit zwei Wochen hier und begreifen nicht, wie ihr so aneinander vorbei rennen könnt.« Beim Kennenlernen mit Sam und den gemeinsamen Treffen danach, da hatte sie stets das Gefühl erhalten, zwei Verliebte vorzufinden und keine einfachen Freundinnen. »Ihr solltet definitiv einen Schritt nach vorne machen.« »Red‘ keinen Stuss!« Sam begriff sofort. Musste Kaz ausgerechnet hiermit anfangen? Eine Thematik, die sowieso komplizierte war als manch einer vermutete? »Deshalb sage ich ja, ihr seid ein merkwürdiges Duo«, wiederholte die Blondine nochmals. »Ich erkenne Lüge«, säuselte sie und lehnte zurück. »Also, du bist alleine hier, deshalb schätze ich, ihr hatte mehr oder weniger Zoff?« »Nicht direkt«, murrte Sam als knappe Antwort. Vielleicht sollte sie aufstehen und gehen. Einen Sparziergang machen und hoffen, er würde ihr gut tun. Oder die Gelegenheit dankbar annehmen, mit jemanden reden zu können, der nicht dort war. »Kannst du ein Geheimnis bewahren? Wirklich dicht halten, egal was kommt?« [Au] - I did nothing wrong -------------------------- V Autumn »Es tut mir leid, Kaz!«, entschuldigte sich die junge Archäologin. Ein weiteres Mal hatte sie nicht nachgedacht sondern unverblümt drauf los gesprochen. Natürlich waren die Worte verletzend. Hinter ihrer Entscheidung lagen eben triftige Gründe, die Kaz regelrecht dazu zwangen sich von ihrer Familie fernzuhalten. Beschäftigt mit dem eigenen Schmerz, da vergaß Lara Croft gerne auf die Päckchen, die auch ihre Freunde umher schleppte. »Passt schon«, brummte die Blondine räumte den Geschirrspüler ein. Was hatte sie sich auch erwartet? Ein normales, besinnendes Gespräch? Sie hatte gewusst, dass das keine leichte Thematik war, über die sie reden konnte, ohne dass sich der Croft-Sprössling sogleich verteidigte. Entweder zog sie sich automatisch in ihr Schneckenhaus zurück oder sie schlug panisch um sich. Dennoch hieß es nicht, sie musste diese Angewohnheit auch akzeptieren. »Im Sommer … ich wollte mein Erbe antreten, aber bis heute verwehrt es mir mein Onkel. Er denkt ich sei weiterhin instabil und nicht in der Lage diese Verantwortung zu tragen«, gestand Lara, darauf hoffend ihre Freundin würde ihre defensive – wenn auch verletzende – Art besser verstehen. »Unrecht hat er nicht«, provozierte Kaz gekonnt und griente. »Denn hättest du es wirklich gewollt, säßest du längst in deinem kleinen Schloss.« »Ich habe es versucht!« »Gratuliere, Lara. Ein einmaliges Unterfangen und schon belässt du es dabei.« Kaz schnaufte; fahrig fuhr sie sich durchs Haar. Worauf sollte diese Diskussion hinaus laufen? Vermutlich nicht auf ein Zugeständnis. »Ich mache mir Sorgen, wir machen uns Sorgen. Bei unserem Kennenlernen hattest du bereits gewissen Macken ausgeprägt. Dein Problem mit stillen Orten, die Einbildung von Feinden, aber dann kam die Sache mit Sam…« Kaz richtete sich auf. »Lass Sam aus dem Spiel!«, räumte Lara sofort ein. Ob Jonah, Reyes, Ana oder Kaz, sie alle kamen ab einem Punkt stets auf Samantha Nishimura und sie hasste das, denn jedes Mal holten sie unliebsame Erinnerungen ein. Kopfschüttelnd lehnte Kaz gegen die Anrichte. Mit diesem Einwand kam Lara nicht sehr weit, nicht bei ihr. »Die Tatsache, dass Sam sich von dir abgewandt hat, hat dir den Rest gegeben. Die erste Zeit über verstand ich dein Handeln, glaube mir, aber mittlerweile musst du selbst begreifen, dass das nicht der richtige Weg ist, Lara! Du verbarrikadierst dich, vergisst auf die Menschen, die du noch hast. Statt etwas zu unternehmen, verkriechst du dich! Manchmal habe ich das Gefühl du möchtest keine Besserung!« »Ich verkrieche mich nicht, ich arbeite! Das tat ich bereits bevor Sam irre geworden ist!« »Artefakte ausfindig zu machen ist eine Sache, aber Trinity hinterher jagen? Dein Leben weg werfen? An deinem Ruf arbeitest du ja bereits recht energisch. Anscheinend willst du in deines Vaters Fußstapfen treten, denn in den Medien hast du bereits seinen Status eingenommen.« Ja, Lara Croft hatte die Arbeit des Lords aufgenommen. Wie vernarrt vergrub sie sich in seinen Aufzeichnungen und setzte seine Forschung fort. Irgendetwas trieb sie an. Welch eine merkwürdige Fügung. Ausgerechnet sie setzte jene Arbeit fort, die ihr den Vater nahm und das regelrecht besessen. Schon auf der Rückreise von Yamatai hatte Lara gespürt, dass das erst der Anfang war. So viel, das ihr Vater nie beenden konnte, aber sie erhielt die Chance und sie, Lara Croft, würde nicht scheitern, denn nun verstand sie ihn mehr denn je. Ihr Vater hatte keine Hirngespinste verfolgt, er hatte gewusst, welche Dinge sich auf dieser Welt abspielten. »Hast du je daran gedacht ein weiteres Mal den Kontakt zu suchen?« »Ich reise in zwei Tagen ab«, warf Lara ein. Sam stand neuerlich nicht zur Diskussion. Kaz hob eine Augenbraue, musterte die andere eingehend. »Erneut? Was bezweckst du zu finden?« Und wieder schloss sich der Kreis. »Ach, vergiss es!«, knurrte Kaz und machte kehrt. Reden brachte keine Besserung. Dem Croft-Sprössling konnte sie nicht helfen und allmählich fragte sie sich, warum sie überhaupt noch ihre Zeit verschwendete. »Mich!«, antwortete Lara schlussendlich während sich Kaz bereits ihre Jacke überstreifte. Der Abend war definitiv gelaufen und Lara würde Jonah vermutlich schreiben. Er brauchte nicht mehr vorbei kommen, denn er würde sofort erkennen, dass zwischen den beiden etwas vorgefallen war und auf ein weiteres Gespräch dieser Art war sie nicht aus. »Kaz, ich versuche mich zu finden und nur so schaff ich das!« »Indem du ein Adrenalin-Junkie geworden bist? Tut mir leid, aber das kann ich nicht nachvollziehen, Lara. Glaube mir, irgendwann wirst du feststellen, dass das alleine nicht ausreicht. Dich selbst findest du auch auf andere Weise.« Tief durchatmend sah Kaz zu Boden. »Möchtest du irgendwann alleine da stehen?« »Ich war in meinem Leben schon sehr oft alleine«, kommentierte Lara nüchtern. Sie war eine Einzelgängerin und das Erlebnis auf Yamatai hatte ihr erneut vor Augen geführt, um wie viel leichter das Leben doch war, wenn es niemanden zu beschützen galt. Was nicht hieß, das sie ihre Freunde als Belastung ansah, nicht im eigentlichen Sinn. »Hast du Sam deshalb im Stich gelassen? Um in ein altes Muster zurückzufallen?« Dieses Mal lag es an Kaz der anderen einen Stich zu versetzen. Ihre Ohren schnappten einen tiefen, schweren Atemzug auf. »Hör auf! Du hast doch keine Ahnung! Ich habe nichts Falsches getan!« »Wenn du das sagst«, entgegnete die Blonde entnervt und trat ohne abzuwarten aus der Wohnung. ●๑۩۩๑● »Sie hört auf niemanden. Blockiert sie bei mir, okay, kann ich verstehen, aber selbst dich stößt sie vor eine verschlossene Tür«, seufzte Kaz und zündete sich eine Zigarette an. Jonah war auf einen Sprung vorbei gekommen und saß nun auf ihrem Sofa, nuckelte brummend an einer Flasche Bier. »Wäre sie mir nicht ans Herz gewachsen, ich hätte längst aufgehört«, murmelte sie nach einem längeren Zug. »Ist halt ein schwieriges Jahr für sie«, entgegnete Jonah ernüchternd, aber mittlerweile fand selbst er keine überzeugenden Worte mehr, die Lara Crofts Verfassung rechtfertigten. Auch er hatte lange genug alles Mögliche unternommen, um ihr zu helfen und momentan befand selbst er sich an einem Punkt, an dem er kaum noch weiter wusste. »Hast du heraus gefunden, wo sich Sam aufhält?«, fragte er mit einem neugierigen Funkeln in den Augen. Der Aufenthalt im Gefängnis hatte nicht lange gedauert, dann zwischendurch in psychiatrischer Behandlung, wo sie von sich aus Lara verbot Kontakt aufzunehmen. Jonah selbst hatte Sam danach ein, zwei Mal gesehen – natürlich ohne seine Freundin davon zu erzählen. Beim ersten Besuch hatte Sam normal mit ihm gesprochen; der negative Umschwung kam erst, als er Lara erwähnte. Die Frau die danach vor ihm saß, die kannte er nicht, denn so hatte Samantha Nishimura noch nie über ihre beste Freundin gesprochen. Dann kam der zweite Besuch und dieser dauerte nicht sehr lange. Bei diesem hatte er von Anfang an eine Fremde vor sich. Eine, die plötzlich erpicht darauf war, alles über Lara zu erfahren. Sie lechzte förmlich nach Informationen, die er keineswegs einzuordnen wusste und die er ihr anschließend auch verwehrte. Drei Wochen war es nun her und er hatte mitbekommen, das Sam die Klinik verlassen hatte. »Sie hält sich in den Staaten auf.« »Ich habe ein ungutes Gefühl«, gestand Jonah und stellte die Flasche auf den Tisch während er sich erhob und seufzend ans Fenster trat. »Wegen Himiko?« »Ja. Seither frage ich mich, warum sie all die Fragerei … das passt nicht zusammen. Okay, Himiko hat gewonnen und Sam verbannt, aber warum glaube ich daran, dass das ein Nachspiel haben wird? Einen Monat überlege ich, ob ich Lara davon erzählen soll.« »Was dann, Jonah? Wir wissen beide nicht, was es damit auf sich hat. Vielleicht machen wir uns darüber auch zu viele Gedanken. Hilfreich ist es bestimmt nicht.« »Weißt du, geht es um Sam, so kann ich Lara verstehen. Sie hat wirklich alles getan um Sam zu retten. Ich komme selbst kaum klar damit und beide standen sich um vieles näher. Dennoch … Lara muss sich allmählich aufrappeln. Um ihretwillen.« »In zwei Tagen fliegt sie wieder in der Weltgeschichte umher. Hat sie dir davon erzählt?« Kaz lehnte sich zurück, warf den Kopf zur Seite und betrachtete Jonah, der weiterhin mit dem Rücken zu ihr stand. »Mehr oder weniger. Sie ist ständig auf Trapp und vertieft in die Arbeit ihres Vaters. Da ist eine weitere Reise alles nur eine Frage der Zeit gewesen. Vielleicht … hilft ihr ein Trip, wohin auch immer.« »Hast du vor dem letzten Mal auch gesagt.« [Sp] - ... we carved in stone ... --------------------------------- VI Spring »Ha, diesen Schnappschuss kann ich kaum erwarten!«, griente Lara Croft verschmitzt und lehnte zurück; ihre Arme baumelten entspannt von der Stuhllehne. Ein Bild der beiden, direkt nach dem Fund Himikos. Ein perfekter Abschluss ihres ersten großen Abenteuers. Nun, da die Reise direkt vor der Tür stand, die Finanzierung endlich klappte, stach der Tatendrang umso mehr hervor. Gerne hätte sie den Tag übersprungen, aber leider spielte die Zeit nach ihren eigenen Regeln. »Nun musst du nur der richtigen Spur folgen.« »Wir oder sollte ich sagen … Whitman? Ich kann ihn nur schwer einschätzen. Er hat zwar eine interessante Reputation, aber er lässt sich wohl kaum die Show stehlen und sich zur Not etwas sagen.« Ernüchternd atmete Lara durch und sie griff erneut in die Schachtel. Wie so oft waren sie beide darauf erkennbar; es stammte aus dem letzten Jahr. »Komm her, Lara«, lachte die schwarzhaarige Frau strahlend. Die Kamera war gezückt, der nächste Gipfel erklommen. Kaum war Lara neben sie getreten, legte sie bereits den Arm um deren Schulter. »Lächeln.« Eine Momentaufnahme für ihre persönliche Ewigkeit. »Perfekt«, nuschelte sie als sie das Bild begutachtete. Sam sank auf einen Felsen und nahm einen tiefen Atemzug. Der Aufstieg war anstrengend gewesen, aber die Aussicht, die sich hier bot, war jeden Schweißtropfen wert. »Wir müssen hinunter zum Lager«, meinte die Brünette und setzte sich neben ihre Freundin, die leise brummte, den Kopf an ihre Schulter lehnte. »Ein paar Minuten haben wir noch.« Sam unterdrückte ein Gähnen. Sobald sie oben ankamen, verfiel sie stets in eine Müdigkeit und konnte ein Nickerchen vertragen. »Dann schläfst du mir ein«, neckte Lara und sah zur anderen. »Power-Napping, davon gehört?« »War anstrengend«, raunte Samantha leise. Sie hatte sich zu Lara begeben, stand hinter diese und sah über die Schulter hinweg auf die Fotografie. »Aber hat sich ausgezahlt«, erwiderte die Brünette räuspernd. Sie hatte das Erinnerungsstück angesehen und tatsächlich ausgeblendet gehabt, wie Sam aufgestanden und zu ihr gekommen war. Nun spürte sie zwei Arme, die sich um ihre Schultern legten, das Kinn auf ihrer linken. »Mach dir um Whitman keinen Kopf. Ich weiß, wie ich dich in Szene setze.« »Inwiefern?«, hinterfragte Lara skeptisch, das Foto landete wieder in der Schachtel. »Wer weiß«, säuselte Sam. Dass sich Whitman gerne in den Vordergrund stellte, war ihr durchaus aufgefallen, aber ihm lag etwas an der Expedition, das musste sie ihm zu Gute halten. Dennoch dachte die Produzenten nicht nur an ihre Arbeit, die sie dadurch vorantreiben und bekannter machen konnte, nein, sie hatte ebenso andere Pläne. Sie führte die Aufnahmen und sie würde bestimmt den einen oder anderen Leckerbissen finden, der nicht nur Whitman glänzen ließ. »Sam?«, fragte Lara nach und skeptisch hob sich eine Augenbraue. Sie kannte diese Art, die Sam an den Tag legte. Irgendetwas hatte sie vor. »Klär mich auf.« »Ich gehe ins Bad, mach mich fertig und dann lass uns ein Restaurant aufsuchen«, lenkte sie winkend ab. ●๑۩۩๑● Luftlöcher starrend stieß Lara Croft einen tiefen Atemzug aus. Hätte sie stärker auf das Weitergehen beharrt. Anstatt in einem Restaurant ihren allmählich rebellierenden Magen zu sättigen, saß sie auf einem Hocker und wartete. Sam liebte das Shoppen und einmal mehr hatte sie Lara in ihre liebste Boutique gezerrt, die – zu ihrem Leidwesen – auf direktem Wege zum geplanten Restaurant lag. »Sam, wir reisen morgen ab«, startete der Croft-Sprössling einen erneuten Versuch während ihre Blick durch den Laden streifte; ihre Ohren waren erpicht darauf die monotone Musik auszublenden. »Die Klamotten versauern bis zu unserer Rückkehr. Bist du dir klar darüber?« Für die bevorstehende Reise war bereits alles eingekauft und gepackt, hier fand sich nichts Passendes. Denn auf einem Expeditionsschiff, wie es die Endurance war, brauchte es keine schicke, aufreizende Kleidung. »Mein halber Schrank wird versauern«, hörte sie die Produzentin aus der Umkleidekabine flötend und drehte die Augen über. »Hunger?« Selten blieb es bei einem, wie Sam gerne sagte, kurzen Sprung und meist lief alles nach einem einfachen Prinzip ab. Sam verschwand, kam dann und wann aus der Kabine und führte ihr jene Outfits, die das Interesse geweckt hatten, vor. Oftmals stand Lara bloß da, brachte ihre Meinung ein oder – wie in diesem Augenblick – verfiel sie in ein kurzweiliges Starren. Samantha war einem Cocktailkleid verfallen und dieses saß wie angegossen. »Und?«, fragte die andere wartend, vergewisserte sich ein weiteres Mal – mit dem Blick in den Spiegel – ob wohl alles richtig saß. Lara hingegen blinzelte, spürte den verräterischen Herzschlag. »Steht dir«, räumte Lara lächelnd ein, ohne zu viel zu sagen, »nimm ’s mit.« »Es steht mir … mehr nicht?«, entgegnete Samantha skeptisch und betrachtete sich neuerlich. »Nochmal das andere?« »Sam …«, flehte Lara. Natürlich wollte Samantha mehr hören, dessen war sie sich im Klaren, aber was sollte sie noch sagen? Ihre Freundin wusste eben, wie sie ihre Körper perfekt zur Schau stellte und in Laras Augen stand ihr sowieso jedes Kleidungsstück. Allein ihre eigenen Blicke mussten Bände sprechen, sie mussten sie unlängst verraten haben. Entweder ignorierte Sam den Umstand oder sich dachte sich tatsächlich nichts dabei und Lara wusste nicht, was ihr lieber war. »Ah, Miss Nishimura!«, mischte sich indes eine Verkäuferin ein, »Sie sehen umwerfend aus. Ich dachte mir bereits, dass Ihnen die neue Kollektion gefallen dürfte.« Lara prustete verachtend, leise um die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Sie mochte diese Frau mit ihrer aufgesetzten Art nicht, die sie jedes Mal zeigte, sobald Sam den Laden betrat. Kein Wunder, sie war eine gute Kundin und die Preise brachten ebenfalls einen besonderen Umgangston mit sich. »Umwerfend, Lara, hast du gehört?«, kommentierte Sam grinsend und warf ihr einen Blick über die Schulter zu. ●๑۩۩๑● Endlich! Das Essen wurde serviert und Lara konnte ihren Magen endlich ruhig stellen. Sie hatte kaum gefrühstückt und das Warten in der Boutique hatte sich dementsprechend noch hinaus gezögert. Sam hatte sich nochmals zum Probieren der anderen Stücke hinreißen lassen, dieses Mal blieb die Verkäuferin stets in nächster Nähe und hatte ihre Meinung kundgetan. Für einen Moment hatte Lara mit dem Gedanken gespielt, diese herauszufordern. Denn nach den etlichen verzückenden Kommentaren, hatte sie stets die passende Steigerung auf den Lippen gehabt, nur um die Verkäuferin ein bisschen zu ärgern. Nur war das eben nicht ihre Art und so hatte sie mehr oder minder geschwiegen, bis sich Sam endlich zur Kasse durchgerungen hatte. »Machen wir uns heute noch einen gemütlichen Abend?«, fragte diese bevor sie den ersten Bissen zu sich nahm. Auch bei ihr hatte sich endlich der Appetit breitgemacht. »Auf der Couch gammeln und einen Film ansehen?« Solche Abende mochte Sam genauso. Nicht immer brauchte sie eine Party, die Menschenansammlung und für solche Abende gab es demnächst wohl ebenfalls keine Zeit mehr. »Gern, sofern wir uns einig werden?« Sam kicherte leise. Jedem Filmabend ging meist eine kleine Diskussion voraus. Sie hatten durchaus einen unterschiedlichen Geschmack, aber jedes Mal fanden sie am Ende einen Kompromiss, mit dem sie beide recht gut lebten. »Bisher haben wir immer den Mittelweg gefunden.« »Ich freue mich«, seufzte Lara, »aber bitte wähle einen Film, der die Zeit vergehen lässt. Also lass die Finger von deinen Hollywood-Komödien.« »Ich bitte dich! Die können unterhaltsam sein!«, verteidigte Sam sogleich ihre liebste Wahl. Sie mochte Komödien. Bequem auf der Couch liegen, den Kopf abschalten und einfach dem Film folgen. Das nannte sie Entspannung. »Wenn du meinst«, nuschelte die Archäologin und räusperte sich daraufhin, »ich sage nur, manche dieser Filme gleichen purer Verblödung?« »Darum geht es doch. Dem Gehirn Pause gönnen!« »Wie gesagt, ich freue mich auf eine weitere Diskussion mit dir«, belächelte Lara, aber musste sie sich eingestehen, dass das schon mal äußerst amüsant ausfallen konnte. Denn Samantha zog – sofern sie der Film tatsächlich interessierte – gerne sämtliche Register. »Rede weiter in diesem Ton und du wirst heute keinen Kompromiss erhalten, meine Liebe«, drohte die andere süßlich grinsend. »Verbringen wir den Abend eben getrennt.« [Su] - You are so cold ---------------------- VII Summer Was geschah mit ihr? Samantha Nishimura lag zusammengekauert auf ihrem Bett; ihr Körper bebte unaufhörlich, hie und da verkrampfte er. Tränen hatten eingesetzt, aber verbot sie sich jeden Schluchzer. Zu welch einem Scheusal mutierte sie? Von Kindesbein an war sie als ein lebensfroher und aufgeschlossener Mensch bekannt; sie liebte ihr Leben und genoss es in vollen Zügen. Mittlerweile jedoch hatte sie sich verloren. Ihr Innerstes war zerrissen. Wo blieb ihre Gelassenheit, ihre spitzfindigen Kommentare? Sie war nicht mehr alleine. »Sam?«, hörte sie ihre Mitbewohnerin, das Klopfen an der Tür. Nach dem Fiasko am späten Nachmittag war sie nach Hause geeilt und hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Sam hatte die Kontrolle verloren; wie schon wenige Tage zuvor. »Ich hab uns Tee gemacht.« Samantha biss sich auf die Zunge, vergrub das Gesicht unter dem Kissen. Sie wollte Lara Croft weder sehen noch hören und das erschreckte sie. Steckte sie dahinter, Himiko? Mehr und mehr lernte sie die Gegenwart der Archäologin hassen. Egal, was Lara auch tat, sie spürte eine unsagbare Wut in ihrer Nähe, die von Tag zu Tag stärker wurde. Sam kam bereits der Gedanke, ob sie nicht woanders hin ging, zur Not in ein Hotel, bis sich ihr Zustand eben besserte. Einfach um einen größeren Abstand zwischen sie zu bringen. »Verdammt, Sam! Ich weiß, dass du nicht schläfst!« »Verschwinde, Lara!«, fauchte die junge Produzentin. Sie konnte es nicht aussprechen – ihr nicht die Wahrheit sagen, die sie seit Wochen bedrückte. Selbst Kaz gegenüber war die Vermutung nur schwer über die Lippen gekommen und seither schien sie komplett zu blockieren. »Tut mir leid«, wisperte Sam in die Dunkelheit ihres Zimmers, wissend ihre Stimme würde nicht bis nach draußen dringen. Mitten in der Nacht hatte sich Samantha aufgerappelt. Durst trieb sie auf die Beine und nach dem sie mit gespitzten Ohren gelauscht und nichts vernommen hatte, war sie vor die Türe getreten. Kein Licht brannte in der Wohnung und vorsichtig tapste sie zur Zimmertür ihrer Mitbewohnerin, die einen Spalt offen stand. Das Bett war unberührt, sie war nicht da. Dieses Mal spürte sie einerseits eine Entspanntheit, doch andererseits wieder einen Hauch von Wut darüber, dass die andere tatsächlich aufgab und verschwand. Samantha wusste, dass sie rasch eine Lösung finden musste. Denn so konnte sie auf Dauer nicht leben! Nicht so. In der Küche schaltete sie das Licht an; am Esstisch erkannte sie die Teekanne und zwei Tassen, beide unbenutzt. Davor lag – neben einem Stift – ein beschriebenes Blatt. Neugierde entfachte und während Sam auf den Stuhl glitt, griff ihre Hand bereits nach der feinsäuberlichen Nachricht. Sieh wie weit wir gekommen sind. Du hast Recht behalten, wir laufen in unterschiedliche Richtungen. Wo sind die Zeiten geblieben in denen wir lediglich einander brauchten? Wir haben uns gegenseitig Halt gegeben. Weißt du noch? Auf Yamatai habe ich dein Leben über meines gestellt. Ich täte es wieder. Und dann? Du hast nicht gelogen, Sam. Für eine Nacht hast du auf mich aufgepasst … eine Nacht lang, aber dann? Dann ist alles anders gekommen. Uns hat dieses Abenteuer nicht stärker werden lassen, es hat uns auf eine Weise geschlagen, wie wir es uns nicht erträumt haben. Ich kenne die Gründe für meine Veränderung, kennst du auch deine? Lass uns nicht eine weitere Niederlage einstecken. Ich bin nicht gut darin sang- und klanglos aufzugeben, wie auch du. Wir können uns aufraffen. Gemeinsam. Nach dem mehrmaligen Lesens der Zeilen, legte Samantha die Nachricht zurück. Wahrhaftig waren sie an einem Punkt angelangt, der so nie eingetroffen wäre. Seit ihrem Kennenlernen hatte sie stets aufeinander gebaut, sich zu einem unantastbaren Gespann entwickelt. Schon immer waren sie verschieden gewesen. Sie liebte das laute, das volle Getümmeln; Lara hingegen zog die Ruhe und entspannte Umgebung vor. Am Ende hatten sie stets die perfekte Mischung gefunden und allein das Beisammensein hatte gezählt. Nun lief alles verkehrt. Der Stift stach ihr ins Auge und tief durchatmend nahm sie ihn; drehte diesen unentschlossen. Wollte sie überhaupt eine Antwort geben? Diese eine Nacht an Bord des Frachters, die gesamte Rückkehr lag plötzlich weit zurück, als ob bereits Jahre vergangen waren. Damals zählte einzig und alleine das Hier und Jetzt. Lara hatte das Versprechen gehalten und sie, sie alle gerettet – Momente des Zweifels hatte es genügend gegeben, denn alles schien gegen sie zu spielen, aber war Lara ihr hinterher gerannt. In jener Nacht hatte die Erleichterung gesiegt und trotz der Verluste war Sam glücklich gewesen. Sie hatten überlebt und sie hatten sich zurück. Leider blieb es eine Illusion. Heute dachte sie anders darüber, denn ein kleines Stück – tief in ihrem Herzen verankert – wünschte sich im Nachhinein einen anderen Ausgang, doch die Zeit zurückdrehen, das konnte sie nicht. »Sam … «, ein schwaches Flüstern. Unschlüssig stand Lara im Türrahmen. Vorhin hatte sie es nicht ausgehalten. Das Laufen sollte ihr helfen, aber zur Besserung hatte es am Ende nicht beigetragen. Egal wie schnell sie durch die Straßen hastete, die beklemmende Unruhe blieb. »Rede mit mir.« Das viele Schweigen, das war sie nicht gewohnt. Wann hatten sie das letzte Mal einen unbeschwerten Abend verbracht? Beisammen gesessen und stumpfsinnige Filme angesehen? Blödsinn geredet und herzhaft gelacht? In einer lang vergessenen Zeit. Samantha erhob sich – wortlos wie sie sich in den letzten Tagen gab, sofern sie der anderen nicht ihre Wut entgegenbrachte. Den Stift hatten sie zuvor zurückgelegt, nach einer Antwort war ihr nicht mehr. Überhaupt fehlte es ihr an einer passenden Formulierung ihres Problems, selbst wenn sie darüber sprechen wollte. »Dein Ernst?«, wisperte die Archäologin und packte Sams Handgelenk als diese an ihr vorbei marschierte, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. »Lass los«, kam es gedämpft und widerwillig war Sam stehen geblieben, »ich bin müde.« »Denkst du, ich wäre nicht lieber im Bett? Du findest genauso wenig Schlaf wie ich es tue.« Sie musste die Gelegenheit, die sich hier bot, nutzen, bevor sich Sam neuerlich in ihrem Zimmer vergrub. »Wir haben uns nie etwas verschwiegen.« »Du lügst, Lara! So ehrlich wie du dich gibst, bist auch du nicht.« Ein süffisantes Lachen entwich der Schwarzhaarigen; grob löste sie sich von der Hand der anderen. »Geht es um gewisse Gefühle, dann haben wir seit jeher eisern geschwiegen oder uns belogen!« »Das ist nicht vergleichbar, Sam!«, verteidigte sich Lara. »Hast du dich mal im Spiegel betrachtet? Du veränderst dich zu einem Menschen, den ich nicht kenne!« »Tun wir beide. Die Zeiten, in denen wir gleich auf waren und ein Team bildeten, die sind vorbei! Du übersiehst diese Veränderung. Alles was du tust, tust du nur noch alleine. Anstatt dich zu begleiten, muss ich zurückbleiben und darf auf deine Rückkehr warten.« »Weil ich nicht möchte, dass sich die Geschehnisse wiederholen!«, war Lara lauter geworden. Verstand ihre Freundin nicht, warum sie sich für diesen Weg entschied? Jedes Mal riskierte sie ihr Leben, aber eben lediglich das eigene. In dieser Zeit war sie alleine, weniger verwundbar. Es erleichterte ihre Unternehmungen. »Schon klar … ich bin die Belastung«, murrte die andere und wandte sich zum Gehen um. Sie hatte keine Nerven für solch eine Unterhaltung. Wäre sie besser sofort zu Bett gegangen. »Sam, ich liebe dich!«, gestand Lara verzweifelt, »Denkst du, ich möchte dich erneut in Gefahr sehen? Ich kann dasselbe nicht ein weiteres Mal durchmachen. Hätte ich dich verloren … ich weiß nicht.« »Wir haben uns so oder so verloren, du siehst es bloß nicht.« [Au] - I miss you ----------------- VIII Autumn Jonah Maiava schüttelte fassungslos seinen Kopf. Hört der Spuk denn nie auf? Hilfesuchend lugte er zur Blondine, Kaz Weiss, die am Fenstersims saß. Das Gesicht war nach draußen gewandt; deutlich machte er den Rauch der Zigarette aus. Sie waren in seiner kleinen, beschaulichen Wohnung und da die Thematik einmal mehr an den Nerven zerrte, hatte er ihr das Rauchen erlaubt. Die frische Nachtluft, der Windstoß drangen zu ihm vor. Aus dem ruhigen Abend, den sie geplant hatten, war neuerlich nichts geworden. Der Grund saß ihm gegenüber. »Little Bird, was muss erst geschehen? Hör endlich auf!«, ermahnte er Lara Croft. »Du hast versprochen, dass das bald aufhört, stattdessen planst du eine Reise nach Sibirien!« »Weil ich dort die Antwort finde, Jonah! Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dort finde ich diese Quelle.« »Sowie eine Schar an Trinity-Anhängern!«, murrte Kaz schnaubend. Natürlich musste der Croft-Sprössling direkt ins Hornissennest laufen! »Als ob die mich aufhalten!«, blaffte Lara zurück. Diese hatte sie bereits mehrmals kennengelernt und bisher hatte ihr niemand ein Leid angetan. Vielmehr trat das Gegenteil ein, sie machte ihnen das Leben schwer. »Habt ihr keinerlei Vertrauen in mich?« Jonah stöhnte. »Mach dich nicht lächerlich! Wir machen uns Sorgen. Warum ist dir die Suche so wichtig?« Bislang hatte er nie eine konkrete Antwort erhalten, die ihn auch zufriedenstellte. »Kennst du dich in diesem Terrain überhaupt aus? Hast du Leute dabei, denen du vertrauen kannst?« »Ja, habe ich. Zwei Sherpa sind bereits kontaktiert und … ich möchte, dass ihr mich begleitet. Bis zu einem Punkt jedenfalls.« »Was?« Jonah traute seinen Ohren kaum. Bei den letzten Malen war sie einfach so gegangen, hatte ihnen allen bewusst ans Herz gelegt, sie wollte niemanden an ihrer Seite. Woher der Sinnenswandel? »Sorry, Lara. Ich stelle mich für Hintergrundarbeiten zur Verfügung, aber werde ich dich nicht begleiten«, mischte nun Kaz mit, bevor Lara mehr sagen konnte und warf den Stummel nach unten auf die Straße. »Umsonst verstecke ich mich nicht seit Jahren.« Freundschaft hin oder her, aber hierbei musste Kaz an sich denken. Es brauchte einen falschen Schritt und sie hatte all die Strapazen umsonst auf sich genommen. Das Risiko war eine Spur zu groß. »Reicht mir«, erwiderte Lara, natürlich verstand sie diese Reaktion. Wollte Kaz keine direkte Konfrontation mit Trinity, dann musste sie ihre Entscheidung akzeptieren. Sie hatte genug aufgegeben um ein halbwegs sicheres Leben zu haben, aber sie konnte , aber konnte sie auf Informationen bauen. »Jonah?« Er schwieg. Vielleicht wog auch er die Risiken ab und entschied sich dagegen. Lara konnte beide nicht zwingen und vielmehr hatte sie die Frage in den Raum geworfen, auch damit sie einen kleinen Fortschritt sahen. »Ich bin dabei, sofern du meine Frage beantwortest.« Ein Seufzen der Brünetten folgte. Natürlich hatte sie die Frage nicht vergessen, eher gekonnt ignoriert. »Mein Vater war nicht verrückt. Yamatai hat mir die Wahrheit aufgezeigt; unsere Welt ist voller sonderbarer Phänomene. Er hat diverse Aufzeichnungen hinterlassen und denen möchte ich nachgehen. Niemand hat ihm geglaubt, mich eingeschlossen, Jonah.« »Die Arbeit nimmt dich ein und dafür lässt du alles andere links liegen … du wolltest nie wie er werden. Mittlerweile sprechen sie auf ähnliche Weise über dich. Auch dein Ruf wird in den Dreck gezogen.« »Finde ich Beweise, dann hören die Artikel auf.« »Findest du? Niemand glaubt an Yamatai, aber an eine Quelle der Unsterblichkeit? Seien wir ehrlich miteinander, solche Geschichten werden sie nie für wahr halten. Denn ich bezweifle, dass du nötige Beweise mit nach Hause bringen wirst, sollte sie überhaupt existieren.« »Recht hat er«, kommentierte Kaz räuspernd, »Ich gebe dir einen Rat, Lara. Bring solche Nachforschungen nicht an die Öffentlichkeit, arbeite nebenbei an normalen Funden, die dich nicht zu sehr in Verruf bringen. Trinity macht das seit Jahrzehnten. Würde mich nicht wundern, wenn sie diejenigen sind, die die Presse anheizen.« »Oder du belässt es gänzlich dabei«, übernahm erneut Jonah das Wort, »Die haben dich angegriffen, sie tun es wieder. Sind solche Nachforschungen dein Leben wert?« »Ja, besonders diese Quelle.« Lara beugte sich vor. Sie spielte seither wahrlich mit dem Feuer, aber war sie von ihrem Vorhaben überzeugt. So vieles existierte auf dieser Welt, das sie verstehen wollte. Der Drang danach war stark und den ignorieren war ein Ding der Unmöglichkeit. »Ich habe mit meinem Vater gestritten … deswegen. Oft genug habe ich ihm gesagt, er solle das lassen. Ich habe ihn vermisst und ist er zu Hause gewesen, dann … Heute tut es mir leid. Ich habe nicht besser reagiert als die anderen, ihm keinen Glauben geschenkt. Wisst ihr, mein Gefühl sagt mir, mit diesem Fund wird alles besser. Mir geht es danach besser. Solange ich mich nicht aufrapple, kann ich niemanden helfen und diese Reise bringt mich zu diesem Punkt!« »Wenn nicht? Du findest die Quelle, du überlebst und kehrst zurück, aber du bleibst unverändert. Was dann? Jagst du dann Jahre einen Geist nach dem anderen?«, hinterfragte Jonah, der nicht wirklich vor Überzeugung strotzte. Das Risiko war hoch, dieses Mal konnte sie tatsächlich ihr Leben lassen. »Gänzlich aufhören werde ich nie … dessen bin ich mir bewusst. Hört mal, ich kann mit einem weiteren Knacks zurückkehren, aber ich kann dadurch zur gewohnten Stärke finden und mit mir ins Reine kommen. Habe ich mich zurück, dann kann ich mich um … Sam kümmern.« Kaz fand das Augenpaar des Mannes, er dachte wohl dasselbe. Sollte Lara darüber informiert werden? Schweigsam drehte sie den Kopf wieder nach draußen, zündete sich eine weitere Zigarette an. Wenn, dann war das nicht ihre Aufgabe. »Wie möchtest du Sam helfen, Little Bird?« Er war sich unsicher. Vielleicht warteten sie lieber bis zur Rückkehr. Laras Reaktion einschätzen war in diesem Fall äußerst schwierig. »Himiko lebt in ihr … hab’s selbst gesehen, leider zu spät … irgendwo dort draußen muss es eine Lösung geben. Einen Weg, der Sam, so wie wir sie kennen, zurückholt. Ich glaube daran.« »Wie gesagt, du könntest Jahre einem Gast hinterher jagen.« »Dann verbringe ich eben Jahre damit, Jonah! Solch ein Ende akzeptiere ich nicht! Sam ist jede dieser Strapazen wert. Ich kann nicht vorgreifen. Hilf mir diesen Kapitel zu beenden.« »Bin dabei.« ●๑۩۩๑● Ein Gähnen entwich der jungen Archäologin. Die schlug drei Uhr morgens und allmählich rief das Bett. Nach ihrer Rückkehr war der Schlaf ausgeblieben und so hatte sie sich an die Vorbereitungen für den Trip gesetzt. Müde spähte sie durch den Raum. Die Leere, die hier herrschte, machte ihr zu schaffen. Sam hatte ihr Leben in vieler Hinsicht bereichert, denn Lara hatte gelernt, wie schön das Zusammenleben war. Selbst als sie die Ruhe vorzog, hatte sie wenigsten gewusst, jemand war in direkter Nähe. Sam war immer da gewesen. Vielleicht fiel es ihr deswegen leichter auf Croft-Manor zu verzichten. Das ehrfürchtige Gemäuer hatte eindeutig zu viel Platz, jedenfalls solange man dort alleine lebte. Dennoch hatte sie ihrem Onkel eine E-Mail geschrieben, in der sie betonte, dass sie sich ihr Eigentum in den kommenden Wochen zurückholen würde. Lara drehte sich zum Schreibtisch; das eine Bild, das sie seit Jahren mit sich trug und aus der Endurance gerettet hatte, stach ihr ins Auge. Der Schnappschuss, der sie direkt nach dem Abschluss zeigte. »Ich vermisse dich«, murmelte Lara und schloss die Augen. Sie musste endlich nach vorne schauen. Einen Schritt nach dem anderen gehen. Am Anfang musste sie wieder auf die Beine kommen und dann konnte sie alles schaffen, das hatte sie unlängst bewiesen. Sie würde aus der Asche auferstehen und niemand würde sie aufhalten. »Ich hole dich zurück, Sam.« [Su] - ... are only memories after all -------------------------------------- IX Summer Yamatai hatte das ihnen bekannte Leben verändert. Dem war sich Lara Croft bewusst. Solche Erfahrungen brannten sich ins Gedächtnis ein. Mit solch einem Ausmaß jedoch, mit dem hatte die junge Archäologin nicht gerechnet. Samantha Nishimura, ihre Sam, hatte sich gewandelt; zu einem neuen Menschen, den sie nicht wiedererkannte. Der Wandel kam langsam. In den ersten Wochen durchlebten sie dasselbe Trauma. Albträume, Panikzustände, Halluzinationen. Lara jagte den Abenteuern hinterher, hoffend sie würden sie stärken. Was Sam dagegen tat, wusste sie nicht. Vermutlich hatte sie genügend Male alles als abgeschlossen abgetan, denn oft hatte Lara das Gefühl erhalten, dass nur noch sie an dem Erlebten zerbrach. Wieder verstrich die Zeit und ihre fielen Veränderungen auf. Samantha glich einem instabilen Vulkan, der nur noch darauf wartete endlich auszubrechen. Und tat er dies, dann musste sie Acht geben. Das war nicht Laras Sam. Durfte sie daher jene Vermutung aussprechen, die ihr seit Tagen auf der Zunge lag? Ein waghalsiger Gedanke, den sie nicht so leicht bezeugen konnte. Schließlich war es eine Vermutung, aus ihrem tiefsten Inneren stammend. Das Gespräch, in dem Lara zum ersten Mal ein »Ich liebe dich« ausgesprochen hatte, lag bereits eine Woche zurück. Seitdem verschanzte sich Sam mehr und mehr; trafen sie doch aufeinander so wechselten sich zwei Szenarien ab. Entweder explodierte die andere und ließ ihrer Wut – woher auch immer diese stammte – freien Lauf oder sie tat als existierte Lara nicht, als war sie unsichtbar. Zum ersten Mal in ihrem Leben war Lara tatsächlich ratlos. Wie drang sie zu ihrer Freundin vor? War das überhaupt noch möglich? Es war ein früher Samstagabend. Das Fenster in der Küche stand offen. Die Schwüle des Nachmittages wich endlich einer erfrischenden Brise. Lara nahm einen Schluck Tee zu sich und wie so oft in letzter Zeit saß sie am Esstisch. Ein Bein hatte sie am Stuhl angewinkelt, einen Arm am Knie abgestützt während ihre Augen auf der Schachtel ruhten. Sie wusste nicht warum, aber hatte sie der Drang nach den alten Erinnerungsstücken nicht los gelassen. Nach der Rückkehr hatten sie diese gemeinsam angesehen. Als Art Gedenken. Denn enthielt die Schachtel nicht nur jene, die die Reisen der beiden erzählten, dort fanden sich etliche andere wider, darunter von der Besatzung. Alte Bilder, denn die, die sie an Bord gemacht hatten, waren allesamt verloren. Gingen mit dem Schiff unter. Selbst die Kamera, die Lara bei sich getragen hatte, hatte am Ende nicht überlebt. Ein Jammer. An Bord hatten sie viele gemacht. »Lara Croft trauert der Vergangenheit nach«, hörte sie die spöttische Stimme ihrer Mitbewohnerin. Tief holte die Archäologin Luft, schloss einen kurzen Augenblick lang ihre Augenlider. Also war die andere auf Streit aufgelegt. »Mir liegen unsere Erinnerungen eben am Herzen«, nuschelte der Croft-Sprössling; langsam führte sie die Tasse an ihre Lippen. Bislang hatte sie Sam nicht eines Blickes gewürdigt, erst nachdem sie getrunken und die Tasse neuerlich abgestellt hatte. Sie zwang sich zu keiner Reaktion. Samantha hatte sich herausgeputzt, trug ein knappes Kleid. Eines, das sie erst vor der Abreise gekauft hatte. »Du gehst aus?«, fragte sie somit. Samantha hatte sich ein Glas Wasser eingeschenkt und lehnte nun gegen die Anrichte. Ein breites Grinsen zierte ihre Lippen. »Besser als darin zu graben.« Irgendetwas zog sie förmlich nach draußen, denn die Wohnung engte sie ein, glich einem Kerker, wo sie stets von ihrer Aufpasserin im Auge behalten wurde. »Wer weiß, eine versüßter Abend kann Wunder bewirken«, säuselte die Schwarzhaarige. »Findest du?« Lara erhielt ein knappes Nicken; sie musterte die andere während sie das Glas leerte und in die Spüle gab. »Erinnerst du dich daran?« Sie schob ein Foto über den Tisch. Der Widerwille stand Sam sichtlich ins Gesicht geschrieben, aber trat sie tatsächlich näher und betrachtete das Foto. »Oh, wie unschuldig«, belächelte Sam höhnisch, »Kaum zu glauben, dass dieses schüchterne Ding eine gesamte Insel auf dem Gewissen trägt.« »Ich hab sie gezwungen nach unserem Leben zu trachten«, gab Lara abwertend zurück. Als ob sie je gedacht hatte, zu solchen Taten fähig zu sein. Lediglich hatte sie sich der Situation angepasst, aber das war nicht der springende Punkt. »Sag mir Sam, warum hast du die Aufnahme gemacht?« »Mir war wohl langweilig«, entgegnete sie dementsprechend in desinteressierter Manier, »als ob ich mir jeden Grund für eine Fotografie im Gedächtnis behalte. Du bist albern, Lara.« Es klingelte und Sam gluckste zufrieden. »Du solltest aufhören an belanglosen, längst vergessenen Momente zu denken. Sie sind es nicht wert.« »Wer ist da?«, fragte Lara nach als Sam aus der Küche huschte. Kritisch folgte sie dieser, die bereits die Türe öffnete. Automatisch verdunkelte sich ihre Miene. »Mein Date«, säuselte Sam vergnügt. ●๑۩۩๑● »Sam hat was?!« »Ein Date … mit irgend’nem zwielichtigen Kerl«, wiederholte Lara und stöhnte auf. »Wirkt wie ein Mafiosi, Kaz, und nein, da sprechen nicht meine Gefühle aus mir! Der hat definitiv Blut an seinen Händen.« »Sie schnappt über.« Kaz schüttelte den Kopf. Als Lara ihr schrieb, ob sie nicht Lust auf einen Abstecher hatte, hatte sie bereits mit einem neuerlichen Fiasko gerechnet, aber ein solches? Wohl kaum. »Ich erkenne sie nicht wieder und es macht mir Angst. Wie ein anderer Mensch«, gestand Lara und vergrub das Gesicht in ihren Handflächen. Sie saßen an einem der hinteren Tische im gewohnten Pub. Kaz, die ihr zuvor gegenüber saß, hatte sich neben sie gesellt und legte einen Arm um ihre Schultern. »Hast du sie darauf angesprochen?« »Ich hab ihr das erste Foto gezeigt, dass sie von mir gemacht hat. So kamen wir miteinander ins Gespräch. Die Geschichte dahinter, die hat sie mir in den Jahren laufend immer wieder erzählt. Heute hat sie entweder so getan oder sie erinnert sich tatsächlich nicht mehr daran. Kann man so schnell etwas vergessen?« Aufmunternd strich Kaz über ihren Arm, während ihr Blick auf das Holz des Tisches gerichtet war. Unwillkürlich erinnerte sie sich an das Gespräch mit Samantha, die ihr damals ihre Sorgen anvertraut hatte. Normalerweise war das der passende Augenblick um Lara darüber zu informieren, aber hatte sie ein Versprechen gegeben – Kaz hielt ihre Versprechen. »Warum hast du das getan?«, fragte sie somit, denn sie durfte Sam ihre Worte nicht direkt aussprechen, aber auf andere Weise vielleicht, konnte sie Lara auf die richtige Fährte locken. Oder hegte diese bereits dieselbe Vermutung und musste Kaz sie lediglich darin stärken. »Wie gesagt«, begann Lara seufzend und strich eine Haarsträhne zurück, »sie ist ein neuer Mensch geworden … wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit …« Sie biss sich auf die Unterlippe. Ein verrückter Gedanke und doch, nach dem Übernatürlichen, das sie miterlebt hatte, was war da noch verrückt? »Kann es sein, dass ich zu lange gebraucht und somit versagt habe? Warum habe ich das dumpfe Gefühl, dass Himiko gewonnen und Besitz von Sam ergriffen hat? Mir gegenüber ist sie … als hätte ich ihr etwas angetan. Ist das möglich?« Vorsichtig drehte sie ihren Kopf, suchte das Augenpaar der anderen, die nachdenklich vor sich hin starrte. »Kaz?« »Möglich ist alles, Lara«, wisperte sie und sah der Archäologin traurig lächelnd in die Augen, »das weißt du.« »Was kann ich dagegen tun?« »Keine Ahnung«, sprach Kaz ehrlich aus. War der schlimmste Fall eingetreten, so hatte auch sie keine zufriedenstellende Antwort parat. Mit einem Phänomen wie diesem hatte selbst sie noch nie zu kämpfen gehabt. »Zu ihr durchzudringen ist unmöglich … vielleicht hat behält sie Recht. All unsere Reisen und Fotografien sind am Ende bloß noch belanglose Erinnerungen.« ●๑۩۩๑● »Snow Hill Police Station, spreche ich mit Miss Croft?« Laras Herz machte einen kräftigen Satz. Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus, als sie räuspernd bejahte. »Ich rufe Sie wegen Samantha Nishimura an, Sie sind als ihr Notfallkontakt eingetragen. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass sich Ihre Freundin in Gewahrsam befindet.« »Warum? Geht es ihr gut?!«, wollte Lara wissen. Sam war auch dieses Wochenende ausgegangen, war jedoch nicht nach Hause gekommen. »Ja, Miss. Jedoch muss sich Ihre Freundin in mehreren Fällen der Körperverletzung verantworten.« Lara traute ihren Ohren kaum, glaubte sich verhört zu haben. Nach Halt suchend stützte sie sich am Fenstersims ab. Sam hatte was getan? [Wi] - It's over ---------------- X Winter Ein scheußlich frostiger Wind peitschte durch die Straßen Londons, wirbelte vereinzelte Schneeflocken auf. März und der Winter klopfte an die Pforte; sein letztes Aufbäumen bevor der Frühling einkehrte. Auf diesen freute sich Lara Croft mehr denn je. Für sie begann das neue Jahr. Der Kragen ihres Mantels war hochgestellt, die Hände schützend in den Taschen verstaut. Vorsichtig lugte sie gen Himmel, wobei ein zufriedenes Lächeln über ihre Lippen huschte. Die vergangenen Monate hatten ihr sehr viel abverlangt. Sie hatte sich Wärme verdient; wollte den Schnee und Frost hinter sich lassen. Lara hatte jene Quelle der Unsterblichkeit gefunden. Sie hatte die Arbeit, die ihrem Vater das Leben kostete, beendet und sie hatte jeder Herausforderung gestrotzt. Am Ende war sie wie neu geboren zurückgekehrt – ohne Trauma, ohne Albträume, sie strotzte vor neuem Selbstbewusstsein und Tatendrang. Natürlich verschwanden die alten Albträume, jene aus Yamatai, nicht zur Gänze, aber waren sie weniger geworden und nicht länger hielten sie Lara die restliche Nacht munter. Sie hatte gelernt mit ihnen umzugehen, zu leben. Auch andere Kleinigkeiten hatten sich verändert. Mittlerweile spazierte sie ohne gröbere Zwischenfälle durch verlassene Gassen. Nicht jedes Geräusch ließ sie zusammenzucken. Die letzte Halluzination lag bereits Wochen zurück. Lara hatte Recht behalten und eine Veränderung herbeigeführt, die selbst ihr Therapeut nicht verleugnen konnte. Sein Schreiben hatte einen weiteren Stein ins Rollen gebracht und ihrem Onkel die entscheidende Bestätigung gegeben. Spätestens nach Erhalt dieses Schriftstückes konnte sie nicht länger abspeisen. Der Kampf um das Anwesen war geschlagen und Lara kam gerade von ihrem Anwalt. Nun galt sie offiziell als Lady Croft, mit allem Drum und Dran. Croft-Manor lag endgültig in den Händen der rechtmäßigen Erbin. Bislang schien alles, dass sie sich vorgenommen hatte, aufzugehen und noch in dieser Woche startete der Umzug. Ein Kinderspiel, da sie bis heute nie vollkommen ausgepackt hatte. Jonah und Kaz würden ihr zur Seite stehen und Hand anlegen. Den beiden hatte sie sogar das Angebot unterbreitet bei ihr zu leben. Denn für sie alleine blieb Croft-Manor vorerst ein großes und leises Gemäuer. Lara spürte einen Neuanfang und sollte Jonah und Kaz ablehnen, dann würde sie alleine dort leben; vielleicht lernte sie damit umzugehen, denn ihr war bewusst geworden, dass die Zeit reif war zum Ursprung ihrer Wurzeln zurückzukehren. Vor dem Wohnblock blieb Lara stehen, sah an diesem empor. Obgleich sie sich dort nie heimisch fühlte, überlegte sie das Loft zu behalten. Für den Fall der Fälle. Das Geld hatte sie und die Lage war passend, besonders wollte sie nicht mehr raus nach Surrey fahren. Eine Überlegung, die es wert war, aber noch Zeit hatte. »Die unverwüstliche Lara Croft.« Besagter entglitten die Gesichtszüge, das Herz schien auszusetzen. Diese Stimme erkannte sie in jeder Menge. Bedacht drehte sie den Kopf nach rechts und ihre Augen weiteten sich. »Sam!«, stieß Lara atemlos aus. Nur wenige Meter entfernt von ihr stand ihre einstige Mitbewohnerin und Freundin. Ein unangenehmer Kloß hatte sich in ihrem Hals ausgebreitet. Samantha Nishimura hatte sie das letzte Mal an einem schwülen Sonntagmorgen im späten August gesehen. Damals trug sie einen orangenen Overall. Und zwischen ihnen lag mehr als eine Glasscheiben, so viel mehr. Musternd wanderte ihr Blick über den Körper der anderen. Sie hatte sich die Haare wachsen lassen. Laras Körper machte sich selbstständig und kaum war der Abstand gebrochen, zog sie die andere in eine stürmische Umarmung. »Du bist da … wann haben sie dich entlassen?« »Ich habe mich entlassen«, kicherte die andere vergnügt. Lara ließ die Arme sinken, brachte einen neuerlichen Abstand zwischen sie. Das Glücksgefühl, das sie in ihr ausgebreitet hatte, verblasste innerhalb eines Wimpernschlages. »Himiko.« Ein Wispern. »Samanthas Körper erweist seine Dienste.« »Warum bist du hier?«, hinterfragte Lara gedämpft. »Wir haben eine Rechnung offen, vergessen?« Die Frau kicherte spöttisch. »Sieh dich an, dein Anblick ist göttlich.« Hatte Croft etwa an einen Sieg ihrer Freundin geglaubt? Himiko hatte sich genügend Körper einverleibt, als konnte da ein junges Ding gegen sie ankämpfen. »Weißt du«, begann Himiko, denn die Archäologin schien nach Worten zu suchen, »ich habe nie gedacht, wir erfrischend die neue Umgebung doch ist. Fern der Insel hat sich mir eine neue Welt offenbart. Welch eine Freiheit!« »Du bist ausgebrochen … oder?« »Nein, sagen wir, ich habe neue Untertanen gefunden. Gut, sie haben mich aufgespürt, aber sei’s drum. Sie huldigen mir. Entzückend, findest du nicht? Nach all der langen Zeit gibt es noch Menschen, die nach mir gesucht haben und mich als die Königin ansehen, die ich bin.« Ohne jene Hilfe wäre sie nicht so rasch aus diesem Höllenloch entronnen. »Dann such dir einen neuen Körper!«, giftete Lara die andere an. »Mittlerweile fühle ich mich äußerst wohl darin, tut mir leid.« Ein Auto hielt am Wegrand und ein Mann stieg vom Beifahrersitz aus. »Ich liebe Pünktlichkeit«, säuselte Himiko. Das neue Leben bereitete ihr eine unsagbare Freude und doch existierte ein kleiner Schandfleck. »Heute ist mir nicht nach einer Auseinandersetzung. Ich wollte dich bloß sehen.« »Du bist verrückt.« Himiko zuckte mit den Achseln und trat näher. Versteinert stand der Croft-Sprössling vor ihr und sie fragte sich, was bloß in ihrem Kopf vor sich ging. Auf der Stelle töten? Nein, gewiss nicht, nicht solange sie im Körper ihrer Freundin hauste. Dass allein bereitete ihr ungeheuren Spaß. »Möchtest du mich töten?« Warum tauchte sie aus dem Nichts heraus auf? Über Monate hinweg war Sam, nein Himiko, verschwunden gewesen. Sie suchte in den Augen der anderen nach einer Antwort, aber erkannte sie dort nichts als eine schwärzende Kälte. Wieder tauchte dieses spöttische Lächeln auf. Lara wusste nicht, was sie tun sollte. Himiko beugte sich leicht vor; Lara fühlte den Atem brennend auf ihrer Haut. »Ach, Lara, hätte ich lediglich deinen Tod im Sinn, ich hätte es längst getan.« Spielerisch überwand Himiko die letzten Zentimeter und stahl der Archäologin einen Kuss. »Sagen wir, ich möchte dich brechen. Und was macht mehr Spaß, als es im Körper deiner Liebsten zu tun?« Lachend wandte sich Himiko ab, winkte der anderen noch zu. »Bis bald, Lady Croft.« Erst als der Wagen um die Ecke bog, löste sich Laras Starre. Torkelnd schleppte sie sich zum Treppenansatz, wo sie auf die erste Stufe sackte und jenen Halt suchte, den ihre Beine verweigerten. Ein neuer, beängstigender Abgrund tat sich vor ihren Augen auf. Egal, wie viele Stunden sie gedanklich verbrachte einen Lösungsweg zu finden, nun, wo Himiko tatsächlich vor ihr stand und das niederschmetternde Ausmaß präsentierte, war ihr Kopf wie leer gefegt. Ihr Körper erzitterte. Wie konnte sie das bloß gerade biegen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)